D2030 – „Corona-Stresstest“
Erstellt von Redaktion am Freitag 14. Januar 2022
Ein Virus verändert die Zukunft
Von Manfred Ronzheimer
Die zivilgesellschaftlichen Zukunftsforscher von D2030 haben ihre Prognosen einem „Corona-Stresstest“ unterzogen. Die Zukunftspfade sind nicht mehr so optimistisch wie vor der Pandemie.
Zukunft hat zu Jahresbeginn immer eine besondere Konjunktur. Was steht zu erwarten? So fragen sich viele und nehmen „wissenschaftliche Ferngläser“ zur Hand, um eine faktenbasierte Vorausschau auf das Kommende zu richten. Wie sehr die Zukunftsabschätzung aber auch in die Irre führen kann, zeigt sich zwölf Monate später beim bilanzierenden Blick in den „Rückspiegel“. Häufig hat sich die Realität kaum um die Befolgung der Prognosen gekümmert.
Gerade in Pandemiezeiten – in der ein unvorhergesehener „schwarzer Schwan“ namens „Corona“ die Welt auf den Kopf stellt – ist die Zukunftsforschung ein kniffliges Geschäft. Eine Gruppe alternativer Futurologen hat es dennoch gewagt und unterschiedliche Entwicklungsszenarien auf ihre Plausibilität abgeklopft. Die Gruppe um die Berliner Zukunftsforscher Klaus Burmeister, Alexander Fink und Beate Schulz-Montag hatten bereits 2017 mit ihrem Verein „D2030 – Deutschland neu denken“ eine breit angelegte Prognose für die 20er Jahre erstellt, die sie nun, unter veränderten Rahmenbedingungen, auf den Prüfstand gestellt haben. „Corona-Stresstest“ nennen sie ihre Update-Studie, um mit ihr die Frage zu beantworten: Welche Zukunft gestattet uns das Virus? Was kommt nach der Pandemie?
In seiner Expertenbefragung vor vier Jahren hatte das D2030-Team – das seine Untersuchung ohne Auftrag auf der Grundlage von Spenden finanzierte – acht sehr unterschiedliche mögliche „Zukünfte“ für die Bundesrepublik identifiziert und sie nach Plausibilität und Wünschbarkeit sortiert. Als wenig wahrscheinlich wurden die Szenarien „Bewusste Abkoppelung“ und „Alte Grenzen“ gewertet, in der etwa die Abschottung in der Zuwanderung oder wirtschaftliche Autarkie und Selbstversorgung die politischen Leitlinien darstellen. Stärker als in Deutschland wurden damals, 2017, in den USA unter Donald Trump solche Retro-Tendenzen zur tatsächlichen Polit-Maxime.
Für Deutschland wurden die beiden Szenariengruppen „Spurtreue Beschleunigung“ – nach der Devise „Weiter so wie bisher, nur etwas flotter“ – und „Neue Horizonte“, unter anderem mit der Zukunftsvariante „Spielräume für die Zivilgesellschaft“, entworfen. Beide Alternativen standen in gewisser Weise im September 2021 mit der Bundestagswahl zur politischen Entscheidung an, mit bekanntem Ergebnis. Die Fortsetzung des „Wohlfühl-Wohlstands“ – so der Titel eines D2030-Szenarios – nach Merkel’schem Muster wurde abgewählt, um stattdessen „Mehr Fortschritt“ zu riskieren.
Dazwischen sauste im März 2020 der Corona-Hammer nieder. In zwei Befragungsschleifen suchten die Berliner Zukunftsforscher zu ermitteln, was sich dadurch für ihre Prognosen veränderte. In einem ersten „Stresstest“ wurden im Frühjahr 2020 insgesamt 117 Zukunftsexperten einvernommen. Drei Viertel von ihnen sprachen sich für einen „optimistischen Entwicklungspfad“ aus und erwarteten einen „positiven Strukturwandel nach der Corona-Krise“. Ein Jahr später, im Sommer 2021, hatte sich bei der nichtrepräsentativen Befragung von weiteren 175 „Zukunftsexperten und Zukunftsinteressierten“ das Meinungsbild bereits gedreht. Nun sahen nur noch 37 Prozent in der Post-Corona-Zeit einen „Strukturwandel kommen, der zu mehr Nachhaltigkeit und Gemeinwohl“ führt. Die Mehrheit dagegen, 58 Prozent, hielt die „Rückkehr zur alten Normalität“ für plausibler.
Ist es nicht seltsam, die bezahlten Diener immer an ihre Pflichten erinnern zu müssen ?
In der Interpretation der Befragungsergebnisse blickt das D2030-Team in eine stärker polarisierte Zukunft. „Bestätigt hat sich die Befürchtung aus frühen Corona-Phasen, dass starke Wertekonflikte in der Gesellschaft aufbrechen werden“, fasst Klaus Burmeister einen neuen Trend zusammen. „So wurde während oder durch die Corona-Krise die vormalige Dominanz globaler und offener Ansätze gebrochen – selbst bei der gewünschten Zukunft haben regressive Sichtweisen erkennbar zugelegt.“ Auch hätten sich „eine Reihe von Hoffnungen aus der frühen Corona-Zeit eben nicht erfüllt“, darunter die Stärkung hochqualitativer Medienangebote, die Auflösung des Gegensatzes von Wirtschafts- und Umweltinteressen sowie die „breitere Erprobung von neuen Formen von Gemeinschaft und kultureller Offenheit“. Stattdessen entstand die „Querdenker“-Bewegung und eine weit verbreitete Impfskepsis.
Alles schlechter durch Corona? Keineswegs, relativiert der neue Zukunfts-Befund von D2030. Die Mehrzahl der Deutschen habe während der Coronakrise auch positive Erfahrungen gemacht. Stichworte sind Homeoffice, Impfinnovationen, Solidarität, Digitalisierung. „Mit Corona haben sich auch positive Entwicklungen verfestigt, beispielsweise die Erschließung ländlicher Räume und die Stärkung hochwertiger Produkte aus regionalen Kreisläufen“, heißt es in der Bilanz. Darüber hinaus seien auch Befürchtungen wie einer starke Wirtschaftskrise oder einem vollständigen Zusammenbruch des Gesundheitssystems ausgeblieben. Auf mittlere Sicht hat die D2030-Gruppe zwei klare Zukunftstrends ausgemacht. Zum einen werde die Klimakrise, die durch Corona zwischenzeitlich zurückgedrängt wurde, „das beherrschende Thema der Post-Corona-Zeit sein“. Zum zweiten seien die Veränderungen der Arbeitswelt durch Corona beschleunigt worden. Hier werde sich – durch räumlich verteilte und digitalisierte Arbeit – eine „neue Normalität“ einstellen.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
*********************************************************
Grafikquellen :
Oben — Übertragung und Lebenszyklus von SARS-CoV-2, das COVID-19 verursacht. SARS-CoV-2 wird über Atemtröpfchen infizierter Fälle auf orale und respiratorische Schleimhautzellen übertragen. Das Virus, das ein einzelsträngiges RNA-Genom besitzt, das in Nukleokapsid (N) -Protein und drei Hauptoberflächenproteine eingewickelt ist: Membran (M), Hülle (E) und Spike, repliziert sich und gelangt in die unteren Atemwege, was möglicherweise zu einer schweren Lungenentzündung führt. Das Tor zum Eintritt in die Wirtszelle (vergrößerte Ansicht) ist über spike-converting enzyme 2 (ACE2) Interaktion mit der Spaltung von Spike im Präfusionszustand durch Proteasen TMPRSS-2/furin. Eine vereinfachte Darstellung des Lebenszyklus des Virus wird zusammen mit möglichen Immunantworten gezeigt.
***************************
Unten — Deklaration der Menschenrechte