Corona verändert die Welt
Erstellt von DL-Redaktion am Sonntag 26. April 2020
Aus der Asche der Gewohnheit entsteht die neue Gegenwart
Aschewüste, Südisland
Eine Kolumne von Sascha Lobo
In der Corona-Pandemie erkennen wir, was plötzlich alles geht – und was eigentlich niemand mehr braucht. Wenn das Schlimmste überstanden ist, muss das so weitergehen.
Vielleicht ist die Welt, wie wir sie kannten, schon untergegangen, und wir haben es bloß nicht bemerkt. Dafür sprächen die vielen kleinen Veränderungen im Alltag. Nicht die unmittelbar auf die Coronakrise zurückzuführenden wie die zunehmende Zahl der Maskenträgerinnen und -träger. Sondern die Begleit- und Folgeerscheinungen. Die postpandemische Gesellschaft zieht herauf, die Umrisse lassen sich vielleicht schon erahnen.
Zum Beispiel stand kürzlich in einem Hauseingang eine Pappschachtel mit der Aufschrift „Give-away-Box“. In Berlin gehört es zur Tradition, altes, sogar leicht defektes Zeug mit dem Schild „zu verschenken“ vor die Tür zu stellen. Was auf den ersten Blick anmutet wie ein mittelmäßig gewitzte Art der halblegalen Sperrmüllentsorgung, funktioniert tatsächlich. Der Schrott der einen ist die Wohnzimmerdeko der anderen. Aber in dieser Kiste waren ausgespülte Gläser und Dosen. Es war zwar Prenzlauer Berg, aber eine gebrauchte Weißblechdose als „Give-away“ anzupreisen, das changiert selbst dort zwischen halbseidener Marketingagentur und externalisiertem Messietum. Trotzdem erscheint das symptomatisch: Die Mischung aus Zuhausebleiben und Aktionsdrang führt bei vielen Menschen zu einer großen Entrümpelungsoffensive.
Online-Marktplätze für Gebrauchtes boomen wie nie zuvor. Der Geist der Reduktion auf das Wesentliche weht durch die Welt, und, ich glaube, er beginnt nur mit den Gegenständen. In einer postpandemischen Gesellschaft kann dieser Corona-Minimalismus viel mehr verändern als nur die hinteren Ecken der Kleiderschränke und Keller.
Angebot und noch Fragen
Ein paar Wochen kauft die Welt nur das, was sie wirklich braucht, und schon bricht die halbe Wirtschaft zusammen. Nachhaltigkeit ist seit fast dreißig Jahren eines der wichtigsten Schlagworte für die Zukunftsfähigkeit der Welt, aber die Coronakrise beschert uns neue Definitionen von Nachhaltigkeit und auch von wirtschaftlicher Widerstandsfähigkeit. Wer jetzt kein digitales Geschäftsmodell für sich sieht, der baut sich keins mehr.
Mit Billionenaufwand stützt die Bundesregierung Unternehmen, gut so, persönlich habe ich vor wenigen Szenarien mehr Angst als vor einem Deutschland mit 25 Prozent Arbeitslosigkeit. Aber gleichzeitig Steuergeld in Form von Kurzarbeit zu beantragen und Milliarden an Börsenausschüttungen oder Aktienrückkäufen auszugeben, das ist inakzeptabel. Und trotzdem legal in Deutschland, anders als etwa in Dänemark, wo Staatshilfen jenen Unternehmen versagt werden, die mit Niederlassungen in Steueroasen tricksen. In einer postpandemischen, marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaft wird man sehr genau berechnen müssen, wer alle Risiken sozialisiert und alle Gewinne privatisiert. Leider sind die Konsequenzen absehbar: Union und FDP werden keine ziehen, aber das wenigstens gemeinsam, die SPD wird einen Grund finden, nur dieses eine Mal noch zuzustimmen, die Grünen werden sich mit einem Umweltversprechen abspeisen lassen und die Linkspartei wird mit ihrem einzigartigen Gefühl für ungünstige Gelegenheiten auf ein Komplettverbot des Kapitalismus setzen.
Wie es sein könnte
Dabei liegt in der Drastik der Corona-Einschnitte eine Kraft verborgen, nämlich die zu tief greifender und auch dauerhafter Veränderung. In Brüssel ist die Innenstadt ab Mai eine einzige, riesige Fahrrad- und Fußgängerzone, in vielen deutschen Städten werden Fahrradwege baulich abgetrennt, auf Kosten der Autos.
Diese Maßnahmen mögen temporär geplant sein. Aber Fortschritt hat schon oft krisenbedingt begonnen, plötzlich entsteht aus der Asche der früheren Selbstverständlichkeiten eine neue Gegenwart. Wie mau die Maßnahmen gegen den Klimawandel wirken, wo durch Corona doch klar geworden ist, was die Politik zu tun in der Lage wäre. Wie aktionistisch aber zugleich einige Maßnahmen wie Straßensperrungen erscheinen mögen, wenn etwa die Feinstaubkonzentration trotz dramatischer Reduktion des Autoverkehrs einfach nicht abnimmt. Und wie kompliziert am Ende die Realität dann doch ist, weil man ja auch nicht am Vormittag aufhört zu rauchen und sich am Nachmittag wundert, wenn man immer noch husten muss. In einer postpandemischen Gesellschaft muss und wird möglich sein, was zuvor mit Argumenten abgeschmettert wurde wie „Geht nicht“, „Akzeptieren die Leute nie“ oder „Unvorstellbar, undenkbar“. Was ebenfalls eine bittere Seite hat, wenn man die etwas zu große Leichtigkeit betrachtet, mit der Grundrechte als exekutive Verfügungsmasse betrachtet werden.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben .. Aschewüste, Südisland
Zairon – Eigenes Werk
- CC BY-SA 3.0
- File:Island Aschewüste 2.JPG
- Erstellt: 3. Juni 2013
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Unten — Sascha Lobo; 10 Jahre Wikipedia; Party am 15.01.2011 in Berlin.…
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- File:Wp10 20110115 IMG 9974.jpg
- Erstellt: 15. Januar 2011
Erstellt am Sonntag 26. April 2020 um 11:34 und abgelegt unter Gesundheitspolitik, Mensch, Opposition, Umwelt. Kommentare zu diesen Eintrag im RSS 2.0 Feed. Sie können zum Ende springen und ein Kommentar hinterlassen. Pingen ist im Augenblick nicht erlaubt.