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Corona und Weltwirtschaft

Erstellt von Redaktion am Dienstag 10. März 2020

Zur Globalisierung verdammt

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Kommentar von Ulrike Herrmann

Fabriken stehen still, Lieferketten sind unterbrochen – die Globalisierung beenden wird das Coronavirus aber nicht.

Das Coronavirus verbreitet sich global – also liegt der Gedanke nahe, dass die Epidemie etwas mit der Globalisierung zu tun haben könnte. Claus Leggewie hat daher gefordert: „Deglobalisiert euch!“ (taz vom 6. 3. 2020). Doch so einfach ist es nicht.

Zunächst fällt auf, dass sich das Virus meist nicht über Handelswege verbreitet, sondern fast immer von Touristen übertragen wird. Zur Krankheitsfalle werden Kreuzfahrtschiffe, aber auch Pilgerfahrten können gefährlich sein: Griechenland hat 73 Coronakranke – 47 haben sich auf einer Reise nach Jerusalem angesteckt.

Pilgerfahrten reichen weit zurück. Schon in der Antike reisten Europäer nach Jerusalem; auch in Indien gab es vor zweitausend Jahren die ersten Pilger. Ähnliches gilt für Mekka, das bereits in vorislamischer Zeit ein Wallfahrtsort war. Es werden also uralte Rituale aufgegeben, wenn jetzt Bethlehem abgeriegelt wird oder die Hadsch nach Mekka ausfällt, um die Verbreitung des Coronavirus zu stoppen.

Die Globalisierung ist kein modernes Phänomen, wenn damit gemeint ist, dass Menschen überregional in Kontakt stehen. Selbst auf deutschen Äckern lassen sich erstaunliche Funde machen. So wurde beim Bau der Autobahn A 20 in der Nähe von Anklam ein Silberschatz entdeckt – mit arabischen Münzen aus dem siebten bis neunten Jahrhundert. Das Geld war in Nordafrika, in Bagdad und im Iran geprägt worden, eine Münze stammte sogar aus Masar-i-Scharif in Afghanistan.

Geschwindigkeit vervielfacht

Die Geschichte der Krankheiten dokumentiert ebenfalls, wie eng die Beziehungen waren. Im Jahr 1330 kam die Beulenpest in Zentralasien auf, und es dauerte weniger als zwei Jahrzehnte, bis sie ihren Seuchenzug durch Europa antrat und etwa ein Drittel der Bevölkerung auslöschte.

Seither gab es natürlich Veränderungen: Die Menge der Reisenden und die Geschwindigkeit des Transports hat sich vervielfacht. Das Coronavirus benötigte nicht mehr Jahre, um von China nach Europa vorzudringen, sondern war schon nach wenigen Wochen hierzulande eingetroffen.

Aber es ist bemerkenswert, dass sich die Methoden noch immer ähneln, wie einer Epidemie begegnet wird – nämlich durch Quarantäne. Das Wort stammt aus dem Italienischen und Französischen: Schon im 14. Jahrhundert glaubte man, dass man die Pest nur bekämpfen könne, indem man mögliche Kranke für vierzig (quaranta) Tage isolierte.

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Aber eine Quarantäne – der Name sagt es schon – ist als vorübergehende Kontaktsperre gedacht. Die Rede von der „Deglobalisierung“ hingegen legt nahe, dass die Beziehungen für immer gekappt werden sollen, die die Menschheit seit Jahrtausenden verbinden. Das wirkt weltfremd. Die Menschen werden auch in Zukunft reisen und ihre Keime verstreuen.

Stillgelegte Fabriken

Allerdings wird der Begriff „Globalisierung“ oft enger und rein ökonomisch verwandt. Gemeint ist dann der weltweite Austausch von Waren und Dienstleistungen. Auch Leggewie scheint vor allem diese Globalisierung zu meinen, denn er fordert eine „Regionalisierung der Märkte“. Der Zeitpunkt wirkt günstig: Durch das Coronavirus stehen sowieso weltweit Fabriken still, und Lieferketten sind unterbrochen.

Prinzipiell ist es nicht falsch, eine Regionalisierung des Handels anzustreben. Es belastet die Umwelt extrem, dass ständig mehr Güter um den Globus gekarrt werden. Wer den Klimaschutz ernst nimmt, wird künftig ohne Handys aus China auskommen müssen. Aber seltsamerweise glaubt Leggewie, dass es einen „behutsamen Rückbau“ der Handelsbeziehungen geben könnte.

Quelle        :         TAZ      >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben      —         Institut für Weltwirtschaft an der CAU-Kiel mit Bibliotheksanbau.

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Unten        —     Die Wirtschaftskorrespodentin der TAZ Ulrike Herrmann hält einen Vortrag zum Thema „Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen“ und stellt im Club W71 in Weikersheim ihr neues Buch vor.

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