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Archiv für die 'Kriegspolitik' Kategorie

Kolumne – Diskurspogo

Erstellt von DL-Redaktion am 23. November 2022

Ab auf die Straße gegen rassistische Polizeigewalt

Kolumne von Simone Dede Ayivi

Der Protest gegen tödliche Polizeigewalt ist in Deutschland kleiner geworden. Fälle, für die Aufklärung gefordert werden könnte, gebe es genug.

Am 8. August 2022 wurde der 16-jährige Mouhamed Dramé bei einem Einsatz in Dortmund von der Polizei erschossen. Jedes Detail über den Ablauf dieses Polizeieinsatzes, das nach und nach an die Öffentlichkeit kommt, ist erschütternd. Der Eindruck, der gerade entsteht: Ein junger Mensch richtet ein Messer gegen sich selbst und wird dann von der Polizei vorsätzlich erschossen.

Am Samstag fand in Dortmund eine bundesweite Demonstration gegen tödliche Polizeigewalt statt.
 Zu dieser Demo erschienen rund zweitausend Menschen. Man fragt sich, was aus den Black-Lives-Matter-Protesten im Sommer 2020 geworden ist. Warum der Mord an George Floyd in den USA bei uns so viel mehr Reaktionen ausgelöst hat als der Tod von Mouhamed in NRW. Sicherlich ist es einfacher, mit dem Finger auf ein anderes Land zu zeigen, als ihn in die eigene Wunde zu legen. Ein Video, das den Hergang für alle sichtbar macht, hat mehr Effekt als über mehrere Monate durchtröpfelnde Informationen. Dazu kommt der Eindruck, dass es generell weniger Empathie für Schwarze Afri­ka­ne­r*in­nen gibt als für afroamerikanische oder Schwarze europäische Menschen.

Es gibt auch Entwicklungen in der Bewegung, die hoffen lassen: Es geht nicht mehr um Antirassismustraining für die Polizei oder um mehr Schulungen im Umgang mit Menschen in psychischen Krisen. Es werden nicht nur Kontrollinstanzen gefordert – sondern das System Polizei wird infrage gestellt und es wird über Alternativen nachgedacht. In den USA ist das schon länger Teil der öffentlichen Diskussion.

Dass wir in einer Gesellschaft leben, in der die Be­treue­r*in­nen einer Jugendhilfeeinrichtung bei der Möglichkeit von Selbstgefährdung eines suizidalen Jugendlichen in ihrer Sorge keine bessere Option sehen, als die Polizei zu rufen, gefährdet Menschenleben und lässt mich ratlos zurück:
 Ich kann mir kein Szenario vorstellen, in dem der Anblick von bewaffneter Polizei beruhigend auf eine Person im psychischen Ausnahmezustand wirken könnte.

Schwung und Glanz ist vorbei

All diese Fragen also, die aktuell gestellt werden, sind vielleicht weniger anschlussfähig und komplizierter als die empowernde Pro Blackness von 2020, die sich so gut auf Instagram zeigen ließ. Aber: Sie sind substanzieller und schließen mehr Menschen mit ein, die im öffentlichen Raum Repression durch die Polizei erfahren: Sexarbeiter*innen, Obdachlose, Menschen mit seelischen Erkrankungen und eben alle, die von Rassismus und Racial Profiling betroffen sind.

Quelle         :           TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben        —     Eine „Wall of Death“ im Publikum von 4Lyn (2004)

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Geld oder Krieg

Erstellt von DL-Redaktion am 22. November 2022

Setzen die USA auf globale Suprematie?

Opas wundersame Orts – Beschreibungen ?

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Johannes Schillo

Was die Wissenschaft zum Ukrainekrieg noch sagen darf. Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot eckt mit Äußerungen zum Ukrainekrieg an. Denn: Die Zeitenwende hat auch eine Gesinnungswende mit sich gebracht, die den Raum des Sagbaren weiter einschränkt. Bloße Meinungsäußerungen sollen aber noch erlaubt sein!

Guérot, Professorin an der Universität Bonn, hat zusammen mit dem Geisteswissenschaftler Hauke Ritz im November 2022 das Buch „Endspiel Europa“ (https://www.westendverlag.de/buch/endspiel-europa-2/) veröffentlicht. Die beiden Autoren „fordern die Europäische Union dazu auf“, wie es jüngst in einem Statement bei Krass & Konkret (https://overton-magazin.de/buchempfehlungen/endspiel-europa/) hieß, „nicht als Stellvertreter der USA zu fungieren“. Dazu berufen sie sich – unter Rückgriff auf die kulturelle Tradition des Abendlands – auf eine „EUtopie, die humanistisch, antifaschistisch, antimilitärisch, inter-nationalistisch und antikapitalistisch ist“, und schließen mit der Forderung: „Deswegen muss Europa alles tun, um diesen Krieg sofort zu beenden.“

Friedensidealismus: eine No-Go-Area

Solche Forderungen, die auf Ausgleich, Versöhnung und Verhandlung setzen, können sich in eine europäische Tradition einreihen, die das Ideal vom „Ewigen Frieden“ (Kant) zur ideellen Leitschnur erhebt. So gesehen waren sie bislang auch nichts Ungewöhnliches oder Unseriöses. Doch das gilt heute nicht mehr. In Deutschland (und ähnlich in den anderen NATO-Staaten) macht sich vielmehr eine neue Ausrichtung des öffentlichen Diskurses bemerkbar, die der von Kanzler Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ folgt: Die Konstruktion von Modellen und Szenarien zu einer möglichen friedlichen Problemlösung geht in Ordnung, solange sie die antirussische Leitlinie respektiert. Aber wenn die Grüne Antje Vollmer im Blick auf eine Verhandlungslösung festhält „Jetzt hilft nur noch die Weisheit des westfälischen Friedens“ (Telepolis, 16.11.2022), bewegt sich das schon am Rand des Zulässigen, und wenn eine Kritik an der NATO-Linie laut wird, führt das vollends in ein akademisches No-Go.

So sprach der Bonner Kollege Guérots, der Osteuropa-Experte Martin Aust, in einem Interview (General-Anzeiger, 12./13.11.2022) kurz nach Erscheinen des Endspiel-Essays kategorisch von der „Unwissenschaftlichkeit des Buches“ und forderte Guérot auf, von ihrer Professur zurückzutreten. Das Buch sei „eine regelwidrige Streitschrift … vollkommen an wissenschaftlicher Kenntnis des östlichen Europa vorbeigeschrieben … provokant, schrill und anmaßend“. Das Autorenduo wolle die Ansicht „eines ausschließlich von Russland begonnenen Kriegs gegen den Strich bürsten“ – wie es im Vorwort heißt –, aber „ohne sich dabei mit dem Forschungsstand auseinanderzusetzen. So bleibt der Versuch haltlos.“

Der Historiker Aust sieht hier besonders die Wissenschaftlergemeinde gefordert, „weil Guérot in dem Buch als Professorin figuriert, womit in der breiten Öffentlichkeit der Anschein wissenschaftlicher Autorität und Legitimität erweckt wird. Es ist deshalb wichtig, in der Öffentlichkeit auf die Unwissenschaftlichkeit des Buchs aufmerksam zu machen.“ Deshalb landet er am Schluss des Interviews auch bei der Forderung, „angesichts der unwissenschaftlichen Arbeitsweise des Buches wäre es nur folgerichtig, von der Professur zurückzutreten“. Aust hatte zuvor schon (siehe General-Anzeiger, 24.10.2022) „mit einer Kurznachricht im Netz auf die Fachexpertise“ verwiesen, die Guérot komplett „ignorieren“ und „niederreißen“ würde. Dazu teilte der Zeitungsbericht mit, dass Aust „nähere Angaben auf GA-Nachfrage für unnötig“ gehalten habe.

Sein Statement ist nämlich eher ein Aufruf zur Maßregelung, es ordnet sich unterstützend und bekräftigend in eine Kampagne ein, die seit einiger Zeit an der Bonner Universität läuft und die auf eine Kontrolle von Meinungsäußerungen der streitbaren Professorin oder gleich auf ihre Entfernung setzt. Die Bonner Universitätsleitung hat dazu mittlerweile eine Erklärung abgegeben (siehe General-Anzeiger, 7.11.2022), die sich gegen Guérot richtet, ohne sie beim Namen zu nennen, und die festhält, dass die Universität „den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf das Schärfste verurteilt“. Aus dem Rahmen fallende Äußerungen sind hier also schon ins Visier genommen. Das Studierendenparlament der Universität sowie die Juso-Hochschulgruppen fordern zudem, wie der Kollege Aust, weiter gehende Maßnahmen. Fazit: Die Debatte über juristische Möglichkeiten, in die „Wissenschaftskommunikation“ einzugreifen, hat begonnen und die Öffentlichkeit ist alarmiert.

Man darf gespannt sein, wie sich das auf die Freiheit zur Meinungsäußerung in Bonn und bei anderen Hochschullehrern auswirken wird, die in gewisser Weise auch zur neuen deutschen Dissidenz (siehe „Nicht viel Neues bei der Pressefreiheit“, Scharf links, 11.11.2022) gezählt werden können, so etwa

  • Prof. Klaus Moegling (u.a. Mitglied bei Scientists for Future), der jetzt einen „Appell für den Frieden“ mit der Forderung nach einer „Verhandlungsinitiative zur Beendigung des eskalierenden Kriegs in der Ukraine“ verbreitet, oder

  • Prof. Johannes Varwick, der vom ukrainischen „Zentrum für Desinformationsbekämpfung“ als russischer Propagandist geführt wird (und somit offiziell als „Informationsterrorist“ gilt), weil er sich ebenfalls für eine Verhandlungslösung einsetzt.

Wissenschaftlichkeit = NATO-Narrativ

Bemerkenswert auch, wie die Unwissenschaftlichkeit der Positionen festgestellt wird, die nicht dem NATO-Narrativ folgen. Die Bonner Universität führt es vor: Das Rektorat verabschiedet eine Erklärung, die sich zur Parteinahme für den Westen und gegen Russland bekennt; damit ist der wissenschaftliche Diskurs noch nicht unbedingt festgelegt, aber ein Rahmen gesetzt, in dem weitergehende juristische Möglichkeiten geprüft werden. Es ist also schlicht und ergreifend institutioneller Druck, der gegen die Infragestellung geltender Kriegslegitimationen, wie sie in „Endspiel Europa“ vorkommt, geltend gemacht wird. Darauf hat ja wohl auch der Hochschullehrer Aust in seiner erwähnten Kurznachricht gesetzt, als ihm die Zitierung von Autoritäten, mit denen er übereinstimmt, als Begründung ausreichte.

Er hat sich dann aber doch noch in dem späteren Interview bereit gefunden, am Schluss auf die Frage „Was werfen Sie dem Buch inhaltlich vor?“ mit drei Sätzen zu antworten. Er hält zunächst als Kernthese des Buchs fest: „Die USA hätten den Ukrainekrieg von langer Hand vorbereitet, um Europa von Russland zu entfremden und so die amerikanische Vorherrschaft auf dem Kontinent aufrechtzuerhalten. Statt das Nationalstaatsdenken zu überwinden, was doch wünschenswert wäre, unterstütze die EU jetzt im Gegenteil die Souveränität der Ukraine.“ Was der Geschichtsprofessor als Widerlegung dieser „unwissenschaftlichen“ Behauptung aufbietet, macht einen sprachlos: „Aber bitte, was wäre denn die Alternative: Das Land Putin und dem russischen Imperialismus zu überlassen?“

Es folgt überhaupt kein Einwand gegen die These. Mit der Frage ans Publikum, die gleich das wissenschaftliche Feld verlässt und ins Politikfach wechselt, ist für Aust die Sache erledigt. Und selbst bei dieser Problemverschiebung geht er unsachlich vor, denn Alternativvorschläge – siehe Moegling, sieh Varwick, siehe aber auch Guérot und Ritz mit ihrem weit ausholenden kontinentalen Friedensideal – lagen und liegen ja vor. Und im Vorfeld gab es ja auch zahlreiche Vorschläge, den Konflikt zu entschärfen; selbst ein Henry Kissinger hatte davor gewarnt, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, und später sogar Gebietsabtretungen an Russland für möglich gehalten (Die Welt, 24.5.2022). Das ist das eine, wenn es um die Frage der Alternativen geht. Auf der anderen Seite müsste aber auch einem Aust klar sein, dass die ständige Eskalation – bis zum letzten Ukrainer, bis zum Atomkrieg… – keine Lösung ist.

Doch zurück zum Problem der (Un-)Wissenschaftlichkeit, das ja den Stein des Anstoßes darstellte. Hier muss man eine weitere Ausflucht Austs festhalten: Bei ihm ist abschließend vom russischen „Imperialismus“ die Rede, was ja wohl als wissenschaftliche Einlassung des Fachmanns gemeint ist und somit die Frage aufwirft, welche theoretischen Implikationen hier gegeben sind. Es soll ja nicht ums Beschimpfen gehen (so wie Varwick vom ukrainischen Botschafter Melnyk als „Arschloch“ bezeichnet wurde), sondern um wissenschaftliche Klärung, bei der Guérot und Ritz angeblich versagt haben. Dazu wird vom Fachmann auf den Imperialismus als Erscheinung der modernen Welt angespielt – mehr aber auch nicht. Dass damit, der Sache nach, auf ein Expansionsbestreben gezielt ist, das seine Grundlage – auf die eine oder andere Weise – in der kapitalistischen Produktionsweise der Staatsmacht hat, kann man sich dazudenken. Ausführungen schenkt sich der Experte Aust, das negativ besetzte Wort soll genügen.

Wenn aber die Staatenwelt durch imperialistische Konkurrenzverhältnisse bestimmt ist, müsste man sich den Mächten zuwenden, die wie die USA und ihre NATO- bzw. EU-Partner bestimmenden Einfluss auf Weltmarkt und Weltpolitik haben und die um die Reichweite imperialen Einflusses ringen. Das machen Guérot und Ritz übrigens ausgiebig, sie nehmen die „amerikanische Vorherrschaft“ ins Visier, stützen sich bei ihrer Analyse auf amerikanische Quellen und Experten (Brzezi?ski, Wolfowitz, Mearsheimer), belegen die Aufrüstungsmaßnahmen oder die Einflussmaßnahme auf Umsturzbewegungen, dokumentieren die Feindbildproduktion, die Rüstungsanstrengungen etc. Das, was Aust in Kurzform als Aussage des Buchs bringt, wird dort ausführlich thematisiert.

Aber unabhängig von solchen Nachweisen müsste man die westliche Vorherrschaft eigentlich als Trivialität bezeichnen. Dass solche imperialen Bestrebungen zu konstatieren sind, könnte man als Ergebnis der Zeitungslektüre festhalten. Dass „America first!“ weltweit gilt und alle Rivalen, unter Einschluss der EU, kleinzuhalten sind, war sogar mal explizit ausgesprochenes Programm unter der Trump-Administration – ein Programm, das übrigens mit Bidens „Build Back Better“ nicht revidiert, sondern getoppt werden sollte. In der Forderung „Make America great again“ unterscheiden sich Republikaner und Demokraten nicht, sondern nur darin, wer es besser kann. Guérot und Ritz machen es sich übrigens nicht so einfach, die Trump-Ära groß zu betonen; diese hat bei ihnen eher den Stellenwert einer Randnotiz. Ihnen geht es darum, eine strukturelle transatlantische Rivalität – die sie eher in der kulturellen Sphäre verorten – herauszustellen.

Zu Austs Beschwerde wäre also festzuhalten, dass das Konstatieren der Sache selber, nämlich der US-Dominanz, keine wissenschaftliche Leistung ist. Sie ist der theoretischen Klärung vorausgesetzt als Sachverhalt, der nach imperialismustheoretischer Aufarbeitung verlangt; seine Bestreitung dagegen gehört ins Feld der Fake News. Und einen sachlichen Einwand hat Aust ja auch nicht zu bieten. Was dann die zweite Hälfte seines Resümees betrifft – die Rückkehr der EU zum Nationalismus –, kann er noch nicht einmal das Faktum bestreiten, sondern behilft sich mit der Ausflucht, es hätte keine Alternative gegeben, stimmt der Feststellung selber also zu.

Aust legt jedoch auf Nachfrage des Interviewers noch einmal nach, indem er zwar keine weiteren Inhalte kritisiert, aber die Äußerung des Autorenduos im Vorwort aufspießt, dass es die Weltlage „ganz neu denken“ wolle. Das weist er entschieden zurück, z.B. mit der Feststellung, dass die „Ansicht, Amerika versuche gezielt Europa von Russland zu entfremden, eine hundertjährige Geschichte im rechtsextremistischen Denken“ habe. Das ist nun wirklich infam. Er gibt nicht den kleinsten Hinweis, wo das inkriminierte Buch solche Bezüge zum historischen Faschismus oder zum Neofaschismus aufweisen würde. Dass es solche staatlichen Rivalitäten und Bündniskalkulationen gibt, gehört zum Grundbestand einschlägiger Erkenntnisse, seit vor über hundert Jahren das Zeitalter des Imperialismus begann; das zur Kenntnis zu nehmen, hat mit Extremismus nichts zu tun. Und Neofaschisten, wie sie etwa in der neuen italienischen Regierung vertreten sind, stehen treu zu den USA und zur NATO.

Außerdem ist die Ansage des Essays, neu zu denken, erkennbar auf die gegenwärtige Kriegslage bezogen. In der gibt es – Aust beruft sich ja gerade auf die Fachwelt als Autorität – einen breiten Konsens, der die Parteinahme für die NATO wissenschaftlich nachvollzieht. Auf den Dissens, der vom Autorenduo hierzu angemeldet wird und der somit in der Tat etwas ganz Neues bringt, bezieht sich die Schlussbemerkung im Vorwort.

Nicht träumen – bitte aufwachen!

Michel versucht 1848 eine Revolution zu machen

Da hatte doch von den heutigen Möchtegernen selbst Scholz noch nicht gelebt.

Natürlich ist die Vorstellung einer eurasischen Vereinigung unter Einschluss Russlands nichts Neues, auch keine Erfindung extremistischer Kreise, die sich dem Einfluss der USA auf Europa widersetzen woll(t)en. Der Osteuropa-Experte Stefan Creuzberger hat etwa kurz vor der russischen Invasion in die Ukraine die große Studie „Das deutsch-russische Jahrhundert“ vorgelegt (auf die sich Guérot/Ritz unter anderem beziehen) und auf solche alternative eurasische Möglichkeiten aufmerksam gemacht. So etwa im Fall des jetzt 100 Jahre alten Vertrags von Rapallo, mit dem die demokratischen Politiker der Weimarer Republik nach eigenen „Gestaltungsräumen“ gegen die Sieger des Ersten Weltkriegs suchten. Creuzbergers Studie geht in ähnlicher Weise wie das „Endspiel“ kontrafaktisch vor, indem sie – in historischer Perspektive – Potenziale im binationalen Verhältnis auslotet, mit denen Deutschland eigentlich seine eigene „koordinierende Rolle“ auf dem Kontinent hätte unter Beweis stellen können (und sollen).

Bei Guérot/Ritz heißt es resümierend in der Einleitung, die den – bereits im Titel des Buchs angesprochenen – politischen Traum vorstellig macht: „Der kontinentale, föderale Traum stellt eine lange, durchaus realistische Konstante deutscher oder auch französischer Nachkriegspolitik dar“. Damit liegt der Widerspruch, von dem das Buch lebt und den es nicht auflöst, auf dem Tisch: Realistisch betrachtet – das liefert die starken analytischen Passagen – ist das Gegenteil von dem der Fall, worauf es den Autoren ankommt. Das Buch ist also im Irrealis geschrieben. Dabei wird immer wieder deutlich, etwa beim Versagen des „deutsch-französischen Tandems“, bei der problembeladenen Einführung des Euro oder beim Streit über die europäische Verfassung, dass dem Aufbruchsprozess der EU von Anfang an die Widersprüchlichkeit einbeschrieben war, der Traum also gar nicht das wirkliche Programm darstellte. Die Autoren erwähnen ja konsequent und ehrlich solche retardierenden, „hausgemachten“ Momente; insofern kann man ihnen nicht den Vorwurf der Einseitigkeit, der Auslassung wichtiger Informationen oder der Weltfremdheit machen.

Die Hauptprovokation des Buchs – die These, dass Putin den Krieg nicht aus heiterem Himmel begonnen hat, sondern durch einen von langer Hand geplanten NATO-Aufmarsch provoziert wurde, dass es also eine Vorgeschichte der Militarisierung gab – ist gut belegt und wird auch differenziert, ohne Schwarzweißmalerei, die einer Seite allein die Schuld gibt, vorgetragen. Die offenkundige Schwäche des Buchs dagegen, dass es seinen Ausgangspunkt explizit bei einem „Traum“ von Europa nimmt, also gar nicht von der Sachlage, sondern von einer Wunschvorstellung herkommt (für die sich allerdings illustre Namen wie Monnet, Delors, Kohl, Gorbatschow anführen lassen), muss man festhalten: Der Essay ist noch nicht einmal in der Lage, sich von der eigenen Täuschung – nachdem der Traum (wie es im 3. Teil heißt) „geplatzt“ ist – Rechenschaft abzulegen und die Rolle, die der Idealismus in der Welt des Staatsmaterialismus spielt, zu analysieren.

Diese Schwäche kann aber kein Grund für den Wissenschaftsbetrieb sein, eine solche Wortmeldung als unseriös auszugrenzen und die Autoren zu exkommunizieren. Das Buch des Hochschullehrers Creuzberger geht, wie gesagt, ähnlich vor (siehe: Wir waren vom Ukraine-Krieg „völlig überrascht“, Scharf links, 5.6.2022). Auf seine Art bringt es auch eine kontinentale Vision zum Ausdruck, die bewusst als Dementi des Urteils gemeint ist, das 20. sei ein amerikanisch geprägtes Jahrhundert gewesen. Ein solcher Idealismus, der „eigentliche“ Wirkkräfte oder verschüttete, noch nicht realisierte Potenziale zur Sprache bringt und damit eine wissenschaftliche Arbeit strukturiert, erregt im akademischen Betrieb oder in der interessierten Öffentlichkeit sonst keinen Anstoß. Der heftige Widerspruch, auf den Guérot und Ritz stoßen, resultiert also nicht aus dem essayistisch vorgetragenen Spannungsverhältnis von hoch gesteckten Zielvorstellungen und der dahinter zurückbleibenden Wirklichkeit des politischen Geschehens. Hier macht sich vielmehr die neue Ausrichtung des öffentlichen Diskurses seit der von Kanzler Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ bemerkbar: Die Konstruktion von Modellen und Szenarien zu einer möglichen Problemlösung geht in Ordnung, aber bei Kritik an der NATO-Linie hört die Freiheit der Wissenschaft auf.

Zuerst bei Krass & Konkret erschienen.

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Oben      —      Vizepräsident Joe Biden weist seine Enkelin Finnegan Biden am Beobachtungspunkt Ouellette am 7. Dezember 2013 auf ein Gebiet Nordkoreas hin. Der dreitägige Besuch des Vizepräsidenten in Korea unterstreicht das Engagement der US-Regierung für die Wiederherstellung des Gleichgewichts in der Region und das Bündnis mit der Republik Korea. (U.S. Navy Foto von Mass Communication Specialist 2nd Class Chris Church) (Freigegeben)

 

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KOLUMNE * Red Flag

Erstellt von DL-Redaktion am 20. November 2022

Bombenanschlag in Istanbul: Wenn Schwurbler Popcorn essen

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Kolumne von Fatma Aydemir

Die blitzschnelle Aufklärung des Istanbul-Anschlags lässt Fragen offen. Wenn die Realität zum Blockbuster verkommt, braucht es kein Geschwurbel mehr.

Der beste Nährboden für Verschwörungstheorien ist Unsicherheit, sagt man. Es sind die Krisen und Kriege und Terroranschläge, die dafür sorgen, dass sich immer mehr Leute für das obskure Geheimwissen interessieren, das uns die Regierungen angeblich vorenthalten.

Wissenschaft, Presse, Politik, sie alle seien gleichgeschaltet, hörte man in letzter Zeit lautstark aus der Schwurblerecke, die in einer Impfempfehlung inmitten der tödlichsten Pandemie seit 100 Jahren einen perfiden Plan von Bill Gates erkannten: Er wolle uns Chips einpflanzen, um uns zu kontrollieren. Sci-Fi am Limit.

Nicht selten fragte ich mich, wenn ich „Corona-Diktatur“ auf einem Transpi oder einer Statusmeldung las: Was würde mit diesen ganzen Schwurblern eigentlich passieren, wenn Wissenschaft, Presse und Politik hierzulande tatsächlich gleichgeschaltet würden? Würde ihr Wissensdrang sie dazu verleiten, den Vertuschungen eines autokratischen Regimes auf den Grund zu gehen? Wären sie der Keim eines ernstzunehmenden Widerstands?

Stereotyp des Querdenkers

Ich habe da meine Zweifel. Die Annahme, der durchschnittliche Verschwörungstheoretiker sei männlich, habe ein niedriges Einkommen und keinen hohen Bildungsabschluss, ist als Muster unbrauchbar – Verschwörungstheorien finden schließlich in allen Schichten Anschluss. Was aber die „Querdenker“ vor allem verbindet, sind gemeinsame Nenner mit einem antifeministischen („Lebensschutz“) und antisemitischen („Geheimorganisation“) Weltbild sowie der Hang dazu, die Realität als tra­shi­gen Blockbuster-Plot zu konsumieren.

Überträgt man dieses Stereotyp in die Türkei, kommt man beim klassischen AKP-Wähler an. Und dieser scheint kaum ein Problem damit zu haben, jede Story zu schlucken, die ihm von einer gesäuberten Presse aufgetischt wird. Oder auch vom Regierenden persönlich, der einen 1.000-Zimmer-Palast bewohnt, während die Inflationsrate in dem Land, das er regiert, derzeit auf 85 Prozent klettert (nach offiziellen Angaben).

Nach dem Bombenanschlag, der sich letzte Woche im Herzen Istanbuls ereignete und sechs Menschen tötete, dauerte es keine zehn Stunden, bis die vermeintliche Bombenlegerin geschnappt wurde. Ein aufwendig montiertes Video im Stil eines Actionthrillers zeigt aus verschiedenen Blickwinkeln, wie Antiterroreinheiten die Wohnung der Verdächtigen stürmen, um sie wenig später mit Hausschlappen und verprügeltem Gesicht zwischen zwei türkischen Fahnen der Presse zu präsentieren.

Fall geklärt, in einer Stunde

Nur eine Stunde nach ihrer Festnahme trat der Innenminister Süleyman Soylu vor die Kameras und kannte bereits die Identität der Auftraggeber und den Hergang des Anschlags. Nur eine Stunde, und der Fall war so gut wie abgeschlossen. Natürlich sollen es die Kurden gewesen sein. Natürlich wolle man Vergeltung.

Quelle       :          TAZ-online       >>>>>        weiterlesen

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Oben     —   Eine wehende rote Fahne

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Unten     —   https://twitter.com/Smiley007de

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte   

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von DL-Redaktion am 16. November 2022

„Krieg und Frieden“
Gedankenströme bei Stromausfall in der Westukraine

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Aus Lwiw ROSTYSLAV AVERCHUK

Ein Bekannter aus Mariupol hat mir erzählt, wie er fast einen Monat lang im Bombenschutzraum verbracht hat. Seine Stadt wurde dem Erdboden gleichgemacht, es gab keinen Strom und keine Heizung, kaum Wasser und Essen.

Aber das, was ihm und seiner Familie am meisten gefehlt habe, seien Informationen gewesen. Als es in Lwiw nach russischen Raketenangriffen einen halben Tag weder Strom noch Telefonverbindungen gab, spürten die Menschen hier zum ersten Mal seit Kriegsbeginn, was es bedeutet, voneinander und von der restlichen Welt abgeschnitten zu sein.

Ich wanderte durch die Stadt in der Hoffnung, irgendwo Handyempfang zu haben, um Mitteilungen zu verschicken und die Nachrichten zu lesen.

Als ich nach erfolgloser Suche wieder nach Hause kam, nahm ich zum ersten Mal nach Jahren den Hörer des nutzlosen, wie es mir lange schien, Festnetztelefons zur Hand.

Abends kamen viele Lwiwer auf den Platz vor der Oper. Licht gab es nur von den vorbeifahrenden Autos. Es war ein bisschen unheimlich. Etwas aufmunternd wirkte ein Saxofonspieler und die Gastfreundschaft eines Buchhändlers, der die Leute noch nach Ladenschluss in sein Geschäft ließ. Dort gab es aus auch für ihn unerfindlichen Gründen noch Strom und sogar Internetzugang.

An diesem Abend wurden Stromversorgung und Mobilfunkverbindungen wieder hergestellt. Aber die russischen Angriffe gingen weiter.

Die Behörden bitten immer wieder darum, Strom zu sparen, besonders in den Hauptverbrauchszeiten morgens und abends. Jedes Mal, wenn ich jetzt das Licht oder den Wasserkocher einschalten will, frage ich mich: „Ist das wirklich gerade nötig?“ Man warnt uns davor, dass lange Abschaltungen möglich sein können.

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Wenn der Strom ausfällt, solle man Taschenlampen und Kerzen vorrätig haben. Zum Heizen benutzen manche Menschen in Lwiw Gasöfen, die noch aus der Habsburger Zeit stammen. Einige von ihnen können alternativ auch mit Holz beheizt werden. Zum Kochen gibt es Gasflaschen und Gasherde.

Im Internet wird darüber nachgedacht, Zelte in den Wohnungen aufzustellen, wenn es sehr kalt wird. Von Panik ist dennoch nichts zu spüren.

Quelle          :         TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —    Altstadt in Lviv (Ukraine).

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Keine Helden durch Kriege

Erstellt von DL-Redaktion am 14. November 2022

Wer sind wir in Zeiten des Krieges? Plädoyer für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung.

Quelle        :     Berliner Gazette

Von       :        Christian Heck

Wer verfolgt noch den Krieg, den das Putin-Regime der Ukraine erklärt hat? Wer beschäftigt sich mit den Ursachen und Hintergründen? Wer ist bereit die Auseinandersetzung nicht allein vom Eigennutz abhängig zu machen und die Auswirkungen nicht allein an persönlichem Schaden zu bemessen? Diesen Fragen liegt nicht zuletzt die Frage nach dem gesellschaftlichen Wir zu Grunde, wie der Medientheoretiker Christian Heck in seinem Plädoyer für eine Auseinandersetzung mit Sprache und Technik argumentiert.

20 Jahre Afghanistankrieg sollten mit dem praktisch kampflosen Einzug der militant-islamistischen Taliban in Kabul und einem abrupten Abzug westlicher Streitkräfte ihr Ende nehmen. Doch der Krieg in Afghanistan geht weiter. Mit extralegalen Hinrichtungen mittels US-Kampfdrohnen. Drohungen, Verhaftungen, Misshandlungen, Folter und Tötungen von Frauen und Männern, insbesondere jenen, die sich für Frauen- und Menschenrechte einsetzen. Seit über einem Jahr drängen die Taliban afghanische Frauen aus dem öffentlichen, sozialen und politischem Leben. Sie dürfen sich in vielen Teilen des Landes kaum eigenständig auf den Straßen bewegen. Dürfen nur noch bis zur 7. Klasse die Schule besuchen. Studentinnen nur noch mit Hidschab in Universitäten gehen. Zahlreiche Bewegungen aus der Zivilgesellschaft zogen daraufhin disruptiv-technologische Bilanzen. In der Hoffnung unterstützend zukünftigen techno-politischen und militärischen “Fehleinschätzungen” (Heiko Maas, ehem. Bundesminister des Auswärtigen) entgegenwirken zu können.

Fehleinschätzungen liegen sicherlich auch Russlands Invasion der Ukraine zu Grunde. Auf allen Seiten. In den Medien: Überall Wortmeldungen. Doch wer ist tatsächlich bereit darüber zu reden?

Mehr noch: Wer findet Worte für das Bombardieren von Wohnhäusern? In Butscha. Charkiw. Kiew. Saporischschja. Krementschuk. Winnyzja. Tschernihiw. Kramatorsk. Cherson. Mariupol und unzähligen weiteren Städten und Dörfern. Das Bombardieren von Schulen, in denen Familien Unterschlupf suchen. Von Krankenhäusern, in denen Frauen ihre Kinder gebären. In denen Menschenleben gerettet werden. Während Sirenen laut heulen. Tag für Tag. Stunde für Stunde. Minute für Minute. Menschen. Leben. Retten. Bomben auf Gefängnisse. Evakuierungsbusse. Auf Fluchtrouten, auf denen Familien versuchen den Grausamkeiten des Krieges zu entfliehen. Sie werden gezielt bombardiert. Bahnhöfe. Einkaufszentren. Raketenkrater in den Innenhöfen von Wohnkomplexen in denen es keine einzige militärische Einrichtung gibt. Hinrichtungen. Massengräber in Charkiw. In Isjum.

“Grammatik des Krieges”

Zivile Opfer liegen im Kalkül des russischen Angriffskriegs. In Zeiten des Krieges sind all unsere Worte in “die alles betreffende Buchhaltung des Krieges mit eingerechnet”. “Ob wir den Krieg befürworten. Ob wir um Frieden kämpfen. Wir sind in der Logik des Krieges verzichtbar gemacht.” (Streeruwitz). Wir. Wer sind wir in Zeiten des Krieges? Während seine Schrecken in Echtzeit aus den Interfaces sprudeln. In mechanischer Zeit. Maschinenzeit. Waffen. Gewehre. KI. Maschinen. In Echtzeit, in die wir uns ein jedes Mal hineinbegeben, und in der wir uns bewegen. Wider die Totzeit. Wenn wir Kriegsnachrichten sehen. Lesen. Twitter. TikTok. Telegram. Schreiben. Der Spiegel. taz. Die Süddeutsche. Lesen.

Wieder einmal versuche ich heute zu schreiben, während “die Herrschaft des Krieges uns ihre Grammatik aufzwingt” (Streeruwitz).

Keine Worte finden. Worte für den Frieden. In Kriegssyntax schreiben. Auf Kriegssyntax bauen.

Die Grammatik des Krieges, sie steht vielen Technologien eingeschrieben, die uns tagtäglich begleiten. Sie sind uns sehr vertraut, wurden Teil unseres Alltagslebens und gestalten diesen aktiv mit. In den häufigsten Fällen wissen wir nicht, ob Teile unserer kleinen Devices in unseren Pockets auch zum Kriegseinsatz kommen. Welche Technologien sich Kriegs-, und welche sich den zivilen Technologien zuordnen lassen. Der Begriff des DUAL USE verlor sich in der öffentlichen Wahrnehmung, dafür kann er heute, insbesondere in der öffentlichen Förderungsterminologie unter dem Begriff der “Sicherheitstechnologie” wiedergefunden werden. Wir lernen solch neue Wörter, indem wir uns unterhalten, indem wir mit unseren Mitmenschen sprechen, die Wörter also “gebrauchen” um es in Wittgensteins Worten auszudrücken: Die Bedeutung eines Begriffs ist “die Art, wie dieser Gebrauch in das Leben eingreift” (Wittgenstein, 65)). Zuvor sind es wortlose Worte.

Worte, die nicht entstanden sind aus einem gesellschaftlichen Miteinander heraus. Aus einem Miteinandersprechen. Zuvor sind es künstliche Wörter, doch Wörter zugleich die wir gemeinsam gebrauchen. Wir gestalten unseren Lebensalltag durch sie. Diese Wörter, diese wortlosen Worte, sie entstehen an einem Ort wo wir im Sprechen keine Worte finden werden. In kognitiven Systemen. Systeme, denen Kriegsgrammatiken eingeschrieben stehen. “Marketing or death by drone, it’s the same math, … You could easily turn Facebook into that. You don’t have to change the programming, just the purpose of why you have the system.”, so Chelsea Manning in einemInterview mit dem Guardian in 2018, “There’s no difference between the private sector and the military.”

Maschinen des Krieges

Wer sich an die Debatten rund um Project Maven erinnert, dem oder derjenigen sagt eventuell der Begriff “Tensorflow” noch etwas. Im Jahr 2017 ging hierfür der IT-Konzern Google eine Partnerschaft mit dem Projekt Maven des Pentagons ein, das auch als “Algorithmic Warfare Team” bekannt ist. Der gemeinsame Auftrag lautete, eine Technologie zu entwickeln, die das Videomaterial von US-Überwachungsdrohnen aufzeichnet und effizienter als bisher nach militärisch bedeutungsvollen Objekten indexiert. Google gewährte dem US-Verteidigungsministerium zur Entwicklung von Machine Learning Objekterkennungsalgorithmen damals Zugriff auf ihr Software-Framework “Tensorflow”. Ohne solche Frameworks, die es Entwickler*innen ermöglichen Künstliche Intelligenzen in Form von Graphen und Datenflussdiagrammen zu programmieren, wäre die Erforschung hin zur neuronalen Netzwerkarchitektur “Transformer” wohl kaum denkbar gewesen.

Seit das Google Research Team zusammen mit einigen Google Brain Autoren ihre Studie “Attention Is All You Need” veröffentlichten, entstand ein Wettlauf unter den großen IT-Unternehmen, der sich häufiger an der Quantität der jeweiligen Datensätze und Modelle maß, als an ihrer Qualität und der Abwägung kultureller Konsequenzen, während diese in Gesellschaft beginnen zu wirken. Der Trend zu immer größeren Modellen und immer mehr Trainingsdaten führt derzeit dazu, dass nicht nur massiv Ressourcen wie Strom für riesige Serverfarmen verbraucht würden, sondern auch, dass KI-Modelle und Applikationen in denen diese eingebettet liegen, immer schlechter kontrollierbar werden.

Heute müssen während des Trainings solcher KI’s teils über 175 Milliarden Parameter und weitere mathematische Operationen ausgelesen, angepasst und erweitert werden. Die wenigsten universitären und öffentlichen Einrichtungen haben hierfür Kapazitäten. Weder verfügen sie über die Rechnerleistung zum trainieren und unabhängigen erforschen dieser Modelle, noch haben sie Zugang zu den immensen Datensätzen die als Grundlage zum Training von Transformern dienen. Unternehmen wie Google, Facebook oder OpenAI, die u.a. mit Microsoft kooperieren profitieren aus bekannten Gründen hiervon und treiben einen rasanten Fortschritt voran. Ein Fortschritt, unbestreitbar, der staunen lässt. Das transformerbasierte Sprachmodell GPT-3 von OpenAI und Microsoft bspw. übersetzt Sprachen, zumindest die meistgesprochensten, schreibt Zeitungsartikel, Essays und Gedichte und wird als Chatbot in Twitter, Reddit, Telegram, etc. genutzt.

Fast überall dort wo aus strukturierten Daten kontextbasierte, natürliche Sprache, bzw. leserfreundliche Texte erzeugt werden sollen, löste der Aufmerksamkeitsmechanismus (Attention) von Transformer-Architekturen, die bis dato verwendeten rekurrenten Modelle wie bspw. LSTM (Long Short Term Memory) ab. Die interaktive Besonderheit von GPT-Modellen (Generative Pretrained Transformer) ist jedoch nicht einzig für Social Media, sondern allgemein für Assistenzsysteme jeglicher Couleur interessant, z.B. zum militärisch genutzten Man-Machine-Teaming, Robotics und weiteren Mensch-Maschine-Interaktionen auf natürlichsprachlicher Basis.

Doch diesen Machine-Learning Verfahren stehen Rassismen, wenn auch nicht explizit, auch nicht vorsätzlich eingeschrieben. Sie generieren in ihrem Gebrauch schwer vorhersehbare Äußerungen, die von subtiler Alltagsdiskriminierung bis über Hetze im Netz reichen und tragen somit auch vermehrt zu rassistischen Gewalttaten im öffentlichen Raum bei.

Sie erzeugen Minderheiten und gesellschaftliche Gruppen werden verstärkt durch diese Systeme marginalisiert. Meistens, ganz ohne dass es den Entwickler- sowie auch Anwender*innen bewusst ist (Vgl. Gebru et. al.) .

Wessen Handlungsmacht?

Seit einigen Monaten nun, werden lautstarke Debatten über kulturelle Konsequenzen von transformerbasierten Text-zu-Bild Maschinen geführt. Künstlich intelligente Sprachmodelle, die Texteingaben (Prompts) in eine Anordnung von Pixeln transferrieren. Die bekanntesten von ihnen sind DALL-E 2ImagenMidjourney und Stable Diffusion. Sie generieren Bilder, die wie Fotografien, Zeichnungen oder Malereien aussehen können. Auf diese derzeitig technischen und populären Erfolge, bauen just veröffentlichte Modelle zur Text-zu-Video Generierung auf. Make-A-Video von Meta AI und Imagen Video, sowie Phenaki von Google Brain nehmen einen Prompt auf und geben daraufhin ein Video aus, das sich auf diese Eingabe bezieht.

Solch Text- bzw. Bild, und Videogenerierungen wirken seit längerem schon in TikTok, in Discord, Telegram und weiteren medialen Kanälen. Teils spielerisch wird dort mit ihnen umgegangen, häufig auch marktwirtschaftlich- strategisch. In manchem Fällen werden sie auch ganz konkret für staatliche, bzw. Kriegspropaganda genutzt.

Wir stehen heute also wieder einmal vor einer uns vertraut scheinenden, überaus gesellschaftsrelevanten Frage, nämlich der, wie wir sprachlich, bewertend, analytisch und interpretierend mit den jüngst entwickelten disruptiven Technologien umgehen? Über was für einen Wortschatz wir hierfür verfügen? Welch sprachlichen Mittel uns zur Verfügung stehen, um diese Technologien in unsere Gesellschaft zu integrieren? Sind wir, als Gesellschaft derzeit überhaupt noch in der Lage, die kulturellen Folgen dieser Technologien zu bewältigen?

Wohl spätestens seit den 2010ern, delegieren wir mehr und mehr Handlungsmacht an die neuen, meist disruptiven Technologien. Technologien, in denen „Menschen, Dinge, Ereignisse zu ’programmierbaren Daten’ werden: es geht um ’Input’ und ’Output’, Variable, Prozentzahlen, Prozesse und dergleichen, bis jeglicher Zusammenhang mir konkreten Dingen wegabstrahiert ist und nur noch abstrakte Graphen, Zahlenkolonnen und Ausdrucke übrigbleiben.“, so einst der Technologie- und Gesellschaftskritiker Joseph Weizenbaum. Je tiefer wir also unseren Sprachgebrauch und unsere alltägliche Lebenswelt in diese Technologien verstricken, desto exakter sind wir in „die alles betreffende Buchhaltung des Krieges mit eingerechnet.“ (Streeruwitz).

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Oben       —   State Emergency Service of Ukraine demines Kharkiv Oblast after liberation from Russian occupation. On 5 November, more than 10 hectares were cleared, 2241 explosive items were defused. In total, from 8 September to 6 November, 1,422 hectares were inspected and 37,915 explosive items were defused.

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Bläst die USA zum Sturm ?

Erstellt von DL-Redaktion am 12. November 2022

Und schon wieder rasseln die USA mit den Säbeln

Drei große Soldaten

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Anfang November forderte der Chef der US-Atomstreitkräfte, Admiral Charles A. Richard, ein radikales Umdenken in der US-Militärstrategie. Der Ukraine-Krieg sei nur das Vorspiel zu einem „großen Krieg“ mit China.

Der Admiral scheut sich auch nicht, die USA zur Rückbesinnung auf die 1950iger und sechziger Jahre aufzurufen, als die USA ohne wenn und aber und warum genau das schnell umsetzten, was sie wollten. Also zurück zur Mentalität des Kalten Krieges. Oder ist das ganze Brimborium nur der jämmerliche Versuch, eigene Schwächen zu kaschieren?

Aber da ist auf einmal und völig unerwartet China, gegen das die USA nicht nur wegen dessen Größe nicht so vorgehem können wie gewohnt, sondern das auch militätisch schneller auf dem neuesten Stand ist als die USA. Jetzt verstehen wir was AUKUS soll: Stärkung der US-Untersemacht, denn dort fühlt sich der Admiral China (noch) überlegen. Für die vom Admiral geforderte Aufrüstung der USA ist die Ukraine-Krise nur ein Warmlaufen im Vergleich zu dem, was da bald kommt. Daher müssten die USA ihr Abschreckungsspiel hochfahren, meint der Admiral. Aber durchaus realistisch schätzt der Admiral die Abschreckung gegenüber China eher wie eine Fahrt auf einem langsam aber sicher sinkenden Schiff ein. Wie auch wir hätten die USA nämlich Wartungsprobleme, brauchen neue Waffen und immer wieder für alles viel zu viel Zeit. Und solange solche Probleme nicht gelöst sind, seien die USA nicht in einer guten Ausgangslage für ihre strategische Abschreckung und nationale Verteidigung.

Der Weg zurück im Zorn, als die USA noch kleinere Völker wie Vietnam mir nichts, dir nichts mit Krieg überzogen haben, ist ein Irrweg. Die Welt hat sich mit der Entwicklung von China zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht verändert. Die monopolare Ausrichtung an den USA ist vorbei, selbst wenn sie geradezu verzweifelt die NATO vor sich hertreiben. Auf dem Kriegsschauplatz Ukraine messen sich die USA und Russland mit Waffengewalt, während China die Welt auf der Seidenstraße ohne Krieg und Blutvergießen für sich zu gewinnen sucht. Dagegen haben die USA keine Waffen. Ihr tumbes Militärmachtdenken hat fatal jeden Sinn für Diplomatie oder friedliche Völkerverständigung verkümmern lassen. Das Palaver des Admirals klingt erschreckend ähnlich dem Make-America-Great-Again von D. Trump. Nur scheinen den Admiral auch noch Ängste umzutreiben, und die sind bekanntlich keine guten Berater.

Reinwaschung von Kriegsverbrechen

Also, Bangemachen gilt nicht, und Säbelrasseln gehört in den Abfalleimer der Geschichte. Wer Wettbewerb nicht ertragen kann, wird von den Veränderungen in der Welt rechts und links überholt, auch die USA. Diese sollten eher geistig aufrüsten, um die Welt davon zu überzeugen, dass es auch menschlich und friedvoll zugehen kann. In einem hat der Admiral aber Recht: Bei Veränderungen muss man immer bei sich selber anfangen. Aber bedenken sie, Herr Admiral: „Lernen, ohne zu denken, ist eitel, denken, ohne zu lernen, ist gefährlich“ sagte schon Konfuzius im fernen China vor 2500 Jahren.

Urheberrecht
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Zivilisatorisches Versagen

Erstellt von DL-Redaktion am 10. November 2022

Streit über russische Deserteure

Hier kann ein jeder erlernen sich ermorden zu lassen oder selber zum Mörder zu werden.

Ein Debattenbeitrag von Pascal Beucker

Bevor die Hähne kräh’n. Wer nicht kämpft, kann nicht töten – nicht nur deshalb sollte jeder, der nicht für Russlands Präsident Putin sterben will, überall aufgenommen werden.

Ob die jungen Männer, die seit Wladimir Putins Verkündung der Teilmobilmachung Ende September ihre sieben Sachen packen, um Russland zu verlassen, wohl je etwas von Boris Vian gehört haben? Gut möglich, schließlich wurde sein „Le Déserteur“ in Dutzende Sprachen übersetzt, auch ins Russische. Jedenfalls kommt einem bei den Nachrichten über die Zehntausende Russen, die versuchen, sich der Zwangsrekrutierung für den Ukraine­krieg zu entziehen, das legendäre Chanson des französischen Schriftstellers aus dem Jahr 1954 in den Sinn: „Bevor die Hähne kräh’n / Verrammel ich die Türen / Ich will mein Leben spüren / Und mach’ mich auf den Weg“, wie Wolf Biermann Vian ins Deutsche übersetzt hat. „Mon­sieur le President / Ihr seid für’s Blutvergießen? / Allez! Lasst Eures fließen / Das wär ’ne gute Tat!“

Wer nicht in der Ukraine kämpft, der kann nicht in der Ukraine töten. Allein schon deshalb sollte jeder, der sich nicht von Putin verheizen lassen will und durch Flucht die Kampfkraft und -moral der russischen Truppen schwächt, überall mit offenen Armen aufgenommen werden. Zahlreiche europäische Staaten haben jedoch stattdessen ihre Grenzen für russische Kriegsverweigerer geschlossen. Was für ein zivilisatorisches Versagen!

Solch inhumanes wie unvernünftiges Vorgehen wünscht sich der neue ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev auch von der Bundesrepublik. Es wäre „falsch von Deutschland, russische Deserteure aufzunehmen“, hat er verkündet. Schließlich wollten die sich bloß „vor dem Militärdienst drücken“ und „nur nicht im Krieg sterben“. Damit liegt Makeiev ganz auf der Linie seines Vorgängers Andrij Melnyk, der bekundet hat, er hielte es für eine „katastrophale Entscheidung“, wenn russischen Männern Asyl in der Bundesrepublik gewährt würde, „NUR weil sie (…) keinen Bock auf ihre eigene Ruhestätte in der Ukraine haben“.

Im Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ Doch nach der international gängigen Rechtsauffassung gibt das leider den wehrfähigen Menschen noch nicht das Recht, sich zum Schutz ihres Lebens einem Krieg durch Flucht zu entziehen. Selbst wenn sie sich dem militärischen Wahn eines verbrecherischen Regimes verweigern wollen, reicht das als Asylgrund alleine nicht aus. „Selbstverständlich ist jemand kein Flüchtling, nur weil er aus Furcht, kämpfen zu müssen, oder aus Abneigung gegen den Militärdienst desertiert ist oder den Dienst erst gar nicht angetreten hat“, ist dazu im Handbuch des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlings­eigenschaft zu lesen. So unmenschlich es ist: Die Furcht vor Strafverfolgung und vor Bestrafung wegen Desertation oder der Weigerung, einer Einberufung Folge zu leisten, stellen keinen Grund dar, um Anrecht auf Asyl zu haben.

Wer ist so naiv dem Staat ein Gelöbnis zu liefert – er würde das gleiche auch nie zurückgeben !

Kriegsverweigerung ist ein Menschenrecht. Auch wenn sie als solches nicht allgemein anerkannt wird. Aber warum nicht? Weil Desertation in der ganzen Welt als strafbare Handlung geahndet wird – nicht nur in autoritären Regimen. Fahnenflüchtlinge will man nirgendwo haben. Weshalb auch Boris Vians grandioses „Le Déserteur“ mehrere Jahre – und zwar während des Algerien­krieges – in Frankreich verboten war. „Der Deserteur ist in allen Armeen der schlimmste Feind, schlimmer als der Feindsoldat, denn er widersteht dem Befehl zum Töten und nimmt lieber den eigenen Tod in Kauf“, schrieb einst der Schriftsteller Gerhard Zwerenz, der einzige Deserteur, der je dem Bundestag angehörte. Dabei ist selbst ein „gerechter“ Krieg immer noch ein Krieg, niemand sollte dazu gezwungen werden, gegen seinen Willen in ihn zu ziehen. Das gilt übrigens auch für jene Ukrainer zwischen 18 und 60 Jahren, die seit Kriegsbeginn ihr Land nicht mehr verlassen dürfen, um für die Verteidigung herangezogen werden zu können. Kein Staat hat das Recht, Menschen zum Töten anderer Menschen zu zwingen.

Gleichwohl ist die Diskussion über die russischen Kriegsverweigerer eine besonders aberwitzige. Denn sie ist nicht nur zynisch, sondern steht auch im Widerspruch zur Rechtsauffassung des UNHCR. Danach gibt es für Deserteure und Militärdienstflüchtlinge durchaus einen Flüchtlingsschutz, wenn sich „die Art der militärischen Aktion, mit der sich der Betreffende nicht identifizieren möchte, von der Völkergemeinschaft als den Grundregeln menschlichen Verhaltens widersprechend verurteilt wird“.

Quelle        :           TAZ-online        >>>>>         weiterlesen

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von DL-Redaktion am 8. November 2022

„Krieg und Frieden“
Lieblingsfeinde des russischen Regimes

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Aus Riga von Maria Bobyleva

Unter denen, die nach dem 24. Februar 2022 aus Russland nach Lettland gekommen sind, sind ziemlich viele Ver­tre­te­r*in­nen der LGBTQ-Community. Viele haben Russland wegen der homophoben Repressionen verlassen, die seit Kriegsbeginn noch zugenommen haben.

Ich sage es ehrlich, die Homophobie, die in Russland auf staatlicher Ebene rapide zunimmt, war auch ein wichtiger Grund dafür, dass ich Russland gleich nach Beginn des Krieges in der Ukraine verlassen habe. Ich bin zusammen mit meiner Partnerin gegangen. Denn seit Jahren ziehen die russischen Behörden die Schrauben in allen Bereichen, die mit Freiheit zu tun haben, auf die eine oder andere Weise an. Das ist das Hauptschlachtfeld des autoritären Systems bzw. der totalitären Ideologie. Wenn man einem Menschen nämlich erlaubt, selbst zu entscheiden, wen er liebt, wird es unmöglich, ihn zu kontrollieren.

Das haben die russischen Machthaber schon lange kapiert. Seit fast zehn Jahren gibt es in Russland bereits ein Gesetz über die sogenannte „Homopropaganda“ unter Minderjährigen. Damit ist alles verboten, was nicht-heterosexuelle Beziehungen als nicht schlechter wie „traditionelle“ zeigt. Jedes beliebige Buch, jeder Artikel, jeder Film, in dem das Thema LGBTQ vorkommt, muss den Vermerk „ab 18“ tragen und für Kinder unzugänglich sein.

LGBTQ (so wie auch die USA, die Nato und Feministinnen) waren lange Zeit die Lieblingsfeinde des Regimes, doch seit man quasi vom Wort zum Bombenangriff übergegangen ist, wurde es wirklich schrecklich. Als der Krieg begann, hatten viele Menschen ernsthaft Sorge, dass es in absehbarer Zeit damit beginnen würde, Homosexuelle an Straßenlaternen aufzuhängen. Und obwohl Lettland verglichen mit Westeuropa, wo schon in vielen Ländern gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt hat, als nicht sehr homofreundliches Land gilt, habe ich keine Sekunde daran gezweifelt, dass es hier für mich sehr viel sicherer sei als in Russland.

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Tatsächlich hat die Saeima, das lettische Parlament, in diesem Sommer die Prüfung des Gesetzentwurfs über gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften erneut verschoben. Mir persönlich ist Homophobie in Riga noch nie begegnet. Viele meiner nicht-heterosexuellen Bekannten aus Russland fühlen sich hier mehr als wohl. Händchen halten, auf Motto-Partys gehen – kein Problem. Tausende Menschen nahmen im Juni an der Pride-Parade teil, die ein wunderschönes Fest war.

Quelle          :        TAZ-online            >>>>>         weiterlesen

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Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —    View of Riga towards the cathedral and Vanšu Bridge.

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Der Fluch des Öls :

Erstellt von DL-Redaktion am 7. November 2022

Russlands Petroimperialismus und die (in)humanen Geographien des Krieges

So begann es immer auf der Erde – Plakat «Bald gehört die ganze Welt uns». [Jekaterinburg] :

Quelle        :     Berliner Gazette

Von    :   Oxana Timofeeva

Immer wieder wird Russlands Aggression gegen die Ukraine als “fossiler Krieg” bezeichnet. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Oxana Timofeeva zeigt in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe “After Extractivism”, wie das extraktivistische Ökosystem der Erdölindustrie während des Krieges nicht nur aufrechterhalten wird, sondern ihn buchstäblich anheizt.

Eine der Folgen des Krieges, den das Putin-Regime gegen die Ukraine führt, ist das Entstehen eines neuen eisernen Vorhangs zwischen Russland und den europäischen Ländern, der von Visabeschränkungen über Grenzkontrollen bis hin zu Einreiseverboten reicht. Für die Menschen in Russland waren diese Beschränkungen keine große Überraschung: Nach den jüngsten Erfahrungen mit der Quarantänepolitik an den Grenzen während der zwei Jahre andauernden COVID-19-Pandemie war die Gesellschaft auf diese Art von Beschränkungen vorbereitet.

Jetzt, im Nachhinein, sieht die Zeit der Pandemie, in der der internationale Reiseverkehr für Menschen eingeschränkt war, aber für Geld und Waren meist unbegrenzt blieb, wie eine Probe für einen größeren Ausnahmezustand aus. Heute scheinen die wirtschaftlichen und politischen Sanktionen, die als Reaktion auf die militärische Aggression Russlands in der Ukraine eingeführt wurden, nicht nur die Menschen, sondern auch die Geld- und Warenströme zwischen meinem Land und dem Rest der Welt zu beeinträchtigen. Es gibt jedoch etwas, das von dieser Politik fast unberührt bleibt.

Vom Krieg unberührte Pipelines

Es ist viel einfacher, ein Einreiseverbot für Menschen zu verhängen als für Rohstoffe wie Erdöl und Erdgas. In der Tat diskutieren Beamte in Europa über Möglichkeiten eines Ölembargos und überlegen, wie sie die Rohstoffbeziehungen zu Russland schwächen können. In der Tat wird allgemein dazu aufgerufen, den Verbrauch von Öl und Gas aus Russland zu reduzieren, was dem allgemeinen Drang nach einem Übergang zu erneuerbaren Energiesystemen entspricht, um katastrophale Entwicklungen durch den Klimawandel zu verhindern. Doch die Dinge gehen weiter.

Einer der interessantesten Fälle ist die längste Ölpipeline der Welt, die in Tatarstan beginnt, wo sie Öl von anderen Pipelines aus Westsibirien, dem Ural und dem Kaspischen Meer aufnimmt und es von Russland und Kasachstan durch die Ukraine und Weißrussland nach Europa transportiert. Diese 4.000 km lange Pipeline mit dem Namen “Druschba”, was aus dem Russischen übersetzt “Freundschaft” bedeutet, wurde von 1958 bis 1964 geplant und gebaut, um die Länder des sozialistischen Blocks wie Polen, die Tschechoslowakei, die DDR und Ungarn mit Erdöl aus der Sowjetunion zu versorgen. Heute liefert die “Druschba” Rohöl nach Belarus, Polen, Ungarn, in die Slowakei, die Tschechische Republik und nach Deutschland.

Der südliche Zweig der Pipeline verläuft durch die Ukraine. Abgesehen von kurzen Unterbrechungen wie im August 2022, als die Öllieferungen wegen Schwierigkeiten bei internationalen Banküberweisungen eine Woche lang gestoppt wurden, sind die grundlegenden Vereinbarungen über den Öltransport von Russland nach Europa über die Ukraine während des gesamten Krieges in Kraft und wirksam geblieben. Auch die Infrastruktur ist weiterhin intakt. So fließt das Öl reibungslos durch die Rohre, und das Geld wird pünktlich bezahlt. In der Ukraine brennen Städte, die zivile Infrastruktur und sogar das größte Kernkraftwerk Europas, das Kernkraftwerk Saporischschja, ist in Mitleidenschaft gezogen, aber nicht die Pipelines. Öl fließt von Russland in die Ukraine und dann nach Europa. Hier kommt die Ironie der Namensgebung ins Spiel: eine kapitalistische “Druschba” als Erbe der sozialistischen “Freundschaft” hinter der Bühne des Kriegsschauplatzes, wo Menschen sterben.

Die Politik des Petrostaats

In seinem Buch “Das Böse der Natur: Eine Kulturgeschichte der natürlichen Ressourcen” definiert Alexander Etkind Russland als Petrostaat, wobei er diesen Begriff von Fernando Coronil übernommen hat. Nach Coronil ist ein Petrostaat ein Staat, der sich auf den Ölhandel stütztDas Konzept des Petrostaates steht in engem Zusammenhang mit einem anderen Konzept: dem von Michael Ross eingeführten “Ölfluch”. Ross warf die Frage auf, warum in bestimmten Ländern die Förderung fossiler Brennstoffe statt zu wirtschaftlichem Wachstum zu sozialem, wirtschaftlichem, politischem und kulturellem Niedergang führt. Die Öleinnahmen versprechen Wohlstand für die Bevölkerung, bringen aber oft nur den Eliten enormen Reichtum, während der Rest immer ärmer wird.

Petrostaaten verfügen über enorme Einkommen, von denen ein Teil unter der Bevölkerung umverteilt werden kann, die somit von der Großzügigkeit der Eliten abhängig ist. Wenn der Großteil des Einkommens aus fossilen Brennstoffen stammt, ist der Staat weder auf Dinge wie Steuern angewiesen, noch muss er Hochtechnologien, Wissenschaft, Bildung, öffentliche Dienstleistungen usw. entwickeln. Das Leben des Staates basiert vollständig auf der brutalen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen.

Coronils Beispiel für einen Petrostaat ist Venezuela. Im Jahr 1938 wurde das Land zum größten Ölexporteur der Welt. Doch anstatt die Wirtschaft zu entwickeln, neue Fabriken und Universitäten zu bauen, verschuldete sich die Regierung wegen der künftigen Ölförderung immer mehr. Schließlich brach die Gesellschaft zusammen. Etkind wiederum schreibt über die späte Sowjetunion, deren Wirtschaft schließlich vollständig auf den Export fossiler Brennstoffe angewiesen war. Wie Oleksiy Radynski in seinem kritischen Bericht über die aktuelle Situation feststellt: “Es ist erwähnenswert, dass Russlands Industrie für fossile Brennstoffe – eine enorme Infrastruktur für die Förderung und den Transport von Öl und Gas, die sich von Sibirien bis nach Westeuropa erstreckt – selbst der Schlüssel zur Auflösung des Sowjetkommunismus und zur Entstehung eines kleptokratischen, extraktivistischen rechtsextremen Regimes in Russland war.

Fossiler Faschismus

Radynsky definiert dieses Regime als fossilen Faschismus. Dieser Begriff wurde von Cara Daggett eingeführt und kürzlich von Andreas Malm und dem Zetkin-Kollektiv in Bezug auf den westlichen Petrokapitalismus weiterentwickelt, aber ich stimme Radynsky zu, dass dieser Begriff voll und ganz auf das Phänomen des Putinismus heute anwendbar ist. Wie sind wir hierher gekommen?

Laut Etkind gibt es Länder mit guten (demokratischen) und schlechten (autoritären) Institutionen. Demokratische Institutionen können verhindern, dass der Staat in die Falle des Ölfluchs tappt. Die meisten autoritären Petrostaaten wiederum zeichnen sich durch große Ungleichheit, übermäßigen Luxuskonsum der Eliten, Korruption, patriarchalische Unterdrückung der Frauen, religiösen Fundamentalismus, mangelnde kulturelle Entwicklung und Bildung, Umweltkatastrophen usw. aus.

Da es an Transparenz und ziviler Kontrolle mangelt, fließt das Ölgeld direkt oder indirekt in die Taschen von Privatpersonen. Eine kleine Gruppe von Machthabern wird immer reicher, aber da die Gesellschaft allmählich zusammenbricht, ziehen sie es vor, ihr “Vermögen” im Ausland zu haben: Sie schicken ihre Kinder auf Universitäten in Europa, den USA oder dem Vereinigten Königreich, kaufen Immobilien in Übersee wie Villen oder Jachten. Infolgedessen fließt das aus dem Ausland erhaltene Ölgeld als privates Kapital derjenigen zurück, die den Staat regieren und nicht daran interessiert sind, in ihrem eigenen Land zu investieren.

Kaiserliche Phantasmen

In der Tat kann diese Situation nicht ewig andauern, und der soziale Antagonismus eskaliert zusammen mit der Zunahme der Ungleichheit. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Situation in der russischen Gesellschaft kurz vor dem Krieg hochexplosiv und nahezu revolutionär war. Es gab riesige Protestkundgebungen, bei denen die Menschen ihre Unzufriedenheit mit Putins Politik, gefälschten Wahlen, Korruption und Polizeigewalt zum Ausdruck brachten. Die Proteste wurden streng unterdrückt, aber die Menschen begannen, die Angst zu verlieren, und jede neue Unterdrückung konnte ein Auslöser für neue Proteste sein. Statt einer Revolution kam es jedoch zum Krieg, und die Politik der herrschenden Klasse nahm rasch eine faschistische Wendung.

Historisch gesehen ist der Faschismus ein Mittel, um den wachsenden sozialen Antagonismus zu neutralisieren, indem er eine nationale Einheit von Unterdrückern und Unterdrückten um einen starken Führer schafft und die Energie der Revolution in militärische Aggression gegen einen äußeren Feind umwandelt. Genau das ist der Fall im heutigen Russland.

Eine weitere Besonderheit Russlands als Petrostaat ist, dass es sich über riesige Gebiete erstreckt und multinational ist: Formal ist es eine Föderation, aber die herrschenden Gruppen betrachten es als ein Imperium. Daher kann man auch von Petroimperialismus sprechen. Imperialistische Phantasien sind einer der Bestandteile historischer faschistischer Ideologien (so war die Idee der Wiederherstellung des großen Reiches der Vergangenheit Teil des Faschismus in Italien und Deutschland im 20.) Auch Russland hat sein imperiales Erbe. Liberale Kritiker des Putin-Regimes neigen zu der Annahme, dass sein politisches Ziel die Wiederherstellung der Sowjetunion ist, aber in Wirklichkeit wird Russlands fossiler Faschismus von dem kapitalistischen kolonialen Traum vom Russischen Reich vor der Oktoberrevolution von 1917 angetrieben. In diesem Sinne können wir in diesem Zusammenhang auch einen anderen Begriff verwenden: Petroimperialismus.

Mein Argument ist, dass die Gründe, warum der Petroimperialismus in Petrofaschismus kollabiert, der externe Aggression und internen Polizeiterror kombiniert, nicht auf schlechte Institutionen und den Mangel an Demokratie in diesem speziellen Land reduziert werden können. Der Fluch des Öls ist ein systemisches Problem des globalen Petrokapitalismus, der die unterschiedlichsten Formen von gegenseitigen Abhängigkeiten und Pipeline-“Freundschaften” hervorbringt. Eine sehr grobe Skizze der (un)menschlichen Geographien des Erdölhandels vor und während des Krieges kann helfen, diese globale Dimension zu erfassen.

Das Ökosystem des Todes

Was allgemein als “russisches Öl” bezeichnet wird, stammt meist aus Sibirien. Diese Region wurde vom 16. bis 18. Jahrhundert in mehreren Schritten vom russischen Reich erobert. Ein Prozess der Stadtentwicklung begann in den 1960er Jahren, als unter den Permafrostschichten riesige Ölfelder entdeckt wurden. Geologen, Ölmänner und Baumeister kamen, und die sowjetischen Industriestädte begannen in Sibirien zu wachsen. Schon lange vorher war die Region von indigenen Völkern bevölkert, deren Vertreter nach und nach verschwinden, weil ihre traditionellen, nachhaltigen Lebensweisen mit der Rohstoffindustrie, die ihre natürliche Umgebung einfach zerstört, unvereinbar sind – und das ist immer noch der Fall. Nicht nur Öl, sondern auch Gas, Diamanten, Gold und andere natürliche Ressourcen werden aus den Gebieten gewonnen, die in den verschiedenen historischen Perioden des russischen Reiches erobert, d. h. kolonisiert wurden.

Zurück zum Öl. Vor Februar 2022, als die russischen Streitkräfte in die Ukraine einmarschierten, floss das Öl von Sibirien und anderen Randgebieten nach Europa (über die Ukraine), während das Geld von Europa nach Moskau und von Moskau zurück nach Europa floss. Nach dem Februar 2022 fließt das Öl immer noch auf demselben oder fast demselben Weg von den Randgebieten nach Europa (über die Ukraine), und das Geld fließt immer noch von Europa nach Moskau. Doch anstatt als privates Kapital und Investitionen der Elite nach Europa zurückzukehren, wird das Ölgeld nun für den Krieg gegen die Ukraine ausgegeben. Was neben dem Öl aus den verschiedenen Regionen Russlands in die Ukraine fließt, sind die lebenden Körper der Menschen, die den größten Teil der Armee bilden. Was zurück nach Sibirien und in andere Regionen geht, ist die so genannte “Fracht 200”: die toten Körper der Soldaten.

So läuft die Maschinerie des Petroimperialismus weiter: Solange Öl gegen Geld getauscht wird, hat dieser bestimmte Petrostaat die Möglichkeit, den Krieg fortzusetzen; aber auch für die anderen Staaten bleibt eine weitere petrofaschistische Wende eine Möglichkeit.

Anm.d.Red: Dieser Text ist ein Beitrag zur “After Extractivism”-Textreihe der Berliner Gazette; seine englische Version ist auf Mediapart verfügbar. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “After Extractivism”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://after-extractivism.berlinergazette.de

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Oben       —     Plakat «Bald gehört die ganze Welt uns». [Jekaterinburg] : Ural-Abteilung von ROSTA, [1920]. Farblithographie, 1 Blatt, 35×53 cm

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Wir, die Guten

Erstellt von DL-Redaktion am 4. November 2022

Putins Gas statt Bidens Bomben

Beim Tausch zwischen Klima und Gas verspricht Beides ein  Ende des Lebens. Nur Bomben bringen Geld – Klima kostet Geld

Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Im Diskurs über den Europäischen Krieg ist das Meiste noch vom Kopf auf die Füße zu stellen / Die Ossis sind die besseren Wessis

Achtung, ein kapitaler Baerbock: „Sind die Deutschen bereit, für die Freiheit zu sterben? Wir sind es.“ [2] Dieser unsäglich dumme Spruch   – Zitat in Anführungszeichen!  – dient als Überschrift eines Artikels in der Neuen Zürcher Zeitung. Andernorts taucht er nicht auf; zuzutrauen ist er unserer Hasspredigerin im Außenamt allemal. Ein übler Treppenwitz, was diese Frau unter Diplomatie und außenpolitischer Strategie versteht. Kennen Sie den schon? „Wir sind die Guten!“ [3] Früher gab es für derart ungezogenes Lügen eins hinter die Löffel. Heute qualifiziert es für die Mitgliedschaft im Kabinett des roten Ampelmännchens. Grün ist die Heide drumherum; schafsköpfige Tagesschau-Redakteure weiden dort, intellektuell anspruchslose Wesen. Sie werden gebraucht, damit das deutsche Publikum fürs Einschlafen was zum Zählen hat.

Annalena Baerbock stellte das, was sie unter Außenpolitik versteht, erwartungsgemäß mit den angesagten Beiwörtern dar. „Feministisch“ soll ihre Politik sein. „Werteorientiert“. Und natürlich „regelbasiert“, wie little Blinken in Washington es vorbetet. Was eben ein Plappermaul so dahersabbelt, wenn der dranhängende Kopf nicht mal halbwegs intelligent verlogenen Formeln auf Lager hat. Es handelt sich bei Baerbocks Hudelei [4] halt doch nur um kitschige Stimmungsmache für die imperiale Machtpolitik der USA. Die mörderischen Folgen (fürs eigene Volk wie für die anderen) muss Baerbock mit dem schönen Schein unserer moralischen Überlegenheit tarnen, damit ja niemand dagegen aufbegehrt. Das ist ihr Job. Der Regierungsrundfunk, voran die Tagesschau, ist dabei wie immer der beste Helfer.

Baerbock im Bundestag:

„Wir sagen eben nicht: Wir konzentrieren uns nur noch auf das, was vor unserer eigenen Haustür passiert, was unglaublich wichtig ist, sondern ganz im Gegenteil: Genau in diesem Moment nehmen wir weiter unsere Verantwortung in der Welt wahr. ... Uns geht es auch darum, uns gemeinsam mit den Menschen vor Ort den Kräften entgegenzustellen, die nichts auf Menschenrechte geben, nichts auf Demokratie und nichts auf eine regelbasierte Ordnung.“ [5]

Von wem und was spricht die Frau? Ach so, sie ist darüber sauer, dass die Regierung des nordwestafrikanischen Staates Mali die Nase endgültig voll hat von den USA und deren Vasallen; dass man die Anwesenheit auch der Bundeswehr nicht mehr ertragen will und sich lieber vom russischen Militär unterstützen lässt. Die Hofberichterstatter der ARD-aktuell leisten Baerbock ideelle Schützenhilfe und applaudieren Baerbocks Geschwätz. Ungeprüft und ohne Gegenrecherche bei den Beschuldigten teilen sie mit, malischen Soldaten und russischen Sicherheitskräften werde „ein Massaker an etwa 300 Zivilisten vorgeworfen.“[6]

Was deutsche Soldaten in Mali eigentlich verloren haben, braucht die Tagesschau selbstredend nicht darzulegen. Erst recht nicht, was entschieden gegen diese Art Auslandseinsatz spricht.[7] Wo kämen wir da hin! Da würden ja sogar die urdeutschen Sofadrücker erkennen, dass „regelbasierte Ordnung“ ein Begriff aus der Gaunersprache ist und unter anderem den Raub fremder Rohstoffe verschleiert.[8] In diesem Fall malisches Uran, Gold und andere reiche Bodenschätze, die in Europa heiß begehrt sind.[9]

Mollusken im Ministeramt

Gleich nach ihrem Antrittsbesuch beim Amtsbruder, dem „lieben Tony“ Blinken, schleimte Baerbock hemmungslos:

„Wir sind Freunde und Wertepartner“.[10]

Sie ließ somit keinen Zweifel daran, was sie unter „wertebasierter“ Außenpolitik versteht: Sich der US-Elite als allzeit bereite Politmätresse anzudienen. Oder, wie ihr Kabinettskollege Habeck trefflich formulierte, „eine dienende Führungsrolle“ zu spielen.[11] Der Ami braucht noch nicht mal „bücken!“ zu rufen, B&H liegen ihm schon zu Füßen.

Die USA als „Wertepartner“ zu bezeichnen heißt, die monströsen Verbrechen ihrer Regierungen zu billigen: imperiale Kriege mit Millionen Toten, systematischen Völkerrechtsbruch, Massaker in aller Welt, Entführungen, Folterungen, Attentate, Rassismus, „erst schießen, dann fragen“-Unkultur, Ressourcen-Diebstahl, Todesstrafjustiz, Staatsterrorismus. Es heißt, den US-Versuch zu unterstützen, die Konkurrenten Russland und China mit militärischen Drohungen und Übergriffen sowie mit weltweit verheerender Sanktionspolitik niederzuringen.

Wer, wie die „ich-komm-eher-ausm-Völkerrecht“-Baerbock[12] von dort nichts weiter mitgebracht hat als sich selber, der übersieht natürlich das KZ Guantanamo, das Justizverbrechen an Julian Assange, die unzähligen Drohnenmorde unter dem Deckmantel „Krieg gegen den Terror“, die Finanzierung antidemokratischer Putschisten und Farbrevolutionen, die grobe rechtswidrige Einmischung in die inneren Angelegenheiten fremder Länder. „Wertepartnerin“ Baerbock hat vermutlich nicht einmal auf dem Zettel, dass die Politik ihrer US-Freunde einer blutrünstigen Tradition folgt:  219 Mal in ihrer kurzen Geschichte haben die USA andere Länder angegriffen, ohne jemals selbst angegriffen worden zu sein.[13] (Der japanische Überfall auf Pearl Harbour war keine Ausnahme, sondern von Roosevelt herbeiprovoziert, um die kriegsunwillige US-Bevölkerung für einen Kriegseintritt zu gewinnen.[14],[15])

Mörderische Tradition

Insgesamt sind die USA seit dem Zweiten Weltkrieg wegen ihrer martialischen Überfälle auf andere Länder für den Tod von schätzungsweise 20 bis 30 Millionen Menschen verantwortlich.[16] Allein in den vergangenen 20 Jahren hat unsere westliche „Wertegemeinschaft“ vier Millionen Muslime umgebracht, vom Neugeborenen bis zum Greis; angeblich, um den weltweiten Terrorismus auszurotten. Baerbocks „Wertepartnerschaft“ erinnert wahrlich streng an Goethes Aphorismus über den Charakter:

Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist; weiß ich, womit du dich beschäftigst, so weiß ich, was aus dir werden kann.“ [17]

Es ist die wichtigste Aufgabe unserer längst gleichgeschalteten Massenmedien, das Verbrecherische am transatlantischen „Kampf für Demokratie und Menschenrechte“ nur ja nicht ins öffentliche Bewusstsein dringen lassen. Beim Täuschen, Fälschen und Desorientieren ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk Vorreiter. Tagesschau, Tagesthemen, Deutschlandradio und Deutsche Welle als vermeintlich seriöse Informationsquellen garantieren, dass die Hetze gegen Russland, China und andere missliebige Staaten professionell und effizient ausgeführt wird.

Der englische Dramatiker Harold Pinter erinnerte in seiner Rede zur Verleihung des Nobelpreises 2005 an das

„weitverzweigte Lügengespinst, von dem wir uns nähren“. Damit die Macht der herrschenden Eliten „erhalten bleibe, ist es unabdingbar, dass die Menschen unwissend bleiben, dass sie in Unkenntnis der Wahrheit bleiben“.[18]

Sachlichen, um Information und Aufklärung bemühten Nachrichtenjournalismus darf man vom Regierungsrundfunk nicht erwarten. Die Massenmedien verschwiegen zum Beispiel, dass die seinerzeitige Grünen-Doppelspitze Habeck und Baerbock schon lange vor den Bundestagswahlen zu würdeloser Liebedienerei bei den US-Amerikanern und zum Betrug am deutschen Wähler bereit war: Der Wunsch der Ukraine nach „Defensivwaffen“ sei angesichts der „russischen Bedrohung“ (!) „berechtigt“, man könne ihn „schwer verwehren“.[19]

Zu jener Zeit hatten die ukrainische Armee und die ihr angegliederten Neonazi-Regimenter bereits 14000 Ost-Ukrainer massakriert.[20] Für ein Ende der Schlächterei und für einen Friedensschluss mit den gepeinigten russisch-sprachigen Landsleuten gemäß dem Minsker Abkommen[21] haben sich die Spitzen der Grünen, der SPD, der FDP und der Union in Kiew nie stark gemacht. Im Gegenteil, sie haben es erst mit Poroschenko und dann mit Selenskyj sabotiert.

Kein Raum für Scham

Die USA haben Kiew von Anfang an unterstützt. Das Minsker Abkommen war ohne sie von Deutschland und Frankreich mit Russland verabredet und von Washington missbilligt worden. Habeck und Baerbock wussten davon und richteten sich danach. Beide machten devot kenntlich, dass ihre Agenda mit der des US-Präsidenten aufs Innigste harmoniert. Den Stopp von NordStream 2 inbegriffen.

Als US-Präsident Biden am 27.7.21 äußerte :

„Ich denke, es ist mehr als wahrscheinlich, dass wir in einem Krieg enden werden   – einem echten Krieg mit einer Großmacht   – …“ [22]

orientierte sich Großmaul Baerbock daran und tat sich mit Sprüchen wie „Russland ruinieren“ und es derart zu schädigen, „dass es volkswirtschaftlich jahrelang nicht mehr auf die Beine kommt“[23] hervor. Die Außenministerin schämte sich dieser einzigartig undiplomatischen Entgleisung nicht. Dass ihr blanker Russenhass, ausgelebt in Serien von völkerrechtswidrigen Sanktionen, inzwischen die deutsche Volkswirtschaft zum Abgrund treibt, den Russen nicht wirklich schadet, aber das Geschäft der Amis erblühen lässt, das nimmt sie hin. Hätte sie substanziellen politischen Anstand und Loyalität gegenüber ihrer eigenen Nation, wäre sie niemals Mitglied im wirtschaftselitären „Young Global Leaders“-Club des Weltwirtschaftsforums WEF geworden.[24]

Die politische Verbreitung von Falschaussagen war immer schon ein wesentlicher Teil des politischen Handelns !

Die von den Regierenden und ihren medialen Scharfmachern gepflegte Fiktion, dass die USA, die NATO und damit auch Deutschland sich nicht im Krieg mit Russland befinden,[25] ist längst als pure Heuchelei zu erkennen. Pech, dass US-Präsident Biden sich bereits im Übergang von der Senilität zur Debilität befindet und die wahren US-Ziele versehentlich erkennen ließ: erst mal Regime-Change in Moskau, danach Zerstückelung Russlands und Ausbeutung seiner gigantischen Ressourcen.[26], [27]

Das ist den amerikanischen Imperialisten das Risiko eines Atomkriegs wert   – fern der Heimat, versteht sich. Sie planen bereits seit Jahren den begrenzten Einsatz von Atomwaffen in einem Erstschlag. [28] In Rede ist ein Krieg, der Europa zerstört, aber die USA nicht tangiert.

Auf „Endsieg“

Der Diskurs über eine „schmutzige“ ukrainische Atombombe müsste die Bundesregierung veranlassen, eine Springflut diplomatischer Aktivitäten in Gang zu setzen; das wäre verantwortungsbewusste Politik. Mit den Grünen-Kriegstreibern in Berlin ist sie aber nicht zu machen. Baerbock setzt auf den Endsieg.

„Und ja, wir werden auch die Ukraine weiter intensiv mit Waffen unterstützen. Denn wir liefern nicht nur Rüstungsgüter in die Ukraine, um Menschenleben zu retten. Sondern mit diesen Lieferungen, so hoffe ich, geht auch ein Schub Vertrauen und Solidarität einher.“ [29]

Würstchen wollen seit jeher groß rauskommen. Friedensverhandlungen? Nichts da. Der Berliner Reichstagsrasen ist fascho-grün gedüngt, dort schießen die Gurken ins Kraut. Sie treiben   – siehe oben   – prächtige sprachlichen Blüten.

Unmoral und die Perversion jeglichen Rechtsbewusstseins sind US-Markenzeichen. Wovon unsere hörigen Staatsfunker gerne mit scheinobjektiver Berichterstattung über die „Freunde“ ablenken. Tagesschau-Beispiel:

Die US-Regierung hat zusätzliche Unterstützung für die Menschen in Afghanistan angekündigt. Sie stellt weitere 327 Millionen Dollar für humanitäre Hilfen bereit. Davon sollen auch Afghanen profitieren, die in die Nachbarländer geflohen sind.“ [30]

Welch US-amerikanische Großzügigkeit! Das bringt die Tagesschau ja prächtig rüber. Und unterschlägt zugleich die unumgängliche Information über den politischen Kontext: dass US-Präsident Biden als Rache für die Niederlage gegen die Taliban das afghanische Staatsvermögen beschlagnahmt hatte, 7 Milliarden Dollar. Statt Entschädigung für die Verwüstung Afghanistans im mehr als 20jährigen US-Terrorkrieg zu zahlen und echte Wiederaufbauhilfe zu leisten, betätigte sich Biden als Straßenräuber und Leichenfledderer. Und trieb die Scheinheiligkeit auf die Spitze: Seine Regierung werde die Hälfte der geraubten Beute, 3,5 Milliarden Dollar, an die Hinterbliebenen des Anschlags auf die Zwillingstürme in New York („9/11“) auszahlen. [31] Obwohl Afghanistan erweislich nichts mit jenem Terrorakt zu tun hatte, den der Verbrecher George Dabbeljuh Bush nur als Vorwand für seinen Angriffskrieg brauchte. [32]

Afghanistan ist heute, nach den Worten David Beasleys, des Exekutivdirektors des Welternährungsprogramms,

„die Hölle auf Erden, die größte humanitäre Krise der Welt“. [33]

Zwanzig Millionen Menschen   – fast die Hälfte der Bevölkerung   – leiden akut unter Hunger. Es mehren sich Berichte über Verzweifelte, die eine ihrer Nieren anbieten, um an Geld für Lebensmittel zu kommen. [34] Keine Frage, dass es viele Interessenten an diesem Organhandel gibt.

Partner? Komplize!

Deutschland kann bezüglich unmenschlicher Politik mit den Amis aber mal wieder gut mithalten. Aydan Özoğuz (SPD), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages:

„Es liegt auf der Hand, dass Deutschland der Taliban-Regierung überhaupt kein Geld direkt zukommen lassen kann. Denn dieses käme kaum dort an, wo wir uns das wünschen. Darum ist es undenkbar, dass ein Regime nach Art der Taliban Gelder aus Deutschland in Empfang nehmen und dann unkontrolliert verteilen sollte.“ [35]

Wer‘s nicht fassen kann, schaue nach Syrien. Die USA hatten unter lebhafter EU- und deutscher Mitwirkung versucht, die Regierung in Damaskus zu stürzen. Zur Ablenkung vom eigenen Völkerrechtsbruch ließen die christlichen Kreuzritter die Drecksarbeit von Kopfabschneidern der IS-Dschihadisten erledigen. Der Umsturzversuch misslang, weil die Regierung Assad sich Hilfe aus Russland holte.

Dafür strafte sie der Westen mit vernichtenden Sanktionen. Die bereiten der syrischen Zivilbevölkerung unvorstellbares Leid. Es herrscht Hunger im Land am Euphrat. Syrien hat zwar reiche Öl- und Gasquellen, doch die sind von US-Militär besetzt. Dessen Soldaten begleiten mehrmals wöchentlich kilometerlange Tanklaster-Konvois mit geraubtem syrischem Öl in den Irak und in die Türkei.[36] Den Verkaufserlös, kürzlich vom Außenministerium in Damaskus mit 107 Milliarden US-Dollar beziffert, entziehen die USA der darbenden syrischen Bevölkerung und sacken ihn selber ein.[37]

Schlimm, das alles. Aber wo bleibt die Pointe? Ja richtig, da war doch Baerbocks russophober Beißreflex: Putin führe mit seiner Blockade des Getreideexports der Ukraine einen „Hungerkrieg“ gegen die notleidenden Menschen in der Dritten Welt.[38] Und wieder erweist sich, dass die ARD-aktuell-Redaktion in Berlin (und Hamburg) dafür Belege hätte verlangen müssen, statt sich als kritikloser Transporteur volksverhetzender Propaganda zu bewähren.

„Die Hauptziele für den laufenden ukrainischen Getreideexport lagen im Juli und im August allerdings nicht in den Hungergebieten Afrikas. Hauptabnehmer von ukrainischem Weizen und Mais war vielmehr die Türkei. … Danach folgen verschiedene EU-Länder.“ [39]

Die Tagesschau hätte gemäß ihrer Sorgfaltspflicht (Medienstaatsvertrag, § 6)[40] Putins Begründung für das Aussetzen des Getreide-Abkommens objektiv und vollständig übermitteln müssen: nicht nur hatte er ukrainischen Angriffe auf den Hafen Sewastopol und auf den Schutzkorridor für den Getreideexport genannt, sondern auch, dass das Abkommen seine humanitären Ziele verfehlt habe. [41]

Ossis gehen auf die Straße

Im Osten unserer Republik wächst der Widerstand gegen die antirussische Politik der Ampel. An den Demonstrationen beteiligen sich Tausende, und von Woche zu Woche werden es mehr. Viele Ossis haben tieferen politischen Durchblick als ihre Landsleute im Westen, im kritischen Urteil über Politiker und deren Wirken sind sie geübter. Sie sind erheblich stärker sozial sensibilisiert als die meisten Wessis; der Schaden, den Habeck und Baerbock verursachen, trifft sie zudem härter. Sogar die Tagesschau kam nicht umhin, über den Volkszorn zu berichten.[42]

Auch Dämlichkeit ist ein Menschenrecht. Niemand außer uns Wählern kann Habeck und Baerbock daran hindern, sich als subalterne Hanswurste in den Dienst der USA zu stellen. Aber von öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalisten muss man verlangen, dass sie der quasi regierungsamtlichen Hetze gegen „Feind“-Staaten entgegentreten. Merksatz, wie im Titel oben: Putins Gas ist besser als Bidens Bomben. Haben wir das geschnallt, Annalena? Capito, Zamperoni?

Quellen und Anmerkungen

[1] https://www.bundestag.de/resource/blob/880830/992e5c6be63dc8719477d83d61e70162/WD-2-085-21-pdf-data.pdf

[2] https://www.nzz.ch/international/deutschland-osteuropaeer-und-balten-misstrauen-den-deutschen-ld.1708005?reduced=true

[3] https://www.nachdenkseiten.de/?p=83934

[4] https://www.wortbedeutung.info/hudeln/

[5] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/baerbock-bt-minusma/2526052

[6] https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/bundeswehr-mali-161.html

[7] https://www.labournet.de/interventionen/kriege/antimili-all/massive-kritik-an-der-fortsetzung-des-kriegseinsatzes-was-soll-die-bundeswehr-in-mali-schuetzen-die-wehrdoerfer/

[8] https://www.wiwo.de/politik/europa/frankreich-der-rohstoffkrieg-in-mali/7629346.html

[9] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/mali-das-sagenhafte-reich-voller-gold-und-bodenschaetze-12024831.html

[10] https://www.rnd.de/politik/usa-baerbock-auf-auslandsreise-ukraine-und-klima-als-hauptthemen-QF5RCJ6MC5HUTEMSVAM46KYDNQ.html

[11] https://www.focus.de/politik/deutschland/besuch-in-den-usa-habeck-sieht-deutschland-in-einer-dienenden-fuehrungsrolle_id_61552626.html

[12] https://www.youtube.com/watch?v=nOMW8Kn4OLw

[13] https://forum.beobachter.ch/forum/thread/18765-usa-%C3%BCber-200-kriege-seit-ihrer-gr%C3%BCndung/?pageNo=4

[14] http://www.studien-von-zeitfragen.de/Mnemeion/Hehre_Kunst_der_Provokation/hehre_kunst_der_provokation.htm

[15] https://www.sscnet.ucla.edu/polisci/faculty/trachtenberg/methbk/ickes.pdf

[16] https://www.youtube.com/watch?v=ks7hznOfTkU

[17] https://www.aphorismen.de/zitat/176

[18] http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Friedenspreise/nobel-lit-pinter.html

[19] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_90102198/klima-ukraine-und-nord-stream-2-die-ploetzliche-amerika-liebe-der-gruenen.html

[20] https://www.ohchr.org/sites/default/files/Documents/Countries/UA/29thReportUkraine_EN.pdf

[21] https://de.wikipedia.org/wiki/Protokoll_von_Minsk

[22] https://www.news.at/a/usa-biden-krieg-12180967

[23] https://www.focus.de/kultur/kino_tv/tv-kolumne-anne-will-baerbock-will-dass-russland-nicht-mehr-auf-die-beine-kommt_id_92735159.html

[24] https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/annalena-baerbock/fragen-antworten/sehr-geehrte-frau-baerbock-wie-wird-ihre-mitgliedschaft-im-young-global-leaders-des-weltwirtschaftsforums

[25] https://taz.de/Geostrategie-im-Ukrainekrieg/!5860826/

[26] https://www.srf.ch/news/international/regimewechsel-gefordert-viel-wirbel-um-den-schlusssatz-des-us-praesidenten-in-warschau

[27] https://www.extremnews.com/berichte/weltgeschehen/4ea1827e57f27f

[28] https://www.youtube.com/watch?v=_7R-0unFGgE

[29] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/-/2559154

[30] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/us-hilfen-afghanistan-101.html

[31] https://www.watson.ch/international/usa/574666678-usa-wollen-afghanische-milliarden-an-9-11-opfer-zahlen

[32] http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Terrorismus/martin.html

[33] https://progressive.international/wire/2022-08-23-to-end-hell-on-earth-the-us-must-free-afghanistans-7bn-reserves/de

[34] https://www.spiegel.de/ausland/hungerkrise-in-afghanistan-ich-habe-die-niere-meines-sohnes-verkauft-um-uns-alle-zu-retten-a-fb6b5a08-4da8-450c-a8bb-8da275653bf1

[35] https://www.dw.com/de/finanzsanktionen-gegen-taliban-unmenschlich/a-60781910

[36] https://thecradle.co/Article/News/17455

[37] https://globalbridge.ch/so-leiden-in-syrien-die-menschen-unter-den-westlichen-sanktionen/

[38] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/getreideabkommen-russland-reaktionen-103.html

[39] https://www.agrarheute.com/management/agribusiness/verkauft-ukraine-getreide-afrika-597271

[40] https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/Rechtsgrundlagen/Gesetze_Staatsvertraege/Medienstaatsvertrag_MStV.pdf

[41] https://meinungsfreiheit.rtde.life/international/153077-putin-verdeutlicht-position-zum-getreide/

[42]https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/proteste-energiepolitik-105.html

Anmerkung der Autoren: Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog

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Grafikquellen          :

Oben     —    Церемония открытия газопровода «Северный поток».

2.) v0n Oben       —       Poster der Ausstellung

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Rede von F.-W. Steinmeier

Erstellt von DL-Redaktion am 1. November 2022

Der wahre Epochenbruch ist viel größer

Warum wird das Walterchen immer nach rechts gedrängt ?

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Der Bundespräsident hat sich diese Woche endlich zu einer lange erwarteten Grundsatzrede durchgerungen. Er verkündete harte Wahrheiten. Oppositionsführer Merz dagegen erzählt weiter beruhigende Märchen.

Diese Woche ist unter anderem Folgendes passiert: extreme Überschwemmungen in Nigeria, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Choleraepidemie auslösen werden . Derweil fällt der Mississippi in den USA trocken. Das Salzwasser aus dem Golf von Mexiko ist schon 100 Kilometer weiter ins Landesinnere der USA vorgedrungen  als normal. Pakistans Regierung schätzt die Schäden durch die Überschwemmungen von vor drei Wochen (erinnern Sie sich noch?), auf mehr als 40 Milliarden Dollar .

Stellen Sie sich bitte einen Globus vor, und darauf drei rote Punkte, die den Süden der USA, Nigeria und Pakistan markieren. Bis in zehn Jahren, wenn die 1,5-Grad-Schwelle mit hoher Wahrscheinlichkeit überschritten sein wird, werden sich die Katastrophen, die jetzt schon den Globus überziehen, in atemberaubendem Tempo vermehren, wie Windpocken. Immer mehr rote Punkte, überall.

Auf die Welt kommen deshalb nie dagewesene Wanderungsbewegungen  zu, und zwar in sehr naher Zukunft, nicht erst 2050.

»Das Fenster, das sich schließt«

Hierzulande, überall im sogenannten Globalen Norden wird aber weiterhin so getan, als hätten wir noch Zeit.

Die Uno hat gerade auf bittere Weise festgehalten, dass das ein Irrtum ist. Die derzeitigen Vorsätze – nur die Vorsätze! – der Länder dieser Welt reichen bei Weitem nicht, um das Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, die Erde nicht mehr als 1,5 Grad heißer werden zu lassen als vor der Industrialisierung.

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Politik & Macht bis es kracht

Erstellt von DL-Redaktion am 31. Oktober 2022

Weder Russland noch Ukraine, NATO oder EU –
Von Opa Baerbock zum antimilitaristischen Widerstand

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Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von    :    Gerald Grüneklee

„Aus historischer Sicht sind die schrecklichsten Dinge – Krieg, Völkermord und Sklaverei – nicht auf Ungehorsam, sondern auf Gehorsam zurückzuführen.“ Howard Zinn.

„Jeder Staat muss, auf die Gefahr des eigenen Untergangs, des  Geschlucktwerdens von Nahbarstaaten hin, nach absoluter Macht streben, und wenn er mächtig geworden ist, muss er sich auf die Karriere des Eroberers einlassen, damit er nicht selbst erobert wird; denn zwei ähnlich starke, aber einander fremde Mächte können nicht koexistieren, ohne den Versuch zu unternehmen, einander zu zerstören“ (Michael Bakunin)Als vor rund 250 Jahren, in den 1770er Jahren, Österreich in Bayern einmarschieren wollte, wurde diesem dem preussischen König zu viel. Er sah die Österreicher schon auf dem Durchmarsch nach Preussen und marschierte seinerseits in Böhmen ein. Ähnliche Beispiele lassen sich zahlreich in der Geschichte finden, bis in die Gegenwart. Was wir daran sehen? Herrscher – nicht nur Adlige – können sehr empfindlich sein, wenn jemand ihrem Herrschaftsgebiet zu nahe kommt. Das wissen sämtliche Machthaber, denn sie sind alle aus ähnlichem Holz geschnitzt. Wenn also die eigene Machtsphäre ausgedehnt wird, ganz gleich, ob auf militärischem oder vertraglichem Weg, so weiss jeder Fürst oder König oder Regierungschef, dass er damit die Gegenseite provoziert. Dieses Risiko wird, um der eigenen Machterweiterung willen, billigend in Kauf genommen. Aber Ähnlichkeiten mit der Gegenwart sind natürlich rein zufällig und nicht beabsichtigt…

„Putin-Versteher“?

„Bist Du jetzt auch ein Putin-Versteher?“, fragte mich neulich eine Freundin. Wenn Verstehen heisst, etwas aus einer Binnenlogik – also in Putins Fall aus der Staatsführer-Perspektive – nachvollziehen zu können, dann bin ich das. Oft verwechselt wird verstehen mit akzeptieren, gutheissen oder gar mögen. Als Gegner von Staat und Herrschaft mag ich keine Staatschefs, schon gar keine Machos á la Putin oder Selenskyj, der vom ersten Tag an nur noch im olivgrünen Shirt zu sehen ist (hat er eigentlich mehrere davon?). NATO; EU und die Ukraine selbst haben massiv zur Konflikteskalation beigetragen, mit dem Brechen von Versprechungen, der Verweigerung diplomatischer Gespräche wie mit der offensiv angestrebten Osterweiterung von NATO und EU, sowie allerlei Provokationen. Wenn nun polnische Politiker als Statement zur Sabotage an den Nord Stream-Gasleitungen „Danke USA“ twittern (so Radek Sikorski, ein polnisches Europaparlament-Mitglied), so ist dies Öl auf die Mühlen.

Wenn Russland dann Polen den Krieg erklärt (da man derart an der Erfüllung der seit Beginn des Ukraine-Einmarsches bestehenden Befürchtung arbeitet) , wird sich Polen ebenso als unschuldiges Opfer darstellen wie es die Ukraine tat. Das alles macht einen Angriffskrieg – nicht nur den Putins – nicht minder verabscheuungswürdig. So, ich hoffe, das ist damit geklärt. Aber – warum muss man sich eigentlich dazu immer erst erklären, wo es doch offenkundig ist, dass Menschen einen missverstehen wollen. Man muss dieses Missverstehen-wollen (wenn ich beispielsweise ernsthaft gefragt werde, ob ich als Antimilitarist nun die „Ukraine an Russland ausliefern will“), als Machtdiskurs deuten: es gibt eine vorherrschende Meinung, damit eine Deutungshoheit. Wer sich dieser Deutungshoheit nicht beugen will, muss sich allen möglichen und unmöglichen Vorwürfen aussetzen, mit dem Ziel, diese Person um jeden Preis zu diskreditieren und auszugrenzen – wir kennen das vom Corona-Thema, und ich werde noch darauf zurückkommen, wie dies mit den Meinungshoheiten zusammenhängt, die wir jetzt beim Ukraine-Krieg erleben.

Politik & Macht – Das Beispiel Ukraine

Staaten brauchen Militär und Kriege, und natürlich gibt es Wirtschaftszweige, allen voran die Rüstungsindustrie, die daran gut verdienen: Krieg – auch schon die latente Drohung damit, die psychologische Kriegsvorbereitung, das ist ein hervorragendes Geschäft. Eine in Nationen aufgeteilte Welt, staatliche Gewalt und Herrschaft und das kapitalistische Wirtschaftssystem hängen in der Welt der modernen Kriege untrennbar zusammen. So legitimieren die Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr seit Beginn der 1990er Jahre den „ungehinderten Zugang zu Rohstoffen“ als legitimen Kriegszweck der Bundeswehr – also exakt das, was Putin betreibt.

Gegen das Militär zu sein, also antimilitaristisch zu sein heisst nach meinem Verständnis allerdings nicht, grundsätzlich gegen jede Waffengewalt zu sein. Wenn ich etwa an mittelamerikanische Befreiungsbewegungen in den 1980er Jahren oder an die Spanische Revolution ab 1936 denke, so wurden Waffen in erster Linie nicht benutzt, um zu töten, sondern um Leben zu ermöglichen, und zwar gegen die staatliche Gewalt. Ich denke, das ist ein wesentlicher Unterschied zu dem, was wir derzeit erleben.

Denn in der Ukraine gibt es keine soziale Revolution, die es zu verteidigen gilt. Der Ukraine-Krieg ist ein Krieg im Namen der Macht. Um Rohstoffe (Russland liegt am Zugang zur Getreidekammer Ukraine ebenso wie am Zugriff auf die Bevölkerung, da Russland mit seiner Bevölkerungszahl von rund 140 Millionen Menschen im Vergleich zu den USA und EU schlicht zu klein ist für eine Grossmacht im 21. Jahrhundert), aber auch um die ideologische Macht, um die historische Erzählung.

Auf Seiten aller Beteiligten geht es um Machtpolitik, um Wirtschafts- und Rohstoffpolitik, um Geschichtspolitik. Und so sehr es ein vollkommen absurder Kriegsvorwand von Putin ist, die Ukraine „entnazifizieren“ zu wollen (zumal auf russischer Seite ebenfalls reichlich Nazis kämpfen), so ist der rechte Einfluss in der Ukraine kaum zu überschätzen. Das fängt mit dem massiven Personenkult um den Nazi Stepan Bandera an, nach dem Hauptstrassen und Plätze in grossen ukrainischen Städten benannt sind und von dem der ehemalige ukrainische Botschafter in Berlin, Melnyk, ein grosser Fan war.

Es geht weiter bei beliebten rechtsradikalen Bands, die Hitler und Mussolini verehren, sich als „Helden des Maidan“ und „Verteidiger der Ukraine“ verstehen und Kiew zu einer „Hauptstadt der Neonazimusik“ machen (Bundeszentrale für politische Bildung. 30.10.2020). Und es hört bei den neofaschistischen Kampfverbänden, die einen Teil ihrer von EU und NATO so grosszügig zur Verfügung gestellten Waffen an organisierte rechtsextreme Strukturen in Mitteleuropa abgeben, nicht auf. So gibt es eine „private“, aber mit den ukrainischen Behörden verwobene „Friedensstifter“-Liste, die vermeintliche „Staatsfeinde“ auf eine Website öffentlich präsentiert – mehrere von ihnen, darunter kritische Journalisten, wurden bereits von Nationalisten ermordet.

Dazu kommt: Selenskyijs Zustimmungswerte gingen vor dem Krieg zurück (von 73% im Frühjahr 2019 auf 23% im Januar 2022). Er hatte deshalb gar kein Interesse an einer diplomatischen Verhinderung des Krieges, da er einen Krieg zur Absicherung seiner Macht nutzen konnte. Die Bundeszentrale für politische Bildung wies noch am 19.10.2021 auf Selenskyijs Korruption hin. In den „Pandora Papers“ stand die Ukraine auf dem ersten Platz bei der Zahl korrupter Amtsträger. 41 Millionen Dollar soll Selenskyij bekommen haben, überwiesen von dem dubiosen Oligarchen Ihor Kolomojskyj.

Dieser finanzierte auch Selenskyijs Wahl 2019, und übrigens u.a. das ultranationalistische und stark antisemitische, nun in die offiziellen ukrainischen Streitkräfte integrierte Asow-Regiment – nicht nur Russland hat eben Oligarchen, bloss wurden die Vermögen der ukrainischen nicht vom Westen beschlagnahmt (weshalb Selenkyij seine 3 Londoner Luxuswohnungen und seine italienische Ferienvilla behalten darf).

Das darf alles nicht verwundern: Selenskyijs Politik ist strikt neoliberal. So war seine „Landreform“ faktisch ein gigantischer Landverkauf. „Zehn Unternehmen kontrollieren 71 % des ukrainischen Agrarmarktes, wie aus den Statistiken des Ukrainischen Getreideverbandes (UGA) hervorgeht. Neben der ukrainischen Oligarchie sind auch multinationale Konzerne wie Archer Daniels Midland (ADM), Bunge, Cargill, Louis Dreyfus und das chinesische Staatsunternehmen COFCO aktiv“ Selenskyijs massive Privatisierungen waren zwar im Interesse von IWF und Weltbank, aber nicht – siehe Zustimmungswerte – der (vermeintlich) „eigenen Bevölkerung“. Diese sah darin nämlich einen Ausverkauf, gar „Verrat“, der im Widerspruch zu seiner nationalistischen Ideologie stünde. Auch deshalb war Selenskyijs Macht zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs durchaus wackelig.

So oder so ist die Ukraine, als „Grenzland“ (so die Bedeutung von Ukraina) als „Land am Rand“ lediglich ein Spielball der Supermächte, bedroht von einer „doppelten Kolonisierung“ (Slavoj Zizek, zwischen Russland und der NATO. So wird Selenskyij nach dem Krieg, sollte der Westen gewinnen, ohnehin bestenfalls noch eine Marionette sein, zu sehr hat er seine Abhängigkeit vom Westen gezeigt, zu massiv sind die wirtschaftlichen Interessen vor allem der USA (die sich den Krieg im Namen ihrer Interessen nicht zuletzt von Deutschland bezahlen lassen, während sie von einer kommenden europäischen Wirtschaftskrise profitieren werden).

Insbesondere die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine wird dabei als „Schlüssel zur regionalen und globalen Vorherrschaft der USA“ betrachtet, so der Ökonom Jeffrey David Sachs (Berliner Zeitung, 30.6.2022). Das ist eine klare Kampfansage gegen Russland. Es geht beim Krieg in der Ukraine also nicht etwa um Menschenrechte (nicht einmal als Alibi), sondern um politische, auch um geopolitische, und um ökonomische Machtinteressen. Dafür wird die Gefahr eines Atomkrieges vom Westen ebenso in Kauf genommen wie die weitere Spaltung der Welt, ungeachtet der Probleme, die eigentlich nur gemeinsam zu lösen wären (Klimakrise, Umweltzerstörung, schwindende Ressourcen, Pandemien, wachsende Armut, Digitalisierung etc.).

Warum auf eine Seite schlagen?

Wenn also Staaten gegeneinander Krieg führen, dann ist das die eine Sache. Doch warum also sollte jemand sich auf eine Seite der Kriegsparteien schlagen? Und warum sollte dies jemand in Deutschland tun, einem Land, das doch ein paar Jahrzehnte lang einen eher pazifistischen Ruf hatte? Ein Blick auf die ehemalige „Sonnenblumen-Partei“, die jahrelang mit der Friedensbewegung eng verwobenen „Grünen“ ist aufschlussreich. Annalena Baerbock weiss, was russische Besatzung bedeutet, nämlich erschossene Zivilisten und vergewaltigte Frauen“ (Zeit online, 1.7.2022). Das ist zwar richtig und verabscheuungswürdig, ist allerdings „Normalität“ jedes Krieges und war allerdings bei den „humanitären Hilfseinsätzen“ der Bundeswehr etwa in Afrika auch nicht anders. Baerbock muss aber an ihren Opa denken, der „als geschlagener Soldat“ (Rede am 9.5.2022 in Frankfurt/ Oder) aus dem Russlandfeldzug zurückkam. Nun, Opa Waldemar war kein einfacher Soldat, er war Wehrmachtsoffizier.

Wenn Baerbock nun „Russland ruinieren“ will, so klingt darin doch noch eine späte Rache an, und mit dieser Stimmung holt sie offenbar immer noch (zu) viele Deutsche ab. Die Grünen sind damit wieder an ihrem Ursprung angekommen, denn was heute den wenigsten bewusst ist: in der Gründungsphase der Partei spielten Rechte eine wichtige Rolle, das Bild einer friedensverliebten Partei war also immer allenfalls nur ein Teil der Wahrheit. Nun erleben wir, dass sich diese Partei wieder positiv auf die Wehrmacht bezieht und die NS-Verbrechen verleugnet. Noch in der Rede vom russischen „Vernichtungskrieg“ werden die Wehrmachtsverbrechen unerträglich verharmlost, und dies ohne hörbaren Widerspruch. Die Grünen forcieren damit eine geschichtspolitische Wende hin zur offensiven Militarisierung der deutschen Politik.

In der späten deutschen Abrechnung mit Russland wird allerdings verdrängt, dass Russland die meisten Weltkriegsopfer hatte (mehr als Nazi-Deutschland), und dass die Deutschen für unzählige Massaker verantwortlich sind. Das schrecklichste aller Massaker fand im ukrainischen Babyn Jar nahe Kiew am 29. und 30.9.1941 statt, über 33.000 Juden wurden innerhalb von 2 Tagen umgebracht. Dies geschah mit eifriger Unterstützung ukrainischer Hilfskräfte und unter dem Beifall von Teilen der örtlichen Bevölkerung, die auch Tage und Wochen danach noch untergetauchte Juden denunzierte und so dem sicheren Tod auslieferte bzw. Juden gleich selbst erschlug (Andreas von Westphalen auf Telepolis, 22.10.2021; Bert Hoppe für Bundeszentrale für politische Bildung, 10.8.2021). Auch der in der Ukraine bis heute so verehrte Faschistenführer Bandera unterstützte die Wehrmacht. Zwar wurde Bandera später von den Nazis inhaftiert – allerdings als „Ehrenhäftling“, sie wussten, was sie an ihm hatten -, aber nur weil er, der extrem nationalistisch war, einen eigenen faschistischen Staat ausrufen wollte. Übrigens: Annalena Baerbock besuchte im April 2022 Estland. Bestandteil war ein Besuch des Denkmals für die Opfer des Kommunismus (Tagesspiegel, 23.4.2022). Ein Denkmal für die vom Nationalsozialismus ermordeten Juden oder die Gedenkstätte am estnischen KZ-Aussenlager Klooga besuchte sie nicht. Auch eine Aussage.

Frieden schaffen mit noch mehr Waffen?

Warum also sich auf Seiten einer Kriegspartei schlagen? Ist nicht die Entscheidung für oder gegen Nationalismus und Militarismus aus Sicht der Bevölkerung, die schliesslich die Kriegskosten zahlt – und das sind nicht nur steigende Energiepreise – viel sinnvoller? Die Profiteure des Kriegs sind die Rüstungsindustriellen, jene, die Zerstörung brauchen, um am Wiederaufbau zu verdienen (internationale Baukonzerne z.B.), um Lebensmittelpreise schachernde Hedgefonds usw., es ist aber nicht die Mehrheit der Bevölkerung. Diese sollte wissen: Waffen bringen in der Regel immer nur noch mehr Waffen, und damit noch mehr Tote, hervor. Übrigens auch indirekt, denn das Militär ist selbst in Friedenszeiten (und wann herrscht je Frieden in der Welt?) für 5% der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich – der Klimawandel bringt seinerseits dann wieder neue Kriege um Ressourcen hervor, ausserdem Klimaflüchtlinge, gegen die die Grenzen dann wiederum militärisch verteidigt werden, statt diese Menschen, deren Lebensgrundlagen der Westen mit seinem Raubbau zerstörte, zu unterstützen.

Also: warum sollten wir dies alles – egal auf welcher Seite – noch unterstützen? In jeder Gesellschaft und zu jeder Zeit gibt es Dinge, die Menschen verbinden und Dinge, die Menschen trennen (Daniel Korth, Graswurzelrevolution Nr. 470) – warum sollten wir uns am inhumanen Trennen beteiligen? Warum nicht lieber das Verbindende suchen? Übrigens, Leidtragende von Sanktionen sind nicht in erster Linie Putin und seine Oligarchen – es ist die einfache Zivilbevölkerung, die vielfach gegen Putin eingestellt ist. Baerbock & Co. sind die möglichen Hungertoten jedoch herzlich egal – die Russen müssen dafür zahlen, dass sie, Opa Baerbock lässt grüssen, den Zweiten Weltkrieg gewannen und nun auch wieder – wie Annalena Baerbock bereits im Mai 2021 in einem Gespräch bei der einflussreichen, NATO-nahen US-Denkfabrik „Atlantic Council“ betonte, als Russen „in einem strategischen Kampf mit uns sind“. Neben Russland ist ihr auch China ein „Systemrivale“ (so Baerbock beim G7-Treffen im Dezember 2021).

Zu Baerbocks Engagement in einflussreichen Lobbyorganisationen gehört auch, dass sie 2020 für das Programm Young Global Leaders durch das World Economic Forum (WEF) nominiert wurde. Zurück zum Krieg: jene Soldaten, die da von deutschen Waffen massakriert werden, sind nicht die Oligarchen – es sind Rekruten, die Putin gezielt nicht aus den Grossstädten, sondern aus den ärmsten Teilen des Landes in die Ukraine schickt (n-tv, 4.8.2022). Es sind, wie so oft in der Weltgeschichte, wieder einmal die Ärmsten, die als erste den Kopf hinhalten müssen für die Interessen der Mächtigen.

Corona & der Krieg

Warum nun ist in Deutschland so wenig Widerspruch gegen den Krieg in der Ukraine sicht- und hörbar? Nun, wir leben im Grunde seit 2020 in einem mentalen Kriegszustand, denn damals wurde der „Krieg gegen das Virus“ (so u.a. Frankreichs Präsident Macron) ausgerufen. Als „Pearl Harbor-Moment“ bezeichnete Trumps Gesundheitsbeauftragter das Virus und verglich es so mit dem Angriff Japans auf die USA. Die Bundeswehr betrieb Akzeptanzschaffung und machte (bis zum Ukraine-Krieg) auf „Corona-Amtshilfe“. Wer abweichende Meinungen hatte, war schnell „Leugner“, „Schwurbler“, „Covidiot“, ein irrer „Aluhut“, der in die Psychiatrie gehört, und sowieso irgendwie „rechts“ (das durch diesen Diskurs wie auch die wegtauchenden, anpasslerischen, verängstigten „Linken“ die Rechten erst stark gemacht werden ist offenkundig – die Rechten können sich da wirklich die Hände reiben, aus eigenen Kräften bekommen sie einen derartigen Aufschwung nicht hin ). Die Beleidigung ersetzte das Argument. Auch wohl begründete abweichende Meinungen wurden nicht nur diffamiert und Menschen damit ausgegrenzt, sondern dies konnte auch massive persönliche Folgen haben.

Ich weiss von gekündigten Journalisten, von eingeschüchterten Pflegekräften, von Künstlern, denen Auftritte gekündigt wurden und von Solchen, die sich nicht trauten, sich zu äussern, aus Angst vor den finanziellen und beruflichen Folgen. „Nur noch 45% der Deutschen geben bei Allensbach an, frei und ohne besondere Vorsicht ihre politische Meinung zu äussern“ (Berliner Zeitung, 24.8.2021). Da sind natürlich auch Menschen dabei, die ernsthaft verschwörungsgefährdet, abweichende Anschauungen als Resultat der „Lügenpresse“ verunglimpfen und deren Meinungen man lieber auch nicht hören mag, dennoch ist dieser Prozentsatz hoch. Dabei wäre es angezeigt, gerade in Krisenzeiten kritisch zu denken, denn in jedem Krieg – auch gegen das Virus – ist die Wahrheit eines der ersten Opfer. Die durch die digitalen Medien verschärften, hysterischen Anfeindungen sind nun ähnlich im Ukraine-Krieg zu beobachten. „Kritische Stimmen werden mundtot gemacht oder auf schwarze Listen gesetzt“ (Berliner Zeitung, 13.8.2022).

Die Erklärung des inneren Ausnahmezustandes bereitete die Zustimmung zum äusseren Krieg vor, mehr noch: Kriege sind nicht einfach eine Form der Aussenpolitik, sie sind eine Konsequenz der Innenpolitik, und ohne die innere Mobilisierung nicht zu gewinnen. Wie beim Virus (vgl. z.B. die „ZeroCovid“-Kampagne) geht es nun auch in der Ukraine um den totalen Kampf, für den alle Mittel recht sind, und um den totalen Sieg. „Für oder gegen Lockdown und Impfpflicht“, Für oder gegen die Ukraine“ (= „Gut oder Böse“): unter dieser debattenfeindlichen, einschüchternden Polarisierung geht es nicht, doch wird diese einfache und grobe Schwarz-Weiss-Malerei der Wirklichkeit nicht gerecht, wie sich vielleicht schon anhand meiner Ausführungen zeigt.

Auch in anderer Hinsicht war die Corona-Politik eine mentale Vorbereitung auf das, was wir jetzt erleben. Schliesslich ging es seit 2020 nicht mehr darum, ein kommunikatives, lustvolles, soziales Leben zu führen, nein, dies war verpönt. Anpassung wurde nun zur „Selbstfürsorge“ aufgewertet. Einschliessen und (mehr oder minder) „freiwilliges Isolieren“ waren angesagt, der Verzicht auf lustvolles Erleben und Genuss wurde propagiert, moralisierendes „Wir müssen Oma schützen“, „solidarisch sein“, das waren die Stichworte. Und nun: dasselbe in – buchstäblich! – grün: wieder haben „wir“ zu verzichten, um „solidarisch zu sein“, erleben moralisierende Diskurse, um „unsere Werte“ durchzusetzen, sollen frieren für die Ukraine. „Solidarität“ wurde zur Drohung, zur Ausschlussformel – für Ungeimpfte oder für russische Menschen gilt sie nicht (apropos „solidarisch Impfen“: Corona-Impfstoffe aus Russland wurden ungeachtet ihrer seit 2021 erwiesenen Wirksamkeit in Deutschland nicht zugelassen). Überall nur Entbehrungen und Enthaltsamkeit, wenn das mal keine „christliche Leitkultur“ ist: Predigen und Fasten. Abstand halten und zusammenrücken, das sind die zwei Seiten der neuen Medaille.

Seit 2020 gibt es statt buntem, freudvollem Leben nur noch nacktes Überleben, und der deutsche Gesundheitsminister stellt dies auch für die Zukunft in Aussicht, kommen wir doch in eine weltpolitische Phase, „wo der Ausnahmezustand die Normalität sein wird“ (Karl Lauterbach, 13.3.2022). Es gibt nur noch eine Wahrheit, und der verhelfen notfalls „Faktenchecks“ zur Gültigkeit. Die Lage scheint fast ausweglos, das Virus ist überall, der Russe womöglich auch, dagegen helfen, wird uns erzählt, neben der Digitalisierung – von der Corona-App bis zur Satellitenüberwachung und militärischen Drohne – nur schwere Geschütze, die biochemische Keule oder die Flak. Die vorläufige Corona-Feuerpause wird nun vom medialen wie militärischen Waffeneinsatz gegen Russland überlagert. Um noch eine Chance gegen die – vermeintlichen oder realen – inneren wie äusseren – Feinde zu haben heisst es, zu aller erst gehorsam zu sein gegenüber den Anordnungen der Regierung.

Der starke Staat ist vom Volk ausdrücklich erwünscht, Widerstand ist zwecklos. Rebellische Outcasts, das Bedürfnis nach Autonomie, das hatte mal einen gewissen chic, verkörperte einen Individualismus, einen Hang zur Selbstverwirklichung, der freilich recht leicht von der neoliberalen Ideologie einzufangen war. Davon ist nichts mehr übrig. Aussenseitertum ist verdächtig, die Lebensfreude hin, heute geisselt sich, wer über die Stränge geschlagen hat („Selbstoptimierung“). Absurd (und vielleicht nur der blindmachenden Angst vor Viren und Russen zu verdanken), dass der „eigene“ Staat nun als Retter wahrgenommen wird, als „Erlöser“, dem wir uns, unserer Erlösung zuliebe, zu unterwerfen haben. Bedingungslos. Die autoritäre Gehorsamspflicht hat eine vielfältige Debattenkultur niedergewalzt wie ein Panzer. Jede offene Debatte wird zudem erschlagen durch „Faktenfinder“, beim Coronavirus ebenso wie jetzt beim Krieg in der Ukraine.

Wie sehr diese vermeintlichen „Faktenfüchse“ ihrerseits Falschmeldungen in die Welt setzten wäre ein eigenes Thema, verfolgt wird hinter dem vermeintlichen Anliegen, Fake News aus der Welt zu schaffen, ein eigener Lehrplan, nämlich Zustimmung zur Herrschaft zu verschaffen: der Herrschaft der „Experten“ an der Seite der Macht, um so die Macht zu zementieren. Nachdenklich machen sollte der Satz von Max Horkheimer: „Die adäquate Gestaltung der Gesellschaft, in der die Fachleute alles beherrschen, ist die totalitäre“ (zit. nach Carl Wiemer: Krankheit und Kriminalität, Freiburg 2001, S. 27). Und wo waren diese Faktenfüchse, als die USA die Legende verbreiteten, irakische Soldaten würden Säuglinge ermorden („Brutkastenlüge“, 1990)? Den Lügen und Verdrehungen der NATO und ihrer Verbündeten widmete sich bislang noch kein „Faktencheck“.

Was nun?

Was wäre nun also zu tun? Wir haben auf keinen Staat zu hoffen, denn es sind nicht die Staaten, die für Frieden sorgen werden. „Putin oder Selenskyij?“ ist die falsche Frage, beides sind nationalistische Fanatiker, die nur Elend über die Menschen bringen. Es sind die Menschen selbst, die für eine bessere, gerechtere, freiere Welt kämpfen müssen. Widerspruch gegen den Krieg gibt es in der Ukraine wie in Russland reichlich – wenn man genau genug hinschaut, denn in deutschen Medien ist davon wenig zu lesen. „Der Spiegel“ behauptete noch im August, auf Russland bezogen: „Stell dir vor, es ist Krieg – und niemand protestiert dagegen“ (Nr. 32, 6.8.2022), Allerdings wird wenige Seiten später im selben Heft festgestellt, dass Hunderttausende Russen das Land verliessen, vor der Ende September in Gang gesetzten Teilmobilisierung wohlgemerkt. Was ja schon mal ein Protest mit den Füssen wäre, wenn nicht ein vehementer Widerspruch gegen den drohenden Militärdienst. Doch was will man von einem Blatt halten, in dem sich Sascha Lobo über „„egozentrische Lumpen-Pazifisten“ mokieren darf (Der Spiegel, ausgerechnet am Hitler-Geburtstag, 20.4.2022), was im Jargon an alte weisse Männer im Deutschland der 1950er, 60er, 70er Jahre erinnert (auch in den 80ern und einige Jahre später gab es sie noch, doch da waren so gesonnene Menschen, im offenkundigen Gegensatz zur Gegenwart, eine unverbesserliche kleine, wenn auch nervende Minderheit).

Ja, es gibt russische Soldaten, die desertieren. Es gibt Menschen in der Ukraine, die diese Soldaten unterstützen. Und es gibt sicher auch Menschen in der Ukraine, die sich gegen die Tilgung alles Russischen und gegen die nationalistische Politik wehren, die den Traum einer „reinen Ukraine“ um jeden Preis verfolgt. Der von der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung in die ukrainische Politik gehievte Ex-Boxer und nunmehrige Bürgermeister von Kiew will Hunderte Strassen und Plätze mit russischen Namen umbenennen „zur Verringerung der wahnhaften Manipulation und des Einflusses des russischen Angreifers auf die Interpretation unserer Geschichte“ (Freitag 36/ 2022).

Es gibt auch noch immer zu wenig Informationen über die russische Antikriegs-Bewegung (in den letzten Wochen wird es langsam mehr), die zum Widerstand gegen den Krieg in der Ukraine wie auch gegen Putin aufruft, die online, aber auch auf den Strassen präsent ist – allerdings auch massiv unterdrückt wird. Es gibt kaum Informationen über jene Saboteure, die in Russland schon Dutzende von Militärrekrutierungsbüros niedergebrannt haben sollen. Unabhängige Berichterstattung aus der Ukraine und Russland zu unterstützen wäre also eine wichtige Aufgabe. Auch Desertion auf allen Seiten wäre zu unterstützen. Russische Deserteure bekommen allerdings in Polen und den baltischen Staaten kein Asyl, da Kriegsdienstverweigerung dafür kein „hinreichender Grund“ sei. Auch Deutschland mauerte bisher, momentan scheint sich die Praxis zu ändern, doch die Aufnahme ist umstritten. „Russen mit demokratischer Gesinnung hätten das Land meist schon längst verlassen“, meint der „Deutschlandfunk“ (23.9.2022), man will also jene dem russischen Staat ausliefern, die angeblich zu lange „apathisch“ (ebd.) und zögerlich gewesen seien, schliesslich sollten diese in Russland gegen den Krieg kämpfen statt feige zu flüchten. Deutsche dürfen solche Ratschläge geben, sie haben schliesslich viel Erfahrung in massenhaftem Protest gegen kriegführende Despoten im eigenen Land.

So werden noch zynisch Flüchtlinge sortiert: aus der Ukraine willkommen, aus Russland nicht.

Allerdings: nur gegen den Krieg sein reicht nicht. Kern des Übels sind ganz offensichtlich die Staatlichkeit und die zerstörerische kapitalistische Weltökonomie. Ohne konsequente Ablehnung dieser Unterdrückungsverhältnisse wird niemals wirklich Frieden existieren. Konkret treffen Kriege die sozial schlechter Gestellten am massivsten, Kriege ruinieren jeden Gedanken an Klimaschutz buchstäblich nachhaltig, in Kriegszeiten zeigen sich besonders deutlich die Gefahren der Atomenergie, in Kriegszeiten werden die Lebensbedingungen auch weitab der Kriegsschauplätze unsicherer, Preise steigen, Reallöhne sinken etc. Eine umfassende Anti-Kriegs-Bewegung muss sich also mit anderen sozialen Bewegungen verbinden, mit der Klimabewegung wie mit den Arbeitskämpfen. Auf die fragmentarischen Reste dessen, was einst die „linken“ Bewegungen waren, wird man dabei kaum bauen können, da diese sich spätestens mit der Corona-Pandemie selbst aufgehoben haben. Doch warum eigentlich können sich Menschen in vielen Regionen der Erde eher das Ende der Welt vorstellen als das Ende einer durch Staaten und Kapitalismus geknebelten, erpresserischen und ausbeuterischen Weltordnung?

Ich möchte mit den abschliessenden Worten an den 2010 verstorbenen us-amerikanischen Politologen und Historikers Howard Zinn erinnern. Dieser äusserte einmal: „Aus historischer Sicht sind die schrecklichsten Dinge – Krieg, Völkermord und Sklaverei – nicht auf Ungehorsam, sondern auf Gehorsam zurückzuführen“. Es braucht offenbar eine Zerstörung dieses Gehorsams. Denn, so noch einmal Zinn: „Man sagt, das Problem sei ziviler Ungehorsam. Aber das ist nicht unser Problem. Unser Problem ist der zivile Gehorsam. Unser Problem ist die grosse Anzahl von Menschen auf der ganzen Welt, die dem Diktat ihrer Regierung folgen und deshalb in Kriege ziehen, in denen dann Millionen Menschen wegen diesem zivilen Gehorsam getötet werden“.

Der Autor ist Mitverfasser des Buches „Nie wieder Krieg ohne und – Deutschland und die Ukraine“, das 2022 in der Edition Critic erschien (ISBN 978-3-946193-38-8).

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Description ukraine_2022_IMG_8525
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Author Enno Lenze

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2. ) Von Oben        —     Верховный Главнокомандующий Владимир Путин посетил военный полигон Западного военного округа в Рязанской области, где проверил ход подготовки мобилизованных военнослужащих.

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Die Politik sucht Helden

Erstellt von DL-Redaktion am 31. Oktober 2022

Die Wahrheit ist stets das erste Kriegsopfer

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Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Wir mögen es micht wahrhaben, aber wir leben in Kriegszeiten, mit einem Krieg vor der Haustüre, vorgeführt wie in einem Theater.

Nur die heute Über-Achtzig-Jährigen haben noch eigene Kriegserfahrung und die Erinnerung, dass auch der Zweite Weltkrieg herbeigeredet worden ist, mit Lügen, falschen Versprechen, Illusionen. Während Hitler sich der Verantwortung durch Selbstmord entzog, wollen z.B. US-Politiker ihre Hände seit dem Vietnam-Krieg in Unschuld waschen. So erklärte der seinerzeitige US-Verteidigungsminister McNamare noch 1995, dass er bis heute nicht wisse, was am 2. und 4. August 1964 im Golf von Tonkin geschah.

Damals wurde von den USA wahrheitswiedrig behauptet, dass der US-amerikanische Zerstörer Maddox im Golf von Tonkin von nordvietnamesischen Torpedobooten angegriffen worden sei. Und das war genug, einen verheerenden Krieg in Vietnam auszulösen. Ein amerikanischer Freund, der deswegen eingezogen wurde, wusste nicht einmal, wo Vietnam lag und was er dort sollte. Seine Erfahrung war dann ein zerschossenes Bein und lebenslanges Humpeln. Und McNamara kann sich an den Grund für den grausamen Vietnamkrieg mit drei Millionen Toten nicht erinnern!

Seit Vietnam haben die USA mit Lügen, Unterstellungen und machtgeil Kriege im Irak bis hin in Afghanistan geführt und allesamt verloren. Und im Stellvertreterkrieg in der Ukraine geht es konsequent weiter. Die USA wissen immer ein paar Tage voraus genau, was Russland macht, halten sich zwar militärisch bedeckt im Hintergrund, stacheln aber die NATO und die Ukraine auf und heizen ihre Militärindustrie kräftig an. Russland verhält sich ebenso. So wiegeln sich die beiden Supermächte gegenseitig auf, bis irgendwann die Sicherung durchknallt und tausende unschuldiger Menschen ihr Leben lassen müssen.

Der Auslöser der heutigen Kriegssituation ist der Einfall von Russland. Der Grund dafür liegt jedoch Jahre zurück mit dem Vorrücken der NATO direkt an die russische Grenze und weltweit. Stets auf Druck und mit Machtphantasien der USA. Was, bitte, hat ein deutsches Kriegsschiff im Chinesischen Meer zu suchen? Und warum wird heute so infam gegen China als Feind Nr.1 gestänkert, obwohl China noch nie in seiner Geschichte kriegerisch gegen ein Land außerhalb seiner Grenzen vorgegangen ist?

US soldiers Iraq

Es sind wohl Bequemlichkeit und Bildungslücken, die uns immer wieder den kriegstreibenden Lügenmärchen insbesondere der USA Glauben schenken lassen. Bis wir uns dann verdutzt die Augen darüber reiben, dass wir unmittelbar selbst betroffen sind. Aber dann ist es oft zu spät! Es darf uns nicht kalt lassen, dass wir nach der anfänglichen Zusage der Bereitstellung von Kriegshelmen heute bei der Lieferung schwerster Waffen an die Ukraine angekommen sind.

Dauernde Eskalation und immer kompliziertere Lügenmärchen haben uns an den Rand eines Krieges direkt bei uns manövriert. Aber hinterher will es keiner gewesen sein. Pathetisch verkündet unser Bundespräsident, dass ie Friedensdividende aufgezehrt sein. Mitnichten! Frieden ist eines der höchsten Güter und ohne wenn und aber anzustreben. Diese Wahrheit dürfen wir nicht von machtgeilen Politikern durch Kriegstreiberei oder gar Kriege massakrieren lassen. Und immer wieder fragen: Was ist Wahrheit und was ist Lüge?

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Oben      —      „War 2“ by Carlos Latuff.

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Unten     —        US soldiers Iraq

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Krieg oder Frieden

Erstellt von DL-Redaktion am 29. Oktober 2022

Keine dogmatische Gesinnungspolitik

Von   :     Rüdiger Lüdeking

Trotz wachsender Unsicherheit und Weltunordnung: Die globalen Herausforderungen erfordern eine friedliche Koexistenz und Zusammenarbeit über Differenzen hinweg.

Der Krieg in der Ukraine befindet sich bekannterweise in einer besonders gefährlichen Phase. So überrascht, mit welcher Unbekümmertheit die Eskalationsrisiken in der deutschen Debatte vielfach übergangen werden. Auch ein nicht völlig auszuschließender Einsatz von taktischen Nuklearwaffen durch Russland scheint vielfach nahezu „eingepreist“ zu werden. Es geht unverändert zentral um die Frage der Lieferung schwerer Waffen. Die moralisch aufgeheizte Debatte vermittelt den Eindruck, dass sich hier das Gute und das Böse schlechthin in Gestalt Wladimir Putins beziehungsweise Russlands gegenüberstehen.

Die Notwendigkeit, die Ukraine zu unterstützen, wird letztlich damit begründet, dass die Ukraine einen Stellvertreterkrieg führt, dass sie für und damit letztlich im Namen der Nato und des Westens Werte wie Demokratie, Freiheit und Menschenrechte verteidigt. Interessanterweise spricht auch das russische Regime von einem Stellvertreterkrieg, den die Ukraine für den Westen führt. Ziel dieser Propaganda ist, die Kriegsschuld abzuwälzen, die militärischen Rückschläge Russlands in der Ukraine zu relativieren und gleichzeitig eine Drohkulisse aufzubauen, um westliche Staaten von weiteren militärischen Unterstützungsleistungen für die Ukraine abzuschrecken.

Der Begriff Stellvertreterkrieg ist falsch und irreführend. Die Nato oder der Westen befinden sich eben nicht in einer militärischen Auseinandersetzung mit Russland, die in einem Drittland, der Ukraine, ausgetragen wird. Ebenso wenig kämpfen die ukrainischen Streitkräfte im Auftrag und im Namen des Westens. Auch die vielfach an die Fehlinterpretation von Stellvertreterkriegen geknüpfte überhöhte Erwartung, dass Russland im Falle eines Sieges gegen die baltischen Staaten und andere Mitglieder der Nato vorgehen würde, ist Unsinn. Für eine solche Absicht gibt es in der Vorgeschichte zum Krieg keinerlei Anhaltspunkte. Dazu kommt: Zu einem konventionellen Angriff auf die Nato dürfte Russland nach dem Ukrainedebakel über lange Jahre hinweg nicht mehr fähig sein.

Dennoch ist die Unterstützung der Ukraine in der jetzigen Situation notwendig, denn letztlich geht es um die Wahrung für die regelbasierte Weltordnung zentraler, nicht nur im Interesse westlicher Demokratien liegender Prinzipien: das Verbot von Angriffskriegen und die Gewährleistung territorialer Integrität. Russland verstößt in eklatanter Weise gegen diese Prinzipien und geht gar so weit, der Ukraine die Existenzberechtigung als selbständiger Staat abzusprechen.

Sollte Putin mit seinem völkerrechtswidrigen militärischen Angriff Erfolg haben, würde das einen folgenschweren Präzedenzfall schaffen. Der Rückfall in das alleinige Recht des Stärkeren würde zu chaotischen Verhältnissen führen. Die Unterstützung für die Ukraine ist darauf angelegt, dass sich die Ukraine als eigenständiger und lebensfähiger Staat in gesicherten Grenzen behaupten kann. Sie ist militärisch bewusst begrenzt, um zusätzliche Eskalationen bis hin zu Nuklearschlägen zu vermeiden. Das ist zudem ein Signal an Moskau, dass es nicht – wie die russische Propaganda meint – um die Unterwerfung Russlands geht. Der Westen befindet sich mitnichten im Krieg mit Russland. Auch in dieser Hinsicht ist also die Mär von einem Stellvertreterkrieg irreführend.

Beim Thema Stellvertreterkrieg geht es letztlich um die Einordnung des Krieges in der Ukraine, die Haltung zu der sich dynamisch entwickelnden Weltordnung, um eine Entideologisierung und Versachlichung der Debatte. Und es geht um Realpolitik: Bei aller verständlichen Empörung über den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und die Kriegsverbrechen kann es der Nato nicht um einen ideologischen Kampf gegen ein autokratisch-faschistoides Russland oder dessen Niederringung gehen. Vielmehr muss angesichts der steigenden Eskalationsgefahr, aber auch der enormen menschlichen Opfer und Schäden die rasche Beendigung der Kriegshandlungen im Vordergrund der Bemühungen stehen.

Trotz der jüngsten beeindruckenden Erfolge der ukrainischen Streitkräfte bleibt der Ausgang des Krieges ungewiss; die von Putin dekretierte Mobilisierung von mehreren 100.000 Reservisten deutet vielmehr darauf hin, dass Putin keinesfalls aufgegeben hat.

Die USA stehen in einer besonderen Verantwortung, um eine diplomatische Lösung und das rasche Ende der Kriegshandlungen voranzutreiben. Problematisch ist, dass es – anders als in der Kubakrise vor 60 Jahren – keine funktionierende Krisenkommunikation zwischen den beiden Atommächten zu geben scheint. Die Kuba­krise hat gezeigt, wie entscheidend eine wirksame Krisenkommunikation ist, um Fehlkalkulationen und in letzter Konsequenz einen Atomkrieg zu vermeiden. Einmal mehr gilt jetzt, sich nicht von moralischer Empörung und Abscheu und Verachtung für Putin, sondern strikt von Interessen leiten zu lassen.

Praktisch können die USA unter Berufung auf Artikel IV des mit Moskau 1973 geschlossenen Abkommens zur Verhinderung eines Atomkriegs den sofortigen Eintritt in dringende Konsultationen fordern. Dabei stehen dann beide in der Verpflichtung, alles zu unternehmen, um das Risiko eines nuklearen Konflikts abzuwenden. Eine anzustrebende diplomatische (Zwischen-)Lösung muss natürlich darauf bedacht sein, im Interesse der Wahrung der eingangs genannten zentralen Prinzipien der internationalen Ordnung keinen falschen Präzedenzfall zu schaffen. Dennoch dürfen bittere und schwierige Kompromisslösungen nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

Optimistisch, dass ein solcher Ansatz gelingen könnte, stimmt die aktuelle Lage sicher nicht. Trotzdem steht zu viel auf dem Spiel. Nichts darf unversucht bleiben, um die Möglichkeiten einer Kriegsbeendigung auszuloten. Das Verständnis, nicht in einen Stellvertreterkrieg verwickelt zu sein, kann dabei den Weg zu realpolitischen Lösungsansätzen erleichtern. Natürlich müsste auch die Ukraine in einen solchen Prozess in geeigneter Weise eingebunden sein.

Ein verändertes Verständnis zur eigenen Rolle im Krieg sollte auch den Blick für die Risiken der Entwicklung der Weltordnung schärfen. Es geht eben nicht um einen Krieg zwischen Demokratien und Autokratien. Ebenso wenig sollte die sich abzeichnende neue Weltordnung auf eine solche Bipolarität reduziert werden. Schon der Kotau, den westliche Staaten vor auch unappetitlichen autoritären Regimen wie Saudi-Arabien im Interesse der eigenen Energiesicherheit zu machen bereit waren, signalisiert, dass die Versteifung auf eine derartige politische Frontstellung schon jetzt den politisch Handelnden wenig realistisch erscheint, selbst wenn immer wieder die „Wertegeleitetheit“ der Außenpolitik beschworen wird.

Es gibt keinen festgefügten Block von autoritären Staaten. Darüber können auch die Bemühungen von Russland und China nicht hinwegtäuschen, die Beziehungen zu autokratisch verfassten Regimen zu vertiefen. Und der Westen sollte einer Blockbildung durch eine ungeschickte Konfrontations- und Abgrenzungspolitik ohne Augenmaß keinesfalls Vorschub leisten.

Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei zentralen, durchaus auch demokratisch verfassten Staaten der Dritten Welt gelten. Russland und China umwerben diese Staaten, um sie auf ihre Seite zu ziehen oder zumindest zu neutralisieren.

Quelle       :       TAZ-online        >>>>>        weiterlesen

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Oben      —     Kunstwerk mit dem Titel „Occupation feeds hate!“ von Carlos Latuff.

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Boykott ins Abseits

Erstellt von DL-Redaktion am 28. Oktober 2022

Wäre nicht die einzig richtige Medizin –
Eine Trennung zwischen Staat und Religion ?

Die Auserwählten und die Gejagten

Ein Debattenbeitrag von Markus Bickel

Israels nächster Regierung könnten rechtsextreme Parteien angehören. Nur ein egalitärer jüdisch-palästinensischer Schulterschluss kann den Rechtsruck stoppen. Bei geringer arabischer Wahlbeteiligung steigen die Chancen für Netanjahu und seine rechten Verbündeten.

Es ist die fünfte Wahl in dreieinhalb Jahren: Am Dienstag wählt Israel eine neue Knesset, wobei sich alles um die Frage dreht, ob es Benjamin Netanjahu und seinen ultranationalistischen und religiösen Verbündeten gelingt, mehr als 60 der 120 Sitze zu erringen. Sollten sie das schaffen, droht in Jerusalem die rechteste Regierung seit der Zweiten Intifada vor 20 Jahren – möglicherweise mit einem bekennenden Rechtsex­tre­mis­ten als Minister. „Gewiss“ gebe es Platz für Ita­mar Ben-Gvir in seinem Kabinett, versicherte der nach 16 Monaten in der Opposition zurück an die Macht drängende Netanjahu im Wahlkampf dem Shootingstar der radikalen Rechten. Ben-Gvirs Partei Jüdische Stärke tritt gemeinsam mit Netanjahus Likud sowie dem rechtsnationalistischen Religiösen Zionismus Bezalel Smotrichs an.

Was eine Regierungsbeteiligung des der neofaschistischen kahanistischen Bewegung nahestehenden Ben-Gvir für das Zusammenleben zwischen den 2 Millionen palästinensischen und den rund 7 Millionen jüdischen Israelis bedeuten würde, hat der 46-Jährige wiederholt selbst deutlich gemacht. Sein arabophobes Programm liest sich wie der Aufruf zum Bürgerkrieg: Deportation „illoyaler“ arabischer Bürger Israels, erzwungene Emigration von Palästinensern nach Europa sowie die Zerschlagung der Autonomiebehörde von Mahmud Abbas in Ramallah, um nur einige Punkte zu nennen.

Die xenophoben Parolen von Politikern wie Ben-Gvir und Smotrich stoßen vor allem in der israelischen Peripherie auf Zustimmung – in den von Netanjahus Likud vernachlässigten Gemeinden im Süden Tel Avivs etwa, im Negev und am Rande des Gazastreifens. Unter den 2 Millionen palästinensischen Israelis hingegen wecken sie neue Ängste vor pogromartigen Ausschreitungen wie im Mai 2021. Im Schatten des elftägigen Gaza-Kriegs hatten vor anderthalb Jahren jüdische Ex­tre­mis­ten in binationalen Städten wie Akkon, Ramla und Jaffa regelrecht Jagd auf arabische Einwohner gemacht. An fast allen Schauplätzen der Gewalt an vorderster Front dabei: rechte Siedler aus dem Westjordanland.

Der gesellschaftliche Kitt wird aber auch von palästinensischer Seite bedroht: In Lod verhängte die Armeeführung im Mai 2021 den Ausnahmezustand, nachdem arabische Bewohner der binationalen Stadt jüdische Bürger angegriffen und Synagogen angezündet hatten. Von einer neuen „Kristallnacht“ war die Rede; viele Israelis stellten bestürzt fest, wie schmal der Grat zwischen vordergründig freundschaftlichen nachbarlichen Beziehungen und bewaffnetem Konflikt ist. Der Schreck unter den linken und zentristischen Parteien der Anti-Netanjahu-Allianz über die interkonfessionellen Ausschreitungen war größer als der über die elftägigen Angriffe der israelischen Luftwaffe auf den Gazastreifen.

Berliner und israelische Mauern

Das Ergebnis politischer Versager wird heute als „Nazi“-onale Staatsräson geadelt !

Seitdem sind von linker Seite die Rufe nach einer dezidiert jüdisch-palästinensischen Partei wieder lauter geworden. „Ich bin der Meinung, dass eine egalitäre jüdisch-arabische sozial­demokratische Linkspartei gegründet werden sollte“, fordert etwa die Vorsitzende der sozialdemokratischen Meretz-Partei, Zehava Galon, gegenüber der taz. „Eine Partei, die Menschen, die für Gleichheit einstehen und für ein gemeinsames Leben von Juden und Arabern, Antworten geben kann.“ Doch in der aufgeheizten öffentlichen Debatte stößt nicht der Ruf nach friedlichem Zusammenleben und demokratischem Ausgleich auf Zustimmung, sondern die Parolen des rechten Blocks. „Leider gibt es in der jüdischen ­Öffentlichkeit immer noch großes Misstrauen gegenüber einer solchen Partei“, so Galon ernüchtert.

Die ethnokonfessionell motivierten Ausschreitungen von Mai 2021 sind das Ergebnis eines Jahrzehnts rechter Hetze, die durch Netanjahu befördert wurde. Immer intoleranter wurden die Kabinette, die er angesichts schwindender Stimmen für seinen Likud zusammenstellte. Netanjahu goss auch selbst Öl ins Feuer: Als „existenzielle Bedrohung“ beschrieb er in der Vergangenheit israelisch-arabische Politiker, die das Ziel verfolgten, „uns alle auszulöschen“. Und der diesen Sommer nach nur einem Jahr als Ministerpräsident aus dem Amt geschiedene Naftali Bennett verglich noch 2018 palästinensische Terroristen mit Moskitos.

Quelle       :        TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Kämpfen für den Frieden

Erstellt von DL-Redaktion am 27. Oktober 2022

Eine Replik auf den Kommentar von Franz Alt

Ein Debattenbeitrag von Jens Uthoff

Pazifisten, die Zhadan als Militaristen und Völkerhasser bezeichnen, haben ihn nicht verstanden. „Vielleicht kann man das verstehen, wenn man sieht, wie vor einem auf der Straße ein Mensch getötet wird“

Wer das Morden, das Metzeln und den Vernichtungswillen seitens der russischen Armee aus nächster Nähe erlebt und für den dabei empfundenen Ekel, für Abscheu und Hass drastische Worte findet, dem sollte man erst einmal Verständnis entgegenbringen. Serhij Zhadan wählt in seinem Kriegstagebuch „Himmel über Charkiw“ krasse Worte, er schreibt über russische Soldaten als „Abschaum“, „Unrat“ und „Barbaren“. Wer das zitiert, sollte auch die Kontexte nennen: Es geht um den Angriff auf den Bahnhof in Kramatorsk, um Raketen, die unweit von Zhadans Wohnung einschlagen, um reihenweise ermordete Zivilisten. Um Butscha. Oder eben: um Barbarei.

Einige, wie Franz Alt in der taz, halten Zhadan nun für keinen würdigen Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Nicht nur wegen seiner Wortwahl, sondern auch, weil er sich bedingungslos hinter die ukrainische Armee stellt und damit sicher nicht nur Leute unterstützt, die politisch unverfänglich sind. Doch aus der deutschen „Komfortzone“ (Zhadan) heraus, in der die aktuell dringlichsten Probleme 19 Grad Raumtemperatur und Heizkostenrechnungen sind, lassen sich derlei Urteile auch bequem fällen.

Als Erstes sollte man das Missverständnis aufklären, Zhadan werde „für“ seinen „Hass im Krieg“ geehrt, wie Alt impliziert. Der ukrainische Autor wird für sein Wirken und Werk ausgezeichnet, für Romane wie „Internat“ (2017), der ebendiese Verrohung, Verfinsterung und Verkommenheit im Krieg dicht nachzeichnet. Für die Gedichte in „Antenne“ (2020), in denen er die westliche Ignoranz seinem Land gegenüber anprangert. Dafür, dass er vor Kindern in der Charkiwer Metro Konzerte spielt. Und, ja, auch dafür, dass er unermüdlich Geld für Hilfsgüter und die Armee sammelt. Für Humanität.

Das Wichtigste zu „Himmel über Charkiw“ sagte Zhadan während der Pressekonferenz bei der Frankfurter Buchmesse: „Ich glaube nicht, dass Wut und Hass in dem Buch die zentrale Rolle spielen“, erklärte er. Damit hat er recht. Die Worte des Hasses werden von deutschen Pazifisten aus diesem Werk mit der Pinzette herausgepickt und unter dem Mikroskop gewendet. Und: „Vielleicht kann man das [die hasserfüllte Reaktion] verstehen, wenn man sieht, wie vor einem auf der Straße ein Mensch von einer Rakete getötet wird. Das ist nicht der Moment für politisch korrekte Worte.“ Auch die ukrainische Autorin Tanja Maljartschuk konstatierte in Frankfurt, wie gefühlskalt sie geworden sei.

Zhadan sagt, er glaube nicht, dass sich die Ukrainer für ihre emotionalen Worte rechtfertigen müssten. In seinem Buch – einfach mal den Epilog lesen – setzt er sich differenziert mit dem Sprachverlust auseinander. „Himmel über Charkiw“ sieht er nicht als literarisches Werk. Es sind Facebook-Posts, die ungefiltert seine Kriegswahrnehmung wiedergeben, als solche betrachtet er sie: Ansichten einer Kriegspartei. Sein Verlag machte ein Buch daraus.

Er sei keinesfalls russophob, und doch hält er den Krieg nicht bloß für „Putins Krieg“, sondern für einen, der von vielen propagandaverstrahlten Russinnen und Russen mitgetragen wird. Das sehen regimekritische russische Men­schen­recht­le­r:in­nen und Au­to­r:in­nen nicht anders. Man lese einmal den russischen Autor Arkadi Babtschenko („Im Rausch“), auch der schreibt sich in Rage über seine Landsleute als „Schweinehunde“ und darüber, „dass sich ein ganzes Volk innerhalb weniger Jahre in eine Masse von Charakteridioten verwandeln lässt“. Er vergleicht den Putin’schen Propagandaerfolg mit dem Goebbels’schen. Wollen die deutschen Pazifisten etwa, dass man die Faschisten auch noch mit netten Adjektiven streichelt?

Wer aus Zhadan einen Militaristen und Völkerhasser macht, verkehrt die Verhältnisse. In seiner Friedenspreisrede sagte Zhadan: „Wir unterstützen unsere Armee nicht deshalb, weil wir Krieg wollen, sondern weil wir unbedingt Frieden wollen.“ Klarer geht’s nicht. In seiner Heimatstadt Charkiw liest er regelmäßig vor Soldaten und gibt mit seiner Band Konzerte. Er ist auch vor Bataillonen aufgetreten, die dem ultranationalistischen und rechtsextremen Spektrum zugeordnet werden. Die Situation gibt es nicht anders her.

Ein Rechter ist er deshalb noch lange nicht, wer ihn dazu macht, dient der russischen Propaganda. Schon 2014, in der Debatte über Rechtsextremisten beim Euromaidan, unterschrieb er eine Erklärung mit dem Wortlaut: „Wir sind friedliche Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft aus verschiedenen Regionen der Ukraine. Wir sympathisieren nicht mit den rechtsradikalen Organisationen.“ Auf die Frage, ob er sich als Nationalist oder Patriot bezeichne, sagte er dem Calvert Journal: „Ich bin kein Nationalist. Ein Patriot – das ja.“ Doch der Begriff Patriot sei in der Ukraine anders konnotiert als in Westeuropa oder den USA.

Quelle      :         TAZ-online       >>>>>          weiterlesen

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Oben      —     House in Zaporizhzhia after Russian strikes on the city with S-300 rockets in the morning of 21 October 2022. The house, a school and infrastructure objects were damaged.

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Unten       —     National Guard of Ukraine demines Kharkiv Oblast after liberation from Russian occupation.

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Noch ein Wirtschaftskrieg?

Erstellt von DL-Redaktion am 19. Oktober 2022

Deutschland in der Digitalisierungs-Offensive

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Quelle       :        Scharf  —  Links

Von    :     Johannes Schillo

Einer Sache kann sich heutzutage – glaubt man den offiziellen Ansagen – kein Mensch mehr entziehen: der Digitalisierung. Eine neue Streitschrift stellt diesen Megatrend, der „uns alle“ betreffen soll in Frage. Dazu ein Gespräch mit dem Buchautor Peter Schadt.

Schadt, Sozialwissenschaftler und Gewerkschafter, hat vor zwei Jahren eine große Studie zur „Digitalisierung der deutschen Autoindustrie“ vorgelegt (siehe Scharf links, 19.12.20 und 9.3.21). Bei Unternehmerverbänden oder politischen Propagandisten einer schwarzrotgoldenen „Industrie 4.0“ dürfte sie nicht für Begeisterung gesorgt haben. War sie doch im Grunde eine einzige Warnung an die Adresse der Arbeitnehmer, sich nicht für dieses Programm – für eine neue Kampfansage, die vom Standort D in alle Welt ausgeht – zu erwärmen. Jetzt hat Schadt in einer kompakten Streitschrift (https://www.papyrossa.de/neuerscheinung-92) seine Kritik zugespitzt und auf das ganze digitale Innovationswesen gerichtet. Hier ein Gespräch mit dem Autor zur Frage, was er als kritisches Basiswissen in dieser Sache anzubieten hat.

Ein Sachzwang, dem keiner auskommt?

Digitalisierung kennt doch jeder. Sie kommt, ist zu großen Teilen schon da – jetzt muss sie nur noch „gestaltet werden“, wie uns Wirtschaftsführer oder Politiker dauernd versichern. Dass es hochinteressante Perspektiven gibt, dass man aber auch aufpassen muss, ist jedem (kritischen) Zeitgenossen klar. Es soll ja sogar ein digitaler „Überwachungskapitalismus“ drohen usw. Um die Frage des Richtig-Machens dreht sich demnach alles. Was ist denn schon am Ausgangspunkt dieser Bedenken oder Beschwörungen faul, so wie Dein Buch es behauptet?

Schadt: Es ist erstmal sachgerecht, dass Manager und Politik sich den Möglichkeiten der neuen Technik als eine Herausforderung stellen, die es zu meistern gilt. Die Gefahr besteht für diese dann zumeist darin, von anderen Konzernen oder Staaten abgehängt zu werden und in der Konkurrenz ins Hintertreffen zu geraten. Die Chance ist umgekehrt, andere abzuhängen. Entsprechend wurde Wahlwerbung mit Sprüchen wie „Digitalisierung first, Bedenken second“ etwa von FDP-Lindner gemacht.

Auf einem anderen Blatt steht, inwiefern man als Arbeitnehmer diese Stellung einfach übernehmen und an sich und andere die kritische Frage stellen sollte, wie „die Digitalisierung“ gut gestaltet wird. Das unterstellt nämlich ein gemeinsames Interesse aller Beteiligten am Vorankommen dieser Nation, ihrer Rechnungsweise und ihres Kapitals. Da setzt meine Kritik an, und ich will das hier mal an einem Punkt entwickeln. Dass gerade die ökonomische Rechnungsweise darin besteht, ein besonders günstiges Verhältnis von investierter zu erlöster Summe zu erzielen, ist wirklich kein Geheimnis. Was allerdings weniger Beachtung genießt, ist die Sorte Produktivität, die daher mit der Digitalisierung erreicht werden soll. Das heißt nämlich für die Beschäftigten, dass der oder die Betreffende –gleichbleibenden Lohn unterstellt, was in der Inflation aktuell schon ziemlich selten der Fall sein dürfte – jetzt in der Arbeitsstunde mehr herstellt, aber gleich viel verdient. Wenn also die Produktivität des Kapitals steigt – mit der gleichen Lohnsumme mehr Produkte geliefert wird –, sinkt die Produktivität, auf die es dem Arbeiter ankommt: Der muss jetzt mehr herstellen, um auf den gleichen Lohn zu kommen.

Der Ausgangspunkt – wie Du es nennst – meiner kleinen Streitschrift ist also der sehr generelle Einspruch gegen eine Debatte, bei der das „große Ganze“ beschworen wird, für das „wir“ alle uns einzusetzen haben. Wer nicht zufällig diesen Laden leitet oder eine smarte Fabrik besitzt, sollte sich das nicht einleuchten lassen, der ist nämlich selbst ein Kostenfaktor in dieser Kalkulation. Bei Marx heißt das wenig liebevoll, aber sehr treffend: Der ist variables Kapital.

Apropos Marx: An dessen Erklärung schließt Du Dich ja an. Vom ökonomischen Gehalt her gesehen ist Digitalisierung demnach nichts Neues, eben eine Methode, den Ausbeutungsgrad in der Konkurrenz zu erhöhen. Dargestellt wird die Sache aber als eine absolutes Novum. Ganz Deutschland soll in Gefahr sein, den Anschluss ans 21. Jahrhundert zu verlieren.

Schadt: Über die wenig überraschende Auskunft meiner kleinen Sammlung an ‚Argumenten gegen das Dafürsein‘ – dass die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus nach wie vor gelten –, sollte nicht übersehen werden, was alles an Neuem festzuhalten ist: So ist zum Beispiel das moderne Auto nicht mehr nur Produkt, sondern liefert Fahrdaten an die Autokonzerne, die unter anderem fürs autonome Fahren benötigt werden. Insofern wird das Produkt selbst zum Produktionsmittel für andere Produkte. Da steckt schon einiges an ökonomischer Sprengkraft drin, weshalb ich diese Dopplung auch wenig liebevoll als ‚Dual-Use‘ der digitalen Technik bezeichne.

Auf der Grundlage des ebenfalls nicht neuen Prinzips des geistigen Eigentums sind dann auch einige Fortschritte zu verzeichnen. Zwar werden auch Autos und Möhren nur zu Waren, wenn und insofern der Staat sie mit seiner Gewalt als Privateigentum garantiert; dennoch gibt es hier beachtenswerte Unterschiede zum ‚geistigen Eigentum‘, wie es in Daten vorliegt. Die können nämlich der Sache nach erstmal nahezu unendlich vermehrt werden, ohne dass nennenswerte Zusatzkosten entstehen. Damit aus einem Datensatz also ein brauchbares, weil zur Quelle von Reichtum gewordenes Stück Privatmacht wird, braucht es zwar ebenfalls den Staat. Der hat es aber mit ganz neuen Herausforderungen bei der Durchsetzung dieses Eigentums zu tun. Die prinzipielle Vervielfältigung und Verwendung der Daten soll dabei auch nicht einfach verboten werden, weil deren kapitalistischer Nutzen ja nicht im generellen Ausschluss, sondern gerade in ihrer Nutzung liegt. Wie allerdings sollen Daten einerseits genutzt werden, andererseits trotzdem geschützt sein? Da gibt es also eine ganze Menge zu klären, was den Prinzipien dieser schönen Gesellschaft allemal entspricht, was man aber auch nicht einfach dem Studium der drei dicken blauen Bände entnehmen kann.

Wir“ und die anderen

Nicht nur, aber auch dafür soll der Standort sich einer kompletten „Transformation“ unterziehen, damit er den Kampf um „Digitale Souveränität“ gewinnt und „Technologie-Führerschaft“ erlangt; er muss dominieren, darf nicht von anderen abhängig oder zur „verlängerten Werkbank“ degradiert werden, muss statt dessen Standards setzen, bevor andere es tun usw. usf. Ein ziemlich martialisches Programm?

Schadt: Ja. Und das beginnt lange vor den Drohnen und der digitalen Kriegsführung. Da zumindest gibt es öfter mal Zweifel, ob das zielgenaue Töten fremder Landsmannschaften so unmittelbar was mit dem eigenen Nutzen zu tun hat. Auch da sind jetzt Fortschritte zu beobachten, weil man allgemein zu dem Schluss gekommen ist, dass die Militärmaschinen für die BRD schon schwer in Ordnung gehen, weil man – ganz zufällig, wie in jedem Krieg der Weltgeschichte bisher, aber dieses Mal ganz wirklich – auf der Seite des Guten und Schönen und Menschlichen steht. Also, da wird eben zumindest mal in Erwägung gezogen, dass es martialisch und brutal zugeht.

Ziemlich selten dagegen wird sich mal angeschaut, was eigentlich „smarte Stromnetze“, digitale Ressourcenverwaltung leisten, sprich: was es eigentlich mit der Energiewende auf sich hat, die man ja bekanntlich auch selbst gestalten will – für die Zukunft Europas und seine Unabhängigkeit vom russischen Gas. Da will ich in meinem Bändchen zumindest mal den Hinweis gegeben haben, den ich hier jetzt nur an einem Beispiel illustrieren kann: dass eine Energiewende, bei der man sich allen ernstes Sorgen macht – wohlgemerkt Sorgen! –, die Chinesen könnten schneller sein als man selbst, wohl doch nicht in dem Zweck aufgeht, die Welt zu retten. Ich meine, das ist so offen und ehrlich, was die Politik da sagt, dass man schon treudoof entschlossen sein muss, das zu übersehen: Warum freut sich – naiv gesagt – eigentlich keiner, dass die Chinesen es vielleicht noch schneller schaffen als andere Nationen, mit und ohne digitale Technik, die CO2-Emissionen zu reduzieren? Warum ist das nicht einfach ein asiatischer Beitrag zur Weltrettung? Wenn allen arschklar ist, dass das eine „Gefahr“ ist, dann geht es halt auch um etwas anderes, für das die Reduzierung der Treibhausgase eben nur ein Mittel ist. Dann geht es hier um einen Kampf um einen Weltenergiemarkt, der zwar auf regenerativen Energien basieren soll, wo es aber der Sache nach vor allem darum geht, wer ihn stiftet, wer von im profitiert – und wer nur in ihn eingebaut wird.

Das Martialische – um noch gleich einen dritten Punkt zu nennen – kannst Du auch bei den Standards finden, also bei der Frage, welche Hard- und Software eigentlich die allgemeine Vernetzung von allem und allen mit allem bewerkstelligt. Da denken ja manche wirklich, das ginge auf in sowas Harmlosen wie der Reduktion von Müll, weil jetzt alle Smartphones und Kleingeräte mit dem gleichen Anschluss geladen werden können. Die einheitlichen Standards in ganz Europa sind vielmehr für das große – vor allem deutsche – Kapital eine willkommene Erweiterung der Absatzmärkte ihrer digitalen Produkte, während kleinere Unternehmen im Ausland ihre Nischen verlieren, die sie aufgrund von nationalen Eigenheiten bisher als ihren Markt bedienen konnten. Auch zwischen den Kapitalen geht es also allemal „martialisch“ zu, was aber gerne als Dienst am Kunden präsentiert wird.

Ja, einige werden ihre „Besitzstände“ verlieren. Davon wird ja auch offen gesprochen und dann rumgerechnet, wen es wo trifft. Da gibt es Verheißungen, dass wir am Standort D damit schon klar kommen, dass sich lauter neue Perspektiven eröffnen, dass man sich bloß munter weiterzubilden braucht, um seine „Beschäftigungsfähigkeit“ zu erhalten. Sind das tröstliche Mitteilungen?

Schadt: In den Streit, ob es hier bald mehr oder weniger Arbeitsplätze gibt, sollte man sich besser nicht einmischen, weil das recht entscheidend an der Frage hängt, wo sich welches Kapital durchsetzt und welcher Landstrich daher „Standort“ wird oder bleibt. Die Herstellung von Beschäftigungsfähigkeit durch Weiterbildung ist dabei recht verräterisch: Mehr als sich selbst instand zu halten, für den Standort nützlich zu sein, haben die Leute offensichtlich nicht in der Hand. Ob und zu welchen Bedingungen sie dann auch in Zukunft eine Beschäftigung haben, hängt wieder nur negativ von ihnen ab: Ohne entsprechende Kenntnisse muss man sich gar nicht erst bewerben. Ob man mit ihnen genommen wird – oder es überhaupt noch nennenswertes Kapital gibt, wo man seine Bewerbung einreichen kann –, das hat man wieder nicht in der Hand.

Und die Gegenwehr?

Kollege Schadt, mal von DGB-Mitglied zu DGB-Mitglied gefragt – Du bist ja in der Gewerkschaft tätig. Im Digitalisierungs-Diskurs wird also, altmodisch gesprochen, ganz dreist ein Klasseninteresse angemeldet. Dreist auch in der Hinsicht, dass die Damen und Herren aus den Chefetagen offen ihren Vorteil benennen, den sie aus der Sache ziehen wollen. Was dann heißt, dass eine andere Klasse es (in noch nicht genau feststehendem Umfang) auszubaden hat. Dazu ist ja jetzt einiges gesagt, auch zu den ominösen „Herausforderungen“ der Globalisierung, zu den Schönheiten der neuen Arbeitswelt. Aber mal ganz direkt gefragt: Eine solche Dreistigkeit gibt es von Gewerkschaftsseite ums Verrecken nicht?

Schadt: Ich will den Leserinnen ersparen, dass ihnen mal wieder ein Funktionär in kleinerer Position erzählt, wie die Gewerkschaft eigentlich zu handeln hätte, wenn er oder andere „kämpferische“ Gewerkschafter mehr zu melden hätten – oder was weiß ich. Es ist halt auch das Gegenteil einer Erklärung, den DGB ständig gegen die eigene Idee einer dreisten, also antikapitalistischen Kraft zu wiegen und dann für „zu leicht“ zu erklären.

Lieber sollte man sich an der Stelle nochmal an den Anfang unseres kurzen Gespräches erinnern: Einerseits stimmt es, dass die Produktivitätssteigerung des Kapitals, also aus Geld noch mehr Geld zu machen, ziemlich schädlich für das Arbeiterinteresse ist. Aus diesem Grund gibt es die Gewerkschaft und braucht es sie. Andererseits ist das nur die halbe Wahrheit: Wie der Name Lohnabhängige schon ausdrückt, sind die Leute ja abhängig gemacht von dem Lohn, den sie als Lebensmittel benutzen. Und jetzt kommt die Härte: Das gilt, obwohl er gar nicht daran bemessen wird, ob er denn zum Leben reicht. Ob und in welcher Höhe er bezahlt wird, hängt ja an der Kalkulation der Unternehmen und ob er sich für sie lohnt. Zu beobachten ist das nicht nur am Niedriglohnsektor, wo die Leute ohne Hilfe des Staates eh nicht zurechtkommen würden. Hier darf ruhig auch an die Besserverdiener gedacht werden. Ohne staatliche Sozialkassen, ohne Arbeitslosen- oder Krankenversicherung würden schon die normalsten „Schicksalsschläge“ eines Arbeitnehmers ausreichen, die totale Verarmung ganzer Familien hervorzurufen.

In der Digitalisierung heißt das: Die Lohnabhängigen sind vom Erfolg der deutschen Unternehmen abhängig; dieser besteht in der effektiven, daher kostengünstigen Anwendung der Arbeit. Die Beschäftigten sollen sich also für „ihr“ Unternehmen einsetzen, damit es die „Chancen“ der Digitalisierung nutzt. Und die bestehen darin, dass man – verdammt noch mal – selbst mehr arbeiten muss. Auf den kurzen Begriff gebracht: Der Zweck der Gewerkschaft, dass die Beschäftigten gut von ihrer Arbeit leben können, steht also in einem ständigen Widerspruch zu ihrem Grund, nämlich dass die Arbeit und ihre Bezahlung nur und nur dann stattfinden, damit und wenn es sich lohnt.

Ganz jenseits dieses Grundwiderspruchs gewerkschaftlicher Arbeit atmet die Kritik, der DGB solle kämpferischer sein, auch Untertanengeist. Der einzige Schluss, den solche Kritiker aus ihrer schäbigen Lage ziehen, scheint zu sein: Welche Partei, Organisation oder Gewerkschaft löst jetzt dieses Problem für mich? Unterstellt ist da allemal, dass die eigene Lebenslage von anderen Figuren abhängig gemacht ist. Das stimmt auch. Gerade das zu ändern ist aber nötig. Wer nicht länger als variables Kapital leben will, der wird damit schon selbst Schluss machen müssen.

Zuerst im Overton-Magazin Krass & Konkret erschienen.

Urheberrecht
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Oben   —   Book scanner RBS Pro TTInternational Bookfest in Budapest, 2010.

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DER ROTE FADEN

Erstellt von DL-Redaktion am 18. Oktober 2022

Deutsche Waffendebatte: Leopard, Kubicki und andere Panzer

Roter Faden Hannover rote Zusatzmarkierung.jpg

Durch die Woche mit Nina Apin

Gutes Gerät, schlechtes Gerät: Die Berliner CDU will alte Sowjet-Panzer loswerden. Gleichzeitig hat das Waffen-Bescheidwisser-innentum Konjunktur.

Panzer oder keine Panzer – und wenn ja welche? Die öffentliche Debatte geht munter weiter, obwohl sich der Krieg gegen die Ukraine gerade eher in der Luft abspielt und das erstaunlich schnell vom Hause Lam­brecht gelieferte Luftabwehrsystem Iris-T dort (hoffentlich) gute Dienste verrichtet – auf jeden Fall bessere als nicht gelieferte Leopard-Kampfpanzer.

Doch unsere schönen Panzerdiskussionen lassen wir Deutschen uns so leicht nicht nehmen – wo wir uns in den vergangenen Monaten doch erst mühsam, von Talkshow zu Talkshow, vom Pazifistenvolk zu kriegswaffenkundigen Be­scheid­wis­se­r:in­nen gemausert haben. Ich zum Beispiel habe erst kürzlich kapiert, dass mein Sohn, wenn er von Leopard, Marder und Büffel spricht, sich nicht auf den Bio-Unterricht bezieht, sondern Waffenkunde-Smalltalk betreibt.

Der Krieg ist, zum Glück nur in Form von Quartettkarten-Wissen, im Kinderzimmer angekommen. Vorbei die Zeiten, als es noch um den Kleinen Maulwurf ging, später dann um den Weißen Hai. Jetzt werden am Frühstückstisch Frontlinien-News erörtert – quasi synchron mit den Kriegsmeldungen aus dem Radio.

Aber zurück zu den Panzern: Jetzt hat selbst die Ukraine ihr schwerstes Gerät, den Panzerdiplomaten Andrij Melnyk, aus Berlin abgezogen: „Erhobenen Hauptes mit reinem Gewissen“, wie er auf Twitter schreibt, kehrt dieser nun nach Kiew zurück und wird künftig aus dem Außenministerium rhetorische Geschütze nach Berlin abfeuern.

Panzerwrack für Berlin-Mitte

Er hinterlässt ein paar beleidigte Leberwürste, dafür bekommt Berlin nun ein 40 Tonnen schweres, zerbeultes russisches Panzerwrack. Das darf laut Gerichtsbeschluss jetzt doch für zwei Wochen als Mahnmal in Nähe der russischen Botschaft aufgestellt werden, wie von einem privaten Museum beantragt. Die Pietätsbedenken des Bezirks, schließlich seien in dem Fahrzeug „wahrscheinlich Menschen gestorben“, fand das Gericht weniger gewichtig als die Meinungsfreiheit. Das zerbeulte Ding soll bald in der Schadowstraße stehen, einer Seitenstraße von Unter den Linden.

Hätte, hätte, Panzerkette – auf den Weg in die Ukraine oder ins Museum?

Künftig werde ich also auf dem Weg zur Arbeit an drei russischen Panzern vorbeiradeln. Denn an der Straße des 17. Juni stehen ja noch sehr prominent zwei sowjetische Exemplare, in Erinnerung an die bei der Befreiung Berlins gestorbenen Soldaten der Roten Armee. Seit Februar wird das Sowjetische Ehrenmal von der Polizei bewacht, und, ja, ich hatte auch schon wenig pazifistische Gedanken beim Vorbeifahren. Vor allem immer dann, wenn ich gerade ein Grüppchen umfahren hatte, das in Sichtweite zur russischen Botschaft Plakate gegen die „Nato-Kriegstreiber“ hochhält. Ob diesen Leuten durch den Anblick eines kaputten Panzers irgendein Licht aufgeht, wage ich zu bezweifeln.

Die Berliner CDU hat nun eine andere Idee: Die Panzer am 17. Juni müssen weg – angesichts des russischen Angriffskriegs sei die Grundlage für diese Form des Mahnmals zerstört, verlautete aus ihrer Fraktion im Abgeordnetenhaus. Wie bitte? Ach so, in Berlin ist ja wieder Wahl­kampf: Ge­ra­de streitet man sich darüber, ob die Bundestagswahl nächstes Jahr in 300 oder 400 Wahllokalen wiederholt werden muss. Vorher feuert die in Berlin traditionell zerbeulte CDU schon mal ein paar Blindgänger ab.

Kubicki und Koch-Mehrins Gatte

Quelle          :        TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

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Oben        —     Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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America First-again+again

Erstellt von DL-Redaktion am 16. Oktober 2022

America First. Schon wieder !

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Im derzeitigen Wirrwarr des Weltgeschehens platzt jetzt auch noch die Ankündigung einer neuen Sicherheitsstrategie der USA. Voller Stolz trägt Biden vor, was die Welt längst weiß: America first!

Vordergründig handelt es sich um eine neue Strategie gegen China, ureigentlich aber um einen alten Traum der USA, der zunehmend zu einer Illusion, oder sollte man sagen einer Besessenheit, geworden ist.

Seit dem „Kalten Krieg“ genießen die USA den zweifelhaften Ruf, Führer der Welt zu sein, politisch, wirtschaftlich und vor allem militätisch. Für die Realität von heute und auch in der Zukunft haben die Politiker der USA weder Einsicht noch Sinn. Nach dem ersten politischen Geplantsche gegen Russland und China kommt Biden unverblümt zur Sache. „Als alter Transatlantiker bekennt sich Biden in seiner neuen Sicherheitsstrategie zur engen Zusammenarbeit mit Europa und ausdrücklich mit der Nato“, so in der SZ.

Ein Hauptmotiv im Widerstreit der Großmächte ist für Biden die Frage, „wer die Zukunft der internationalen Ordnung bestimmen darf“, denn „die USA wollten jene Macht sein, die Standards für die Weltwirtschaft setzt“. Dem hält der Politwissenschaftler und Diplomat Kishore Mahbubani entgegen, dass sich die gesamte asiatische Welt fragt: „Was ist da los mit dem Westen? Wie kann eine Minderheit von zwölf Prozent der Weltbevölkerung den Rest der Welt bevormunden wollen?“ Umso arroganter und vermessener ist da der Wille der USA, anderen Ländern die eigenen Modelle und Wertvorstellungen überzustülpen.

Und, ach oh Wunder, wollen die USA „Militär nicht mehr für Regimewechsel und den Wiederaufbau von Gesellschaften einsetzen“. Für was aber dann? Seit dem Krieg in Vietnam haben die USA keinen Krieg mehr gewonnen, sonder nur Leid und Tod gebracht. Jetzt soll dann wohl das gesamte Militär mit seinen weltweit über 700 Militärstützpunkten nur für den Fall der Fälle vorgehalten werden. Aber nein, es gibt ja immer wieder massive Kriegsmanöver mit weit aufgeblähtem Drohpotential. Dabei hat die Weltgemeinschaft andere Sorgen um ihren Weiterbestand zu sichern, von den aktuellen Wirtschaftsproblemen ganz zu schweigen.

Unevolution

Da sind Kriegsspielchen aller Art geradezu lächerlich. Und die schon wieder vorgetragene Strategie des America First ist ein alter Zopf und unnötig wie ein Kropf. Der weit überwiegende Teil der Weltbevölkerung pfeift auf eine internationale Ordnung, die nur die Werten und Interessen der USA vorgibt! Die USA waren die erste Nation, die so aus Jux und Dollerei zwei Atombomben auf Japan abgeworfen haben, obwohl der Krieg an sich schon vorbei war. Wie kann man einem solchen Staat in Sachen Frieden überhaupt noch trauen?

Auch für die USA muss gelten: Behandle jeden so, wie Du selbst behandelt werden möchtest. Konfuzius, schon wieder.

Urheberrecht
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Oben      —           Politische Karikatur von 1898: Die Schwingen des amerikanischen Adlers überspannen „zehntausend Meilen“ von den Philippinen bis Puerto Rico

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Des Westens Doppelmoral

Erstellt von DL-Redaktion am 16. Oktober 2022

„Das ist unsere Doppelmoral“

Ein Interview von Tobias Schulze mit Kai Ambos

Warum unterstützen viele Länder des Globalen Südens die Sanktionen gegen Russland nicht? Auch wegen der Fehler des Westens in der Vergangenheit, sagt der Völkerrechtler Kai Ambos.

taz am wochenende: Herr Ambos, in Ihrem neuen Buch vertreten Sie die These: Weil der Westen, angeführt von den USA, in Völkerrechtsfragen nicht glaubwürdig ist, erhält er global wenig Unterstützung für seine Ukrainepolitik. Woran machen Sie das fest?

Kai Ambos: Die UN-Generalversammlung hat zwar in dieser Woche eine neue Resolution gegen Russland verabschiedet, aber es haben immer noch 40 Staaten mit Nein gestimmt oder sich enthalten, darunter China, Indien und Südafrika. 143 Länder haben zwar mit Ja gestimmt, aber wenn es konkret wird, tragen davon nur etwa 40 unsere Ukrainepolitik aktiv mit – indem sie sich an Sanktionen, Waffenlieferungen oder Maßnahmen wie der internationalen Strafverfolgung beteiligen. Das ist die Nato plus ein paar andere Länder. Wie kommt das angesichts einer so flagranten Völkerrechtsverletzung, die permanent verschärft wird durch Landraub und jetzt durch massive Luftangriffe? Eine Ursache ist unsere Doppelmoral, die uns unglaubwürdig erscheinen lässt, wenn wir eine regelbasierte Völkerrechtsordnung proklamieren.

Warum?

Es ist richtig, was der Westen sagt: Die russische Invasion in die Ukraine ist eine gravierende Völkerrechtsverletzung. Aber wenn man den Bruch von Normen beklagt, sogar skandalisiert, sollte man sich selbst an diese Normen halten. Der Westen tut das nicht immer.

An welchen Völkerrechtsbruch denken Sie konkret?

Zum einen an Verstöße gegen das Gewaltverbot wie die Invasion im Irak, die völkerrechtswidrig war, weil sie weder auf einer Resolution des UN-Sicherheitsrats beruhte, noch auf das Selbstverteidigungsrecht gestützt werden konnte. Dagegen hat sich Deutschland unter Ex-Kanzler Schröder bekanntlich ausgesprochen, insofern war das nicht der gesamte Westen. Daneben denke ich insbesondere an die extraterritorialen Hinrichtungen im Rahmen des sogenannten Kriegs gegen den Terror, zuletzt die Hinrichtung des Al-Qaida-Führers al-Zawahiri in Kabul durch eine US-Drohne. Gerade diese Hinrichtung, die Parallelen hat zur Exekution eines georgischen Dissidenten im Berliner Tiergarten, die zu einer Verurteilung wegen Mordes durch das Kammergericht Berlin geführt hat, zeigt doch die Doppelmoral. Sowohl Russland als auch die USA nehmen sich das Recht heraus, Menschen zu töten, die sie als Terroristen deklarieren.

Diese Völkerrechtsbrüche haben jeweils unterschiedliche Qualitäten. Der Sturz eines Diktators ist ein anderes Motiv als die Annexion ganzer Landesteile. Ein Top-Terrorist der al-Qaida ist etwas anderes als ein ausgedienter Milizenkommandeur wie das Mordopfer im Tiergarten.

Sie haben recht, es gibt graduelle Unterschiede und das räume ich auch im Buch ein. Prinzipiell macht es aber keinen Unterschied, sondern es kommt nur auf den Völkerrechtsbruch an sich an. Aus dieser Sicht sind unsere Völkerrechtsbrüche ebenso wenig akzeptabel wie die russischen.

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 Osama bin Laden Compound

Sie haben selbst angesprochen, dass man zwischen den USA und dem Rest des Westens differenzieren muss. Kann in dem Sinne nicht Deutschland für sich in Anspruch nehmen, durchaus glaubwürdig für das Völkerrecht einzutreten?

Vor dem 24. Februar 2022 gab es noch Situationen, in denen es zu Diskussionen innerhalb des Bündnisses kam. Neben dem Irakkrieg gab es den Fall Libyen, in dem Guido Westerwelle als Außenminister einen Militäreinsatz abgelehnt hat. Da wurden diese Streitigkeiten, wie man so schön sagt, unter Freunden offen ausgetragen. Jetzt aber sehen wir – und das ist besonders erstaunlich bei einer grünen Außenministerin – totales Schweigen bei flagranten Völkerrechtsverletzungen. Im Gegenteil, in einer Rede vor einer US-amerikanischen Universität lobte Frau Baerbock die USA gerade erst als Vorbild in der Einhaltung des Völkerrechts. Und zur Tötung von Herrn al-Zawahiri haben Sie keinen einzigen Politiker dieser Bundesregierung gehört. Es muss doch möglich sein, dass man zumindest diplomatisch Bedenken äußert!

Schweigen bedeutet nicht unbedingt Zustimmung.

Dann nehmen wir die gerade genehmigten Rüstungsexporte an die saudische Koalition im Jemenkrieg. Das ist absolut heuchlerisch: Wir liefern diesen Staaten Waffen für einen jahrelangen Krieg, in dem flächendeckend Kriegsverbrechen begangen werden.

Was macht Sie sicher, dass der westliche Ukrainekurs gerade wegen solcher Punkte keine uneingeschränkte Unterstützung findet? Denkbar sind auch andere Motive.

Natürlich, ein anderes ist die koloniale Vergangenheit. Die Russen spielen extrem elegant mit der Karte, dass die Sowjetunion den antikolonialen Befreiungskampf dieser Länder unterstützt hat, während wir zum Teil als Kolonialmächte die Unabhängigkeitsbestrebungen gebremst haben.

Kolonialismus und Völkerrechtsbrüche gab es auch in Russland.

Russland ist natürlich eine imperiale Macht wie die USA und war es historisch auch immer. Insofern ist die Betrachtung eines Landes wie Südafrika, das sagt, die Russen haben uns im Kampf gegen die Apartheid unterstützt und deshalb können wir nicht gegen sie stimmen, auch eine nostalgische Verklärung. Umso erstaunlicher ist es, dass sich solche Staaten dem Westen noch nicht mal auf Ebene eines Votums im UN-Sicherheitsrat oder der UN-Generalversammlung anschließen.

Könnte das nicht auch an schnöden Gründen wie wirtschaftlichen Abhängigkeiten liegen?

Ja, es gibt natürlich noch weitere Faktoren. Es gibt autoritäre Regime, die von Russland unterstützt werden. Nehmen Sie zum Beispiel Venezuela, nehmen Sie gewisse Regime in Afrika wie Eritrea. Trotzdem müssen wir uns überlegen, wieso es nicht gelingt, mehr als 40 Staaten hinter die Sanktionspolitik zu bekommen. Mich stört in diesem Zusammenhang übrigens immer sehr das Narrativ von der internationalen Gemeinschaft, die Russland geschlossen isoliert habe. Das ist eine permanente Beleidigung des Globalen Südens, der eben nicht geschlossen dabei ist. Wir sind weder die Welt noch die internationale Gemeinschaft.

Was könnte der Westen tun, um seine Glaubwürdigkeit wieder aufzubauen? Der Irakkrieg lässt sich ja nicht ungeschehen machen.

Quelle         :          TAT-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben     —     Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 1948

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von DL-Redaktion am 13. Oktober 2022

„Krieg und Frieden“
Mit Brennholz gerüstet in den Energiekrieg

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Aus Tallin von Alexey Schischkin

Ukraine, Inflation und Energiekrise. Drei Themen, die in Tallinn sogar Menschen, die sich gar nicht kennen, untereinander diskutieren, statt wie früher übers Wetter zu sprechen. „Putins Energiekrieg“ nennt die estnische Premierministerin Kaja Kallas das, was gerade passiert. Und es fällt schwer, ihr zu widersprechen.

Ich lebe in einer Einzimmerwohnung in einem Holzhaus im Zentrum von Tallinn, die Heizung ist abgeschaltet, nur das Wasser zum Duschen und in der Küche wird mit Gas erhitzt. Und trotzdem ist der Abschlag für Strom zwischen Juni und September von 14 auf monatlich 68 Euro gestiegen. Mit Beginn der Heizperiode drohen die Nebenkosten in Tallinn die Höhe der Wohnungsmiete zu erreichen.

In einem dringenden Appell anlässlich des Beginns der Teilmobilisierung in Russland warnte Kaja Kallas, dass künftig auch Estland von Stromausfällen betroffen sein könne, die von seinem östlichen Nachbarn verursacht werden. Obwohl die Zusammenarbeit zwischen Estland und Russland fast vollständig beendet ist, haben sie noch ein gemeinsames Stromnetz. Die russischen Behörden versichern, dass es keine Pläne gebe, dieses gemeinsame System zu unterbrechen, aber man traut ihnen nicht. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die aktuelle Energiesituation auch ohne Stromausfälle schon bald einen kritischen Zustand erreichen könnte.

„Der billigste Strom ist der, der nicht verwendet wird“, das ist noch so eine populäre Aussage, der man nur zustimmen kann. Staatliche Maßnahmen wurden zwar angekündigt, doch wie wirksam sie sein werden, ist noch umstritten. Und woher der Staatshaushalt die zusätzlichen Mittel für diese Maßnahmen nehmen soll, ist ebenfalls ungeklärt.

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In meinem Hof gibt es jetzt Material für den Energiekrieg – ein Berg Brennholz unter einer Plastikfolie. Auch der Brennholzpreis hat sich in diesem Jahr verdreifacht, aber Ofenheizung ist immer noch am billigsten. Espenholz, das im vergangenen Jahr 47 Euro pro Kubikmeter gekostet hat, wird jetzt für 120 Euro verkauft. Birkenholz lag 2021 bei 55 Euro, jetzt sind 130 Euro fällig. Ich hatte Glück und habe für einen Kubikmeterpreis von 90 Euro kleingesägte Holzpaletten gekauft. „Ich habe nicht mal mehr versucht zu bestellen. Das sind ja Blockadepreise“, lacht meine estnische Nachbarin Kristin, während sie mich dabei beobachtet, wie ich die wertvolle Fracht vom Hof in den Schuppen schleppe.

Quelle        :         TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —       Hafen von Tallinn (Estland)

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Das Volk wird geschockt

Erstellt von DL-Redaktion am 12. Oktober 2022

Energienotstand und  den Schockpolitik

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Iwan Nikolajew

  1. Prolog

Bewußt entscheidet sich das deutsche Kapital für eine aggressive Politik, welche die Energieversorgung gefährdet. Der transatlantische Wirtschaftskrieg gegen Rußland wird auch vom deutschen Imperialismus aktiv befürwortet und ist primär Klassenkampf, denn die Kosten dieses antirussischen Wirtschaftskrieges soll die Arbeiterklasse entrichten.

  1. Die „neue Normalität“ des Notstands

Der Notstand schafft seine eigene, „neue“ Normalität. Seit dem 13. und 17. März 2020 wird die Arbeiterklasse und das Kleinbürgertum vermittels des „Corona-Notstandes“ an den Notstand überhaupt gewöhnt und damit auf den Verzicht, auf den Verzicht am gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse und auf Verzicht an den vom Proletariat erkämpften Rechten im Kapitalismus. Dies begann langsam und zaghaft mit dem „Corona-Notstand“ und der Ruf nach Verzicht wird in der Ukraine-Krise mit einem möglichen „Energienotstand“ immer lauter. Über eine Strategie der Spannung sollen in der Arbeiterklasse und im Kleinbürgertum Massenängste ausgelöst werden. Es geht darum Panik zu verbreiten und die Schockwirkungen einschneidender Notmaßnahmen schon präventiv zu legitimieren und vorzubereiten. Es werden Gas- und Energiekosten angedroht, die kaum von den Massen zu tragen ist. Die Angst vor der Abschaltung der Energiezufuhr geht in den Massen um, denn die Preise sind jenseits von Gut und Böse. Der bürgerliche Staat hofft dann mit Hilfen und Energierationierungen ein kleineres Übel anzubieten, damit die Arbeiterklasse und das Kleinbürgertum die deutliche Erhöhung und Rationierung akzeptiert, weil sie sich von noch höheren Preisen fürchtet. Dies gelingt umso leichter, wenn die Arbeiterklasse isoliert, atomisiert ist, wie seit dem „Corona-Notstand“. Die historische Funktion des „Corona-Notstandes“ war es, die Arbeiterklasse und ihre Massenorganisationen zu desorganisieren und zu atomisieren, transparent für eine härtere Stufe des Notstands zu machen. Über den „Corona-Notstand“ lockerte das Kapital die sozialen Beziehungen der Arbeiterklasse auf und bereitete damit eine neue Stufe des Notstands, aber vor allem die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, vor. Die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse durch das Kapital ist die materielle Basis für die Neuzusammensetzung des Kapitals und wird durch den Notstand abgestützt. Im Notstand findet sich dann die Schock-Politik. Das Kapital erklärt ein Ereignis bzw. Zustand, zur existentiellen Gefahr, welcher man nur dann Herr werden kann, wenn man die traditionellen Institutionen und das bisherige alltägliche Verhalten im Sinne eines Notstandsstaates abändert und dies sofort, plötzlich, von einer Stunde auf die nächste Stunde ohne detaillierte Begründung. Der Notstandsstaat schiebt dann die bisherigen bürgerlichen Institutionen zumindest für eine bestimmte Zeit zur Seite und zwingt der Arbeiterklasse einen neuen proletarischen Klassenalltag auf. Im Notstandsstaat gibt es keine ausführliche Begründung, keine demokratische Konsenssuche, kein Ausgleich und kein Gleichgewicht; es gibt nur den Befehl. Nur durch den Befehl der Exekutive soll die existenzielle Gefahr überwunden werden können. Erst nach Überwindung der existentiellen Gefahr kann es wieder für das Kapital eine Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen geben. Ohne die plötzliche existentielle Gefahr, bzw. Schock, keinen Notstand. Der Notstand ist ein „Gegen-Schock“, ein plötzliches Ereignis zur Negation einer plötzlichen Gefahr und potenziert die Schock-Wirkung. Der Schock verdoppelt sich im Notstandsstaat und desorganisiert die Arbeiterklasse. Eine organisierte proletarische Gegenwehr muß schon vorher organisiert sein, ansonsten kann sie im Augenblick des Schocks nicht mehr organisiert werden. Der Schock desorganisiert und atomisiert die Arbeiterklasse tendenziell, zielt auf Lähmung und Handlungsunfähigkeit, zielt auf Blitzkrieg und einem politischen und militärischen Enthauptungsschlag. Mit einem gezielten Schlag gegen politische und soziale Knotenpunkte der Arbeiterklasse wird die Arbeiterklasse als Ganzes entmachtet und entrechtet, denn dann ist ein organisiertes Handeln nicht mehr möglich. Die mächtigste Waffe des Proletariats ist proletarische Organisierung und damit der Klassenkampf. Über eine Schock-Politik versucht die Bourgeoisie diese proletarische Waffe mit einem gezielten Schlag zu zerstören. Das Ziel der bürgerlichen Strategie der Spannung ist es, einen Schock-Moment zu organisieren, hier einen sozioökonomischen Schock, um dann die bisherige neoliberale Zusammensetzung der Arbeiterklasse zu zerstören und eine multipolare, nationalliberale Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse einzuleiten.

Der deutsche Imperialismus provoziert mit seinem transatlantischen Wirtschaftskrieg offen und ganz bewußt das Ende der Energielieferungen (Gas, Öl und Kohle) aus Rußland und damit einen ökonomischen Schock. Eine bürgerliche Einheitsfront von Kapital, aller wesentlichen Parteien (einschließlich der Linkspartei) innerhalb der kollektiven Einheitspartei, aller wesentlichen Verbände und der von der Gewerkschaftsbürokratie beherrschten Gewerkschaften, die bürgerliche „Zivilgesellschaft“ mit samt der „Kulturindustrie“ und den privaten und staatlichen Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) provozieren bewußt einen russischen Abbruch der Rohstofflieferungen, die auch über die Lieferung von Energierohstoffen hinausgehen. Schon jetzt schlägt sich dies in Problemen der Lieferketten und vor allem in einer inflationären Tendenz nieder. Doch der deutsche Imperialismus läßt nicht nach, versucht alle Brücken zum russischen Imperialismus abzubrechen und provoziert eine Energiekrise und damit einen „Energienotstand“. Andere Lösungsmöglichkeiten sind möglich, werden jedoch vom deutschen Imperialismus bewußt ausgeschlagen. Der deutsche Imperialismus setzt bewußt auf eine Eskalation des transatlantischen Wirtschaftskrieges gegen den russischen Imperialismus mit allen Konsequenzen. Einige bürgerliche Ökonomen in Deutschland fordern gar ein „Ultimatum“ an Rußland. Wenn nicht die Gaspreise gesenkt werden, dann sollte Deutschland mit dem Abbruch der Lieferbeziehungen im Gasmarkt drohen bzw. diese Drohung dann realisieren. Jedoch ist Deutschland abhängig von der Lieferung russischer Energierohstoffe. Ein Ultimatum ist die letzte diplomatische Warnung bzw. Forderung vor der Kriegserklärung, d.h. Rußland wird im Bereich des Gasmarktes von Deutschland der Krieg erklärt, den Gas- und Energiekrieg. Immer mehr ist der deutsche Imperialismus bereit, einen Gas-bzw. Rohstoffkrieg mit Rußland zu provozieren und letztlich den Krieg, denn wenn Rußland nun seinerseits die Gaslieferungen abbricht, bricht die Akkumulation des deutschen Kapitals drastisch ein. Dann gäbe es nur noch einen militärischen NATO-Angriff auf Rußland, um sich die strategischen Rohstoffe vermittels offenen Raub anzueignen. Das wäre dann der Beginn des Dritten Weltkrieges. Ein „Gasultimatum“ führt notwendig zum eigentlichen Ultimatum und ist damit eine verdeckte Kriegserklärung an Rußland. Der deutsche Imperialismus ist bereits zum dritten Male bereit, sich seinen „Lebensraum im Osten“ mit offener Gewalt und offenen Terror zu erobern, wenn er mir den Methoden der „friedlichen“ Durchdringung scheitern sollte. Dies setzt dann auch eine „neue Ordnung“ im inneren voraus und ein sozioökonomischer Schock wäre die Initialzündung für die Schaffung einer „neuen Ordnung“. Ein sich eskalierender Wirtschaftskrieg schafft eine neue „gesellschaftliche Ordnung“ im inneren, legt die materielle Basis für eine Kriegswirtschaft und damit für den imperialistischen Krieg, hier konkret wieder gegen Rußland. Der „äußere“ Feind“ ist notwendig für die Beseitigung des „inneren Feindes“, d.h. der proletarischen Massenorganisationen, welche die Interessen der Arbeiterklasse vertreten. Nur durch einen „äußeren Feind“ der als „gemeinsamer Feind“ der „Nation“ ausgegeben wird, kann die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse-Neuzusammensetzung des Kapitals im nationalen Rahmen realisiert werden und dann im zweiten Schritt auf der internationalen Ebene, dem Weltmarktzusammenhang, auch vermittels imperialistischen Krieg. Der Krieg im Kapitalismus ist nur die Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln, mit militärischen Mitteln. Auch der deutsche Imperialismus ist dabei eine Kriegswirtschaft aufzubauen und damit setzt eine Militarisierung der Klassenbeziehungen ein, welche sich konkret in einer Regulation der Klassenverhältnisse durch Rationierung ausdrückt. Das Wertgesetz drückt sich nicht mehr unmittelbar aus, sondern nur noch vermittelt über die militarisierte Intervention des bürgerlichen Staates in die Ökonomie. Über die Intervention des bürgerlichen Staates in die Ökonomie interveniert der bürgerliche Staat gleichzeitig in die Klassenbeziehungen, in die Arbeiterklasse. Durch die bürokratische Fixierung von Zielen und Durchführungsbestimmungen von Seiten des bürgerlichen Staates in die materielle Basis, wird auch die Arbeiterklasse einer Neuzusammensetzung unterzogen.

Mittlerweile traut sich auch das Kapital direkt, ohne Umweg über den bürgerlichen Staat, nach dem Notstand zu rufen. So forderte Ende Juni der Vorsitzende der BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) Rainer Dulger einen „nationalen Notstand“ als Antwort auf die Energiekrise, meinte aber noch konkreter die Arbeitskampfmaßnahmen von verdi in den Seehäfen, denn diese verschärften die Lieferkettenprobleme. Mit dem „nationalen Notstand“ sollten Streiks gebrochen werden, das „Streikrecht“ selbst aber nicht angetastet werden, d.h. das „Streikrecht“ wird nicht abgeschafft, sondern „nur“ für die Zeit des Notstandes suspendiert. Später im August fordert auch Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf bei einem Abbruch der russischen Gaslieferungen einen „nationalen Notstand“ mit Streikverbot. Jedoch nur die verdi-Bürokratie reagierte mit einer scharfen Kritik und der Warnung vor dem autoritären Staat. Die Bürokratien der anderen Einzelgewerkschaften schweigen sich laut aus und auch die DGB-Bürokratie. Diese Reaktionen der Gewerkschaftsbürokratien wundert nicht, denn sie gehen inhaltlich mit dem „nationalen Notstand“ des BDA tendenziell konform, indem sie eine Rationierung des privaten Gasverbrauchs fordern. Der Arbeiterklasse soll nur noch ein bestimmtes Mindestniveau an Gas kostengünstig gewährt werden. Alles, was über dieses Mindestniveau hinausgeht, muß zu hohen Preisen von der Arbeiterklasse gekauft werden. Gleichzeitig verweigern sich die Gewerkschaftsbürokratien den Reallohnverlust durch höhere Lohnforderungen zu kompensieren. Wird dies verweigert, bleibt nur der drastische Reallohnverlust, welcher mit einer gewissen Rationierung des Energieverbrauchs über Kompensationszahlungen abgemildert, aber nicht aufgehoben wird. Das Ziel dieser Rationierung ist es, den Gasverbrauch bzw. den Energieverbrauch der Arbeiterklasse drastisch zu senken, damit die Gas-und Energieversorgung des Kapitals konstant bleiben oder gar ausgebaut werden kann. Eine Umverteilung des Gas-bzw. Energieverbrauchs von der Arbeiterklasse zum Kapital. Jedoch wäre die Rationierung des Energieverbrauchs nur der Auftakt zu einer umfassenden Rationierung und damit der drastischen Absenkung des gesellschaftlichen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse, vermittels einer Kriegswirtschaft. In Hamburg fordert der Umweltsenator schon jetzt die Rationierung von Warmwasser. Nun heißt es: Kanonen statt Butter. „Nationaler Notstand“ heißt konkret Rationierung der Arbeiterklasse. Immer tiefer sinkt der DGB auf die Stufen einer Arbeitsfront herab, wie einst 1914, wo sich die Gewerkschaftsbürokratie einer Selbstgleichschaltung unterzog bzw. wie 1933, wo eine Selbstgleichschaltung der Gewerkschaftsbürokratie nicht gelang, die Gewerkschaften aber derart zersetzt waren, daß die terroristische Gleichschaltung der Gewerkschaften durch den Faschismus eine Leichtigkeit war. Die historische Mission der Gewerkschaften ist die Verteidigung und Hebung des gesellschaftlichen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse, aber nicht der „nationale Verzicht“. Damit unterstützt auch die DGB-Bürokratie den deutschen transatlantischen Wirtschaftskrieg gegen Rußland, ein Wirtschaftskrieg, der leicht in den Dritten Weltkrieg umschlagen kann.

Es wird eine politische Spannung aufgebaut, ein Energiemangel, der nur über Rationierung bekämpft werden kann und der bürgerliche Staat bietet sich an diese Rationierung zu übernehmen, denn eine Rationierung direkt über das Wertgesetz sei noch die schlechteste Lösung für die Arbeiterklasse. Ein bestimmtes Quantum Gas/Energie als Mindestleistung wird durch eine Rationierungspolitik der Arbeiterklasse zugeteilt. Will die Arbeiterklasse diese staatliche Reduktion nicht akzeptieren, kann sie über den Markt Energie/Gas zukaufen, was real wegen den hohen Kosten nicht möglich ist. Damit wird die Energiemenge an die Arbeiterklasse reduziert und das Kapital kann sich dann die „frei“ werdende Menge an Energie/Gas einverleiben. Eine Energierationierung wäre der potentielle Einstieg in ein System der umfassenden Rationierung der individuellen und gesellschaftlichen Reproduktion der Arbeiterklasse. In der Rationierung liegt die Militarisierung der Klassenbeziehungen. Erst der Schock, dann die Rationierung.

Der bürgerliche Staat in Form des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) garantiert die „nationale Sicherheit“ der Akkumulation. Die Weltmarktkonkurrenz verdoppelt sich in Ökonomie und Politik. Damit verdrängt die „nationale Sicherheit“ die parlamentarisch-demokratische Form bürgerlicher Klassenherrschaft, welche die Form bürgerlicher Klassenherrschaft ist, die die Arbeiterklasse noch am ehesten akzeptieren kann, denn nur dort kann die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Ware Arbeitskraft ausgebaut werden, kann die Arbeiterklasse Eroberungen im Kapitalismus machen und verteidigen. Somit ist die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates für die Arbeiterklasse existentiell, nicht aber für das Kapital. Für das Kapital ist die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates austauschbar, zufällig, je nach den Bedürfnissen der Kapitalakkumulation disponibel. Diese Austauschbarkeit der Formen bürgerlicher Klassenherrschaft, welche sich in den historischen Formen des bürgerlichen Staates konkret-spezifisch materialisiert, ist in letzter Instanz vom Klassenkampf abhängig. Auch die herrschende Klasse kann nicht frei die Formen ihrer Klassenherrschaft wählen, sondern diese wird im Klassenkampf konkret bestimmt. Ist die Arbeiterklasse in der Defensive, in die Passivität gedrängt, kann die Bourgeoisie ohne große Rücksicht auf die Arbeiterklasse die Formen ihres Klassenregimes selbst bestimmen und die Intensität der Ausbeutung anziehen. Der bürgerliche Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) ist ein Produkt der Defensive der Arbeiterklasse und organisiert sich um die „nationale Sicherheit“.

Nach dem Dogma der „nationalen Sicherheit“ wird die Ausbeutung der Arbeiterklasse neu organisiert. Der Begriff der „nationalen Sicherheit“ setzt eine potentielle Bedrohung derselben voraus, erst, wenn die „nationale Sicherheit“ vermeintlich bedroht wird, wird die „nationale Sicherheit“ betont. Damit setzt der Begriff der „nationalen Sicherheit“ einen Feind voraus. Ohne einen „Feind“ ist die Frage nach der „nationalen Sicherheit“ sinnlos. Die Bourgeoisie erklärt die Arbeiterklasse zum Feind, weil diese sich naturwüchsig ihrer Neuzusammensetzung im Prozeß der Neuzusammensetzung des Kapitals widersetzt. Indem die Bourgeoise die Arbeiterklasse über den Begriff der „nationalen Sicherheit“ zum Feind erklärt, negiert sie die parlamentarisch-demokratischen Formen des bürgerlichen Staates und damit auch alle reformistischen Eroberungen der Arbeiterklasse im Kapitalismus und ebenso jeden historischen Klassenkompromiß. Jede Form eines historischen Klassenkompromisses bedroht dann die „nationale Sicherheit“ der Bourgeoisie, welche vermeint für die „Nation“ zu sprechen. In der „Nation“ ist die Arbeiterklasse nur als Untertan geduldet, sie hat keine Ansprüche zu stellen, sondern zu gehorchen. Nur als Objekt der Ausbeutung, nicht aber als politisches Subjekt der Geschichte ist die Arbeiterklasse geduldet. Damit werden die proletarischen Massenorganisationen zu Feindorganisationen, zu terroristischen Organisationen, zu „Gefahrenquellen für die nationale Sicherheit“ und müssen entweder zerschlagen oder gleichgeschaltet werden. Unter diesem Druck kapituliert die Gewerkschaftsbürokratie, was nicht anders zu erwarten war, denn sie erhofft sich durch diese Kapitulation die organisatorische Existenz zu sichern, kapituliert nicht in dem sie auf ihre Gleichschaltung wartet, sondern organisiert präventiv, im vorauseilenden Gehorsam, ihre Selbstgleichschaltung. Jedoch alle anderen Organisationen, wo sich noch keine Arbeiterbürokratie herausbilden konnte, wählen nicht den Weg der Kapitulation und der bürgerliche Staat in Notstandsform wird mit präventiver Repression vorgehen, wenn es nötig werden sollte, um diese Organisationen zu zerschlagen. Die Gewerkschaftsbürokratie hingegen versucht immer mehr die Gewerkschaften des DGB in den bürgerlichen Staat einzubauen und damit die Gewerkschaften als Arbeitsfront zu organisieren. Unabhängige, freie, autonome Gewerkschaften kann der bürgerliche Staat in Notstandsform nicht akzeptieren. Auch der DGB wird immer mehr zum Sprachrohr des Notstandsstaates, denn ebenso dort findet man eine Propaganda für den Verzicht. Verzicht soll Solidarität sein. Doch gerade die historische Aufgabe der Gewerkschaften ist es, die Arbeiterklasse gegen den Verzicht zusammenzuschließen; eine Solidarität der Arbeiterklasse gegen den Verzicht. Konsequent verweigern die DGB-Gewerkschaften auch eine Politik des inflationären Lohnausgleichs um den Reallohnverlust durch inflationäre Tendenzen auszugleichen und verweisen auf die Politik des bürgerlichen Staates. So wie sich die Gewerkschaftsbürokratie bezüglich der inflationären Tendenzen für nicht zuständig erklärt, weil die „Politik“ diese zu verantworten hat, wird sie sich auch bei deflationären Tendenzen für nicht zuständig erklären, weil „die Politik“ diese zu verantworten hat, d.h. die Gewerkschaftsbürokratie verweigert sich dem politischen Mandat der Gewerkschaften und verhindert eine relative proletarische Gegenmacht. Inflation und Deflation sind politische Größen und keine „technischen Daten“ der Ökonomie. Damit gibt die Gewerkschaftsbürokratie selbst ihre relative Tarifautonomie auf, statt diese gegen den bürgerlichen Staat zu verteidigen und erkennt somit den Notstandsstaat als letzte Entscheidungsinstanz an und damit auch das Dogma der „nationalen Sicherheit“. Das bürgerliche Dogma der „nationalen Sicherheit“ triumphiert über das von der Arbeiterklasse erkämpfte Recht in einer relativen Tarifautonomie gegen das Kapital bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen zu erkämpfen, ohne daß das Kapital offen und ohne weiteres auf die Machtmittel des bürgerlichen Staates zurückgreifen kann. Die Gewerkschaftsbürokratie negiert selbst dieses existentielle Recht der Arbeiterklasse und seiner Gewerkschaften. Im Notstandsstaat steht die „nationale Sicherheit“ des Kapitals absolut über den auch nur reformistischen Klasseninteressen des Proletariats. Jede proletarische Organisation, welche nicht die Hegemonie der „nationalen Sicherheit“ akzeptiert ist für den Notstandsstaat eine Feindorganisation und muß zerstört werden.

Dies beginnt mit der Einführung von Zensurmaßnahmen, deren Ziel es ist, die freie Meinungsbildung im Proletariat im Sinne der „nationalen Sicherheit“ zu regulieren. Es gilt, die proletarische Meinungsbildung im Sinne der „nationalen Sicherheit“ zu manipulieren. Eine offene Diskussion in der Arbeiterklasse versucht die Bourgeoisie zu verhindern, denn sie gefährdet die „nationale Sicherheit“ der Akkumulation von Kapital. Nur eine offene Diskussion im Proletariat schafft die materielle Basis für die proletarische Aktion. Die gegenwärtigen direkten und indirekten Zensurmaßnahmen dienen über die Meinungssteuerung der Verhinderung kollektiver proletarischer Aktion. Es werden von der Bourgeoisie die Meinungsbeiträge selektiert in Meinungsbeiträge, welche die „nationale Sicherheit“ gefährden und Beiträge, welche die „nationale Sicherheit“ nicht gefährden. Diese konkreten Meinungsbeiträge, welche die „nationale Sicherheit“ beeinträchtigen könnten, werden unterdrückt oder manipuliert. Damit werden proletarische Aktionen erschwert, verhindert werden können sie nicht. Die bürgerliche Meinungssteuerung ist auch ein Versuch, die politischen Aktionen der Arbeiterklasse zu steuern, ohne auf offensichtliche Repression zu setzten. Umso tiefer die Große Krise wird, desto mehr reicht die bürgerliche Meinungssteuerung nicht aus. Es muß auf die direkte nackte Repression zurückgegriffen werden.

Wenn der deutsche transatlantische Wirtschaftskrieg gegen Rußland das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse deutlich gefährdet, wird die Arbeiterklasse die „nationale Sicherheit“ des Kapitals gefährden müssen. Dann steht „proletarische Existenzsicherheit“ gegen „nationale Sicherheit“ des Kapitals. Die sozioökonomische Spannung zwischen den antagonistischen Klassen entlädt sich zuerst in spontanen Revolten, auch in wilden Streiks und der Notstandsstaat versucht schon präventiv, die spontanen Revolten unter Kontrolle zu bekommen. Diese soziale Polarisierung aufgrund der Vertiefung der Großen Krise übersetzt sich in eine politische Polarisierung, wenn die Bourgeoisie eine notstandsgestützte Deflationspolitik realisieren sollte. Mittlerweile befürchtet die deutsche Außenministerin Volksaufstände und das Bundesinnenministerium warnt vor großen Protestwellen, sollte sich die Große Krise in Form einer Energiekrise durch das Ausbleiben von Gaslieferungen aus Rußland darstellen. Der BDA (Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände) ruft nach einem „nationalen Notstand“ und möchte für eine gewisse Zeit das Streikrecht suspendieren, gerade im Hinblick des Streiks der Hafenarbeiter, denn dieser Streik belastet die Lieferketten des deutschen Kapitals. Der bürgerliche Staat geht schon einmal voran und verbietet bis Ende August die Warnstreiks in den Seehäfen und die verdi-Bürokratie akzeptiert dies, anstatt das Streikrecht zu verteidigen, was zum Protest an der Gewerkschaftsbasis führt. Schon bei den Warnstreiks kam es zu Auseinandersetzungen mit Polizeieinheiten. Der „nationale Notstand“ tastet sich langsam voran. Je näher der Energiemangel kommt, desto näher rückt auch der „nationale Notstand“ vor.

Der deutsche Imperialismus ist keine Kolonie des US-Imperialismus. Damit kann die Politik des deutschen Imperialismus nicht auf die Politik des US-Imperialismus reduziert werden, sondern die Politik des deutschen Imperialismus ist primär Ausdruck der Interessenlage des deutschen Kapitals, welche durch die Interessenlage des US-Imperialismus und der anderen transatlantischen Metropolen modifiziert wird. Auch der deutsche Imperialismus hat kein Interesse an einem wiedererstarkten russischen Imperialismus, sondern versucht den russischen Imperialismus in der Position eines bloßen Energie- und Rohstoffproduzenten, maximal einer verlängerten Werkbank für das deutsche Kapital, zu belassen. Da für diese Eindämmungspolitik der deutsche Imperialismus zu schwach ist, bedarf es der Hilfe des US-Imperialismus, welcher die gleichen Interessen gegenüber dem russischen Imperialismus verfolgt, wie auch die anderen transatlantischen Kettenglieder der imperialistischen Kette. Den transatlantischen Kettengliedern der imperialistischen Kette geht es um den wohlfeilen Zugriff auf die strategischen Rohstoffe des russischen Imperialismus und um die Verhinderung des Aufbaus einer hochentwickelten russischen Industrie. Es gibt ein gemeinsames imperialistisches Interesse der transatlantischen Metropolen gegenüber dem russischen Imperialismus und nicht nur das alleinige Interesse des US-Imperialismus. Der Ausbruch des russischen Imperialismus aus dem neoliberalen Weltmarkt ist gleichzeitig auch ein Ausbruch Chinas aus dem denselben, zerbricht den neoliberalen Weltmarkt und gefährdet damit objektiv die Interessen aller transatlantischen Metropolen, gefährdet die „transatlantische nationale Sicherheit“. Der Ukraine-Krieg macht deutlich, daß die Versorgung des transatlantischen Kapitals mit strategischen Rohstoffen nicht mehr gewährleistet ist. Der „Ernstfall“ ist für die transatlantischen Metropolen eingetreten, also das Ereignis, daß unter allen Umständen verhindert werden sollte. Im „Ernstfall“ wird die transatlantische Front in der imperialistischen Kette gegen den russischen Imperialismus besonders deutlich. Nicht die Interessen des US-Imperialismus sind maßgeblich, sondern die Gesamtinteressen der transatlantischen Kettenglieder der imperialistischen Kette. Nur in diesem einen Fall gibt es eine zeitweise eine partielle Interessenidentität zwischen den transatlantischen Metropolen der imperialistischen Kette. Je länger der Ukraine-Krieg andauert, desto mehr zerbricht die zeitweilige und partielle Interessenidentität zwischen den transatlantischen Metropolen, dann sind EU und NATO am russischen Imperialismus gescheitert und jede Metropole wird alleine und/oder mit anderen Metropolen zusammen sich mit dem russischen Imperialismus ins Verhältnis setzen. Auch der deutsche Imperialismus vertritt in letzter Instanz nur seine eigenen Interessen und wird mit dem transatlantischen Scheitern auf den deutschen Sonderweg zurückkehren, sein Mitteleuropa-Konzept wieder revitalisieren.

Die notwendige Zinserhöhung der EZB droht die Euro-Krise wieder aufleben zu lassen und gefährdet damit potentiell die Euro-Zone und auch die EU. Diese Krisentendenz potenziert sich zusätzlich mit dem transatlantischen Wirtschaftskrieg gegen Rußland, welcher dazu führt, daß sich die EU von ihrer Energiezufuhr tendenziell abschneidet bzw. abgeschnitten wird. Es droht ein Energienotstand in der EU und jedes Land wird unter diesen Umständen versuchen, sich zu retten, statt gemeinsam unterzugehen. Mit einer Energiekrise realisiert sich die aufziehende Rezession in der EU rascher und tiefer und die Fliehkräfte innerhalb der EU werden sich früh bemerkbar machen. Die Frage ist offen, ob es dem deutschen Imperialismus gelingt, die EU zusammenzuhalten oder ob der deutsche Imperialismus ein neues (Mittel-) Europa organisieren muß. Der transatlantische Wirtschaftskrieg schlägt als Energie-Krieg auf die EU, auf den deutschen Imperialismus, zurück. Ohne die russischen Energierohstoffe kann das transatlantische Kapital, auch das deutsche Kapital, nicht akkumulieren. Es geht nicht nur um die Verfügbarkeit der russischen Energierohstoffe, sondern auch einen wohlfeilen Preis. Hohe Energiekosten belasten die Akkumulationsrate des transatlantischen und deutschen Kapitals. Vor allem das deutsche Kapital hatte über wohlfreie Preise für Energierohstoffe aufgrund langfristiger Lieferverträge mit den russischen Lieferanten beträchtliche Vorteile in der Weltmarktkonkurrenz. Diese Konkurrenzvorteile hat das deutsche Kapital nun verloren. Die hohen Energiekosten können auch nicht in voller Höhe inflationär an die Kunden weitergegeben werden, da die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nicht ausreicht. Dann bleibt nur der deflationäre Ausweg über Produktionskürzungen wie Produktionseinstellungen und damit Lohnkürzungen und Massenarbeitslosigkeit, was ebenfalls zum drastischen Absinken der gesamtgesellschaftlichen Nachfrage führt. Die Entwertung des Kapitals ist notwendig und alternativlos. Damit treiben die hohen Energiekosten die Entwertung des Kapitals in der allgemeinen Bewegung des Kapitals im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate voran. Um diese Überakkumulation von Kapital zu transzendieren, muß das Kapital sich neu zusammensetzen und damit primär die Arbeiterklasse einer Neuzusammensetzung unterziehen. Nur über eine qualitative Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit im Ausbeutungsprozeß, kann einen Aufschwung der Akkumulation herbeiführen. Dies schließt auch die Potentialität eines imperialistischen Krieges mit ein. Läßt sich nicht auf friedlichem Wege eine qualitative Erhöhung der kapitalistischen Produktivkraft der Arbeit realisieren, besteht die Gefahr, daß über den Krieg als Fortsetzung der Weltmarktkonkurrenz mit anderen Mitteln die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse verwirklicht wird. Der imperialistische Raubkrieg als kapitalistische Alternative zur „friedlichen“ Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Die Vorenthaltung der russischen Energierohstoffe durch Rußland kann zu einem militärischen Angriff auf Rußland durch die transatlantischen Metropolen führen und damit auch durch den deutschen Imperialismus. Der deutsche Imperialismus kann die Vorenthaltung der russischen Rohstoffe und vor allem der Energie-Rohstoffe nicht nur als Wirtschaftskrieg, sondern auch als Krieg interpretieren und zum militärischen Angriff ansetzen, wenn er die militärische Kraft hätte. Jedoch ist nur der US-Imperialismus in der Lage, Rußland militärisch zu bedrohen.

Über das „Energiesparen“ kann das deutsche Kapital die Krise nicht überwinden. Jedoch führt das „Energiesparen“ zum „Sparen in der Krise“ und vertieft damit diese. „Sparen“ ist dann kein freiwilliger Akt, sondern, sondern wird der Arbeiterklasse vermittels Wertgesetz und damit auch vermittelt über den bürgerlichen Staat aufgezwungen. Dieses derzeit propagierte „Energiesparen“, bzw. „Sparen“ ist eine ideologische Umschreibung für Verzicht, erfolgt nicht freiwillig, sondern ist vom Kapital erzwungen und wird vermittels des Notstandsstaates realisiert. Die Arbeiterklasse spart nicht, weil sie sparen will, sondern weil sie sparen muß, weil sie vom Kapital zum Sparen gezwungen wird. Eine Deflationspolitik ist eine Sparpolitik und damit ein Angriff auf das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse. Letztlich rationiert der Notstandsstaat. Für den Notstandsstaat wird das „Sparen“ der Arbeiterklasse zu einer Frage von Freund und Feind. Wer spart, wer verzichtet, ist ein „Freund“, wer jedoch sich dem „Sparen“ bzw. dem Verzicht verweigert, ist ein „Feind“, ein „Staatsfeind“. Die Aufgabe des Notstandsstaates ist es, das „Sparen“ bzw. den Verzicht der Arbeiterklasse sicherzustellen und damit zu erzwingen, denn das „Sparen“ bzw. der Verzicht wird zu einer Frage der „Staatstreue,“ der „Loyalität“ zum bürgerlichen Staat und zur bürgerlichen Gesellschaft, bzw. noch ideologischer gefaßt als Frage der „Demokratie“, des „freien Westens“ (Sparen bzw. Verzicht ist Freiheit), der „wehrhaften Demokratie“. In kapitalistischen Krisenzeiten ist das „Sparen“ bzw. der Verzicht der Arbeiterklasse alternativlos. Erst der revolutionäre Bruch mit dem Kapitalismus beendet die Alternativlosigkeit des kapitalistischen „Sparens“ bzw. des Verzichts. In dieser gegenwärtigen Krisensituation ist das „Sparen“ bzw. der Verzicht der Arbeiterklasse für das Kapital eine Frage der „nationalen Sicherheit.“ Wer sich des „Sparens“ und damit des Verzichts verweigert, ist eine „Bedrohung für die „nationale Sicherheit“ und somit ein „Feind“ und muß politisch und notfalls auch physisch liquidiert werden. Wer sich dem „Sparen“ bzw. dem Verzicht verweigert, ist ein Hochverräter in den Augen der Bourgeoisie. Die „neue Normalität“ des Notstandsstaates ist das „Sparen“, das „Verzichten“ der Arbeiterklasse zu Gunsten des Kapitals. Ideologisch soll über das Paradigma des Energiesparens die Deflationspolitik in den Massen, vor allem im Kleinbürgertum, verankert werden. Wenn es gut ist, Energie zu sparen, dann kann ebenfalls nur gut sein, auch bei den Ausgaben etc. zu sparen, d.h. über den Energienotstand und das „Energiesparen“ wird eine Deflationspolitik vorbereitet. Aus dem „Sparen“ überhaupt wird vermittelt über das „Energiesparen“ zum Schutze der Ökologie eine Tugend gemacht und somit ist dann auch eine Austeritätspolitik/Deflationspolitik/Sparpolitik eine Tugend bzw. der Verzicht wird in der tiefen kapitalistischen Krise zur Tugend erklärt, natürlich nur bezüglich der Arbeiterklasse. Die Bourgeoisie verzichtet nicht, sie gewinnt dann den Teil, auf den die Arbeiterklasse verzichtet. Für das Kapital heißt sparen: Kosten sparen, betriebliche und staatliche Ausgaben, Löhne und soziale Transferleistungen zu sparen, d.h. abzusenken. Die Energiekosten der kapitalistischen Produktion zu senken, auch auf Kosten der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion der Ware Arbeitskraft ist das Ziel und nicht der Schutz der ökologischen Grundlagen der Gesellschaft.

Der Energiemangel des deutschen Kapitals aufgrund des antirussischen Wirtschaftskrieges soll über eine Rationierungspolitik zu Lasten der Arbeiterklasse über den Notstandsstaat reguliert werden. Nicht nur national. Der deutsche Imperialismus versucht EU-weit einen „Energienotstand“ bzw. „Gasnotstand“ zu organisieren. Die einzelnen EU-Staaten sollen mindestens 15 Prozent an Gas bzw. Energie einsparen, um die Mangellieferungen oder gar den Abbruch der russischen Energielieferungen, vor allem der Gaslieferungen, abzufangen. Jedoch konnte sich die EU nur auf Absichtserklärungen einigen. Verbindliche Zusagen haben die einzelnen EU-Staaten nicht gegeben. Der Versuch des deutschen Imperialismus, die EU geeint in einen Wirtschaftskrieg bzw. gar in einen Krieg, bzw. Dritten Weltkrieg, gegen den russischen Imperialismus zu führen, ist bis jetzt nicht von Erfolg gekrönt. Dieser angestrebte „Energienotstand“ ist nicht nur eine Waffe im antirussischen Wirtschaftskrieg, sondern ebenso ein Moment der Kriegswirtschaft zur Organisierung des potentiellen Krieges gegen Rußland und damit objektiv des Dritten Weltkrieges. Im „Energienotstand“ bzw. „Gasnotstand“ wird die Energie, bzw. das Gas, im Sinne des Akkumulationsprozesses rationiert und damit zur Lasten der Arbeiterklasse und zum Wohle der Kriegsvorbereitung des deutschen und transatlantischen Imperialismus gegen den russischen Imperialismus im Rahmen eines in letzter Instanz notwendigen Dritten Weltkrieges. Dieser Dritte Weltkrieg kann nicht vom Kapitalismus abgewendet werden, sondern nur durch den aktiven Klassenkampf der Arbeiterklasse. Der Kapitalismus ist nicht friedensfähig, sondern nur kriegsfähig. Damit dient der nationale oder EU-weite „Energienotstand“ bzw. „Gasnotstand“ der imperialistischen Kriegsvorbereitung der transatlantischen Metropolen gegen den russischen Imperialismus im Rahmen eines Dritten Weltkrieges. Im Wirtschaftskrieg wird die Kriegswirtschaft aufgerichtet, welche dann den Krieg, den Dritten Weltkrieg, vorbereitet. Das „Sparen“ bzw. der Verzicht der Arbeiterklasse ermöglicht den antirussischen Wirtschaftskrieg, welcher die Arbeiterklasse hart trifft und bereitet einen potentiellen Dritten Weltkrieg vor. Der proletarische Verzicht des kapitalistischen Verzichts ist die materielle Basis für die Verhinderung eines Dritten Weltkrieges.

Dies Mitteleuropa-Konzept des deutschen Imperialismus verlangt erst einmal im Binnenverhältnis eine neue Formierung der Klassenbeziehungen. Die derzeitige tiefe Krisenphase der Großen Krise zerbricht die Westbindung des deutschen Imperialismus und der deutsche Imperialismus ist auf sich allein gestellt und muß sich in den multipolaren Weltmarkt einordnen, geht auf den deutschen Sonderweg zurück und dies verlangt auch nach der traditionellen militarisierten deutschen Gesellschaft. Der „Energienotstand“ bzw. „Gasnotstand“ erzwingt eine tendenzielle Kriegsökonomie, welche auf Rationierung des gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse beruht. Will die Kriegswirtschaft des deutschen Imperialismus erfolgreich sein, kann sie nicht nur national organisiert sein, sondern muß über die engen nationalen Grenzen hinausgreifen, muß auf Westeuropa zielen. Der deutsche Imperialismus zielt immer auf ein „Mitteleuropa,“ entweder über eine transatlantische EU oder über ein deutsches Mitteleuropa. Um in der Auseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus zu bestehen, bedarf der deutsche Imperialismus die Ressourcen Westeuropas, muß jetzt gleichzeitig versuchen, das transatlantische Westeuropa notfalls in ein „neues Mitteleuropa“ zu transformieren. Nur dann kann der deutsche Imperialismus in seiner Auseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus um die Hegemonie in Europa sicherstellen, daß proletarische Revolten in Deutschland in der Defensive verbleiben. Jedoch führt dies zur Schwächung der anderen transatlantischen Metropolen und provoziert dort proletarische Revolten. Das „deutsche Mitteleuropa“ ist in letzter Instanz keine Lösung. Doch andere Lösungen sind im Kapitalismus nicht möglich.

Bisher war der deutsche transatlantische Wirtschaftskrieg gegen Rußland ein Fehlschlag. Statt den russischen Imperialismus zu ruinieren, ruinierte sich der deutsche Imperialismus selbst. Die Wirtschaftssanktionen befeuerten die schon vorhandenen inflationären Tendenzen und führten zur Inflationierung des Energieverbrauchs und zum Ende der langfristigen Lieferverträge für Energierohstoffe aus Rußland und tangieren somit die Verwertung des deutschen Kapitals, welches nun seine wohlfeile Rohstoffzufuhr von Energierohstoffen verlor. Immer deutlicher holt der russische Imperialismus zum Gegenschlag aus und begrenzt die Gaszufuhr. Der deutsche Imperialismus glaubte in seinem Größenwahn, anderweitig genügend Energierohstoffe auftreiben zu können und so Rußland in die Knie zu zwingen, vermeinte daß die Abhängigkeit Rußlands von Deutschland größer sei, als die Abhängigkeit Deutschlands von Rußland, glaubte, daß die NATO-Ukraine den russischen Imperialismus militärisch schlagen könnte, was dann die Möglichkeit eines Regime-Changes eröffnen würde. Das objektive Kräfteverhältnis zwischen dem deutschen und dem russischen Imperialismus wurde vom deutschen Imperialismus falsch eingeschätzt. In der Ukraine-Frage triumphiert der russische Imperialismus gegenüber dem transatlantischen Imperialismus. Nun ist der transatlantische Imperialismus in der Defensive und damit auch der deutsche Imperialismus.

Im deutschen Kapital geht jetzt die Angst vor einem Gasmangel um und die deutsche Bourgeoisie setzt zur Flucht nach vorn in eine Schock-Politik an. Es ist nun objektiv eine internationale Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse notwendig. Wieder einmal hat sich das deutsche Kapital selbst in die Enge getrieben und sieht sich in die Ecke gedrängt, beginnt wild um sich zu schlagen. Statt eine diplomatische Lösung anzustreben, radikalisiert sich der deutsche Imperialismus. Spricht durch den Mund des Bundeswirtschaftsministers von „keine Kapitulation“ und „wir werden keine weiße Fahne hissen“, wenn es um die sanktionierte Nord Stream II- Pipeline geht. Mit dem Ende der Sanktionen gegen Nord Stream II wäre der Energienotstand über Nacht verschwunden. Jedoch wäre dies auch eine Niederlage des deutschen Imperialismus gegen den russischen Imperialismus und das weltweite Kräfteverhältnis hätte sich mit dem Scheitern des transatlantischen Wirtschaftskrieges gegen Rußland ebenfalls geändert. Aus diesem Grunde verweigert bisher der deutsche Imperialismus jede Verständigung mit dem russischen Imperialismus; im Gegenteil, je näher die deutsche Niederlage im antirussischen Wirtschaftskrieg, desto mehr radikalisiert sich der deutsche Imperialismus, desto mehr versucht auch der deutsche Imperialismus einen Bruch nach innen, denn ohne einen Bruch mit den bisherigen Klassenverhältnissen kann der russische Imperialismus nicht bezwungen werden. Die Aktivierung der Wehrpflicht wäre nur ein Moment in der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Je mehr der deutsche Imperialismus in seinem Wirtschaftskrieg gegen Rußland in die Defensive gerät, desto mehr radikalisiert er sich gegen den „inneren Feind“, den er mit einer Deflationspoltik und einem Notstandsstaat zu Leibe rückt. Das erste Ziel des deutschen Kapitals ist die Ausschaltung der proletarischen Massenorganisationen als eigenständige, freie, autonome proletarische Organisationen. Dann ist der Weg frei zum zweiten Ziel des deutschen Kapitals, der sozialen und auch wenn nötig, physischen Vernichtung einer vermeintlichen „Überschußbevölkerung“, welche nicht mehr als Ausbeutungsmaterial für den Ausbeutungsprozeß dienen kann. Über die „Vernichtung von Ballstexistenzen hofft das deutsche Kapital Kosten einzusparen, finanzielle Ressourcen zu optimieren, um konkret im Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus zu bestehen. Dazu wird der „Energienotstand“ bzw. „Gasnotstand“ benötigt. Eine Ware Arbeitskraft, die nicht ausbeutungsfähig ist, nicht als Ausbeutungsmaterial für das Kapital dienen kann, ist für das Kapital „unproduktiv,“ weil unprofitabel und damit „überflüssig“. Die industrielle Reservearmee zeichnet sich eben dadurch aus, daß sie potentiell in der Lage ist, als Ausbeutungsmaterial zu dienen und setzt deshalb objektiv die aktive Arbeiterarmee unter Druck. Eben deshalb ist die Ware Arbeitskraft in der industriellen Reservearmee erhalten und lediglich entwertet. Die Ware Arbeitskraft jedoch, die nicht mehr potentiell als Ware Arbeitskraft zirkulieren kann, ist keine Ware Arbeitskraft mehr, d.h. sie ist dann auch keine entwertete Arbeitskraft mehr, sondern Nicht-Ware-Arbeitskraft und hat damit keine soziale Daseinsberechtigung mehr, d.h. die Nicht-Ware-Arbeitskraft wird asozial, verliert damit weitestgehend die physische Daseinsberechtigung und droht physisch vernichtet zu werden, denn sie produziert für das Kapital nur Kosten, ohne jemals diese ausgleichen zu können. In der gegenwärtigen Phase der Großen Krise kann es geschehen, daß das Kapital sich seiner „Asozialen“ entledigen will. Vor allem dadurch, daß das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau dieser relativen Übervölkerung soweit abgesenkt wird, bis diese verendet, verhungert oder so geschwächt ist, daß Krankheiten sie hinwegrafft. Unter dem Deckmantel eines „Energienotstands“ läßt sich diese Politik geräuschlos realisieren. Der Energiemangel wird vom Kapital so verwaltet, daß der Hauptteil der Energie dem Kapital zufließt, der Mangel wird dann über Rationierung in der aktiven Arbeiterarmee und Teilen der industriellen Reservearmee verteilt, während die relative Übervölkerung keine, oder nur unwesentliche Mengen an Energie erhält. Ohne ausreichende Energie ist die physische Existenz bedroht. Es droht die physische Vernichtung der relativen Übervölkerung, aller Personen, welche für das Kapital kein Ausbeutungsmaterial mehr darstellen. In die Kategorie der relativen Übervölkerung fallen nicht nur Personen, welche soweit vernutzt sind, daß kein Ausbeutungsmaterial mehr darstellen können, sondern auch Personen, welche von der Bourgeoisie als „Gefahr für die nationale Sicherheit“ betrachtet und als „politisch unzuverlässig“ eingestuft wurden. Der „politische Feind“ wird im „sozialen Feind“ aufgelöst. Während der „soziale Feind“ des Kapitals die relative Übervölkerung ist, welche die Kosten für das Kapital in der Großen Krise hochtreibt, ist der „politische Feind“ des Kapitals potentiell als Ware Arbeitskraft im kapitalistischen Ausbeutungsprozeß einsetzbar, wird aber vom Kapital als potentielle Bedrohung der „nationalen Sicherheit“ eingeordnet, wenn die Klasseninteressen des Proletariats vertreten werden. Der „politische Feind“ des Kapitals gilt als „Sicherheitsrisiko“ für die „Betriebs- und Staatssicherheit“ und ist für das Kapital aus Sicht des Kapitals der gefährlichere Feind im Verhältnis zum „sozialen Feind“ des Kapitals, denn nur der „politische Feind“ des Kapitals kann die Einheitsfront mit dem „sozialen Feind“ des Kapitals organisieren, nicht umgekehrt. Aus diesem Grund muß der „politische Feind“ in den „sozialen Feind“ ausgestoßen werden, eine politische Säuberung in Kapital und bürgerlichen Staat stattfinden, damit Kapital und bürgerlicher Staat frei von Einflüssen des „politischen Feindes“ gehalten werden können. Die Waffe Berufsverbot ist dafür eine scharfe Waffe in den Händen der Bourgeoisie. Das Ziel ist die möglichst gemeinsame und gleichzeitige physische Vernichtung des „sozialen“ und „politischen“ Feindes und läßt sich am besten unter der Herrschaft eines Notstandsstaates im Ausnahmezustand realisieren. Der „soziale Feind“ findet seinen „sozialen Tod“ schon vor seinem physischen Tod in dem Ausschluß in die Armut und der „politische Feind“ wird hauptsächlich ebenfalls in die Kategorie des „sozialen Feindes“ gedrängt, damit er in der Armut seinen „sozialen Tod“ stirbt. Nur wenn es unumgänglich ist, der „politische Feind“ sich erfolgreich dem „sozialen Tod“ verweigert, zielt die Bourgeoisie auf den „politischen Tod“ des „politischen Feindes“ durch unverzügliche physische Vernichtung im Rahmen von „Search and destroy“ Aktionen, Such- und Vernichtungsaktionen im Rahmen einer Counterinsurgency-Politik, welche erst im Notstand, im Ausnahmezustand rasch umgesetzt werden kann. Immer ist die direkte Vernichtung des „politischen Feindes“ Ausnahme, denn diese „politischen Aktionen“ verursachen zu viel Öffentlichkeit und kann nur im bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) realisiert werden. Die Bourgeoisie präferiert in der parlamentarisch-demokratischen Form bürgerlicher Klassenherrschaft die Auflösung des „politischen Feindes“ im „sozialen Feind,“ zielt auf den physischen Tod, wobei der „soziale Tod“ diesem vorgeschaltet wird. Um den „sozialen Feind“ zu vernichten, muß zuerst der „politische Feind“ vernichtet werden, dies Ziel steuert die Bourgeoisie im bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) direkt an, während in parlamentarisch-demokratischen Formen des bürgerlichen Staates die Bourgeoisie das Ziel nur über indirekten Weg erreichen kann. Der „soziale Feind“ wurde durch die Bourgeoisie schon 2003/2004 vermittels des Institutionalisierung des Hartz IV-Systems bestimmt. Die Erwerbslosen der industriellen Reservearmee galten und gelten als „sozialen Feind“, den es zu vernichten gilt, entweder die positive soziale Vernichtung durch die Integration in die aktive Arbeiterarmee oder durch die negative soziale Vernichtung in den „ sozialen Tod“ des Hartz IV-Systems, welcher auch zum physischen Tod führen konnte, dieser ist immer mit einkalkuliert, entweder physischer Tod durch Mangelernährung und Armutskrankheiten oder durch den Selbstmord. Das Hartz IV-System ist strukturell so angelegt, daß es nach dem Leben der Hartz IV-Bezieher trachtet und der Euthanasie die Tore öffnet, auch dann, wenn versucht wird, das Hartz IV-System als „Bürgergeld“ zu modifizieren, Hartz IV bleibt Hartz IV, egal welchen Namen es auf der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse trägt. Und es wurde schon seit Bestehen des Hartz IV-Systems versucht, den „politischen Feind“ in das Hartz IV-System abzuschieben. Hartz IV ist ein Sondersystem, welches gegen die industrielle Reservearmee gerichtet ist und war schon immer der Notstand des Kapitals gegen die industrielle Reservearmee. Schon unter der Form des parlamentarisch-demokratischen Staates bildet sich der Ausnahmezustand aus und war auf die industrielle Reservearmee mehr oder minder beschränkt, bzw. noch auf einige Segmente der Randbelegschaften, soweit sie ihren Niedriglohn mit Hartz IV aufstocken mußten. Über den Notstand droht dieses Sonderrechtssystem Hartz IV nun die gesamte aktive Arbeiterarmee zu erfassen. In diesem Sinn ist der Notstand dann ein „Hartz IV für alle“. Der „Corona-Notstand“ weitete langsam den Notstand von der industriellen Reservearmee auf die Kernbelegschaften der aktiven Arbeiterarmee aus und der „Energienotstand“ verschärft den „Corona-Notstand“ und militarisiert diesen und die Tendenz zur Euthanasie der „Überflüssigen“ wird stärker, vermittelt sich über die steigenden Energiekosten.

Der bürgerliche Staat beginnt „Wärmeinseln“ für die Armutsbevölkerung zu organisieren, welche sich im Winter nicht in ihren Wohnungen erwärmen kann und droht zu Erfrieren. Dann ist dieser Personenkreis real aus seinen Wohnquartieren ausgezogen, zur Semi-Wohnungslosigkeit gezwungen und steht schon fast mit einem Fuß in einem Lagersystem. Dies leistet Tendenzen Vorschub, die Rückkehr in die konkreten Wohnungen zu verhindern, bzw. die Notwendigkeit nach kleineren und günstigeren der Armutsbevölkerung aufzudrängen, bis hin zu Wohngemeinschaften. Eine „Wärmeinsel“ wäre schon die Keimform einer objektiv erzwungenen Wohngemeinschaft der Armut. Wer sich der Neuorientierung in den Quartieren verweigert, wird nach einer gewissen Zeit keinen Platz mehr in einer „Wärmeinsel“ haben und muß droht dann potentiell in seiner Wohnung oder auf der Straße zu erfrieren. Das Aufsuchen einer „Wärmeinsel“ führt die konkret der Armutsbevölkerung vor Augen, daß sie sich ihre bisherigen Quartiere nicht mehr „leisten“ kann. Es ist ohne weiteres möglich, die „Besucher“ einer „Wärminsel“ mit ihren konkreten Daten zu erfassen, ebenso wie es bei einer „Tafel“ (Armenspeisung) geschieht. Der bürgerliche Staat hätte dann die Daten, welche für eine Bekämpfung des „sozialen Feindes“ notwendig wären. Über die Energiekosten bzw. über eine Politik der Energie-Austerität kann eine Selektion von formierter Gesellschaft-Volksgemeinschaft und „sozialem Feind“ vorgenommen werden.

Die Energiesicherheit als materielle Grundlage der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion der Arbeiterklasse wird in Frage gestellt und interessanterweise ist dies keine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“, wohl aber die Reaktion der Arbeiterklasse auf diesen Angriff auf ihre materielle Existenz soll eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ sein. Der Widerstand der Arbeiterklasse gegen die Bedrohung der gesellschaftlichen Grundlagen durch das deutsche Kapital ist nichts anderes als Selbstverteidigung und verhindert eine Euthanasie-Politik. Ein „Energienotstand“ eröffnet der Bourgeoisie den Weg, den „politischen Feind“ mit konzentrierter Repression zu bekämpfen und die Hemmschwelle zur physischen Vernichtung des „politischen Feindes“ sinkt. Der bürgerliche Staat in Notstandsform zielt im inneren auf einen Bürgerkrieg der einseitig geführt wird, während im Außenverhältnis auf den imperialistischen Krieg abgezielt wird. Im Ausnahmezustand, im Notstand, ist der bürgerliche Staat von allen demokratisch-sozialen Bindungen befreit, bzw. befreit sich selbst von diesen Regularien, erklärt die Verfassung für nichtig und handelt nur nach der Staatsräson, ist somit ein Machtstaat und kennt nur noch „Freund“ oder „Feind“. Der „Freund“ darf leben, der „Feind“ muß sterben. Der „Feind“ wird im ausentwickelten Notstandsstaat der Todesstrafe in irgendeiner Form zugeführt, der „politische Feind“ unmittelbar durch die repressiven Staatsapparate des bürgerlichen Staates im direkten Einsatz oder durch die Justiz, der „soziale Feind“ durch die naturwüchsige strukturelle Gewalt der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Die Vernichtung des „Feindes“ in der Form des „politischen Feindes“ oder des „sozialen Feindes“ ist das primäre Ziel eines ausentwickelten Notstandsstaates. Damit hätte sich die Staatsräson realisiert, wie auch die Souveränität, denn ein Souverän im Sinn der Bourgeoisie findet sich nur im Ausnahmezustand. Es gilt immer noch der Satz von Carl Schmitt: Souverän ist derjenige, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Die Freund/Feind-Entscheidung ist eine Entscheidung der Bourgeoisie: die herrschende Klasse entscheidet darüber, wer als „Freund“ und wer als „Feind“ zu gelten hat. Neutralität gibt es in der Entscheidung nicht. Wer nicht für die Bourgeoisie ist, ist gegen sie und wird als „Feind“ bekämpft. Die Entscheidung darüber obliegt im Ausnahmezustand allein der herrschenden Klasse, das Verhalten auf diese Entscheidung durch die unterworfenen Klassen hat keinen wesentlichen Einfluß auf die Politik des Ausnahmezustandes. Eine „Freund-Feind“-Entscheidung ist immer eine Entscheidung über „Krieg“ und „Frieden“. Für den „Freund“ den „Frieden“, für den „Feind“ den „Krieg“. Im Ausnahmezustand wird das Recht zum Kriegsrecht. Wer dann „Feind“ ist, wird entrechtet. Kriegsrecht heißt auch Rationierung, Kriegswirtschaft und existiert nur im Kriegsfall. Nur im Ausnahmezustand des Krieges (ob Krieg, ob Bürgerkrieg, ob kriegsähnlicher Zustand) läßt sich ein historischer Bruch über eine Schock-Politik realisieren. Seit dem Jahr 2020, den weltweiten Corona-Notständen, haben die herrschenden Klassen einen kriegsähnlichen Zustand geschaffen und dies war ein Produkt der tiefer liegenden kapitalistischen Verwertungsprobleme. Jedoch ließen sich so die Verwertungsprobleme nicht lösen und eskalierten nun im Ukraine-Krieg, der dann einen offenen weltweiten Kriegszustand hervorbringt, der nach dem Ausnahmezustand ruft. Ohne Krieg, ohne einen Kriegszustand gibt es keinen Ausnahmezustand. Ist der Ausnahmezustand erst offen oder verdeckt verhängt, ist der Krieg tendenziell unvermeidlich, wenn man die Situation dann nur der herrschenden Klasse überläßt. Im Ausnahmezustand wird die Modifikation bürgerlicher Klassenherrschaft durch die Arbeiterklasse ausgeschlossen, d.h. die herrschenden Klasse negiert jede wesentliche Form der Mitbestimmung der unterworfenen Klassen, welche noch in der parlamentarisch-demokratischen Form des bürgerlichen Staates noch gewährleistet ist. Im Ausnahmezustand herrscht die Bourgeoisie direkt und kann nur auf diesem Wege eine Deflationspolitik an der Arbeiterklasse exekutieren, d.h. den „sozialen Feind,“ wie den „politischen Feind“ vernichten. Wer sich dem Sparen und damit der Deflationspolitik verweigert, ist gleichzeitig ein „sozialer Feind“ und ein „politischer Feind,“ welchem über den Ausnahmezustand bzw. Energienotstand der Krieg erklärt wird, d.h. der Ausnahmezustand ist der Bürgerkrieg gegen den „sozialen Feind“, wie dem „politischen Feind“. Unter dem Schutz des Staatsgeheimnisses, wie des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses bestimmt die Bourgeoisie ihren „sozialen Feind“, wie auch den „politischen Feind“.

Immer deutlicher organisiert die Bourgeoise die bürgerliche Gesellschaft als formierte Gesellschaft-Volksgemeinschaft. Als Legitimationsgrundlage dafür dient der Ukraine-Krieg. Der „äußere Feind“ Rußland bedroht die „nationale Sicherheit“ und wer schon eine diplomatische Verständigung anmahnt, wird sofort zum „inneren Feind“, ebenso bei der Ablehnung des Verzichts als zentrale Bürgertugend. Laut BRD- Bundeswirtschaftsminister Habeck wäre die Zurücknahme der antirussischen Sanktionen eine Kapitulation, ebenso die Öffnung von Nord Stream II. Der österreichische Bundeskanzler Van der Bellen denunziert die Gegner des transatlantischen Wirtschaftskrieges als „Kollaborateure“ und fordert eine „Schicksalsgemeinschaft.“ Deutliche Worte aus der Geschichte des deutschen Faschismus und des deutschen Imperialismus überhaupt. Für den österreichischen Bundeskanzler sind Gegner der antirussischen Sanktionen schlicht „Verräter“ bzw. „Hochverräter“ und dies wird traditionellerweise mit dem Tode bestraft. Mit dem Begriff „Schicksalsgemeinschaft“ nimmt der österreichische Bundeskanzler einen positiven Bezug zur faschistischen Volksgemeinschaft. Eindeutig wird von der Bourgeoisie ein „innerer Feind“ konstruiert, indem auch nur Gegner der antirussischen Wirtschaftssanktionen sofort „Extremisten“ und „Hochverräter“ werden. Wer für Entspannungspolitik eintritt und Nord Stream II öffnen möchte, ist dann ein „Volksverräter“ in den Augen der Bourgeoisie und muß aus der „Schicksalsgemeinschaft“ bzw. Volksgemeinschaft ausgestoßen werden, ebenso wer fordert, daß der bürgerliche Staat die Preiserhöhungen auf Energieverbrauch begleichen soll. Massenproteste gegen die hohen Energiepreise, gegen einen „Energienotstand,“ sind in den Augen der Bourgeoisie „Vaterlandsverrat“ und „Kollaboration“ mit dem Feind und sind damit der „innere Feind“, der aus „Schicksalsgemeinschaft“ bzw. Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft als „gemeinschaftsfremd“ ausgestoßen werden muß. Widerstand gegen den „Energienotstand“, gegen die hohen Energiepreise, sind für die Bourgeoisie eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ und werden notfalls mit härtester Repression beantwortet. Wer Widerstand gegen den „Energienotstand“ und gegen die hohen Energiepreise leistet, gilt für die Bourgeoisie als ein „Feind“ der Bundesrepublik Deutschland. Die Gründe für die angebliche „Feindschaft“ bzw. „feindliche Haltung“ der Bundesrepublik Deutschland gegenüber zählen nicht. Wer vom bürgerlichen Staat als „Feind“ bestimmt wurde, ist ein Feind für den bürgerlichen Staat und wird auch als „Feind“ behandelt und vernichtet. Der „Feind“ wird mit einem Sonderrecht, dem „Feindrecht“ behandelt, welches weit über das Strafrecht hinausgeht und ist damit letztlich tendenzielles Kriegsrecht. Dabei entfällt das Recht auf eine objektive Gerichtsverhandlung und Urteil. Das Urteil im Sinne der Staatsräson, bzw. der Staatssicherheit kann geheim ohne den Angeklagten anzuhören gefällt und exekutiert werden. Nach EU-Recht der EU-Grundlagenverträge ist auch eine Todesstrafe möglich, direkt in Folge von Unruhen und Aufständen, aber auch als klassische justizförmige Todesstrafe, d.h. legale und extralegale Todesstrafe im Extremfall des „Ernstfalls“. Der „Ernstfall“ ist immer ein Extremfall, der Ausnahmezustand, der Notstand in seiner höchsten Form der Entwicklung ist der Extremfall par excellance. Im Notstand kann der Ausschluß aus der bürgerlichen Gesellschaft in Form der formierten Gesellschaft-Volksgemeinschaft auch durch die legale oder extra-legale physische Vernichtung sichergestellt werden, wenn der „soziale Tod“ durch Isolation nicht als effektiv angesehen wird. Die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft ist eine „Leistungsgemeinschaft“. Ein „Minderleister“ wird aus der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft ausgeschlossen und konkret erst einmal aus der „Betriebsgemeinschaft“ ausgestoßen. Wer nichts mehr „leistet“ verliert vor allem in einer Epoche des Notstands das Recht auf Leben, d.h. wer nicht mehr als Ausbeutungsmaterial für das Kapital fungieren kann, muß damit rechnen, daß er sein Recht auf Leben verliert. Die Daseinsberechtigung, das Recht auf Leben, ist im Notstandsfall nur dann gegeben, wenn eine Ware Arbeitskraft im kapitalistischen Ausbeutungsprozeß eingesetzt werden kann. Im Notstand gilt die „Triage“-Regelung, welche sich immer am besten Fall orientiert bzw. an der Wiederverwertbarkeit oder Wiederverwendung. Hilfe zur Überbrückung einer Notlage erhalten nur die Personen, welche schnell wieder einer Wiederverwendung zugeführt werden können und nicht dauerhaft ausfallen. Hier fallen dann die geringsten Kosten an. Mit der Schwere des Falls steigen die Kosten an. Je schwerer ein Fall, desto höher die Kosten und die Gefahr der Nicht-Wiederverwendung in der Zukunft, desto mehr sinkt das Interesse des Kapitals an der Wiederherstellung der Ware Arbeitskraft. Die finanziellen Ressourcen werden nur auf die Fälle konzentriert, wo die Wiederherstellung der Ware Arbeitskraft mit geringen Kosten und zeitnah erfolgen kann. Die „Triage“ selektiert also nach „Leistungsfähigkeit.“ Die Ware Arbeitskraft, welche nur eine geringe Leistungsfähigkeit aufweist, erhält keine oder nur geringe Hilfe, um eine Notlage zu überbrücken. Dies Prinzip der „Triage“ kommt aus der Militärmedizin und kolonialisiert im Notstand die gesamte Medizin, wie auch alle anderen gesellschaftlichen Bereiche. Notstand ist „Triage“ und umgekehrt. Die gesellschaftlichen Ressourcen müssen nicht für alle reichen. Opfer sind notwendig. Das Kapital fordert die Arbeiterklasse sich im Dienste der „Nation“ zu opfern bzw. zu akzeptieren, geopfert zu werden. Es breiten sich im Notstand Euthanasie-Tendenzen aus, indem Teilen der Lohnarbeiterklasse sogar das unterste Niveau der physischen Existenz entzogen wird. Nicht umsonst ist Hartz IV als partieller Notstand gegen die industrielle Reservearmee von der Bourgeoisie erschaffen worden. Der Notstandsstaat schützt die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft gegen den „sozialen Feind“ und den „politischen Feind“, während die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft eng mit dem Notstandsstaat zusammenarbeitet und so den Notstandsstaat schützt. Die Armut wird aus der Gesellschaft ausgeschlossen, sie ist kein Thema mehr; Sozialpolitik zielt nur noch auf die „Leistungsgemeinschaft“. Diese Entwicklung wurde mit dem Sondernotstand gegen die industrielle Reservearmee vermittels Hartz IV organisiert und der „Energienotstand“ versucht diese Entwicklung zu vervollkommnen. Die Verelendung der industriellen Reservearmee und der Randbelegschaften soll auch politisch und sozial isoliert werden, damit jeder gemeinsame Widerstand der Arbeiterklasse präventiv unterbunden werden kann. Über den „Energienotstand“ versucht man die Entpolitisierung der Arbeiterklasse bzw. der gesamten bürgerlichen Gesellschaft voranzutreiben, indem dem man diesen als Sachzwang und damit als alternativlos versucht darzustellen. Rußland würde die Gaszufuhr bei Nord Stream I unterbrechen, verschweigt aber, daß Deutschland Nord Stream II blockiert. Bei Aktivierung von Nord Stream II wäre die Energiekrise sofort zu Ende.

Die Entpolitisierung durch den „Corona-Notstand“ erschwert den Widerstand gegen einen „Energienotstand“. Über die erfolgte Atomisierung zerbrachen die bisherigen Organisationsstrukturen. Ein organisierter Widerstand gegen die Deflationspolitik des „Corona-Notstandes“ fand nicht statt. Über die Ohnmachtserfahrungen zersetzte sich die bisherige politische Zusammensetzung der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums und danach auch die soziale Zusammensetzung von Arbeiterklasse und Kleinbürgertum. Der Schub der Verelendung von Arbeiterklasse und Kleinbürgertum unter dem „Corona-Notstand“ führte zu einem atomisierten Verhalten, welches den Kapitalismus reproduziert. Die Zumutungen des neuen Klassenregimes werden vermehrt mit individueller Aggression gegen alles und jeden, Personen und Sachen, kompensiert. Ein wildes um sich schlagen gewinnt an Raum, denn es fehlt die organisierte politische Kraft, welche die individuelle Aggression aufgrund der Großen Krise negiert, indem diese in eine kollektive politische Aggression gegen das kapitalistische System transformiert wird. Diese Situation verschärft sich mit dem „Energienotstand“. Gelingt keine proletarische Antwort auf den „Energienotstand“, wird dieser als „Sachzwang“ abgearbeitet, dann nimmt die individuelle Aggression gegen Personen und Sachen zu, wie auch gelingt dann auch eine rechte nationalistische Integration in den Kapitalismus, welche die individuelle Aggression in die kollektive Aggression, auf die „Nation“ hin, sublimiert und so das kapitalistische System gegen die Arbeiterklasse stabilisiert. Die Entpolitisierung der Arbeiterklasse legt potentiell die materielle Grundlage für eine rechte nationalistische Politisierung des Kleinbürgertums und zersetzt dann die Arbeiterklasse. Diese „Alternativlosigkeit“ ist ein Ausdruck der Ohnmacht bzw. der Atomisierung der Arbeiterklasse und die ziellose individuelle Gewalt derzeit ist eine individuelle Revolte gegen eben diese „Alternativlosigkeit“ der kapitalistischen Ausbeutung.

Durch die Identitätspolitik wird die „Alternativlosigkeit“ moralistisch, emotional, aufgeladen. Es gibt nur noch die moralischen Kategorien von „Gut“ und „Böse“. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, denn „wir“ sind das „Gute“ und wer gegen das „Gute“ ist, ist für das „Böse“. Differenzierungen gibt es nicht. Nur die Positionen des „transatlantischen Westens“ gelten als gut und sind damit legitimiert. Alle anderen Positionen jenseits des „transatlantischen Westens“ sind nicht legitim und sind verbrecherisch und unterliegen der Repression des bürgerlichen Staates. Auf diese Weise gibt es „Meinungsverbrechen“ unterhalb der Schwelle des Strafrechts, aber auch auf der Schwelle des Strafrechts. Der Buchstabe Z steht in Rußland für den Krieg russischen Krieg gegen die Ukraine. In Deutschland ist der Buchstabe Z als Meinungsäußerung „verboten,“ denn mit ihm soll der „russische Angriffskrieg“ gerechtfertigt werden. Wer nicht die Staatsmeinung meint, ist nach der Position des bürgerlichen Staates nicht legitimiert, diese zu äußern und wird notfalls mit Repression überzogen. Teilweise wurden schon rote Fahnen und die sowjetische Fahne verboten. Das „Gute“ wird alternativlos, die Repression wird ebenfalls „gut“, weil sie das „Gute“ verteidigt und der bürgerliche Staat ist immer auf der Seite des „Guten“. Der bürgerliche Staat wird so ideologisch zum „Freund“ umgedeutet, während Kritik am bürgerlichen Staat „böse“ wird, bzw. eine „feindliche Einstellung zum bürgerlichen Staat und zur bürgerlichen Gesellschaft insgesamt offenbaren soll. Schweigen allein reicht nicht. Immer mehr werden die vereinzelten Klassensubjekte dazu aufgefordert, genötigt, Position in gewissen Fragen zu beziehen und damit implizit die Staatsmeinung zu übernehmen. Damit wird die Loyalität zur bürgerlichen Gesellschaft und zum bürgerlichen Staat bewiesen. Wer die Loyalität verweigert, hat mir Repression zu rechnen, denn er ist ein „Feind“, wenn es um Themen geht, die der bürgerliche Staat als existentiell ansieht. Damit baut sich eine „Alternativlosigkeit“ auf, die individuell mit abweichenden Verhaltensmuster kompensiert, aber eben nicht politisch gekontert wird. Dieses individuelle um sich schlagen reproduziert den Notstandsstaat, denn nur der bürgerliche Staat kann dann sicherstellen, daß der „innere Friede“, der „Landfrieden“ gewahrt bleibt. Der „Feind“ versucht den „Landfrieden“ zu brechen, der bürgerliche Staat, unter Umständen in der Form des Notstandsstaates, versucht den „Landfriedensbruch“ zu verhindern. Die Revolte ist eine vorpolitische Form des Klassenkampfes, sie ist spontan und situativ und unorganisiert, in ihr vermasst sich das atomisierte Kleinbürgertum und die atomisierte Arbeiterklasse, kommt an die Schwelle proletarischer Organisierung. Revolten müssen sich zur Revolution weiterentwickeln oder brechen zusammen. Eine zu große Atomisierung der Arbeiterklasse provoziert Revolten und damit Möglichkeiten proletarischer Organisierung. Gegenwärtig wird das individuelle Handeln durch die Bourgeoisie ideologisch groß hervorgehoben und im abstrakten Widerspruch zum kollektiven Handeln gesetzt. Nur das individuelle Handeln soll spontan und damit „authentisch“ und damit „wirklich“ und „wesentlich“ sein. Dies schließt vor allem Emotionen ein. Emotionen sollen „authentisch“ sein. Mit dieser Irrationalität bleibt die Arbeiterklasse beherrschbar. Doch somit wird die Arbeiterklasse in soziale Atome eingesperrt. Nur über die proletarische Organisierung, über die rationale politische Diskussion kann die Atomisierung der Arbeiterklasse überwunden werden, kann proletarische Gegenmacht gegen den Kapitalismus entstehen. Nur im rationalen kollektiven Handeln der Arbeiterklasse kann das individuelle Handeln der einzelnen Glieder der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums wirksam werden, kann die „Individualität“ ausgelebt werden. Der Kapitalismus versucht die Arbeiterklasse in „Emotionen“ einzusperren und in Irrationalität zu verbannen. Nichts fürchtet die Bourgeoisie mehr als die Rationalität der Arbeiterklasse, die sich im Widerstand gegen die Deflationspolitik des Kapitals realisiert. Dazu wird die Gewerkschaftsbürokratie aktiv werden, und von der bedingungslosen Unterstützung der Deflationspolitik abweichen, um die Kontrolle über die tendenzielle Selbstaktivität der Massen zu übernehmen, welche mit ihren Aktionen die politische und soziale Isolierung durchbrechen, denn diese mehr oder minder spontanen proletarischen Aktionen gefährden die Deflationspolitik des Kapitals, so daß die Deflationspolitik durch die Gewerkschaftsbürokratie modifiziert werden muß, was dem Notstandsstaat seine Arbeit erleichtert. Massenprotest, auch schon in potentieller Form, muß isoliert und entpolitisiert werden, denn nur dann wird die Massenunzufriedenheit durch die Gewerkschaftsbürokratie in unpolitische oder vorpolitische Aktionen kanalisiert und unschädlich gemacht. Auch ein bürgerlicher Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) bedarf einer Massenlegitimation und kann sich nicht nur auf die Repression stützen. Nur eine soziale und politische Massenbasis, aktiv und/oder passiv, ist notwendig, dem bürgerlichen Ausnahmestaat seine Stabilität zu sichern. Gegenwärtig wird versucht, die Stabilität des Notstandes vermittels der Identitätspolitik zu sichern. Die politische und ideologische Aufspaltung der gesellschaftlichen Totalität in verschiedene „Identitäten“ vermittels der „Identitätspolitik“ bereitet den Boden für einen Notstand vor. „Identitätspolitik“ ist nichts anderes als eine Politik unter dem Paradigma des „Teile und herrsche“ und kann über den Notstand abgestützt werden, wenn das Prinzip von „Teile und herrsche“ durch den Massenwiderstand in die Krise gerät, wenn die Massen beginnen sich zu organisieren und nicht mehr spalten zu lassen und die Bourgeoisie keine Ressourcen hat bzw. unwillig ist, diese aufzuwenden, um der Arbeiterklasse entgegenzukommen. Das Kapital versucht in tiefen historischen Krisen, wie in der gegenwärtigen Großen Krise, die Arbeiterklasse repressiv und ideologisch zu desorganisieren. „Identitätspolitik“ ist eine Form des Lobbyismus und richtet sich gegen die Selbstorganisation der Arbeiterklasse, wohl aber auf eine Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie zu Lasten der Arbeiterklasse. Für die Gewährung besonderer Privilegien bezüglich einer ideologisch-materiell konstruierten Identität, verkauft für ein Linsengericht die konkrete soziale Gruppe ihre Interessen an die Bourgeoise, buhlt um die Gunst des Kapitals, statt solidarisch mit der Arbeiterklasse ihre Ziele und Interessen gegen die Bourgeoise durchzusetzen. Die Defensive der Arbeiterklasse macht die Bourgeoisie für das Kleinbürgertum interessanter. Erst die soziale und politische Atomisierung der Arbeiterklasse macht den bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) möglich, wie auch die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, je mehr atomisiert, desto mehr Macht dem bürgerlichen Staat, denn dieser stellt dann die soziale und politische Vermittlung neben dem Wertgesetz her, denn er ist selbst eine konkret-spezifische Form des Wertgesetzes. Die Verselbständigung des bürgerlichen Staates im Verhältnis zur bürgerlichen Gesellschaft nimmt im Prozeß der sozialen und politischen Atomisierung der Arbeiterklasse zu und dies in der Form der „nationalen Sicherheit.“ Die „Nation“ ist das Endziel der Identitätspolitik und findet sich konkret in einer Politik der „nationalen Sicherheit“ und die Politik der „nationalen Sicherheit“ findet sich konkret in der Politik der „wehrhaften Demokratie“.

Mittlerweile wirbt die Bundeswehr in der Öffentlichkeit mit dem Slogan: „Information ist Sicherheit“. „Information“ ist dann ein Moment der „nationalen Sicherheit“, bzw. der „Staatssicherheit“. „Information“ ist nur dann „Information“, wenn sie staatlich garantiert ist. Alles andere ist „Desinformation“ des „Feindes“ und „Desinformation“ ist eine „Gefahr für die „nationale Sicherheit“. Wer nicht dazu legitimiert ist, Informationen zu verbreiten und es dennoch tut, ist ein „Feind“. Ein „Feind“ wie Assange, der im Hochsicherheitstrakt in Britannien inhaftiert ist und dem die Auslieferung in die USA droht und dort dann eine lebenslängliche Haft oder gar die Todesstrafe, nur weil er Kriegsverbrechen der USA, aber auch Britanniens, öffentlich gemacht hat. Wenn die „Information“ eine Waffe des Militärs gegen den „inneren“ und „äußeren Feind“ wird, dann ist die „Information“ zuerst eine spezifische Ware, die in den Reihen der herrschenden Klasse zirkuliert, geschützt durch das Staatsgeheimnis, geschützt durch das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis und wer dies „Geheimnis“ verletzt ist ein „Spion“, ein „Staatsfeind“. Dies wird eben auch Assange vorgeworfen, konkret die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen und deshalb mußte Edward Snowden auch nach Rußland flüchten, denn gerade Edward Snowden hat sehr viele US-Staatsgeheimnisse, Geheimnisse der NSA und des CIA, veröffentlicht. Deshalb werden Edward Snowden und Julian Assange vom US-Imperialismus und seinen transatlantischen Verbündeten verfolgt. Es geht um die Gleichschaltung oder freiwilligen Gleichschaltung der Medien, denn „Information“ ist nun eine Frage der „nationalen Sicherheit“. Die Medien werden zu Kriegsparteien, die Medienbeschäftigten zu Kombattanten, welche entweder sozial über Berufsverbot entfernt werden müssen oder physisch liquidiert werden, wie es Israel an der Al Dschasira Journalisten Abu Akle, wie auch an anderen ermordeten Medienschaffenden, demonstriert hat. Ein feindlicher Medienschaffender ist ein „Feind“ im Sinne von Kombattant, ob Abu Akle, Edward Snowden oder Julian Assange oder die vielen namenlosen Opfer der Terror des bürgerlichen Staates und die Waffe dieser vermeintlichen Kombattanten soll „Desinformation“ sein. Es bedarf dann keines Gerichtsurteils, wenn jemand als „Kombattant“ eingestuft wird. „Information“ wird zu einem Synonym für „Staatssicherheit“ und „Staatsgeheimnis“ und somit gibt es dann auch „Informationsterrorismus“ oder „Informationsverbrechen“ oder „Informationskriegsführung“, wenn der bürgerliche Staat „Information“ als Waffe einstuft. Die Einstufung von „Information“ als Waffe soll die Kommunikation der Arbeiterklasse und damit ihre Organisierung verhindern und die soziale und politische Atomisierung der Arbeiterklasse festschreiben, die Bourgeoisie zum Sprechen und die Arbeiterklasse zum Schweigen bringen. So kann dann auch schon der Begriff „Corona-Notstand“ oder der Begriff „Energienotstand“ nicht nur ein „Meinungsverbrechen“, sondern gar ein „feindlicher Akt“ sein, der Repression bis hin zur physischen Vernichtung rechtfertigt. Für die Bourgeoisie ist „Information“ Krieg und der Bruch des Staatgeheimnisses wie auch des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses, ist ein Angriff auf die „nationale Sicherheit“ des deutschen Kapitals und mit Chance mit zivilen Mitteln begegnet, kann auch eine militärische Antwort erfordern. Hinter dem „Staatsgeheimnis“ und dem „Betriebs- und Geschäftsgeheimnis“ verbirgt sich die Klassenmacht der herrschenden Klasse, die Verfügung über die Produktionsmittel. Die Übergabe der „Information“ an die Bundeswehr zeigt den Grad der inneren Militarisierung des deutschen Imperialismus an, denn der „zivile“ Staat zieht sich zurück, während der „Machtstaat“ mit seinem Kern aus Militär nach vorwärts marschiert. Wenn das Militär die „Information“ kontrollieren soll, wird die „Information“ zur Waffe, zur einer Waffe in der psychologischen Kriegsführung gegen die Arbeiterklasse (der „innere Feind“), wie auch gleichzeitig gegen den Weltmarktkonkurrenten (der „äußere Feind“). Die Medien ordnen sich dann der Notwendigkeit der Psychologischen Kriegsführung gegen die „Feinde“ der „nationalen Sicherheit“ unter. Die Aufgabe der Psychologischen Kriegsführung gegen die Arbeiterklasse ist es, den Notstand, den Ausnahmezustand, in der Arbeiterklasse und im Kleinbürgertum als legitim zu rechtfertigen. Der Notstand, der Ausnahmezustand, seine konzentrierte Repression gegen die Arbeiterklasse muß auch politisch über die Ideologie des Notstands, des Ausnahmezustands, in der Arbeiterklasse und im Kleinbürgertum verankert werden, um jeden Widerstand präventiv zu lähmen bzw. zu verlangsamen. Es wird versucht, den „starken Staat“ als Sozialstaat darzustellen, wobei real der „starke Staat“ die Negation des „Sozialstaats“ ist. Die Ideologie des Notstandsstaates ist die ideologische Repression des Notstandsstaates und stützt dessen physische Repression ab. Das Zentrum der Ideologie des Notstandsstaates ist immer die „Freund-Feind“ Unterscheidung, denn der Notstandsstaat unterscheidet nur nach „Freund“ und „Feind“, einen Staatsbürger kennt er nicht, wie auch keine Neutralität. In dem Begriff der „nationalen Sicherheit“ als zentrale Achse der Ideologie des Notstandsstaates ist die „Freund-Feind-Kennung“ hinterlegt. Die „Information“ als Waffe des Militärs wird zuerst als Zensur eingesetzt. „Feindinformation“ und „Feindsender“ sind zu identifizieren und notfalls physisch auszuschalten, zuvor jedoch sollte alles versucht werden, „Feindnachrichten“ zu unterdrücken und deren Urheber in den „sozialen Tod“ zu selektieren, bevor notfalls die physische Vernichtung erwogen werden muß. Möglichst sollte diese Zensur nicht formal zu erkennen sein. Das Ziel sind nicht so sehr die etablierten Medien, sondern die Massen, welche sich in Selbstaktivität von der Bourgeoisie verselbständigen können. Es gilt die Kommunikation innerhalb der Arbeiterklasse zu stören, die soziale Atomisierung der Arbeiterklasse zu verewigen. Die Zensur ist eine Waffe gegen den „Feind“. Demgegenüber steht die Propaganda für die „freundlichen Ziele“ des deutschen Imperialismus. Wer diese Ziele vertritt ist ein „Freund“ der „Demokratie“. Die Propaganda des deutschen Imperialismus soll die „Identität“ der „Nation“ ausdrücken und dadurch verstärken. Das ist die Seite des „Guten“. Wer diese Errungenschaften des „Guten“ ablehnt, ist ein „Feind“ und seht auf der Seite des „Bösen“. Ein abstrakter Protest gegen die inflationären Tendenzen und die gesamten Krisentendenzen ist vom bürgerlichen Staat erlaubt, was die gleiche politische Wirkung hat wie ein Protest gegen eine Naturkatastrophe, z.B. einem Erdbeben, d.h. keine politische Wirkung. Der abstrakte Protest ist entpolitisierter Protest und im Sinne der Bourgeoisie ein „guter“ Protest. Die Verantwortlichen für die Krise, für den Mißstand, für die katastrophale Politik, darf nicht konkret genannt werden, es dürfen keine konkreten Forderungen an eine konkrete Verantwortlichkeit gestellt werden, denn wäre der Protest in den Augen der Bourgeoisie ein „böser“ Protest. Der entpolitisierte Protest läßt nur Dampf ab und kann schnell kanalisiert werden, er ist ein Bittgesang, ein Flehen, aber kein Einfordern einer Änderung der konkreten Politik des antirussischen Wirtschaftskrieges, welcher hohe materielle Opfer in der Arbeiterklasse zur Folge hat. Die Bourgeoisie läßt den entpolitisierten Protest gewähren, geht aber repressiv gegen den politischen Protest vor. Zuvor wird der politische Protest von der Bourgeoisie als „extremistisch“ (links- und rechtsextremistisch) denunziert und legitimiert dann die Repression gegen den politischen Massenprotest.

Dem deutschen Militär kommt mittlerweile tendenziell das Recht der Entscheidung und der Identifikation zwischen dem „Freund“ als „Guten“ und dem „Feind“ als „Bösem“ zu und entspricht der materiellen Tendenz, unterhalb der formalen Notstandsgesetze den Bundeswehreinsatz im Inneren immer mehr auszuweiten. Dies firmiert dann unter dem Begriff „wehrhafte Demokratie“. Dem Notstand geht es jedoch nur um die Staatsräson, um die Unterordnung aller anderen Interessen unter die kurzfristigen und langfristigen Interessen des bürgerlichen Staates als ideeller Gesamtkapitalist, um die Interessen des herrschenden Blocks an der Macht der herrschenden Klasse. Erst im Notstand kann sich Staatsräson verwirklichen, denn dann haben die repressiven Staatsapparate des bürgerlichen Staates freie Hand. Die Staatsräson ist der Todfeind der Arbeiterklasse.

Im Namen der „nationalen Sicherheit“ wird die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates zerstört und damit auch das parlamentarisch-demokratische Rechtssystem. Im Namen der „nationalen Sicherheit“ bewegt sich der Notstandsstaat außerhalb des demokratisch-parlamentarischen Rechtssystems und setzt sein Sonderrecht im Sinne eines Feindrechts. Recht ist, was der „nationalen Sicherheit“ dient. Was der „nationalen Sicherheit“ dient, kann nicht Unrecht sein. Der „Feind“ ist im Unrecht, weil er „Feind“ ist, weil er die „nationale Sicherheit“ potentiell oder aktuell bedroht. Das Feindrecht ist in letzter Konsequenz Kriegsrecht. Feindrecht ist Gesinnungsrecht. Der bürgerliche Staat in Notstandsform bestimmt die Definition des „Feindes;“ indem er eine bestimmte Gesinnung bestimmt und diese individuellen und kollektiven Klassensubjekten zuordnet. Es wird die politische Gesinnung abgeurteilt, nicht die Tat und es wird schon vor einer Tat die politische Gesinnung abgeurteilt. Es geht um „Search and destroy“-„Suchen und Vernichten“, d.h. es gilt, den „Feind“ zu suchen bzw. zu Identifizieren und dann zu vernichten. Ein Gerichtsverfahren ist nicht mehr notwendig, das Urteil, welches schon vorher durch die vermutete politische Gesinnung vorlag, wird lediglich exekutiert. Ein Notstand radikalisiert sich selbst, verselbständigt sich, denn er hat keine institutionellen Grenzen in sich, da er sich als „alternativlos“ darstellt, als „Freund“, der von „Feinden“ umringt ist. Der Notstand erscheint auf der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse als Notstand gegen eine Naturkatastrophe, nicht aber als eine bewußte politische Entscheidung aufgrund politischer und sozialer Entwicklungen. Die ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklungen werden als „Naturkatastrophe“ umgedichtet und der Notstand erscheint im Lichte einer angenommenen Katastrophe als alternativlos. Der Notstand legitimiert sich durch den „Sachzwang“, als „unpolitische Sachentscheidung“ und erscheint als eine überparteiliche Einheitsregierung der „nationalen und demokratischen Kräfte“. Jede Opposition wird damit sofort de-legitimiert und zum „Feind“ und „Verräter“ gestempelt. Vom Standpunkt des Notstands kann eine Opposition und erst Recht Massenproteste und Revolten nur irrational sein und erscheinen der Bourgeoisie als Werk von „Extremisten“ aller Art. Als „Extremisten“ gelten alle, welche Forderungen an den bürgerlichen Staat richten. Ein „nicht-extremistischer“ Protest verlegt sich auf das Bitten und Flehen und Anklagen gegen den „äußeren“ und „inneren Feind“ der schuld ist. Die eigene Bourgeoisie wird freigesprochen, sie reagiert nur in der Wirtschafts- und Sozialpolitik aus Unkenntnis falsch, aber im Grundsatz vor allem gegenüber den „äußeren Feind,“ handelt sie richtig, es müssen nur die kleineren „Fehler“ korrigiert werden. Dies ist die Position der Gewerkschaftsbürokratie und der „Sozialindustrie“. Dieser Protest ist eine Alibiveranstaltung für die Bourgeoisie und ihren antirussischen Wirtschaftskrieg und wird im „Energienotstand“ gern gesehen. Die Bourgeoisie versucht die Massenproteste zu spalten, schon präventiv.

Bevor der deutsche Imperialismus eine diplomatische Verständigung mit Rußland sucht, ruft er eher den „Energienotstand“ aus. Um jeden Preis scheut der deutsche Imperialismus vor einem internationalen Prestigeverlust/Gesichtsverlust zurück und bricht bewußt alle Brücken zum russischen Imperialismus ab, bereitet damit auch den Bruch mit China vor, welcher ebenfalls den deutschen Imperialismus schwer treffen wird, denn der chinesische Markt ist bisher ein zentraler Markt für das deutsche Kapital. Mit den Rußland-Sanktionen zerstört der deutsche Imperialismus seinen zentralen Bezugsmarkt von Rohstoffen einschließlich Energierohstoffen, während mit möglichen China-Sanktionen der zentrale Absatzmarkt des deutschen Kapitals zerstört wäre, wie auch dann die zahlreichen Vorprodukte aus China fehlen würden d.h. die Lieferketten wären total zusammengebrochen. Es wäre ein ökonomischer Doppelschock, der nur über einen offiziellen oder inoffiziellen Notstandsstaat auf kapitalistischer Weise reguliert werden könnte, bzw. der ökonomische Doppelschock würde einen Notstandsstaat zur Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, konkret zur Neuordnung der inneren Klassenverhältnisse, wie zur äußeren Neuordnung Europas nach dem Prinzip einer deutschen Mitteleuropa-Ordnung legitimieren. Die deutsche Bourgeoisie kann ohne weiteres die Brücken hinter sich in Richtung Osten, in Richtung Rußland und China verbrennen, um dann im Innenverhältnis und Außenverhältnis freie Hand zu erhalten, eine neue Ordnung zu etablieren. Diese neue Ordnung läßt sich nur über eine Katastrophe errichten. Ist die neue Ordnung errichtet, kann wieder die Fühlung mit Rußland und China aufnehmen, natürlich auf neuer materieller Grundlage.

Taiwan wird der zentrale Konfliktherd zwischen den transatlantischen Metropolen und China, während die Ukraine der zentrale Konfliktherd zwischen den transatlantischen Metropolen und Rußland ist. Es kommt immer deutlicher zu einem sino-russischen Bündnis, der sich zu einem sino-russischen Block festigen kann und damit den transatlantischen Block in die Defensive bringt, was dort auch zu einer Radikalisierung führt, bevor der transatlantische Block an seinen eigenen Widersprüchen zu Grunde geht und zerbricht. Der Besuch von Frau Pelosi, der Vorsitzenden des Repräsentantenhauses in den USA ruiniert die Sino-US-amerikanischen Beziehungen und der deutsche Imperialismus steht in Nibelungentreue fest an der Seite des US-Imperialismus und wird deshalb auch ebenfalls die chinesischen Schläge einstecken müssen. China sanktioniert den Sand, den Taiwan für seine Chipproduktion benötigt. Dies trifft dann nicht nur Taiwan, sondern auch die transatlantischen Metropolen, denn Taiwan ist das Zentrum der Chipproduktion. Gleichzeitig beginnt China mit einer tendenziellen Luft- und Seeblockade Taiwan von seinen Lieferbeziehungen abzuschneiden. Gelänge es China Taiwan enger an sich zu binden, so hätte China den Zugriff auf die globale Chipproduktion und würde somit einen weltweit zentralen Industriezweig kontrollieren. Konkret auch aus diesem Grunde der Kampf um Taiwan zwischen China und dem transatlantischen Imperialismus und der Aufbau einer Chip-Industrie in den transatlantischen Metropolen.

Die transatlantischen Metropolen der imperialistischen Kette unterliegen einer Fehleinschätzung, daß noch der neoliberale Weltmarkt existiert, der ihnen tendenzielle Privilegien einräumte. Mittlerweile ist der neoliberale Weltmarkt zusammengebrochen und wurde auf naturwüchsiger Weise vom multipolaren Weltmarkt abgelöst. Dieser multipolare Weltmarkt mit seiner multipolaren Weltordnung jedoch verweigern sich die transatlantischen Metropolen, da sie diese nicht anerkennen wollen, sie glauben immer noch die stärkere Seite zu sein und verkennen und verweigern sich der multipolaren Realität und werden deshalb an der multipolaren Realität scheitern. Statt die multipolare Weltordnung, den multipolaren Weltmarkt zu gestalten, werden die transatlantischen Metropolen vom multipolaren Weltmarkt, von der multipolaren Weltordnung gestaltet. Dabei unterschätzen die transatlantischen Metropolen die multipolare Weltordnung, unterschätzen Rußland und China, was zu großem Verhängnis führen kann. Rußland hat im Ukraine-Krieg bewiesen, daß es auch notfalls im Dritten Weltkrieg um seine Interessen kämpfen wird. China zieht in der Taiwan-Frage seine roten Linien, so wie Rußland zuvor in der Ukraine-Frage seine roten Linien gezogen hat. Doch dies wird wie in der Ukraine-Frage von den transatlantischen Metropolen ignoriert, da man glaubt, daß man in der stärkeren Position ist und China wird keinen Krieg gegen Taiwan wagen. Bis vor kurzem glaubte man auch, daß Rußland es nicht wagen würde, die NATO-Ukraine anzugreifen, denn der NATO-Pakt steht hinter der Ukraine und schreckt Rußland ab. In der Ukraine-Frage haben sich die transatlantischen Metropolen verrechnet und trotz dieser Erfahrung verrechnen sie sich jetzt wieder in der Taiwan-Frage. Die Kriegsgefahr in der Taiwan-Frage ist sehr hoch und wird durch die Ignoranz der transatlantischen Metropolen noch erheblich erhöht. Realitätsverweigerung und Glauben trüben den Blick auf die Realität. Dies bezieht sich nicht nur auf die außenpolitischen Kriegsgefahren, sondern auch auf die tiefe sozioökonomische Krise in den transatlantischen Metropolen selbst, welche zu Massenprotesten und Unruhen führen können. Auch hiervor werden fest die Augen verschlossen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Der russische Imperialismus setzt in seinem Krieg gegen die NATO-Ukraine nicht auf einen Blitzkrieg, sondern geht gemäß der russischen Militärdoktrin langsam, aber gründlich vor, d.h. er setzt nicht auf einen politisch-militärischen Enthauptungsschlag, sondern auf die politische und soziale Umwälzung und damit auf die Zermürbung der NATO-Ukraine. Erst wird der Donbass-Feldzug siegreich beendet, bis die Front in Richtung Westen einschwenkt. Die Zeit spielt für den russischen Imperialismus, ebenso der Raum. Je länger der Krieg dauert, desto stärker wird der russische Imperialismus, militärisch, wie politisch und ökonomisch, während der deutsche Imperialismus immer schwächer wird, vor allem ökonomisch. Der Donbass wurde zum Massengrab des Maidan und des ukrainischen Faschismus, wie aller transatlantischen NATO-Hoffnungen. Je länger der Wirtschaftskrieg anhält, desto stärker wird der russische Imperialismus, denn der soziale und politische Druck in Westeuropa und in Deutschland steigt. Die Ölpreise, Gaspreise, Kohlepreise steigen extrem und finanzieren die Neuausrichtung des russischen Imperialismus nach Osten. Aus diesem Grunde hat der russische Imperialismus keine Eile, den Ukraine-Krieg zu beenden. Mit dem Ende des Krieges würden die Preise wieder auf das Normalniveau fallen. Die ganze Wucht des transatlantischen Wirtschaftskrieges gegen Rußland trifft Westeuropa und damit auch Deutschland, nicht so sehr die USA. Auf diese Weise wird objektiv die Neuausrichtung des deutschen Imperialismus erzwungen. Sieger im Wirtschaftskrieg ist der, welcher die Massen länger zum Verzicht zwingen kann und da ist der russische Imperialismus durch die Subsistenzproduktion des russischen Dorfes ebenfalls im Vorteil.

Die Situation kann sich verselbständigen. Scheitert der deutsche Imperialismus mit seinem antirussischen Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus, muß er das neue Kräfteverhältnis anerkennen und ist objektiv gezwungen, sich neu zu formieren, d.h. der deutsche Imperialismus wird sich radikalisieren und diese Radikalisierung drückt sich in dem Einschwenken auf den deutschen Sonderweg ein. Je länger der transatlantische Wirtschaftskrieg andauert, je mehr drängt der russische Imperialismus objektiv den deutschen Imperialismus auf seinen Sonderweg und damit auf eine Neuordnung Europas, nicht nur Westeuropas. Je länger die Ukraine-Krise andauert, je mehr droht die transatlantische Gemeinschaft zu zerbrechen. Aber auch eine Verhandlungslösung würde die Niederlage des transatlantischen Imperialismus besiegeln und ihn potentiell zerbrechen. Aus diesem Grunde ist auch ein transatlantischer Rückzug unmöglich und es wird bis zur letzten Konsequenz gekämpft. Die Niederlage steht für den transatlantischen Imperialismus schon fest. Diese Niederlage muß der Öffentlichkeit in den USA und Westeuropa aber als Sieg verkauft werden und so hofft der transatlantische Imperialismus auf einen gesichtswahrenden Rückzug. Ob der russische Imperialismus darauf eingeht, ist offen. Nicht die Einbrüche in der Wirtschaftsleistung in einem Wirtschaftskrieg sind entscheidend, sondern Sieger in einem Wirtschaftskrieg ist der, wer die Schäden länger aushält, d.h. die Massen länger zum Verzicht zwingen kann. Da ist der russische Imperialismus im Vorteil, denn die Subsistenzwirtschaft des russischen Dorfes und der Kleinstadt garantieren den längeren Hebel im Wirtschaftskrieg, da die Scheidung von Stadt und Dorf in Rußland bis heute noch nicht realisiert ist. Jedoch der deutsche Imperialismus kann nicht auf die Subsistenzwirtschaft zurückgreifen, dazu ist auch die Fläche Deutschlands zu gering, d.h. die Scheidung von Stadt und Land wurde in Deutschland realisiert. Aus diesem Grund kann der deutsche Imperialismus das materielle Lebensniveau in Deutschland nicht auf die Stufe des materiellen Lebensniveaus in Rußland absenken und verliert notwendig den Wirtschaftskrieg. Sinkt das materielle Lebensniveau in Deutschland sehr stark, drohen Massenproteste und Revolten, da hilft dann auch der Ausnahmezustand nicht.

Während der innere soziale und politische Druck in den transatlantischen Metropolen steigt, herrscht in den herrschenden Klassen der transatlantischen Metropolen eine große Verwirrung und ein beträchtlicher Realitätsverlust, so daß die notwendigen klaren politischen Entscheidungen erst mit großem Zeitverzug gefällt werden. Die Widersprüche in den herrschenden Klassen nehmen zu und lähmen die transatlantischen Metropolen.

Die erste Welle der Schockpolitik stellt die Gasumlage dar, denn sie treibt die inflationären Tendenzen noch weiter an und belastet die Löhne deutlich, führt also zu einem drastischen Absinken des Reallohns. Die Gasumlage ist nicht einheitlich festgelegt und kann sich jederzeit nach unten oder oben ändern, führt also zu einem Zwangssparen und damit zu einem scharfen Einbruch in die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, was zu deflationären Tendenzen führt. Schockpolitik und Kriegswirtschaft hängen eng zusammen. Ein Krieg ist ein Schock für die konkrete bürgerliche Gesellschaft und damit auch für sozioökonomischen Bedingungen. Die sozioökonomischen Bedingungen müssen auf eine Kriegswirtschaft umgestellt werden und dies bedeutet auch Formen von Zwangssparen. Kanonen statt Butter. Der deutsche Imperialismus mit seinem antirussischen Wirtschaftskrieg und seinen Waffenlieferungen an die NATO-Ukraine führt Deutschland in einen unausgesprochenen Kriegszustand, der jederzeit in einen Krieg, Dritten Weltkrieg, eskalieren kann. Hingegen der sogenannte Kalte Krieg war ein Spannungszustand, aber kein unausgesprochener Kriegszustand. Ein unausgesprochener Kriegszustand verlangt nach einer Schock-Politik, verlangt nach einer Kriegswirtschaft, verlangt nach einem Notstand, Ausnahmezustand, denn Krieg ist immer Ausnahmezustand und Notstand. Ein unausgesprochener Kriegszustand verlangt nach einer unausgesprochenen Schock-Politik und Kriegswirtschaft, verlangt nach einem unausgesprochenen Notstand, Ausnahmezustand und damit der Beseitigung demokratisch-parlamentarischer Herrschaftsformen der herrschenden Klasse zugunsten einer Notstandsdiktatur. Die Gasumlage ist ein Moment innerhalb des unausgesprochenen Kriegs- und Ausnahmezustandes, welcher ein totaler Krieg gegen die Arbeiterklasse ist, deren gesellschaftlich notwendiges Reproduktionsniveau drastisch und qualitativ abgesenkt werden soll, d.h. die Gasumlage ist der erste qualitative Schritt in den Energienotstand. Der Verzicht wird mit äußerster Repression erzwungen, wenn es nötig sein sollte. Widerstand gegen die Deflationspolitik ist dann Kollaboration mit dem „Feind“, bzw. „Verrat an der Nation“. Auch im unerklärten Kriegszustand gibt es nur „Freund“ oder „Feind“, aber keine Neutralität. Widerstand gegen die Gasumlage ist dann „Feindhandeln“, ein „Angriff auf die nationale Sicherheit“. Zuerst wird über die hohen Preise ein Verzicht erzwungen, notfalls über Rationierung. Schon im August nennt der nordrhein-westfälische Innenminister mögliche Protestler „Staatsfeinde.“, obwohl noch keine Proteste gegen den Energienotstand und Deflationspolitik stattfinden. Über die Wortwahl versucht der bürgerliche Staat mögliche Massenproteste abzuschrecken. Ein wesentliches Moment der Schock-Politik. Wer von seinen demokratischen Grundrechten auf Protest Gebrauch macht, wird vom bürgerlichen Staat als „Staatsfeind“ bezeichnet. Damit wird den Repressionsapparaten die Carte Blanche ausgeteilt; sie haben das Recht, jede scharfe Gewalt anzuwenden, bis hin zum Bundeswehreinsatz im Inneren. Dies wird indirekt durch Bundeskanzler Scholz bestätigt, wenn er verneint, daß auf Demonstranten geschossen werden könnte („Niemand hat die Absicht, einen Schießbefehl gegen Demonstranten zu geben“ -, Äußerung bei einem Auftritt in Neuruppin am 17.08.2022). Ein Schießbefehl auf Demonstranten ist aus Sicht der historischen Entwicklung der BRD absurd, daß er nicht erwähnt werden bräuchte. Wenn man den Schießbefehl dennoch erwähnt, auch in seiner Negation, dann nur, als Bestätigung für diese Möglichkeit. Zudem kann auch ein Bundeswehreinsatz im Inneren ohne militärischen Schußwaffeneinsatz realisiert werden, dafür aber mit den Waffen der Polizei, Schußwaffen und Schlagstock. Gerade im August werden von der Polizei mehrere unbewaffnete Menschen erschossen. In Britannien in der Ära Thatcher wurde 1984/1985 im Bergarbeiterstreik ebenfalls verdeckt das Militär als Verstärkung der Polizei eingesetzt. Das Militär erhielt Polizeiuniformen und Schlagstöcke und agierte auch verdeckt als kollektiver Streikbrecher, wenn es sein mußte. Vor allem: Bundeskanzler Scholz schließt nur den Schießbefehl der Bundeswehr auf die Demonstranten aus, nicht aber den Bundeswehreinsatz im Inneren unterhalb dieser Schwelle. Durch die Person des Bundeskanzlers Scholz wird die Arbeiterklasse verwarnt. Notfalls wird die Bundeswehr im Inneren eingesetzt. Diese Warnung wird nur diplomatisch in einer Negation verpackt. Der Notstandsstaat setzte auf den präventiven Bürgerkrieg.

Die Gasumlage ist eine Verelendungspolitik gegen die Arbeiterklasse. Bisher wurde Widerstand gegen den Notstandsstaat als tendenziell „rechtsextremistisch“ eingeordnet. Seit den Klimaproteten in Hamburg im August, beginnt man langsam, Klimaproteste als „linksextremistisch“ unterwandert darzustellen. Auf diese Weise versucht der bürgerliche Staat jeden sozialen und politischen Widerstand zu de-legitimieren und die immer mehr zunehmende Gewalt des bürgerlichen Staatsapparates zu legitimieren. Auch große staatliche Gewalt soll legitim sein, wenn es gegen die „inneren Feinde“ geht, denn sie sind „Feinde“ der nationalen Sicherheit. Bei einer deutlichen Verelendungspolitik sind Massenproteste und Revolten nicht zu vermeiden. Es ist derzeit offen, welchen Weg die Bourgeoisie einschlägt. Aber auf jeden Fall versucht der bürgerliche Staat seine Repression gegen über Organisationen und Gruppen zu verstärken, welche auf potentielle Massenproteste und Revolten einflußnehmen könnten, denn nur so könnten potentielle Massenproteste amorph und wirkungslos werden, wenn keine alternative und autonome politische Führung vorhanden ist. Denn dann wären die potentiellen proletarischen Massenproteste im Sinne der Bourgeoisie entpolitisiert und verlaufen sich im Sande. Auf jeden Fall ist die Gasumlage eine offene Kriegserklärung der Bourgeoisie an die Arbeiterklasse. In erster Linie gilt zielt die Repression des bürgerlichen Staates immer auf die Entpolitisierung der Arbeiterklasse. Dies ist die Peitsche. Gleichzeitig wird versucht mit finanziellen Zuwendungen gewisse Folgen des antirussischen Wirtschaftskrieges abzumildern, was aber nur ansatzweise gelingen kann. Die Verluste des antirussischen Wirtschaftskrieges sollen und werden auf die Arbeiterklasse abgewälzt. Es geht nur darum, „guten Willen“ zu zeigen, um dann die Arbeiterklasse die ganzen Lasten des antirussischen Wirtschaftskrieges tragen zu lassen und legitimiert letztlich die Repression des bürgerlichen Staates. Wer nicht mit dem „guten Willen“ der Bourgeoisie zufrieden ist, wer fordert, daß der bürgerliche Staat die hohen Energiekosten vollkommen zu kompensieren hat, ist aus der Sicht der Bourgeoisie ein Staatsfeind und diese berechtigten Forderungen der Arbeiterklasse werden als Anmaßung dargestellt, als „Sachfremd“ und damit als „politisch“. Die finanziellen Zuwendungen an die Arbeiterklasse sind aus Sicht der Bourgeoisie keine „politischen Maßnahmen“, sondern „technokratische“ Maßnahmen, um eine tendenzielle Massenloyalität aufzubauen, d.h. es wird die Akzeptanz technokratischer Krisenpolitik von der Arbeiterklasse erwartet. Wird jedoch die technokratische Krisenpolitik von der Arbeiterklasse negiert, indem diese „politische“ Antikrisenmaßnahmen erwartet, wird die Repression des bürgerlichen Staates auf die organisierten politischen Widerstandkerne in der Arbeiterklasse gerichtet, um sie zu vernichten, bevor sie die Arbeiterklasse als Ganzes politisieren können. Die Bourgeoisie will die Unterpolitisierung der Arbeiterklasse konstant halten, denn nur dann kann der antirussische Wirtschaftskrieg als objektives Mittel zur Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse im internationalen Maßstab realisiert werden. Die historische Funktion des Notstandsstaates ist es, die Entpolitisierung der Arbeiterklasse notfalls mit unbegrenzter physischer Gewalt durchzusetzen. Eine Politisierung der bürgerlichen Gesellschaft ist mit allen Mitteln zu verhindern, denn die bürgerliche Gesellschaft kann nur dann Bestand haben, wenn sie als „Sache“, als „Ding“ von den Massen begriffen wird, nicht aber als daß was sie ist, ein konkret-spezifisches politisches Verhältnis. Das kapitalistische System kann nur „Sachfragen“ und damit „Sachzwänge“ erfolgreich verarbeiten, nicht aber „politische Fragen“. Gelingt es der Arbeiterklasse nicht, seine „politischen Fragen“ auf die Tagesordnung zu setzen, wird das Kapital seine „Sachfragen“ auf die Tagesordnung setzen, unter Umständen in politischer Verkleidung eines „Dritten Weges“ und auf das verzweifelte und wildgewordene Kleinbürgertum gestützt, welches, wenn es sich selbst autonom organisiert, immer auf das Kapital hin ausrichtet und damit die „Sachzwänge“ der kapitalistischen Akkumulation in politischen Formen ausdrückt. Es kommt also auf die proletarische Initiative an. Der Grad der Entpolitisierung der Arbeiterklasse in den transatlantischen Metropolen ist hoch, der neoliberale Kapitalismus hat gute Arbeit geleistet. Dies erschwert eine jetzt objektiv notwendige Offensive der Arbeiterklasse, welche durch die Eskalation der Ukraine-Krise noch weiter geschwächt wird. Das Kleinbürgertum kann die soziale und politische Massenbasis für einen Notstandsstaat darstellen, es kann nur durch eine Offensive der Arbeiterklasse, die das Kleinbürgertum in ein Bündnis mit derselben zwingt, politisch neutralisiert werden. Wenn die Arbeiterklasse sich nicht das Thema der Krise und des „Energienotstandes“ annimmt, wird es das Kleinbürgertum zum Vorteil der Bourgeoisie tun. Die Politisierung der Arbeiterklasse ist eine langfristige Aufgabe. Massenproteste und Revolten geben wichtige Impulse für eine Politisierung der Arbeiterklasse, reichen aber nicht aus, die Offensive der Bourgeoisie sofort zu stoppen. In Krisenzeiten lernt die Arbeiterklasse schnell, aber kann nicht aus dem Stand heraus, über dreißig Jahre der Entpolitisierung durch den neoliberalen Kapitalismus kompensieren. Die herrschende Klasse behält immer noch die weitgehende Kontrolle über die Arbeiterklasse. Zur Re-Politisierung der Arbeiterklasse ist eine revolutionäre Partei notwendig. Spontan gibt es immer Momente der proletarischen Re-Politisierung, doch ohne eine kollektive Verarbeitung dieser Prozesse, fallen sie wieder in sich zusammen. Die Linkspartei, die verdi-Gewerkschaftsbürokratie, der linke Flügel der Sozialdemokratie und der Grünen, wie die kleinbürgerliche „Klimaschutzbewegung“ versuchen schon präventiv aufkommende Proteste zu kontrollieren und wird selbst bei Demonstrationsaufrufen aktiv, um schon von Beginn an mögliche Massenproteste zu kanalisieren und ihnen die Spitze zu nehmen. Je entpolitisierter die Arbeiterklasse durch den vorherigen Neoliberalismus ist, desto leichter kann die Linkspartei die politische Kontrolle über die möglichen Massenproteste gegen die Schock-Politik behalten. Der organisierte Reformismus setzt auf einen „Gaspreisdeckel“. Der bürgerliche Staat soll ein bestimmtes Mindestniveau an Gasbezug garantieren, welches zu einem niedrigen Preis verkauft wird. Wird jedoch dieses Mindestniveau an Gasbezug überschritten, soll der hohe gegenwärtige Preis gezahlt werden. Es geht also nur um eine „soziale Rationierung“, etwas, was es nicht geben kann. Der Mangel an Gas, der Mangel an Energie, bleibt erhalten, er soll nur „gerecht“ verteilt werden. Aber einen Mangel kann man nicht gerecht verteilen. Das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse sinkt dennoch und die Massenproteste werden sich nicht damit zufrieden geben, fordern das Ende des Wirtschaftskrieges und Öffnung von Nord Steam II, denn nur dann bleibt die Energiesicherheit erhalten. Gleichzeitig wird die FDP jede sozialere Lösung verhindern, die Gasrationierung auf die Spitze treiben und ist bereit die Regierung zu sprengen, was zu Neuwahlen führen könnte. Der bürgerliche Staat finanziert sich aus Revenue, muß die Steuern erhöhen und/oder sich verschulden, ist damit auch ein Moment im Akkumulatiosprozeß. Da nicht nur für den Endkunden die Gaspreise bzw. Energiepreise steigen, sondern auch für das Kapital, steht die Akkumulationsbewegung des Kapitals unter Druck und der bürgerliche Staat kann dann nicht ohne weites durch seine Aktionen unabhängig von der Bewegung der Akkumulation eine „soziale Rationierung“ vornehmen. Je länger die Krise andauert, desto mehr und eher wird der Gaspreisdeckel niedrig angesetzt werden müssen und stellt dann nur noch ein Placebo dar. Die Produktion ist entscheidend, nicht die Verteilung. Ein Mangel läßt sich nicht umverteilen, nur anders aufteilen. Ein Mangel bleibt an Mangel und niemals „gerecht“. Über eine Mangelverwaltung läßt sich die Energiekrise nicht aufheben. Es gilt den Mangel aufzuheben und das heißt konkret, daß die Forderung nach Öffnung von Nord Stream II zentral ist. Nur wenn wieder ausreichend Gasfließt, dann, wenn der antirussische Wirtschaftskrieg beendet ist, fallen die aufgeblähten Preise wieder in sich zusammen. Aber eben dies fordert die Linkspartei, wie die Gewerkschaftsbürokratie nicht, sondern nur eine „sozial gerechte Verteilung“ der Kriegskosten für den antirussischen Wirtschaftskrieg, der im Sinne des deutschen Imperialismus weitergeführt werden soll. Auch die Linkspartei und die DGB-Bürokratie verweigern sich einem Frieden mit dem russischen Imperialismus.

Die Diskussion über einen „sozialen Pflichtdienst“ für Männer und Frauen zielt auf die Aktivierung der Wehrpflicht und damit auch auf die Aktivierung des Wehrersatzdienstes bzw. des Zivildienstes, passt sich ein in die Kriegswirtschaft und zielt auch auf die erwartete höhere Rate der Arbeitslosigkeit aufgrund des antirussischen Wirtschaftskrieges, welcher die sich entwickelnde Rezession noch verschärft. Über eine Militarisierung der Ausbeutung soll eine innere Desintegration des deutschen Imperialismus verhindert, wie auch über die Aktivierung der Wehrpflicht die außenpolitische Schlagkraft erhöht werden. Mit dem Scheitern eines vermeintlichen „zivilen“ Wirtschaftskrieges gegen den russischen Imperialismus ist der deutsche Imperialismus gezwungen, den Krieg, bzw. die Kriegsdrohung, in der internationalen Arena offen einzusetzen und muß sich dazu neu organisieren. Die langsam einsetzenden Tendenzen zur Militarisierung zeigen die Niederlage des deutschen Imperialismus im Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus an. Der deutsche Imperialismus ist eben nicht dem russischen Imperialismus überlegen, sondern gar unterlegen, auch im Wirtschaftskrieg. Im militärischen Bereich ist der deutsche Imperialismus dem russischen Imperialismus deutlich unterlegen, wie auch dem US-Imperialismus und den anderen transatlantischen Metropolen. Die Niederlage im Wirtschaftskrieg gegen das russische Kapital führt zur Radikalisierung des deutschen Imperialismus, führt zur Flucht nach vorn. Kurzfristig könnte der deutsche Imperialismus einen Befreiungsschlag versuchen und die sanktionierte Nord-Stream II-Pipeline öffnen. Dann würden die Gaspreise drastisch fallen und der deutsche Imperialismus könnte sich stabilisieren. Gleichzeitig muß der russische Imperialismus auf seine Extra-Profite mit dem Fall der Gaspreise verzichten. Die Situation würde sich normalisieren. Jedoch wäre dies eine Niederlage des transatlantischen deutschen Imperialismus, wie der transatlantischen Metropolen mit dem Zentrum US-Imperialismus im antirussischen Wirtschaftskrieg überhaupt. Doch so ein Szenario brauch Zeit. Es wäre ein mehr oder minder allseitiger imperialistischer Interessenausgleich im Sinne einer multipolaren Weltordnung, welche damit als allgemein anerkannt würde, ein negativer Interessenausgleich, welcher das neue Status quo anerkennt. Eine Anerkenntnis, daß die Ordnung von Jalta und Potsdam beseitigt ist, das Ziehen neuer Interessenssphären und damit die beschleunigte Durchsetzung der De-Globalisierung des Weltmarktes. Statt zusammenwachsen, wie in der Ära des neoliberalen Weltmarktes, zerfällt der Weltmarkt in regionale Segmente. Im besten Fall trennen sich die Wege des deutschen und russischen Imperialismus, wird die ökonomische Trennung vollzogen und beide Imperialismen entwickeln sich unterschiedlich und können auf einer höheren Stufe ihre Interessenssphären abgrenzen. Dies gelänge nur, wenn der deutsche Imperialismus sein Energie-und Rohstoffproblem lösen kann. Doch dies sieht danach nicht aus und der deutsche Imperialismus bleibt auch in Zukunft abhängiger vom russischen Imperialismus als umgekehrt. Aus diesem Grunde ist zu erwarten, daß die aggressive Stoßrichtung des deutschen Imperialismus gegen den russischen Imperialismus erhalten bleibt, die Formen wechselt und sich gar noch steigert. Die Übermacht des russischen Imperialismus treibt den deutschen Imperialismus in eine Militarisierung nach außen und innen, da die Schwäche des US-Imperialismus eine US-Garantie zugunsten des deutschen Imperialismus zunehmend verunmöglicht. Die deutsche Bourgeoisie wird dann in den deutschen Sonderweg flüchten. Eine Niederlage des deutschen Kapitals im antirussischen Wirtschaftskrieg ist mittelfristig ein Katalysator für die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Der Herbst und Winter 2022/2023 ist die Bewährungsprobe für den deutschen Imperialismus, ob seine Machtprojektionen nach innen und außen realistisch sind oder Ausdruck des abermaligen Größenwahns der deutschen Bourgeoisie. Der deutsche Imperialismus bereitet sich auf Energienotstand und Krieg vor. Die Deutsche Bundesbahn wurde angewiesen, Kohletransporte gegenüber dem Personenverkehr zu priorisieren, d.h. die Kohletransporte haben Vorrang vor den Personenverkehr. Aber vor allem haben Militärtransporte über die Deutsche Bundesbahn die höchste Priorität, noch vor den Kohletransporten zu den Kohlekraftwerken. Die Eisenbahn ist seit ihrem Bestehen schon immer ein zentrales Moment für die Kriegsführung gewesen und ist damit zentral auch zu Beginn des Krieges, im Mobilisierungsfall. Krieg ist Logistik und noch einmal Logistik. Die Kampftruppen können nur Siege erringen, wenn die Logistik funktioniert. Der Troß sichert den Kampftruppen den Sieg. Und die Eisenbahn ist zentral für die Logistik. Aus diesem Grunde muß den Aktionen der Deutschen Bundesbahn große Beachtung geschenkt werden. Gegenwärtig wird die Deutsche Bundesbahn in der ersten Phase eines Notstandsmodus geschaltet und einer inneren Militarisierung unterzogen. Hier kann die Belegschaft der Deutschen Bundesbahn konkret Widerstand leisten. Alle Metropolen gehen langsam immer deutlicher in den Kriegszustand. Rußland hat Regelungen implantiert, daß notfalls das russische Kapital Militäraufträge vorranging bearbeiten muß. Ebenso in China. Es findet eine Konversion von ziviler Produktion zu militärischer Produktion statt. Die transatlantischen Metropolen werden nachziehen müssen, wollen sie sich nicht schwächen und Deutschland setzt am Logistiksektor an. Das Paradigma der „nationalen Sicherheit“ schreibt sich immer tiefer als tendenzielle Kriegswirtschaft in die kapitalistische Produktionssphäre ein. Diese Tendenz zur Kriegswirtschaft begann in der „Corona-Krise“ seit März 2020 und verstärkt sich mit dem der Eskalation der Ukraine-Krise spätestens ab dem 24. Februar 2022, als diese sich zu einem russischen-ukrainischen Krieg auswächst.

Umso länger der Ukraine-Krieg anhält, desto länger hält auch der transatlantische antirussische Wirtschaftskrieg an. Und je länger der transatlantische antirussische Wirtschaftskrieg anhält, wie auch der Ukraine Krieg, der Kriegsverlauf wie der antirussische Wirtschaftskrieg sich negativ auf die transatlantischen Metropolen auswirkt, eine große Massenunzufriedenheit produziert, desto mehr radikalisieren sich die transatlantischen Metropolen nach innen und außen und richten sich immer mehr auf den Krieg, der ein Dritter Weltkrieg wäre, aus. Bisher ist der Ukraine-Krieg ein Stellvertreterkrieg zwischen dem vom US-Imperialismus geführten transatlantischen Lager gegen den russischen Imperialismus und China. Doch dieser Stellvertreterkrieg wächst immer mehr in einen offenen Krieg zwischen Rußland und China auf der einen Seite und den transatlantischen Metropolen auf der anderen Seite aus, denn beide Seiten dürfen diesen Krieg nicht verlieren. In der Ukraine, im Ukraine-Krieg entscheidet sich die Weltgeschichte, entscheidet sich die neue Weltordnung in Form einer neuen Kräftekonstellation. Und im Ukraine-Krieg verliert die transatlantische Seite immer mehr an Boden und die Gefahr besteht dann, daß die USA offen in den Ukraine-Krieg intervenieren und es damit offen zum Krieg gegen Rußland und China kommt. Und dieser Krieg ist ein Dritter Weltkrieg und kein Krieg in der Ukraine. Der Ukraine-Krieg kann nicht in der Ukraine isoliert werden, sondern wächst notwendig über die Ukraine zu einem potentiellen Dritten Weltkrieg heraus, kann sich leicht verselbständigen und kann nicht kontrolliert werden. Der Ukraine-Krieg ist ein Weltordnungskrieg; der Ausgang des Ukraine-Krieges wird die Welt signifikant geändert haben. Es gibt eine Welt vor dem Ukraine-Krieg und eine Welt nach dem Ukraine-Krieg. Ein imperialistischer Interessenausgleich war zu Beginn des Ukraine-Krieges noch leicht möglich, man hätte eine Neutralität festschreiben können und damit wären die Interessen des russischen Imperialismus berücksichtigt worden. Doch dies wäre eine Kapitulation des US-Imperialismus gewesen. Schon lange ist der US-Imperialismus in der Defensive und im August nach der Flucht aus Afghanistan hat er weltweit sein Gesicht verloren. Eine weitere und noch drastische Niederlage kann der US-Imperialismus nicht akzeptieren, wenn er der Hegemon in der imperialistischen Kette sein möchte und damit auch keinen Kompromiß mit dem russischen Imperialismus. Für den US-Imperialismus gibt es nur: „Sieg oder Untergang“. Aus dem Ukraine-Krieg wurde schnell ein Stellvertreter-Krieg, welcher immer droht, zu einem direkten Krieg zwischen den USA und Rußland auszuarten. Ein Zurück zu einem Kompromiß wie zu Beginn des Krieges, ist nicht mehr möglich; die Situation hat sich schon zu sehr verselbständigt. Es bedarf der proletarischen Massenaktion, um den Druck auf die Bourgeoisie zu erhöhen, mit der imperialistischen Kriegspolitik zu brechen. Nach der imperialistischen Logik kann es nur einen Sieger geben und ein Kompromiß zwischen den imperialistischen Mächten ist immer nur dem Druck des Proletariats geschuldet. Der Klassenkampf entscheidet über Krieg und Frieden.

Auch für die Arbeiterklasse wird der Krieg in der Ukraine zu direkten physischen Gefahr, denn da die NATO-Ukraine im konventionellen Krieg unterlegen ist, agiert der US-Imperialismus durch den NATO-Pakt auch mit der Aktivierung von Gladio A und Gladio B-Netzten in Rußland, um den militärischen Druck auf die zusammenbrechende Donbass-Front zu mindern. Auch dies ist psychologische Kriegsführung mit dem Ziel Konfusion zu sähen. Das gleiche Ziel auch in EU-und NATO-Westeuropa. Vor allem die faschistischen ukrainischen Exilstrukturen, die auch nur ein Moment der Gladio-Netze sind und mit den anderen europäischen Gladionetzen, wie auch faschistischen Netzen, d.h. auch den deutschen Netzwerken von Gladio- und Faschismus, verbunden. Diese ukrainischen faschistischen Gladio-Netzwerke haben Waffen und Munition in unbegrenzter Zahl und können diese Waffen auch bedienen. Ihr Ziel ist auch die Arbeiterklasse in Deutschland, wenn sich die Massenunzufriedenheit politisch manifestiert und das Ende des antirussischen Wirtschaftskrieges, wie des Krieges in der Ukraine einfordert. Die extremen Waffenlieferungen der EU- und NATO-Staaten in die Ukraine waren nicht alle für die Ukraine gedacht. Von dort aus gingen die Waffen in die restliche Welt und auch nach Westen in Richtung Deutschland und Westeuropa. Es können ohne weiteres mit Kriegswaffen Demonstrationen und Kundgebungen in Deutschland angegriffen und diese auch gegen Einzelpersonen eingesetzt werden, wenn diese Einzelpersonen für eine Verständigung mit Rußland eintreten. Attentate in welcher Art auch immer, sind damit potentiell vom ukrainischen Faschismus vorbereitet. Der ukrainische Faschismus ist derzeit in Westeuropa und in den transatlantischen Metropolen (zu denen auch Australien und Neuseeland zählen) die Speerspitze des Faschismus und auch die Speerspitze des NATO Gladio-Netzwerkes und kann jederzeit im Sinne einer psychologischen Kriegsführung auch in Westeuropa gegen das Proletariat und unliebsame Regierungen bzw. unliebsame Opposition eingesetzt werden. Besonders sticht hier die Asow-Organisation hervor, welche mit den staatlichen Repressionsapparaten der NATO-Ukraine zusammengeschlossen wurde und in der Ukraine als Staat im Staat agiert, wie die anderen faschistischen Organisationen in der Ukraine auch. Vor allem diese faschistischen Organisationen wurden vom US-Imperialismus finanziert und ausgebildet und unterstehen in letzter Instanz keinem ukrainischen Kommando, sondern dem US-Kommando und können auch international eingesetzt werden, wie z.B. auch die diversen konterrevolutionären Kuba-Organisationen, welche durch den US-Imperialismus finanziert und ausgebildet, wie auch seit Jahrzehnten international und nicht nur gegen Kuba eingesetzt werden, sondern weltweit und auch innerhalb der USA selbst. Das Ende der NATO-Ukraine ist nicht das Ende des ukrainischen Faschismus und der Feind des ukrainischen Faschismus ist nicht nur der russische Imperialismus und russische Faschismus, sondern vor allem die Arbeiterklasse im allgemeinen, nicht nur die ukrainische oder russische Arbeiterklasse, sondern auch die deutsche multinationale Arbeiterklasse. Der Terror des ukrainischen Faschismus richtet sich überhaupt gegen die proletarischen Massenorganisationen, gegen die internationale Arbeiterbewegung. Das Massaker im Gewerkschaftshaus in Odessa am 02. Mai 2014 ist eine Warnung des Faschismus an die Arbeiterklasse, konkret gegen die internationalen Gewerkschaften und wurde von der Arbeiterklasse noch nicht gesühnt. In den transatlantischen Metropolen wird der Massenmord in Odessa noch gedeckt. Auch dies eine klare Warnung an die Arbeiterklasse, an die Gewerkschaften, an die Gewerkschaftsbürokratie sich zu unterwerfen, ansonsten könnte sich in einem anderen Land auch der 2. Mai 2014 von Odessa wiederholen. Auch die ukrainischen faschistischen Organisationen sind Momente der Herrschaftsreserve des Kapitals und übernehmen die „schmutzige Arbeit“ für die Bourgeoisie, können dann eingesetzt werden, wenn die Arbeiterklasse auch über Streiks ihr gesellschaftliches Reproduktionsniveau verteidigt. Auch der britische Hafenarbeiterstreik im August wäre ein Angriffsziel für den Faschismus, für den ukrainischen Faschismus, denn er verstärkt die Lieferkettenprobleme des Kapitals, nicht nur des britischen Kapitals und schwächt die transatlantischen Metropolen im Verhältnis zum russischen Imperialismus und schwächt damit den transatlantischen Ukraine-Krieg gegen den russischen Imperialismus. Letztlich ist auch der Streik der britischen Hafenarbeiter ein Streik gegen die „nationale Sicherheit“ des britischen Imperialismus, bzw. ein Streik gegen die „nationale Sicherheit“ jeder transatlantischen Metropole, denn es ist durch den Streik nicht nur die britische Lieferkette, sondern alle transatlantischen Lieferketten bedroht und stärkt damit objektiv den russischen Imperialismus im antirussischen Wirtschaftskrieg, auch wenn nicht subjektiv das Ziel des britischen Hafenarbeiterstreiks ist. Über Gladio-Operationen werden nicht nur „feindliche“ Personen oder Organisationen direkt angegriffen, sondern auch Operationen unter falscher Flagge ausgeführt und diese dann bestimmten „ feindlichen“ Personen und/oder Organisationen zu Last gelegt. Das Ziel ist die De-Legitimierung des Massenprotestes vor allem schon präventiv, wenn sich der Massenprotest erst langsam entwickelt. Die De-Legitimierung des Massenprotestes leitet, vermittelt in eben durch die dahinterstehende Strategie der Spannung, in den bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) über. Der bürgerliche Staat soll den Ausnahmezustand ausrufen, um die vermeintlichen Täter, bzw. „Feinde“ zu vernichten. Die vermeintlichen Täter sollen nicht nur Täter sein, sondern „Feinde“, und zwar nur dessen Vorhut. Das Ziel ist nicht so sehr, die vermeintlichen Täter der Gerichtsbarkeit zu überführen, sondern das Signal zu geben, den „Feind“, der größer ist als die vermeintlichen Täter anzugreifen und zu zerstören. Auf diese Weise kam der deutsche Faschismus erst zu vollem Durchbruch (Reichstagsbrand) und der US-Imperialismus nutzt bis heute diese Strategie der Spannung mit wechselnden Erfolg. Die Strategie der Spannung ist keine Wunderwaffe, sondern ein ganz alltägliches und normales Instrument imperialistischer Politik und wird von allen imperialistischen Mächten verwendet. Eine Erfolgsgarantie hat die Strategie der Spannung nicht, entscheidend ist das Kräfteverhältnis der antagonistischen Klassen im Klassenkampf. Hauptsächlich ist die Strategie der Spannung gegen den „inneren Feind“ gerichtet und wird dann Option, wenn die inneren Probleme eskalieren und die Bourgeoisie keinen anderen Weg sieht, als diese inneren Probleme mit einem bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) zu bearbeiten. Die Strategie der Spannung eröffnet den Weg in den Ausnahmezustand, organisiert für diesen die Massenlegitimation.

Das Einschwenken des NATO-Paktes auf Gladio-Operationen ist nicht auf Rußland beschränkt, sondern erstreckt sich notwendig auch auf Westeuropa und damit auch auf Deutschland. Ebenfalls wird der russische Imperialismus auf diese Art des Angriffs mit den gleichen Mitteln reagieren und dies nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Westeuropa und damit auch in Deutschland, wie auch in den USA. Die Politik der Destabilisierung fällt auf den Verursacher zurück, führt damit zu einer weltweiten Destabilisierung und den Ruf nach dem Ausnahmezustand, dem Notstand, um die gesellschaftlichen Strukturen wieder zu stabilisieren. Der US-Imperialismus und sein NATO-Pakt aktiviert eine „Politik der Spannung,“ und visiert den Ausnahmezustand an bzw. den Kriegszustand oder Belagerungszustand, zwingt diese Rationalität objektiv auch Rußland und China auf. Es findet objektiv ein internationaler Wettlauf in den Kriegszustand statt, denn jeder Staat sieht sich von einem anderen Staat von außen und innen bedroht, sieht sich von der Arbeiterklasse bedroht, sieht seine „nationale Sicherheit“ bedroht. Die „nationale Sicherheit“ findet in dem Kriegszustand, Belagerungszustand zu sich selbst. Diese Flucht in die „nationale Sicherheit“ ist das Produkt durch die Destabilisierung des Weltmarktes und der internationalen Beziehungen. Mit dem Versuch der Destabilisierung Rußlands durch Gladio-Operationen kommt es eher zur gegenteiligen Wirkung, zur autoritären Stabilisierung Rußlands und auch zur Radikalisierung des russischen Imperialismus.

Die „nationale Sicherheit“ ist ein Angriff auf die „soziale Sicherheit“ der Arbeiterklasse und damit ist die „nationale Sicherheit“ der große „Feind“ der Arbeiterklasse und muß zerstört werden, denn „nationale Sicherheit“ bedeutet Verzicht für die Arbeiterklasse. Über hohe Energiepreise wird die Arbeiterklasse indirekt zum Verzicht gezwungen. Diese hohen Energiepreise sollen der Preis für die „Energiefreiheit“ sein. Doch dies führt auf Seiten der Arbeiterklasse zu einem großen Energiemangel. Eine „Energiefreiheit“ für die Arbeiterklasse gibt es nicht, nur eine „Energiefreiheit“ für das Kapital und zwar auf Kosten der Arbeiterklasse. Der Energieverzicht der Arbeiterklasse schafft die „Energiefreiheit“ des Kapitals. Wenn die „Energiefreiheit“ des Kapitals die „nationale Sicherheit“ gewährleistet, dann muß der Energiemangel der Arbeiterklasse notfalls repressiv erzwungen werden. Ohne Energie gibt es keine Akkumulation von Kapital. Erneuerbare Energien sind derzeit keine Alternative und werden es vielleicht irgendwann in der Zukunft sein. Aber nicht im Heute und Jetzt. Durch den Boykott der russischen Energierohstoffe gefährdet die deutsche Bourgeoisie selbst ihre „nationale Sicherheit“ und versucht sich an der „sozialen Sicherheit“ der Arbeiterklasse schadlos zu halten. Doch dies wird nicht reichen. Nur durch das erzwungene „Energiesparen“ der Arbeiterklasse läßt sich die Akkumulation von Kapital, die „nationale Sicherheit,“ nicht gewährleisten. Da es keine anderen Lieferanten von Energierohstoffen gibt, die den Energiehunger des deutschen Kapitals decken können, ist der deutsche Imperialismus nicht in der Lage seine „Energiefreiheit“ nur auf sich gestellt durchzusetzen. Der US-Imperialismus ist wankelmütig und vom russischen Imperialismus will das deutsche Kapital seit dem Ukraine-Krieg nichts mehr wissen. Dieser Zustand kann nicht lange ausgehalten werden. Entweder der deutsche Imperialismus wird seine Interessen mit dem russischen Imperialismus ausgleichen oder in alleine bzw. eher in einem Bündnis militärisch angreifen müssen, zum wiederholten Male einen imperialistischen Raubkrieg gegen Rußland beginnen, um in den Genuss der „Energiefreiheit“, bzw. der „nationalen Sicherheit“ zu kommen. Der Expansionsdrang des deutschen Imperialismus nach Osten, nach „neuem Lebensraum“ im Osten, d.h. real nach Energierohstoffen und anderen strategischen Rohstoffen, bleibt existent, egal ob friedlich durch „Durchdringung“ oder offen terroristisch.

Die Politik der „Durchdringung“ ist spätestens mit dem russisch-ukrainischen Krieg fehlgeschlagen, eigentlich schon im Jahr 2014 mit dem gescheiterten Putsch und dem folgenden Bürgerkrieg in der Ukraine. Weißrussland und die Ukraine sollten vom russischen Imperialismus abgespalten werden und all diese Pläne scheiterten am 24. Februar 2022. Über die Abspaltung von Weißrussland und der Ukraine sollten die dortigen strategischen Rohstoffe dem deutschen Imperialismus zu Gute kommen, gleichzeitig wäre der russische Imperialismus durch den Verlust seiner zentralen westlichen Einflußsphäre dem Druck und der „Durchdringung“ des deutschen Imperialismus ausgesetzt. Wer Kiew hat, kann Moskau zwingen. Diese Politik des deutschen Imperialismus ist nun gescheitert. Entweder der deutsche Imperialismus akzeptiert das neue Kräfteverhältnis, oder er muß in den imperialistischen Krieg übergehen. Eine „Energiefreiheit“, d.h. die „nationale Sicherheit“ des deutschen Imperialismus ohne und auch gegen den russischen Imperialismus ist nicht möglich. Der russische Imperialismus orientiert sich seit Februar 2022 deutlich nach Eurasien, weg von Westeuropa und damit gehen die strategischen Rohstoffe nach Osten und nicht nach Westen. Dem deutschen Imperialismus wird damit seine materielle Rohstoffbasis entzogen und damit seine Akkumulationsbasis. Der russische Imperialismus ist für die Expansion des deutschen Imperialismus nach Osten der zentrale Sperrriegel. So ist es um die „nationale Sicherheit“ des deutschen Imperialismus nicht gut bestellt und umso aggressiver nach außen und repressiver nach innen tritt der deutsche Imperialismus auf. Um in Ostasien Fuß zu fassen und China herauszufordern, ist es notwendig, den russischen Imperialismus nach Osten in Richtung Sibirien zurückzudrängen, sich den Kaukasus und Zentralasien als Landbrücke nach China zu unterwerfen und so China zu isolieren. Damit würde man dann auch Rußland von China trennen. Aus diesem Grunde muß zuerst der russische Imperialismus als zentraler Sperrrigel Eurasiens angegriffen werden, erst danach China. Um an die chinesischen Grenzen vorzurücken, muß der russische Imperialismus aus seinem Einflußgebiet im Kaukasus und Zentralasien vertrieben werden, erst dann wäre der Mittlere Osten unter Kontrolle des transatlantischen Imperialismus, wie China nach Westen hin isoliert. Die NATO-Ukraine war dazu das Sprungbrett. Diese aggressive imperialistische Politik steht und fällt mit der Hegemonie des US-Imperialismus. Ist der US-Imperialismus zu schwach, scheitert die diese expansive und aggressive Politik der transatlantischen Metropolen. Die verheerende Niederlage des US-Imperialismus und des transatlantischen Imperialismus in Afghanistan zeigt die Schwäche des US-Imperialismus auf und der russische Imperialismus nutzt die Gunst der Stunde und zerbricht die Einkreisungspolitik gegen Rußland und China und marschiert in die NATO-Ukraine ein. Alle Versuche des transatlantischen Imperialismus zwischen Rußland und China zu spalten scheiterten und führten zu einer engen ökonomischen, militärischen und politischen Zusammenarbeit zwischen Rußland und China. Zusammen sind Rußland und China dem transatlantischen Block überlegen und der transatlantische Block kann höchstens Rußland oder China alleine schlagen, aber nicht beide zusammen. Nun ist der transatlantische Imperialismus objektiv gezwungen, sich gleichzeitig mit dem russischen Imperialismus und China zu konfrontieren. Der Ukraine-Krieg ist lediglich der Anlaß für die notwendige Eskalation zwischen einem transatlantischen Kapitalismus und einem eurasischen Kapitalismus. Der eigentliche Feind des US-Imperialismus ist China, welches immer mehr ökonomisch mit den USA konkurrieren kann, während Rußland im Weltmarkt eine zurückgezogene, peripher autarke Position einnimmt. Jedoch muß der russische Imperialismus China stützen, um nicht der US-Übermacht zu erliegen und China bedarf vor allem militärisch den Schutz des russischen Imperialismus, denn militärisch hat China nicht mit den USA gleichgezogen. Rußland hat China unter dem atomaren Schutzschirm genommen, ansonsten hätte es schon längst einen US-Angriff auf China gegeben. Der US-Imperialismus bedarf einer russischen Neutralität, um einen erfolgreichen Angriffskrieg gegen China zu führen. Mit der russischen Intervention in die Ukraine zerstört Rußland alle US-amerikanischen Hoffnungen auf eine russische Neutralität im Falle eines US-chinesischen Krieges. Jeder US-Angriff auf China würde notwendig in den Dritten Weltkrieg führen. Der Ukraine-Krieg ist nur oberflächlich gesehen ein Krieg um die Ukraine, im Wesen ist der Ukraine-Krieg ein Krieg um einen US-chinesischen Krieg zu verhindern, indem der eurasische Kapitalismus gefestigt wird. Die Ukraine alleine ist eher eine Belastung für den russischen Imperialismus und ein Krieg um die Ukraine sinnlos. Nur im geopolitischen Rahmen erschließt sich die Intention des Ukraine-Krieges. Der multipolare Weltmarkt und die multipolare Weltordnung ist das Ergebnis einer Konfrontation zwischen dem transatlantischen und dem eurasischen Kapitalismus. Nur durch diese Konfrontation zwischen transatlantischen Kapitalismus und eurasischen Kapitalismus kann der multipolare Weltmarkt entstehen. Die Konfrontation zwischen diesen beiden historischen Modellen des Kapitalismus ist unvermeidlich. Für die Arbeiterklasse hat kein historisches Modell des Kapitalismus einen Vorteil; die Arbeiterklasse steht gegen den Kapitalismus in Totalität und damit gegen all seine historischen Formen. Der Feind steht im eigenen Land- der Feind ist die eigene Bourgeoisie. Die erste Phase dieser Konfrontation fand in der „Corona-Krise“ noch in unterentwickelter Form statt. In der „Corona-Krise“ begann sich die imperialistische Kette langsam neu auszurichten. Erst in der Ukraine-Krise brechen die kapitalistischen Widersprüche offen aus. Damit übertrifft der Energienotstand potentiell auch den Corona-Notstand. Der Energienotstand ist der Ernstfall vor dem Ernstfall, der letzte Schritt vor dem Krieg. Für das deutsche Kapital ist die „Energiefreiheit“ auch gleichzeitig die „Rohstofffreiheit“ und beides existiert im Kapitalismus an sich nicht, sondern muß erkämpft werden. Ein Perpetuum mobile existiert nicht. Entweder die Rohstoffe und auch die Energierohstoffe werden durch den Handel organisiert oder aber durch einen imperialistischen Raubkrieg gegen wen auch immer. Nur mit Energie- und/oder Rohstoffeinsparungen läßt sich die Akkumulation nicht organisieren. Der neue Krisenschub führt automatisch zu Energie- und Rohstoffeinsparungen, weil die gesellschaftliche Produktion sinkt und damit wird auch weniger Energie und auch Rohstoffe verbraucht. Diese Art der Einsparung führt dann auch zur Einsparung an Quantität von Ware Arbeitskraft im kapitalistischen Produktionsprozeß, d.h. zur Arbeitslosigkeit. Dann geht die Einsparung wieder zu Lasten der Arbeiterklasse. Diese Art der Energie- und Rohstoffeinsparung illustriert nur die normale Entwertung von Kapital und ist keine Innovation des kapitalistischen Produktionsprozesses. Der deutsche Imperialismus kann nicht ohne Energierohstoffe und Rohstoffe existieren, bzw. kann nicht ohne die russischen Energierohstoffe und andere strategische Rohstoffe existieren; der deutsche Imperialismus einigt sich mit dem russischen Imperialismus oder muß diesen angreifen, um an seine strategischen Rohstoffe zu gelangen. Der russische Imperialismus sitzt am längeren Hebel. Von der Arbeiterklasse und vom russischen Imperialismus fühlt der deutsche Imperialismus seine „nationale Sicherheit“ bedroht und reagiert nach außen und innen immer aggressiver und repressiver. Der deutsche Imperialismus hat sich durch seine verblendete Machtpolitik selbst in die Ecke gedrängt, projiziert jedoch diese Entwicklung als Aggression des „inneren“ und „äußeren Feindes“ und ist bereit, jedes Risiko einzugehen, um den „Feind“ in die Schranken zu weisen, wenn eine andere Form der Verständigung nicht möglich ist. Die derzeitige Zwangslage des deutschen Imperialismus kann sich innerhalb der Bourgeoisie schnell zu einer Schockpolitik verselbständigen, eine Schockpolitik durch eine Flucht nach vorn. Wenn ein gesichtswahrender Rückzug der deutschen Bourgeoisie nicht mehr möglich ist, ist eine Schockpolitik ein Ausweg für das deutsche Kapital und eine Schockpolitik bezieht sich nicht nur auf die inneren Verhältnisse des deutschen Imperialismus, sondern auch auf die äußeren Verhältnisse und schließt den imperialistischen Krieg mit ein. Die „Energiefreiheit“ kann der deutsche Imperialismus nur im Rahmen eines Dritten Weltkrieges oder in einer Kette von imperialistischen Kriegen realisieren und wird damit scheitern oder aber der deutsche Imperialismus gibt die Politik der „Energiefreiheit“ auf, bricht mit der Realitätsverweigerung und kommt in der neuen Realität der multipolaren Weltordnung an, d.h. beendet den antirussischen Wirtschaftskrieg und öffnet die Nord Stream II-Pipeline für das benötigte Gas. Setzt der deutsche Imperialismus seinen antirussischen Wirtschaftskrieg fort, wird er letztlich auch die EU und den NATO-Pakt sprengen, denn die anderen Metropolen der EU und der NATO werden nicht ewig die deutsche Politik mittragen, denn sie fahren dadurch erhebliche Verluste ein. Dann steht der deutsche Imperialismus gegen alle. Innerhalb der EU versucht der deutsche Imperialismus auf die Energieressourcen der anderen Mitgliedsländer zuzugreifen. Der Rest der EU soll verstärkt seinen Energieverbrauch senken und damit objektiv den deutschen Imperialismus unterstützen. Die anderen EU-Länder jedoch haben dem deutschen Imperialismus nur formal zugestimmt, d.h. die EU-Regelungen sind nur bloße Absichtserklärungen und nicht verbindlich. Sollte sich die Krise im Herbst und Winter verschärfen, wird es nur schweren Verteilungskonflikten zwischen den verschiedenen EU-Staaten kommen. Die „Energiefreiheit“ die der deutsche Imperialismus meint, beinhaltet auch den Zugriff auf die Energieressourcen sämtlicher EU-Staaten. Über diesen antirussischen Wirtschaftskrieg versucht der deutsche Imperialismus objektiv seinen bestimmenden Einfluß in der EU zu behaupten und zwingt die anderen EU-Staaten ebenso in einen antirussischen Wirtschaftskrieg. Gelänge es dem deutschen Imperialismus die EU in einen verschärften antirussischen Wirtschaftskrieg zu ziehen oder gar in einem Krieg, der potentiell zu einem Dritten Weltkrieg auswachsen würde, hätte der deutsche Imperialismus innerhalb der EU die Hegemonie errungen, denn nur der Hegemon entscheidet über Krieg und Frieden. Der Ukraine-Krieg geht nicht um die Ukraine, sondern um die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette.

Die absehbare Niederlage des transatlantischen Imperialismus in der Ukraine führt nicht zu einer Verständigungslösung mit dem russischen Imperialismus, sondern zur Eröffnung einer zweiten Front gegen China. Der deutsche Imperialismus marschiert in einen antichinesischen Wirtschaftskrieg, obwohl der chinesische Markt noch wichtiger für das deutsche Kapital ist als der russische Markt. Wie im Fall des russischen Marktes soll auch der chinesische Markt diversifiziert werden, damit die Abhängigkeit des deutschen Imperialismus nicht nur vom russischen Imperialismus, sondern auch vom chinesischen Kapitalismus reduziert wird. Nun wird im deutschen Kapital über konkrete Regelungen diskutiert, daß deutsche Investitionen in China vom deutschen bürgerlichen Staat genehmigt werden müssen. Der antirussische Wirtschaftskrieg weitet sich immer weiter zum einem Weltwirtschaftskrieg aus und überschreitet seit September die Grenze vom Wirtschaftskrieg zum Krieg. Mit den Sabotageaktionen von US-Imperialismus und NATO-Pakt an der Nord Stream I und Nordstream II Pipeline wird der potentielle Gasfluß von Rußland nach Deutschland gänzlich unterbrochen. Selbst wenn der deutsche Imperialismus sich mit dem russischen Imperialismus einigen würde, würde kein Gas fließen, solange, bis die Pipelines wieder repariert sind. Der deutsche Imperialismus und der US-Imperialismus ziehen zwar gemeinsam gegen den russischen Imperialismus ins Feld, vertreten aber auch hier ihre eigenen Interessen gegeneinander; die Interessen des US-Imperialismus und die Interessen des deutschen Imperialismus sind nicht deckungsgleich in der Konfrontation mit dem russischen Imperialismus. Immer deutlicher wird, daß der US-Imperialismus sich nicht nur mit dem russischen Imperialismus konfrontiert, sondern auch mit dem deutschen Imperialismus, während der deutsche Imperialismus nur den russischen Imperialismus als Feind einordnet, aber nicht den US-Imperialismus. Der deutsche Imperialismus wird reagieren müssen und wird letztlich mittelfristig gesehen, auf seinen Sonderweg zurückgreifen, will er nicht zwischen dem US-Imperialismus und dem russischen Imperialismus zerrieben werden. Ein Energienotstand wird durch die Angriffe auf Nordstream I und II immer wahrscheinlicher und damit ein neuer Krisenschub in der Akkumulation. Der Angriff auf Nordstream 1 und II ist eine US-amerikanische Kriegserklärung an Deutschland und Rußland, welche jedoch untereinander einen Wirtschaftskrieg führen und kann auch als Kriegserklärung an Rußland führen, da man auch von deutscher Seite Rußland als Saboteur indirekt beschuldigt. Schon deshalb steht drohend der „militärische Notstand“ der Notstandsgesetze potentiell bereit. Aber auch deshalb, um den Energienotstand durchzusetzen, denn ein Akkumulationseinbruch und Revolten gegen eine dann notwendige Rationierungs- und Deflationspolitik, bringt auch die Notstandsgesetze potentiell auf die Tagesordnung. Die Arbeiterklasse steht für die Reparatur und den Neubau der Pipelines Nordstream I und II und für eine enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Rußland von unten zum gegenseitigen Vorteil der deutschen und russischen Arbeiterklasse. Der US-Imperialismus und der britische Imperialismus versuchen die schon bestehenden Gräben zwischen dem deutschen Imperialismus und dem russischen Imperialismus zu vertiefen und damit auch die Gräben zwischen dem russischen Imperialismus und den EU-Metropolen. Es drohen deshalb noch weitere Angriffe auf die Infrastruktur der EU-Staaten von „dritter Seite“, die dem russischen Imperialismus zur Last gelegt werden können und damit die internationale Situation dramatisch in Richtung Dritter Weltkrieg eskalieren können, umso mehr, als der britische Imperialismus verzweifelt versucht sich zu stabilisieren und eine waghalsige Finanzpolitik einschlägt, welche zur Panik auf den Finanzmärkten führte und die britische Zentralbank zwang, zu intervenieren und so den Zusammenbruch von Pensionsfonds verhinderte, was zu einem weltweiten Zusammenbruch des Finanzmarktes wie im September 2008 hätte führen können. So führt die prekäre Lage des britischen Imperialismus zu einer allgemeinen risikoreichen Politik des britischen Imperialismus und vertieft die gegenwärtige Weltkrise. Die gegenwärtige Konjunktur der Klassenkämpfe führt zur Flucht nach vorn in den Krieg. Ebenso vor allem der US-Imperialismus. Auch der US-Imperialismus ist von schweren Klassenkämpfen erschüttert und es droht ein Bürgerkrieg. Deshalb auch hier die Flucht nach vorn in den Krieg, um die inneren Widersprüche nach außen zu kanalisieren. Sollte auch Deutschland in eine vertiefte Spannung herabsinken, wird der deutsche Imperialismus ebenso diese Politik einschlagen und zwar nicht nur gegen den russischen Imperialismus, sondern auch gegen den britischen und US-Imperialismus. Es gilt jetzt vermehrt: Alle gegen alle, jeder gegen jeden. Der drohende Zusammenbruch des fiktiven Kapitals weltweit könnte jederzeit über einen Crash die Akkumulation des Kapitals in den Abgrund reißen und den Weltmarkt zerstören. Vor dem Hintergrund des zerfallenden neoliberalen Weltmarktes ist eine weitere Entwertung des Kapitals notwendig. Die Desorganisation des kapitalistischen Weltsystems ist weit fortgeschritten, die De-Globalisierung hat einen point of no return erreicht und die Arbeiterklasse droht in den kapitalistischen Mahlstrom hereingerissen zu werden. Ein höheres Wesen wird die Arbeiterklasse nicht retten, daß muß sie selber tun und organisierten Widerstand leisten, einen Widerstand organisieren, der auf die Diktatur des Proletariats zielt. Der Kapitalismus befindet sich konkret in seiner Systemkrise, die eine Weltkrise hervorbringt. Es ist eine Frage des Überlebens, jetzt die Systemfrage zu stellen. Es gilt immer noch: Sozialismus oder Barbarei.

  1. Proletarischer Widerstand ist notwendig

-Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, international organisiert und ansetzend an der alltäglichen kollektiven Sabotage der Ausbeutung auch in der „kritischen Infrastruktur.“

– Arbeiterkontrolle über die Produktion

-Aufbau proletarischer Hundertschaften gegen die Repression des bürgerlichen Staates und seiner neofaschistischen Organisationen

-Generalstreik gegen Kriegspolitik und Kriegswirtschaft

Iwan Nikolajew Hamburg, im Oktober 2022 Maulwurf/RS

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Oben      —     Preismast einer Aral-Tankstelle in Illingen am 9. März 2022. Superbenzin kostet € 2,22 pro Liter, Diesel sogar € 2,309.

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von DL-Redaktion am 11. Oktober 2022

„Krieg und Frieden“
Die eigene Sprache verschlagen

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Aus Kyjiw von Rostyslav Averchuk

In Lwiw konnte man immer viel Russisch hören. Viele Touristen aus der Zentral- und Ost­ukraine, die nicht zum Ukrainischen übergegangen waren, verständigten sich auf Russisch mit den Einheimischen.

Doch jetzt haben sich die Dinge geändert. Zehntausende Menschen aus den überwiegend russischsprachigen Städten Charkiw, Mariupol, Cherson und dem Donbass haben im ukrainischsprachigen Lwiw Zuflucht gefunden, viele von ihnen gehen jetzt zum Ukrainischen über und besuchen ukrainische Sprachkurse und -klubs.

Einer dieser Klubs kommt im Lwiwer Museum für Volksarchitektur zusammen, einem Freilichtmuseum. Geflüchtete singen hier mit Einheimischen ukrainische Volkslieder, um ihre Aussprache zu verbessern und ihren Wortschatz zu erweitern. Wenn man sie singen hört, ist es schwer zu glauben, dass für einige von ihnen Ukrainisch nur die Zweitsprache ist. Tatjana, die gleich am ersten Tag des Krieges aus Charkiw gekommen ist und bis dahin Russisch gesprochen hatte, erzählt mir, dass der Übergang zum Ukrainischen – die „Rückkehr zur Muttersprache“ – für sie eine Frage des Prinzips sei. „Ich kann und möchte nichts mehr mit denen gemein haben, die mein Volk töten.“

Eine andere Tatjana, die bereits nach der Annexion der Krim 2014 von dort nach Lwiw gekommen war, ist in einer russischsprachigen Familie ukrainischer Patrioten aufgewachsen. Die Menschen in Lwiw haben am Anfang noch mit ihr Russisch gesprochen oder sie gebeten, sie selbst solle doch lieber Russisch sprechen, sobald sie bemerkten, wie schwer sich Tatjana mit der ukrainischen Sprache tat. Konnte man früher, selbst nach dem ersten russischen Angriff auf die Ukraine vor acht Jahren, im Stadtzentrum von Lwiw noch Straßenmusiker auf Russisch singen hören, ist jetzt alles anders.

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An den Türen einiger Läden hängen Zettel mit der Aufschrift: „Wir sprechen nicht in der Sprache der Besatzer.“ Für Tatjana ist das kein Problem. Außer dem Singkreis im Museum besucht sie jetzt auch schon ihren zweiten richtigen Ukrainisch-Sprachkurs. Vor Aufregung wechselt sie ins Russische und erzählt, dass sie sich sehr wünscht, dass ihre Enkel Ukrainisch sprechen.

Nicht nur in Lwiw ändert sich die Situation.

Quelle        :      TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —    Altstadt in Lviv (Ukraine).

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Unfassbare Nonchalance

Erstellt von DL-Redaktion am 7. Oktober 2022

Es muss mit Russland geredet werden.

 

Aber sicher nicht unter Militaristen und alles über Kimme und Korn !

Ein Debattenbeitrag von Helmut W. Ganser

Wer die vollständige Rückeroberung der besetzten Gebiete propagiert, bewegt sich auf eine nukleare Eskalation zu. Es bedarf der Analyse von Ausstiegsoptionen, die zunächst einmal das Gemetzel an den Fronten stoppen.

Die Forderung der neun osteuropäischen Nato-Staaten, den Eilantrag des ukrainischen Präsidenten zur Aufnahme in die Nato zu unterstützen, ist mehr als eine Herausforderung für die Allianz. Nach den von Osteuropäern ausgehenden früheren Forderungen nach einer Flugverbotszone der Nato über der Ukraine und der zeitweisen litauischen Teilblockade von Transitrouten nach Kaliningrad ist diese Initiative der bisher weitreichendste Versuch, die Nato unmittelbar in den Krieg hineinzuziehen – und das mitten in ein reales nukleares Eskalationsrisiko hinein. Würde die Bundesregierung einer Aufnahme der Ukraine in die Nato zustimmen, könnte sie sich einem Einsatz von deutschen Truppen in der Ostukraine nicht entziehen. Die Protagonisten der unsäglichen Forderung nach einem schnellen Beitritt blenden jede seriöse Folgenabschätzung aus.

Den Machteliten im System Putin ist klar, dass die erfolgreich verlaufende Selbstverteidigung der Ukraine zu einem großen Teil von der Unterstützung durch den Westen abhängt. Die operativen Fehlschläge und die hohen russischen Verluste gehen für Putin und dessen Generalstab primär auf das Konto Washingtons und der Nato-Europäer. Die wiederholten Atomdrohungen Putins müssen rational analysiert werden. Sollen sie die Europäer im Westen einschüchtern, Angst schüren, spalten? Die Antwort ist ein klares Ja. Ist Putin grundsätzlich bereit, taktische Nuklearwaffen einzusetzen? Die Antwort darauf ist ebenfalls Ja. Er besitzt die Grundbrutalität dazu, und er weiß um die geografische Größe seines Landes.

Seine konventionellen Streitkräfte sind inzwischen erheblich geschwächt. Und die Zeit läuft ihm davon. Es sind realistische Szenarien vorstellbar, in denen Putin keine andere Wahl mehr sieht und zur nuklearen Eskalation greift. Er würde die Folgen, so unkalkulierbar sie für ihn sind, in seiner ganzen Verblendung vermutlich nicht scheuen. Weder die Aussicht, als globaler Paria stigmatisiert zu werden, noch die Erwartung massiver amerikanischer konventioneller Luftschläge auf russische Fronttruppen in der Ukraine dürfte in beeindrucken. Letzteres würde im Übrigen die Nato zwangsläufig in den Krieg hineinziehen.

Dürfen Washington und die Bundesregierung, es so weit kommen lassen? Wie weit dürfen wir uns einer nuklearen Katastrophe nähern? Wollen wir uns wirklich herantasten an die letzten russischen roten Linien? In diesen Fragen dominiert in weiten Teilen der deutschen Politik und Medien eine unfassbare Nonchalance. Einige glauben offenbar, dass russische Atomschläge mit relativ geringer Sprengkraft in Kauf genommen werden könnten und blenden völlig aus, dass wir alle mit dem Bruch des nuklearen Tabus in eine völlig andere strategische Welt eintreten würden. Die meisten Nuklearexperten glauben nicht an eine Begrenzung eines Krieges mit Atomwaffen, wenn der zerstörerische Geist einmal aus der Flasche ist.

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Bundeswehr in Schulen Lupus in Saxonia / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Hier darfst du unbedarfte Personen zu Mördern ausbilden und die dazu entsprechenden Lizenzen – wie nach James Bond – verteilen !

Anstatt einer dramatischen Ausweitung und Eskalation des Kriegs zuzusehen, bedarf es dringend der Analyse von Ausstiegsoptionen, die zunächst einmal das Gemetzel an den Fronten stoppen. Die dafür entscheidende Ebene ist die zwischen Moskau und Washington: Joe Biden definiert durch vielfache militärische Unterstützung den Handlungsspielraum von Ukraines Präsident Selenski. Das oft gehörte Mantra, dass nur Selenski über Verhandlungen bestimmen kann, ist nur die halbe Wahrheit: Der Schlüssel für einen Ausstieg liegt in Moskau und Washington, die offenbar über einige Kanäle weiter kommunizieren.

Mit Blick auf die wachsenden Eskalationsrisiken für Europa insgesamt und die Ukraine ohnehin kommt es jetzt auf einen rationalen Abwägungsprozess an – zwischen den Zerstörungsrisiken einer nuklearen Eskalation und den Risiken, Bedingungen und Folgen einer Einstellung der Kampfhandlungen in Verbindung mit humanitären Lösungen. Dazu muss die Ausstiegsoption erst einmal in der verengten Debatte zugelassen und ausgeleuchtet werden: Eventuell ergibt sich in der nahen Zukunft im Zusammenhang mit der Schwäche der russischen Streitkräfte ein Fenster der Gelegenheit, das sich im Eskalationsgeschehen auch wieder schließen kann. Würde sich der Westen damit angstgetrieben der Erpressung Putins beugen? Nein, es wäre ein Akt der Vernunft, um weit Schlimmeres zu verhindern und einen erheblich geschwächten Putin, der seine Kriegsziele klein zu machen gezwungen war, hinterlassen.

Quelle        :         TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben     —    Helmut Ganser 2010 (2)

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Russen sind kein Ork-Volk

Erstellt von DL-Redaktion am 6. Oktober 2022

Rassismus gegen Russen im Ukraine-Krieg

Ein Debattenbeitrag von Houssam Hamade

Die Gewalt der russischen Armee erschüttert. Doch auch in Russland gibt es sehr verschiedene Menschen, von denen viele selbst denken können.

In Kriegszeiten dämonisieren Menschen ihre Gegner vielfach. Die russischen Invasoren werden von den Ukrainern beispielsweise als „Orks“ bezeichnet. Das ist verständlich, bedenkt man die Brutalität und Sinnlosigkeit des Angriffskrieges, unter dem sie zu leiden haben.

Aber so nachvollziehbar das ist, so gefährlich ist es auch. Denn diese Dämonisierung verzerrt den dringend nötigen Sinn für Realitäten. Auch in den deutschen Medien vermehren sich zurzeit die Beiträge, die die russische Gesellschaft mehr oder weniger darstellen, als wäre sie eine von Orks.

Orks sind dunkelhäutige, sehr muskulöse Wesen aus diversen Fantasieromanen. Sie sind allesamt extrem aggressiv, egoistisch und meist auch dumm. Schon ihre Kinder werden zur Gewalt erzogen. Entscheidend ist: Sie sind so. Alle. Ihre „Kultur“ ist eben so, könnte man sagen.

Auch die russische Gesellschaft „scheint“ eben so zu sein, glaubt man beispielsweise der in den letzten Monaten so oft wiederholten Behauptung, 70 bis über 80 Prozent der russischen Bevölkerung stünden stramm hinter Putin.

Ergänzend erscheinen seit Beginn des Krieges immer wieder Medienbeiträge, die „die russische Kultur“ darstellen, als wäre diese ein Programmiercode, der „den Russen“ eingeschrieben ist und sie lenkt.

„Die Russen“ seien halt eine kollektivistische Gesellschaft und müssten erst lernen, selbstständig zu denken, hieß es beispielsweise in der taz. Andere behaupten dagegen, in Russland herrsche ein „aggressiver Individualismus“. Wieder andere schreiben, die Russen seien mehrheitlich eben abergläubisch, gewalt- und obrigkeitshörig und überhaupt seit Langem sehr rückständig. Die Au­to­r*in­nen solcher Texte haben oftmals selbst russische Namen. Und wenn die Russen das selbst sagen, dann wird es schon stimmen, denken sich die jeweiligen Redakteure vermutlich.

Dass eine Gesellschaft weniger individualistisch ist, heißt nicht, dass deren Angehörige allesamt Vollidioten sind

Ein weiterer taz-Artikel begründete die Gewalt der russischen Soldaten damit, dass sie „tief in Russlands Gesellschaft verankert“ sei. Überall setzten sich die Stärkeren mit Gewalt durch. „Die Menschen“ in Russland, so der Artikel, finden, dass Kinder abgehärtet gehören. Demütigung, Strafe, Brutalität. „Die Menschen“ heißt: alle. „Die Gesellschaft“ heißt: alle. Auch in deutschen Talkshows werden solche Behauptungen verbreitet.

Die gesamte russische Gesellschaft ist also durchsetzt von Gewalt, Rücksichtslosigkeit und Egoismus. Eine Ork-Gesellschaft halt. Aber stimmt das denn auch? Unwahrscheinlich. So ist Kultur nicht und so sind Gesellschaften nicht.

Gerade die russische Gesellschaft ist divers: Sie besteht aus verschiedenen Klassen, Altersgruppen, Bildungsgruppen, Ethnien, politischen Strömungen, Leuten vom Land, Leuten aus den Metropolen. Es gibt in jedem Land verschiedene Menschen mit verschiedenen Meinungen. Dass eine Gesellschaft weniger individualistisch ist als westliche Gesellschaften, heißt nicht, dass deren Angehörige allesamt Vollidioten sind, die weder klar noch kritisch denken können. Darum ist es sinnvoll, skeptisch auf solche Behauptungen zu reagieren. Entsprechen sie den Fakten?

Dass bis zu 83 Prozent der Menschen in Russland für den Krieg seien, ist Unsinn. Das zeigen die teils heftigen Proteste gegen die Mobilmachung. Trotz der drakonischen Strafen, die bei solchen Protesten drohen.

Der Moskauer Soziologe Boris Kagarlizky, Direktor des russischen Instituts für Globalisierung und soziale Bewegungen, erklärt, dass meist nur diejenigen an den offiziellen, meist telefonischen Befragungen zum Krieg teilnehmen, die das erwünschte Ergebnis von vornherein unterstützten. Der allergrößte Teil lehnt eine Befragung ab, weil die Leute Angst vor Strafen haben.

Realistischer ist die Einschätzung, dass sich die russische Gesellschaft etwa in drei große Lager spaltet. Laut einem geleakten Dokument des staatsnahen Umfrageinstituts WZIOM sind etwa 30 Prozent der Menschen in Russland gegen den Krieg. Auch schon vor der Mobilmachung. Diese stammen eher aus den Metropolen und sie sind eher jung. Ein weiter Block gehört zu den „Cheerleader*innen“ des Krieges: Leute, die Krieg und Putin unterstützen. Der dritte, größere Block will seine Ruhe und ist politikfern. Für diese Verhältnisse gibt es verschiedene Gründe: Erfahrungen der Bevölkerung mit autoritärer Herrschaft, die extrem schlechte politische und wirtschaftliche Lage in den 90ern, Propaganda in den Medien und so weiter.

Junge russische Ak­ti­vis­t*in­nen ärgern sich auf Twitter, dass der fehlende Widerstand in der russischen Bevölkerung auf angebliche „Mentalitätsunterschiede“ zurückgeführt würde und nicht auf die systematische Zerstörung der Zivilgesellschaft. Das trifft es ziemlich genau.

Quelle          :           TAZ-online            >>>>>          weiterlesen

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Oben     —     MCM Comic Con ExCel London October 2014 Cosplay Cosplay at the October 2014 MCM London Comic Con.

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Nicht „Putins Krieg“ ist irre…

Erstellt von DL-Redaktion am 6. Oktober 2022

…er folgt politischen und militärischen Kalkülen –
sondern die Berichterstattung über ihn:

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Suitbert Cechura

Dass Russland den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, ist Fakt. Außergewöhnlich ist Derartiges nicht. Wenn in den letzten 30 Jahren die USA, die einzig verbliebene Supermacht, im Bunde mit willigen NATO-Kumpanen Kriege starteten, wurde darum nicht viel Aufhebens gemacht – selbst wenn die rechtfertigenden Lügen (Saddams Atombomben, Bin Ladens Versteck am Hindukusch etc.) mit Händen zu greifen waren. Jetzt aber soll ein solcher Sachverhalt für sich selber sprechen: Ein Irrer führt Krieg als sadistisches Privatvergnügen, wie es sich nur Diktatoren leisten können.

„Putins Krieg“

Die Frage danach, warum Russland die Ukraine angegriffen hat – welche politischen Kalkulationen hier im Spiel waren und auf welchen Gegner sie trafen –, ist verpönt. Wer sie sich dennoch stellt oder versucht, eine Erklärung zu finden, wird gleich als Putin-Versteher, also als fünfte Kolonne (https://www.heise.de/tp/features/Fuenfte-Kolonne-2022-7206981.html) des Feindes, diffamiert. Denn: Wer einen Krieg beginnt oder ein Land angreift, ist schuld und damit zu verdammen, so die – neuerdings – allseits verbreitete Auffassung. Deshalb gehört es zum guten Ton für Politiker wie Journalisten, bei jeder einschlägigen Äußerung das Mantra vom völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg zu bemühen, um so die zwingende moralische Verurteilung mit zu liefern. Wer diese Floskel weglässt, hat sich schon von vornherein mit seiner Wortmeldung unmöglich gemacht.

Was daherkommt, wie ein Kant´scher Imperativ, ist dabei so selbstverständlich gar nicht. Als Aserbeidschan kürzlich Armenien angriff, war von einer Verurteilung des dortigen Regimes weit und breit nichts zu vernehmen (https://www.heise.de/tp/features/Waffenruhe-im-Pulverfass-Aserbaidschan-Armenien-7264519). Nachfragen beim werteorientierten Außenministerium ergaben, dass ein Aggressor einfach nicht feststellbar sei. Das galt nicht als eine Kritik an den eigenen Geheimdiensten oder der Unfähigkeit des ministeriellen Ladens. Und ein Schelm ist, der Böses dabei denkt und meint, es hätte etwas damit zu tun, dass die Europäische Union gerade ein Abkommen mit dem dortigen Potentaten über Gaslieferungen geschlossen hat.

Bezeichnend auch: Der ehemalige deutsch Bundeskanzler Gerhard Schröder wird wegen seiner Putin-Nähe gescholten, nicht wegen seiner Beteiligung am Angriffskrieg gegen Serbien und der damit verbundenen Bombardierung (die auch die Infrastruktur und Stadtgebiete traf, dabei zivile Opfer produzierte). Hatte doch sein grüner Außenminister für diesen Krieg eine moralische Begründung in die Welt gesetzt, d.h. freihändig zusammenkonstruiert: Serbien wolle die Kosovaren vernichten und nicht etwa in seinem Territorium behalten.

Auch der Angriffskrieg der Nato gegen Afghanistan führte zu keiner moralischen Verurteilung, wurde vielmehr als Verteidigungsakt der USA verkauft. Dabei hatte nicht Afghanistan die USA angegriffen, sondern eine politische Gruppe, deren Führer sich zu diesem Zeitpunkt in Afghanistan aufhielt und schließlich in Pakistan von den USA hingerichtet wurde. Die Mitglieder dieser Gruppe stammten aus verschiedenen Ländern des Nahen Ostens, vorwiegend aus Saudi-Arabien, einem engen US-Verbündeten. Viele von ihnen wohnten zeitweilig in Deutschland und wurden in den USA ausgebildet. Folgt man der Logik der moralisch einwandfreien Begründung für den NATO-Überfall auf Afghanistan, dann hätten auch noch ganz andere Länder ins Visier geraten können – wäre es wirklich um eine kriminalistische Aufarbeitung des Falls gegangen. Doch die war ja nicht gewünscht, das betreffende „Urteil“ hatten die USA ja schon in der selbstherrlich angemaßten Rolle des Weltpolizisten, Anklägers und Richters gesprochen!

Für die Gründe des Überfalls interessierte sich damals wie heute niemand, wurde doch an Afghanistan eindeutig demonstriert, womit Islamisten, die Amerika feindlich gesinnt sind (und ihm nicht wie im antisowjetischen Afghanistankrieg die Drecksarbeit abnehmen), zu rechnen haben. Und so wurde die Legende geschaffen, der Krieg (den man in der BRD zehn Jahre lang so nicht nennen durfte) sei eine Hilfsaktion, quasi eine „Spezial-Operation“ für Menschen in Not. Dabei wurde niemand daran irre, dass man zum Brunnenbohren keine Maschinengewehre benötigt und dass Soldaten mit Schützenpanzern keine Bildungsbegleiter für Mädchen und junge Frauen sind. Nachdem das Land dann zerstört und somit eindeutig demonstriert war, womit Gegner des freien Westens zu rechnen haben, konnte die NATO Afghanistan sich selbst überlassen.

Zudem besteht mit der Drohnentechnologie die Möglichkeit, jedes Land aus der Luft zu terrorisieren und Menschen, die die US-Präsidenten aus eigener Machtvollkommenheit auf eine Todesliste setzen, zu liquidieren. Die dabei anfallenden toten Zivilisten – die Zahlen gehen bekanntlich in die Tausende – gelten denn auch nicht als Kriegsverbrechen, sondern als Kollateralschäden des moralisch einwandfreien Freiheitskampfes. Amerikanische Präsidenten oder deutschen Kommandeuren drohen daher auch keine Kriegsverbrecherprozesse. Wer hier – wie Julian Assange – mit Enthüllungen querschießen will, wird einfach weggesperrt.

Moralisten wissen eben sehr genau, dass moralische Gebote – wie die völkerrechtlichen Normen (siehe den Kommentar zu „unseren“ Werten https://overton-magazin.de/krass-konkret/was-fuer-unsere-werte-alles-sein-muss-zur-not-auch-ein-atomkrieg/) – immer nur bedingt gelten, und sie wägen ab, wann sie in Anschlag zu bringen sind und wann nicht. „Unsere“ Werte beschreiben einen Sollzustand, der wünschenswert ist, aber wegen der widrigen Umstände oft nicht eingehalten werden kann. Vor der widrigen Realität oder zur Sicherung des privaten wie nationalen Erfolgs haben diese hohen Werte dann immer mal wieder zurückzutreten. Das gilt dann nicht als Abweichung von der Moral, sondern als Einsicht in die realpolitischen Bedingungen, als Pragmatismus, der diesen Moralisten dann ebenfalls zu Gute gehalten werden kann und nicht als Opportunismus oder als Doppelmoral zu verurteilen ist.

Die Ukraine – Söldnertruppe des Westens?

Inzwischen gilt der Krieg auch als „unser Krieg“. Denn Russland hat nicht nur die Ukraine angegriffen, heißt es, sondern damit auch den ganzen freien Westen. Das ist mehr als seltsam. Schließlich wehrt sich nicht der geballte freie Westen und tritt in den Krieg ein, sondern die Ukraine hat die ganze Last des Krieges zu tragen und für „uns“ zu kämpfen.

In der Vergangenheit wurden Soldaten, die nicht als Untertanen für ihr Land, sondern gegen Bezahlung für eine fremde Herrschaft kämpfen, als Söldner bezeichnet. Wenn man heute die Ukraine als die Söldnertruppe des Westens einstuft, wird das bestimmt für Aufregung sorgen. Dennoch wäre dieser Sachverhalt hier gerade festzuhalten! Die Ukrainer sollen ja ihren Kopf für ein fremdes, (welt-)herrschaftliches Interesse hinhalten, nämlich dafür, dass Russland in Zukunft nicht mehr in der Lage ist, irgendein Land anzugreifen; was nichts anderes bedeutet, als dass Russland der Militärmacht des Westens in Zukunft nichts Relevantes mehr entgegensetzen kann.

Dafür werden ukrainische Soldaten von Nato-Staaten ausgebildet, mit Waffen ausgerüstet und dirigiert, und dafür wird mit Milliarden-Summen der ukrainische Staat finanziert, dessen wirtschaftliche Grundlage ruiniert ist (https://www.heise.de/tp/features/Fuehren-die-USA-in-der-Ukraine-Krieg-gegen-Moskau-7273124.html). Gesteuert wird dieser Kampf durch die Aufklärung der Nato und die Ausstattung wie Anleitung des Militärs. So wird sichergestellt, dass der Krieg auch seine beabsichtigte Wirkung erreicht.

Gelobt wird der Kampfesmut des ukrainischen Volkes, dessen Angehörige sich nicht nur als Soldaten, sondern auch als Zivilisten dem Feind entgegenstellen, die sich für den Volkswiderstand bewaffnen und Molotow-Cocktails („Bandera-Smoothies“) auf Panzer werfen (https://overton-magazin.de/krass-konkret/ukraine-hat-das-amerikanische-resistance-operatin-concept-umgesetzt/). Die dabei anfallenden Toten liefern der Presse und den Politikern dann den Beweis für die Unmenschlichkeit russischer Kriegsführung. Die soll einfach keine Rücksichtnahme auf ukrainische Zivilisten kennen, da sie sie einfach als Feinde behandelt, wenn sie aus dem Hinterhalt schießen oder als Schutzschilde fürs Militär ihrem Land dienen, eben im Sinne des „totalen Verteidigungskriegs“ (https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/erste-halbjahr-ukraine-krieg) agieren, den die Kiewer Führung ausgerufen hat.

Zudem beweisen die Folterkeller der Russen und die eindeutigen Spuren an Leichen die Rückständigkeit russischer Kriegsführung. Amerika verfügt da über ein ganz anderes Spektrum von Maßnahmen, die vom „Outsourcing“ der Drecksarbeit bis zu elaborierten Methoden der Folterung (dauerhafter Schlafentzug, Beschallung mit Pop-Musik, Waterboarding …) reichen – Maßnahmen, die keine Spuren am Opfer hinterlassen oder einfach als adäquate Behandlung von „Terroristen“ gelten. Und so ist bei den Russen die moralische Verurteilung angebracht, während Guantanamo kein öffentliches Thema mehr ist, obgleich das Lager – bald zehn Jahre nach der Ankündigung seiner Schließung durch Friedensnobelpreisträger Obama – immer noch existiert.

Die Bürger der Ukraine verteidigen ihr Vaterland, ihre Lieben und überhaupt den westlichen Wohlstand in Freiheit, wird berichtet. Nur verfügen die meisten Bürger des Landes gar nicht über einen nennenswerten Besitz, ja noch nicht einmal über den „Besitz“ eines Arbeitsplatzes, weshalb sich ein Großteil der Bevölkerung auswärts, im europäischen Niedriglohnsektor, verdingt. Und sofern sie etwas besitzen oder ihre Heimat verteidigen wollen, müssen sie feststellen, dass beides gerade durch den Krieg zerstört wird.

Mit der Verteidigung der Lieben verhält es sich ähnlich, werden deren Leben doch gerade durch den immer weiter eskalierenden militärischen Einsatz gefährdet. Dass es bei der Verteidigung des Landes gar nicht ums Volk, sondern um den Schutz der Herrschaft seines Landes geht, das wollen diese Helden meist gar nicht wahrnehmen.

Solidarität mit der Ukraine

Einigkeit herrscht in weiten Kreisen der deutschen Gesellschaft bis hin zu den Linken, dass Solidarität mit der Ukraine zu üben ist. Gemeint ist damit, dass die Menschen hierzulande sich zumindest ideell auf die Seite der angegriffenen Nation stellen sollen. Das gilt, obwohl von dieser Einstellung für den Verlauf des Krieges gar nichts abhängt. Denn die hiesigen Bürger sind ja nicht die Akteure dieser gewalttätigen Auseinandersetzung. Praktisch werden sie ja auch nicht gefragt, wie sie in diesen Konflikt eingebunden sein wollen. Sie werden vielmehr mit den Folgen des Wirtschaftskriegs konfrontiert und haben mit den daraus resultierenden Preissteigerungen zurechtzukommen. Die Bürger hier – wie die Bürger in der Ukraine oder Russland – sind eben die Manövriermasse ihrer Regierungen, die sie nicht nur praktisch einspannen, sondern auch verlangen, dass sie ideell Partei ergreifen.

Solidarität ist dabei ein eigenartiger Imperativ: Sie war einmal ein Kampfbegriff der Arbeiterbewegung, die Aufforderung, die Konkurrenz untereinander einzustellen und sich gemeinsam gegen Kapital und Staat zur Wehr zu setzen. Jetzt wird der Begriff gerade im Gegenteil für eine Ansage „von oben“ benutzt, um die Gemeinsamkeit von Bürgerschaft und Staat über alle Klassengrenzen hinweg verbindlich zu machen. Dabei lohnt sich dieses Zusammenhalten nur für die einen, die wie immer ihre Gewinne, neuerdings sogar „Übergewinne“, machen, während er für die anderen das Sich-Abfinden mit den Preissteigerungen und den daraus resultierenden Einschränkungen bedeutet.

Ein viel gescholtener Autor des neunzehnten Jahrhunderts hat einmal geschrieben, dass Proletarier, die heute Arbeitnehmer heißen, kein Vaterland besitzen, und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie von ihren Regierungen nichts Positives zu erwarten haben – außer der Hilfe, weiter die Lasten zu tragen, die andere reich und den Staat mächtig machen. Für ihn hat sich daraus die Forderung ergeben, dass sich die Proletarier aller Länder vereinigen sollten, um die Herrschaft ihrer nationalen Herren abzuschütteln, statt aufeinander zu schießen. Unterschätzt hat dieser Autor die moralische Macht des Nationalismus der Arbeiter, die als Bürger ihrer Länder – letztendlich, wenn die finale Opferbereitschaft eingefordert wurde – noch immer brav als Soldaten in jeden Krieg gezogen sind. So, wie sich heute auch Linke in die nationale Einheitsfront einreihen, standen Sozialdemokraten schon mit Beginn des Ersten Weltkriegs auf Seiten ihres Kaisers, bewilligten Kriegskredite fürs Schlachtfeld und verkündeten den Burgfrieden an der Heimatfront.

Die Verteidigung unserer Werte geht über Leichen

In dem Krieg gegen Russland, steht viel auf dem Spiel, wie es heißt: Die Verteidigung unserer Werte wie Freiheit und Rechtsstaat. Gerade die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock wird nicht müde, immer wieder die Werte hochzuhalten. Doch wenn es um die Freiheit geht, dann stellt sich schon die Frage, um wessen Freiheit es sich da handelt. Die Freiheit der männlichen Bürger zwischen 18 und 60 ist in der Ukraine per Dienstverpflichtung massiv eingeschränkt – was jetzt an Russland kritisiert wird. Die Regierung in Kiew vertraut nicht einfach auf die nationalistische Begeisterung der Massen, sondern hat eine Wehrpflicht verordnet. Ob man will oder nicht, man muss den Kopf für die Nation hinhalten. Sollte man dabei umkommen, wird man als Held geehrt, der sich für die Nation hingegeben hat – ganz so, als ob man sich beim Tod fürs Vaterland frei entscheiden könnte. So siegt auch in dem Fall die Moral in Form der erfundenen Opferbereitschaft.

Und diejenigen, die nicht an der Front eingesetzt werden, dürfen ihre Freiheit in den Bunkern ausleben, während hierzulande die Folgen dieses Freiheitskampfes hinzunehmen und keineswegs mit Protest zu kontern sind: Dass viele Menschen sich einschränken müssen, weil ihr Einkommen angesichts der steigenden Preise hinten und vorne nicht mehr reicht, darf allein unter dem Blickwinkel betrachtet werden, ob das Ganze auch gerecht, also als Verteilung der Lasten auf alle Schultern, vor sich geht.

Auch die Meinungsfreiheit, bekanntlich eins der höchsten Güter in der „freien Welt“, gilt es zu verteidigen. Hier droht die Gefahr, dass sich die Bürger doch glatt die Sicht des Gegners anhören oder antun könnten. Solchen Gefährdungen der richtigen Sicht auf den Krieg muss vorgebeugt werden, und zwar durch die entsprechenden Verbote feindliche Sender. Eine Gleichschaltung der heimischen Medien braucht es dagegen kaum – weder in Russland noch im Westen –, sind sich Journalisten in der Regel doch ihrer nationalen Verantwortung bewusst und übernehmen schon von daher die Sicht ihrer Politiker, denen sie allenfalls vorhalten, zu lasch gegenüber dem Gegner zu sein und damit den Sieg über ihn zu verhindern.

So haben Journalisten in ihrem Job einiges zu tun. Klar ist z.B., dass die Eroberung eines Atomkraftwerkes dieses beschädigen und damit unter Umständen eine Atomkatastrophe auslösen kann ( https://www.overton-magazin.de/krass-konkret/iaea-verwaltungsrat-fordert-mehrheitlich-den-abzug-der-russischen-truppen-vom-akw-saporischja/). Dieser Vorwurf kann den Russen daher nicht erspart bleiben. Nur geht der Wiedereroberungsversuch der Ukrainer das gleiche Risiko ein – aber das ist für die freie Presse natürlich etwas ganz anderes. Die Bomben, die laufend aufs AKW Saporischja fallen, werden nicht verschwiegen, aber von einem Beschuss durch die ukrainische Armee ist auch nicht die Rede; irgendwie sollen die Angriffe von den Russen, die das Kraftwerk bereits besetzt haben, selber ausgehen. Über die Absurdität dieses Vorwurfs lacht die moralisch gefestigte Öffentlichkeit natürlich nicht, sondern nimmt sie selbstverständlich hin. Und wenn sich dann noch der russische Präsident erdreistet und auf diese Absurdität hinweist, dann zeigt dies nur dessen Abgebrühtheit. Schließlich sind westliche Partner über jeden Verdacht erhaben und es disqualifiziert sich jeder, der dies in Frage zu stellen wagt.

Bei der Besprechung des Krieges und seiner Parteien werden westliche Politiker dann auch noch sehr grundsätzlich: Es gehe in diesem Konflikt um die Prinzipien der Herrschaft, um die Alternative Demokratie versus Autokratie. Zwar lässt sich auch ein Putin wählen wie ein Orban oder ein Kaczynski in der EU oder wie ein Erdogan beim NATO-Mitglied Türkei, doch gilt der russische Präsident als Autokrat, während letztere sich in den Reihen der Demokraten wiederfinden, auch wenn sie im Rahmen der europäischen Konkurrenz einige Beschwerden einstecken müssen.

Demokraten stützen sich auf die Zustimmung ihres Volkes und somit geht ihre Herrschaft in Ordnung, während Autokraten sich nur durch Gewalt halten können, so die Behauptung. Wie Letzteres funktionieren soll – müsste doch im Prinzip hinter jedem Bürger ein Polizist oder Aufseher stehen –, ist zwar rätselhaft, wird aber vielfach geglaubt und von den Journalisten der Leitmedien eifrig kolportiert.

Hinzu kommt übrigens bei dieser prinzipiellen Alternative, dass zu den Verbündeten der ehrenhaften demokratischen Regierungen solche sinistren Gestalten gehören wie der saudiarabische Prinz Salman, der sich gerade des Besuchs des deutschen Kanzlers erfreut, oder der Putschist al Sisi aus Ägypten. Sie stehen – irgendwie – im Lager der Demokratie und werden daher reichlich mit deutschen Waffen ausgestattet, um mit uns – im Falle des Falles – gegen Autokraten zu kämpfen.

Die Macht der Moral – Futter für Mitmacher

Die Regierenden aller Länder sind auf die Loyalität ihrer Bürger angewiesen und auch ein Putin kann nicht hinter jeden Volksgenossen einen Büttel seines Sicherheitsapparats stellen. Natürlich berufen sich alle Regierungen darauf, dass ihre Herrschaft ganz dem Wohl des Volkes verpflichtet ist, doch spürt der Einzelne, wenn er zum gewöhnlichen Fußvolk gehört, in der Regel wenig davon. Denn das Wohl des Volkes ist eben etwas anderes ist als das Wohl des einzelnen Bürgers. Mit dem Wohl des Volkes bzw. der Nation ist der Erfolg des eigenen Staates gemeint, dessen Macht in der Welt gestärkt werden soll, um die Konkurrenz mit anderen Staaten zu bestehen; dafür haben die Bürger ihren Dienst zu leisten.

Also können Politiker nicht einfach auf die positiven Seiten ihres Handelns verweisen, das den Bürgern selbstverständlich Nutzen bringt. Denn auch ein Entlastungspaket für den kleinen Mann, das eine hilfreiche Leistung für „sozial Schwache“ darstellen soll, ist ja ein Schadensmilderungspaket, macht das Leben nicht leichter, sondern allenfalls die Schädigung erträglicher. Die politische Klasse führt daher ständig höhere Werte – in leicht abgewandelten Varianten – an, denen sie in ihrem Handeln verpflichtet ist.

In schweren Zeiten gilt es in besonderem Maße die Moral zu bemühen: Da wird die Gemeinschaftlichkeit beschworen, obwohl die einen mit dem Lebensunterhalt der Leute – nicht nur in der Krise – ihre Geschäfte machen und die anderen sich einzuschränken haben. Auch sollen die neuen Einschränkungen nicht das Resultat des Wirtschaftskrieges gegen Russland sein, der noch nicht einmal so heißen darf, sondern die Folge der Boshaftigkeit Putins oder eben wirtschaftlicher Prozesse, die nicht aus der Gestaltung der Wirtschaft durch die Politik erfolgen, sondern sich irgendwie sachzwangmäßig ergeben.

Es braucht eben moralisch gefestigte Bürger mit der entsprechenden Sicht auf die Dinge, damit sie nicht nur die Kriegsfolgen an der Heimatfront hinnehmen, sondern gegebenenfalls auch auf wildfremde Bürger anderer Staaten schießen, wenn das Kommando von oben kommt.

Zuerst erschienen im overton-magazin.de/krass-konkret/

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Oben      —     Defense Delivery, Jan 23, 2022

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2.von Oben     —   Protest und Putin

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Unten       —     Russische Bombardierung von Mariupol

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Die Copy-Paste-Propaganda

Erstellt von DL-Redaktion am 5. Oktober 2022

Virale Nord-Stream-Thesen

Nord Stream gasbideak.jpg

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Die prorussische Propagandamaschine läuft nach den Pipelineexplosionen wieder auf Hochtouren. Seltsame Tweets, zehntausendfach geteilte Videos, Stimmen aus AfD und Die Linke, »Fox News« und Putins Kreml im Gleichklang.

Als am Montag bekannt wurde, dass in der Nacht ein Leck in der Gaspipeline Nord Stream 1 entstanden war, waren sich einige gleich sicher: Das war Sabotage. Manche wussten sogar: Das können nur die USA gewesen sein.

Seit Beginn dieser Woche hat sich, passend zu den beispiellosen Pipeline-Attacken, eine beispiellose Propagandakampagne abgespielt, primär in den sozialen Medien. Global, vielsprachig, ohne Atempause.

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Eine US – Flickschusterei

Erstellt von DL-Redaktion am 5. Oktober 2022

 Mit Demokratie und der internationalen Ordnung

Datei:Barack Obama, Donald Trump, Joe Biden at Inauguration 01-20-17 (cropped).jpg

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Es ist offensichtlich, dass das politische US-System lichterloh brennt. Gleichwohl wollen die USA andere Länder immer wieder zwingen, ihre demokratischen Standards zu übernehmen und Flickschustern an Bündnissen mit ideologischen Leitlinien, die krass jedem demokratischen Verständnis widersprechen.

Das wird durch die Lage im eigenen Land grotesk bestätigt. Dort bekämpfen sich erbittert ganz linke Progressive, linke Liberale, rechte Liberale und ganz rechte Nationalisten. Die Regierung ist bei essentiellen Entscheidungen in einer Dauer-Patt-Situation blockiert, wobei die Trump-Anhänger praktisch gegen alles sind, was andere denken und wollen, wie z.B. bei der Immigration, der Rolle von Kirchen und Firmen im öffentlichen Leben und dem Rassismus, Rüstung und Waffen.

Noch immer bestreiten Republikaner die Rechtmäßigkeit und das Ergebnis der Wahlen von 2020. Die Gewaltenteilung wird durch gezielte Richterbesetzungen zur Farce. Der einstweilige Gipfel dieser Flickschusterei ist die Mutation der Demokraten zur jetzt führenden Kriegstreiberpartei, und das nicht nur in der Ukraine und in Taiwan. Bei diesen Missständen und noch vielen mehr könnte man eher von einem Scheiterhaufen der Demokratie in der US-Politik reden. Weltweit respektier bare demokratische Werte sind dort nicht mehr zu erkennen. Auf jeden Fall ist die US-Politik kein Vorbild, schon gar nicht für eine internationale Ordnung

Kein Wunder also, dass sich weltweit Widerstand regt, insbesondere aus dem globalen Süden, Indien und China. Allen voran fordert China laut eine internationale Ordnung im Rahmen der UN und auf der Grundlage eines klar definierten und konsensualen internationalen Rechts, eben keine von einem Staat oder einer Handvoll davon einseitig diktierte Ordnung nach Belieben.

„Neue Länder, neue Vögel, neue Vögel, neue Lieder“, reimte schon Heinrich Heine, und „Andere Länder, andere Sitten“, ist uns wohlbekannt. 40 Jahre lang arbeiteten der Osten und der Westen trotz großer politischer Systemunterschiede friedvoll und mit Erfolg zusammen, bis dann die Corona-Pandemie die massiven Schwächen des ach so hochgelobten US-Kapitalismus offenlegte. Anstatt die eigenen Fehler nachzubessern, werden jetzt alle Probleme im Handel allein China angelastet. Das beweist, dass man China nie als Partner, sondern nur als billigen Lieferanten gesehen hat.

Ein großer Fehler, den einige Firmen vernünftigerweise nicht machen. Multinationale Beziehungen müssen zum Gelingen Frieden und Fortschritt im Auge haben, um gegenseitiges Vertrauen und Zusammenarbeit zu fördern. Aber nein, aus lauter Gier nach Geld hat man übersehen, dass der billige Lieferant sich in vielen Techniken zum Weltführer entwickelt hat. In unserer derzeit fatal zerstrittenen Welt ist es mehr als verwerflich, wenn der aktuelle US-Präsident seinen trickreichen Stellvertreterkrieg gegen Russland „bis zum letzten Ukrainer“ durchziehen will. Spätestens jetzt sollten seine Rockzipfelhalter im Westen und bei der NATO aufwachen und loslassen. Die seit dem Vietnamkrieg praktizierte US-Politik ist kein Vorbild für irgendeine Ordnung. Die US- Demokratie ist eine einzige Flickschusterei und keinerlei Vorbild für gar nichts, was international Gültigkeit haben könnte.

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Oben      —        Präsident Donald J. Trump schüttelt dem 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten, Barack H. Obama, während der 58. Amtseinführung des Präsidenten im US-Kapitol in Washington, D.C., am 20. Januar 2017 die Hand. Mehr als 5.000 Militärangehörige aus allen Zweigen der Streitkräfte der Vereinigten Staaten, einschließlich Reserve- und Nationalgardekomponenten, leisteten während der Eröffnungsphase zeremonielle Unterstützung und Verteidigungsunterstützung der Zivilbehörden. (DoD-Foto von U.S. Marine Corps Lance Cpl. Cristian L. Ricardo)

Datum
Quelle https://www.dvidshub.net/image/3110898/58th-presidential-inaugural-ceremony
Verfasser U.S. Marine Corps Lance Cpl. Cristian L. Ricardo
Berechtigung
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Der Ukraine-Krieg –

Erstellt von DL-Redaktion am 2. Oktober 2022

Propaganda und der geopolitische Abstieg des Westens

Quelle     :      Streifzüge ORG. / Wien 

Von  :   Andreas Urban

Einige Thesen aus wertkritischer Perspektive

Alle Kriege haben eine Vorgeschichte, und es gibt für sie stets sowohl Anlässe als auch Ursachen. Alle rekonstruierbaren Ursachen und historischen Voraussetzungen, die zum Krieg führen, können aber niemals eine Rechtfertigung für einen solchen sein. Für Krieg kann es niemals eine Rechtfertigung geben. Dies gilt auch und gerade für den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der seit Ende Februar 2022 die Welt erschüttert und selbst Fachleute und informierte Beobachter des Weltgeschehens, trotz der bekannten Vorgeschichte und der rezenten Eskalationen im Russland-Ukraine-Konflikt, einigermaßen überrascht haben dürfte.

Solche Selbstverständlichkeiten gilt es diesem Thesenpapier, gleichsam als Disclaimer, vorauszuschicken, zumal wir seit Beginn des Ukraine-Krieges in der Öffentlichkeit bemerkenswerte Parallelen zu den gesellschaftlichen Debatten während der Corona-Krise erleben, die den Diskurs in den letzten zwei Jahren weitgehend bestimmte: Mithilfe eines gewaltigen Propagandaapparates wird ein öffentlicher „Konsens“ produziert, der keinerlei Widerspruch oder auch nur Differenziertheit duldet. Wurde bereits im „Krieg gegen das Virus“ eine „Solidargemeinschaft“ geschaffen und beschworen, die mit heftiger Ranküne auf all jene reagierte, die es wagten, dumme Fragen zu stellen (über Lockdowns, Maskenpflichten, Impfungen etc.), so steht nun ebenfalls ein Heer von „Solidarischen“ Seite an Seite mit der ukrainischen Regierung und in Geschlossenheit gegen den russischen Aggressor. Es scheint fast so, als habe der während der Pandemie wiederentdeckte „Volkskörper“ nur darauf gewartet, sich endlich in einem „echten“ Krieg bewähren zu dürfen. Wer heute nicht in den sich allerorten (besonders krass aber in Deutschland) ausbreitenden Bellizismus einstimmt, wird schon fast als „Staatsfeind“ denunziert. Und jeder, der Fragen stellt, die z.B. die Rolle des Westens in der Eskalation des Konflikts betreffen, wird umstandslos als „Putinversteher“[1] diffamiert.

Die Mechanismen sind also sehr ähnlich jenen während der Corona-Krise, als sich Kritiker/innen, sobald sie die Regierungslinie und den medialen „Konsens“ kritisch hinterfragten, ebenfalls sehr rasch in der Tonne der „Coronaleugner“ und der „Verschwörungstheoretiker“, wenn nicht sogar der „Nazis“ und „Antisemiten“ wiederfanden. Entsprechende – in aller Regel nicht einmal mit irgendwelchen sinnvollen Argumenten bewehrte – Diffamierungen konnte man bis hinein in die Linke und selbst innerhalb wert(abspaltungs)kritischer Kreise
erleben.[2]

Die Kriegspropaganda ist dabei seit mindestens 1914 dieselbe, und ihre typische Form und ihr Inhalt machen die medialen und politischen Debatten daher so leicht als das identifizierbar, was sie sind – eben Propaganda: Der Krieg wird zu einer Konfrontation zwischen Gut und Böse. Die feindliche Seite ist von Grund auf gemein, unmenschlich und kriegslüstern, die eigene Seite dagegen human und friedliebend; der Feind ist grausam, begeht Kriegsverbrechen oder benutzt Massenvernichtungswaffen, die eigene Seite tötet Zivilisten – wenn überhaupt – nur aus Versehen. Und selbstverständlich kämpft die eigene Seite für höhere Werte wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, der Feind hingegen ist autokratisch, trägt gleichermaßen unmenschliche wie untermenschliche Züge, ist ein Diktator und Despot, wenn nicht überhaupt ein neuer Hitler.[3]

Natürlich kommt die Propaganda, wie in jedem Krieg, von beiden Seiten, aber sie kommt eben auch (und nicht zuletzt) von westlicher Seite. Das macht es auch so schwierig, an brauchbare Informationen zu gelangen, weil weder der einen, noch der anderen Seite zu trauen ist. Zumindest so viel Konsens sollte sich in einem gesellschaftskritischen Kontext herstellen lassen, dass man nicht so ohne Weiteres Partei ergreifen kann und eine hinreichend kritische Distanz zur medialen Berichterstattung und zu Regierungsverlautbarungen, von russischer wie von ukrainischer bzw. westlicher Seite, bewahren sollte. Wer dies wollte, konnte in der westlichen Kriegsberichterstattung – in der übrigens von Journalisten, wie schon bei Corona, offenbar nichts, aber auch wirklich gar nichts auf Plausibilität, geschweige denn Richtigkeit überprüft wird – bereits in den ersten Kriegswochen Dinge sehen, die schlicht haarsträubend zu nennen sind. Das vielleicht Absurdeste, das in manchen westlichen Medien an erbärmlichem Journalismus besichtigt werden konnte, war ein Ausschnitt aus einem Star-Wars-Film in einem angeblichen Bericht vom ukrainischen Kriegsschauplatz. Ein beeindruckendes Beispiel von schamloser Desinformation war hingegen eine ukrainische Berichterstattung vom russischen Angriff auf Mariupol. Das Bildmaterial stammte tatsächlich von einem wenige Tage zuvor stattgefundenen ukrainischen(!) Angriff auf Donezk, bei dem 21 Zivilisten durch eine Streubombe getötet wurden (eine Kriegshandlung, von der im Westen übrigens nirgendwo berichtet wurde – wie man auch sonst nichts über die Situation in den seit Jahren unter ukrainischem Beschuss stehenden Gebieten im Donbass erfährt). Angesichts solcher journalistischen Fehlleistungen und unverhohlenen Desinformation und Propaganda kann man sich bei den von westlicher Seite immer wieder – sicher oftmals nicht zu Unrecht erhobenen – Vorwürfen russischer Desinformation und Fake News schwer des Eindrucks erwehren, Zeuge lehrbuchreifer Projektionen zu werden.[4]

Im Gegensatz zu dem, was der westliche „Konsens“ als einzig adäquate Positionierung im Ukraine-Krieg dekretiert, ist aus einer historisch informierten, gesellschaftskritischen Perspektive darauf zu bestehen, dass der aktuelle Krieg wie schon der gesamte Russland-Ukraine-Konflikt – der ja inzwischen auch schon eine etwas längere Vorgeschichte hat und nicht plötzlich von heute auf morgen eskaliert ist – nicht verstanden werden kann, ohne dabei (auch) die Rolle des Westens im Allgemeinen und der NATO im Besonderen mit ins Kalkül zu ziehen. Dazu gehört nicht zuletzt die seit mehr als 20 Jahren betriebene NATO-Osterweiterung. Dies pauschal als einen plumpen oder gar „verschwörungstheoretischen“ Anti-Amerikanismus abzutun, wie dies zum Teil sogar in manchen wertkritischen Debatten anklingt, ist hoch problematisch – wiewohl es natürlich solche verkürzten, anti-amerikanistischen Ausprägungen durchaus gibt, die auch entsprechend zu kritisieren sind. Aber wenn es für Wertkritiker/innen per se unzulässig wäre, die Rolle und die „Machenschaften“ des Westens und insbesondere der USA zu thematisieren und zu kritisieren, dann wären so wichtige Bücher wie etwa Roberts Kurz‘ „Weltordnungskrieg“[5] wohl niemals geschrieben worden. Hier scheint also eine ähnliche Dynamik zu wirken und eine ähnlich willkürliche Beschneidung des kritischen Denkens stattzufinden wie bei Corona: Wenn es gegen das böse Virus oder den bösen Russen geht, ist der Westen bzw. sind westliche Regierungen offenbar von der Kritik auszunehmen. Hier kann man auch nicht umhin, festzustellen, dass derzeit gerade in Ländern wie Deutschland offenbar wieder ein historisch tief eingewachsener Russenhass aktualisiert wird, was vielleicht auch einiges am Verlauf und der Qualität der Diskussion hierzulande erklären mag (Deutschland hat nun einmal so einiges, das es den Russen nicht verzeihen kann oder will, insbesondere 1941).

Der offene Rassismus, der plötzlich wieder fröhliche Urständ feiert[6], indem „dem Russen“ alle möglichen negativen Eigenschaften zugeschrieben und regelrechte Hetzkampagnen gegen alles „Russische“ geführt werden (bis dahin, dass Kulturhäuser Musik- und Theaterstücke von russischen Komponisten und Autoren aus dem Programm nehmen[7]), tobt sich im Übrigen nicht nur an Russland, sondern nicht zuletzt auch an den Objekten der westlichen „Solidarität“ selbst aus. Was dem westlichen und hier vor allem dem europäischen Bürger am gegenwärtigen Krieg so besonders zuwider zu sein scheint, ist offenbar, dass es diesmal nicht – wie z.B. seinerzeit in Afghanistan und dem Irak oder bis heute in Syrien oder dem Jemen – zivilisatorisch „rückständige“ Länder trifft, sondern ein an „westlichen Werten“ und „Demokratie“ orientiertes Land (beinahe) im Herzen Europas.[8] Und während in den anderen Kriegen primär Menschen muslimischer Herkunft betroffen waren und – so sie nicht getötet wurden[9] – sich in großer Zahl auf die Flucht in den Westen aufmachten, sind es heute blonde und blauäugige Frauen und Kinder, die es zu retten gilt und im Vergleich zu Menschen aus afghanischen, irakischen oder syrischen Kriegs- und Zusammenbruchsgebieten mit geradezu offenen Armen aufgenommen werden.[10] Mit anderen Worten: Die Ukraine wird bereits zum Westen gerechnet, und es trifft diesmal praktisch uns selber und nicht mehr „die Anderen“.

Mit alldem ist, wie gesagt, noch nichts über eine unbedingt notwendige Kritik am Vorgehen der russischen Regierung und ihrer Armee ausgesagt. Aber genauso wenig ist einzusehen, weshalb der Westen von der Kritik auszunehmen sein und eine kritische Perspektive auf den aktuellen Krieg ähnlich einseitig ausfallen soll wie die kaum erträgliche mediale Berichterstattung und Propaganda auf praktisch allen westlichen Kanälen.

Finale Krise und geopolitischer Abstieg des Westens

Aus einer wert(abspaltungs)kritischen Perspektive ist der Ukraine-Krieg freilich in den Kontext der finalen Krise zu stellen und in diesem Lichte zu betrachten.[11] Ein wesentlicher Aspekt in diesem Zusammenhang, den z.B. Gerd Bedszent in seinem Text über den Ukraine-Krieg[12] zumindest grob entfaltet hat, sind die Krisen- und Zerfallsprozesse in der kapitalistischen Peripherie und Semiperipherie, die sich in Russland und der Ukraine insbesondere in jenem berühmt-berüchtigten Oligarchen TUM manifestieren, welches aus dem Zerfall der Sowjetunion und ihrer anschließenden neoliberalen Ausschlachtung in den 1990er Jahren hervorgegangenen ist.[13] Speziell in der Ukraine ist es nicht zuletzt deren Status als „gescheiterter Staat“[14], der nun durch den Krieg wohl endgültig besiegelt wird (dies wird auch davon abhängen, wie lange der Krieg in die Länge gezogen wird und wie viel von der Ukraine dann, z.B. an Infrastruktur, noch übrig ist).[15]

Aber auch hier, unter dem Gesichtspunkt der finalen Krise, kommt eine kritische Analyse wohl nicht ohne Berücksichtigung des Westens aus. Man kann sich schwer des Eindrucks erwehren, dass wir gegenwärtig nicht zuletzt Zeugen eines rasant beschleunigten geopolitischen und ökonomischen Abstiegs des Westens und insbesondere der USA werden. Gerade die USA pfeifen inzwischen auf verschiedenen Ebenen aus dem letzten Loch – schon alleine was den mittlerweile erreichten Grad an Deindustrialisierung und die damit einhergehende Pauperisieren der Bevölkerung angeht.[16] Selbst die militärische Überlegenheit, aus der sich in den letzten Jahrzehnten der Status der USA als „Weltpolizei“ ableitete, scheint sich inzwischen nicht einmal mehr als Imago aufrechterhalten zu lassen.[17] Und mit das Gefährlichste an der gegenwärtigen Situation scheint zu sein, dass der Westen dies nicht wahrhaben will und mittlerweile offenbar seine eigene Propaganda glaubt. Anders ist z.B. die geradezu euphorische (und in vielerlei Hinsicht auch heuchlerische[18]) Sanktionswut hierzulande kaum zu erklären. Denn diese wird ökonomisch zwar weniger der US-Wirtschaft, dafür ganz besonders der europäischen Wirtschaft schaden – etwa wenn tatsächlich ein Erdöl- und Gas-Embargo gegen Russland verhängt werden sollte.

In diesem Punkt sind vielleicht auch manche Bedenken gegenüber Anselm Jappes an sich durchaus diskussionswürdiger Überlegung anzumelden, den Ausstieg aus russischem Öl und Gas sozusagen als Chance für den Ausstieg aus dem ökologisch verheerenden fossilen Kapitalismus überhaupt zu nutzen.[19] Wesentlich wahrscheinlicher dürfte nämlich sein, dass der Ausstieg aus russischem Öl und Gas insbesondere durch US-amerikanisches und ökologisch noch schädlicheres Fracking-Öl und -Gas kompensiert wird. Und das, was sich nicht kompensieren lässt (schon allein deshalb, weil das US-Angebot begrenzt und sehr kostspielig ist), werden dann vor allem diejenigen auszubaden haben, die schon heute kaum über die Runden kommen – durch Energieengpässe und/oder explodierte Strom-, Gas- und Benzinpreise, Massenarbeitslosigkeit infolge der wirtschaftlichen „Kollateralschäden“ der Sanktionspolitik etc. Der durch die Sanktionen zwangsläufig weiter forcierte Ausstieg aus der Energieerzeugung mittels Öl und Gas lässt darüber hinaus eine Renaissance der Atomenergie erwarten – dies wäre dann der Gipfel des Irrsinns. Wahrscheinlich ist in diesem Zusammenhang auch eine weltweite Aushöhlung der Umweltgesetzgebung (die Antarktis als Rohstoffquelle und Mülldeponie etc.). Ob also der Russland-Ukraine-Krieg eine gute Gelegenheit ist, um quasi über den Umweg von Sanktionen gegen Russland den praktischen Ausstieg aus der derzeitigen Energiewirtschaft anzubahnen, erscheint fraglich, solange nicht gleichzeitig an der kapitalistischen Produktionsweise gerüttelt wird. Zumindest müsste dieses Vorhaben gleichzeitig – schon allein unter ökologischen Gesichtspunkten – mit einem Boykott der US-amerikanischen Fracking-Industrie sowie der Atomenergie verbunden sein.

Auch die ständig weiter befeuerte westliche Eskalationspolitik kann vermutlich nur durch den (nach zwei Jahren Corona-Politik hinlänglich bekannten[20]) Realitätsverlust und die galoppierende Irrationalität nicht nur in der westlichen Bevölkerung, sondern auch und gerade unter den westlichen Funktionseliten erklärt werden.[21] Da scheint niemand mehr ernsthaft zu begreifen (oder begreifen zu wollen), was eine weitere Eskalation, z.B. eine Intervention der NATO, bedeuten würde – nämlich den dritten Weltkrieg.

Geopolitisch ist der russische Angriffskrieg vermutlich als Signal der endgültigen Abkehr Russlands vom Westen und der Fokussierung auf die „eurasischen“ Beziehungen, insbesondere mit China und Indien, zu deuten. Hier scheint derzeit einiges im Gang zu sein im Hinblick auf die Etablierung eines eurasischen Wirtschaftsraums. Auch das gehört faktisch zur geopolitischen und -ökonomischen Krise des Westens, die hierzulande konsequent verdrängt wird. Zu nennen sind hier beispielsweise die allem Anschein nach schon sehr weit gediehenen Bemühungen von China und Co., aus der Weltwährung Dollar auszusteigen („de-dollarization“). Kürzlich hat sogar Saudi-Arabien angekündigt, in Hinkunft einen Teil seiner Öllieferungen an China nicht mehr in Dollar, sondern in Yuan abzurechnen.[22] Es scheint bereits intensiv an einem alternativen Zahlungssystem, analog zum westlichen SWIFT-System, gearbeitet zu werden. Der erfolgte weitgehende Ausschluss Russlands aus SWIFT im Rahmen der westlichen Sanktionen dürfte, wenn diese Bemühungen Erfolg haben sollten, Russland nicht nur deutlich weniger schaden, als man sich im Westen erhofft (was abermals ein Beleg für den Realitätsverlust hierzulande wäre), sondern Russland erst recht dazu veranlassen, seine Kooperation mit China weiter zu forcieren – auch das wieder vor allem zum Schaden des Westens und nicht zuletzt Europas.

Im Zusammenhang mit der „De-Dollarisierung“ ist übrigens auch daran zu erinnern, dass zahlreiche der in den letzten Jahrzehnten vom Westen geführten „Weltordnungskriege“ nicht zuletzt (auch) der Stützung des Dollars als Weltleitwährung dienten.[23] Diese konnte der inzwischen offenbar nur noch in seiner Eigenwahrnehmung als solcher existierende Hegemon USA schon damals kaum noch wirtschaftlich, sondern nur noch dank seiner militärischen Überlegenheit gewährleisten. Dass nun selbst bis aufs Blut verfeindete Staaten wie Indien und Pakistan oder Iran und Israel quasi geschlossen der westlichen Sanktionspolitik gegen Russland die Zustimmung verweigern, verdeutlicht ebenfalls die schrumpfende Bedeutung der USA als geopolitische Macht.

Implikationen für die Krisentheorie?

Ob und was aus diesen geopolitischen Verschiebungen resultiert und welche Implikationen das vor allem für die Krisentheorie hat, wird sich zeigen. Vielleicht werden wir (übrigens nicht zum ersten Mal) die Erfahrung machen, dass die weitere Verlaufsform der finalen Krise noch einige Überraschungen bereithält, mit denen wir so nicht gerechnet hätten. Möglich wäre eine (zumindest zeitweilige) geopolitische Machtverschiebung in den eurasischen Raum (vorausgesetzt, die gegenwärtige Eskalationspolitik mündet nicht in absehbarer Zeit in einen Atomkrieg).

Ein für die weitere Entwicklung in den kommenden Monaten und Jahren relevanter Faktor, der wertkritische Aufmerksamkeit verdient, wäre der Fakt, dass der Westen, insbesondere die USA, in den vergangenen Jahrzehnten kräftig die eigene Deindustrialisierung vorangetrieben hat, indem Produktionskapazitäten ins Ausland, insbesondere China, verlagert wurden. Robert Kurz hat diese Prozesse vor allem im „Weltkapital“ beschrieben und sowohl als Symptom als auch als wesentliche Triebkraft der finalen Krise theoretisiert.[24] Dieser Krisenprozess nimmt aber nicht überall auf der Welt dieselbe Gestalt an und betrifft nicht alle Länder gleichermaßen bzw. ist jeweils unterschiedlich ausgeprägt. Russland z.B., selbst wenn es wirklich die von US-Politikern gerne beschworene „als Staat verkleidete Tankstelle“ wäre, kann sich im Unterschied zu den USA und ganz besonders Europa (derzeit) im Wesentlichen selbst versorgen. Ähnliches gilt für China: Zwar ist die ostasiatische Wirtschaftsmacht, anders als etwa Russland, selbst abhängig von großen Energieimporten. Im Westen läuft allerdings ohne chinesische Produkte und Komponenten so gut wie gar nichts mehr. Würde sich China dazu entschließen, den Westen nicht mehr mit chinesischer Ware zu beliefern, wäre daher nicht nur der Warenkorb des westlichen Otto Normalverbrauchers ziemlich leer, sondern wären auch die westlichen Industrien weitgehend lahmgelegt. Mit anderen Worten: Auf stofflicher Ebene, vor allem im Hinblick auf das Produktionsaggregat und die Verfügung über Rohstoffe, stehen Länder wie Russland und China heute in gewisser Hinsicht wesentlich besser da als die USA oder Europa. Im Westen hat man in manchen Bereichen inzwischen teilweise nicht einmal mehr das nötige Know-how, um bestimmte Dinge und Technologien selbst so herzustellen, dass sie, erstens, funktionieren, und, zweitens, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig wären.[25]

Dass sowohl China als auch Russland für die bevorstehenden Krisenschübe besser gewappnet zu sein scheinen, hat freilich auch historische Ursachen. Russland ist nach den marktradikalen Exzessen der Jelzin-Ära knapp an einem Staatszusammenbruch vorbeigeschrammt; das jetzige repressive Putin-Regime ist letztlich das Produkt einer gewaltsamen Systemstabilisierung.

Und der wirtschaftliche Koloss China hat vergleichsweise spät begonnen, die etatistischen Strukturen seiner Aufbauphase abzuschütteln und baut diese derzeit tendenziell sogar wieder aus. Im Sommer 2021 ging z.B. durch die Medien, dass China die im Lande ansässigen Tech-Unternehmen an die Kandare genommen und deren Kontrolle stark verschärft hat. Es ging dabei vor allem um Big Data und Fragen der Datensicherheit. Wie es scheint, möchte die KPC die Daten über ihre riesige Bevölkerung nicht aus der Hand geben und vor allem ihren chinesischen Kapitalismus nicht den Internet- und Tech-Oligarchen ausliefern (hier dienen wohl nicht zuletzt wieder die USA als warnendes Beispiel). Überhaupt versucht die KPC die in den letzten Jahren selbst entfesselte Marktanarchie wieder in die Hand zu bekommen und installiert (angeblich) in allen größeren privaten Unternehmen Parteizellen.[26]

Natürlich können solche gewaltsam erzwungenen Rückgriffe auf repressive Früh- und Durchsetzungsphasen des Kapitalismus die Krise von Warenproduktion und abstrakter Arbeit nur vorübergehend ausbremsen, aber keineswegs aufhalten. Gleichwohl erscheint es vor diesem Hintergrund alles andere als sicher – wovon innerhalb der Wert(abspaltungs)kritik bisher mehr oder weniger explizit ausgegangen wurde –, dass die finale Krise des Kapitals sich allmählich von der Peripherie bis in die westlichen Zentren voranfrisst, bis (bildlich gesprochen) die letzte Wohlstandsinsel in der Flut der Entwertung absäuft. Es erscheint immerhin möglich, dass im weiteren Krisenverlauf jene Staaten Vorteile haben, die noch die Produktionskapazitäten, die Rohstoffe und die entsprechenden Fertigkeiten besitzen, um „stofflichen Reichtum“ noch hinreichend selbst erzeugen zu können. Und dazu gehören die USA und Europa heute sicher nicht mehr. Zumindest für begrenzte Zeit könnten Staaten wie China auf den Modus „Modernisierungsdiktatur“ schalten und hätten darüber hinaus im nicht unwahrscheinlichen (konventionellen) Kriegsfall wohl massive Vorteile.

Gerade mit Blick auf die Weiterentwicklung der Krisentheorie wird sich die Wert(abspaltungs)kritik die nötige Offenheit bewahren müssen, um die Theorie ständig an der empirischen Krisenrealität zu überprüfen und ggf. zu modifizieren. Und diese Krisenrealität – u.a. das zeigt der gegenwärtige Ukraine-Krieg – ist heute zunehmend geprägt durch weitreichende geopolitische Verschiebungen und insbesondere einen sich beschleunigenden, auch intellektuellen und militärischen Abstieg des Westens.

Endnoten

[1] Übrigens ein ähnlich fragwürdiges und vielsagendes Label wie das des „Coronaleugners”. Verstehen als kognitiver Akt wird da zur Sünde erklärt, wo doch ein wenig „Putinverständnis”, gerade im Kriegsmodus und schon aus eigenem Interesse, angebracht wäre. Die Chance, „richtige” Entscheidungen zu treffen, ist nun einmal erheblich größer, wenn man seinen Feind versteht. Nicht zuletzt Journalisten täte ein wenig „Putinverständnis” gut, um nicht beständig über Putin „rätseln” zu müssen (siehe exemplarisch: „Das Rätsel Putin – Was Merkel nicht schaffte, muss Baerbock jetzt lösen”, welt.de [23.2.2022]).

[2] Dort gipfeln die Diffamierungen inzwischen darin, Personen, die sich aus welchen Gründen auch immer gegen eine CoV-Impfung entschieden haben, quasi pauschal in den Rang einer von einem krisenbedingten Todestrieb geleiteten Selbstmordsekte zu erheben (vgl. Tomasz Konicz: Von Crashpropheten, Preppern und Krisenprofiteuren – Rechte Ideologie in der Krise, in: exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft 19, 2022, S. 79).

[3] Ausführlich siehe Anne Morelli: Die Prinzipien der Kriegspropaganda, Springe 2004.

[4] Überhaupt ist die westliche Russland-Ukraine-Debatte voll von Projektionen – so etwa die beinahe gebetsmühlenartig vorgebrachten Behauptungen eines russischen Expansionsdrangs und einer angeblichen Rückkehr des „Sowjetimperialismus“. Manche scheinen sogar ernsthaft zu glauben, Putin hätte vor, nach der Ukraine auch in mittel- und westeuropäischen Staaten einzufallen. Hält man sich an die historische Faktenlage, war es in den vergangenen 30 Jahren vor allem der Westen, der auf Expansionskurs nach Osteuropa war. Zuerst waren es Großunternehmen, die ab 1990, nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus, massiv in Richtung Osten expandierten. Darauf folgten später EU und NATO, um das wirtschaftlich eroberte Terrain zu sichern.

[5] Robert Kurz: Weltordnungskrieg. Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung, Bad Honnef 2003.

[6] Siehe hierzu pars pro toto die Auslassungen der Politikwissenschaftlerin und Vizedirektorin des Instituts der Europäischen Union für Sicherheitsstudien in Paris, Florence Gaub, bei Markus Lanz am 12. April 2022: „Wir dürfen nicht vergessen, auch wenn Russen europäisch aussehen, dass es keine Europäer sind – jetzt im kulturellen Sinne – die einen anderen Bezug zu Gewalt haben, die einen anderen Bezug zu Tod haben.“ (nachdenkseiten.de, 14.4.2022)

[7] Das Wiener Konzerthaus hat sogar ein Benefizkonzert für Kriegsbetroffene und Flüchtlinge aus der Ukraine abgesagt, nachdem der ukrainische Botschafter moniert hatte, dass in dem Orchester auch russische Künstlerinnen und Künstler mitwirken (konzerthaus.at).

[8] Was übrigens gleich doppelt falsch ist – sowohl geographisch als auch im Hinblick auf den „demokratischen“ Status der Ukraine.

[9] Im Irakkrieg ab 2003 übrigens, je nach Quelle, zwischen einer halben und einer Million Menschen.

[10] Moustafa Bayoumi: „They are ‚civilised‘ and ‚look like us‘: the racist coverage of the Ukraine“, theguardian.com, 2.3.2022

[11] Herbert Böttcher: Ukraine: Ein Krieg um die zerfallende Weltordnungexit-online.org, 2022

[12] Gerd Bedszent: Krise und Krieg der OligarchenwertKRITIK.org, 2022

[13] Gerd Bedszent: Oligarchen und andere Widrigkeiten, in: ders.: Wirtschaftsverbrechen und andere Kleinigkeiten, Frankfurt am Main 2017, S. 126-135.

[14] Gerd Bedszent: Zusammenbruch der Peripherie. Gescheiterte Staaten als Tummelplatz von Drogenbaronen, Warlords und Weltordnungskriegern, Berlin 2014, 126-162

Gerd Bedszent: Die Ukraine – Dualität von Nationalismus und Staatszerfall, in: exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft 12, S. 176-184, 2014, online auch auf wertKRITIK.org

[15] Dies gilt zumindest für jene Landesteile, die nicht Russland einverleibt werden. Nicht wenig des ukrainischen Niedergangs zumindest seit 2014 war der horrenden Aufrüstungsfinanzierung, der überbordenden Korruption und, nicht zuletzt, der Reduktion der wirtschaftlichen Verbindungen zu Russland geschuldet. Es ist zu erwarten, dass für die 30 bis 40 Prozent des Landes, die im Zuge des Kriegs an Russland fallen könnten, diese Faktoren großteils wegfallen. Dies hängt freilich auch davon ab, wie das derzeit zu beobachtende russisch-chinesische „Unabhängigkeitsexperiment” vom Westen (siehe unten) ausgehen wird.

[16] Peter Temin: The vanishing middle class. Prejudice and power in a dual economy, Cambridge 2017

[17] Vgl. Andrei Martyanov: Losing Military Supremacy: The Myopia of American Strategic Planning, Atlanta 2018

[18] Heuchlerisch vor allem mit Blick auf die Sanktionsforderungen, die anlässlich anderer de facto völkerrechtwidriger Kriege in den vergangenen Jahrzehnten, auch und gerade solchen unter Federführung der NATO bzw. der USA, erhoben bzw. nicht erhoben wurden (NATO-Angriff auf Jugoslawien 1999, Irakkrieg 2003, Libyen 2011 etc.).

[19] Anselm Jappe: Schluss mit Putins Gas?wertKRITIK.org, 2022

[20] Andreas Urban & F. Alexander von Uhnrast: Corona als Krisensymptom? Thesen zu Ursachen und historischen Bedingungen eines globalen NervenzusammenbruchswertKRITIK.org, 2022

[21] Womit nicht in Frage gestellt wird, dass es auch im aktuellen Krieg Akteure gibt, die durchaus binnenrational handeln und eine bestimmte Agenda verfolgen. Wer allerdings Politiker/innen wie Baerbock oder Scholz lauscht, kann schon sehr leicht an deren Geisteszustand zweifeln. Angesichts der sich hierzulande in einen immer größeren Kriegsrausch steigernden Reaktionen in Politik und Medien (vgl. Tobias Riegel: Ukrainekrieg: Deutsche Medienlandschaft endgültig im Rauschnachdenkseiten.de, 2022) erscheinen die seit Kriegsbeginn verbreiteten küchenpsychologischen Spekulationen über Putins geistige Gesundheit ebenfalls eher wie Projektionen der eigenen Irrationalität (ohne an dieser Stelle Putins Charakter und Geisteszustand beurteilen zu wollen). Darüber hinaus nimmt die Binnenrationalität unter den Bedingungen der finalen Krise selbst immer irrationalere Formen an, scheint also die Dialektik der modernen „irrationalen Rationalität“ (Horkheimer/Adorno) sich zusehends in Richtung der Irrationalität aufzulösen. Es wäre auch historisch nicht das erste Mal, dass die kapitalistische Binnenrationalität geradewegs in eine zivilisatorische Katastrophe führt.

[22] „Annäherung an China: Saudiarabien will weg vom Dollar”, diepresse.com (17.3.2022)

[23] Drei Jahre vor dem Irakkrieg hat Saddam Hussein verlautbart, in Hinkunft die irakischen Ölexporte nicht mehr in Dollar abwickeln zu wollen. Auch dem „internationalen Militäreinsatz“ in Libyen im Jahr 2011 gingen u.a. Pläne von Muammar al-Gaddafi voraus, eine goldgedeckte Währung einzuführen, die in direkter Konkurrenz zum westlichen Zentralbank-Monopol gestanden hätte.

[24] Robert Kurz: Das Weltkapital. Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden Systems, Berlin 2005.

[25] Dies betrifft den militärischen Bereich ebenso wie zahlreiche andere Bereiche, z.B. die Autoindustrie oder die zivile Luftfahrt. Symptomatisch für Letzteres war beispielsweise das Boeing 737 MAX-Desaster. Interessantes Material und eindrucksvolle Belege für den ökonomischen, technologischen und nicht zuletzt intellektuellen Verfall vor allem der USA liefert – trotz unbestreitbarer konservativer Bornierungen und anachronistischer Nationalstaatsillusionen des Autors – Andrei Martyanovs Buch Disintegration. Indicators of the Coming American Collapse, Atlanta 2021.

[26] Jérôme Doyon: Kapital und Disziplin. Wie sich die KPCh unter Xi die Kontrolle über die Privatwirtschaft sichert, in: Le Monde diplomatique, Juli 2021, S. 13.

Original auf: www.wertkritik.org

Copyleft

„Jede Wiedergabe, Vervielfältigung und Verbreitung unserer Publikationen ist im Sinne der Bereicherung des allgemeinen geistigen Lebens erwünscht. Es gibt kein geistiges Eigentum. Es sei denn, als Diebstahl. Der Geist weht, wo er will. Jede Geschäftemacherei ist dabei auszuschließen. Wir danken den Toten und den Lebendigen für ihre Zuarbeit und arbeiten unsererseits nach Kräften zu.“ (aramis)

siehe auch wikipedia s.v. „copyleft“

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Grafikquellen          :

Oben     —    Unterstützungskundgebung für den Euromaidan und gegen die Besetzung der Krim durch die russische Armee in Prag, Kundgebung fand vor dem russischen Ambasy statt, Tschechische Republik, 2. März 2014

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Zur Not auch ein Atomkrieg?

Erstellt von DL-Redaktion am 1. Oktober 2022

Was für „unsere Werte“ alles sein muss

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Ein Kommentar von Renate Dillmann

Nach etwas mehr als sechs Monaten Ukraine-Krieg haben sich alle an die Fakten und die dazu gehörenden „Narrative“ gewöhnt – was sie nicht richtiger macht.

Es gibt einen weiteren Krieg. Der ist unerträglich, im Gegensatz zu sonstigen Kriegen. Während normalerweise die USA, „wir“ oder unsere guten Verbündeten die Welt befrieden und ordnen – in Ex-Jugoslawien, im Irak, in Afghanistan, Libyen, Syrien, Gaza, Jemen oder sonstwo – wird dieser Krieg nämlich von Russland geführt. Deshalb ist er „brutal“, ein „Angriffskrieg“ und „völkerrechtswidrig“.

Dieser Krieg und das ganze Leid der ukrainischen Bevölkerung muss aufhören. Putin hat nämlich kein Recht, ihn zu führen. Der Krieg dient auch keinen Interessen, die „wir“ irgendwie nachvollziehen könnten, sondern ist einfach eine Ausgeburt des Bösen oder eines irren Machtwillens. Dass unsere Nato sich nach Osten erweitert hat, sind fake news. Russland ist da etwas überempfindlich nach zwei Weltkriegen, aber das muss man nicht so ernst nehmen. Dass es einen westlichen Aufmarsch mit entsprechenden Militärmanövern von Litauen bis Rumänien gibt, entspricht dagegen dem Sicherheitsbedürfnis dieser Länder, das wir sehr ernst nehmen.

Aufhören muss der Krieg allerdings zu unseren Bedingungen und die heißen „freie Ukraine“. Die Volksrepubliken, die Putin „befreien“ will (dieser Mann nimmt sich wirklich was raus! klaut sogar unsere Propaganda!) gehören nunmal zu einer freien Ukraine – egal, wie die Menschen das in Luhansk und Donetzk sehen nach dem von den USA finanzierten und orchestrierten Putsch gegen die gewählte Regierung. Und nach 8 Jahren Krieg ihrer Kiewer Zentrale mit 15.000 Toten. Einem Kompromiss in diesen Fragen kann der wertebasierte Westen wegen seiner Werte nicht zustimmen – da muss die Bevölkerung dort und im Rest der Ukraine schon weiter leiden. Die Krim muss übrigens auch zurückerobert werden. Ein separatistisches Referendum widerspricht nämlich dem Völkerrecht. Außer im Kosovo, im Südsudan und demnächst in Taiwan.

Frieden schaffen in der Ukraine heißt für „uns“ und unsere Werte deshalb: Lieferung von Waffen. Waffen, schwere Waffen, noch mehr schwere Waffen. Wieviel Milliarden inzwischen? Wer kann da noch mitzählen? Wer daran erinnert, dass damit der Krieg verlängert, die Zahl der Toten erhöht, die Ukraine mehr und mehr zerstört wird, verhält sich unsolidarisch mit den Helden, die für „unsere“ „Freiheit“ kämpfen. In der freien Ukraine kommt man für diese Äußerung sofort in den Knast; im freien Deutschland vorläufig nur auf die Liste der Vaterlandsverräter und Putinversteher.

Datei:Moscow 2012 Victory Day Parade Rehearsal, Topol-M ICBM launcher, Russia.jpg

Wenn Putin „uns“ jetzt daran erinnert, dass die fortlaufenden Waffenlieferungen und die westliche Hochrüstung der Ukraine zur drittstärksten Armee in Europa ein Angriff des Westens auf die russische Souveränität sind und er bereits zu Beginn des Kriegs darauf aufmerksam gemacht hat, dass sein Land über Atomwaffen verfügt, heißt das nur eins: dass Russland auf dem letzten Loch pfeift. Unsere Annalena bleibt standhaft: Die russische Atombombe ist ein Papiertiger. Kein Grund, eingeschüchtert zu sein. Kein Grund, über Kompromisse oder Verhandlungen nachzudenken. Das Volk mal fragen, wie es über Inflation und Bedrohungslage denkt? Auf keinen Fall – das wäre extrem populistisch, sprich undemokratisch. Schließlich hat es gewählt und die Regierung muss jetzt tun, was sie tun muss, egal was ihre Wähler denken.

„Wir“ (hier: die gewählte Regierung) halten also an „unserem“ Wirtschaftskrieg, den man im freien Deutschland nicht so nennen darf, und „unseren“ Waffenlieferungen fest – komme was wolle, „wir“ (hier: das Volk) haben schließlich schon Schlimmeres durchgestanden. Und unsere besten Freunde, die USA, können sich eine Drohung mit Atomwaffen durch Russland nicht bieten lassen – das würde ihre finale Oberhoheit über die Welt einschränken. Also ja: zur Not auch ein Atomkrieg!

PS: Wenn der Wirtschaftskrieg dazu führt, dass die Nahrungsmittel-Produktion auf der Welt nach unten kracht, weil Russland und Belarus bisher 20 Prozent der Düngemittel hergestellt haben, ist das bedauerlich, aber leider nötig. Auch wenn die UN dagegen ist. Die Hungerleider der Dritten Welt, die people of colour, denen wir unseren ganzen Respekt entgegen bringen, werden sich „trotz“ all unserer Entwicklungshilfe die Nahrungsmittel auf unserem schönen, regelbasierten Weltmarkt nicht mehr kaufen können – dumm gelaufen. Aber schuld daran an der laufenden wie der kommenden Hungerkatastrophe ist ja sowieso „der Russe“, „wir“ sollten uns von Horrornachrichten an dieser Front nicht beirren lassen.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Oben      —     Berlin-Mitte, Rathausstraße / Nikolaiviertel mit Friedenstaube nach Picasso

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von DL-Redaktion am 30. September 2022

„Krieg und Frieden“
Briefe , die sich in meinem Inneren stapeln

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Aus Kyjw ANASTASIIA OPRYSHCHENKO

Seit Beginn des russischen Großangriffs habe ich Tag für Tag Zeugenaussagen von Ukrainern gesammelt, deren Angehörige in Gefangenschaft geraten sind, vermisst werden, aus der Gefangenschaft zurückgekehrt sind. Ich trage sie zusammen und gebe sie an Menschenrechtsaktivisten und -organisationen weiter.

Nach vier Interviews bin ich normalerweise wie betäubt. Aber für Pausen ist keine Zeit. Die Anzahl der Menschen, mit denen wir sprechen müssen, liegt schon bei über 500.

„Ich flehe Sie an, mir zu helfen, meinen Mann zurückzuholen. Zwei kleine Kinder warten auf ihn und vermissen ihn sehr.“

„Mein Bruder und seine Tochter werden vermisst: acht Jahre alt, Autismus. Das Mädchen spricht nicht.“

„Im März meldete sich mein Sohn nicht mehr. Wir haben ein Video entdeckt mit Menschen, die aus dem Stahlwerk Asowstahl kamen. Sagen Sie bitte, ob er es ist oder nicht. Wir müssen wissen, ob er noch lebt. Ich flehe Sie an.“

Viele denken, dass ich ihre Angehörigen finden kann. Andere, dass ich Leute aus der Gefangenschaft herausholen kann. Ich fühle mit jedem Einzelnen von ihnen. Zehnmal am Tag wiederhole ich: „Bitte verzeihen Sie mir, aber ich kann Ihren Sohn, Mann, Ihre Schwester, Ihr Kind nicht retten. Ich sammle nur Aussagen.“

Manchmal höre ich mir den ganzen Tag Aussagen von Gefangenen über ihre Foltererfahrungen an. Manchmal weint am anderen Ende der Telefonleitung stundenlang eine Mutter. Es ist schrecklich, in den Zuschriften den Namen oder das Foto eines Bekannten zu entdecken. Es ist schwierig, wenn nach dem Wort „vermisst“ das Wort „Mariupol“ steht. Du weißt nicht, ob in dieser Stadt überhaupt noch Menschen am Leben sind. Am schmerzlichsten ist es, wenn ein Brief uns informiert, dass ein ukrainischer Soldat in Gefangenschaft getötet wurde und die weitere Suche nach ihm vergeblich ist.

Quelle      :         TAZ-online         >>>>>      weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —     Das auf den Hügeln des Westufers des Dnepr gelegene Höhlenkloster und die Mutter-Heimat-Statue, dahinter der Dnepr und dessen flaches Ostufer

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von DL-Redaktion am 27. September 2022

„Krieg und Frieden“
Die Säuberungen gehen weiter – in jedem Bereich

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Aus Minsk JANKA BELARUS

Jeden Tag lese ich von neuen Verhaftungen ganzer Familien, die Kinder kommen dann ins Heim, über Hausdurchsuchungen und Strafverfahren gegen unschuldige Menschen.

Die Spirale dreht sich ins Absurde. Die Menschenrechtlerin Marfa Rabkowa wurde am 6. September zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt. Sie ist 27 Jahre alt, man nimmt ihr ihre Jugend und ihre Gesundheit.

Ich kenne einen Insider, der in der belarussischen Zentralbank arbeitet, die vom Staat kontrolliert wird. Er ist schockiert: „Es kam ein Befehl ‚von oben‘, fast 300 Leute zu entlassen. Weißt du, warum? Sie haben nicht an den Protesten im Jahr 2020 teilgenommen. Sondern waren einfach in den sozialen Medien mit den Bankmitarbeitern befreundet, die damals in Minsk auf die Straße gegangen waren. Diese Leute hatte man in der ersten Welle der Säuberungen entlassen. Dieser Befehl jetzt ist schon der dritte. Ich weiß nicht, wer hier noch arbeiten soll. Die ganzen Finanzspezialisten sind schon weg. Vermutlich schicken sie jetzt neue, die vorher vom KGB überprüft worden sind, aber von Finanzen keine Ahnung haben.“

In anderen Bereichen sieht es nicht besser aus. Im Frühling waren 35 Traumatologen festgenommen worden, die man beschuldigte, Bestechungsgelder von ausländischen Firmen für den Einsatz von importierten Prothesen angenommen zu haben. Was ist das, wenn nicht der Versuch der Staatsmacht, den Prothesenmarkt zu monopolisieren und die Menschen im Land von den eigentlichen medizinischen Problemen abzulenken? Denn die Wartezeit für den Einsatz eines künstlichen Kniegelenks aus einheimischer Produktion beträgt fünf Jahre. Ein Anbieter von Endoprothesen, der deutsche Unternehmen Waldemar Link, stellte kürzlich klar, dass das Unternehmen seine Geschäfte mit Russland und Belarus aufgrund des Krieges in der Ukraine vollständig eingestellt habe.

Мінск. Сквер па плошчы Незалежнасці.jpg

Die Ideologie ist auch in den Schulen angekommen. Am 1. September, zum Beginn des neuen Schuljahres, mussten die Kinder die Nationalhymne singen und die Staatsflagge hissen, die erste Unterrichtsstunde war der „natio­nalen Einheit“ (mit Russland) gewidmet.

Quelle       :          TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —   Unabhängigkeitsplatz. MinskWeißrussland. Von links nach rechts: Regierungsgebäude, Kirche der Heiligen Simon und Helena, das Haus, in dem Ryhor Šyrma lebte (belarussischer Dirigent), das Hotel „Minsk“, die Unabhängigkeitsstraße (praspiekt Niezaležnasci), das Hauptpostamt, das Stadtregierungsgebäude, das Minsker U-Bahn-Managementgebäudedie Belarussische Staatliche Universität.

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Putins Expansionismus

Erstellt von DL-Redaktion am 24. September 2022

Aufgeben ist nicht vorgesehen

Uncle Sam will, dass du TOT bist!

In einer kruden Welt finden sich  immer Irre – welche alles Beherrschen wollen.

Von Robert Misik

Chaos ermöglichte den Aufstieg Putins, der Stabilität versprach. Sein Expansionismus kann erst recht zu einem unkontrollierten Zusammenbruch führen.

Der Westen betreibe aggressive Hegemoniepolitik, sei zugleich aber ein Papiertiger, verkündete Russlands Präsident Wladimir Putin jüngst beim östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok, und wie so oft hatte er keine großen Probleme, zwischen Herumgeopfere und Gigantomanie widersinnig hin und her zu hopsen. Russland verliere durch die Sanktionen des Westens nichts, behauptete er kühn, nur um dann zu drohen, dass Russland seine Energielieferungen gänzlich einstellen werde, würden die Sanktionen nicht aufgehoben.

Indes produziert die Autoindustrie wegen Technologiemangel klapprige Karren ohne Airbags und, schlimmer noch, ohne moderne Bremssysteme. Selbst in den kontrollierten Medien kann die Propaganda die erstaunlichen Rückschläge in der Ukraine nicht mehr ignorieren. „Wenn man weiß, wir haben die Gerechtigkeit auf unserer Seite, wieso gibt es dann keinen Sieg?“, wimmerte ein Talkgast im Propagandafernsehen. Ein anderer fiel ihm ins Wort und erinnerte an Stalins Postulat: „Wer Panik schürt, wird erschossen.“

Teilmobilmachung, Fake-Referenden, Nukleardrohung – Putin eskaliert immer mehr. Selbst Putins Verbündete sind schon sauer. Die Freude in Peking ob der globalen Krise hält sich offenbar sehr in Grenzen, und Indiens ultrarechter Premier Narendra Modi sagte dem russischen Autokraten ins Gesicht, „das ist jetzt nicht die Zeit des Krieges, sondern des Friedens“.

Mittlerweile fragt man sich in den internationalen Polit- und Strategiezirkeln bange, ob das Putin-Regime eine Niederlage in der Ukraine überstehen könnte und ob man sich nicht besser mit der Möglichkeit eines chaotischen Zusammenbruchs in Russland vertraut mache. Nicht weniger bange die Frage: Was hat er vor, wozu ist er fähig, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht?

Die Sanktionen wirken

22 Jahre ist es jetzt her, dass Putin aus dem Hut gezaubert wurde – um nach den neunziger Jahren, dem Jahrzehnt von Chaos und Wirren, das Land zu stabilisieren. Selbst im Westen stieß der stille, schmächtige Mann damals auf Wohlwollen, und auch die Grunderzählung seiner Präsidentschaft wurde von vielen gekauft, nämlich, dass ein Land wie Russland einen gewissen Grad an autoritärer Herrschaft brauche.

Spulen wir zurück. Es ist der 31. Dezember 1999. Der letzte Tag des Jahrtausends. Boris Jelzin, der erste Präsident der Russischen Föderation, tritt überraschend zurück. Jelzin übergibt die Präsidentschaft verfassungsgemäß an den Premierminister, an Wladimir Putin, der zu diesem Zeitpunkt noch keine fünf Monate in diesem Amt ist. Putin ist tatsächlich „Der Mann ohne Gesicht“, wie die russisch-amerikanische Autorin Masha Gessen vor einigen Jahren ihr Buch betitelte.

„Ein Hooligan“ sei er in seiner Jugend gewesen, gab Wladimir Putin in einem Interview damals zu. „Ich war ein echter Schläger.“ Putin selbst ist immer wieder auf diese Geschichten zurückgekommen, hat die Straße „meine Universität“ genannt. Unter den vier Grundsätzen, die er aus seiner Gangsterzeit mitgenommen habe, ist auch „Schluss Nummer drei: Ich habe gelernt, dass man – egal ob ich im Recht war oder nicht – stark sein müsse.

Ich musste in der Lage sein, dagegenzuhalten … Schluss Nummer vier: Es gibt keinen Rückzug, du musst bis zum Ende kämpfen.“ Vielleicht gibt uns diese Geschichte einen Einblick in das Denken von Wladimir Putin, wie er „tickt“. Vielleicht aber auch nur, wie er gesehen werden will. Putin, zuvor als KGB-Mann in Dresden, war Anfang der 90er Jahre als stellvertretender Bürgermeister in Sankt Petersburg gelandet, seiner Heimatstadt, wo er am Stadtrand, in Trabantenstädten, in einer Arme-Leute-Gegend aufgewachsen ist.

Putin, der Macher

Putins Chef ist damals Anatoli Sobtschak, ehemals Rechtsprofessor und der berühmteste russische prowestliche Reformer. Er ist eine strahlende Figur, kein besonders guter Organisator, aber ein Trickser, der sich als Liberaler gibt und hintenrum mit den alten Machthabern paktiert. Putin ist Sobtschaks „Fixer“, der, der die Dinge erledigt.

Die Deutschen Polit-Gangster fehlen hier –  leider.

Putin tut sich mit der Mafia zusammen, die ­damals den Großen Hafen in Sankt Petersburg in der Hand hat. Er ist mit seinen KGB-Leuten verbunden, zugleich schließt er Bündnisse mit dem organisierten Verbrechen. Als Sobtschak später abgewählt wird, wechselt Putin nach Moskau in den Kreml. Dort steigt er schnell auf. „Er war ­folgsam wie ein Hündchen“, heißt es über diese Jahre.

Das Absurde an dem Manöver von 1999: Jelzin macht Putin zu seinem Nachfolger, um den Demokraten die Macht zu retten. Putin legt in einer Fernsehansprache seine Sicht dar. Russland ist als Macht abgestiegen, spielt nicht einmal mehr eine zweit-, sondern eine drittrangige Rolle. „Es wird nicht so bald geschehen – falls es überhaupt jemals geschieht –, dass Russland eine zweite Ausgabe von, beispielsweise, den USA oder Großbritannien wird, deren liberale Werte tiefe historische Traditionen haben“, schrieb er.

„Für Russen ist ein starker Staat keine Abnormalität, die man loswerden will. Im Gegenteil, sie sehen ihn als Quelle und Garanten der Ordnung an.“ Es ist ein Kreis von Hardlinern aus den Sicherheitsdiensten, allen voran aus Putins KGB-Seilschaften, der nach dem Amtsantritt Putins zur Jahrtausendwende vor 22 Jahren die Geschicke im Kreml bestimmt und die Macht immer mehr konsolidiert hat.

Ununterbrochenes Abschlachten

Mit dem Tschetschenienkrieg inszeniert sich Putin als starker Mann: „Wir werden sie in ihren Scheißhäusern ausräuchern“, erklärt er. Tschetschenien wird, wie das einmal eine Journalistin formulierte, zu einem „Schlachthaus, das 24 Stunden am Tag in Betrieb ist“. Die „Oligarchen“, also jene Freibeuter, die die Jahre der chaotischen Privatisierung nutzten, werden entmachtet, besonders jene, die unter Verdacht stehen, sie könnten in die Politik oder auch nur in die öffentliche Meinung eingreifen wollen – sie gehen ins Exil oder landen im Straflager oder sterben auf unerwartete Weise.

Die neuen „Oligarchen“ sind eigentlich keine mehr, sondern KGB-Funktionäre. Sie üben sozusagen nur den Job des Oligarchen aus, was nicht heißt, dass sie sich nicht Milliarden auf die eigenen Konten verschieben dürfen. Die pluralistische, offene Gesellschaft wurde wie in einem schleichenden Putsch immer mehr abgewürgt – und mit zunehmender Rasanz versinkt das Land ab 2012 in eine vollkommene Despotie. Wer im „System Putin“ heute wirklich die Macht hat, weiß niemand so genau.

Quelle          :           TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Oben      —   Uncle Sam will, dass du TOT bist!

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„Sisyphos? Nein.“

Erstellt von DL-Redaktion am 24. September 2022

Er hat den „robusten Polizeieinsatz“ am 30. 09. 2010 hautnah erlebt.

Von Oliver Stenzel

Der Polizeieinsatz am 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten gab Dieter Reicherters Leben eine neue Wendung: Seitdem engagiert sich der ehemalige Richter gegen Stuttgart 21. Dass es immer wieder anders kommt als geplant, scheint eine Konstante in seiner Vita zu sein.

Idyllisch ist es hier. Der Waldrand 100 Meter entfernt, statt Autos brummen ein paar Wespen, und auf der gegenüberliegenden Seite des schmalen Sträßchens grasen zwei Pferde seelenruhig in einem Gatter. Dieter Reicherter wohnt am Rande von Fautspach, mitten im Schwäbischen Wald. Der zu Althütte gehörende Weiler hat rund 100 Einwohner:innen, zur Murrquelle sind es zu Fuß 20 Minuten, zum Ebnisee eine Stunde. Zum nächsten S-Bahn-Halt Backnang ist es etwas weiter, 15 Kilometer.

Dass Reicherter, 1947 geboren und in Stuttgart-Wangen aufgewachsen, hier lebt, hat auch etwas mit seiner Leidenschaft für Pop- und Rock-Musik zu tun. Mehrere Zehntausend Tonträger, größtenteils Vinyl und vor allem Langspielplatten, aber auch um die 30.000 Singles und etliche CDs lagern in seinem „Schallarchiv“, das einen Großteil des Kellers in Beschlag nimmt. Ein bezahlbares Haus mit Platz dafür und für eine kleine Familie, das war im Raum Stuttgart schwer zu finden, und so zog Reicherter 2004 mit Frau und zwei Töchtern von Esslingen hierher. Inzwischen lebt er alleine, er ist geschieden und auch die zweite Tochter ist aus dem Haus. Das Schallarchiv wächst weiter. „Das mit den Platten ist schon etwas verrückt“, sagt Reicherter und lacht, „denn anhören kann ich die ja nie alle.“

Der ehemalige Richter liebt Musik auch live; um die 100 Konzerte besucht er pro Jahr, fährt dafür durch ganz Deutschland, in angrenzende Länder und auch mal nach Großbritannien. Seine Leidenschaft so auszuleben, scheint kein schlechtes Rezept: Reicherter wirkt meist heiter, lacht gerne und oft.

Begonnen hat es bei ihm, erzählt er, mit 14 oder 15 Jahren. Die Eltern einer Freundin hatten ein Café und darin eine Musikbox, „die aussortierten Singles haben sie für eine Mark verkauft“. Das war der Anfang seiner Sammlung. Richtig los ging es mit den Beatles, und anders als viele Fans der Fab Four liebt Reicherter auch die Rolling Stones. The Who, die Beach Boys, The Zombies und und und. Die Sixties überwiegen in seiner Kollektion, aber auch für Neues ist er offen.

Der Strahl des Wasserwerfers änderte alles

Seine Platten kauft er mit Vorliebe bei „Second Hand Records“ in Stuttgart. Dort war er auch am 30. September 2010, ehe er mit einer frisch gefüllten Stofftasche voller LPs in den Schlossgarten ging, um sich die Demonstration gegen die anstehenden Baumfällungen für Stuttgart 21 anzuschauen. Bald war er nass wie viele andere, der Strahl des Wasserwerfers traf ihn, obwohl er am Rande des Geschehens stand. „Sowas hatte ich noch nie erlebt“, sagt Reicherter. Die Dusche und das brutale Vorgehen der Polizei gegen friedlich Demonstrierende änderten sein Bild vom Staat. „Ich war ja bis vier Wochen davor auf der anderen Seite und dachte, bei der Polizei kann man sich einigermaßen verlassen, dass sie Recht und Ordnung einhält – als Richter muss man das.“ Diese Gewissheit war dahin nach dem Tag, der bald „Schwarzer Donnerstag“ genannt wurde.

Reicherter war entsetzt über das, was er gesehen hatte, und wieder entsetzt, wie darüber berichtet wurde: In den TV-Nachrichten am Abend wurde teils die Behauptung der damaligen Landesregierung unter Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) wiedergegeben, die Demonstranten seien gewalttätig gewesen und die Polizei habe einschreiten müssen. Als er am Morgen des 1. Oktober diesen Tenor auch in der Zeitung las, „habe ich mich im Schlafanzug an den Schreibtisch gesetzt und angefangen, meine Erinnerung aufzuschreiben.“ Daraus wurde eine Dienstaufsichtsbeschwerde, gerichtet an den damaligen Innenminister Heribert Rech (CDU). Er schickte sie auch an die Presse, an Landtags- und Bundestagsabgeordnete und an Freunde, irgendjemand stellte den Text ins Internet – „und plötzlich stand mein Telefon nicht mehr still.“

Mit Stuttgart 21 hatte sich Reicherter bis dahin kaum auseinandergesetzt. Auch jetzt wollte er sich zunächst nur mit dem Schwarzen Donnerstag befassen und nicht mit dem ganzen Projekt. „Aber ich habe relativ schnell gemerkt, dass man das überhaupt nicht trennen kann. Dass bei S 21 genauso gelogen und betrogen wurde wie bei der Aufklärung des Polizeieinsatzes.“

Bald nach dem 30. September erhielt er eine Einladung bei den „Juristen zu S 21“ mitzumachen, seitdem „wurde es immer mehr“. Seit Februar dieses Jahres ist Reicherter Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Sein Engagement hatte zuletzt dazu geführt, dass er durch eine jahrelang beantragte Akteneinsicht nachweisen konnte, wie manipulativ die Regierung Mappus 2010 bei Schlichtung und Untersuchungsausschuss zum 30.9. vorgegangen war (Kontext berichtete). Und dass Mappus im Ausschuss nicht die Wahrheit gesagt hatte. Den Ex-CDU-Ministerpräsidenten dafür strafrechtlich zu belangen, war zu spät – verjährt. Doch ohne Reicherters Beharrlichkeit und seine Kenntnisse als ehemaliger Richter und Staatsanwalt wären diese Details womöglich gar nicht ans Licht gekommen.

Jura war dritte Wahl

Dabei war die Juristerei nicht Reicherters erste Wahl. „Eigentlich hat mich Medizin interessiert. Aber ich konnte kein Blut sehen.“ Die zweite Wahl war Theologie – aber nachdem er als jüngstes Mitglied des Kirchengemeinderats in Esslingen hinter die Kulissen blicken konnte, „wollte ich auch nicht mehr Theologe werden.“ Also blieb, an dritter Stelle, Jura.

1966 fing er in Tübingen an zu studieren, die 68er warfen dort damals schon ihre Schatten voraus. Doch richtig dabei in der Studentenbewegung war Reicherter nicht, auch wenn er viele Forderungen teilte. Bei Aktionen wurde damals auch mal der Zugang zur Uni versperrt, „das hat mich abgeschreckt. Wenn ich eines nicht leiden kann, dann wenn mir andere sagen, was ich machen soll, wenn ich nicht die Chance habe, mich selbst zu entscheiden.“ Politisch fühlte er sich der SPD und ihrem Vorsitzenden Willy Brandt verbunden, der Einfluss des Vaters, SPD-Mitglied, aktiv in Gemeinde- und Kreisrat. „Aber ich selbst war nie Mitglied.“

Anders gekommen als gedacht ist es immer wieder in Dieter Reicherters Leben. So wäre der Skandinavienbegeisterte während seiner Studienzeit fast nach Finnland ausgewandert, dort hatte er eine Freundin. Er lernte Finnisch, weil sie kein Englisch konnte, die Fernbeziehung fand ein Ende, als Reicherter seine spätere Frau kennenlernte.

Unfreiwillig zum Strafrecht – und geblieben

Quelle       :           KONTEXT Wochenzeitung-online      >>>>>       weiterlesen

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Oben      —     Tantal und Sisyphos im Hades (um 1850), ein (heute zerstörtes) Wandgemälde im Niobidensaal des Neues Museum, Berlin, Deutschland.

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Büttenredner der UNO

Erstellt von DL-Redaktion am 23. September 2022

Cassis und Scholz hinterlassen wenig glaubhaften Eindruck

Datei:2021-08-21 Olaf Scholz 0309.JPG

Kommt alle zu mir – ihr mit Mühsal beladenen

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von       :   Andreas Zumach /   

Mit Grund verurteilen beide äußerst heftig Putins Krieg. Aber sie schweigen über andere Konflikte und Krisen.

Wer den ersten 35 RednerInnen bei der am Dienstag eröffneten UNO-Generalversammlung in New York zuhörte, konnte meinen, die 33 Männer und zwei Frauen lebten in verschiedenen Welten. Bei den Auftritten von Bundeskanzler Olaf Scholz und anderer Regierungschefs aus den Mitgliedsländern von NATO und EU sowie mit ihnen verbündeter Staaten wie Japan oder von Ignazio Cassis aus der Schweiz war Putin-Russlands Krieg gegen die Ukraine das beherrschende Thema.

Andere aktuelle Kriege – etwa im Jemen oder in den vom NATO-Mitglied Türkei bekämpften Kurdengebieten in Syrien und im Irak – kamen in diesen Reden überhaupt nicht zur Sprache. Auch die Krisen, Katastrophen und Bedrohungen wie Hunger, Klimawandel, gestiegene Energiepreise, Umweltzerstörung und die Folgen der Corona-Pandemie, die vor allem den globalen Süden betreffen, wurden – wenn überhaupt – nur am Rande erwähnt.

Ganz anders in den Reden des senegalischen Präsidenten Macky Sall – des derzeit Vorsitzenden der Afrikanischen Union – und der anderen Regierungschefs aus Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas war es hingegen genau umgekehrt. Sie konzentrierten sich – ebenso wie UNO-Generalsekretär Antonio Guterres in seiner Rede zur Eröffnung der Generalversammlung – auf die globalen Krisen. Guterres kritisierte, dass zur Finanzierung dringender humanitärer Maßnahmen der UNO in Krisenregionen des Südens derzeit «32 Milliarden US-Dollar fehlen, soviel wie nie zuvor». Zum Ukrainekrieg erklärte der UNO-Generalsekretär lediglich, dieser habe die globalen Krisen noch zusätzlich verschärft.

Die große Diskrepanz bei der Wahrnehmung, Benennung und Beurteilung internationaler Problemlagen gibt es vor allem deshalb, weil die Staaten der «westlichen Wertegemeinschaft» in den letzten 25 Jahren wegen ihrer Doppelstandards und selektiven Anwendung der seit 1945 universell gültigen Völkerrechts- und Menschenrechtsnormen im «Rest der Welt» erheblich an Glaubwürdigkeit verloren haben.

Eine ganz wesentliche Rolle spielt dabei der von den USA und Großbritannien geführte völkerrechtswidrige Irakkrieg des Jahres 2003. In der Folge dieses Krieges und der nachfolgenden, ebenfalls völkerrechtswidrigen achtjährigen Besatzung Iraks durch die USA verloren rund eine Million IrakerInnen ihr Leben.

Es ist unter den Mitgliedern der UNO-Generalversammlung auch nicht vergessen, dass die USA seinerzeit durch massiven Druck und Drohungen gegen Südafrika und andere Staaten die Verabschiedung einer Resolution zur Verurteilung dieses Krieges verhinderten. Wer – wie die US-Regierung – den Irakkrieg bis heute zu rechtfertigen versucht oder ihn – wie auch viele Medien in Deutschland – lediglich als «Fehler» bezeichnet, ist wenig glaubwürdig, wenn er heute Putin-Russlands Krieg gegen die Ukraine – völlig zu Recht – als völkerrechtswidrig und verbrecherisch kritisiert.

Zu dem Glaubwürdigkeitsverlust haben auch die Drohungen der USA gegen den Internationalen Strafgerichtshof beigetragen, um unliebsame Ermittlungen zu mutmaßlichen Verbrechen von US-Soldaten in Afghanistan und anderswo zu verhindern.

Ebenfalls als selektive Anwendung von völkerrechts-und menschenrechtlichen Normen wahrgenommen wird die fehlende Kritik oder gar offene Unterstützung der NATO für die völkerrechtwidrige Kriegsführung ihres Mitglieds Türkei gegen die Kurden.

Dasselbe gilt seit Jahrzehnten für das mangelnde Engagement der westlichen Staaten zur Umsetzung der zahlreichen Resolutionen von UNO-Sicherheitsrat und Generalversammlung für eine gerechte Friedenslösung im Konflikt Israel/Palästina.

In jüngster Zeit hat die anhaltende Weigerung der nördlichen Industriestaaten, die bereits im September 2020 von über hundert UNO-Staaten aus dem globalen Süden beantragte Aussetzung der Patente für Corona-Impfstoffe zu ermöglichen, zum Glaubwürdigkeitsdefizit weiter beigetragen.

Dasselbe gilt für die seit Jahren anhaltende Blockade der Verhandlungen im UNO-Menschenrechtsrat in Genf über ein von den Länden des Südens angestrebtes Abkommen über völkerrechtlich verbindliche Menschenrechts-, Umwelt- Umwelt- und Sozialnormen für transnationale Konzerne mit wirksamen Überwachungs-, Durchsetzungs- und Sanktionsmechanismen.

In beiden Fällen ist Deutschland sowohl als nationaler Akteur wie auch als wirtschaftliche Führungsmacht der EU wesentlich verantwortlich für die Blockaden. All dies steht im Widerspruch zu den hehren – und richtigen – Bekenntnissen zu den «weiterhin universell gültigen Völkerrechts- und Menschenrechtsnormen», zur Institution der UNO sowie zu einer «regelbasierten Weltordnung», die Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Rede vor der Generalversammlung vorgetragen hat.

Die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats verteidigen ihre Position

In einem Punkt herrscht unter den 193 Mitgliedern der UNO-Generalversammlungen ein Konsens zwischen fast allen westlichen Staaten – mit Ausnahme der USA, Frankreichs und Großbritanniens – und sämtlichen Ländern des Südens: Die derzeitige, 1945 in der UNO-Charta festgelegte Zusammensetzung des Sicherheitsrates wird als historisch überholt kritisiert und seine Reform durch eine Erweiterung um zusätzliche Mitglieder gefordert.

Die allermeisten Staaten fordern die Abschaffung des Vetos der fünf ständigen Mitglieder. Denn dieses Veto – oder oft auch nur schon seine Androhung – wurde in den letzten 77 Jahren  fast immer nur dazu eingesetzt, die Handlungsfähigkeit des Rates in den Fragen seiner exklusiven Zuständigkeit für die Bewahrung/Wiederherstellung des Friedens und der internationalen Sicherheit zu verhindern. Letztes Beispiel war das Veto Russlands vom 24. Februar gegen die Resolution zur Verurteilung des am selben Tag begonnenen Angriffskrieges gegen die Ukraine.

Die deutsche Bundesregierung hingegen strebt für Deutschland die ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat mit einem Vetorecht an. Dass der Regierungsvertreter eines UNO-Mitgliedslandes so wie Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag seinen Auftritt vor der Generalversammlung nutzt zur Formulierung dieser Forderung, ist allerdings seit Beginn der  Debatte um eine Reform des Sicherheitsrates nach Ende des Kalten Krieges nur einmal vorgekommen: Im September 1993 preschte der damalige Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) völlig überraschend und ohne Absprache mit Kanzler Helmut Kohl mit dieser Forderung vor. Seitdem schürten sämtliche Bundesregierungen die Illusion, dass diese Forderung in absehbarer Zeit erfüllt würde. Kinkel sagte den Einzug Deutschlands als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates bereits zum 50. Gründungsjubiläum im Jahr 1995 voraus und – als daraus nichts wurde – für das Jahr 2000. Die Länder des Südens, die völlig zu Recht eine stärkere Vertretung ihrer Weltregionen Afrika, Asien und Lateinamerika im Sicherheitsrat fordern, sind da viel realistischer. Sie wissen, dass eine Erweiterung des Rates nicht nur am Widerstand der autokratisch regierten ständigen Mitglieder Russland und China scheitert, sondern ebenso am Widerstand der drei westlichen Demokratien USA, Frankreich und Grossbritannien. Denn alle fünf fürchten gleichermaßen, bei einer Erweiterung an Macht und Einfluss zu verlieren.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

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Oben      —      Olaf Scholz, Politiker (SPD) – Zur Zeit Vizekanzler und Bundesminister der Finanzen der Bundesrepublik Deutschland.

Verfasser Michael Lucan        /       Quelle     :   Eigene Arbeit     /     Datum     :    Dienstag, 21. August 2021

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

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Unten        —       Bild: <a href=“http://stephan-roehl.de/“ rel=“nofollow“>Stephan Röhl</a>

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von DL-Redaktion am 23. September 2022

„Krieg und Frieden“
Russische Patrioten werden zu Pazifisten

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Aus Wladikawkas Boris Epchiev

Einen Tag vor der historischen Rede von Wladimir Putin war ganz Russland in gespannter Erwartung. Die einen warteten auf die Ankündigung der Generalmobilmachung. Andere waren davon überzeugt, dass ein taktischer Atomschlag auf die ukrainischen Gebiete Charkiw und Cherson angekündigt werde. Und wieder andere hofften, dass angesichts der jüngsten Misserfolge der russischen Truppen ein Waffenstillstand zustande käme. Doch nichts von alledem geschah.

Nur eine „Teilmobilisierung“ wurde dann tatsächlich angekündigt. 300.000 Bürger werden zu den Waffen gerufen. Vorladungen mit der Aufforderung, in die Rekrutierungsbüros zu kommen, waren interessanterweise bereits vor der Rede verschickt worden. Das weist darauf hin, dass die Entscheidung schon lange vorher getroffen und die am meisten benötigten Wehrpflichtigen identifiziert worden waren. Und das sind vor allem Pioniere, Panzerfahrer und Artilleristen.

Die Rede war kein freudiges Ereignis für die „Z-Patrioten“, wie hier die eifrigsten Kriegsbefürworter genannt werden. Im Gegenteil, die allermeisten, die noch gestern für den „Krieg bis zum siegreichen Ende“ waren, sind plötzlich zu Pazifisten geworden. Sie haben ihre Ansichten zu den aktuellen Ereignissen vollständig geändert. Sie würden zwar gerne kämpfen, hätten aber gerade jetzt unaufschiebbare Angelegenheiten im Ausland zu erledigen.

Blick auf Wladikawkas.jpg

Die einfachen Leute auf der Straße sind geteilter Meinung. Die Älteren, die nicht mehr eingezogen werden können, billigen Putins Entscheidung, während die Jüngeren kategorisch dagegen sind. In den großen Städten Russlands fanden Anti-Kriegs-Demonstrationen mit den schon zur Tradition gewordenen Verhaftungen statt. Mit Gewalt ergriffen Polizisten junge Männer und Frauen, die mit Schildern „Nein zur Mobilmachung“ auf der Straße standen und brachten sie in Gefangenentransportern auf die Wache.

Quelle        :         TAZ-online          >>>>>            weiterlesen

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Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     — Objekt: Panorama von Wladikawkas Beschreibung: Simbol von Wladikawkas

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Deutsche Irrtümer ??

Erstellt von DL-Redaktion am 22. September 2022

Debatte um Panzerlieferungen nach Kiew

Datei:Waffen für die Ukraine. Demo in Düsseldorf, 14. Mai 2022.jpg

Ein Debattenbeitrag von Stefan Reinecke

Die deutsche Debatte um Lieferungen von Kampfpanzern an die Ukraine wird mit vielen Emotionen geführt. Doch es fehlt strategischer Weitblick.

Die deutsche Debatte um die Lieferung von Kampfpanzern ist von Irrtümern geprägt. Der Spiegel behauptet, dass „deutsche Waffenlieferungen zentral für einen Sieg Kiews über das mächtige Russland“ sein können. Das stimmt nicht: In der ersten Jahreshälfte haben die USA Waffen und Unterstützung im Wert von 24 Milliarden Euro an Kiew geliefert – dreimal so viel wie alle europäischen Länder zusammen. Nur die USA können so schnell so viele Waffen und Geld mobilisieren. Wie lange die Ukraine diesen Verteidigungskrieg weiterführen kann, wird in Washington entschieden, nicht in Berlin, Warschau oder London. Doch wenn man der Union, manchen Grünen und FDPlern zuhört, scheint der militärische Erfolg der Ukraine von deutschen Kampfpanzern abzuhängen. Das ist entweder Dramatisierungsrhetorik, Selbstüberschätzung oder Ahnungslosigkeit.

Der zweite Irrtum lautet, dass Deutschland Kiew zu wenig unterstützt. Ein FDP-Politiker hat die deutsche Hilfe lächerlich genannt. Die Regierung werfe „Schiffbrüchigen Schwimmärmchen zu“. Viele Leitmedien schreiben seit Monaten das Gleiche. Dabei hat Berlin für 730 Millionen Euro Waffen geliefert: 24 Flakpanzer Gepard, 54 gepanzerte Truppentransporter, 14.900 Panzerabwehrminen, 100.000 Handgranaten, Antidrohnenkanonen, Mehrfachraketenwerfer und vieles mehr. Wer das für Schwimmärmchen hält, muss von sehr vielen, sehr schweren Waffen träumen.

Scholz hat die politischen Koordinaten in Deutschland entschieden in Richtung Militär verschoben

Ein weiterer Irrtum lautet: Der Kanzler steht immer nur auf der Bremse. Die Union fordert am Donnerstag im Bundestag die „Ausfuhr von Kampf-, Schützen- und Transportpanzern“ zu genehmigen und will so Scholz mal wieder als Zauderer überführen. Dabei hat der Kanzler die politischen Koordinaten so entschieden Richtung Militär verschoben wie zuvor nur Schröder und Fischer mit dem Einsatz der Bundeswehr in Kosovo und Afghanistan.

Die Ampel rüstet mit 100 Milliarden die Bundeswehr auf. Deutschland liefert, bislang undenkbar, massiv Waffen in ein Kriegsgebiet. In zwei Jahren sollen 15.000 BundeswehrsoldatInnen im Baltikum als Teil der Schnellen Eingreiftruppe der Nato rasch vor Ort sein. Inklusive 65 Kampfjets, Kriegsschiffe und KSK, um im Falle eines Falles russisches Militär zu bekämpfen. Faktisch wird Deutschland damit zur militärischen Schutzmacht für die baltischen Länder, die Putin zum russischen Einflussbereich zählt. In der deutschen Öffentlichkeit ist all das noch nicht angekommen.

Panzerdebatte als Chiffre

Scholz erklärt oft zu spät, was er tut – folgt aber eher strategischen Überlegungen als moralischen Impulsen. Deutschland liefert effektive Waffen, die aber eher hinter der Front eingesetzt werden. Eroberte deutsche Kampfpanzer wären ein gefundenes Fressen für die russische Propaganda, die den Überfall auf die Ukraine perfide als Zweiten Weltkrieg reinszeniert. Ist es also „beschämend“, so der Tenor deutscher Medien, nicht als Erste Hurra zu rufen und Kampfpanzer zu liefern? Briten, Franzosen und die US-Regierung zögern übrigens auch.

Die Panzerdebatte ist nur als Chiffre zu begreifen. Es geht dabei um etwas, das Deutsche wesentlich besser beherrschen als Militärtaktik oder Geopolitik – moralisch überhöhte Selbstverständigung. Das kernige Ja zu Panzerlieferungen gilt als ethisch nobel, ein Nein als verdächtige Bedenkenträgerei. In den 1980er und 90er Jahren reklamierte die Friedensbewegung die Moral für sich. Nun hat das Gefühl, auf der Seite des Guten zu stehen, die Seiten gewechselt: von Schwerter zu Pflugscharen zu Waffenexporten sofort. Die meisten Deutschen sind laut einer Umfrage gegen Panzer für Kiew. Dafür sind nur Anhängerinnen der Grünen.

Gepard 1a2 im Überblick.jpg

Verwunderlich ist auch, dass hierzulande schon leise Hinweise auf Atomwaffendrohungen aus Moskau als Hasenfüßigkeit gelten. Keine Angst, die bellen nur. Und wenn nicht? Putin hat neben der Teilmobilisierung und Annexion besetzter Gebiete abermals mit Atomschlägen gedroht. Ein Zeichen von Schwäche, ja, aber gerade deshalb beunruhigend. US-Präsident Biden, der an Putin appellierte „Tun Sie es nicht!“, nimmt eine mögliche atomare Eskalation ernster als deutsche Leitmedien. Statt German Angst nun German Ignoranz – eine sonderbare Umkehr der 80er Jahre, als die USA Pershings stationierten und viele Deutsche den „atomaren Holocaust“ fürchteten.

Die diskursive Anordnung „Fast alle gegen den Bremser Scholz“ führt zu einer verzerrten Wahrnehmung. Verteidigungsministerin Lambrecht will die Richtlinien für Rüstungsexporte lockern. SPD-Chef Klingbeil schwärmt von der Führungsrolle Deutschlands in Europa. Kritik? Kaum.

Quelle        :          TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Oben      —        Waffen für die Ukraine. Demonstration in Düsseldorf, 14. Mai 2022.

Verfasser Kürschner (Diskussion) 15:24, 14. Mai 2022 (UTC)    /      Quelle   :    selbst

Diese Datei wird unter der Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Widmung zur Verfügung gestellt.

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Unten      —       Flugabwehrpanzer Gepard 1A2

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von DL-Redaktion am 20. September 2022

„Krieg und Frieden“
Fluchtgründe jenseits von Krieg und Katastrophe

AnneFrank1940 crop.jpg

Aus Batumi von OLGA DEKSNIS

„Belarussen, wacht auf, von eurem Staatsgebiet werden Raketen abgeschossen!“, rief der ukrainische Präsident Selenski im Februar den Menschen in Belarus zu. Aber man bedenke, dass das Land von einem autoritären Regime beherrscht wird.

Ich arbeite für eine Stiftung, die politisch verfolgten Belarussen hilft. Sie werden organisiert aus einem Land gebracht, in dem es weder Kampfhandlungen noch Katastrophen gibt. Das funktioniert in der Regel so: Ein Mensch oder eine Familie verlässt das Haus mit einem Handy und einem Rucksack, in den sie ihr gesamtes Leben gepackt haben, ein Mitarbeiter der Stiftung erklärt ihnen Schritt für Schritt, wohin sie zu gehen haben. Einige Grenzen später sind die Leute schließlich in Sicherheit. Sie müssen dann ihr Leben ganz von vorn beginnen, in einem neuen Land, nur mit dem Wertvollsten von allem: der Freiheit.

Öffentlich zu machen, wie das vor sich geht, ist verboten. Ich schreibe hier nur über die erfolgreichen Fälle. Hier einige Beispiele: Ruslan ist Unternehmer. Während seines Wehrdienstes wurde er an die belarussisch-ukrainische Grenze beordert. Sie gaben ihm eine Waffe und wiesen ihn an, „Wache zu halten“. Aber der junge Mann desertierte von seinem Posten, er wollte nicht in diesen Krieg verwickelt werden. Einen Monat saß er dafür in Untersuchungshaft. Dann wandte er sich an die Stiftung und konnte nach Georgien fliehen.

Irina ist Gynäkologin, mit dreißig Jahren Berufserfahrung. Gegen sie wurden mehrere Strafverfahren eingeleitet, nachdem sie an einer Protestdemo teilgenommen hatte. 2022 wurde ihr klar, dass sie bald inhaftiert würde. Wie durch ein Wunder konnte sie Belarus verlassen, versteckte sich drei Monate mit Ukrainern in einem Flüchtlingslager. Jetzt arbeitet sie in Polen als Ärztin.

Oft liest man, dass Belarussen eine „Sklavenmentalität“ hätten. Aber folgende Zahlen zeichnen ein anderes Bild: In den Gefängnissen des Landes gibt es aktuell 1.276 politische Gefangene. In den letzten zwei Jahren wurden mehr als 11.000 Urteile gegen ganz normale Menschen wegen „Extremismus“ verhängt, aber nicht ein Urteil gegen Silowiki, also Einsatzkräfte der Armee oder des Geheimdiensts.

Quelle       :          TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

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Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —   Batumi, Georgien, Dezember 2019

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Wendepunkt in der Ukraine?

Erstellt von DL-Redaktion am 11. September 2022

Ein militärisches Desaster zeichnet sich für Russlands Armee
in der Nordostukraine ab. (Update 10.09.2022)

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Tomasz Konicz

Es kommt Bewegung in den Krieg im Osten – und es ist die ukrainische Armee, die offensichtlich die Imitative ergreifen konnte. Während die westliche Öffentlichkeit, sofern sie dem zur Normalität geronnenen Krieg in der Ukraine überhaupt noch folgt, vor allem die Offensive um die südukrainische Stadt Cherson wahrnahm, scheinen im Nordosten bei einem raschen Angriff große Geländegewinne von kombinierten ukrainischen Verbänden verzeichnet worden zu sein.

Ukrainische Einheiten konnten binnen weniger Tage, zwischen dem 4. und dem 9. September, die russischen Linien südöstlich von Charkow auf breiter Front durchbrechen und duzende von Kilometern an Boden gutmachen. Dies gestehen selbst prorussische Propagandaquellen offen ein.1 Inzwischen sollen ukrainische Truppen vor Kupyansk stehen,2 der wichtigsten von Russland besetzten Stadt im Oblast Charkow. Durch Kupyansk führt zudem die wichtigste Versorgungsrute der russischen Armeeverbände im westlichen Donbass rund um Izium. Das Kappen dieses Nachschubweges wäre folglich für die Operationen des Kreml in der Ostukraine verheerend. Die Angriffe ukrainischer Truppen im Süden scheinen somit vor allem zur Schwächung der russischen Front im Norden beigetragen zu haben – und eben diese Schwachstellen konnte Kiew Armeeführung – wahrscheinlich unter Auswertung westlicher Information – korrekt identifizieren und ausnutzen.

Die durch Truppenverlegungen gen Cherson ausgedünnte russische Verteidigung, die mitunter aus einberufenen Reservisten aus Lugansk und Einheiten kasernierter Polizei bestand, soll regelrecht kollabiert sein. Die ukrainische Armee hat hierbei ironischerweise dieselbe Taktik erfolgreich angewendet, an deren Umsetzung die russische Armeeführung zu Kriegsbeginn scheiterte. Keine mobile Einheiten kombinierter Streitkräfte sind nach dem Durchbruch an der Front weit ins gegnerische Gebiet vorgestoßen, ohne die Städte und Siedlungen einzunehmen, in denen sich signifikante russische Besatzungstruppen verschanzt haben. Der Unterschied besteht bislang zumindest darin, dass die demoralisierten und eingekesselten russischen Truppen keine Angriffe auf die ukrainischen Nachschubwege und Versorgungslinien führen, wie es ukrainische Soldaten beim russischen Vormarsch bei Kriegsausbruch taten.

Derzeit sollen sich Tausende russische Soldaten in diesen Kesseln westlich des Flusses Oskol befinden. Es zeichnet sich ein Desaster für Russlands Armee ab,3 wie es vor Kriegsausbruch auch von westlichen Militärexperten kaum für möglich gehalten worden ist. In den kommenden Tagen wird es sich entscheiden, ob die ukrainischen Streitkräfte diese Geländegewinne halten können, oder ob Kiew seine Kräfte überschätzte, die Nachschubwege überdehnte – und der Ukraine bei russischen Gegenoffensiven ähnliche Rückschläge drohen, wie den russischen Invasionstruppen zu Kriegsbeginn.

Die russische Armee soll in Reaktion auf dieses Desaster, bei dem binnen weniger Tage Gelände verloren ging, dass über Monate mühsam erobert werden musste, starke Verbände in der Region zusammenziehen, um die Geländegewinne der Ukraine, solange sie nicht durch Verteidigungsanlagen abgesichert wurden, schnell zu revidieren und die eingekesselten russischen Truppen zu entsetzen. Doch damit werden andere Frontabschnitte geschwächt, da Russland mit einer zahlenmäßig weit unterlegenen Armee die Ukraine angriff und die anfängliche militärtechnische und ausrüstungsmäßige Überlegenheit der russischen Streitkräfte aufgrund westlicher Waffenlieferungen und kriegsbedingtem Verschleiß zunehmend schwindet.

Weitere Angriffe ukrainischer Kräfte scheinen so wahrscheinlich. Doch dies würde letztendlich bedeuten, dass die strategische Initiative in diesem Krieg nach dem wochenlangen faktischen Stillstand an die Ukraine übergeht. Russlands Invasionsarmee würde somit in die Defensive gedrängt, während ukrainische Verbände Schwachstellen ausnutzen, um die ausgedünnten russischen Fronten zu durchbrechen und immer wieder Geländegewinne zu verzeichnen. Die kommenden Tage werden zeigen, ob diese jüngste Offensive Kiews südwestlich von Charkow tatsächlich einen strategischen Wendepunkt im Krieg markierte. Entscheidend wird sein, inwieweit Kiews Truppen diese Geländegewinne auch angesichts russischer Gegenangriffe werden halten können.

Am 10. September tauchten erste Fotos ukrainischer Soldaten aus der strategisch wichtigen Stadt Kupyansk im Netz auf – hier verläuft, wie erwähnt, die wichtigste russische Versorgungslinie gen westlichen Donbass. Offenbar wurden Teile der Stadt von Russland kampflos aufgegeben. Russland braucht Monate, um ukrainische Städte zu erobern. Die Ukraine scheint diese im Handstreich zu nehmen. Die russischen Truppen südlich von Kupyansk, vor allem bei Izium, befinden sich nun in einer sehr schwierigen Lage. Es scheint tatsächlich so, als ob Russland alle eroberten Territorien westlich des Flusses Oskil verlieren würde. Izium ist von Ukrainischen Armee nahezu eingekesselt, Tausenden russischer Truppen droht Gefangennahme oder Tod.

Das überraschende Moment an der ukrainische Offensive ist aber ihr totaler Überraschungseffekt. Russische Aufklärung und Nachrichtendienste (Satelliten, Luftaufklärung, Informanten) scheinen blind gewesen zu sein. Es ist 2022, jede größere russische Truppenbewegung ist dem Westen bekannt, mitunter werden die Truppenverlegungen – wie zuletzt Richtung Cherson – im Netz diskutiert. Russland ist hierzu offenbar kaum in in der Lage, die russische Armee scheint tatsächlich „bild“ gewesen zu sein und den signifikanten Aufmarsch, die Vorbereitungen zur ukrainischen Offensive nicht wahrgenommen zu haben – dies in der Ära satellitengestützter Aufklärung.

Der desolate Zustand der russischen Armee, die nicht nur unter Korruption und Misswirtschaft, sondern auch unter einer archaischen Kommandostruktur, enormen Verlusten und raschem Materialverschleiß leidet (Putin wurde in Nordkorea vorstellig, um Munition zu beschaffen), scheint den Kreml in eine ähnliche Lage wie zu Kriegsbeginn zu versetzen: Als der russische Blitzvormarsch auf Kiew und Charkow scheiterte, musste Moskau sich zwischen Rückzug und Eskalation entscheiden. Putin entschied sich für die Eskalation des Kreises.

Vor einer ähnlichen Entscheidung wird der Kreml sehr bald stehen, sollte die aktuelle ukrainische Offensive erfolgreich verlaufen: Entweder das Eingeständnis der Niederlage, das Putin mittelfristig sicherlich den Kopf kosten dürfte, oder die weitere Eskalation. Und Russland verfügt durchaus über die Mittel, um der militärischen Eskalationslogik weiter folgen zu können – was zugleich die Gefahr eines verehrenden Großkrieges erhöht.

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1  https://www.moonofalabama.org/2022/09/the-izium-counteroffensive-success-disaster.html#more

2  https://twitter.com/IAPonomarenko/status/1568185503962259459

3  https://www.youtube.com/watch?v=U2QOiMeaYYk

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Grafikquellen      :

Oben     —   Бронеавтомобиль Тигр, застрявший на пашне.

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Unten      —     Drohne des russischen Ministeriums für Notsituationen, die von ukrainischen Streitkräften während der russischen Invasion 2022 gefangen genommen und an die Wohltätigkeitsstiftung von Serhiy Prytula (auf dem Foto) und dann an das Museum des russisch-ukrainischen Krieges übergeben wurde.

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Im Keller mit dem Zensor

Erstellt von DL-Redaktion am 9. September 2022

Türen zu für alle russischen Wissenschaftler-innen? Einzelfallprüfungen wären hilfreicher gewesen.

Ein Debattenbeitrag von Barbara Kerneck

Als Austauschwissenschaftlerin habe ich den sowjetischen Unibetrieb erlebt. Heute, im Krieg, sind solche Erfahrungen leider kaum mehr möglich.

Eine Schlange brachte mich auf die Idee, dass der Untergang der UdSSR bevorstehe. Das war im Jahr 1976, ich weilte als Austauschwissenschaftlerin der FU Berlin im Rahmen eines Forschungsprojektes über die Industrialisierung der Sowjetunion an der Leningrader Staatlichen Universität. In Moskau genoss ich einmal das Privileg, im ersten Lesesaal der Lenin-Bibliothek arbeiten zu dürfen. Ich teilte es mit bärtigen Professoren aus der ganzen Sowjetunion, einige von ihnen internationale Koryphäen. Die traf ich dann im Keller des Gebäudes wieder, wo sie bis zu einer halben Stunde anstehen mussten, um die Erlaubnis des Zensors zu erhalten, die eine oder andere Buchseite zu xerokopieren. Ich dachte: Ein Land, welches die Verbreitung von Informationen derart behinderte, dessen Tage mussten einfach gezählt sein.

Zurück in Leningrad saß ich abends mit meinem Wiener Kumpel Josef in seinem Zimmer unter dem Dach unseres Wohnheims und teilte ihm flüsternd meine Moskauer Erlebnisse mit. Wir nahmen Rücksicht auf seinen sibirischen Mitbewohner, der in einer Ecke schnarchte. Nach fast 10 Monaten im Wohnheim hatten wir uns an Kakerlaken und Schmutz gewöhnt und auch an das Gefühl, stets abgehört oder bespitzelt zu werden. Den Satz über das bevorstehende Ende der UdSSR kritzelte ich auf ein Blatt Klopapier. Zu meiner Überraschung kritzelte Josef dazu: „Ich glaube das auch“. „Wie viele Jahre noch?“, kritzelte ich. Wir gaben der Sowjetunion noch 20 Jahre und damit fünf zu viel.

Dieses Wohnheim war trotz allem ein wunderbarer Ort zum Diskutieren und Feiern mit russischen Kolleginnen aus allen Disziplinen. Die Helsinki-Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa lag ein Jahr zurück. Ein russischer Kollege namens Juri, Mitglied des Jugendverbandes der Kommunistischen Partei, redete stets mit leuchtenden Augen davon. Er versprach sich von ihrer Abschlussakte Verbesserungen auf dem Gebiet der Menschenrechte und langfristig auch Pressefreiheit. In den kommenden zehn Jahren steuerte sein Land tatsächlich in die Glasnost-Ära. Wir wussten es damals noch nicht, aber aus uns rund zwei Dutzend Aus­tausch­wis­sen­schaft­le­r*in­nen aus der Bundesrepublik und unseren sowjetischen Kolleg*innen, die derweil unsere Heimat kennenlernten, wurden mit der Zeit immer mehr Leute. „Wir müssen alles aufschreiben“, sagte meine kanadische Kollegin Deborah: „Wir sind die einzigen, die so etwas erleben, und später wird es uns niemand mehr glauben.“

Zu Beginn diesen Jahres dokumentierte die deutsche Hochschulrektorenkonferenz noch 887 Austauschprojekte mit Russland. Seit Beginn des Ukrainekrieges haben der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die meisten Universitäten und Hochschulen ihre diesbezüglichen Kontakte mit Russland ausgesetzt. Ihre Verlautbarungen spiegeln dabei eine gewisse Hilflosigkeit im Umgang mit den russischen Partnern. Einige beteuern, die Maßnahme richte sich nicht gegen Partnerorganisationen, Studierende und Wis­sen­schaft­le­r*in­nen in Russland, sondern nur gegen die kriegführende Regierung. So als verfügten die deutschen Forschungseinrichtungen über ein Jedi-Lichtschwert, welches seine näheren Ziele durchbohrt, unverletzt zurücklässt und hinter ihnen die eigentlichen Feinde trifft.

An den russischen Universitäten herrscht zur Zeit ein beispielloser Gesinnungsterror. Vor diesem Hintergrund haben über 700 Rek­to­r*in­nen russischer Hochschulen einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie ihre Regierung unterstützen und mit dem Westen sympathisierende Bür­ge­r:in­nen als „Abschaum“ bezeichnen, der aus Russland entfernt werden müsste. Zahlreiche Pro­fes­so­r*in­nen haben bereits gekündigt und das Land verlassen. Maria Rakhmaninova, die an einer Petersburger Hochschule Sozialwissenschaften und Politologie lehrte, hat auch gekündigt, entschloss sich aber vorerst zu bleiben. In der Moscow Times schildert sie, wie sie ihre Studierenden von Beginn an über den Krieg in der Ukraine informierte und diese darauf hin aufgefordert wurden, sie zu denunzieren. In ihrer letzten Lehrveranstaltung gab es Beifall und Tränen.

Die russische Wissenschaft ist zutiefst gespalten. Tausende Aka­de­mi­ke­r*in­nen haben in offenen Briefen gegen den Krieg protestiert. Dazu gehört ein Löwenmut, da bis zu 15 Jahren Gefängnis drohen. Die unter anderem von der Uni Bremen herausgegebenen Russland-Analysen berichten, dass seit der Annexion der Krim 2014 die Förderung der Wissenschaft in Russland stark zurückgegangen ist. Seit 2019 habe es in Russland bloß noch 800 ausländische For­sche­r*in­nen gegeben, in den USA zum Vergleich 13.000. Dem Putin-Regime scheint nicht an einem intensiven internationalen Forschungsaustausch gelegen. Sozialwissenschaftler:innen, die im Land bleiben, werden auf große Hindernisse stoßen, wenn sie Forschungen nach internationalen Standards durchführen wollen.

Quelle       :           TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Unterstützungskundgebung für den Euromaidan und gegen die Besetzung der Krim durch die russische Armee in Prag, Kundgebung fand vor dem russischen Ambasy statt, Tschechische Republik, 2. März 2014

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DIE IAEA – Ukraine Mission

Erstellt von DL-Redaktion am 7. September 2022

AKW Saporoschje: Kann IAEA dem ’Wahnsinn’ ein Ende setzen?

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Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von :     Alexander Männer

IAEA-Mission soll die Situation verbessern.  Wegen den Artillerieangriffen auf das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja bereitet die Sicherheitssituation rund um diese Anlage der gesamten Weltgemeinschaft aktuell große Sorgen.

Dass ein AKW von einer der Konfliktparteien offenbar mit voller Absicht unter Beschuss genommen wurde, ist in der Geschichte der Menschheit einmalig und anders als Wahnsinn nicht zu bezeichnen. Um eine nukleare Katastrophe zu verhindern, hat eine Delegation der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) den AKW-Standort in der Ostukraine kürzlich besucht.Als eine der grössten Sorgen, die der Ukraine-Krieg den Menschen bereitet, gilt derzeit die Sicherheitssituation rund um das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja im Osten des Landes. Diese seit Anfang März von Russland kontrollierte und weiterhin von ukrainischen Ingenieuren betriebene Anlage befindet sich nur wenige Kilometer von der Frontlinie entfernt, wo gerade die Kampfhandlungen zwischen den russischen und ukrainischen Streitkräfte wieder in eine aktive Phase übergehen.

Es ist anzumerken, dass das AKW Saporischschja die leistungsstärkste Atomanlage Europas ist, die vor dem Krieg etwa ein Viertel des gesamten Stroms in der Ukraine produziert hatte. Das Kraftwerk befindet sich in der Stadt Energodar und besteht aus sechs Reaktorblöcken, die sich über viele hundert Meter entlang des Kachowkaer Stausees am Unterlauf des Flusses Dnepr ziehen und für eine Leistung von etwa 6.000 Megawatt verantwortlich sind. Gegenwärtig sollen weniger als 70 Prozent der Gesamtleistung erreicht werden, heisst es aus russischen Quellen.

Immenses Sicherheitsrisiko wegen Kriegshandlungen

Das Hauptproblem jedoch stellt aktuell die Gewährleistung der Sicherheit der Anlage dar. Denn es ist hinreichend belegt, dass sowohl die Stadt Energodar als auch das AKW-Gelände immer wieder unter teilweise schweren Artilleriebeschuss geraten waren. Vor allem in den vergangenen Wochen wurde die Lage rund um das Kraftwerk aufgrund von Angriffen zunehmend brenzlig. Im August hatte die russische Seite diesbezüglich dutzende Male Alarm geschlagen und beschuldigte dabei die Ukraine, das AKW wiederholt angegriffen zu haben. Moskau betonte dabei, dass der Beschuss aus der Richtung gekommen sei, in der sich die ukrainischen Truppen befunden hätten. Zudem haben die Russen die in Folge der Attacken gefundenen Überreste von Projektilen als Beweise präsentiert, von denen einige auf US-Munition hinweisen sollen.

Die Ukraine ihrerseits hat Russland beschuldigt, die Atomanlage als Schutzschild für Waffen und Munition sowie als Basis für Angriffe zu nutzen. Zugleich weist Kiew die Vorwürfe Moskaus von sich und behauptet, dass die russischen Truppen selbst das Kernkraftwerk beschossen haben sollen, um den Ukrainern darfür die Schuld zu geben. Dies bedeutet, dass Russland im Grunde seine eigenen Soldaten, die die Anlage kontrollieren, angegriffen hat und damit einen Unfall im AKW in Kauf nahm.

Die westlichen Medien, die erfahrungsgemäss allzu gern die offiziellen Angaben der ukrainischen Behörden und Nachrichtenagenturen verbreiten, melden in diesem Zusammenhang allerdings meist nur rätselhafte Attacken, ohne dabei einen Schuldigen zu benennen.

Dass ein Nuklearkraftwerk in einem Gebiet liegt, wo Kriegshandlungen stattfinden, ist übrigens nicht ungewöhnlich. Aber dass ein AKW von einer der Konfliktparteien offenbar mit voller Absicht (durch schwere Artillerie) unter Beschuss genommen wird, ist in der Geschichte der Menschheit einmalig. Anders als Wahnsinn kann man diesen Umstand, bei dem ein Grossteil Europas einer atomaren Gefahr ausgesetzt wird, nicht bezeichnen.

Angesichts dessen wachsen die Sorgen in der Weltgemeinschaft. Vor allem werden dabei die Erinnerungen an Tschernobyl-Katastrophe wach, die vor mehr als 36 Jahren zum Tod von Tausenden Menschen geführt und ganze Landstriche unbewohnbar gemacht hatte.

IAEA-Mission soll die Situation verbessern

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hatte auch aufgrund der jüngsten Entwicklung rund um das Kernkraftwerk Saporoschje vor einem möglichen Nuklearunfall in der Anlage gewarnt. Der IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi hatte Anfang August erklärt, dass die Lage ’komplett ausser Kontrolle’ sei und dass ’jeder Grundsatz der nuklearen Sicherheit’ verletzt worden sei. Er rief Russland und die Ukraine dazu auf, Experten Zugang zum AKW zu ermöglichen, um es vor einer Katastrophe zu bewahren.

Moskau hatte sich in dieser Frage aber von Anfang an für eine Beteiligung der IAEA eingesetzt und drängte die Behörde nach den ersten Angriffen auf das Kraftwerk darauf, den Standort des Kraftwerks besuchen und sich ein klares Bild über den Zustand der Reaktoren und die Situation vor Ort zu machen.

Kiew hat der Mission der Atombehörde zwar ebenfalls zugestimmt, bereitete der Delegation zu Beginn der Reise zum Kernkraftwerk Ende August jedoch einige Schwierigkeiten. Unter anderem wurden die Experten am Kontrollpunkt im Gebiet Saporischschja am 31. August für mehrere Stunden aufgehalten, weil sie von ukrainischen Sicherheitsleuten nicht sofort durchgewunken wurden und stattdessen warten mussten. Darüber hinaus hat die ukrainische Armee etwa zur gleichen Zeit den Versuch unternommen, das AKW militärisch unter ihre Kontrolle zu bringen. Das Landungsunternehmen scheiterte offenbar relativ schnell, wie das russische Verteidigungsministerium behauptet.

Die IAEA-Delegation unter Leitung von Rafael Grossi war am gleichen Tag in der Energodar und kurz darauf schliesslich in der Atomanlage eingetroffen. Nach der Inspektion erklärte Grossi vor Ort, dass er alles gesehen habe, was er sehen wollte. Er konstatierte, dass Schäden durch mehrfachen Beschuss der Anlage enstanden seien, unklar bleibe aber, ob das AKW absichtlich oder zufällig angegriffen worden sei. Zudem wollte Grossi den Verursacher nicht beim Namen nennen.

Festzustellen, wer für die Angriffe verantwortlich ist, ist aber auch nicht die Aufgabe der internationalen Inspektoren. Es geht ihnen stattdessen darum, bestimmte technische Aspekte klarzustellen und ein Urteil über den Zustand der Anlage zu treffen, um die Sicherheitslage selbst einschätzen können.

Nach dem Besuch der ukrainischen Nuklearanlage hat Grossi ein teils positives Fazit gezogen, wie der Tagesspiegel berichtet. Trotz Schäden funktionierten wichtige Sicherheitselemente wie die Stromversorgung des Kraftwerks, sagte der Experte. Ihm zufolge klappt auch die Zusammenarbeit zwischen der russischen Seite und dem ukrainischen Personal auf professioneller Ebene einigermassen. Seine grösste Sorge aber bleibe, so Grossi, dass das Atomkraftwerk durch weiteren Beschuss schwer beschädigt werden könnte.

Laut dem Tagesspiegel erwartet der IAEA-Leiter eine genaue Analyse der Sicherheit des Kraftwerks durch die vor Ort verbliebenen Experten im Laufe dieser Woche. Dafür sollen zwei Mitarbeiter auch bis auf Weiteres vor Ort bleiben und dazu gibt es aktuell die Zustimmung der Ukraine und Russlands.

Die Ankunft der Delegation scheint zunächst eine erste Wirkung gehabt zu haben. Die russische Seite hatte am Donnerstag mitgeteilt, dass es in der Umgebung des Kraftwerks während des Aufenthalts der IAEA-Delegation keinen Beschuss gegeben habe. In den beiden darauffolgenden Tagen soll es aber wieder zu Angriffen gekommen sein. Ungeachtet einiger positiver Tendenzen bleibe die Lage vorerst realitv schwierig, heisst es.

Wie geht es weiter?

Solange der Frontverlauf sich nicht ändert und die Kampfhandlungen weiterhin nahe Energodar stattfinden, bleibt ein Sicherheitsrisiko für das AKW bestehen, unabhängig davon, wie erfolgreich die IAEA-Mission verlaufen wird.

Die russische Seite verweist darauf, dass durch Angriffe nicht nur die Gefahr einer Explosion, sondern auch die Gefahr einer Überhitzung des Kraftwerks erhöht wird. Falls nämlich die Reservedieselgeneratoren und mobile Pumpen in einer Notsituation ausfallen und sich die Kühlsysteme für den nuklearen Abfall anschliessend abschalten sollten, dann würde es zu einer Überhitzung der Reaktoren kommen und es drohten Strahlungslecks. Die Folgen wären katastrophal und kaum auszudenken.

Trotzdem sollte man nicht vergessen, dass ein modernes Atomkraftwerk über zahlreiche Schutzvorkehrungen verfügt, weshalb Experten einen Zwischenfall im AKW Saporischschja ungeachtet des bestehenden Sicherheitsproblems für unwahrscheinlich halten. Grund zur Beruhigung liefern auch die Strahlungswerte, die rund um die Anlage regelmässig gemessen werden. Nach offiziellen Angaben sollen bislang keine Überschreitungen festgestellt worden sein.

Quellen: https://www.washingtonpost.com/world/2022/03/04/ukraine-military-battlefield-nuclear-plant/

https://www.newsweek.com/russia-ammunition-equipment-nuclear-plant-1726725

https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-akw-saporischschja-beschuss-cherson-russland-101.html

https://www.handelsblatt.com/politik/international/ukraine-krieg-atombehoerde-warnt-lage-in-europas-groesster-atomanlage-komplett-ausser-kontrolle/28571550.html

https://de.rt.com/international/147696-russland-ukrainische-truppen-versuchen-kernkraftwerk/

https://de.rt.com/europa/147898-iaea-chef-physische-unversehrtheit-kernkraftwerks/

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Grafikquellen          :

Oben      —      Die IAEO-Unterstützungs- und Unterstützungsmission für Saporischschja (ISAMZ) trifft im Kernkraftwerk Saporischschja in der Ukraine ein und besteht aus Mitarbeitern der IAEO für nukleare Sicherheit, Gefahrenabwehr und Sicherheitsmaßnahmen.

Verfasser IAEO-Imagedatenbank      /     Datum    :  2. September 2022,
Quelle     :  Unterstützungs- und Unterstützungsmission der IAEO für Saporischschja (zap016)

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 2.0 Generic Lizenz.

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Unten     —     AEA Director-General Rafael Mariano Grossi, briefs the international press and media after his five days official visit to Ukraine with the IAEA Support and Assistance Mission (ISAMZ) at the Zaporizhzhya Nuclear Power Plant (ZNPP). Vienna International Airport, Vienna, Austria. 2 September 2022 Photo Credit: Dean Calma / IAEA IAEA Senior Staff: Rafael Mariano Grossi, IAEA Director-General Jacek Bylica, IAEA Chief of Cabinet Lydie Evrard, IAEA Deputy Director-General and Head of the Department of Nuclear Safety and Security Massimo Aparo, IAEA Deputy Director-General and Head of the Department of Safeguards Diego Candano Laris, Senior Advisor to the Director-General Florin Abazi, IAEA Senior Inspector Fredrik Dahl, IAEA Spokesperson, Office of Public Information and Communication

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Autarkie+Kriegskapitalismus

Erstellt von DL-Redaktion am 7. September 2022

Vom „Corona-Notstand“ in den „Energienotstand“ durch Schockpolitik

Quelle        :      Scharf   —   Links

Von      :     Iwan Nikolajew

  1. Prolog

Der Ukraine-Krieg ist das Ende der „Globalisierung“ und setzt eine globale Entglobalisierung auf die Tagesordnung. Statt „Globalisierung“ befürwortet das Kapital nun Autarkie. Die „nationale Sicherheit“ steht an erster Stelle und wird als „Sicherheit“ und „Freiheit“ vom Kapital ideologisiert. Auf diese Weise wird die bürgerliche Gesellschaft militarisiert und die Massen auf den Verzicht ausgerichtet.

  1. „Nationale Sicherheit“ statt „Globalisierung“

Das „globale Dorf“ ist abgebrannt. Auf den Trümmern des „globalen Dorfes“ baut das Kapital sein „nationales Dorf“, welches mit hohen Mauern umgeben ist. Statt offene Grenzen werden jetzt Grenzmauern gebaut und die Grenze mit seinem Grenzregime wird auf die gesamte bürgerliche Gesellschaft ausgedehnt. Nicht internationale Zusammenarbeit steht mehr im Vordergrund, sondern nationale Abgrenzung. Es geht nicht um internationale Zusammenarbeit, sondern um Ausschluß. Internationale Zusammenarbeit wird nun vom Kapital als „nationaler Verrat“ gebrandmarkt. Die „Nation“ steht an erster Stelle. Und die „Nation“ muß geschützt werden, vor den „inneren und äußeren Feinden“ der „Nation.“

Die „Nation“ wird derzeit nicht als „Nation“ angerufen, sondern als „Wir“ und „Uns“. Der bürgerliche Staat als relativ verselbständigte Agentur der bürgerlichen Klassenherrschaft versucht ideologisch sich mit den Interessen der unterworfenen Klassen als „Nation“ zu konstituieren, denn die Distanz bürgerlicher Staat-bürgerliche Gesellschaft, aber vor allem die antagonistische Klassenspaltung, soll mit dem „Wir“ und „Uns“ verwischt werden, indem eine fiktionale Einheit und Gleichheit in der „Nation“ geschaffen wird. Das „Wir“ und „Uns“ bezieht sich auf die „Nation“, wo ideologisch alle Klassenunterschiede wesentlich aufgelöst sind und sich nur noch abstrakte Bürger gegenüberstehen. Die „Nation“ ist eine Gemeinschaft, eine Volksgemeinschaft, eine formierte Gesellschaft, welche die antagonistischen Klassenverhältnisse nicht anerkennt und die proletarische Massenorganisierung inhaltlich negiert. Es gibt nur einen Willen und das ist der Wille der Bourgeoisie, welcher sich im bürgerlichen Staat verkörpert und spricht für das das „ganze unteilbare“ Volk. Das „Wir“ und „Uns“ des bürgerlichen Staates bezieht sich auf den Untertan und nicht auf den Bürger im Sinne von Citoyen. Im bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) findet diese Tendenz ihren materiellen Ausdruck.

Begonnen hat dies mit dem „Corona-Notstand“ und seinem: „Wir müssen uns schützen“. Mit diesem Propaganda-Satz des bürgerlichen Staates rief der bürgerliche Staat in Form des „Corona-Notstandsstaates“ zur Selbstisolierung auf, denn nur auf diesem Wege sollte es möglich sein, die Ausbreitung der SARS-Corona-Pandemie zu verhindern, verlangsamen oder zu kontrollieren. Die Selbstisolierung soll im Rahmen des „Corona-Notstandes“ erfolgen und liegt nicht in der Verantwortung der einzelnen Individuen und auch nicht in der Verantwortung der bürgerlichen Gesellschaft, sondern in der Verantwortung des bürgerlichen Staates in Notstandsform. Selbstisolierung ist kein Gebot, sondern ein Befehl und wer sich weigert, diesen Befehl zu folgen, wird vom bürgerlichen Staat dazu repressiv gezwungen. In der bürgerlichen Ideologie an der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse repräsentiert der bürgerliche Staat das Volk, bzw. den Gesamtwillen des Volkes, d.h. den Gesamtwillen der vereinzelten Individuen, denn soziale Klassen und ihre Organisationen kennt die bürgerliche Ideologie nur peripher und erkennt sie auch nur peripher an. Im Klassenkampf erkämpft die Arbeiterklasse gewisse Rechte, macht so Eroberungen im Kapitalismus, welche die kollektive und individuelle Reproduktion der Arbeiterklasse sichern, d.h. diese proletarischen Errungenschaften wurden der Bourgeoisie vom Proletariat aufgezwungen und die Bourgeoisie wird diese Eroberungen zerstören, wenn sie kann. Nur der Klassenkampf des Proletariats kann diese proletarischen Eroberungen im Kapitalismus garantieren und keine Verfassung. Zu den Eroberungen des Proletariats im Kapitalismus gehört auch die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates, denn nur diese Form ermöglicht den Ausbau und die Verteidigung der proletarischen Eroberungen im Kapitalismus. Für das Kapital ist die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates nicht notwendig, für die Arbeiterklasse schon, denn diese Form des bürgerlichen Staates ist die materielle Voraussetzung für ein höheres Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse. Wenn der bürgerliche Staat vermehrt von „Wir“ und „Uns“ spricht, spricht er sich gegen die proletarischen Massenorganisationen und gegen die proletarischen Eroberungen im Kapitalismus aus, denn dieses „Wir“ bezieht sich unmittelbar auf den bürgerlichen Staat selbst, bzw. auf die herrschende Klasse. Eine mehr oder minder gleichberechtigte Klassenzusammenarbeit mit dem Proletariat ist ausgeschlossen, deren Interessen werden nicht mehr berücksichtigt. Es werden nur noch die bürgerlichen Klasseninteressen berücksichtigt und die proletarischen Interessen höchstens geduldet, aber nicht als gleichwertig anerkannt. Das „Wir“ und „Uns“ bezieht sich auf den Notstandsstaat, ist ein Befehl und keine demokratische Entscheidung.

Das „Wir“ und „Uns“ steht für die Untertanen des Notstandsstaates und hat implizit „die anderen“ bzw. die „Fremden“ zum einfachen Gegensatz bzw. den „Feind.“ „Wir“, das sind die „Unseren,“ die Freunde, während die „anderen“ nichts Anderes als „Feinde“ sind. Das „Wir“ und „Uns“ ist eine Freund-Feind-Kennung und setzt das „Nicht-Wir“ bzw. das „Nicht-Uns“ voraus- den Anderen, bzw. den Fremden, der sich Begriff des „Feindes“ faßt. Das Kapital fordert eine „Freund/Feind-Kennung. Wer nicht im Gleichschritt des jeweiligen nationalen Gesamtkapitals marschiert, verläßt die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft, wird aus ihr ausgeschlossen und schließt sich selber aus, ist der „Feind“. Denn wer nicht für die gegenwärtige nationalliberale Politik der Autarkie ist, ist ein Feind. Nun erklärt das Kapital auch seinen neoliberalen, globalisierten Kapitalismus zum Feind. Auch der Kapitalist, der an dem neoliberalen Kapitalismus festhält, wird zum Feind. Erst Recht der Lohnarbeiter, welcher sich dem neoliberalen Kapitalismus unterworfen hatte, ihn akzeptiert hatte und sich weigert, mit dem neoliberalen Akkumulationsmodell zu brechen. Auch wer die „Werte“ des neoliberalen globalisierten Kapitalismus vertritt, ist der Feind des multipolaren-nationalliberalen Kapitalismus und bedroht die „nationale Sicherheit“. Nach dreiunddreißig Jahren neoliberalen Kapitalismus muß das Kapital harte Maßnahmen gegen die Arbeiterklasse umsetzten, um die Arbeiterklasse im Sinne des multipolaren-nationalliberalen Kapitalismus umzuerziehen und das heißt erst einmal konkret zum Verzicht zu zwingen. Die Aufgabe des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) ist es, die Arbeiterklasse zum Verzicht zu zwingen. Der Notstand, ob offen erklärt oder „übergesetzlich“ realisiert, wird gegen die Arbeiterklasse gerichtet. Wer der Deflationspolitik Widerstand entgegensetzt, wird als „Feind“ bekämpft.

Wer ein „Feind“ der Deflationspolitik ist, ist für das Kapital zugleich ein Staatsfeind und damit ein „innerer Feind,“ der mit dem „äußeren Feind“ (Rußland, China etc.) in Verbindung steht. Man muß nun keine revolutionären Absichten verfolgen, um ein „Staatsfeind“ für die Bourgeoisie zu werden, es reicht einfach aus, sich der Deflationspolitik zu widersetzten, aus reformistischen oder kleinbürgerlichen Absichten heraus. Jeder Widerstand gegen die qualitative Absenkung des gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse, auch aus unmittelbaren Gründen, ist nun für das Kapital ein Anschlag auf die „bürgerliche Ordnung“ und den bürgerlichen Staat, der diese „bürgerliche Ordnung“ garantiert. In der Verteidigung des gesellschaftlichen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse wird ein feindlicher, terroristischer Akt gesehen und die Gewerkschaften als proletarische Massenorganisation, als proletarische Verteidigungsorganisation, mutieren auf diese Weise zu terroristischen Organisationen, welche vom bürgerlichen Staat unter Kontrolle gebracht oder zerstört werden müssen. So wird in den Augen des bürgerlichen Notstandsstaates auch jedes Gewerkschaftsmitglied zum „potentiellen Terroristen“, aber auf alle Fälle zum „Feind“. Der „Feind“ ist das vom Blickwinkel des bürgerlichen Notstandsstaates aus gesehene „politisch unzuverlässige“ proletarisch-individuelle und/oder kollektive Subjekt, welches mindestens politisch indifferent ist und stellt somit ein potentielles Sicherheitsrisiko für das Kapital dar. Schon bei einem „Sicherheitsrisiko“ und damit bei der Wahrscheinlichkeit, erfolgt die Repression. Wer nicht eindeutig sich als Untertan der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft ausweist, ist ein potentielles „Sicherheitsrisiko“ und damit ein „Feind“. Der „Feind“ muß sich nicht eindeutig feindlich verhalten, es reicht ein angenommenes potentiell feindliches Verhalten, bzw. ein „Feind“ zeichnet sich dadurch aus, daß sein Verhalten im Voraus nicht hundertprozentig als „freundlich, friedlich“ bestimmt werden kann. Uneindeutigkeit ist schon ein potentielles Feindverhalten. Ein Rest von Unsicherheit bestimmt in letzter Instanz den „Feind“. Die Bourgeoisie bestimmt den Feind durch das Dogma: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“. Auch wer Neutralität wahren will, wird zum „Feind“, denn er stimmt nicht mit der Politik der Bourgeoisie hundertprozentig überein, identifiziert sich nicht mit der Politik der herrschenden Klasse und wird deshalb mit Repression überzogen. Für den bürgerlichen Klassenstaat in Notstandsform beginnt der „Feind“ nicht bei dem „Terroristen“, sondern schon weitvorher, es reicht schon aus als „Sicherheitsrisiko“ vom bürgerlichen Staat kategorisiert zu werden. Ordnet man sich bewußt nicht dem kollektiven und/oder individuellen Kapitalkommando unter, verweigert man den Gehorsam und ruft gar zum Widerstand auf, wird dies von der herrschenden Klasse als „Terrorismus“ gewertet. Offener Widerstand gegen Deflationspolitik und Notstand wird von der Bourgeoisie als „Terrorismus“ angesehen und betrifft Individuum und/oder Organisation. Schnell können aus einfachen Gewerkschaftsmitgliedern „Terroristen“ werden und aus der Gewerkschaft eine „terroristische“ Vereinigung, dann, wenn sich offen die Gewerkschaft gegen eine Deflationspolitik positioniert. Nur mit offenem Widerstand läßt sich eine Deflationspolitik stürzen und dies soll über einen Notstandsstaat verhindert werden. Auch der Notstandssaat kann nur über einen massenhaften offenen Widerstand des Proletariats gleichzeitig mit der Deflationspolitik überwunden werden.

Um die „nationale Sicherheit“, die „innere und äußere Sicherheit des Staates“ gegen die „inneren Feinde“ und „äußeren Feinde“ zu verteidigen, muß in letzter Konsequenz ein enges Netz der Überwachung über die gegenwärtige bürgerliche Gesellschaft gelegt werden. Der Überwachungsstaat und die Überwachungsgesellschaft sind real. Diese Überwachungsprozesse produzieren für jedes einzelne proletarische Individuum eine „Sicherheitsüberprüfung“ vor der (offiziellen) Sicherheitsüberprüfung. Eine inoffizielle und eine offizielle Sicherheitsüberprüfung vor Einstellung und permanent bei Einstellung in ein Ausbeutungsverhältnis in gewissen Abständen sind möglich. Es drohen Versetzungen, Entlassungen und gar Berufsverbot. Diese Schwarzen Listen werden gemeinsam vom individuellen und kollektiven Kapitalkommando erstellt. Schon jetzt existiert ein dezentrales Sozialkreditprogramm und reicht für die Durchleuchtung von Neueinstellungen aus, kann aber noch ausgebaut werden, wenn die Belange der „Staatssicherheit“ mehr berücksichtigt werden sollen. Vor allem müssen diese dezentralen Sozialkreditprogramme zentralisiert und auch auf die permanente Überwachung der aktiven Arbeiterarmee und der industriellen Reservearmee unter besonderer Einbeziehung der Staatssicherheit ausgerichtet werden. Im multipolaren Akkumulationsmodell ist das Verhältnis von Betriebs- und Geschäftsgeheimnis sowie Staatsgeheimnis sehr eng aufeinander bezogen. Hinter dem Betriebs-und Geschäftsgeheimnis verschanzt sich das individuelle Kapitalkommando, hinter dem Staatsgeheimnis verschanzt sich das kollektive Kapitalkommando. Diese beiden Kommandohöhen koordinieren sich jetzt stärker, um sich gegenseitig vor der Arbeiterklasse zu schützen. Damit ist dann ein Angriff auf das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis gleichzeitig auch ein Angriff auf das Staatsgeheimnis und umgekehrt. Wer das individuelle Kapitalkommando in Frage stellt, stellt damit automatisch auch das kollektive Kapitalkommando in Frage und umgekehrt. Die aktive Arbeiterarmee muß zweifach ihre „Loyalität“ zum Kapitalismus beweisen, einmal gegenüber dem individuellen Kapitalkommando und einmal gegenüber dem kollektiven Kapitalkommando. Ein einmaliger Loyalitätsbeweis reicht nicht aus. Über die Staatssicherheitsdispositive wird die doppelte Loyalität des Lohnarbeiters ermittelt und diese entscheiden darüber, welche Position in der feingegliederten Ausbeutungshierarchie ein Lohnarbeiter einnimmt, bzw. ob ein Lohnarbeiter von der aktiven Arbeiterarmee in die industrielle Reservearmee entlassen wird. Wen es an der doppelten Loyalität gegenüber der herrschenden Klasse fehlt, kann die die industrielle Reservearmee nur schwer verlassen und findet sich in der aktiven Arbeiterarmee in einer prekären Position wieder. Loyalität heißt Unterwerfung und wird permanent vom individuellen oder kollektiven Kapitalkommando überprüft. Wer illoyal ist, wird aus den Betrieben gesäubert, mit Unterstützung der Gewerkschaftsbürokratie oder auch gegen sie. Für die Unterdrückungsapparate des bürgerlichen Staates ist die Verweigerung und der Widerstand gegen eine Deflationspolitik, bzw. einer qualitativen Absenkung des gesellschaftlichen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse, ein feindlicher Akt, wenn nicht gar ein terroristischer Akt und wird mit einer präventiven Repression belegt, um schon im Ansatz den Widerstand zu brechen, bevor er sich ausdehnt. Grundlage dieser Repression ist die Rasterfahndung. Auf diese Weise sollen proletarische Widerstandkerne enttarnt werden, welche sich der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse widersetzen könnten.

Wer vom autoritären Konsens der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft abweicht, muß schon bei kleinen Abweichungen sofort mit repressiven Maßnahmen rechnen. Die Toleranzbreite des bürgerlichen Staates bezüglich proletarischer Abweichungen ist deutlich abgesunken. Es findet eine innere Militarisierung der bürgerlichen Gesellschaft statt; Befehl und Gehorsam werden wieder stärker betont, während die Bedeutung einer von außen gesteuerten Optimierung der Ware Arbeitskraft zunimmt und die Selbstoptimierung der Ware Arbeitskraft abnimmt. Die Grenze zwischen Freund und Feind ist scharf gezogen. Wer nicht Freund ist, ist „Feind“. Es ist eine Zeit der Grenzziehungen und des Bruchs. Der „innere Feind,“ die widerständige Teile der Arbeiterklasse, steht vom Blickwinkel des Kapitals objektiv mit dem äußeren „Feind“ -Rußland, China-in Verbindung und schwächt die Position des deutschen Kapitals auf dem Weltmarkt. Nur durch den Verzicht der Arbeiterklasse, durch die Absenkung des gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse, soll der Weltmarktanteil des deutschen Kapitals verteidigt werden. Eine Ablehnung dieser Verzichtspolitik ist für das deutsche Kapital eine Kriegserklärung. Wer sich dem Verzicht verweigert, verweigert sich der „nationalen Sicherheit“, gefährdet die „Staatssicherheit“ und ist somit ein „innerer Feind“ und damit objektiv eine Agentur des „äußeren Feindes“.

Die Arbeiterklasse verzichtet nicht. Das Proletariat kämpft um eine höhere gesellschaftlich-notwendige Reproduktion und lehnt Verzicht ab. Es geht um Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums vom Kapital zur Arbeit und damit auch um die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel. Somit wird die Arbeiterklasse für das Kapital zur „gefährlichen Klasse“. Klassenkampf ist Alltag im Kapitalismus. Die schärfste Waffe des Proletariats ist die Organisation, Selbstorganisierung der Massen gegen die Minderheit der Produktionsmittelbesitzer. Proletarische Organisation ist Solidarität, auch internationale Solidarität, denn die Selbstorganisierung des Proletariats hört nicht an den nationalen Grenzen auf. Proletarier aller Länder vereinigt Euch! Es kann die Arbeiterklasse nur im internationalen Maßstab siegen, Sozialismus in einem Land ist nicht möglich. Eine nur nationale Organisierung der Arbeiterklasse gegen das Kapital muß scheitern. Für die Arbeiterklasse ist die „Nation“ ein Gefängnis und deshalb bleibt die Arbeiterklasse in ihrem Klassenkampf nicht bei der „Nation“ stehen, sondern greift über diese hinaus. Die „Nation“ ist die „Nation“ des Klassenfeindes und wird international vom Proletariat bekämpft. Eben deshalb ist die Arbeiterklasse für das Kapital eine beständige Quelle „nationaler Bedrohung“. Will die Arbeiterklasse die Verzichtspolitik des Kapitals brechen, muß sie ihren Kampf international führen und damit gegen die „Nation“ und bedroht damit objektiv die „nationale Sicherheit“, während sich das Kapital in diesen schweren Krisenzeiten, wie in jeder Krisenzeit, sich hinter der „nationalen Sicherheit“ verschanzt. Die Arbeiterklasse negiert in ihrem Klassenkampf die „nationale Sicherheit, muß die „nationale Sicherheit“ des Kapitals bedrohen, wenn das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse gesichert bzw. ausgebaut werden soll. Das historische Klasseninteresse der Arbeiterklasse ist international, während das historische Klasseninteresse des Kapitals im nationalen Rahmen realisiert wird. Insofern ist für das Kapital die Arbeiterklasse gleichzeitig der „innere Feind“ und der „äußere Feind“, zugleich, steht der „innere Feind“ immer mit dem Ausland in Verbindung und das heißt objektiv und automatisch für die Bourgeoisie auch, daß die Arbeiterklasse mit der Weltmarktkonkurrenz in Verbindung steht. Jedes internationale Verhältnis der Arbeiterklasse ist für das Kapital eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“, vor allem in Krisenzeiten. Der nationale Sicherheitsstaat des Kapitals versucht deshalb die Arbeiterklasse in die „Nation“ einzuschließen. Nicht nur die Staatgrenzen werden enger bewacht und kontrolliert.

Es gilt die einzelnen Lohnarbeiter, welche potentiell die „nationale Sicherheit“ des Kapitals bedrohen, zu identifizieren, um sie dann gezielt den Repressionsapparaten zuzuführen. In der Identifizierung wird die bürgerliche Identität konstruiert und der Arbeiterklasse aufgezwungen. Die bürgerliche Identität für die Arbeiterklasse ist es, Ausbeutungsmasse, Objekt, statt Subjekt zu sein, Ware Arbeitskraft zu sein. Versucht die Arbeiterklasse aus dieser bürgerlichen Identität auszubrechen und ihre eigene Identität in der Nichtidentität einzunehmen, sich als bewußte Klasse zu organisieren, stellt sie eine Bedrohung für die „nationale Sicherheit“ des Kapitals dar. Hingegen ist die proletarische Identität die alltägliche Revolte gegen den kapitalistischen Ausbeutungsprozeß und ist Nicht-Identität zum Warencharakter der Ware Arbeitskraft. Erst durch die Negation der Identität der Ware Arbeitskraft als Ware Arbeitskraft entsteht die proletarische Identität, erst der Klassenkampf erschafft die proletarische Identität.

Das Kapital versucht die Entwicklung von der bürgerlichen Identität der Ware Arbeitskraft zur proletarischen Identität der Negation der Lohnarbeit zu sperren, versucht die Arbeiterklasse in die Identität der Ware Arbeitskraft mit sich selbst einzusperren. Die proletarische Identität der Revolte gegen die kapitalistische Lohnarbeit tendiert zur proletarischen Einheitsfront, zur Aufhebung der verschiedenen Spaltungen, während die bürgerliche Identität der Lohnarbeit mit sich selbst zur Vertiefung der Spaltungen tendiert. Aus diesem Grunde präferiert das Kapital eine bürgerliche Identitätspolitik. Es steht im Klassenkampf bürgerliche Identitätspolitik gegen proletarische Identitätspolitik, wobei nur die proletarische Identität als Nichtidentität in der Identität, als Identität in der Nicht-Identität, die bürgerliche Identität transzendiert und sich im proletarischen Klassenkampf ausspricht. Erst durch den Klassenkampf entwickelt sich diese proletarische Identität.

Dummheit, oh Dummheit ist unser Vergnügen und unsere Lust

Die gegenwärtige Identitätspolitik ist eine bürgerliche Identitätspolitik gegen die Arbeiterklasse und stellt eine Waffe gegen die Arbeiterklasse dar. Diese bürgerliche Identitätspolitik zielt auf Spaltungen ab und baut Grenzen auf, keine Abgrenzungen um über diese zur einer höheren Einheit zu gelangen, positive Abgrenzungen, sondern bezieht sich nur auf negative Abgrenzungen, welche eine Einheit auf höherer Stufenleiter verhindern. Eine gemeinsame proletarische direkte Aktion soll ausgeschlossen werden. Es wird das Besondere aus der Totalität abstrakt isoliert, gegenüber der Totalität verabsolutiert und dieser Totalität abstrakt entgegengesetzt. Die bürgerliche Identitätspolitik fixiert ihre Grenzen starr und versucht vergeblich, die notwendige Bewegung zum Überschreiten der Grenzen einzudämmen. In der bürgerlichen Identitätspolitik prallt Identität auf Identität nach dem Prinzip des „Teile und herrsche“ aufeinander. Nur das Besondere zählt und das Allgemeine, das Allgemein-Verbindende, wird in der bürgerlichen Identitätspolitik negiert. Die bürgerliche Identitätspolitik kann nur durch die Betonung der allgemeinen Vermittlung der allgemeinen Klasseninteressen des Proletariats aufgebrochen werden. Die besonderen Lohnarbeiter sind nicht nur besondere Lohnarbeiter, sondern auch eben gerade allgemeine Lohnarbeiter und haben allgemeine Interessen und diese allgemeinen Klasseninteressen determinieren auch ihre konkreten Besonderheiten. Die bürgerliche Identitätspolitik führt zur Atomisierung der Lohnarbeiterklasse, während die proletarische Identitätspolitik zur proletarischen Gegenmacht führt. Damit kann die bürgerliche Identitätspolitik auch im bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) gegen die Arbeiterklasse funktionalisiert werden, denn das Ziel des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) ist die Desorganisation der Arbeiterklasse über die Atomisierung der Arbeiterklasse. Die Aufspaltung der widersprüchlichen Einheit der Lohnarbeiterklasse durch die Identitätspolitik ist die materielle Basis für die Organisierung dieser gesellschaftlichen Atome durch den bürgerlichen Staat in Form des Notstandsstaates. Diese neue innere Einheit der Lohnarbeiterklasse wird dann durch die Intervention des bürgerlichen Staates in die Lohnarbeiterklasse sichergestellt und zwar im Sinne der Ausbeutung, d.h. im Sinne der „Nation“. Die „Nation“ ist dann die innere Einheit der atomisierten Lohnarbeiterklasse. In der „Nation“ findet die bürgerliche Identitätspolitik ihren Abschluß und die „Nation“ ist der Oberflächenausdruck des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus). Die Massen werden durch den Notstandsstaat als „Nation“ organisiert und die „Nation“ bekommt ihre gesellschaftliche Form in der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft, deren wesentliches Moment die „nationale Sicherheit“ ist und damit um die „Freund/Feind-Kennung“ organisiert wird. In der Ideologie des Notstandsstaates schützt der Notstandsstaat in der Form der „Nation“ alle (bürgerlichen) Identitäten, alle Minderheiten kommen zu ihrem Recht und im Gegenzug müssen alle „Identitäten“, alle Minderheiten, die „Nation“, d.h. den Notstandsstaat, vor den äußeren und inneren Feinden schützten. In dem Kürzel: „Wir schützten uns alle“ spricht sich diese autoritäre Formierung der bürgerlichen Gesellschaft und des bürgerlichen Staates aus. Wer den Notstandsstaat nicht mit „schützt“, ist ein „Feind“. Die Forderung des bürgerlichen Staates in Notstandsform ist alternativlos und heißt: „Freund oder Feind“. Dazwischen gibt es nichts. Wer nicht für den Notstandsstaat ist, ist nicht nur gegen diesen, sondern vor allem „gegen uns“, d.h. gegen die formierte Gesellschaft-Volksgemeinschaft.

Der Feind muß dann bis zur bedingungslosen Kapitulation oder Vernichtung bekämpft werden, dies schließt die physische Vernichtung mit ein. Denn ein „Feind“ kann es nur im Krieg geben und im Krieg gibt es nur (bedingungslose) Kapitulation oder physische Vernichtung. Erst mit dem Kriegsende ist der Krieg beendet und damit die Feindschaft. Kriegsende heißt erst Waffenstillstand, dann Frieden. Im Frieden gibt es keinen „Feind“ mehr, da setzt die zivile Logik der bürgerlichen Gesellschaft wieder ein. Abweichungen sind dann wieder erlaubt, sie werden nicht mehr als Feindschaft kategorisiert. Bis zum nächsten Krieg. Im Krieg bzw. mit dem Krieg, werden gesellschaftliche Abweichungen gewaltsam bis hin zur physischen Vernichtung des „Abweichlers“ geführt, nach innen und nach außen. Im Krieg, ob nach innen oder außen, Krieg oder Bürgerkrieg, regiert der bürgerliche Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus), der zivile bürgerliche Staat ist dem Notstandsstaat subsumiert, d.h. die bürgerlich-demokratische Form des bürgerlichen Staates ist beseitigt, damit auch die Gewaltenteilung und die Eroberungen der Arbeiterklasse im Kapitalismus. Im Krieg gibt es nur Front und Heimatfront und die innere und äußere Militarisierung der bürgerlichen Gesellschaft; die Bourgeoise herrscht vor allem über die repressiven Staatsapparate des bürgerlichen Staates über die Arbeiterklasse. Das Kapital organisiert sich als Kriegswirtschaft, die Arbeiterklasse wird in der Produktionssphäre zur Armee der Arbeit, zu Soldaten an der Heimatfront/Produktionsfront entrechtet und degradiert. Mit dem Kriegszustand bzw. Ernstfall wird jedes vom Proletariat kollektiv gegen das Kapital erkämpftes Recht negiert. Der Krieg ist für die Bourgeoisie die Massenlegitimation für den Ausnahmezustand. Im Kriegsfall zeigt sich die ganze Macht der herrschenden Klasse, wie leicht und schnell die Entscheidung über den Ausnahmezustand fällt. Das alte Diktum von Carl Schmitt gilt immer noch. Nur wer über den Ausnahmezustand entscheidet ist souverän. Souverän ist der, wer nur nach der Staatsräson handelt und die Staatsräson materialisiert sich im Ausnahmezustand und der Krieg ist eine Form des Ausnahmezustandes, die höchste Form des Ausnahmezustandes, welche sich im Kriegsrecht/Standrecht findet. Dort ist der „Feind“ absolut und hier bleibt nur (bedingungslose) Kapitulation oder physische Vernichtung. Über den Weg einer Strategie der Spannung kann der Weg in den Ausnahmezustand und auch der Weg in den imperialistischen Krieg beschritten werden.

Dieses „Freund/Feind-Schema“ wurde vor dem Ukraine-Krieg implantiert. Die „Freund-Feind“ Kennung ist ein Produkt der „Corona-Krise“ Mit der „Corona-Krise“ verbreitete sich langsam das „Freund/Feind“ Schema, so daß dieses „Freund-Feind Schema“ vor dem Beginn der Ukraine-Krise schon längst die Politik der herrschenden Klasse prägte und nur auf ein neues Objekt, dem Ukraine-Krieg, fixiert wurde.

Das Kapital übernimmt das „Freund-Feind“- Schema, wenn es sich bedroht sieht, wenn die „nationale Sicherheit“ bedroht wird, d.h. wenn die Akkumulation von Kapital gefährdet wird. Auf der konkreten Ebene schlägt sich diese Entwicklung seit Beginn des 21. Jahrhunderts nieder. Der Zusammenbruch der Börsen im Jahr 2000, als Resultat einer krisenhaften Entwicklung der Akkumulation, erforderte eine Neuformation des US-Imperialismus und der transatlantischen Metropolen. Der Zusammenbruch der „Internet-Spekulation“ wurde durch die Immobilienspekulation kompensiert. Um die Immobilienspekulation zu stabilisieren, mußte die US-Akkumulation stabilisiert werden, d.h. die hohe staatliche und private Verschuldung des US-Imperialismus mußte mit Wert unterfüttert werden. Da der US-Imperialismus in der ökonomischen Weltmarktkonkurrenz zurückgefallen war, seine Mehrwertproduktion nach China ausgelagert hatte, griff er auf die Formen der politischen Weltmarktkonkurrenz zurück. Das Projekt „Syriana“ war darauf ausgerichtet, über die Kontrolle der strategischen Rohstoffe, unter anderem Öl und Gas, deren größte Vorkommen im Mittleren Osten und in Zentralasien liegen, das fiktive US-Kapital mit Wert zu unterfüttern. Dieses materielle Verhältnis faßt sich US-Dollar zusammen. Seit dem Ende von Bretton Woods 1971 ist der US-Dollar an das Öl gebunden und fungiert als Weltgeld. Dies eröffnet dem US-Kapital eine Verschuldung in eigener Währung. Je fester die Kontrolle über das Öl und das Gas, desto stabiler der US-Dollar, desto mehr Wert unterfüttert das fiktive Kapital, desto stabiler ist die Immobilienspekulation und damit die Akkumulation. Diese Politik wurde dann ab dem 11. September 2001 realisiert. Die vom US-Imperialismus inszenierten Großterroranschläge am 11. September 2001 waren der Startschuß für die „Operation Syriana“. Es folgte der Kolonialkrieg gegen Afghanistan und dann gegen den Irak. Vor allem der Irak-Krieg sollte nur das Prolog zum Iran-Krieg werden, der Iran war das zentrale Ziel der „Operation Syriana“. Es darf nicht vergessen werden, daß die „Operation Syriana“, die Kontrolle der strategischen Rohstoffe Öl und Gas zur Stabilisierung der US-Dollar als Weltgeld, wesentlich ein Konflikt innerhalb der imperialistischen Kette ist. Bei einem Gelingen der „Operation Syriana“ würde der Wiederaufstieg des russischen Imperialismus blockiert, ebenso auch die Entwicklung des chinesischen Kapitalismus. Die US- und NATO-Kolonialkriege richteten sich militärisch gegen die halbkolonialen Länder der Peripherie, politisch aber gegen den russischen Imperialismus und China. Am deutlichsten ist dies zu sehen im „Georgien-Krieg“ im Sommer 2008. Der mit Rußland verbündete nicht-anerkannte Staat Südossetien wurde von Georgien angegriffen. Als verbündete Hauptmacht trat Rußland in den Krieg ein und besiegelte damit die Niederlage Georgiens. Georgien hoffte auf NATO-Beistand, denn dieser Krieg wurde verdeckt im Interesse des US-Imperialismus und seines NATO-Paktes geführt. Doch es gab für Georgien keine Hilfe und Georgien verlor diesen Krieg. Dieser Georgien-Krieg war nur ein Testfall für den US-Imperialismus. Mit dem Georgien-Krieg sollte die Reaktion des russischen Imperialismus, politisch, militärisch und ökonomisch einem Test unterzogen werden, denn der US-Imperialismus beabsichtigte zusammen mit Israel den Iran anzugreifen, auch unter Einbeziehung der Kaukasus-Staaten Georgien und Aserbeidschan. Die Niederlage von Georgien in diesem Krieg verhinderte den Angriffskrieg des US-Imperialismus und Israels gegen den Iran. Und ohne einen siegreichen Krieg gegen den Iran konnte der Irak-Krieg nicht für den US-Imperialismus gewonnen werden und damit scheiterte die „Operation Syriana“ und mit dem Scheitern der „Operation Syriana“ scheiterte auch die Unterfütterung des US-Kapitals mit Wert, scheiterte die Stabilisierung der Immobilienspekulation. Nur drei Wochen nach dem Scheitern des Georgien-Krieges wurde die latente Krise der Immobilienspekulation virulent und Mitte September 2008 brach dann die Wall Street zusammen. Der Fluchtversuch des US-Imperialismus nach vorn im Jahr 2001 war eine Flucht in die Sackgasse. Der Zusammenbruch der Wall Street im Jahr 2008 war und ist der qualitative Bruch im neoliberalen Akkumulationsmodell. Seit den Jahren 2007/2008 ist der Kapitalismus in neoliberaler Form in einer historischen Krise. Der Zusammenbruch der Wall Street im September 2008 machte die Verwertungskrise des Kapitals öffentlich. Mühsam und prekär konnte das Kapital die Akkumulationsrate im neoliberalen Akkumulationsmodell stabilisieren, aber die Dynamik der Akkumulation war gebrochen. Es setzte eine mehr oder minder stagnative Akkumulation ein und damit ein langsames Abgleiten in eine negative Akkumulationsdynamik.

Nachdem der US-Imperialismus und die transatlantischen Metropolen sich mühsam stabilisiert hatten, kehrte alles wieder auf seinen alten Weg, den Weg seit 2001, zurück und die Politik des US-Imperialismus radikalisierte sich. Der „arabische Frühling“ war nicht zu verhindern, so setzte sich der US-Imperialismus an die Spitze dieser Bewegung und begann den „arabischen Frühling“ für seine eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Nun sollte unter dem Deckmantel des „arabischen Frühling“ die „Operation Syriana“ weiterverfolgt werden. Die politische Stoßrichtung, gegen Rußland und China wurde beibehalten und die US-Kolonialkriege wurden radikalisiert und ausgeweitet. Weitere Kolonialkriege wurden geführt, Libyen, Jemen, Syrien. Wieder scheiterte die „Operation Syriana“. Es gelang dem US-Imperialismus nicht, sich durchzusetzen. Wie schon in der ersten Phase der „Operation Syriana“, gab es von Seiten Rußlands und Chinas Unterstützung für die Staaten der Peripherie, welche vom US-Imperialismus angegriffen wurden. Nun ging der US-Imperialismus noch einen Schritt weiter. Da Rußland mit seiner Militärintervention in Syrien ein Regime-Change verhinderte, setzte der US-Imperialismus zum Gegenangriff an und begann in der Ukraine einen Regime-Change zu organisieren. Der Mittlere Osten und die Ukraine haben eine enge Verbindung. Auf der ukrainischen Krim war ein Teil der russischen Schwarzmeerflotte stationiert, welche auch für das östliche Mittelmeer und damit für Syrien zuständig war. Nur über die Schwarzmeerflotte kann die russische Intervention in Syrien realisiert werden. Über einen Regime-Change sollte eine transatlantisch orientierte Regierung an die Macht kommen, welche dann die Pachtabkommen der russischen Militär- und Marinestützpunkte schlichtweg negiert. Es kam zu dem Maidan-Massenputsch. In letzter Instanz scheiterte der NATO-Maidan-Putsch, denn mit Einverständnis Rußlands spaltete sich die Krim ab und wurde in den russischen Staat aufgenommen. Gleichzeitig begann nach dem Odessa-Massaker am 2. Mai 2014 und dem Mariupol-Massaker am 9. Mai 2014 der Bürgerkrieg im Donbass, der mit Hilfe des russischen Imperialismus zur Abspaltung großer Gebiete des Donbass führte.

Weder im Mittleren Osten, noch in der Ukraine, hatte der US-Imperialismus seine Ziele erreicht, aber die Welt an den Abgrund eines Dritten Weltkrieges gebracht. Eine neue qualitative Stufe in der imperialistischen Auseinandersetzung wurde erreicht. Der indirekte imperialistische Krieg der imperialistischen Metropolen untereinander, der „Krieg gegen den Terror“, der Kolonialkrieg, verlor an Bedeutung und nun begann langsam eine unmittelbare Auseinandersetzung der Metropolen der imperialistischen Kette untereinander. Von nun zielte der US-Imperialismus auf eine direkte Intervention vermittels Regime-Change in den zentralen Einflußbereich des russischen Imperialismus. Die Ukraine wurde hochgerüstet und zu einer NATO-Armee umfunktioniert. Das Ziel war es, die Ukraine zu einem Gegenrußland zu machen. Dies schließt auch eine Bedrohung Rußlands über in der Ukraine stationierte Atomwaffen mit ein. Wer Kiew hat, kann Moskau zwingen. Die Ukraine ist ein zentrales Moment in der geopolitischen Auseinandersetzung innerhalb der imperialistischen Kette.

Im Herbst 2019 begann ein neuer Krisenschub der Großen Krise. Die Akkumulationsraten sanken und der Repromarkt brach deutlich ein. Das ganze Jahr 2019 war weltweit durch Revolten geprägt. Die relative Stabilisierung der Akkumulation über eine expansive Geldpolitik neigte sich ihrem Ende zu. Damit drohte eine Verschärfung der imperialistischen Konkurrenz, nicht nur auf der ökonomischen, sondern auch auf der politischen Ebene und somit nahm auch das Konfliktniveau innerhalb der imperialistischen Kette nochmals bedrohlich zu. Diese Notwendigkeit eines qualitativen historischen Bruchs lag schon seit Herbst 2019 in der Luft. Die internationalen proletarischen und kleinbürgerlichen Revolten des Jahres 2019 kündigten das Ende der neoliberalen Akkumulationsweise an.k Der Niedergang des neoliberalen Weltmarktes und der Aufstieg des multipolaren Weltmarktes waren nicht mehr aufzuhalten. Die historische Mission und Funktion des neoliberalen Akkumulationsmodells für die Akkumulation von Kapital hatte sich nun gänzlich erschöpft.

Der historische qualitative Bruch in den multipolaren Weltmarkt setzte offen mit der „Corona-Krise“ ab Februar/März 2020 ein. Die „Corona-Krise“ war auch eine naturwüchsige Antwort des Kapitalismus auf die internationalen proletarischen Revolten des Jahres 2019. Mit dem „Corona-Notstand“ wurden diese internationalen proletarischen und kleinbürgerlichen Revolten niedergeschlagen. Die „Corona-Krise“ des Jahres 2020 markiert präzise das Ende der proletarischen Offensive des Jahres 2019 und ist der Beginn der Offensive des Kapitals, eine Offensive, welche sich in der Ukraine-Krise erst voll entwickelt. Der „Corona-Notstand“ ist die naturwüchsige Antwort des Kapitals auf die proletarischen und kleinbürgerlichen Revolten des Jahres 2020 und der „Ukraine-Notstand ist die Fortsetzung des „Corona-Notstandes“ auf höherer Stufenleiter und mit anderen Mitteln. In der „Corona-Krise“ konzentrieren sich die Entwertungstendenzen des Kapitals und auch die neuen Kräfteverhältnisse, die sich in der Phase der Agonie des neoliberalen Weltmarktes in den Jahren 2008-2020 herausgebildet haben. In diesen Jahren veränderten sich die Kräfteverhältnisse innerhalb der imperialistischen Kette und im Kapitalismus insgesamt. Es gelang dem russischen Imperialismus sein Wiederaufstieg und China wurde das mächtigste Land der Peripherie und gleichzeitig zur Weltfabrik, denn in China konzentrierte sich die Mehrwertproduktion, denn diese wurde von den Metropolen in die Peripherie nach China ausgelagert. In den Jahren von 2009 bis 2020 war China der zentrale Pfeiler der Akkumulation. Der neoliberale Weltmarkt, der vom US-Imperialismus garantiert wird, wurde für die Akkumulation des russischen und chinesischen Kapitals zur Fessel. Das neue Kräfteverhältnis der Akkumulation erzwingt objektiv die Notwendigkeit, den Weltmarkt, die imperialistische Kette, neu auszurichten. Jedoch wird dies vom US-Imperialismus und seinen transatlantischen verbündeten Metropolen verweigert. Der niedergehende neoliberale Weltmarkt, gestützt auf den geschwächten US-Imperialismus, wird nicht freiwillig und friedlich dem multipolaren Weltmarkt, gestützt auf den russischen Imperialismus, China und Indien, Platz machen. Ein Dritter Weltkrieg ist notwendig bzw. eine Kette imperialistischer Kriege, um die Machfrage zwischen dem neoliberalen und dem multipolaren Weltmarkt zu entscheiden. Auf jeden Fall hat der US-Imperialismus seine Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette in den Jahren von 2009 bis 2020 verloren, denn sonst wäre die Eskalation der imperialistischen Widersprüche ab der „Corona-Krise“ nicht möglich. Der US-Imperialismus hat seine Hegemonie verloren, versucht aber, sie wieder zu erlangen und trifft dabei auf den Widerstand des russischen Imperialismus und China.

Die „Corona-Krise“ bezeichnet konkret das Ende der US-Hegemonie und den Beginn des offenen Kampfes um die vakante Position des Hegemons innerhalb der imperialistischen Kette, ebenso spricht sich in der „Corona-Krise“ auch der Untergang des neoliberalen Weltmarktes und der Aufgang des multipolaren Weltmarktes aus. Mit der „Corona-Krise“ ging und geht offen die globale De-Globalisierung einher. Ab dem Februar/März 2020 zerbrachen die internationalisierten Lieferketten des Kapitals, da die kapitalistischen Staaten weltweit die Grenzen schlossen. Ebenso weltweit wurde der Notstand durch die verschiedenen Staaten realisiert, d.h. die kapitalistischen Staaten gingen gegeneinander in den Wirtschaftskrieg. Alle gegen alle, jeder gegen jeden. Die Ausbreitung des SARS-Corona-Virus wurde sofort zur Pandemie erklärt. Statt international eine Politik gegen die Ausbreitung des SARS-Corona-Virus organisieren, gingen die kapitalistischen Staaten in den nationalen Kriegszustand über. Damit konnte sich das SARS-Corona-Virus weiter ausbreiten. Schon vor dem Ausbruch der SARS-Corona-Pandemie waren die Tendenzen der De-Globalisierung auf dem Vormarsch, der neoliberale Weltmarkt schon von Wirtschaftskriegen durchzogen und paralysiert. Vor allem der Wirtschaftskrieg des US-Imperialismus gegen China seit 2017 brachte den neoliberalen Weltmarkt zum Zusammenbruch. Die SARS-Corona-Pandemie machte nur den Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes öffentlich, schuf aber nicht den Zusammenbruch selbst. Erst der Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes in den Jahren 2009 bis 2020 schuf die materiellen Voraussetzungen für die Entstehung und Ausbreitung des SARS-Corona-Virus, wie auch für seine Gefährlichkeit. Die „Corona-Krise“ hebt die schon vorhandenen Krisentendenzen auf ein höheres Niveau. Aber die Eskalation der immanenten kapitalistischen Widersprüche hört mit der „Corona-Krise“ nicht auf. Die „Corona-Krise“ legt den Grundstein für den offenen und totalen Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes in der „Ukraine-Krise“. Somit ist die „Ukraine-Krise“ ist nur die Fortsetzung der „Corona-Krise“ bzw. die Große Krise als durchschnittliche Bewegung des Kapitals im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate verdoppelt sich nun auf der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse als „Corona-Krise“ und „Ukraine-Krise“. Die „Corona-Krise“ ist nur der Auslöser für eine neue Phase der Entwertung des Kapitals, nicht aber der Grund. Ausgelöst wird die „Corona-Krise“ durch die Freisetzung biochemischer Stoffe aus einem Hochsicherheitslabor, welches zum militärisch-industriellen Komplex gehört. Offen ist derzeit, welches Hochsicherheitslabor es ist und ob die Freisetzung vorsätzlich oder nicht-vorsätzlich erfolgte. Der Grund, daß dies aber möglich war, ist die tiefe Krise der Akkumulation im Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes. Die Freisetzung und Ausbreitung des SARS-Corona-Virus wird von jedem bürgerlichen Staat sofort als Angriff, als Krieg, gewertet und es wird militärisch und paramilitärisch auf die Ausbreitung des SARS-Corona-Virus reagiert. Diese Politik legt den materiellen Grundstein für die „Ukraine-Krise“. Jedes nationale Gesamtkapital sieht sich von Feinden umringt und bereitet sich auf den „Ernstfall“ vor und die „Corona-Krise“ ist nur ein Moment des „Ernstfalls“. Eine solche Politik führt dann objektiv zur Verschärfung der Weltlage, auch gegen den Willen eines vereinzelten nationalen Gesamtkapitals, denn diese Tendenz verselbständigt sich durch die Verallgemeinerung dieser Politik und wird zu einer neuen Qualität. Das Wertgesetz herrscht dem Kapital seine Entscheidung auf. Entscheidet sich ein zentrales nationales Gesamtkapital für eine Politik des „Ernstfalls“ werden auch andere nationale Gesamtkapitalien durch das Wertgesetz zu dieser Politik gezwungen. Damit ist die „Corona-Krise“ der Beginn einer neuen Stufe der Eskalation innerhalb der imperialistischen Kette und reproduziert damit die Vertiefung der Großen Krise auf der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Die Ausbreitung des SARS-Corona-Virus ist dafür nur ein Anlaß, jeder beliebige Anlaß hätte es auch getan, denn die Zeit war reif, bzw. die Vertiefung der Großen Krise ab Herbst 2019 erzwang eine naturwüchsige Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse auf Weltmarktebene, was den Zusammenbruch des neoliberalen Gleichgewichts, des neoliberalen Weltmarktes, bedeutet. Damit ist die „Corona-Krise“ nur der Anfangspunkt für die Neuzusammensetzung des Kapitals- Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse und produziert notwendig aus sich selbst heraus die „Ukraine-Krise.“ Die „Corona-Krise“ ist ebenso wenig wie die „Ukraine-Krise“ eine Verschwörung, sondern das Resultat der Bewegung des Kapitals in seiner Selbstverwertung. Die krisenhafte Bewegung des Kapitals im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate ist die materielle Basis für die „Corona-Krise“, wie für die „Ukraine-Krise“ auch. Das Kapital hat verschiedene Möglichkeiten, diese Krisen zu „lösen“. Die konkrete Krisenlösung ist eine Frage des Klassenkampfes. Die relative proletarische Gegenmacht ist entscheidend. Ist sie nicht vorhanden, wird das Kapital versuchen, seine Widersprüche in Krieg, Deflationspolitik und bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) zu lösen. Mit der „Corona-Krise“ bricht der multipolare Weltmarkt durch; mit der Ukraine-Krise verallgemeinert sich der multipolare Weltmarkt zur realen Existenz und damit zur neuen Norm des Kapitalismus. In der Ukraine-Krise werden neue Grenzen gezogen und in der Ukraine-Krise verwirklicht sich die „Corona-Krise“ und nimmt eine neue Form an.

Die „neue Normalität“ der „Corona-Krise“ ist in der „Corona-Krise“ noch Tendenz. Erst in der Ukraine-Krise wird die Tendenz zur Realität. Erst in der Ukraine-Krise setzt sich die „neue Normalität“ des multipolaren Weltmarktes endgültig durch. In der Ukraine-Krise zerstört der russische Imperialismus den neoliberalen Weltmarkt und stürzt das transatlantisch fixierte, vom US-Imperialismus garantierte imperialistische Gleichgewicht innerhalb der imperialistischen Kette um. In diesem Sinne hat der russische Imperialismus schon den Ukraine-Krieg gewonnen. Es geht nicht um die Ukraine, sondern um die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette; die Ukraine-Krise ist nur ein Moment in der notwendigen Neuausrichtung der imperialistischen Kette. Mit dem Ukraine-Krieg stürzt offen der russische Imperialismus den US-Imperialismus innerhalb der imperialistischen Kette vom Thron des Hegemons und zerstört so den neoliberalen Weltmarkt. Der point of no return ist erreicht. Wie immer auch dieser innerimperialistische Konflikt ausgehen wird, ein Zurück zum vorherigen neoliberalen Status quo wird es nicht mehr geben und damit bleibt die Hegemonie für den US-Imperialismus innerhalb der imperialistischen Kette unerreichbar. Nun wird der Kapitalismus multipolar, d.h. politisch nationalliberal genormt. Der neoliberale Status quo ist Geschichte. Die zentrale Norm des multipolaren Kapitalismus ist die „nationale Sicherheit“. Primär nach dem Prinzip der „nationalen Sicherheit“ organisiert die herrschende Klasse ihre Klassenherrschaft. Die „neue Normalität“ ist die Normalität der „nationalen Sicherheit“ und sickert in alle Poren der bürgerlichen Gesellschaft, bestimmt den Klassenalltag in der bürgerlichen Gesellschaft.

„Nationale Sicherheit“ und Autarkie haben ein enges Verhältnis zueinander. Über eine Autarkiepolitik versucht das Kapital die materielle Basis für seine Politik der „nationalen Sicherheit“ zu organisieren und eine Politik der „nationalen Sicherheit“ sichert eine Autarkie-Politik ab. Eine Autarkie-Politik ist erst einmal eine Deflationspolitik und zielt auf eine qualitative Absenkung des gesellschaftlichen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse, denn das Kapital schottet sich relativ deutlich vom Weltmarkt ab. Das Ziel ist eine Neuzusammensetzung des Kapitals- Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, d.h. die Autarkiepolitik ist kein Endziel des Kapitals, denn das Kapital kann nur im Weltmaßstab akkumulieren, bedarf des Weltmarktes um sich als Kapital zu reproduzieren. Eine Autarkie-Politik ist nur ein Durchgangsstadium zu einer Neuformation des nationalen Gesamtkapitals, um zukünftig seinen Weltmarktanteil auszubauen, bzw. den Weltmarkt neu aufzuteilen. Die relative Abschottung vom Weltmarkt ermöglicht dem nationalen Gesamtkapital sich neu zu organisieren, denn erst im zweiten Schritt, vor allem durch die imperialistische Expansion und Aggression zur Neuaufteilung des Weltmarktes, in ökonomischer oder gewaltförmiger Form, wird die Weltmarktkonkurrenz auf höherer Stufenleiter reproduziert. In der Autarkie-Politik nimmt das nationale Gesamtkapital, nimmt der Imperialismus, Anlauf zu einem neuen großen Sprung nach vorn auf den neuen Weltmarkt hin. Autarkie ist nur die Vorbereitung auf eine neue Stufe der Expansion auf dem Weltmarkt und für den Imperialismus noch die Vorbereitung auf die imperialistische Aggression. Autarkie ist damit nur eine Form der Weltmarktkonkurrenz bzw. der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, sie ist nur Mittel zum Zweck und kein Selbstzweck, keine Lösung des Problems, sondern ein Teil des Problems und in der Autarkie-Politik repräsentiert sich die Große Krise und ist immer eine Politik gegen die Arbeiterklasse.

Eine Autarkie-Politik tendiert zur Rationierung der gesellschaftlichen Reproduktion der Ware Arbeitskraft, der Arbeiterklasse und ist ein Moment der Kriegswirtschaft zu der das Kapital nur in Zeiten des Krieges, des Bürgerkrieges oder den vorgelagerten Zeitläufen zu diesen Ereignissen Zuflucht sucht, also dann, wenn die „nationale Sicherheit“ bedroht wird. Die „Ökonomie“ wird durch den bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) militarisiert und realisiert in militarisierter Form die Deflationspolitik in deflationärer oder inflationärer Form. Deflationspolitik heißt nichts anderes als eine Politik der qualitativen Absenkung der gesellschaftlichen Reproduktion der Ware Arbeitskraft durch absolute Absenkung des Lohns und/oder Ausweitung der Arbeitszeit durch das individuelle und kollektive Kapitalkommando (auch durch Steuern und Abgaben bzw. Privatisierungen) in deflationärer Form oder durch die relative Absenkung des Lohnes durch die ansteigende Teuerung. In der inflationären Form der Entwertung der Ware Arbeitskraft steigt der Lohn langsamer als das allgemeine Preisniveau, welches notwendig ist, die Ware Arbeitskraft als Ware Arbeitskraft gesellschaftlich notwendig zu reproduzieren, In der deflationären Form realisiert sich die Entwertung der Ware Arbeitskraft durch das stärkere Fallen des Lohns als Preis der Ware Arbeitskraft im Verhältnis zum durchschnittlichen Preisniveau der Waren, welche für die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Ware Arbeitskraft als Ware Arbeitskraft notwendig ist. Die allgemeinen Preise fallen zwar, jedoch noch stärker als diese fällt der Lohn als Preis der Ware Arbeitskraft. Eine Rationierungspolitik ist der schärfste Ausdruck der Deflationspolitik. Je schärfer die Deflationspolitik ist, desto mehr proletarischer Widerstand tritt in Erscheinung und das Kapital reagiert dann auf den proletarischen Widerstand mit dem erklärten oder unerklärten übergesetzlichen Ausnahmezustand. Widerstand gegen die Deflationspolitik ist für das Kapital eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“. Das Kapital wählt Kanonen statt Butter, während das Proletariat für Butter statt Kanonen mobilisiert.

Mit dem Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes verschärft sich die Weltmarktkonkurrenz. Diese Verschärfung der Weltmarktkonkurrenz bedroht die „nationale Sicherheit“ eines jeden nationalen Gesamtkapitals und damit konkret auch die Akkumulation des deutschen Kapitals. Spätestens seit der „Corona-Krise“ im März 2020 geht jedes nationale Gesamtkapital in den Kriegsmodus über, erst Recht seit der Eskalation der Ukraine-Krise zum Ukraine-Krieg ab dem 22. Februar 2022. Die Frontstellung gegen die Weltmarktkonkurrenz und notwendig auch gleichzeitig zur Arbeiterklasse verschärft sich. Aggression nach außen, Repression nach innen. Der Weltmarktkonkurrent wird zum Feind, zum „äußeren Feind“ und die Arbeiterklasse, ihre Organisationen, auch Massenorganisationen, werden zum „inneren Feind“ und beide stehen nach Meinung der Bourgeoisie in einem Bündnisverhältnis, weil beide die Akkumulation gefährden. Über diese Formen des Klassenkampfes realisiert sich das Wertgesetz.

Das Modell Deutschland, die Hegemonie der Weltmarktsektoren über die Binnenmarktsektoren des Kapitals ist eine Form, in der sich der Klassenkampf materialisiert hat und er materialisiert sich konkret im korporatistischen Block zwischen Kapital, bürgerlichen Staat und Gewerkschaftsbürokratie. Im Modell Deutschland materialisiert sich ein konkretes Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeiterklasse. Die Kernbelegschaften konnten sich ein bestimmtes Niveau der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion erkämpfen. Das Kapital erhielt von der Gewerkschaftsbürokratie als Gegenleistung die relative Abkopplung der prekären Randbelegschaften von den Kernbelegschaften in den Fragen der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion der Ware Arbeitskraft. Dies gilt erst Recht für die industrielle Reservearmee. In den Gewerkschaften sind vor allem die Kernbelegschaften organisiert und diese vertreten zentral die Interessen der Kernbelegschaften und nur zweitrangig die Interessen der Randbelegschaften. Klassenkampf heißt immer auch Kampf der Klasse mit sich selbst. Das Modell Deutschland ist ein historischer Klassenkompromiß und somit ein Resultat des Klassenkampfes und setzt auf Heranführung der Kernbelegschaften an den bürgerlichen Staat bei gleichzeitigem tendenziellen Ausschluß der Randbelegschaften und der industriellen Reservearmee aus dem bürgerlichen Staat und aus der bürgerlichen Gesellschaft. Erst Recht in Krisenzeiten. Die Position der Kernbelegschaften ist nicht gesichert, denn das Modell Deutschland ist nur ein Kräfteverhältnis im Klassenkampf zwischen den beiden antagonistischen Klassen.

Über den korporatistischen Block wurde auch Hartz IV und die Agenda 2010 realisiert. Dazu wurde die Gewerkschaftsbürokratie auch durch den bürgerlichen Staat unter Druck gesetzt. Entweder die DGB-Gewerkschaften verhalten sich bei der Implantation von Hartz IV ruhig und sind auch bereit gewerkschaftliche Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen zuzulassen, dann bleiben sie unangetastet oder aber, sie verweigern sich dem Ansinnen des bürgerlichen Staates und der bürgerliche Staat wird dann gesetzliche Öffnungsklauseln einführen, auch wenn dies gegen die Verfassung des BRD-Staates verstößt, denn diese sieht eine relative Tarifautonomie vor. Die Gewerkschaftsbürokratie organisierte keinen Massenwiderstand gegen diese Forderungen, sondern zog es vor zu kapitulieren. Einer Kapitulation folgt die nächste. Nun agiert in der gegenwärtigen Ukraine-Krise, die ein Ausdruck der Großen Krise des Kapitalismus ist, der bürgerliche Staat in der gleichen Art, wie in den Jahren 2003/2004 bei der Implantierung von Hartz IV und Agenda 2010.

In der Ukraine-Krise unterwirft sich die DGB-Bürokratie abermals dem bürgerlichen Staat, der diesmal in der Form des übergesetzlichen Notstandsstaates erscheint und nimmt von Lohnerhöhungen zur Kompensation der Inflationsrate Abstand. Alle bisherigen Tarifabschlüsse seit Sommer 2021 liegen unterhalb der Inflationsrate. Schon vor dem Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2022 lag die Inflationsrate bei 5 Prozent. Die ansteigende Inflation hat nicht ihren Grund im Ukraine-Krieg, sondern in dem Zusammenbruch der Lieferketten als Resultat der „Corona-Krise“ und der expansiven Geldpolitik des bürgerlichen Staates. Der Ukraine-Krieg führte nur noch zu einem zusätzlichen Inflationsschub. Schon seit über zwanzig Jahren realisiert die DGB-Bürokratie eine Politik der Lohnzurückhaltung und damit des Reallohnverlustes, d.h. die DGB-Bürokratie steht in Treue zum deutschen Kapital, zum deutschen Imperialismus und der korporatistische Block aus Kapital, bürgerlichen Staat und Gewerkschaftsbürokratie ist handlungsfähig im Sinne der Expansion des deutschen Kapitals auf dem Weltmarkt. Auch ohne die formale Aufforderung zu einer öffentlichen Konzertierten Aktion tagt die reale Konzertierte Aktion informell und nicht-öffentlich. Der Aufruf des bürgerlichen Staates durch den Bundeskanzler und den Wirtschaftsminister nach einer Konzertierten Aktion richtet sich nicht an die Gewerkschaftsbürokratie, sondern an die Arbeiterklasse, nur die Arbeiterklasse ist der eigentliche Adressat. Der Arbeiterklasse wird bedeutet, daß der bürgerliche Staat sich ihrer inflationären Sorgen annimmt und dies mit dem Kapital und den Gewerkschaften verhandelt, d.h. die inflationären Tendenzen sind keine Angelegenheit des Proletariats, seiner proletarischen Massenorganisationen, sondern sind eine politische Frage des bürgerlichen Staates und damit eine Frage der „nationalen Sicherheit“. Schon vor dem Aufruf des bürgerlichen Staates nach einer Konzertierten Aktion hieß es aus der IG-Metall-Bürokratie, daß die derzeitige inflationäre Tendenz ein Produkt politischer Entscheidungen ist und deshalb ein Lohnausgleich zur Inflationsfrage kein Ziel der IG-Metall ist, d.h. die IG-Metall-Bürokratie akzeptiert den Reallohnverlust und weigert sich damit auch, notfalls über einen Streik den Lohnausgleich zur Inflationsrate zu organisieren. Der Aufruf des bürgerlichen Staates nach einer Konzertierten Aktion entlastet dann die DGB-Bürokratie massenlegitimatorisch, denn nun liegt es nicht mehr am Willen und der Zuständigkeit der DGB-Bürokratie einen Lohnausgleich zur Inflationsrate zu erstreiten, sondern der bürgerliche Staat hat aus „höheren“ Gründen, aus Gründen des „Staatswohls,“ die Initiative in dieser Sache ergriffen und entlastet damit die Gewerkschaftsbürokratie vor den Gewerkschaftsmitgliedern und vor der Arbeiterklasse insgesamt, übernimmt die „Verantwortung“ für die Tariffragen der relativen Tarifautonomie. Die DGB-Bürokratie flüchtet aus ihrer Verantwortung und gibt diese an den bürgerlichen Staat in Notstandsform ab und läßt sich durch den Notstandsstaat gleichschalten bzw. schaltet sich selbst mit dem Notstandsstaat gleich. Somit ist die relative Tarifautonomie der Gewerkschaften im Ausnahmezustand der „Ukraine-Krise“ aufgehoben. Lohnfragen, Fragen der Arbeitsbedingungen sind nun Fragen der „nationalen Sicherheit“ bzw. der „Staatssicherheit“ bzw. des „Staatswohls“. Die von Gewerkschaftsbürokratie kontrollierten Gewerkschaft wird in der „Ukraine-Krise“, die für den deutschen Imperialismus der tendenzielle Ausnahmezustand ist, bzw. die ersten Stufen des „Ernstfalls,“ tendenziell und zumindest temporär zur Arbeitsfront. In erster Linie vertritt damit die DGB-Bürokratie die „nationale Sicherheit“ des deutschen Imperialismus und nur in zweiter Linie die Interessen der organisierten Lohnarbeiterklasse, nur insofern, wie die Interessen der organisierten Lohnarbeiter mit dem „Staatswohl“ des deutschen Kapitals kompatibel sind. Nur der aktive Druck der Arbeiterklasse von unten, übersetzt in den Druck der organisierten Lohnarbeiter als Gewerkschaftsbasis, kann die Gewerkschaftsbürokratie kontrollieren und den korporatistischen Block des Modell Deutschland vom proletarischen Klassenstandpunkt aus aufsprengen. Will die Arbeiterklasse ihr gesellschaftlich notwendiges Reproduktionsniveau in der gegenwärtigen Krisenphase der Akkumulation verteidigen, muß sie die „nationale Sicherheit“ des deutschen Kapitals angreifen Die „nationale Sicherheit“ des deutschen Kapitals bedroht das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse und deshalb muß die Arbeiterklasse die Akkumulation und damit die „nationale Sicherheit“ des Kapitals bedrohen. Nur eine massenhafte proletarische Aktivität in den Betrieben und in den Erwerbslosenorganisationen kann die Gewerkschaftsbürokratie dazu zwingen, mit dem Kapital und dem bürgerlichen Staat, mit dem korporatistischen Block des Modell Deutschland, zu brechen und das heißt auch, mit der „nationalen Sicherheit“ des Kapitals zu brechen. Um die relative Tarifautonomie der Arbeiterklasse gegenüber dem Kapital und dem bürgerlichen Staat zu verteidigen, bedarf es einen Bruch mit dem korporatistischen Block und seiner „nationalen Sicherheit“. Derzeit ist es die Aufgabe der DGB-Bürokratie, den Reallohnverlust zu organisieren und jeden Streikansatz zu verhindern.

Der deutsche Imperialismus steht von einer zentralen Entscheidung. Weiterhin ein zentrales Moment in einem vom US-Imperialismus geführten transatlantischen Bündnis oder eigene Machtentfaltung. „Nationale Sicherheit“ im Rahmen eines US-geführten transatlantischen Bündnisses oder „Nationale Sicherheit“ aus primär nationalen Notwendigkeiten der Akkumulation.

Gegenwärtig steht das transatlantische Bündnis innerhalb der deutschen Bourgeoisie hoch im Kurs. Der deutsche Imperialismus ist militärisch zu schwach, seine „nationale Sicherheit“ auf sich selbst gestellt, zu „verteidigen“ und bedarf den Schutz des US-Imperialismus. Erst nach einer massiven Aufrüstung und damit auch einer nuklearen Aufrüstung, könnte der deutsche Imperialismus eine eigene, selbständige Rolle in der imperialistischen Kette spielen. Bis jetzt hat sich die deutsche Bourgeoisie noch nicht entschieden und der transatlantische Status quo bleibt gewahrt.

Jedoch unter der Oberfläche des transatlantischen Status quo, innerhalb der Tiefenstruktur der Klassenverhältnisse und damit der herrschenden Kasse, bilden sich derzeit Ansätze zur Negation des transatlantischen Status quo heraus. Ob sich diese Tendenzen realisieren werden ist offen. Sie bilden aber auf jeden Fall Alternativen zur bisherigen transatlantischen Orientierung des Kapitals. Die Herausbildung anti-transatlantischer Tendenzen des Kapitals gehen objektiv unter der Form der transatlantischen Orientierung hervor. Der transatlantische Wirtschaftskrieg (auch des deutschen Imperialismus) gegen den russischen Imperialismus unterminiert objektiv den transatlantischen Status quo und bildet seine Negation heraus, denn er schädigt die Akkumulationsbasis des deutschen Kapitals. Vor allem die Energiezufuhr der Akkumulation ist gefährdet, denn der Wirtschaftskrieg des deutschen Imperialismus gegen den russischen Imperialismus durch weitgehenden Boykott des Imports strategischer Energierohstoffe aus Rußland gefährdet die Versorgung des deutschen Kapitals mit Energierohstoffen. Ohne Energierohstoffe keine Akkumulation. Dadurch beginnen die Preise für diese strategischen Energierohstoffe zu steigen und tangieren die Akkumulation negativ. Weltweit steigen deshalb die Energiepreise. Die materielle Basis dieses Prozesses liegt in dem transatlantischen Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus, modifiziert wird dieser Prozeß noch durch die internationale Spekulation des Kapitals, welche durch die bisherige expansive Geldpolitik der bürgerlichen Staaten schon seit dem Jahr 2008, zusätzlich noch gesteigert wird. Es gibt keinen Lieferanten, welche die Energiemengen aus Rußland ersetzten kann. Dies gilt für den deutschen Imperialismus, wie auch für die EU-Metropolen insgesamt und auch der US-Imperialismus kann nur unvollkommen seine Energieversorgung sichern.

Auch der US-Imperialismus hat seit diesem Sommer eine Energiekrise zu meistern. Der US-Präsident mußte die Notstandsregeln aus dem Korea-Krieg wieder aktivieren, um der Energie-Krise Herr zu werden. Keinesfalls ist der US-Imperialismus in der Energieversorgung autark und erst Recht ist er nicht der Energieproduzent in der letzten Instanz. Dies ist eher der russische Imperialismus. Die haltlosen Illusionen der transatlantischen Fraktion des deutschen Kapitals in den US-Imperialismus bezüglich ausreichender US-Lieferungen von Energierohstoffen an das deutsche Kapital zerplatzen an der harten Realität des Weltmarktes. Es gibt auf dem Weltmarkt nicht genügend Energierohstoffe, welche ohne weiteres den Bedarf der EU-Metropolen decken können, wenn die EU-Metropolen ihren bisherigen Lieferanten boykottieren. Mder EU-Metropolen decken können, wenn die 0000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000Damit steigen die Preise für Energierohstoffe und dies blockiert die weitere Akkumulationsbewegung des Kapitals in den USA und in den EU-Metropolen. Damit verstärken sich noch zusätzlich die Krisentendenzen innerhalb der Großen Krise und es droht eine Stagflation.

Erneuerbare Energiequellen können die Versorgungslücke nicht schließen, denn diese sind zu gering und ein weiterer Ausbau dieser regenerativen Energiequellen benötigt Zeit, denn die technische Entwicklung ist noch nicht ausgereift. So verstärkt der transatlantische Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus die Entwertung des Kapitals und damit auch die Entwertung der Ware Arbeitskraft der Arbeiterklasse. Es droht dann eine Kriegswirtschaft und damit eine Rationierung der Energierohstoffe und der Energiezufuhr. Eine tendenzielle Autarkie kann der deutsche Imperialismus, können die europäischen Metropolen überhaupt, nur innerhalb des EU-Großwirtschaftsraums erreichen und dies ginge auch nur über eine Politik der Rationierungen und damit des qualitativen Absenkens des gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse. Autarkie heißt konkret Absenkung der Produktion und Konsumtion und damit vor allem qualitative Absenkung des gesellschaftlichen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse. Es kann die Produktion und Konsumption als fixes Ziel gefaßt werden, dann ist die Energiezufuhr variabel, muß erhöht werden, wenn sich die gesellschaftliche Produktion ausdehnt. Oder aber die Energiezufuhr wird als fixe Größe gefaßt, dann ist die Produktion und Konsumtion die abhängige Variable und damit eine abhängige Quantität. Es kann nicht mehr produziert und konsumiert werden, wie Energierohstoffe vorhanden sind. Gegenwärtig, unter der Diskussion der antirussischen Autarkie, entscheidet sich der deutsche Imperialismus, wie auch der transatlantische Imperialismus überhaupt, für die zweite Möglichkeit. Die Arbeiterklasse soll dann die Kosten über die Absenkung des gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus tragen. Der russische Imperialismus ist tendenziell geringer in den Weltmarkt eingebunden als der deutsche Imperialismus. In Rußland ist die Trennung von Stadt und Land unvollkommen realisiert ist und eben diese sozialen Strukturen um das russische Dorf, welche auch in den Großstädten wachsen, macht ein Überleben in Subsistenzwirtschaft tendenziell möglich. Das russische Kapital kann das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse deshalb immer weiter absenken, als der deutsche Imperialismus, welcher tiefen in den Weltmarkt vermittelt ist und wo die Trennung von Stadt und Land eine Subsistenzwirtschaft unmöglich macht. Bei einem antirussischen Wirtschaftskrieg kann der deutsche Imperialismus nur verlieren.

Eine Politik der Autarkie ist eine Politik der Rationierung und damit eine Politik der absoluten Verelendung und fordert den Widerstand der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums heraus, führt objektiv zu einer Neuzusammensetzung des Kapitals und der Arbeiterklasse. Es werden objektiv soziale und politische Brüche provoziert und die Krisentendenzen der Großen Krise vertieft. Mit dieser Politik schwächt sich die transatlantische Fraktion des Kapitals, auch wenn sie vermeint, sie kann in einem Wirtschaftskrieg den russischen Imperialismus besiegen, während die Arbeiterklasse die Kosten dafür trägt. Diese transatlantische Fraktion des Kapitals glaubt noch immer fest im Sattel des neoliberalen Weltmarktes zu sitzen und realisiert nicht, daß der neoliberale Weltmarkt bereits Geschichte ist. Der antirussische Wirtschaftskrieg zerstört selbst den Rest des neoliberalen Weltmarktes und damit die materielle Basis des transatlantischen Imperialismus. Ohne und gegen den russischen Imperialismus kann der neoliberale Weltmarkt nicht existieren und dann können sich die transatlantischen Metropolen nicht erfolgreich gegen den russischen Imperialismus behaupten, zerstören mit ihrem antirussischen Wirtschaftskrieg objektiv ihren eigenen neoliberalen Weltmarkt und damit die Hegemonie des transatlantischen Imperialismus. Immer tiefer werden die Widersprüche zwischen den einzelnen Kettengliedern des transatlantischen Imperialismus innerhalb des NATO-Paktes und des EU-Bündnisses und schmälern damit die Einigkeit und Durchschlagskraft des transatlantischen Imperialismus. Die Widersprüche innerhalb der herrschenden Klasse führen schon seit 2016 zur politischen Polarisierung der Bevölkerung um zwei imperialistische Pole, einmal den transatlantischen Pol und einmal den nationalliberalen Pol. Der antirussische Wirtschaftskrieg wird mittelfristig die nationalliberale Position stärken, denn der antirussische Wirtschaftskrieg erschüttert die materielle Basis des neoliberalen Akkumulationsmodells und damit auch den deutschen Imperialismus. Ein jeder Krieg produziert eigene Verluste, so auch ein Wirtschaftskrieg. Auch der deutsche Imperialismus muß in diesem Wirtschaftskrieg schwere Verluste hinnehmen, indem die Entwertungstendenzen der Großen Krise noch deutlich verstärkt werden. Damit erodiert die Massenloyalität der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums gegenüber diesem antirussischen Wirtschaftskrieg und dem niedergehenden neoliberalen Akkumulationsmodell. Es entsteht ein Vakuum, welches von der nationalliberalen Fraktion der herrschenden Klasse ausgefüllt wird. Die nationalliberale Fraktion des Kapitals strebt eine grundsätzliche Neuorientierung des deutschen Imperialismus an bis hin zum deutschen Sonderweg, setzt auf einen historischen Bruch mit der transatlantischen Bindung des deutschen Imperialismus nach innen und außen, d.h. auf einen Bruch mit der Westbindung des deutschen Imperialismus. Noch ist nichts entschieden, aber immer mehr ist der deutsche Imperialismus bereit, mit den Konferenzen von Jalta und Potsdam zu brechen, denn das Ende des neoliberalen Weltmarktes, das Ende der US-Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette, an der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse materialisierend in dem Ukraine-Krieg, zeigt die Endlichkeit der Ordnung von Jalta und Potsdam an. Damit wird auch die „deutsch-amerikanische Freundschaft“ zu deutsch-amerikanischen Feindschaft. Jede Metropole der imperialistischen Kette wird mit dem Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes und dem Aufgang des multipolaren Weltmarktes auf sich selbst zurückgeworfen, so auch der deutsche Imperialismus. In dem transatlantischen antirussischen Wirtschafskrieg spricht sich der Zusammenbruch von Jalta und Potsdam aus. Der Versuch den neoliberalen Weltmarkt und damit auch die Ordnung von Jalta und Potsdam gegen den russischen Imperialismus und gegen China vermittels eines Wirtschaftskrieges und eines Stellvertreterkrieges zu verteidigen, führt objektiv gerade zum Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes und zum Sturz der Ordnung von Jalta und Potsdam. Damit ist der Weg frei für die nationalliberale Fraktion des deutschen Kapitals und ihren Rückgriff auf den „deutschen Sonderweg“ zwischen West und Ost. Somit besteht die Möglichkeit, daß sich der antirussische Wirtschaftskrieg von seiner transatlantischen Zielsetzung löst und von der nationalliberalen Fraktion des deutschen Kapitals umfunktioniert wird in eine Transformation des deutschen Imperialismus in Richtung „deutschen Sonderweg“ und der antirussische Wirtschaftskrieg nationalliberal grundiert wird. Eine nationalliberale Ordnung des deutschen Imperialismus bedeutet zumindest für die erste Zeit einen Rückgriff auf die Formen des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus), solange, bis ein neues internationales und nationales Gleichgewicht zwischen den antagonistischen Klassen gefunden wurde. Erst dann ist mit einer Reaktivierung der parlamentarisch-demokratischen Form des bürgerlichen Staates zu rechnen. Im Außenverhältnis setzt der deutsche Imperialismus auf Aggression und Expansion im Sinne der alten Mitteleuropakonzepte. Damit wird auch das EU-Bündnis mit samt der EURO-Zone und der NATO-Pakt in Frage gestellt und letztendlich beseitigt.

Wo es an den polituschen Verstand fehlt, wehen die Fahnen

Der neoliberal-transatlantisch antirussische Wirtschaftskrieg führt damit objektiv zur Freisetzung nationalliberaler Tendenzen, d.h. das neoliberale Akkumulationsregime zerstört sich selbst und die Selbstzerstörung des (neoliberalen) deutschen Imperialismus führt damit potentiell an den Rand einer Schock-Politik gegen die Arbeiterklasse, deren Ziel es wäre, die Eroberungen der Arbeiterklasse, ihre Massenorganisationen, offen oder verdeckt zu zerschlagen, um eine radikale Deflationspolitik einzuleiten, welche vom bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) gedeckt wird. Die Schock-Politik wäre eine Operation Phönix, die Selbstverbrennung des neoliberalen und transatlantischen deutschen Imperialismus damit aus seiner Asche ein neuer, ein national-liberaler deutscher Imperialismus entsteht,; die Zerstörung des transatlantischen deutschen Imperialismus, damit der national-liberale deutsche Imperialismus mit samt seiner Mitteleuropa-Politik zum dritten Male zur Weltmacht greifen kann, die Zerstörung der „Westbindung“ des deutschen Imperialismus und somit die Zerstörung der Abkommen von Jalta und Potsdam, damit der Weg frei ist für den deutschen „Sonderweg“. Noch nie in der Geschichte des deutschen Imperialismus nach 1945 war der Weg des deutschen Imperialismus so offen. Die Halbheiten der Regierungspolitik unter der Bundeskanzlerschaft Scholz, die innere Gespaltenheit der Bundesregierung, resultieren aus der Widersprüchlichkeit der herrschenden Klasse selbst, bzw. aus der Widersprüchlichkeit des weltweiten Klassenkampfes, der eine neue Epoche der kapitalistischen Epoche erzwingt, wie auch potentiell auf das Ende der kapitalistischen Produktionsweise zielt.

Das deutsche Kapital, unterstützt von Fraktionen des US-Kapitals, verfolgte auch in der Weltwirtschaftskrise von 1929 eine Schock-Politik, um die Eroberungen der Arbeiterklasse seit der gescheiterten Novemberrevolution 1918 rückgängig zu machen uns strebte ebenso eine Revision des Versailler Vertrages (Senkung oder Aufhebung der Reparationen) an und damit eine Neufassung des imperialistischen Kräfteverhältnisses, welches sich nach der Niederlage des deutschen Imperialismus im Ersten Weltkrieg herausgebildet hatte. Nicht die Krise von 1929 alleine war für die Politik des deutschen Kapitals verantwortlich; sie war nur der Anlaß für eine Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse im Sinne der politischen Zielrichtung des deutschen Kapitals. Auch 1929 zerbrach der Weltmarkt und erzwang eine Neuformation der imperialistischen Kette. Die Tiefe der Krise des deutschen Imperialismus ist nicht allein der Entwertungstendenzen der Weltwirtschaftskrise von 1929 geschuldet, sondern vor allem der Deflationspolitik des deutschen Kapitals, welche die Krise bewußt noch weiter verschärfte, statt Maßnahmen zu ergreifen, die Krise abzumildern. Die Deflationspolitik des deutschen Kapitals war nicht alternativlos, sondern eine politische Alternative, eine politische Entscheidung des Kapitals und zielte auf einen bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus), welcher die Arbeiterbewegung zerschlagen sollte, wenn sie gegen die Deflationspolitik Widerstand leistet. Nach einer Neuformierung des deutschen Kapitals könnten wieder andere Pfade bürgerlicher Klassenherrschaft betreten werden. In diesen abstrakten Punkten war sich die deutsche Bourgeoisie einig, nicht aber einig war sie in der konkreten Umsetzung ihrer autoritären Krisenlösung. Der Rückgriff auf den Faschismus war war nicht ausgemacht, er wurde erst notwendig, weil anderes die autoritäre Krisenlösung nicht möglich war. Die Arbeiterklasse hatte es in der Hand, ob diese autoritären Projekte des Kapitals konkret umzusetzen waren. An einer Einheitsfront hätte die autoritäre Politik des Kapitals zerschellen können; doch die ultralinke stalinistische Politik des Sozialfaschismus gegen die SPD spaltete die Arbeiterklasse und eröffnete so der autoritären Krisenlösung der deutschen Bourgeoisie den Weg, öffnete der Schockpolitik des deutschen Kapitals die Tore und trieb das Kleinbürgertum in die Arme der Bourgeoisie. Die Geschichte war und ist offen. In letzter Instanz entscheidet der Klassenkampf. Die Spaltung der Arbeiterbewegung ermöglichte erst die Deflationspolitik und den sich ausbildenden bürgerlichen Ausnahmestaat in den Formen der Präsidialdiktatur von Brüning, Papen und Schleicher und fand erst mit der Bildung einer faschistischen Regierung unter Reichskanzler Hitler seinen Abschluß, ebenso die Deflationspolitik. Die Deflationspolitik der Präsidialdiktatur hatte ihr Endziel erreicht. Unter dem deutschen Faschismus wurde die Deflationspolitik beendet und eine militärkeynesianische Politik eingeleitet und später die Reparationen erlassen, wie die Rüstungsbeschränkungen des Versailler Vertrages aufgehoben. Diese Spaltung der Arbeiterklasse ermöglichte es der Bourgeoisie die kapitalistische Ökonomie in den Abgrund zu steuern, die Eroberungen der Arbeiterklasse zu zerschlagen und nach der politischen Zerstörung der proletarischen Massenorganisationen wurde die kapitalistische Ökonomie wieder stabilisiert und ganz neu aufgebaut. Es ist eine Frage der Politischen Ökonomie, nicht der „Ökonomie“. Andere Metropolen der imperialistischen Kette haben andere Entscheidungen getroffen, auch wenn sie, wie der US-Imperialismus, schwerer von der Krise betroffen haben, sie haben keine Deflationspolitik eingeschlagen, denn der Widerstand der Arbeiterklasse gegen eine solche Politik war ausgeprägter, da die Arbeiterklasse dort nicht so tief gespalten war, während es außenpolitisch keinen Versailler-Vertrag ab, den es zu Brechen galt, um wieder Weltgeltung zu erlangen. Das Unvermögen der Arbeiterklasse eine Einheitsfront aufzubauen, ermöglichte die Schock-Politik des Kapitals und in letzter Instanz den deutschen Faschismus. Ab 1931 befand sich Deutschland in einem niedrigschwelligen Bürgerkrieg und schon im Januar 1933 endete dieser niedrigschwellige Bürgerkrieg mit dem Sieg des deutschen Faschismus. In nur maximal zwei Jahren kam der Faschismus an die Regierung, wurde eine der einflußreichsten Arbeiterbewegungen der Welt wegen ihrer internen Spaltung leicht und schnell überwunden und der deutsche Imperialismus hatte nach innen und außen freie Hand. Es war ein politischer Blitzkrieg des Kapitals gegen die Arbeiterklasse.

Heute droht das deutsche Kapital wieder, die kapitalistische Ökonomie in den Abgrund zu steuern, die proletarischen Massenorganisationen zu zerschlagen und das internationale Kräftegleichgewicht in der imperialistischen Kette, aber vor allem die internationalen Kräfteverhältnisse zwischen dem Kapital und der Arbeiterklasse, radikal und aggressiv zu seinen Gunsten zu verändern, um sich über diese mehrdimensionale Schockpolitik neu zu formieren und die Arbeiterklasse ist derart gespalten, daß sie derzeit zu keiner Aktion fähig ist. Die Geschichte droht sich in neuen, anderen Formen zu wiederholen. Die Politik des deutschen Imperialismus von 1929 bis 1933 ist eine Warnung an die Arbeiterklasse. Diese Politik des deutschen Imperialismus kann sich in neuen Formen wiederholen. Eine Einheitsfront des Proletariats hätte 1933 verhindert und kann auch heute den deutschen Imperialismus an den Griff zur Weltmacht in Form des Vierten Reiches hindern. Ein möglicher Ausstieg des deutschen Imperialismus aus seiner Westbindung hin zu seinem traditionellen Sonderweg kann auf Basis der kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht verhindert werden. Nur die Einheitsfront des Proletariats kann der Bourgeoisie das Kleinbürgertum als soziale und politische Massenbasis für einen bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) entziehen. Nur über die Einheitsfront des Proletariats kann der potentielle Abmarsch der deutschen imperialistischen Bourgeoisie in ein Viertes Reich verhindert werden. Die Westbindung des deutschen Imperialismus ist keinesfalls das kleinere Übel gegenüber dem deutschen Sonderweg, sondern die Westbindung des deutschen Imperialismus, die Krise der Westbindung des deutschen Imperialismus, stellt die materielle Basis für die Potentialität des Sonderweges des deutschen Imperialismus dar. Ein Zurück zur Westbindung des deutschen Imperialismus, d.h. konkret zur transatlantischen Bindung desselben zentral an den US-Imperialismus, ist mit der tiefen Krise der US-Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette nicht mehr möglich. Der point of no return ist erreicht.

Die derzeitige antirussische Politik des deutschen Imperialismus ist originär ein Produkt des deutschen Imperialismus und keine Vasallenpolitik gegenüber dem US-Imperialismus. In der Ukraine-Frage haben derzeit der US-Imperialismus und der deutsche Imperialismus gleichgerichtete Interessen, aus unterschiedlichen Gründen. Der US-Imperialismus versucht seinen Abstieg aufzuhalten, während der deutsche Imperialismus versucht, das Auftauchen eines mächtigen russischen Weltmarktkonkurrenten zu verhindern. Dies ergibt in der Klammer des NATO-Paktes gegenwärtig eine Schnittmenge der imperialistischen Interessen des US-Imperialismus und des deutschen Imperialismus gegenüber dem russischen Imperialismus. Jedoch ist das Interesse des deutschen Imperialismus an der Verhinderung des Aufstiegs des russischen Imperialismus unabhängig vom Abstieg des US-Imperialismus. Auch wenn der Sturz des US-Imperialismus innerhalb der imperialistischen Kette anhält, wird der deutsche Imperialismus alles versuchen, um den Wiederaufstieg des russischen Imperialismus zu verhindern, mit dem US-Imperialismus oder auch ohne bzw. gar gegen den US-Imperialismus. Es ist eine gefährliche Illusion zu glauben, daß der deutsche Imperialismus nur eine Kolonie des US-Imperialismus ist, denn so würde es ausreichen, nur die Politik des US-Imperialismus zu ändern und dann würde der deutsche Imperialismus auch eine ausgleichende Position gegenüber dem russischen Imperialismus beziehen. Die aggressive Politik des deutschen Imperialismus gegenüber dem russischen Imperialismus ist in letzter Instanz unabhängig von der Politik des US-Imperialismus, d.h. die Politik des deutschen Imperialismus gegenüber dem russischen Imperialismus kann nicht auf die antirussische Politik des US-Imperialismus reduziert werden bzw. die aggressive Politik des deutschen Imperialismus gegenüber dem russischen Imperialismus kann nicht mit der antirussischen Politik des US-Imperialismus entschuldigt werden. Diese aggressive antirussische Politik des deutschen Imperialismus wird dem deutschen Imperialismus nicht aufgezwungen, sondern sie entspricht den historischen Interessen des deutschen Kapitals, nach Lebensraum für die deutsche Kapitalverwertung, denn dieser sollte Rußland sein, eben durch die Lieferung von strategischen Rohstoffen zu wohlfeilen Preisen. Der russische Imperialismus sollte lediglich ein Ergänzungsraum sein, Zulieferer für Energie, Roh-Hilfs- und Betriebsstoffen sein. Jede industrielle Entwicklung sollte nur auf eine abhängige Industrialisierung begrenzt werden. Keinesfalls sollte der russische Imperialismus an die Spitze der komplex zusammengesetzten Arbeit vorstoßen, ebenso wenig wie China. Diese deutsche Position deckt sich mit der US-Position, deckt sich mit der Position der transatlantischen Metropolen überhaupt, sie ist eine Interessenidentität des neoliberalen transatlantischen Imperialismus.

Der Ausbruch des russischen Imperialismus und Chinas aus dem neoliberalen Weltmarkt ist notwendig, denn dieser wurde zur Fessel für die Akkumulation des russischen und chinesischen Kapitals. Der Beginn der Großen Krise in den Jahren 2007/2008 setzte auch den Anfang für den Ausstieg des russischen und chinesischen Kapitals aus dem neoliberalen Weltmarkt. Alle transatlantischen Versuche den Ausbruchsversuch des russischen und chinesischen Kapitals zu verhindern, mißlangen und der US-Imperialismus sah sich genötigt, sich an die Spitze der Ausbruchsversuche zu stellen, in der Hoffnung sich dann neu positionieren zu können; die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette wiederzugewinnen und zerstörte so seinen neoliberalen Weltmarkt. Es wurde versucht zwischen dem russischen Imperialismus und China zu spalten, Rußland und China voneinander zu isolieren. Diese Politik mißlang gründlich und führte die Interessen von Rußland und China eher zusammen, statt Rußland und China zu entzweien. Gegen ein russisch-chinesisches Bündnis kommt der transatlantische Block nicht an. Damit stellt sich dann die Existenzfrage für den transatlantischen imperialistischen Block, konkret die Existenzfrage für den NATO-Pakt und für das EU-Bündnis. Die imperialistische Kette als Totalität muß sich neu formieren und damit auch der deutsche Imperialismus. Hier liegt die materielle Basis auch für eine Schock-Politik des deutschen Imperialismus und eine Schock-Politik ist immer eine Politik des Schocks nach innen und gleichzeitig außen, hier liegt die materielle Basis für die potentielle Rückkehr des deutschen Imperialismus auf seinen Sonderweg. Über die Entwertungsprozesse der Großen Krise, über die durchschnittliche Bewegung des Kapitals im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, vermittelt sich die Neujustierung des deutschen Kapitals, des deutschen Imperialismus. Eurasien wird zu einem zentralen Akkumulationsschwerpunkt und das deutsche Kapital wird dieser Entwicklung Rechnung tragen müssen. Damit treten langsam die transatlantischen Bindungen des deutschen Imperialismus in den Hintergrund. Die Niederlage des NATO-Paktes im Ukraine-Krieg läßt die transatlantischen Metropolen verwirrt und geschlagen zurück. Es ist der Null-Punkt des transatlantischen Blocks. Erst danach, langsam, beginnt zaghaft eine Neuformation der imperialistischen Kette Fahrt aufzunehmen.

Konkret vermittelt die Akkumulation in der Phase der Stagflation die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Die inflationären Tendenzen aufgrund expansiver Geldpolitik und Zusammenbruch der internationalen Lieferketten wegen des antirussischen Wirtschaftskrieges anläßlich des Ukraine-Krieges, leiten eine inflationäre Kapitalentwertung ein, welche bei Verweigerung des inflationären Lohnausgleichs durch die Gewerkschaftsbürokratie in eine deflationäre Tendenz der Kapitalentwertung umschlägt. Die Zinspolitik des bürgerlichen Staates durch die Heraufsetzung der Zinsen fördert die deflationären Tendenzen zusätzlich. Die bisherigen Zinserhöhungen in den USA und in der Eurozone sind zu schwach, um die inflationären Entwicklungen zu brechen, da bedarf es weiterer Zinserhöhungen, die dann aber die gegenwärtige krisenhafte Akkumulation noch weiter belasten. Nicht der antirussische Wirtschaftskrieg oder die „Corona-Pandemie“ erschaffen die Entwertungstendenzen des Kapitals, sondern der antirussische Wirtschaftskrieg etc. sind Produkte der Entwertungstendenzen des Kapitals selbst, haben eine Geschichte und fallen nicht zufällig vom Himmel. In dem antirussischen Wirtschaftskrieg oder in der „Corona-Krise“ sprechen sich nur die Entwertungstendenzen des Kapitals politisch aus. Die höheren Energiekosten belasten die Akkumulation negativ und senken gleichzeitig die gesellschaftliche Nachfrage durch die Senkung des Reallohns. Das Modell Deutschland beruht auch auf eine wohlfeile Energiezufuhr. Vor allem der deutsche Imperialismus schloss langfristige Verträge mit dem russischen Imperialismus über den Kauf von Öl und Gas ab, so daß die kurzfristigen Schwankungen der Preise dieser strategischen Rohstoffe keine Auswirkungen auf die Kostenstruktur des deutschen Kapitals hatte. Auf diese Weise konnte die Mehrwertrate erhöht werden und die gesellschaftlich notwendigen Reproduktionskosten des Ware Arbeitskraft sanken relativ, denn die sinkenden Energiekosten der Ware Arbeitskraft senkten den Betrag des Kapitals, der für die Reproduktion der Ware Arbeitskraft ausgelegt werden muß. Das zweite auf relativ geringe Energiekosten aufbauende Standbein des Modell Deutschland ist dann auch die Deflationierung der Ware Arbeitskraft durch Spaltung der Arbeiterklasse in aktiver Arbeiterarmee und industrielle Reservearmee, in Kern- und Randbelegschaften, in prekäre und Nicht-prekäre Arbeitsverhältnisse, vor allem durch die das Hartz IV-System. Schon mit Hartz IV vor dem antirussischen Wirtschaftskrieg kann sich die Ware Arbeitskraft nicht mehr in jedem Punkt gesellschaftlich notwendigen reproduzieren. Im antirussischen Wirtschaftskrieg sind die Bezieher von Hartz IV-Leistungen die ersten Opfer, wie alle Bezieher von sozialen Transferleistungen. Mit Hartz IV wurde der Reallohn in der gesamten Arbeiterklasse gesenkt, vor allem aber in den Randbelegschaften. Durch den antirussischen Wirtschaftskrieg wird Hartz IV die materielle Basis entzogen, denn die weitere ansteigende inflationäre Tendenz als Resultat dieses Wirtschaftskrieges, wie der expansiven Geldpolitik und der Kartellpolitik des Monopolkapitals, gefährdet nun existenziell die Reproduktion der Ware Arbeitskraft, vor allen in der industriellen Reservearmee und in den Randbelegschaften. Damit ist einer Niedriglohnpolitik vermittels Hartz IV-System der Weg verschlossen; Expansion des deutschen Kapitals auf dem Weltmarkt vermittels Lohndumping gerät an seine Grenzen und damit die Akkumulationserfolge des deutschen Kapitals seit der Implantierung des Hartz IV-Systems in den Jahren 2003/2004. Die absolute Verelendung durch Hartz IV droht potentiell sich in Revolten zu entladen, denn die gegenwärtige Lage wird für die Hartz IV-Bezieher durch die steigenden Preise immer hoffnungsloser. Das gegenwärtige Hartz IV-System kann seine Aufgabe, über den Druck auf die industrielle Reservearmee den Druck auf die Rand- und Kernbelegschaften zu erhöhen, nicht nachkommen, da derzeit die inflationäre Tendenz die Aufgabe des Hartz IV-Systems übernommen hat. Es steht zu befürchten, daß das Hartz IV-System weiter militarisiert wird und als Einfallstor für eine „sozialen Pflichtarbeitsdienst“ dienen könnte. Während bisher das Hartz IV-System Momente eines „demokratisch-kommunalen Arbeitsdienstes einschloß, könnte, vermittelt über das Hartz IV-System, ein zentraler Arbeitsdienst in militarisierter Form entstehen, welcher auch als potentielle Antwort des bürgerlichen Staates in Notstandsform als Reaktion auf mögliche proletarische Revolten gelesen werden kann. Ob inflationär oder deflationär, das Kapital will das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse absenken, wie auch die Transferleistungen an die Arbeiterklasse und wird sich deshalb gegen die Arbeiterklasse rüsten müssen. Ein „sozialer Pflichtarbeitsdienst“ wäre auch der Einstieg in die Aktivierung der Wehrpflicht, welche nur ausgesetzt, aber nicht abgeschafft wurde.

Eine Autarkie-Politik militarisiert die Klassenbeziehungen im Kapitalismus. Jede „ökonomische Autarkie“ muß durch eine „politische Autarkie“ nach innen und außen abgesichert werden und ist wesentlich ein „Freund-Feind Verhältnis“. Der „äußere Feind“ muß auf Abstand gehalten werden, auch in ökonomischen Fragen. Die sozioökonomischen Beziehungen dürfen nur rudimentär sein. Damit bezeichnet die Autarkie nichts anderes als die Weltmarktkonkurrenz von imperialistischen Blöcken, welche sich zentral auf ihre Großräume beziehen und versuchen diese imperialistischen Großräume auszudehnen bzw. zu verteidigen. Handel zwischen diesen imperialistischen Blöcken ist die Ausnahme. Der imperialistische Krieg ist die Fortsetzung des Wirtschaftskrieges bzw. der ökonomischen Durchdringung und nur durch den imperialistischen Krieg als letzte Instanz der multipolaren Weltmarktkonkurrenz können sich diese imperialistischen Blöcke erst bilden. Die multipolare imperialistische Blockkonkurrenz setzt ein negatives Verhältnis zwischen den imperialistischen Großräumen voraus, ein Feindverhältnis. Das Feindverhältnis zwischen den verschiedenen imperialistischen Blöcken stabilisiert jeden einzelnen imperialistischen Block nach innen und außen. Für das Kapital ist jeder zentrale Einwand gegen die jeweilige Politik eines imperialistischen Blocks illoyal und damit Verrat am Vaterland zum Vorteil des „äußeren Feindes“. Somit definiert eine Politik der Autarkie, eine Politik der „Unabhängigkeit, gleichzeitig den „äußeren Feind“, wie den „inneren Feind“. Der deutsche Imperialismus sieht die EU und vor allem die Eurozone als seinen Hinterhof an und bezeichnet offen Rußland und China als Feindstaaten, d.h. der deutsche Imperialismus ist dabei, um sich herum über die EU und Eurozone einen imperialistischen Block zu formieren, die EU und die Eurozone als deutschen imperialistischen Block auszurichten. Diese Feinderklärung an den „äußeren Feind“ ist gleichzeitig auch eine Feinderklärung an den „inneren Feind“. Wer China und Rußland nicht als „Feind“ ansieht, ist damit der „innere Feind“, d.h. auch, wer sich dem von der Bourgeoisie geforderten Verzicht verweigert, der angeblich notwendig ist, um gegen die „äußeren Feinde“ Rußland und China zu bestehen, ist der „innere Feind“. Eine Entspannungspolitik gegenüber Rußland und China ist damit ebenfalls ausgeschlossen, wie nach innen eine Politik des sozialen Ausgleichs, eine reformistische oder auch nur reformatorische Politik. Im Gegenteil, es wird ein Militärkeynesianismus im Sinne des militärisch-industriellen Komplexes festgeschrieben, der vermittelt ist mit einer Deflationspolitik des privaten Sektors des Kapitals und sich auf Formen und Tendenzen des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) stützt.

Auf diese Weise setzt sich die Autarkie, konkret die „Unabhängigkeit,“ von Rußland durch. Schon zwei Mal hat der deutsche Imperialismus versucht, die „Unabhängigkeit“ von Rußland zu erreichen, dafür steht 1914 wie 1939/1941, eben durch einen imperialistischen Vernichtungskrieg. Autarkie ist immer auch eine ideologische Waffe, unter dessen Schutz sich die Aufrüstung vollzieht. Im Kapitalismus gibt es keine Autarkie. Im Gegenteil. Der Kapitalismus hebt die Autarkie der feudalistischen Produktionsweise auf. Die historische Mission des Kapitalismus ist gerade auch die allseitige Abhängigkeit. Kapitalismus und Unabhängigkeit schließen sich aus. Der deutsche Imperialismus will nur die Bedingungen bzw. die Formen seiner Abhängigkeit vom russischen Imperialismus ändern und gibt diese Politik ideologisch als „Unabhängigkeit“ von Rußland aus. Eine „Unabhängigkeit“ von Rußland, eine „Unabhängigkeit“ vom Weltmarkt, kann es jedoch nicht geben. Die Forderung des deutschen Imperialismus nach „Unabhängigkeit“ von Rußland kann auch die Formen eines imperialistischen Krieges, auch Vernichtungskrieges“ annehmen, denn der deutsche Imperialismus bedarf der russischen strategischen Rohstoffe, um seine Akkumulation zu sichern, um einen dritten Griff zur Weltmacht zu realisieren. Der deutsche Imperialismus will einen Zugriff auf die strategischen Rohstoffe, die zufällig im Hoheitsbereich des russischen Imperialismus vorkommen, Rußland selbst interessiert den deutschen Imperialismus nur negativ, in dem Sinne, daß Rußland den Zugriff auf seine strategischen Rohstoffe nach eigenen Interessen regulieren kann. Notfalls muß Rußland, muß der russische Imperialismus, zerstört werden, wenn der Zugriff des deutschen Kapitals bzw. des deutschen Imperialismus auf die strategischen russischen Rohstoffe verhindert wird. Erst mit dem Zugriff des deutschen Imperialismus auf die strategischen Rohstoffe des russischen Imperialismus kann der deutsche Imperialismus eine tendenzielle Autarkie realisieren, welche dann eine tendenzielle Autarkie auch der EU wäre. Der Rückgriff auf regenerative Energien reicht bei dem gegenwärtigen Stand der Entwicklung der kapitalistischen Produktivkräfte für eine Autarkie nicht aus, der deutsche Imperialismus kann nicht auf die traditionellen strategischen Rohstoffe verzichten und muß sich deswegen auch mit dem russischen Imperialismus in ein bestimmtes Verhältnis setzten. Jedoch ist der deutsche Imperialismus sich nicht einig, welchen Weg er gehen will. Das höchste Ziel des deutschen Imperialismus wäre die Kontrolle der russischen Rohstoffe ohne Rußland bzw. die „Befreiung“ der russischen Rohstoffe vom russischen Imperialismus. Ohne die russische Rohstoffzufuhr steigen die Produktionskosten für das deutsche Kapital und damit wird auch der sehr wichtige chinesische Markt gefährdet. Ein Bruch mit dem russischen Imperialismus führt notwendig zu einem Bruch mit China und zielt dann objektiv auf den „deutschen Sonderweg“.

Der transatlantische antirussische Wirtschaftskrieg schlägt ebenso fehl, wie der NATO-Stellvertreter-Krieg in der Ukraine militärisch scheitert. Militärisch führt der russische Imperialismus keinen Blitzkrieg gegen die Ukraine, denn die Militärdoktrin des russischen Imperialismus setzt nicht auf einen Blitzkrieg. Der russische Imperialismus setzt militärisch in seinem Krieg gegen die Ukraine auf Zeit und Raum, geht langsam vor, erobert erst den Donbass und wenn notwendig den Rest der Ukraine. Die NATO-Ukraine hat sein Beginn des Krieges keine Chance, auch mit Waffenlieferungen der NATO und EU-Staaten nicht. Nur dann, wenn der NATO-Pakt direkt militärisch interveniert, gibt es eine Chance, daß die Ukraine den Krieg gewinnt. Aber das würde den Dritten Weltkrieg bedeuten. Nur im Rahmen des Dritten Weltkrieges kann die Ukraine den Krieg für sich entscheiden. Bis jetzt verweigert der NATO-Pakt die militärische Intervention in den Ukraine-Krieg, obwohl sie in der Ukraine die Illusion genährt hat, wenn es ernst wird, wird die NATO der Ukraine in einem Krieg gegen zur Seite stehen. Für das ukrainische Maidan- Regime, welches sich zentral auf faschistische Organisationen im inneren und auf den US-Imperialismus im äußeren stützt, ist dies Verrat. Und eben deshalb führt der russische Imperialismus einen langsamen Krieg gegen die Ukraine, um die Illusionen in die USA, in die NATO, in die EU, in den deutschen Imperialismus zu zerstören. Kein übermächtiger russischer Imperialismus zerstört die Ukraine, sondern der Verrat des US-Imperialismus. Ein Blitzkrieg ermöglicht die Illusion einer Revanche; man wurde nur überrascht, nicht besiegt. Beim nächsten Mal könnte es auch anders sein. Mit dem langsamen Krieg des russischen Imperialismus zerfällt diese Illusion und der ukrainische Faschismus, wie der NATO-Pakt müssen klar darüber werden, daß die Trennung der Ukraine von Rußland nur über einen Dritten Weltkrieg zu erreichen ist. Vor diesem Hintergrund marschiert das russische Militär ruhig im Donbass ein und spaltet die dortige ukrainische Armeegruppe im mehrere Kessel auf und vernichtet sie nacheinander. Damit hätte die Ukraine ihre besten Truppen im Donbass verloren. Schon wieder wird der Donbass das Massengrab des NATO-Maidan. Es gibt zaghafte Versuche, die Westukraine unter durch Polen mehr oder minder offen abzuspalten, was aber von Rußland und Weißrußland verhindert wird. Umso mehr die Lage für das Maidan—Regime in Kiew bedrohlicher wird, desto mehr radikalisiert sich die Politik des NATO-Paktes bzw. des EU-Bündnisses. Jetzt wird versucht, den russischen Transit über Litauen in die russische Enklave Kaliningrad bei bestimmten Waren zu verhindern. Damit werden alle völkerrechtlichen Prinzipien und die EU-Verträge über den Status von der Oblast Kaliningrad verletzt. Damit wird geradezu ein Krieg provoziert. Rußland kann die Oblast Kaliningrad auch über das Meer versorgen, doch auch ein Angriff auf Litauen, hier über die Suwalki-Lücke wäre gerechtfertigt. Letztlich zwingt der deutsche Imperialismus Litauen zum Einlenken. Dennoch: Die Kriegsgefahr zwischen dem transatlantischen Imperialismus und dem russischen Imperialismus steigt besonders im Ostseeraum/arktischen Raum an, vor allem Polen, Estland, Lettland und Litauen sind als explizite Unterstützter der Maidan-Ukraine, die Staaten, sie versuchen, die NATO-EU-Politik gegenüber dem russischen Imperialismus zu forcieren und destabilisieren damit diese Regionen. In dieser geographischen Zone konzentrieren sich die imperialistischen Widersprüche zwischen dem transatlantischen Imperialismus und dem russischen Imperialismus. Der NATO-Pakt massiert vor allem in Litauen mehr Truppen und der russische Imperialismus vereinigt die russische und belarussische Armee, während Belorussland nun Rußland auffordert, auf seinem Territorium Atomwaffen zu stationieren. Immer mehr geraten Polen und die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen selbst ins Visier des imperialistischen Machtkampfes der sich nicht mehr auf die Ukraine beschränken läßt. Der NATO-Pakt will nun statt 40.000 Soldaten an den Grenzen zu Rußland von Norwegen über die baltischen Staaten, bis zum Balkan ganze 300.000 Soldaten stationieren. Rußland wird dagegenhalten müssen, bzw. es kommt zum Krieg. Geographisch grenzen sich die imperialistischen Mächte ihre Einflußzonen deutlich ab, jedoch gibt es indifferente Räume an den Grenzen der Großwirtschaftsräume, welche objektiv zum Zusammenprall der verschiedenen Imperialismen führen können. Es werden „Rote Linien“ erklärt, die jedoch nicht allgemein akzeptiert werden, sie müssen erst ausgekämpft werden.

Es liegt an der bisherigen Besonnenheit des russischen Imperialismus, daß bisher die Lage nicht in einem Dritten Weltkrieg eskaliert ist, wie an der transatlantischen Uneinigkeit. Ein prekäres Gleichgewicht. An diesen Prozessen läßt sich die Bildung von imperialistischen Blöcken, imperialistischen Großraumwirtschaften gut ablesen. Autarkie kann immer nur die tendenzielle Autarkie von imperialistischen Blöcken, imperialistischen Großraumwirtschaften sein. So stehen nun die transatlantischen G-7 Staaten gegen die von Rußland und China geführten BRICS-Staaten, welche dabei sind, einen Währungskorb und eine interne Zahlungsabwicklung zu organisieren. Es ist den transatlantischen Staaten nicht gelungen, Rußland ökonomisch und politisch isolieren. Die Ukraine-Krise führt zu einer internationalen Konfrontation zwischen den G-7 Staaten und den BRICS-Staaten.

Der deutsche Imperialismus zielt explizit auf die Unabhängigkeit von Rußland, aber nicht auf die Unabhängigkeit von russischen Rohstoffen. Der antirussische Wirtschaftskrieg führt zum Verlust des Importmarktes Rußland für die strategischen Rohstoffe, welche die Akkumulation des deutschen Kapitals ermöglichen. Durch die Fakturierung einiger dieser strategischen Rohstoffe in Rubel wurde der deutsche Imperialismus schwer getroffen. Dann folgte die Reduzierung der Gaslieferung durch Nordstream I. Diese russische Reduzierung der Gasmenge hat technische Gründe, welche auch noch in den antirussischen Wirtschaftssanktionen wurzeln, sind aber auch mit politischen Gegenmaßnahmen vermittelt. Es drohen dem deutschen Imperialismus schwere Einbrüche in die Akkumulation und die Arbeiterklasse wird auf mindestens fünf Jahre Verzicht eingeschworen, doch dieser Zusammenbruch der Akkumulation wird länger als fünf Jahre andauern. Im Fall eines Gaskrieges und der Einstellung der Gaslieferung sind mindestens zehn bis zwanzig Jahre Verzicht der Arbeiterklasse durch die verschärfte Krise zu erwarten.

Mittlerweile eskaliert der deutsche Imperialismus seinen transatlantischen Machtkampf mit dem russischen Imperialismus weiter, wenn Wirtschaftsminister Habeck behauptet, daß die Verringerung der Gaszufuhr aus Rußland ein ökonomischer Angriff auf Deutschland wäre. Hier wäre ein vermittelndes Moment, wo der Wirtschaftskrieg in einen Krieg, in einen Dritten Weltkrieg, hinüberwachsen kann. Ein Exportverbot der russischen Rohstoffe in Richtung Deutschland wird die Akkumulation des deutschen Kapitals zu Fall bringen. Das wäre dann der Moment, wo der deutsche Imperialismus zum militärischen Angriff auf den russischen Imperialismus ansetzen würde, wenn er nur könnte. In diese Richtung geht auch die Forderung einiger bürgerlicher Ökonomen, welche an Rußland ein Preisultimatum stellen wollen. Entweder Rußland akzeptiert geringere Preise für Gas oder man wurde die Geschäftsverbindungen im Gasmarkt mit Rußland abbrechen. Der antirussische Wirtschaftskrieg würde eskalieren. Ein Ultimatum leitet in der Regel den Krieg ein und nicht nur einen Wirtschaftskrieg. Da der deutsche Imperialismus ohne die russischen Energielieferungen nicht auskommen kann, wäre das „Gaspreis-Ultimatum“ der Prolog zu einem NATO-Angriff auf Rußland und China, zum Dritten Weltkrieg. Immer deutlicher droht der deutsche Imperialismus mit dem totalen Krieg, zum dritten Mal in der Weltgeschichte.

Der totale Importverlust des russischen Marktes kann der deutsche Imperialismus nicht anderweitig ersetzten und würde potentiell den russischen Boykott mit einem militärischen Angriff auf Rußland beantworten und in einen Dritten Weltkrieg führen. Dieses Szenario ist mit der tendenziellen Blockade der Oblast Kaliningrad durch Litauen aktuell geworden und klar ist, daß hinter Litauen die transatlantischen Metropolen USA, Britannien, Frankreich und Deutschland stehen, d.h. die tendenzielle Blockade von der Oblast Kaliningrad wird durch die zentralen EU- und NATO-Mächte gedeckt und damit auch durch Deutschland. Rußland wird nun die Oblast Kaliningrad über das Meer versorgen und droht als Gegenschlag Litauen vom gemeinsamen Stromnetz abzuklemmen. Ein „Blackout“, nicht nur in Litauen, sondern auch in Deutschland wegen Energiemangel ist möglich. Australien hat wegen der „Blackout“-Tendenz seinen Strommarkt verstaatlicht und rationiert. Eine Politik, die auch in der EU, in der USA und auch in Deutschland denkbar sind. Sollte die EU im August versuchen, den Gastransfer nach Kaliningrad zu unterbinden, auch als Antwort auf die Abklemmung Litauens vom gemeinsamen Stromnetz von Rußland, würde Rußland ebenso zum Gegenschlag ausholen und einen Gasboykott realisieren. Der geringe Gaszufluß im Juni in die EU ist nur eine Warnung. Dies wäre dann der ökonomische Nuklearschlag gegen den deutschen Imperialismus und die EU, denn dieser Ausfall der Gaslieferungen kann nicht mit anderen Gaslieferungen oder anderen Energieträgern ausgeglichen werden. Die EU-Staaten, auch Deutschland, wären dann von einem ökonomischen Zusammenbruch betroffen. Dies wäre dann der Punkt, wo ein militärischer Angriff des NATO-Paktes sehr wahrscheinlich wäre und der antirussische Wirtschaftskrieg in den Dritten Weltkrieg hinüberwächst. Zeitgleich mit der tendenziellen Blockade der Oblast Kaliningrad setzt das deutsche Kapital die zweite Phase der Gaswarnstufe in Kraft, um die Gasspeicher trotz des geringen Gasflusses wieder zu füllen, bereitet sich seit Juni auf einen Gaskrieg gegen den russischen Imperialismus vor. Doch auch ohne diese Zuspitzung und Eskalation durch EU-Bündnis und NATO-Pakt ist die Lage katastrophal. Die inflationären Tendenzen zeitigen deflationäre Tendenzen, denn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wird drastisch reduziert, da die Gewerkschaftsbürokratie sich weigert, den Reallohnverlust durch die inflationären Tendenzen auszugleichen. Die Großhandelsläger sind gut gefüllt, weil der Abverkauf zu den inflationierten Preisen nicht realisiert werden kann und gleichzeitig eine Preissenkung zu einer großen Entwertung führt, der Kostendruck kann eben nicht 1:1 weitergegeben werden. Auch die Automobilbranche wird nicht von der Entwertung des Kapitals verschont und der Ford-Konzern schließt seine Fabrik in Saarlouis.

Umso mehr der deutsche transatlantisch antirussische Wirtschaftskrieg gegen Rußland eskaliert, desto mehr verschwindet der transatlantische Charakter dieses Wirtschaftskrieges gegen Rußland und objektiv transformiert sich der Wirtschaftskrieg gegen Rußland in einen deutsch-nationalen Wirtschaftskrieg, wie die deutsche Bourgeoisie immer mehr auf den deutschen Sonderweg wandelt. Dieser antirussische Wirtschaftskrieg droht auch das deutsche Kapital von seiner transatlantischen Position objektiv zu emanzipieren. Immer mehr wird es zu einem offenen Machtkampf zwischen dem deutschen und russischen Imperialismus um die Hegemonie in Europa und damit auch der Welt und bedroht in letzter Instanz auch den US-Imperialismus und die anderen transatlantischen Metropolen, wenn der deutsch-russische Widerspruch außer Kontrolle gerät. Noch hat der US-Imperialismus den deutschen Imperialismus unter Kontrolle, noch geht es um: der „Westen“ gegen Rußland und China. Ob die US-Kontrolle über diesen Widerspruch noch erhalten bleibt ist offen. Ansonsten würde es heißen; der deutsche Imperialismus gegen den russischen Imperialismus und letztlich gegen den Rest der Welt. Ein Sieg des deutschen Imperialismus über den russischen Imperialismus würde den „Westen“ sprengen und dem deutschen Imperialismus den dritten Griff zur Weltmacht erlauben. Eine „Rapallo-Lösung“ wäre nur ein Zwischenschritt für den dritten Griff des deutschen Imperialismus zur Weltmacht; eine Konfrontation mit dem russischen Imperialismus wäre nur aufgeschoben. Aber auf jeden Fall wäre es das Ende des transatlantischen Westens. Der US-Imperialismus sieht vor allem die Gaspipelines Nord Stream I, aber vor allen Nord Stream II als Momente einer „Rapallo-Bewegung“ an versucht eine deutsch-russischen Annäherung zu verhindern und einen deutsch-russischen Gegensatz zu produzieren. Doch sollte der deutsch-russische Gegensatz außer Kontrolle geraten, könnte es ebenso die Position des US-Imperialismus gefährden.

Die instabile Weltlage wird immer weiter durch den offenen Niedergang des US-Imperialismus destabilisiert bzw. an der instabilen Weltlage läßt sich der Verlust der US-Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette gut ablesen. Der US-Imperialismus wird immer mehr zur Quelle der Instabilität und die gegenwärtige instabile Weltlage ist das Produkt der Instabilität des US-Imperialismus selbst. Jeder bürgerliche Nationalstaat flüchtet in die „nationale Sicherheit und „nationale Sicherheit“ bedeutet immer primär Kontrolle der Arbeiterklasse. Für das Kapital gehört die Arbeiterklasse, nur dann zur „Nation“, wenn ihre proletarischen Massenorganisationen offen zerschlagen oder verdeckt sich selbst gleichgeschaltet haben, ansonsten ist sie ein „Feind“ der „Nation“.

Für das Kapital beginnt der „innere Feind“ da, wo sich der Aufrüstung des deutschen Imperialismus verweigert wird. Die Aufrüstung schafft keine Werte, sondern zerstört Werte, denn sie ist nicht reproduktiv und geht auf Kosten des gesellschaftlichen Reichtums, konkret zur Lasten der individuellen oder kollektiven Reproduktion der Arbeiterklasse. Schon aus diesen Gründen in Friedenszeiten positioniert sich die Arbeiterklasse negativ gegen die Aufrüstung. Damit wird die Arbeiterklasse für die Bourgeoisie zur Gefahr für die „nationale Sicherheit“ und damit zum „inneren Feind“. Schon Forderungen nach Abrüstung sind für das Kapital in der gegenwärtigen Zeit eine Bedrohung für die „nationale Sicherheit“. Wer Forderungen nach Abrüstung erhebt ist für die Bourgeoisie ein „innerer Feind“, ist subversiv und ein potentieller Terrorist. Der Ruf nach Frieden ist für die Bourgeoisie eine Kriegserklärung, eine „Gefahr für die nationale Sicherheit.“. Das Kapital orientiert sich an Orwells 1984; Frieden ist Krieg und Krieg ist Frieden. Mit Orwellschen Neusprech wird die „nationale Sicherheit“ gegen die Arbeiterklasse verteidigt und dient der psychologischen Kriegsführung gegen die Arbeiterklasse. Die deutschen „Friedensinstitute“ unterstützten die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine. Sie sollten besser „Kriegsinstitute“ heißen. Eine Politik der imperialistischen Blockbildung, d.h. eine Politik der Autarkie. ist immer eine Politik der Aufrüstung nach innen und außen, ist immer in letzter Instanz auf eine Kriegswirtschaft ausgerichtet und deshalb geht die Bourgeoisie mit großer Vehemenz gegen Friedensforderungen vor. Der Frieden bedroht die Klassenherrschaft der Bourgeoisie in dieser Phase der Großen Krise, d.h. der Friede ist derzeit der größte Feind der Bourgeoisie. Wer Frieden und Abrüstung fordert, wird automatisch zum „inneren Feind“ der Bourgeoisie. Die Aufrüstung, der militärisch-industrielle Komplex, richtet sich immer gleichzeitig gegen den „inneren“ und „äußeren Feind,“ führt zur inneren Militarisierung der bürgerlichen Gesellschaft und geht notwendig einher mit einer psychologischen Kriegsführung gegen die Arbeiterklasse.

Die Repressionsapparate des bürgerlichen Staates werden zunehmend auf den „inneren Feind“ ausgerichtet. Am deutlichsten ist diese Tendenz sichtbar beim Militär. Es wird zunehmend im Zuge der Aufrüstung die Bundeswehr auf den Inlandseinsatz gegen den „inneren Feind“ ausgerichtet. So bildet die Bundeswehr nun ein Kommando für „Heimatschutz“. Der Oberbefehlshaber des „Kommando Heimatschutz“ leitet Generalmajor Breuer, der schon den „Corona-Krisenstab“ seit Herbst 2021 geleitet hatte. Die Kontinuität des „Corona-Notstandes“ mit den gegenwärtigen Notstandsformen in der Ukraine-Krise ist also gewahrt. Vom „Corona-Notstand“ in den Energie- und gar Kriegsnotstand während der Ukraine-Krise. Es geht um den Inlandseinsatz der Bundeswehr, der Einsatz der Bundeswehr gegen die Arbeiterklasse. Am politischen Horizont taucht das Kriegsrecht auf. Es darf nicht vergessen werden, daß die EU-Verträge durchaus den militärischen Einsatz und auch die Todesstrafe im Notstandsfall bei Aufständen und im Krieg als legitim ansehen. Der bürgerliche Staat spricht sich das Recht zu, den Schießbefehl an die Polizei, den Geheimdiensten und das Militär zu erteilen, wenn die nationale und internationale Lage dies erfordert. Weder die NATO, noch die EU sind „Friedensmächte“, sondern im Gegenteil „Kriegsmächte“, wobei sich die EU als „Friedensmacht“ tarnt und das U-Boot der NATO darstellt. NATO und EU üben sich nur in der Arbeitsteilung. Die NATO als der „harte Polizist“ und die EU als der „weiche Polizist.“ Doch dies ist nur ein taktisches Vorgehen. NATO und EU sind gleichermaßen Feinde der Arbeiterklasse nach innen, wie nach außen. Es bleibt offen, ob der Kandidatenstatus der Ukraine nur symbolisch bleibt oder ob er gegen alle EU-Regeln realisiert wird. Dann wäre die EU auch verpflichtet, militärisch in dem Ukraine-Krieg zu intervenieren, statt der NATO. Nicht nur die angestrebte offene NATO-Mitgliedschaft der Maidan-Ukraine ist das einzige Problem, sondern ebenso auch die EU-Mitgliedschaft, nicht nur die NATO ist der Feind der Arbeiterklasse, sondern auch die EU. Jeder Notstand in Deutschland oder einem anderen Land ist vorher mit der NATO und der EU abgestimmt bzw. koordiniert worden. So wurden auch die „Sicherstellungsgesetze“ als erste Stufe der Notstandsgesetze als „Reaktion“ auf den 11. September in den USA nicht vom deutschen Imperialismus alleine verhängt, sondern durch einstimmigen NATO-Beschluß. Die Corona-Notstände in der EU wurden naturwüchsig verhängt und später über die EU-Institutionen abgestimmt und koordiniert. Der „Heimatschutz“ des deutschen Imperialismus ist auf NATO- und EU-Ebene angesiedelt und keine national isolierte oder gar lokal isolierte Angelegenheit. In letzter Instanz erstreckt sich der „Heimatschutz“ des deutschen Imperialismus über die gesamte EU, denn die EU ist der zentrale „Lebensraum“ des deutschen Kapitals, ein „Lebensraum“, welcher jetzt dem deutschen Kapital zu klein ist und so ist wieder der deutsche Imperialismus auf der Suche nach einem „neuen Lebensraum“, der er im Osten findet, aber ihm durch den russischen Imperialismus verwehrt wird. Die „deutsche Heimat“ ist der westeuropäische Großraum, denn nur dieser kann tendenziell autark sein und somit ist der „Lebensraum“ des deutschen Kapitals zuerst einmal der westeuropäische Großraum, der jedoch in seiner Rohstoff- und Energieversorgung abhängig vom „eurasischen Großraum“ ist. Anhand des Ukraine-Konflikts läßt sich zeigen, daß der westeuropäische Großraum in letzter Instanz nicht autark ist. Erst in diesem innerimperialistischen Ukraine-Konflikt wird dem deutschen Imperialismus seine Schwäche und seine Abhängigkeit von Eurasien bewußt. Die transatlantischen Metropolen stehen vor einer schweren Niederlage in ihrem Kampf gegen den russischen Imperialismus, denn sie verlieren den verdeckten NATO-Krieg gegen die Ukraine, wie auch den Wirtschaftskrieg gegen Rußland, da sie sich überschätzt und den russischen Imperialismus unterschätzt haben.

Der Notstand als Normalzustand während der entscheidenden Krisenphase der Großen Krise. Dieser „Corona-Notstand“ war nur der Prolog zum Notstand, aber noch nicht der Notstand selbst. Jetzt kommen die „Sicherstellungsgesetze“ zum Anschlag. Die „Sicherstellungsgesetze“ sind die erste Phase der Notstandsgesetze und dienen zur Organisierung der Kriegswirtschaft bzw. des Mobilisierungsfalls. Diese „Sicherstellungsgesetze“ wurden schon im Oktober 2001 als Reaktion auf die vom US-Imperialismus initiierten großen Terroranschläge des 11. September 2001 per NATO-Beschluß im Sinne des Spannungsfalls aktiviert, aber bisher nicht angewendet. Dieser NATO-Beschluß erfolgte einstimmig und kann nur einstimmig aufgehoben werden, was schon immer und in der gegenwärtigen Situation erst Recht praktisch unmöglich ist. Die materielle politische Basis für eine Politik der Autarkie-Kriegswirtschaft ist vorhanden und kann sich jetzt jederzeit durch die Konzentration der Widersprüche realisieren. Wenn es nötig wird, werden auch die Notstandsgesetze zur Gänze aktiviert oder es wird in der ersten Phase zunehmender nationaler und internationaler Spannungen auf den „übergesetzlichen“ Notstand zurückgegriffen. Sollte die Eskalation der internationalen politischen und sozioökonomischen Spannungen nicht gebrochen werden und sich die Eskalation fortsetzen, sind katastrophale Ereignisse mit Schockwirkung nicht mehr ausgeschlossen und damit dann auch nicht mehr die Verhängung des formellen und offenen Notstandes ausgeschlossen werden.

Drei große Soldaten

Der Vorsitzende des BDA (Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände) Rainer Dulger fordert gar einen „nationalen Notstand“ um der „Energiekrise“ Herr zu werden. Mit diesem „nationalen Notstand“ ließen sich Streiks leichter brechen. Das Streikrecht selbst soll gleichzeitig unangetastet bleiben, d.h. das Streikrecht, soweit es so etwas in Deutschland gibt, soll abstrakt bestehen bleiben und nur in der Zeit des Notstands ausgesetzt werden. Der aktuelle politische Hintergrund für diese BDA-Position liegt in den gegenwärtigen Streiks in den deutschen Seehäfen, welche die Lieferkettenkrise noch verschärfen. Auch der Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf fordert im Falle eines Ausfalls der russischen Gaslieferungen einen „nationalen Notstand“ mit einem Streikverbot. Mit dieser Position geht der BDA in die „Konzertierte Aktion“ zwischen den Kapitalorganisationen, dem bürgerlichen Staat und der Gewerkschaftsbürokratie. Die Verdi-Bürokratie, welche die Streiks in den Seehäfen organisiert, positioniert sich nur formal deutlich gegenüber den BDA-Positionen und warnt vor der Errichtung eines autoritären Staates. Jedoch alle anderen Gewerkschaftsbürokratien der Einzelgewerkschaften, wie der DGB selbst schweigen zu den Drohungen des BDA. Die DGB-Bürokratie ist grundsätzlich bereit einen „nationalen Notstand“, der als „Energienotstand“ getarnt ist, mitzutragen und damit sich selbst gleichzuschalten und fordert sogar offen die Rationierung des Energieverbrauchs der Arbeiterklasse. Alles, was über einen Energiegrundbetragsverbrauch hinausgeht, muß die Arbeiterklasse selbst zahlen. Diese Forderung wird gar von der DGB-Vorsitzenden Fahimi selbst erhoben. Umverteilung der Energie von der Arbeiterklasse auf das Kapital; Energiereichtum des Kapitals versus Energiearmut der Arbeiterklasse. Die Arbeiterklasse soll ihren Energieverbrauch senken, damit das Kapital seinen Energieverbrauch konstant halten, bzw. erhöhen kann. Statt den Energieverbrauch der Arbeiterklasse als Moment der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion zu verteidigen, fordert die DGB-Bürokratie die Rationierung für die Arbeiterklasse, wird immer mehr zur Arbeitsfront. Rationierung ist eine Waffe des Notstandsstaates gegen die Arbeiterklasse. Der positive Bezug der Gewerkschaftsbürokratie auf die Rationierung ist damit ein positiver Bezug auf den Notstandsstaat und auch auf einen „nationalen Notstand“, welcher vom BDA angedacht wird und eine Parteinahme für den deutsch-transatlantischen Wirtschaftskrieg gegen Rußland, anstatt sich gegen diesen antirussischen Wirtschaftskrieg auszusprechen, denn nur dann, bei Inbetriebnahme von Nordstream I und II, kann die „Energiekrise“ überwunden werden, d.h. bei Ende des antirussischen Wirtschaftskrieges. Stattdessen solidarisiert sich die DGB-Bürokratie mit dem deutschen Kapital, mit dem deutschen Imperialismus in seiner antirussischen Stoßrichtung. In Hamburg droht der Umweltsenator mit der Rationierung von Warmwasser. Die Rationierung des Energieverbrauchs der Arbeiterklasse zieht eine umfassende Rationierung von Lebensmitteln der Arbeiterklasse nach sich. Rationierung ist ein Moment einer Kriegswirtschaft. Die Losung des deutschen Kapitals heißt: Kanonen statt Butter und die DGB-Bürokratie unterstützt diese Position. Immer tiefer versinkt der DGB in eine Arbeitsfront, entweder durch Selbstgleichschaltung wie 1914 oder gewaltsame Gleichschaltung auf der Basis von politischer Zersetzung im Mai 1933. Wie nah der „nationale Notstand“ des BDA bereits ist, zeigen die Ereignisse um die Hafenarbeiterstreiks. Die verdi-Bürokratie akzeptiert, die Gerichtsentscheidungen, daß Warnstreiks bis Ende August auszusetzten und Verhandlungen anzusetzen seien. Innerhalb von verdi gibt es Proteste der Gewerkschaftsbasis gegen die Akzeptanz des Gerichtsurteils durch die verdi-Bürokratie. Der Angriff des bürgerlichen Staates auf das Streikrecht trifft auf Widerstand der Gewerkschaftsbasis und der Arbeiterklasse. Auch die verdi-Bürokratie ist, wenn es konkret wird, bereit zu kapitulieren. Bei den Demonstrationen der Hafenarbeiter kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen den diesen und der Polizei. Bevor die Lage außer Kontrolle gerät, schließt die Verdi-Bürokratie ohne Urabstimmung ab. Auch hier bleiben die Löhne unterhalb der Inflationsrate, auch wenn die Verdi-Bürokratie verlauten läßt, die Lohnsteigerungen würden 9,7 Prozent betragen, denn die Einmalzahlungen werden mit eingerechnet. Zudem läuft der Tarifvertrag zwei Jahre und kann nur unter außergewöhnlichen Umständen vorher gekündigt werden. Darüber entscheidet dann ebenfalls die Verdi-Bürokratie. Der „nationale Notstand“ des BDA wirft seine Schatten voraus. Das Bundesinnenministerium und der Inlandsgeheimdienst warnen vor großen Protesten, wenn ein Energienotstand verhängt werden sollten und drohen damit, daß der „Staat“ auf diese Entwicklung vorbereitet ist. Gleichzeitig warnt auch die Außenministerin vor „Volksaufständen“ bei einem Energiemangel. Nord Stream I wird wohl wegen russische Restriktionen weniger Gas liefern und Nordstream II wird vom deutschen Kapital boykottiert. Das deutsche Kapital fürchtet einen Energiemangel als Folge des antirussischen Wirtschaftskrieges, will aber keine Verständigung mit dem russischen Kapital und ist bereit notfalls den „Energienotstand“ auszurufen, was Revolten der Arbeiterklasse provoziert. Gleichzeitig fordert das Kapital längere tägliche und wöchentliche Arbeitszeiten von der Arbeiterklasse, wie auch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf mindestens 70 Jahre. Auch der „Corona-Notstand“ war ein verdeckter „Energienotstand“, denn die Bewegungsbeschränkungen des „Corona-Notstandes“ führten zu einem drastischen Einbruch im Energieverbrauch, d.h. der „Corona-Notstand“ war die Probe aufs Exempel. Der US-Imperialismus ist nicht mehr in der Lage, die Energieversorgung des deutschen Imperialismus bzw. der transatlantischen Metropolen zu sichern. Der Bruch zwischen Saudi-Arabien und den USA im Juli macht dies deutlich. Saudi-Arabien verweigert sich dem Ansinnen des US-Imperialismus nach Erhöhung der Ölforderung. Gleichzeitig sind die Zentralbanken der transatlantischen Metropolen genötigt, die Zinsen anzuheben bzw. das Steigen der Zinsen aufgrund der inflationären Tendenzen offiziell festzuschreiben. Damit nehmen die Tendenzen zu, welche den Weltmarkt in eine tiefe Rezession stürzen. Es entwickelt sich derzeit eine gleichzeitige Rezession in allen zentralen Märkten, in den USA, in der EU und in China. Schon im Juli muß das US-Kapital verkünden, daß man sich seit dem Frühjahr in einer deutlichen Rezession befindet. Die inflationären Tendenzen sind nur die die Vorboten für die Entwertung des Kapitals in der Krise, die Vorboten für die deflationären Tendenzen. Entwertung der Produktion ist vor allem Absturz der Produktion und damit auch Absturz der Energiepreise. Ab Juli schlagen die inflationären Tendenzen in deflationäre Tendenzen um. Die hohen Energiepreise führen zu Produktionseinstellungen oder Produktionsreduktionen und damit zu Entlassungen und einem Ansteigen der Massenarbeitslosigkeit. Damit sinkt der Energieverbrauch und setzt sich Armut und damit auch Energiearmut. Die wertgesetzrationale Absenkung des Energieverbrauchs setzt auch Tendenzen zur absoluten Verelendung der Arbeiterklasse frei, denn der Energieverbrauch steigt mit einer positiven Akkumulationstendenz und fällt mit einer negativen Akkumulationstendenz, d.h. das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse steigt mit einer positiven Akkumulationstendenz bzw. mit einer Ausdehnung des Energieverbrauchs und fällt bei einer negativen Akkumulationstendenz vermittelt auch über den fallenden Energieverbrauch. Der Energieverbrauch ist ein Indikator für Entwicklungstendenz der Akkumulation. Wer den Energieverbrauch senken will, muß notwendig die gesellschaftliche Produktion senken, muß das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse senken. Wenn DIHK Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Wansleben erklärt, daß die deutschen Wirtschaftssanktionen gegen Rußland am Ende Deutschland ca. 20 bis 30 Prozent des Wohlstands Kosten werden, dann heißt dies abstrakt, daß das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau eben um 20 bis 30 Prozent abgesenkt wird. Ein dramatischer Einbruch für die Arbeiterklasse. Dann wird eben auch 20 bis 30 Prozent des deutschen Energieverbrauchs gesenkt, bzw. die Absenkung des deutschen Energieverbrauchs durch die gegenwärtige Politik des deutschen Imperialismus um 20 bis 30 Prozent führt zu einer Senkung der Produktion um 20 bis 30 Prozent und damit auch um das Steigen der Verelendung um 20 bis 30 Prozent, was auch eine proletarische Massenarmut über Massenarbeitslosigkeit einschließt. Die gesellschaftliche Produktion wird der sinkenden Gaszufuhr angepaßt, statt die Gaszufuhr dem bisherigen Niveau der gesellschaftlichen Produktion anzupasen. So kann dann auch das Phantasma des „Fachkräftemangels“ gelöst werden. Die „Energiesicherheit“ des deutschen Imperialismus ist nichts anderes als ein Energienotstand mit einer Rationierung gegen die Arbeiterklasse. Verzicht der Arbeiterklasse, aber Energiefreiheit für das Kapital. Die Arbeiterklasse soll nach dem Willen des Kapitals am besten freiwillig „verzichten“ und die „Energiesicherheit „und „Energiefreiheit“ des deutschen Kapitals zu finanzieren. Der DIHK spricht die Schock-Politik deutlich aus. Wie tief der deutsche Imperialismus schon im Energienotstand und Energiekrise versackt ist, zeigt sich in der Frage der gegenwärtigen „Energiesicherheit“. Um die Kohleverstromung abzusichern, muß die Deutsche Bundesbahn den Güterverkehr, wenn er Kohle transportiert, gegenüber dem Personenverkehr priorisieren. Der Umfang des Kohletransports bestimmt den Umfang des Personenverkehrs. Aber vor allem: die höchste Priorität haben derzeit die Militärtransporte über das Bahnsystem der Deutschen Bundesbahn. Hinter diesen muß auch der Kohletransport zurückstehen. Die Signale für Energienotstand und Krieg werden schon jetzt in einigen Bereichen der bürgerlichen Gesellschaft auf grün umgestellt.

Die Erschütterungen der Krise und des transatlantischen Wirtschaftskrieges gegen Rußland treffen auch die EU und richten dort große Schäden an. Die Euro-Krise droht wegen der Zinserhöhung der EZB wieder auszubrechen und führt schon präventiv zum Sturz der italienischen Regierung. Es geht um die Existenz der EU und auch um die Existenz der Euro-Zone. Sollte die EU und/oder die Euro-Zone auseinanderbrechen, wird der deutsche Imperialismus aus seiner Westbindung ausbrechen. Auch auf diese Entwicklung hin zielt die mögliche Schock-Politik. Auch der Versuch eines EU-Energienotstandes scheiterte. Es bleibt lediglich bei Absichtserklärungen; verbindliche Zusagen wurden nicht getroffen. An dem Versuch eines EU-weiten „Energienotstandes“ bzw. „Gasnotstandes“ durch den deutschen Imperialismus läßt sich ablesen, wie der deutsche Imperialismus Westeuropa auf einen verschärften antirussischen Wirtschaftskrieg und letztlich Krieg ausrichten möchte. Es geht um eine westeuropäische Kriegswirtschaft im Wirtschaftskrieg oder Krieg gegen Rußland unter Führung des deutschen Imperialismus. Über die Energierationierung wird der Krieg gegen den russischen Imperialismus vorbereitet. Die Gasumlage ist der offizielle Beginn des Energienotstandes.

Aber Rußland ist nur ein Feind des transatlantischen Imperialismus. China ist der zweite Feind, der anvisiert wird. So spitzt sich auch die Lage um Taiwan zu, denn China droht mit militärischen Maßnahmen, sollte die Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses der USA, die Insel besuchen. Taiwan wird von China als ein Teil Chinas angesehen und geht hart gegen Staaten vor, welche versuchen, Taiwan international als eigenen Staat aufzuwerten. Nach dem Besuch Taiwans durch Nancy Pelosi verhängt China Sanktionen gegen Taiwan und liefert keinen Sand für die Chipproduktion mehr. Dies trifft auch die transatlantischen Metropolen, denn Taiwan ist der größte Chipproduzent der Welt. Zugleich beginnt China gegen Taiwan eine tendenzielle Blockade des Luft- und Seeverkehrs und schneit so Taiwan tendenziell vom Weltmarkt ab. Eine US-chinesische Konfrontation hat auch für das deutsche Kapital schwere Folgen, denn China ist ein zentraler Markt für das deutsche Kapital. Jeder zweite Arbeitsplatz in Deutschland hängt direkt oder indirekt von China ab, was den deutschen Imperialismus nicht daran hindert, öffentlich gegen China seine Nibelungentreue zu den USA zu bekunden. Ein gleichzeitiger deutsch-transatlantischer Wirtschaftskrieg gegen Rußland und China würde den deutschen Imperialismus sehr schwer treffen und Revolten dürften dann in Deutschland nicht mehr zu verhindern sein und ebenso der Ausnahmezustand in der Form des Notstandsstaates. Auch der US-Imperialismus ist sich unsicher, ob er stark genug ist, es offen auf einer gleichzeitigen Konfrontation mit Rußland und China ankommen zu lassen. Schon in der Konfrontation mit Rußland werden dem US-Imperialismus seine Grenzen aufgezeigt. Auf jeden Fall versucht der US-Imperialismus seine abnehmende Bedeutung in der Ukraine-Krise und in der Taiwan-Krise zu kompensieren, aber er wird in der Ukraine, wie in Taiwan scheitern. Ebenso der der deutsche Imperialismus, der auch in der Taiwan-Frage den US-Imperialismus unterstützt. Der nun drohende ökonomische Doppelschock ist für den deutschen Imperialismus die Legitimation, einen Notstandsstaat aufzurichten und eine neue Ordnung in die inneren Klassenbeziehungen zu errichten, wie ein deutsches Mitteleuropa.

Seit Juni läuft die psychologische Kriegsführung gegen die Arbeiterklasse an. Immer deutlicher wird seitdem die Arbeiterklasse auf Verzicht eingestimmt zugunsten der „Freiheit“ von Rußland bzw. seinen russischen Rohstoffen. Es wird immer offener Verzicht und Gehorsam eingefordert. Gebeten wird die Arbeiterklasse nicht, es wird eingefordert und befohlen. Verzicht soll „alternativlos“ sein. Wer nicht verzichten will, wird zum Vaterlandsverräter und damit zum „inneren Feind“ der im Dienste des „äußeren Feindes“ steht. Opposition zum Verzicht und damit auch zum Krieg ist nun in den Augen der Bourgeoisie Hochverrat, Landesverrat, hochverräterischer Landesverrat. Die Notstands- und Kriegspolitik ist gegenwärtig für das Kapital alternativlos. Erst über dem Klassenkampf kann dem Kapital eine alternative Politik aufgezwungen werden; die Verschärfung der Krise reicht nicht aus, das Kapital zu einer alternativen Politik aus sich selbst heraus zu zwingen.

Die Bourgeoisie ist nervös, ob die Arbeiterklasse die Schock-Politik akzeptiert. Nur auf mögliche Massenproteste und Revolten mit Repression reicht nicht aus, um die Ruhe und Ordnung der kapitalistischen Ausbeutung zu garantieren. Die Linkspartei schickt sich an, schon präventiv Massenproteste zu organisieren, damit sie leichter die Kontrolle über die möglichen Massenproteste gewinnen kann. Damit ist die Linkspartei eine wichtige Stütze der Bourgeoisie in der Schock-Politik. Ihre Aufgabe ist es, den potentiellen Massenprotest gegen die Schock-Politik zu kanalisieren und ihnen die gefährliche Spitze zu nehmen. Je größer die vorherige neoliberale Entpolitisierung der Arbeiterklasse, desto leichter fällt es der Linkspartei die politische Kontrolle über die potentiellen Massenproteste zugewinnen, desto leichter ist es, diese zu verhindern. Der organisierte Reformismus will für das Kapital die Schock-Politik verringern, um sie zu stabilisieren. Statt das Ende des antirussischen Wirtschaftskrieges zu fordern, was sich in der Forderung nach Öffnung von Nord Stream II ausdrücken würde, wird nach einer „sozialen Rationierung“ gerufen. Der bürgerliche Staat solle für die privaten Konsumenten ein günstiges Mindestniveau an Gasbezug garantieren. Alles was darüber hinaus geht, muß dann der private Konsument selbst tragen. Da jedoch der bürgerliche Staat den Grundbedarf so niedrig wie möglich ansetzten wird, wird die Arbeiterklasse dennoch mit einem hohen Gaspreis etc. belastet. Es sollen nur Härtefälle vermieden werden. Aber der bürgerliche Staat kann dies nur finanzieren, wenn er sich höher verschuldet und die Steuern erhöht bzw. beides, denn er reproduziert sich nur aus Revenue. Da jedoch der hohe Gaspreis bzw. Energiepreis auch die Akkumulation von Kapital belastet, kann er nur aus einem sinkenden Mehrwert die „soziale Rationierung“ bezahlen und das heißt dann, die „soziale Rationierung“ ist zu gering, um sich nennenswert „sozial“ auszuwirken. Je länger diese Politik realisiert wird, desto mehr wird der „Gaspreisdeckel“ sinken. Erst wenn Nord Stream II geöffnet ist, wird der Gaspreis, wird der Energiepreis, rasch sinken, wird sich die Akkumulation stabilisieren. Das Problem ist nicht die Verteilung der „Kriegslasten“, sondern der antirussische Wirtschaftskrieg überhaupt, welcher auch von der Linkspartei und von der Gewerkschaftsbürokratie abgestützt wird. Die ersten großen Massenproteste am 5. September in Leipzig können der Anfang für einen organisierten Widerstand gegen die Deflationspolitik und Kriegspolitik des deutschen Imperialismus sein.

  1. Der proletarische Weg

Generalstreik gegen Krieg, Notstand und Deflationspolitik, Öffnung der Gaspipeline Nord Stream II

-Dies ist nur möglich bei einer Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit vermittels radikaler Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, ansetzend an der alltäglichen Sabotage der Ausbeutung, auch insbesondere in der „kritischen Infrastruktur“

-Arbeiterkontrolle über die Produktion

– Aufbau proletarischer Hundertschaften gegen die Repression des bürgerlichen Staates und seiner neofaschistischen Organisationen

Iwan Nikolajew Hamburg im September 2022 Maulwurf/RS

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Oben      —     Hypnotoade

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von DL-Redaktion am 6. September 2022

„Krieg und Frieden“
Kleines Land, große Herzen: Moldaus Oase

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Aus Edinet, Natalia Zvarisch

Die moldauische Stadt Edineț hat für ukrainische Geflüchtete ein „Friedensdorf“ gebaut. Es ist Oase der Sicherheit – und Ort zum Pläne schmieden.

Auf dem grünen Rasen in eingezäuntem Gelände verstecken sich im Schatten ausladender Bäume neu gebaute Häuschen aus aromatisch duftendem Holz vor den Strahlen der heißen moldauischen Sonne. Jedes von ihnen ist zwanzig Quadratmeter groß. Eine Küchenzeile, ein Wäscheraum, Duschen und Toiletten befinden sich in einem benachbarten Steinhaus. Das Friedensdorf in Edineț wird derzeit mit allem ausgestattet, was für ein komfortables Leben nötig ist. Zudem planen die Organisatoren, einen Spielplatz für Kinder und einen Ort für Erwachsene zum Entspannen einzurichten.

Das Friedensdorf ist für die Unterbringung von etwa 50 Menschen konzipiert und wurde eigens für die Unterbringung Geflüchteter aus der Ukraine gebaut. Die Ukrainer in Moldau haben mit diesem Dorf jetzt einen Ort, an dem sie durchatmen können, sich näher kennenlernen, sich über ihre Situation austauschen, gemeinsam Pläne machen – mit ihren Landsleuten in ihrer Muttersprache reden können.

„Das Friedensdorf ist eine wunderbare Idee. Ich muss weinen vor Dankbarkeit, wenn ich sehe, wie die Menschen sich bemühen und mit Herz und Seele dabei sind, uns zu helfen“, sagt Anna Kotsch­towa, die mit ihrer Familie aus dem kriegszerstörten Mariupol hierher in den Norden der Republik Moldau gekommen ist, nicht weit von sieben Grenzübergängen, davon allein fünf zwischen Moldau und der Ukraine.

Seit den ersten Kriegstagen kommen Menschen auf der Flucht aus der Ukraine in die Stadt. Derzeit leben in Edineț 156 Geflüchtete und im gesamten Bezirk Edineț mehr als 300. Bislang wurden die ukrainischen Neuankömmlinge spontan in Hostels, Hotels, durch gemeinnützige Organisationen und Privatleute untergebracht. Jetzt haben sie ein Friedensdorf.

Lokales Engagement

Moldau ist ein kleines Land mit gut 2,5 Millionen Einwohnern, es liegt zwischen der Ukraine und Rumänien. Die gemeinsame Grenze mit der Ukraine, in der jetzt Krieg herrscht, beträgt 939 Kilometer. Doch ungeachtet der geringen Größe und der Armut des Landes leben hier Menschen mit großen Herzen, die bereit sind, den Schmerz und die Leiden der ukrainischen Geflüchteten zu teilen und ihnen in diesen schwierigen Zeiten zu helfen.

Quelle       :     TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —     Das Parkbezirkszentrum Edinet.

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Tod oder Leben ?

Erstellt von DL-Redaktion am 3. September 2022

Über Sprache und Sterbehilfe: Einmal Jenseits und zurück

Ob Tod oder Leben, im Krieg ist immer einer der Mörder !

Von Friederike Gräff

Unsere Gesellschaft forciert eine Enttabuisierung des Todes. Zugleich will sie ihn durch sprachliche Verharmlosung unter Kontrolle bringen.

Es gibt einen neuen Euphemismus fürs Sterben. „Der sich treu Gebliebene ist gegangen“, hat n-tv seinen Nachruf für Christian Ströbele betitelt. „Wieder ist ein Guter gegangen“, schreibt ein User unter den Text zum Tod von Michail Gorbatschow im österreichischen Standard. „Er wollte gehen“, so hat mir kürzlich jemand vom Tod seines über 90-jährigen Vaters erzählt.

Nun ist es nichts Neues, dass man den Tod sprachlich mit Rüschengardinen verhängt. Das Unheimliche ist, wenn eine Formulierung das Sterben zum persönlichen Entschluss macht und so gut zum Konzept des assistierten Suizids passt, als hätte der Marktschreier der Sterbehilfe, Roger Kusch, sie sich persönlich ausgedacht.

„Er ist gegangen“, das klingt so freundlich und mir wird kalt, wenn ich es höre.

Gehen, das ist Sterben 2.0. Wer geht, kann umkehren. Wer geht, hat umfassende Kontrolle über den eigenen Körper. Nichts davon ist der Fall, wenn wir eines natürlichen Todes sterben. Tatsächlich ist Sterben ein Prozess, in dem unsere Kräfte schwinden. Kein Wunder, dass es da Unbehagen gibt in einer Gesellschaft, die Zeugung und Geburt, die andere große Unwägbarkeit, weitgehend unter Kontrolle gebracht hat.

Die Sterbehilfeorganisationen gehen dabei einen interessanten Mittelweg. „Wir zögern nicht, das Wort Sterben zu verwenden“, schreibt der Geschäftsführer des von Kusch gegründeten „Vereins Sterbehilfe“, Jakub Jaros, als ich ihn frage, ob er davor zurückschrecke. Schließlich trage man das Sterben ja sogar im Namen, schreibt Jaros und dass das Wort „keine tiefere emotionale Bewertung verdiene“. Man versuche, „ein Gleichgewicht zwischen menschlicher Sensibilität und juristischer Rationalität zu finden“.

Als ich anrufe, und frage, was das bedeutet, sagt Jaros, dass es darum gehe, etwas zu finden, „was nicht Pathos verbreitet, aber doch eine gewisse Sensibilität ausdrückt“.

Wie an einer Verkehrsampel

Das ist es: kein Pathos, es geht ja nur ums Gehen. Der Sammelband über die bislang 470 „Suizidbegleitungen“ des Vereins trägt den Titel „Ausklang. Vom Glück des grünen Lichts“, als ginge es um die Überquerung einer Kreuzung. Tatsächlich soll das grüne Licht verweisen auf die Zusage des Vereins, wenn alle Voraussetzungen für den Vertragsabschluss zum assistierten Suizid erfüllt sind.

Dies ist kein Pamphlet gegen Sterbehilfe, es ist eines gegen ein Konzept kontrollierten und kontrollierbaren Sterbens, das schleichend normativ wird. „Warum so panisch?“, könnte man fragen. „Sie ist von uns gegangen“ steht doch seit Jahrhunderten in den Traueranzeigen. Aber nun sickert das, was einmal Baustein für eine ganz bestimmte Textform war, in das alltägliche Sprechen: „Er wollte gehen.“ Aber gehen tut man, solange man autark ist. Schwäche ist da nicht vorgesehen, Bettlägerigkeit, auf andere angewiesen zu sein.

Es gibt einen Science-Fiction-Film, „Logan’s Run – Flucht ins 23. Jahrhundert“, über eine Gesellschaft, in der die Menschen kurz vor ihrem 30. Geburtstag getötet werden. Es ist eine Welt, die Krankheit und Verfall ausschließt und dafür einen absurden Preis zahlt. Was bedeutet es, wenn Sterben zu einem persönlichen Entschluss gemacht wird, den man zum richtigen Zeitpunkt treffen sollte? Selbst schuld, wenn man den Absprung nicht vor der Demenz geschafft hat. Selbst schuld, wenn man das Gesundheitswesen mit den Kosten für die Versorgung eines bettlägerigen Menschen belastet.

„Logan’s Run“ ist 1976 erschienen. Heute streitet man in den Niederlanden, ob das Nein einer Dementen Grund genug ist, einen assistierten Suizid abzubrechen. In England hat gerade ein Gericht gegen den Willen der Eltern bestimmt, dass die lebenserhaltenden Apparate, an denen ihr Sohn hängt, abgestellt werden, und ein Kommentator hat das in Zusammenhang gebracht mit den angespannten Finanzen des britischen Gesundheitssystems.

Quelle       :      TAZ-online        >>>>>        weiterlesen

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Oben     —       „Gaza Massacre!“ von Carlos Latuff. Redaktionelle Karikatur: Israel hämmert Gaza für den vierten Tag…

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Ein Brief an Soldaten.

Erstellt von DL-Redaktion am 3. September 2022

An All den Führern und Gelddespoten zum 1. September

Drei große Soldaten

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von      :    Eckhard Mieder

Egal, wem du Soldat bist und dienst,
Geh deinem General von der Fahne.
Egal, wer dich mit Geld besticht –
Mehr als dein Geld braucht das Liebste dich.

Egal, wer einen Krieg verbricht,
Du, Soldat, warst es sicher nicht.
Egal, welcher Führer vom Vaterland spricht –
Dich braucht es lebend, ihn nicht.

Egal, was sie dir versprochen haben,
Sie lügen alle an deinem Tod vorbei.
Egal, was sie dir auf den Grabstein schreiben –
Es ist ein uraltes Tandaradei.

Egal, Soldat, du bist ihnen egal,
All den Führern und Gelddespoten.
Egal, ob du lebst oder stirbst, sie liegen
Nicht nach der Schlacht bei den Toten.

Egal, wem du Soldat bist und dienst,
Geh deinem General von der Fahne.
Egal, ob er da steht und nach dir brüllt;
Er steht alleine da, wenn du das willst.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Oben      — Drei große Soldaten

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„Rheinmetall entwaffnen“

Erstellt von DL-Redaktion am 1. September 2022

„Krieg ist eines der profitabelsten Geschäfte“ 

Interview : Lea Fauth

taz: Frau Lenert, Frau Kemper, „Abrüstung“, „weniger Waffen“ – das war einmal breiter gesellschaftlicher Konsens, ist mit dem Ukrainekrieg aber sehr ins Bröckeln gekommen. Viele sagen: Waffen werden zur Verteidigung gebraucht. Ist Ihr antimilitaristischer Kampf für Abrüstung noch zeitgemäß?

Conni Lenert: Es ist zeitgemäß und auch extrem wichtig, gerade in den aktuellen Begebenheiten. Wir haben im Zuge des Ukrainekriegs nochmal offen miteinander diskutiert: Wie gültig sind eigentlich unsere Forderungen? Die richten sich ja gegen Produktion und Export von Rüstung in und aus der Bundesrepublik. Wir denken, das ist weiterhin eine gültige Forderung. Rheinmetall zum Beispiel ist ein global agierendes Unternehmen, das an 139 Staaten Waffen liefert. Es gibt insgesamt 193 Staaten weltweit. Waffen von Rheinmetall werden in Kriegen eingesetzt – und zwar auf beiden Seiten. Krieg ist ein riesiger Sektor, in dem Profit gemacht wird. Dagegen wenden wir uns.

Nina Kemper: Hinzu kommt die Doppelmoral, die von westlichen Regierungen an den Tag gelegt wird. Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg wird jeden Tag aufs Neue verurteilt, während die Türkei dasselbe völlig unkommentiert in den kurdischen Autonomiegebieten tut. Seit April wieder mit massivem Beschuss, teilweise auch mit Giftgas. Man muss sich einfach von der Illusion lösen, dass Kriege aus positiven Gründen geführt werden. Kriege für den Frieden gibt es nicht. „Mehr Waffen“ bedeutet „mehr Tod“ und verlängert jeden Krieg – auch den in der Ukraine.

Was kann man dann den Menschen in der Ukraine konkret raten?

Lenert: Was man tun kann, wenn man angegriffen wird, ist natürlich eine Entscheidung der Einzelnen. Wichtig ist zu unterstreichen: Es geht um die Menschen und nicht um Staaten. Linke sagen gerade oft: „Wir müssen Waffen an die Ukraine liefern“, und dann reden sie plötzlich aus der Perspektive der Bundesrepublik. Gleichzeitig ist das eine schwierige Frage, auf die wir keine zufriedenstellende Antwort haben. Wir verweisen aber darauf, dass wir rausmüssen aus der militärischen Logik insgesamt.

Wie?

Lenert: Frieden innerhalb des kapitalistischen Systems kann es nicht geben. Wenn man innerhalb dieses Systems versucht, die militärische Logik zu durchbrechen, könnte das sein: Druck aufzubauen auf die Regierenden, sodass Verhandlungslösungen überhaupt möglich oder vorstellbar werden.

Kemper: Die sogenannte Zeitenwende, die von Olaf Scholz vermeintlich wegen des Krieges in der Ukraine ausgerufen wurde, die war ja überhaupt keine Zeitenwende. Die ganzen Vorbereitungen auf die Erhöhung des NATO-Beitrags, der Einsatz von bewaffneten Drohnen, Überlegungen zu einer europäischen Armee, usw.: Das alles war sowieso eine Tendenz, und dieser 100-Milliarden-Deal für die Bundeswehr ist eine extreme Beschleunigung dieser Tendenz.

Manchen gibt diese Aufrüstung ein Gefühl von Sicherheit.

Lenert: Als Antifaschistinnen ist es für uns sehr bedrohlich, dass die Bundeswehr, die von einem Rechtsextremismus-Skandal in den nächsten stolpert, so viel Waffen und Ausrüstung bekommt. Auch für die Konzerne geht es da überhaupt nicht – die verpacken das ja immer unter diesen zwei Wörtern – um Sicherheit und Verteidigung. Es geht da ganz klar um Profite. Rheinmetall ist in manchen Fällen nicht erlaubt worden, Waffen und Munition nach Saudi Arabien zu liefern. Das ist ein diktatorisches System, das Krieg im Jemen führt. Was macht Rheinmetall? Es umgeht die Exportbeschränkungen der Bundesregierung über Tochterfirmen auf Sardinien und in Südafrika, um diesen Ländern trotzdem Munition und Waffen liefern zu können. Solche Firmen sind Profiteure von menschlichem Leid. Diese Leute tragen Anzüge und haben ihre Büros am Pariser Platz. Das sind einfach richtige Schweine.

Wie kann denn umgekehrt Ihrer Meinung nach eine Politik der Abrüstung aussehen?

Lenert: Wichtig sind Abkommen zur Abrüstung. Statt den Militäretat auf 2 Prozent des BIP jedes NATO-Landes festzulegen, bringt man ein globales Abkommen auf den Weg, wo die Nationen und Staaten sich verpflichten, den Rüstungsetat um 10 Prozent zu kürzen. Die Verhältnisse bleiben zwar erst mal gleich. Es wird aber insgesamt weniger Rüstung hergestellt.

Ein Protestcamp des Bündnisses läuft bis 4. September in Kassel.

Kemper: Wir müssen grundsätzlich aus dieser militärischen und kapitalistischen Logik herauskommen. Krieg ist eben eines der profitabelsten Geschäfte auf dieser Welt. Gleichzeitig machen Rüstungskonzerne ja nicht nur Profite mit Kriegen, sondern auch mit den Folgen des Krieges. Menschen, die sich auf die Flucht machen nach Europa, werden mit Drohnen und Waffen von Rheinmetall und Co abgewehrt.

… gemeint ist Frontex?

Kemper: Genau, Krieg und Flucht sind ein tödlicher Kreislauf, der durch mehr Waffen immer weiter befeuert wird. Deswegen ist es für uns keine Möglichkeit, dieses staatliche Verlangen nach mehr Aufrüstung in irgendeiner Form zu unterstützen. Gleichzeitig sind wir mit allen Protestierenden und Kriegsgegnern, sowohl in der Ukraine als auch in Russland solidarisch.

Würden Sie auch Menschen in Rojava empfehlen, zu desertieren?

Quelle        :          TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben     — Rheinmetall Panther KF51

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Unten    — Vor der Zentrale der Rheinmetall AG, Düsseldorf am 26.10.2012 Kampagene „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“

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USA, Bruder oder böser Wolf

Erstellt von DL-Redaktion am 31. August 2022

Arroganz und Angst sind schlechte Berater

Drei große Soldaten

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

In unserer Zeit des politischen und wirtschaftlichen Chaos fehlt jegliche auf Frieden und Verständigung gerichtete Initiative der USA, die seit 1945 hegemoniale Macht über die Welt zu haben gewohnt sind und sich jetzt in der für sie unfassbaren Situation befinden, ihren Willen nicht mehr wie bisher überall durchsetzen zu können.

Das ist für die Welt eine unerwartete Bedrohung insofern, als sich zu der dummdreisten Arroganz jetzt in den USA Angst vor einem geopolitischen Gegenpol aufkommt. Diese Angst und die gewohnte Arroganz sind jedoch schlechte Berater in einer Zeit, die kluge Führung braucht. Ausgerechnet der chinesische Staatsführer mahnt wiederholt: „Wir müssen die Mentalität des Kalten Krieges aufgeben und friedliche Koexistenz anstreben“, „Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass Konfrontation keine Probleme löst, sondern katastrophale Konsequenzen heraufbeschwört.“

Und das auch noch vor dem Hintergrund, dass China seit der Gründung der Volksrepublik 1949 kein einziges Land zur Durchsetzung eigener Interessen überfallen hat, während die USA mit über 700 Militärbasen weltweit und unzähligen Kriegen der Welt ihren Willen aufzuzwingen suchen. Als waffenstarrende Weltmacht stets gegen einen imaginären, schwächeren Gegner. Und doch sind sie überall gescheitert. Die Pax Americana ist ein Wunschtraum. Und das erkennen nun endlich viele Nationen und verweigert den USA blinde Gefolgschaft. Mit Ausnahme der BRD und des UK.

Nach dem ebenso beispiellosen wie beispielhaften Aufstieg der Volksrepublik China wird diese plötzlich arrogant zum Feind Nr.1 der USA erklärt, nachdem eben diese USA durch profitgeile Fertigungsaufträge ganz erheblich zu diesem Aufstieg beigetragen haben. Pecunia non olet! (Geld stinkt nicht). Diese Arroganz versperrt nun den Blick für jede vernünftige Lösung in der derzeitigen Weltlage. Dass man mit einer Seidenstraße mehr ausgewogene Beziehungen mit anderen Ländern schaffen kann als mit Kriegen, ist den USA völlig fremd und somit gegen ihre Interessen.

Weil man sich aber die eigenen Hände nicht schmutzig machen will, schiebt man andere Organisationen wie NATO oder QUAD (Quartett aus USA, Australien, Indien, Japan) vor, ohne allerdings das Kommando aus der Hand zu geben. Hoch lebe die US-Waffenindustrie! Aber Achtung: an die vielbeschworene „regelbasierte internationale Ordnung“, deren Regeln von den USA bestimmt worden sind, glaubt heute kein Mensch mit Verstand. Und weil dieses Privileg der USA schwindet, beschleicht sie jetzt pure Angst, die sie hinter der unverbindlichen Floskel dadurch kaschiert, dass sie ihre irrwitzigen Handlungen als „Selbstverteidigung“ bezeichnet.

Wann endlich sehen auch unsere Politiker ein, dass es eine friedvolle Welt nur gibt, wenn sich die verschiedenen Kulturen vernünftig verständigen und Wettbewerb als Anregung verstehen. Nach der unsäglichen Ausplünderung großer Teile der Welt in der Kolonialzeit gehört zu der Verständigung aber auch, dass der Wohlhabende dem Armen hilft. Das aber geht nicht mit Arroganz und Angst.

Urheberrecht
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Zankapfel – Taiwan

Erstellt von DL-Redaktion am 26. August 2022

Die USA schüren den nächsten Konflikt mit Weltkriegspotential

Datei:Bāng-uann Sentinel-2B MSI 2021-12-29.jpg

Quelle:    Scharf  —  Links

Von     :    Dr. Renate Dillmann

Der Besuch von Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses der USA, in Taipeh und ihr Zusammentreffen mit der taiwanesischen Präsidentin hat zu den erwarteten (und offensichtlich gewollten) Reaktionen auf chinesischer Seite geführt: Mehrtägige Militärmanöver, mit denen die Volksbefreiungsarmee demonstriert hat, wie es um ihre militärischen Fähigkeiten bezüglich einer möglichen Blockade der Insel bestellt ist.

Die westlichen Verbündeten der USA haben sich daraufhin ziemlich einhellig empört gezeigt (ohne ihre Nicht-Anerkennungspolitik gegenüber Taiwan zu ändern). Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat sich besonders engagiert. „Wir akzeptieren nicht, wenn das internationale Recht gebrochen wird und ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleineren Nachbarn überfällt – und das gilt natürlich auch für China“, sagte Baerbock in New York.“

Na klar: Internationale Rechtsbrüche und völkerrechtswidrigen Angriffe akzeptiert der deutsche Staat („wir“) nur bei sich selbst und seinen Freunden und natürlich nicht bei seinen Gegnern – zu einem solchen wurde die Volksrepublik ja beim letzten Nato-Gipfel ernannt. Mit der Rede von den großen und kleinen „Nachbarn“ überspielt unsere gelernte Völkerrechtsspezialistin gekonnt den Kern eines Konflikts, der staats- bzw. völkerrechtlich ziemlich konfus ist – um das Mindeste zu sagen.

Immerhin gilt zurzeit noch unbestritten das „Ein-China-Prinzip“, das die USA selbst mit der Volksrepublik China „gedealt“ haben – wie Ex-Präsident Trump es formulieren würde. Indem unsere Annalena von „Nachbarn“ spricht, unterstellt sie bereits ohne weitere Umstände die Existenz zweier Staaten, um dann – wie es so ihre Kindergartentanten-Art ist – unsere Unterstützung für den „kleineren“ einzufordern. Im Fall der kleinen „Volksrepubliken“ gegen die große Ukraine gilt das augenscheinlich nicht – was aber auch wieder klar ist, schließlich könnte man Russland ansonsten nicht wegen seines „Angriffskriegs“ verurteilen, sondern müsste ihm gar zugutehalten, dass es „klein“ gegen „groß“ schütze… Man sieht: im Fall von Separatisten kommt man moralisch leicht in Teufels Küche und da ist es gut, dass einem die Regierung klipp und klar sagt, wie die ganze unübersichtliche Lage „wertebasiert“ zu deuten ist.

Es ist unübersehbar, dass die sog. „Taiwan-Frage“ – schon damit, dass man sie so nennt, rührt man übrigens auch von Seiten der Medien gezielt mit am „status quo“! – inzwischen mit schöner Regelmäßigkeit in den Schlagzeilen vorkommt. Erst im letzten Oktober waren Beschwerden Taiwans über angebliche chinesische Verletzungen seines „Luftraums“ Anlass für tagelange dramatische Berichte. Wobei sich dann herausstellte, dass es sich um die von Taiwan beanspruchte „Luftraumüberwachungszone“ handelte, die sich bis aufs chinesische Festland erstreckt – selbst die Deutsche Welle korrigierte ihre Berichterstattung dementsprechend.

Trotzdem blieb am Ende hängen: Taiwan ist ein eigenständiges und darüber hinaus demokratisches Staatswesen, dessen Souveränität durch ein übermächtiges, autoritäres China bedroht wird. Auf diese Botschaft kommt es offenbar an – sie wird in diesem Jahr mit Pelosis Besuchs erneut durchexerziert. Denn sie enthält – neben der inzwischen bereits üblichen Feindbild-Würze – die diplomatische Neu-Definition Taiwans, die westliche Politiker für ihren Konflikt mit der Volksrepublik haben wollen.

Ein etwas genauerer Blick auf die sogenannte „Taiwan-Frage“ ist deshalb angebracht. Was für eine Art Frage ist das eigentlich? Wer stellt sie? Und warum ist diese „Frage“ nicht mit dem Austausch von Argumenten zu beantworten, sondern ruft nach Raketen?

Die Geburtsstunde der „Taiwan-Frage“

Die Volksrepublik China wurde am 1. Oktober 1949 gegründet. Vorausgegangen war ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg zwischen der Kuomintang-Partei, die 1911 unter Sun Yat-Sen den letzten chinesischen Kaiser gestürzt hatte und das Land zu einer bürgerlichen Republik nach westlichem Vorbild machen wollte, unter ihrem damaligen Führer Ciang Kai-Shek und der Kommunistischen Partei unter Mao Zedong. Die Sowjetunion, die nach den Jahren des Bürgerkrieges und der Interventionen kapitalistischer Staaten in die junge Republik endlich Ruhe an ihrer langen Ostgrenze haben wollte, hatte seit den 1920er Jahren immer wieder versucht, beiden Parteien (gegen alle ideologischen Differenzen) die Bildung einer Volksfront ans Herz zu legen. Es gab sogar entsprechende Versuche.

Während des 2. Weltkriegs wurde China von den Japanern besetzt, die einen „Ergänzungsraum“ für ihren aufstrebenden Kapitalismus beanspruchten (20 Millionen Tote auf chinesischer Seite, unvorstellbare Gräueltaten), schlossen sich Kuomintang und Kommunisten zweimal zu einer Einheitsfront zusammen. Beide Versuche endeten allerdings damit, dass Ciang Kai-Shek die immer stärker werdenden kommunistischen Bündnispartner massakrieren ließ, um an der Macht zu bleiben und seine „Ordnung“ in China zu schützen: die geltende Eigentumsordnung mit den Interessen der großen Grundbesitzer, Handelskapitale und der wenigen großen industriellen Unternehmen sowie der ausländischen Investoren.

Letztendlich gelang ihm das nicht – trotz massiv militärischer Überlegenheit auf der Basis moderner Waffen, die ihm die USA nach 1945 noch einmal ganz verstärkt lieferten, weil sie verhindern wollten, dass „ihr China“ an das kommunistische Lager fiel. Der Grund für den im Westen unerwarteten Erfolg „der Roten“: Maos Kommunistische Partei bot den Millionen chinesischer Bauern mit dem Versprechen einer Landreform eine echte Lebensperspektive und die Volksbefreiungsarmee hatte den Japanern bis zum Kriegsende den wesentlich entschiedeneren Widerstand entgegengesetzt und damit auch patriotische Chinesen aller Klassen und Schichten für sich gewonnen.

Ciang Kai-Shek zog sich nach seiner Niederlage nach Taiwan zurück – eine Insel, die von 1895 bis 1945 von den Japanern besetzt gewesen war und damals noch „Formosa“ (aus dem Portugiesischen „die Schöne“) genannt wurde. Im Gepäck hatte er die Gold- und Devisenreserven des Landes; begleitet wurde er von Teilen der wirtschaftlichen und intellektuellen Elite. Sein klares Ziel war die gewaltsame Wiedereroberung des Festlandes aus der Hand der „Roten“. Dafür regierte er diktatorisch; bis 1987 galt der Ausnahmezustand – es gab weder Pressefreiheit noch Wahlen, die Kuomintang blieb als einzige Partei einfach an der Macht.

Ein eigenständiger oder unabhängiger Staat wollte die „Republik China“ bzw. das „National-China“ in dieser Zeit keinesfalls sein. Ciang Kai-Shek vertrat ebenso wie auf dem Festland Mao Zedong die „Theorie“, dass es sich um   e i n  unteilbares China handele – allerdings war er im Unterschied zur kommunistischen Partei des Festlands der Ansicht, dass eben er mit seiner Kuomintang-Partei dieses China repräsentiere. Die USA, die sich noch nicht mit einem kommunistischen China abgefunden hatten und diesen revanchistischen Standpunkt Taiwans im beginnenden „Kalten Krieg“ daher gut brauchen konnten, statteten den „Generalissimus“ für sein Vorhaben sofort mit Waffen aus. Nach dem Korea-Krieg stationierten sie darüber hinaus ihre 7. Flotte bleibend im Südpazifik und schlugen damit den Führern der Volksrepublik, die ihrerseits nicht gerade glücklich darüber waren, dass sich in unmittelbarer Nähe ihres Landes die Konterrevolution, unterstützt vom amerikanischen Hauptfeind, versammelte, die Option einer Rück-Eroberung der aus ihrer Sicht „abtrünnigen Provinz“ aus der Hand.

Ende der 1950er Jahre versuchte die Volksrepublik, sich durch Eroberung zwischengelagerter Inseln (Quemoy) strategische Vorteile zu verschaffen – was monatelangen Artillerie-Beschuss beider Seiten zur Folge hatte. 1962 wollte Ciang Kai-Shek Ernst machen mit der Eroberung des Festlands, erhielt aber kein grünes Licht von seinen amerikanischen Verbündeten. Sowohl Maos China wie die USA schreckten zu dieser Zeit vor einem großen Krieg zurück.

International sorgten die Vereinigten Staaten dafür, dass Taiwan – nicht Festland-China – den Platz Chinas in der UNO einnahm. China war als einer der anerkannten Weltkriegs-Gewinner-Staaten deren Gründungsmitglied und hatte einen der fünf Plätze als ständiges Mitglied im Weltsicherheits-Rat bekommen; regelmäßig gestellte Anträge verschiedener, vor allem sozialistischer Staaten, wehrten die USA mit ihrem Veto stets ab, so dass dieser Platz zunächst bei Taiwan blieb.

Ein asiatischer „Tiger“

Ökonomisch war es in der Folge ein gewisser Treppenwitz der Weltgeschichte, dass die Kuomintang-Partei auf der Insel eine Landreform durchführte (ab 1953) – also das, was sie den Bauern auf dem Festland über Jahrzehnte verweigert hatte, weil ihre Mitglieder selbst meist Grundbesitzer waren. Nun waren allerdings nicht diese betroffen, sondern die japanischen Grundbesitzer, und so konnte eine zügige Reform durchgeführt werden, die danach den Aufbau einer erfolgreichen cash-crop-Agrarwirtschaft als erstem Standbein der taiwanesischen Exportwirtschaft ermöglichte. Unterstützt von geostrategisch motivierten amerikanischen Subventionen und mithilfe einer staatlich geförderten Industrialisierung (Schutzzölle, Subventionen) arbeitete sich Taiwan über den Export von Textilien, Schuhen und Spielzeug hoch zu Elektronik-Artikeln und galt in den 1980er Jahren als einer der vier asiatischen „Tiger“.

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Nach Maos Tod 1976 beschloss die Kommunistische Partei Chinas, sich gegenüber dem Westen zu öffnen und in ihren „Sonderwirtschaftszonen“ ausländisches Kapital zuzulassen (Mehr zu den Gründen dieser Entscheidung und ihren bedeutenden Konsequenzen in Dillmann: China – ein Lehrstück. 4. erweiterte und aktualisierte Auflage 2021 Die Buchmacherei, Berlin). Das stellte gerade in der erfolgreichen Aufschwung-Phase ein Angebot erster Güteklasse für taiwanesisches Unternehmer dar, denn sowohl Territorium wie Bevölkerungszahl der Insel setzten ihrer Akkumulation Grenzen. Eine Expansion in die (Sonder-)Wirtschaftszonen des gegenüber liegenden südchinesischen Festlandes kam da sehr gelegen – insofern kein Wunder, dass Taiwan eines der Länder mit den größten ausländischen Direktinvestitionen in die Volksrepublik ist (Schätzungen zufolge an die 170 Milliarden Dollar). Mit seinen riesigen Fabriken in Südchina wurde Taiwan zu einem der großen Weltmarkt-Hersteller von Laptops, Tablets und Smartphones und führend in IT- wie Halbleiter-Technik.

Ping-Pong-Politik“ – die USA opfern Taiwan, um „Rotchina“ auf ihre Seite zu ziehen

Politisch sah die Entwicklung aus taiwanesischer Sicht nicht so rosig aus. Anfang der 1970er Jahre kam es überraschend zur Annäherung zwischen der Volksrepublik und den Vereinigten Staaten im Zuge der „Ping-Pong-Politik“ (Mehr zu dieser vom amerikanischen Außenminister Henry Kissinger und seinem chinesischen Kollegen Zhou En-lai eingefädelten diplomatischen Wende in in Dillmann: China – ein Lehrstück).

Dazu gehörte auch eine Vereinbarung über die unterschiedlichen Standpunkte beider Mächte in der Taiwan-Frage: Amerika erkannte im ersten Shanghai-Communiqué von 1972 das „Eine China“ als Heimat der Völker auf beiden Seiten der Taiwanstraße an und versprach einen Rückzug seiner Truppen und eine Förderung der Wiedervereinigung.

Im Wortlaut: „The U.S. side declared: The United States acknowledges that all Chinese on either side of the Taiwan Strait maintain there is but one China und that Taiwan is a part of China. The United States Government does not challenge that position. It reaffirms its interest in a peaceful settlement of the Taiwan Question by the Chinese themselves. With this prospect in mind, it affirms the ultimative objective of the withdrawal of all U.S. forces and military installations from Taiwan. In the meantime, it will progressively reduce its forces and military installations on Taiwan as the tension in the area diminishes.”

In zwei weiteren Communiqués (1979 und 1982) sicherten die USA der VR China darüber hinaus zu, ihre Waffenlieferungen an Taiwan nicht nur nicht weiter zu erhöhen, sondern deutlich einzuschränken sowie Taiwan diplomatisch als „Nicht-Staat“ zu behandeln, was kurz darauf die Entfernung Taiwans aus vielen internationalen Organisationen nach sich zog.

In der UNO war dies bereits geschehen: 1971 hatte Albanien den entsprechenden Antrag gestellt und mit Blick auf ihre diplomatischen Ränkespiele hatten die USA dem nicht, wie zuvor üblich, widersprochen. Mit wachsender ökonomischer Bedeutung konnte die Volksrepublik Taiwan mit ihrer Variante der „Hallstein-Doktrin“ in den folgenden Jahren immer weiter isolieren: Heute erkennen nur noch 14 Staaten (inklusive Vatikan-Staat) Taiwan an. Hallstein hieß der bundesdeutsche Außenminister, der 1955 den „Alleinvertretungsanspruch“ der Bundesrepublik formulierte; Staaten, die die DDR diplomatisch anerkannten, wurde dieser Doktrin zufolge mit dem Bruch diplomatischer Beziehungen gedroht.

Mit ihren Zusagen schafften es die USA, diplomatische Beziehungen zu China aufzunehmen (die es bis dahin nicht gegeben hatte) und China aus dem sozialistischen Lager zu lösen.  Auf dieser Basis konnten sie die Sowjetunion fortan militärisch und rüstungsdiplomatisch stärker unter Druck setzen. Das war der Anfang vom Ende des sozialistischen Blocks.

Amerikanische Lesarten …

Die Vereinigten Staaten haben die Shanghai-Vereinbarungen allerdings immer als erzwungene Zugeständnisse betrachtet und das in der Folgezeit immer wieder klargestellt. 1979 (ein Jahr nach dem Abbruch ihrer offiziellen diplomatischen Beziehungen) verpflichteten sie sich im Taiwan Relation Act per Gesetz selbst dazu, dem ehemaligen Bündnispartner, den sie so hart fallen gelassen und in eine politisch isolierte Lage getrieben hatten, eine „adäquate Selbstverteidigungsfähigkeit“ zu liefern.

Das „Ein-China-Prinzip“ behielten sie als diplomatische Floskel bei – gleichzeitig aber wurde das Verhältnis der Volksrepublik zu Taiwan zu einem Dauer-Experimentierfeld US-amerikanischer Einflussnahme auf Beijing. Ihr im Communiqué formuliertes einseitiges „Interesse“ an einer „friedlichen Wiedervereinigung“ behandelten sie in der Folgezeit wie ein gemeinsames (also auch von der Volksrepublik unterschriebenes) Kriterium und setzen zusätzlich die Forderung in die Welt, das Volk Taiwans müsse „in freier Abstimmung“ über eine mögliche Wiedervereinigung entscheiden. Seit den 90er Jahren ärgern sie die VR China diplomatisch mit Reise-Visa für taiwanesische Politiker, militärischer Präsenz bei der ersten demokratischen Präsidentenwahl 1992, vor allem aber mit Waffenlieferungen.

Gegen alle Vereinbarungen mit der chinesischen Regierung rüsteten die USA Taiwan militärisch auf und hielten seit Mitte der 90er Jahre regelmäßig Militär-Manöver in der Taiwanstraße ab. Noch unter Clinton sicherten die USA Taiwan im Jahr 2000 im Taiwan Enhancement Act weitere große Waffenlieferungen zu (vier Zerstörer, acht U-Boote sowie U-Boot-Jagdflugzeuge nebst Ausbildung durch die US-Army, die Lieferung des supermodernen Aegis-Frühwarnradar-Systems). Gleich nach seinem Amtsantritt verkündete George W. Bush, dass sich die USA im Falle eines Angriffs auf Taiwan unmittelbar zu einer militärischen Beistandsleistung herausgefordert sehen, und auch Japan hat sich kurz darauf zum ersten Mal offiziell zur Schutzmacht Taiwans erklärt – kein Wunder, dass diese Patenschaften das taiwanesische Unabhängigkeitsstreben und damit „die Spannungen“ in der Taiwanstraße und im Chinesischen Meer schüren.

Friedensnobelpreisträger Obama genehmigte dann „Waffenlieferungen im Wert von rund 14 Milliarden US-Dollar, mehr als all seine Amtsvorgänger seit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Beijing 1979 zusammen. US-Präsident Donald Trump steigerte die Summe in seiner Amtszeit auf mehr als 18 Milliarden US-Dollar. Sein Nachfolger Biden hat im August den nächsten Aufrüstungsschritt im Wert von rund 750 Millionen US-Dollar erlaubt.“

Kurz: Mit all dem schwingen sich die USA zum Richter über das chinesische Wiedervereinigungsprojekt auf, das inzwischen übrigens nur noch auf Seiten der Volksrepublik existiert.

Taiwan – eine eigene Nation?

Denn Taiwan hat seine Staatsräson in dieser Hinsicht korrigiert. 1988 wurde der bis dahin geltende militär-diktatorische Ausnahmezustand in Taiwan abgelöst und es gab erstmals so etwas wie Gewaltenteilung und Wahlen. Die dafür nötige Oppositions-Partei DPP (Democratic Progressive Party) hatten US-amerikanische Unternehmer und taiwanesische Dissidenten übrigens 1986 in Los Angeles gegründet. Der Grund für den Wechsel? Das ist vielleicht nicht ganz eindeutig zu beantworten. Vielleicht genügte die Einparteien-Regierung Taiwans den zwischenzeitlich entstandenen verschiedenen Kapital-Fraktionen des Inselstaats nicht mehr, vielleicht kamen diverse US-Interessen (trotz aller materiellen Abhängigkeit) nicht genügend zum Zug. Es kann aber auch sein, dass wichtige US-Strategen, die damals davon ausgingen, dass die Volksrepublik ihre ökonomische Öffnung durch eine politische Liberalisierung ergänzen würde, es aus außenpolitischen Gründen etwas unpassend fanden, dass der eigene Verbündete keinen Funken demokratischer daherkam und nicht sonderlich als Vorbild taugte, das man den Festland-Chinesen vorhalten konnte. (Einerseits sehen die westlichen Nationen ihre Art des Regierens schlicht als die „menschengemäße“ Art an und können sich tatsächlich keine bessere oder schönere Staats-Ordnung vorstellen; andererseits gibt es bei ihnen ganz schlicht das praktische Bedürfnis, sich in einem anderen Staatswesen, mit dem sie Handel und Kapitalex-port betreiben, Einflussmöglichkeiten zu verschaffen. Das geht über demokratische Parteien, NGOs etc. erheb-lich einfacher, als wenn man es mit „Betonkommunisten“ zu tun hat.) Wie dem auch sei: Seitdem jedenfalls verfügt Taiwan über eine „Demokratie“ nach westlichem Vorbild. Das heißt: Während alles Wesentliche im Leben seiner Bürger mit den „alternativlosen“ Erfordernissen weiteren Wirtschaftswachstums feststeht, dürfen sich diese alle vier Jahre ihre Regierungsvertreter aus zwei (oder mehr) Parteien auswählen.

Die neue Partei, die sich dem Volk in Taiwan zur Wahl stellte, die DPP, hat sich dabei von Anfang an als Partei der Zukunft, des Fortschritts und des modernen Taiwans präsentiert. Während die alte Partei, die Kuomintang, ihren Jahrzehnte hart geltend gemachten Anspruch auf eine Wieder-Eroberung der Volksrepublik inzwischen angesichts der realen Machtverhältnisse eher stillschweigend aus dem Verkehr gezogen hat, lässt sie die Vorstellung von der „einen chinesischen Nation“ bestehen – alles andere wäre für sie ideologisch vermutlich zu harter Verrat. Dagegen setzt die DPP offensiv die Vorstellung einer taiwanesischen Eigenstaatlichkeit – was bei den jüngeren Wählern, für die die Kamellen von gestern eher unbedeutend sind, zunehmend gut ankommt. Um die Vorstellung einer eigenen Nation Taiwan zu unterfüttern, hat die DPP inzwischen auch damit begonnen, den 1949 ziemlich robust zur Seite geräumten „indigenen Völkern“ Taiwans Aufmerksamkeit zu schenken, hat deren Sprachen untersucht, sich für die „Härten der Vergangenheit“ bei der Übernahme der Insel  entschuldigt usw. – alles interessante Beispiele für nationale Geschichtspolitik und patriotische Mythenbildungen…

Oberflächlich betrachtet sieht es so aus, als sei das Anliegen der Fortschrittspartei „defensiv“ – schließlich besteht sie ja nicht mehr, wie früher die revanchistische Kuomintang, auf einer Wiedereroberung Chinas, sondern will „nur“ noch eine Anerkennung ihrer Existenz, sprich: Eigenstaatlichkeit. Und ja: Warum kann die riesige Volksrepublik mit ihren 1,4 Milliarden Menschen nicht auf diese gewissermaßen lächerlichen 23 Millionen Insulaner verzichten?

Der unsinkbare Flugzeugträger

Es gibt mehrere Gründe, warum die US-amerikanische Taiwan-Politik wie die inner-taiwanesische Entwicklung für die Volksrepublik nicht hinnehmbar ist.

Der erste ist ein sehr prinzipiell nationaler Grund. Seit ihrem Sieg im Bürgerkrieg verlangt die chinesische KP die Wiederherstellung der nationalen Einheit des Landes – ein Anliegen übrigens, das ja ansonsten, gerade in Deutschland, durchaus auf viel Verständnis stößt. Die Volksrepublik hat sich unter anderem deshalb zum Westen hin geöffnet und sich mit ihrem staatlich initiierten und geleiteten Umbau in ein kapitalistisches Land zu einer extrem erfolgreichen Weltwirtschaftsmacht entwickelt, um ihren nationalen Ambitionen zum Durchbruch zu verhelfen. Sie hat 1997 in den Verhandlungen mit Großbritannien einem 50jährigen Autonomie-Status für Hongkong zugestimmt, um mit dem Modell „Ein Land, zwei Systeme“ auch eine Vorlage für eine eventuelle Wiedervereinigung mit Taiwan zu liefern, die den taiwanesischen (Autonomie-)Ansprüchen und Besonderheiten Rechnung trägt. Das Ziel eines wiedervereinigten China stellt aus ihrer Sicht damit ein quasi „staats-natürliches“ Recht dar, das irgendwann einzulösen ist – für sie ein nationales Herzens-Anliegen, für das sie von anderen Staaten Respekt verlangt.

Der zweite Grund ist geostrategischer Art und bezieht seine neue Aktualität aus der Auseinandersetzung, die die USA gegen ihren neuen Hauptfeind ausgerufen haben. Mit ihren jährlichen massiven Waffenlieferungen zur „Herstellung des militärischen Gleichgewichts in der Region“ rüsten sie Taiwan zu einem wesentlichen Bestandteil ihres Aufmarschs gegen die Volksrepublik her: Nur 130 bis 180 km vom chinesischen Festland entfernt ist die Insel in ihrer Bedeutung als quasi unsinkbarer Flugzeugträger durchaus vergleichbar mit der Rolle Kubas als Vorposten der Sowjetunion im Kalten Krieg. (Übrigens: dessen Aufrüstung aus Moskau haben die USA bekanntlich mit einer atomaren Weltkriegsdrohung (Stichwort: Kuba-Krise!) unterbunden.)

Ihre unter Nixon berechnend ausgesprochene Duldung des Souveränitätsanspruchs der Volksrepublik auf Taiwan als Teil des „Einen China“ haben die Vereinigten Staaten heute de facto aus dem Verkehr gezogen. Sie heizen die Unabhängigkeits-Diplomatie der taiwanesischen DPP durch Einladungen (bspw. zu Joe Bidens Amtseinführung) an. Präsident Biden hat im Oktober 2021 mitgeteilt, die USA würden Taiwan gegen chinesische Angriffe verteidigen – es gebe eine Vereinbarung dazu. Damit hätten sie auch den Taiwan Relation Act von 1979 außer Kraft gesetzt. Zwar dementierte das Weiße Haus unmittelbar und erklärte, dass sich an der prinzipiellen Politik – „nur“ eine Stärkung der Selbstverteidigungskräfte Taiwans – nichts geändert habe. Ob Ungeschicklichkeit oder arbeitsteilige Vorkriegs-Diplomatie: So werden in der Region jedenfalls „Spannungen“ erzeugt, die Volksrepublik gezielt im Unklaren über den Stand der amerikanischen Planung gelassen und Washington behält sich gleichzeitig – bei allem Anheizen der Feindseligkeiten – die Freiheit seiner Entscheidung über ein militärisches Eingreifen vor.

Der dritte Grund liegt in der Bedeutung der Taiwanstraße als einer der weltweit wichtigsten Handelsstraßen. Deren freie Befahrbarkeit verlangen die Vereinigten Staaten ebenso wie EU und Japan für sich – als Teil ihrer „vitalen Interessen“ – wie es in ihrem Sprachgebrauch heißt. Zitat aus dem Deutschlandfunk: „Das Südchinesische Meer und die Taiwanstraße sind wichtige Routen für den Welthandel und für den Wohlstand in den USA, Japan und Europa. Damit die Navigationsfreiheit nicht gestört wird, gebe es jetzt ein Umdenken, sagt US-Militärstratege Fanell. Franzosen, Briten und auch Deutschland verstärken ihre Militärpräsenz im Indopazifik.“

Diesen Standpunkt untermauern die USA seit langem durch Militärschiffe, die sie dort – gegen chinesische Proteste – durchschicken; gerade hat Großbritannien dasselbe exerziert. Die deutsche Fregatte Bayern hat zwar nicht die Taiwanstraße durchfahren, ansonsten aber mit allerhand kleinen Provokationen (durch Anlaufen völkerrechtlich umstrittener Stützpunkte der Briten und Amerikaner) auf die deutschen Ansprüche in dieser Weltgegend aufmerksam gemacht. „Wir reden nicht nur über die Freiheit von Seewegen, die von China gefährdet wird, sondern wir sind auch bereit, etwas dafür zu tun“, erklärte Annegret Kramp-Karrenbauer. Und  weiter: „Ich möchte, dass wir nicht nur schöne Worte machen, sondern wirklich etwas tun.“ Frage an dieser Stelle: Wie würde es wohl das deutsche Publikum und seine Medien finden, wenn ein chinesisches Kriegsschiff vor Helgoland aufkreuzt?

Flugzeugträger der Marine der Volksbefreiungsarmee.jpg

Die Bedeutung der Taiwanstraße sieht die Regierung in Beijing genauso wie ihre westlichen Kollegen – und zwar aus sehr gleichgearteten Gründen. Als Welt-Exportnation verlangt sie freie Fahrt für ihren Schiffsverkehr – und sie kennt die US-amerikanischen Embargo-Maßnahmen gegen missliebige Staaten. Um sich in dieser Hinsicht zu schützen, hat sie in den vergangenen Jahren nicht nur die Neue Seidenstraße mit ihren kontinentalen Ausweich-Routen ins Leben gerufen, sondern vor allem ihre Marine gewaltig aufgerüstet.

Im Unterschied zu den anderen Beteiligten liegt der Ort der Auseinandersetzung allerdings direkt vor dem chinesischen Festland – weshalb die chinesischen Strategen eine Art Sicherungslinie einziehen wollen und deshalb „zunehmend über die erste Inselkette hinaus (drängen). US-Strategen sprechen vom chinesischen Versuch, aus ihr ,auszubrechen‘ und Einfluss im Westpazifik zu gewinnen. Das wiederum will Washington mit allen Mitteln verhindern.“

Für die Volksrepublik ist die Zeit der Angebote vorbei

Um das Veto der USA gegen das Recht auf die Heimholung ihrer „Provinz“ aufzuweichen, hatte die chinesische Außenpolitik zu Beginn der 2000er Jahre eine Zeitlang diplomatische Angebote mit dem Inhalt lanciert, Festlandchina werde auf eine förmliche staatsrechtliche Wiedervereinigung eventuell verzichten, wenn Taiwan seine Feindseligkeit aufgebe, sich als Tochternation des „einen großen China“ bekenne und das durch strikte Neutralität und Abrüstung untermauere. Auch heute wird diese Option noch im Spiel gehalten.

Gleichzeitig – und in Folge der ablehnenden Haltung Taiwans wie der aktuellen Konfrontations- und Aufrüstungspolitik der USA – pocht Beijing allerdings ziemlich kompromisslos auf sein „gutes Recht“, sich alle Mittel, militärische Gewalt eingeschlossen, vorzubehalten.

Bereits 2005 hatte der Nationale Volkskongress dieses Recht als „Anti-Abspaltungs-Gesetz“ offiziell in Gesetzesform gegossen. Chinas Armee hat heute mehr als 1000 Mittelstreckenraketen auf Taiwan gerichtet und präpariert einen relevanten Teil ihrer Truppen für die Eroberung der Insel. Der chinesische Ministerpräsident Xi Jinping hat anlässlich des taiwanesischen Nationalfeiertags 2021 zu einer „friedlichen Wiedervereinigung“ aufgerufen, die am besten „den Interessen der gesamten chinesischen Nation diene“. Er hat aber auch die gewarnt, die „das Land spalten“ wollen – „sie würden kein gutes Ende nehmen“. Und Außenminister Wang Yi erklärte im März 2022: „Die beiden Seiten der Taiwanstraße müssen sich vereinen und sie werden sich vereinen. Dies ist der kollektive Wille des chinesischen Volkes. Die chinesische Regierung ist unerschütterlich entschlossen, die nationale Souveränität und territoriale Integrität zu wahren. Wir sind in der Lage, jede Form von separatistischen Aktionen zur ‚Unabhängigkeit Taiwans‘ zu vereiteln.“

Die Volksrepublik zeigt damit deutlich, dass sie an ihrem Ziel festhalten will. Auch für sie ist das ein geostrategisches „Muss“, wenn sie sich nicht von den westlichen, speziell US-Streitkräften, vor ihrer Küste einschnüren lassen will. Das untermauert sie – insbesondere dann, wenn sie sich durch US-Waffendeals oder Aktionen der taiwanesischen Regierung düpiert sieht – auch demonstrativ mit Flügen, die die von Taiwan beanspruchte „Luftverteidigungszone“ verletzen und die taiwanesischen „Selbstverteidigungskräfte“ beschäftigen ebenso wie mit den massiven Manövern nach dem Besuch von Nancy Pelosi.

Resumee

Taiwan ist einer der vielen notwendigen Streitfälle in der Konkurrenz der Weltmächte. Die USA halten den Aufstieg Chinas, den sie ein gutes Stück weit selbst aus politischen und ökonomischen Interessen heraus ermöglicht haben, nicht (mehr) aus. Sie haben China deshalb zum Feind Nr. 1 ihrer Weltordnung erklärt und bereiten sich auf allen erdenklichen Ebenen auf eine große Auseinandersetzung vor.

Taiwan hat von seiner Lage und Bedeutung durchaus das Zeug dazu, zum „Hotspot“ dieser Auseinandersetzung zu avancieren. Die USA instrumentalisieren die Insel seit Gründung der Volksrepublik für ihre Interessen; umgekehrt basiert die „taiwanesische Staatsräson“ weitgehend auf der Rolle, die die Insel für die Geostrategie der Vereinigten Staaten spielt. China will den weiteren Ausbau eines US-Stützpunktes in seiner unmittelbaren Nachbarschaft nicht hinnehmen – auch seiner Führung ist die „Kuba-Krise“ bekannt! Und es beansprucht freie Durchfahrt für seine Schiffe in der Taiwanstraße.

Eine Frage von gut und böse, von demokratisch und autoritär, von wertebasierter Regelordnung undsoweiter ist das alles nicht – sondern eine der internationalen Staatenkonkurrenz und deren Verlaufsformen bis hin in die mediale Feindbildpflege.

Wie stets bereiten die USA die anstehenden Auseinandersetzungen sorgfältig vor; die eingangs zitierte Darstellung der Konstellation als die des „kleinen“, „demokratischen“ Taiwan, das vom autoritär-aggressiven China grundlos „angegriffen“ wird, ist Bestandteil des „framing“, das die als nötig erachtete Zustimmung für die westlichen Strategien in der internationalen Öffentlichkeit erzeugen soll (Mehr dazu in Michael Lüders, Die scheinheilige Supermacht (2021)). Dafür hat Nancy Pelosi mit dem Wirbel um ihren Besuch einen weiteren Beitrag geliefert, den sie offenbar als scheidende Sprecherin des Repräsentatenhauses ihrem Land schuldig zu sein glaubte. Und wie stets konnten sich die Politiker dabei auf ihre freie Presse verlassen, die die regierungsamtlichen Verlautbarungen getreulich ans Volk weitergibt, ganz ohne jede Zensur.

PS: Die Bertelsmann-Stiftung hat das Handeln der „Akteure“ 2021 so zusammengefasst: „Obwohl die Großmächte … sich der Gefahren einer Eskalation durchaus bewusst sind, scheint ein kooperatives Arrangement im Sinne eines Multilateralismus- oder G2-Szenarios derzeit nicht der inneren Logik der Systeme zu entsprechen.“

Da hat die Welt wohl ein weiteres Mal Pech gehabt – jedenfalls wenn diejenigen, die in Europa, Amerika wie China das Kanonenfutter ihrer Regierungen sind, nicht einmal daran gehen, diese globale Staatenkonkurrenz und ihre mörderischen „Eskalationen“ auszuhebeln. Gründe dafür hätten sie reichlich – nicht nur in den Fragen von Krieg und Frieden, sondern schon in den Konsequenzen, die die Konkurrenz ihrer Unternehmen wie Staaten für sie an ihren ganz alltäglichen Arbeitsplätzen hat …

https://overton-magazin.de/krass-konkret/zankapfel-taiwan/

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Grafikquellen      :

Oben     —        Satellitenbild von Bāng-uann-tó (Insel Wang’an) zusammen mit den umliegenden Inseln und Inselchen, aufgenommen vom MultiSpectral Instrument (MSI) an Bord des ESA-Satelliten Sentinel-2B am 29. Dezember 2021 (UTC).

© Dieses Bild enthält Daten von einem Satelliten des Copernicus-Programms, wie Sentinel-1, Sentinel-2 oder Sentinel-3. Bei der Verwendung dieses Bildes ist eine Namensnennung erforderlich.

Namensnennung: Enthält modifizierte Copernicus Sentinel-Daten 2021

Die Verwendung von Copernicus Sentinel-Daten unterliegt dem EU-Recht (Delegierte Verordnung (EU) Nr. 1159/2013 der Kommission und Verordnung (EU) Nr. 377/2014). Relevante Auszüge:

GMES-dedizierte Daten […] können weltweit ohne zeitliche Einschränkungen verwendet werden.

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2.) von Oben       —      Taipei Sonnenaufgang Panorama. Dieses Bild wurde in Hugin mit Panini-Generalprojektion zusammengefügt.

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Unten         —       建造中的中国海军首艘国产航空母舰

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von DL-Redaktion am 26. August 2022

„Krieg und Frieden“
Normalität vor dem Hintergrund des Grauens

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Aus Riga von Maria Bobyleva

In verschiedenen Medien habe ich folgendes gehört und gelesen: Viele Russen, die Anfang März überstürzt nach Georgien, Armenien und in die Türkei gefahren sind, kommen zurück.

Einige haben kein Geld mehr, andere konnten an den neuen Orten keinen Job finden. Und diejenigen, die ausgereist waren, weil sie Angst vor einer Generalmobilmachung hatten, haben beschlossen, dass es in der Heimat wohl doch nicht so gefährlich ist.

Aus Riga sehe ich keine Rückkehrwelle von Russen, die hierher emigriert sind. Aber ich sehe etwas anderes. Viele fahren für eine bestimmte Zeit zurück nach Russland. Und das irritiert mich persönlich.

Eine Freundin von mir ist schon das zweite Mal in die Heimat gefahren und wiedergekommen: das erste Mal, um Sachen zu holen und ihre Mietwohnung aufzulösen. Das zweite Mal, um sich einen neuen Reisepass ausstellen zu lassen. Und nächsten Monat fährt sie wieder – um den fertigen Pass abzuholen und gleichzeitig mal wieder „in echt“ mit ihre Kollegen zusammenzuarbeiten. Eine andere Freundin will zurück nach Moskau fahren, um ihre Wohnung zu verkaufen. Dafür möchte sie dort aber einige Monate bleiben – um ihren Steuerwohnsitz in Russland zu behalten und keine exorbitanten Steuern für den Verkauf zahlen zu müssen.

Riga - Latvia.jpg

Ich selber denke jetzt auch schon darüber nach, ob ich nicht mal fahren sollte. Ich bin genau zwischen zwei ziemlich heftigen Zahnbehandlungen weggefahren, und in Lettland bin ich ein Niemand, nicht krankenversichert, und Zahnärzte sind hier um ein Vielfaches teurer als in Russland.

Alle, die nach Russland fahren, sagen das Gleiche: dass sich fast nichts geändert hat. Die Leute chillen auf den Sommerterrassen, trinken Sekt, sonnen sich in den Parks. Ja, Ikea und H&M haben geschlossen, statt McDonald’s gibt es jetzt etwas, das „Lecker und Punkt“ heißt und statt Coca-Cola und Sprite trinkt man jetzt die russischen Limonaden-Klassiker „Buratino“ und „Duchesse“, aber im Großen und Ganzen habe sich das Leben nicht geändert. Kein Krieg, alles gut.

Quelle       :       TAZ-online       >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten     —    View of Riga towards the cathedral and Vanšu Bridge.

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Ein Brief an meine Göttin

Erstellt von DL-Redaktion am 25. August 2022

Warum braucht Europa Waffen?

Datei:Defender Europe 2022 DVIDS7224627.jpg

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von      :    Eckhard Mieder

Warum – eine meiner Fragen, eine dieser Fragen, wie Dussel sie stellen – braucht Europa Waffen?

Meine liebe Eirene,gestatten Sie mir, der ich nicht vorhatte, jemals über den derzeitigen Krieg zwischen zwei nationalistischen Oligarchen-Staaten zu schreiben –, gestatten Sie mir die Ausnahme in Form der folgenden Überlegungen, die Sie Vision nennen dürfen, Idiotie oder die Ansichten eines Clowns. Sie dürfte Ihnen gefallen. Nämlich plädiere ich dafür, dass in Europa sämtliche Waffen (ausgenommen die Waffen der Jäger, der Polizei und der Geldtransporteure) abgeschafft werden. Sie gehören nicht ins Meer; der Umwelt zuliebe gehören sie in den Schmelzofen und verwandelt zu Klumpen aus Stahl, Aluminium, Titan, Polymere u. ä., aus denen mehr zu formen geht als Pflugscharen. (Meer oder Ofen – es müsste untersucht werden, auf welche Weise die Natur am wenigsten gestört wird.)

Warum – eine meiner Fragen, eine dieser Fragen, wie Dussel sie stellen – braucht Europa Waffen?

Es ist ein Reflex, als Antwort sofort zu rufen und zu hören: Wir müssen uns verteidigen können. Wir müssen wehrbereit sein, und zu diesem Behuf brauchen wir die neuesten Waffen, die neuesten Technologien des Menschenvernichtungszeugs. Wir müssen stärker und besser sein – als der Gegner, der Feind, das Böse.

Ich frage mich, Eirene, wer ist der Gegner, der Feind, das Böse? (Wer Europa ist, frage ich grad nicht.) Im Angebot gibt es viele und vieles. Terroristen, Diktatoren, Autokraten aller Farben, Religionen und Designs mitsamt ihren Regimes, Nationen, Besitzständen.

Oder wer anderes?

Die USA – für den einen oder anderen der Feind schlechthin; aber als Aggressor für Europa scheiden sie aus, glaube ich. Aber wer weiss. Ich habe nicht das Gefühl, dass Europa für die USA unbedingt mehr ist als ein Aussenposten, als ein Markt, als etwas wie ein zweckmässig sortierter Fast-Bundesstaat? Russland – Russland ist aktuell ein prächtiger Grund, zu den vorhandenen Waffen noch etliche draufzupacken. Der Russe, gilt als ausgemacht, bedroht uns. Ich glaube zwar nicht, liebe Eirene, dass er in absehbarer Zeit auf dem Ku’damm paradiert oder seine Filzstiefel auf den Chaiselongues im Versailler Schloss platziert – aber wer weiss. Er teilt ja unsere Werte nicht. Während der Amerikaner – dessen Werte teilen wir. Dass ich, Ihnen darin gleich, für den obersten Wert halte, das Leben, die Existenz eines jeden Menschen zu schützen und zu wahren – nun, dieser Wert geht mir allerding über die Abstrakta Freiheit, Demokratie u. ä.

Auch darüber, weiss ich, liesse sich trefflich streiten. Ich geriet neulich in einen abendlichen Disput unter Rotwein-Menschen – ich geriete nicht unter sie, wäre ich nicht einer von ihnen, auch wenn ich trockene Weissweine bevorzuge –, in dem plötzlich bekannt wurde, die Ermordung Gaddafis und die rasche Erhängung Husseins sei mit Genugtuung und Freude aufgenommen worden und ein solches wünsche man Putin u. a. auch – ich gestehe, beste Freundin, ich war irritiert, als ich in die Augen theoretisierend-bramarbasierender Tyrannenmörder blickte.

Wir hätten noch die Chinesen im Angebot. Ich erinnere mich an einen Witz, der in der DDR erzählt wurde. Die Chinesen haben Europa erobert, überrollt kraft Masse Mensch und Material, aber eine kleine, asterixhafte Region hat widerstanden: die Bergrepublik Suhl. Wenn ich den Witz richtig verstanden habe, dann lebte er von zweierlei Frivolitäten. A) die Chinesen wären quasi per Menschenmasse über den Erdball gequollen wie der Brei aus dem sagenhaften Topf im Märchen. B) nur so sturköpfige Hinterwälder wie die da im DDR-deutschen Süden wollten nicht untergebuttert werden; schon comic, schon sympathisch. Und das vor über dreissig Jahren. Jetzt rückt der Chinese auf der neuen Seidenstrasse tatsächlich näher auf die europäische Pelle. Doch zurück zu meiner Vision.

Warum verlange ich nicht, dass nicht nur die Waffen in Europa abgeschafft werden, sondern auf der ganzen Welt? Nun, einer muss den Anfang machen. Warum nicht wir Europäer? Wir sind doch die oberschlaue Avantgarde des Fortschritts, die Speerspitze der Evolution? Muss ich mich vor der indischen, südafrikanischen, israelischen, mexikanischen Armee fürchten? Oder dann doch vor den Russen, wenn sie gemeinsame Sache mit den Chinesen machen – und es gibt nicht mal mehr den Bezirk Suhl!

Ich sah vor kurzem auf einem Foto etwas Krasses, Grässliches, Einschüchterndes, doch auch Schönes; eine irre Mischung von Eindrücken, die jene Dutzenden von Panzern, die reparatur- oder abwrackbedürftig waren und in einer schier endlosen Reihe in Reih und Glied standen, in mir auslösten. Eine ungeheure Masse an geformten Ressourcen, die vormals der Erde abgewonnen wurden. Eine unfassbare Menge an menschlicher Erfindungs- und Arbeitskraft, die in den Geräten des Krieges (oder seiner Verhinderung; wie absurd, dachte ich plötzlich; oder gibt es irgendeine menschheitliche Verabredung zu einem gigantischen Duell?) steckte. Eine unbegreifliche Verschwendung, die mich – wie oft, wenn ich mir atemberaubende Bauten, Kreuzfahrtschiffe, Bunker, Raumschiffe, Hafenanlagen, Flughäfen betrachte – seltsam berührte: Zu welcher Bau-Leistung der Mensch fähig ist! Wie er mit seinen Köpfen und mit seinen Händen die Gaben der Natur für seine Zwecke formen kann! Nur: Müssen es Panzer, Kanonen, Schlachtschiffe, Düsenbomber sein? Immer neue, nächste, zerstörungskräftigere?

Ich weiss, Eirene, es gehört zu den Grundpflichten eines Staates – zum Fundament, ohne dass es einen Staat nicht braucht – das Land, zu deren verantwortlicher Dienerschaft er installiert und organisiert ist, gegen äussere Feinde zu verteidigen. Dazu braucht es Geld und Gerät. Das Geld bekommt er vom Bürger und vom Gewerbe, das Gerät fertigt die Industrie. Daraus ergeben sich Verantwortlichkeiten der Politiker, der Industriellen und des Volkes, eine Verwaltung von Interessen, die frei ist von Profitgier, Korruption, Lobbyismus u. ä.

Sehe ich Sie, liebste Eirene, amüsiert lächeln und sacht den Kopf schütteln über mich kleinen, süssen Idioten?

Ich bin halsstarrig. Schreiben Sie es meinem Alter zu, dem üblicherweise Naivität nicht zugestanden wird; allenfalls darf ich von Verwandten der Naivität wie Trotteligkeit, Vergesslichkeit, Demenz besucht werden. Trotzdem frage ich mich wieder und wieder, welche äusseren Feinde hat mein Land Deutschland?

Ich sehe keinen Feind, der es militärisch darauf absieht, das Land oder Europa zu erobern. Ich gehe, glaube ich, nicht fehl in er Annahme, dass eine Besetzung Berlins durch Russen und Chinesen (oder wer sonst noch?) nicht bevorsteht oder auch nur irgendwo geplant wird. Eine Landnahme Frankreichs durch selbige scheint mir ebenfalls unwahrscheinlich. Dass demnächst das Kolosseum in Rom von einem vorwiegend arabisch oder chinesisch sprechendem Publikum bevölkert wird, das begeistert den slowakischen, litauischen, polnischen, schwedischen, spanischen etc. pp. Gladiatoren in ihren Kämpfen auf Leben und Tod folgt und applaudiert – auch das übersteigt meine Vorstellungskraft, beste Eirene.

Landesverteidigung – ein Wort kristallener Härte und Schwere; aber gegen wen? Bündnispartnerschaft – mit wem in einem Bündnis, für welche Werte? Wenn für mich, wie ich schon erwähnte, Teuerste, der oberste Wert der Erhalt des Lebens eines jeden Menschen ist – und nicht irgendein Abstraktum –, dann kommt mir die Produktion von Waffen wie die Produktion von Mord, Krieg, Aggression vor. Es ist eine Produktion jeder denkbaren Abscheulichkeit – in Lauerstellung. Es gibt den Satz, den jeder Kriminalist kennt: Wer eine Pistole besitzt, der möchte sie irgendwann benutzen.

Mir fällt grad der Ort ein, wo ich die existierenden Waffen abladen würde: auf der Schlangeninsel im Schwarzen Meer. Sie wird zu klein sein für so viel Gerümpel. Aber ich sehe Pflanzen und Bäume Wurzeln schlagen und wachsen. Vögel nisten in den Rohren der Kanonen, in den Luken der Panzer, in den Cockpits der Jets. Ich höre das Knistern der Erosion und wie sich Stahl zurückverwandelt in irdene Atome. Und weil dieser Haufen Müll nachrutscht, passen immer mal wieder Raketen, Panzer, Flugzeuge rauf. Und umschwärmt wird die Insel von Booten, in denen fröhliche Eltern sitzen, die ihren Kindern von dem Aberwitz erzählen, zu dem Menschen in der Lage sind: eines Rohstoffes wegen, einer Ideologie wegen, eines Machtanspruchs wegen dem Nachbarn den Schädel einzuschlagen, sein Haus zu plündern, und das alles aus Gründen der Selbstverteidigung etc. pp.

Können Sie uns helfen, teure Freundin, so als Göttin ausser Dienst?

Mit heiteren Grüßen, Ihr weltfremder Freund

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Grafikquellen          :

Oben     —    Die französische Armee bereitet sich darauf vor, den Narew-Fluss während des Defender Europe in Lomza, Polen, zu überqueren, 19. Mai 2022

Verfasser U.S. Army Foto von Spc. Devin Klecan    /    Quelle   :  https://www.dvidshub.net/image/7224616/defender-europe-2022-wet-gap-crossing-exercise
Gemeinfreiheit
Diese Datei ist ein Werk eines Soldaten oder Angestellten der US-Armee, das im Rahmen der offiziellen Pflichten dieser Person aufgenommen oder hergestellt wurde. Als Werk der US-Bundesregierung ist es in den Vereinigten Staaten gemeinfrei.

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Unten     —     Eckhard Mieder, 2014

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von DL-Redaktion am 23. August 2022

„Krieg und Frieden“
Kinderhilfe: Großer Dampfer kleiner Traktor

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Aus Odessa von Tatjana Milimko

Es gibt noch gute Tage in Odessa: Eine Getreidelieferung sorgt für große Aufregung. Zugleich spielen Kinder gemeinsam in einem Park „Krieg beenden“.

An diesem Morgen erwachte die Stadt nicht vom Luftalarm oder von Raktenexplosionen, sondern vom Dröhnen eines Dampfers. Drei Signaltöne waren vom Hafen von Odessa zu hören. Ein Schiff, beladen mit 26.000 Tonnen ukrainischem Mais, lief aus. Kinder mit vor Erstaunen geöffneten Mündern beobachteten dieses historische Ereignis. Sie verfolgten aufmerksam die Nachrichten und wollten wissen, ob der „Getreidekorridor“ funktioniert.

Meine Söhne baten mich, das riesige Schiff bei seiner Jungfernfahrt sehen zu können. Sie hielten Pakete in ihren Händen – darin: Spielzeugautos, Soldaten und Traktoren.

Aber meine Jungs hatten nicht vor, an diesem Tag zu spielen. Am Vorabend des Ereignisses hatten Denis und Timofej alle ihre Kisten mit Spielsachen herausgeholt und begonnen, sie sorgfältig zu sortieren. Die kaputten wurden beiseitegelegt und die, die noch in gutem Zustand waren, separat aufgeschichtet.

Die Jungs waren entschlossen, bei unserem Ausflug in die Innenstadt unbedingt andere Kinder zu treffen und ihre Spielsachen mit ihnen zu teilen. Die Frontstadt Odessa hat Tausende Mi­gran­t*in­nen aufgenommen. Zu uns kommen vor allem Menschen aus Mykolajiw, Charkiw und dem provisorisch besetzten Cherson. Sie fliehen mit ihren Familien vor dem Krieg und nehmen nur das Wichtigste mit. Und da stehen Spielsachen nicht immer auf ihrer Liste.

Die Kinder wollen den Krieg beenden

In einem der Parks von Odessa hatten sich ungefähr hundert Kinder versammelt. Jemand spielte auf einem Musikinstrument, ein anderer errichtete auf einer Bank einen improvisierten Laden und verkaufte Kunsthandwerk. Das gesammelte Geld sollte an ukrainische Soldaten gehen – für den Kauf von Regenmänteln.

Passagierterminal

Gleich nachdem das Schiff den Hafen verlassen hatte, kamen wir im Park an. Unter den Mi­gran­t*in­nen gab es kein anderes Gesprächsthema. Manche von ihnen hörten zum ersten Mal das Grollen eines Dampfers und erschraken.

Stolz hielten meine Söhne ihr Paket anderen Kindern entgegen. Ich weiß, dass darin ihre Lieblingsspielsachen waren. Vor allem ein Traktor. Ihn nahmen die Kinder zuerst, um damit zu spielen. Sie hängten einen Spielzeugpanzer an ihn an und legten los mit den Worten: „So werden wir den Krieg beenden.“

In der Ukraine sind solche Geschichten tatsächlich passiert. Traktorfahrer nahmen die von den Besatzern zurückgelassenen Panzer in Besitz und übergaben sie den ukrainischen Soldaten, wofür sie den Titel „Traktortruppen“ erhielten.

Quelle       :         TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Unten         —       Passagierterminal