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Archiv für die 'Umwelt' Kategorie

Die CO2 – Zertifikate

Erstellt von Redaktion am 20. Mai 2022

CO2-Zertifikate sind für Zwischenhändler eine Goldgrube

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von   :    Daniela Gschweng /   

CO2-Kompensationszahlungen fliessen zu grossen Teilen in die Taschen von Maklern, statt in Umweltprojekte.

Wer in die Ferien fliegt, bezahlt immer öfter ein paar Franken mehr zur Kompensation des verursachten Klimaschadens. Für den Extra-Franken wird dann irgendwo auf der Welt ein Wald gepflanzt oder ein anderes Klimaprojekt umgesetzt.

Das denken zumindest Konsumentinnen und Konsumenten. Teilweise stimmt es auch. Ein grosser Teil des Geldes fliesst jedoch in andere Kanäle. Ob es dort der Umwelt dient, ist unklar.

Die Gewinnspannen für die Zwischenhändler von CO2-Zertifikaten jedenfalls sind hoch. Das berichten das Greenpeace-Medium «Unearthed», und «Source Material» aus einer Partnerrecherche zu den Zertifikaten. Die beiden Medien nutzten Daten von «Allied Offsets», einem Unternehmen, das Daten zu Carbon Offsets sammelt. Sie fanden fast 250 Projekte, bei denen Zwischenhändler CO2-Zertifikate von Umweltprojekten für den dreifachen Preis an Unternehmen weiterveräussert hatten.

Auch MyClimate profitiert

Das Schweizer ETH-Spin-Off MyClimate beispielsweise habe CO2-Zertifikate eines Projekts in Myanmar für 10,70 Dollar gekauft und für mehr als 30 Dollar wieder verkauft. MyClimate beruft sich auf «Marktschwankungen» und eine Absicherung für ein mögliches Fehlschlagen des Mangroven-Projekts.

Das gemeinnützige Unternehmen investierte 2020 laut «Unearthed» den Grossteil der Unternehmensgewinne in einen Investmentfonds. Dieser wird laut MyClimate für weitere Klimamassnahmen genutzt. Denjenigen, die die Zertifikate kauften, ist dabei grösstenteils nicht klar, dass ihr Geld nicht direkt und vollständig zu den bezeichneten Umweltprojekten geht.

Laut den FAQ auf seiner Webpage «garantiert MyClimate, dass mindestens 80 Prozent der Kompensationsgelder für die Klimaschutzprojekte vor Ort verwendet werden. Die restlichen maximal 20 Prozent benötigte die gemeinnützige Stiftung für die Deckung der Verwaltungs- und stiftungsinternen Kosten».

In einem Projekt kamen nur noch 15 Prozent der Kompensation an

Das französische Unternehmen EcoAct ging noch weiter, was durch geleakte E-Mails belegt ist. EcoAct verkaufte im vergangenen Jahr C02-Zertifikate, die ein Projekt im Amazonas ein Jahr zuvor für 2,75 Dollar abgegeben hatte, für 20 Dollar weiter.

Die Umwelt hat von dem schlussendlich bezahlten CO2-Preis oft wenig, der Finanzmarkt dafür umso mehr. Wo die Gewinne von Maklern landen, ist, anders als bei MyClimate, oft nicht dokumentiert.

Zu den Kunden von EcoAct gehören Konzerne wie easyJet, Air France oder Coca-Cola. EcoAct versichert seinen Kunden, dass «normalerweise 85 bis 95 Prozent» des Kaufpreises an das Umweltprojekt gingen. Eine Sprecherin wies den Vorwurf «grosser und unfairer Gewinne» gegenüber «Unearthed» und «Source Material» zurück.

«Wahrscheinlich ist [diese Gewinnspanne] nicht das, was der Kunde im Sinn hatte», sagt Kelsey Perlman, Wald- und Klimaspezialistin bei der Kampagnengruppe Fern. «Unearthed» listet noch weitere Beispiele auf.

Es geht zwar ums Klima – aber auch um viel Geld

Wie undurchsichtig und anfällig für Missbrauch der CO2-Markt ist, hat Infosperber bereits am Beispiel Greenwashing beschrieben («Wie sich Unternehmen Klimaneutralität zusammenkaufen»). Der Markt für CO2-Emissionen sei noch grösstenteils wilder Westen, sagt auch ein PR-Spezialist, den «Unearthed» und «Source Material» befragt haben.

Die Recherche beleuchtet ein dringendes Problem im globalen CO2-Handel: Bei der CO2-Kompensation geht es zwar ums Klima aber eben auch immer mehr ums Geld.

Im vergangenen Jahr seien Kompensationsgeschäfte für schätzungsweise eine Milliarde Dollar getätigt worden. Die Rohstoffgiganten Vitol, Glencore und Trafigura hätten 2021 alle eine Abteilung für den Emissionshandel eröffnet, schreibt «Unearthed». Der Markt ist in grossen Teilen intransparent und wenig reguliert.

Wichtiges Instrument zur Bekämpfung der Klimakrise

Politiker und Umweltverbände betrachten Carbon Offsets oder CO2-Zertifikate als einen der wichtigsten Hebel im Kampf gegen die Klimakrise. Irgendwann, so die Idee dahinter, wird es so teuer werden, Kohlendioxid zu emittieren, dass Klimaschutzmassnahmen günstiger kommen.

Das gilt sowohl für die verpflichtenden Zertifikate für Unternehmen, die einer Art «CO2-Strafe» gleichkommen, wenn diese zu viel CO2 produzieren, wie auch für freiwillig gekaufte. Beide sollen den Klimaschutz voranbringen und beide Arten von Zertifikaten werden auf längere Sicht teurer werden.

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Was CO2-Makler mit dem Geld machen, das sie von Ihren Kunden bekommen, müssen sie nicht öffentlich machen. Wer eine Fluggesellschaft dafür bezahlt, CO2-Kompensation für den Ferienflug zu leisten, investiert so womöglich in Finanzprodukte, die mit Klimaschutz nicht das Geringste zu tun haben.

Mehr Transparenz ist dringend nötig

Darauf vertrauen, dass Geld für Emissionszertifikate tatsächlich Klimaschutzmassnahmen finanziere, könne man derzeit leider nicht, sagt auch Gilles Dufrasne. Dufrasne ist Fachreferent für internationale Klimapolitik bei der gemeinnützigen Organisation «Carbon Market Watch», die den Kompensationssektor beobachtet.

Der Umweltökonom fordert dringend mehr Transparenz im wachsenden Geschäft. «Wenn der Zwischenhändler um ein Vielfaches mehr bekommt als das Unternehmen, das die Klimawirkung erzeugt, läuft etwas sehr falsch», sagt er.

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Grafikquellen          :

Oben     —     Kohlekraftwerk in Datteln: Durch den Emissionshandel wird Kohle weniger wettbewerbsfähig gegenüber CO2-freien Energieträgern.[1]

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Klima macht Krisen

Erstellt von Redaktion am 19. Mai 2022

Energiewende ohne Tempolimit ?

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Von Janani Vivekananda und Benjamin Pohl

Konflikte um Lebensgrundlagen nehmen nicht nur in der Sahelzone zu. Deutsche Stabilisierungspolitik muss hier stärker ansetzen als bisher.

Bewaffnete Konflikte im Zusammenhang mit der Klimakrise erscheinen uns oft als abstrakte Bedrohung. Doch für Youssouf, einen jungen Hirten in Zentralmali, sind sie bereits Realität. Er ist mit dem Vieh seiner Familie unterwegs, um Weideland zu finden, und er spürt am eigenen Leib, was wir aus wissenschaftlichen Analysen wissen: In Mali ist es heißer, der Regen weniger vorhersehbar als früher. Auch Bauern haben in Mali Probleme, ihre Familien zu ernähren. Sie betreiben deshalb vermehrt Ackerbau auf dem Land, auf das Youssouf und andere Männer seines Stammes ihr Vieh zum Weiden bringen. Dies führt zu Auseinandersetzungen, die oft in Gewalt münden. Verschärft wird die Situation durch bewaffnete Dschihadisten, die in der Region unter marginalisierten Gruppen rekrutieren. Besonders Hirten werden daher sowohl vom malischen Militär als auch von Bauern als zumindest potenzielle Dschihadisten behandelt.

Gewalt zwischen Bauern und Hirten ist nur einer von vielen Konflikten um natürliche Ressourcen, die in Mali zunehmen. Weil Bauern zunehmend Pestizide und Düngemittel einsetzen, leiden Binnenfischer unter dem Abfluss von Chemikalien. Diese Problematik wiederum wird durch seltenere und heftigere Regenfälle, eine weitere Folge der Klimakrise, verschärft. Statt zur Lösung beizutragen, verschärft die Regierung derlei Konflikte oft durch Korruption und eine Politik des „Teile und herrsche“.

Alltägliche Konflikte um Lebensgrundlagen prägen viele Regionen, mit fortschreitender Erd­er­wärmung werden sie zunehmen. Das zeigt nicht nur der jüngste IPCC-Bericht, sondern auch eine neue Prognosestudie, die wir kürzlich mit Datenanalysten der US-Firma Good Judgment erarbeitet haben. Aber noch erreichen solche Konflikte meist nicht die Schwelle eines Krieges und der damit verbundenen globalen Aufmerksamkeit.

Auch in Mali ignoriert die politische Klasse diese Herausforderungen auf Ebene der menschlichen Sicherheit und konzentriert sich auf die eigene Sicherheit. Nach Protesten der Bevölkerung hat 2020 das Militär (wieder einmal) die Macht im Land übernommen. Wahlen und die Rückkehr zu einer zivilen Regierung sind nicht in Sicht. Hinzu kommt der Kampf gegen bewaffnete Dschihadistengruppen, dessen Verlauf von schweren Menschenrechtsverletzungen begleitet wird: So berichteten zuletzt verschiedene Medien über ein Massaker bei Mouro, bei dem Ende März mehr als 200 Menschen von Regierungssoldaten und Söldnern der russischen Wagner-Truppe getötet worden sollen sein. Dies verkompliziert nicht zuletzt die Frage, ob und wie Deutschland weiterhin an den multinationalen Schutz- und Ertüchtigungsmissionen in Mali teilnehmen kann und sollte.

Die Bekämpfung von Dschihadisten macht nur Sinn als Teil einer Strategie der gesellschaftlichen Teilhabe.

Viele Auslandseinsätze der Bundeswehr in den vergangenen Jahren ordneten sich explizit oder implizit in den globalen „Krieg gegen den Terrorismus“ ein. Das ist jedoch ein denkbar schlechter Ausgangspunkt für Missionen in fragilen Gesellschaften, in denen der Kern der Konflikte letztlich oft Marginalisierung und Entrechtung von Teilen der Gesellschaft sind – was dschihadistische Gruppen gern ausnutzen. Unsere Forschung zeigt auch in anderen Ländern der Sahelzone, dass ausländische Militärinterventionen oft als Ursache und nicht als Lösung für die Rekrutierung bewaffneter Milizen gesehen werden. Der viel strapazierte Hinweis, dass es keine militärische, sondern nur eine politische Lösung geben könne: In der Sahelzone ist er angebracht, weil das Grundproblem ein Mangel an Vertrauen zwischen politischem Zentrum und Peripherie ist, wo Staat und Regierung als ausbeuterische Unterdrücker wahrgenommen werden – und es oft auch sind.

Das bedeutet für Deutschland und seine europäischen Partner, dass eine weitere Unterstützung malischer Sicherheitskräfte nur in dem Maße sinnvoll ist, wie dadurch konstruktive politische Prozesse unterstützt werden können. Im Sahel kann stärkere Resilienz gegen die Klima­krise dabei ein wichtiger Ansatz sein. Technische Ansätze, wie der Ausbau und die Modernisierung des nationalen Wetterdienstes, könnten in Mali einen Beitrag zu größerer Widerstandsfähigkeit gegenüber Klimawandelfolgen leisten. Geberländer wie Deutschland sollten ihre Programme überdies darauf ausrichten, marginalisierte Bevölkerungsgruppen bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Das kann helfen, die Beziehungen zwischen konkurrierenden Bevölkerungsgruppen wie auch zwischen Staat und Gesellschaft zu verbessern. Die militärische Bekämpfung von Dschihadisten mag notwendig sein, macht aber nur als Teil einer größeren Strategie Sinn, die allen Gruppen der Gesellschaft mehr Mitsprache und Rechte ermöglicht. Afghanistan hat gezeigt, wie ein fortgesetztes Primat militärischer Aufstandsbekämpfung ins Leere führt.

Quelle          :          TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   Cartoon: „Technischer Fortschritt“: Kohlendioxidentfernung (Schlagworte: CO2, Energie, Technologie, Klima)

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Unten       — Tag des Schwarzen Gewissens

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In Gülle und Fülle

Erstellt von Redaktion am 17. Mai 2022

Zu viel Gülle schadet der Umwelt und dem Menschen.

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Wie in der Schweiz so auch in Schland! Es bereitet immer größere Probleme die Hinterlassenschaften der Politik zu beseitigen.

Quelle      :        INFOsperber CH.

Fausta Borsani /   

Die Schweizer Güllesaison ist eröffnet. Die Gruben sind voll. Gerade die überbordende Menge macht den Natur-Dünger aber zur Gefahr.

Red. Die Autorin ist Agrarökonomin, schreibt für bionetz.ch und arbeitet mit NGOs und Unternehmen in Umwelt- und Menschenrechtsfragen. Borsani ist auch Präsidentin vom Verein «ohneGift».

LandwirtInnen beschreiben sie als «natürlichen Dünger», Umwelt-Fachleute als Gift für die Artenvielfalt, die Wasserlebewesen und den Menschen. Die Gülle, eine Mischung aus Kot und Harn von landwirtschaftlichen Nutztieren wie Schwein, Rind oder Geflügel, enthält wichtige Pflanzen-Nährstoffe: Stickstoff, Kalium, Phosphor, Magnesium, Eisen und Bor. «Wertvoller Dünger, der uns vor dem Hunger bewahrt», würde eine Bäuerin im 19. Jahrhundert sagen. «Abfallprodukt», das unsere Natur vergiftet und unserer Gesundheit schadet, sagen Umweltorganisationen heute.

Viel zu viel Tiere, viel zu viel Importfutter

Der Unterschied in diesen beiden Aussagen ist zwei Gründen geschuldet: Wir halten in der Schweiz viel zu viele Tiere, deren Futter wir zu 60 Prozent importieren – und für das notabene 200’000 Hektaren Ackerland im Ausland intensiv gedüngt und mit Pestiziden behandelt werden[1]. Da die Schweizer Landwirtschaft vor allem auf Tierhaltung spezialisiert ist, «veredeln» wir hier das importierte Futter zu Fleisch, Milch und Eier.

Durch die hohen Tierbestände entsteht weit mehr Gülle als die Kulturen eines Bauernhofes es nutzen können. Der Bauer muss die überschüssige Gülle jedoch loswerden – und entsorgt sie auf Feldern und Äckern. Aber: Die Ausscheidungen der vielen Tiere gelangen auf Böden, die oft schon viel Kunst-Dünger bekommen. Resultat: Unser Agrar-Boden ist fast überall massiv überdüngt, zum Beispiel mit Stickstoff. Die Bilanz des Bundes aus dem Jahr 2019 weist nach, dass die Stickstoffzufuhr 117 Prozent des Bedarfes ausmachte! Also wurden in absoluten Zahlen 13’689 Tonnen Stickstoff zu viel ausgebracht. Dabei stammte etwas mehr als die Hälfte aus der Tierhaltung[2]. Der überschüssige Stickstoff dringt in Gewässer und ins Grundwasser ein. Und deren Nitratgehalt steigt. In ackerbaulich geprägten Gebieten liegen die Nitrat-Konzentrationen im Grundwasser an mehr als 40 Prozent der Messstellen über dem Grenzwert[3]. Zur Sicherstellung der Trinkwasserqualität müssen Wasserwerke teure Gegenmassnahmen ergreifen. Die Kosten dafür trägt bisher die Allgemeinheit.

Mensch sieh dich vor!

Neben der Überdüngung der Umwelt sind zu viele tierische Exkremente auch für den Menschen gefährlich: Einerseits verursachen die Ammoniakemissionen aus der Tierhaltung, die mit der Luft transportiert werden, Augen- und Schleimhautreizungen und können bei stärkerer Aussetzung Lungenprobleme und Schlimmeres bewirken[4]. Andererseits führt die verbreitete Anwendung von Antibiotika in der Nutztierhaltung dazu, dass Bakterien Resistenzen bilden. Wenn LandwirtInnen Gülle ausbringen, sorgen sie dafür, dass resistente Keime nicht im Stall oder der Güllengrube bleiben, sondern sie verteilen sie grossflächig. Leider können Antibiotika diesen Bakterien, die der Mensch über die Nahrungskette oder auch aus der Luft aufnimmt, nichts mehr entgegensetzen. Man spricht in diesem Zusammenhang bereits von 1,2 Millionen Todesfällen weltweit im 2019[5]. Mit jeder Resistenz steigt das Risiko, dass wir die wichtigste Waffe im Kampf gegen viele gefährliche Infektionskrankheiten verlieren. Und mit jedem resistenten Keim, der u.a. mit der Gülle auf den Acker und damit in die Umwelt gelangt, wächst die Gefahr, dass sich Menschen damit infizieren und dass diese Infektionen nur schwer behandelbar sind. In Deutschland fand ein unabhängiges Labor im Jahr 2020 in zwölf von 15 Gülleproben aus landwirtschaftlichen Betrieben antibiotikaresistente Keime[6].

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Dieser Beitrag erschien zuerst auf bionetz.ch.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Die Autorin arbeitet mit NGOs und Unternehmen in Umwelt- und Menschenrechtsfragen. Borsani ist auch Präsidentin vom Verein «ohneGift».
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.


FUSSNOTEN
[1] vgl. dazu: Priska Baur, Patricia Krayer, Schweizer Futtermittelimporte – Entwicklung, Hintergründe, Folgen, Wädenswil/ZHAW, 2021
[2] https://www.agrarbericht.ch/de/politik/direktzahlungen/nationale-suisse-bilanz-fokus-selbstdeklaration
[3] https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wasser/fachinformationen/zustand-der-gewaesser/zustand-des-grundwassers/grundwasser-qualitaet/nitrat-im-grundwasser.html
[4] https://www.lunge-zuerich.ch/lunge-luft/luft/aussenluft/luftschadstoffe/ammoniak
[5] https://www.forschung-und-lehre.de/forschung/millionen-todesfaelle-infolge-von-antibiotika-resistenzen-4360
[6] https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/landwirtschaft/tierhaltung/gefaehrliche-keime-guelle

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Grafikquellen          :

Oben     —     Gülle-/Düngewagen auf der Alp de:Selun

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Tempolimit für die Bahn

Erstellt von Redaktion am 16. Mai 2022

Klimaschutz und die Bahn

Von Werner Sauerborn und Hendrik Auhagen

Mehr Geld für die Schiene bedeutet nicht automatisch Klimaschutz. Nötig ist ein Paradigmenwechsel weg von der Beton- und Hochgeschwindigkeitsbahn.

Eins scheint bei Umweltbewegten bis in die Klimawissenschaft hinein festzustehen: „Bahn ist ökologisch!“ Da klingt es gerade in diesen Zeiten gut, dass die DB 2022 die Rekordsumme von 13,6 Milliarden Euro, 900 Millionen mehr als im Vorjahr, in Bahnhöfe und Infrastruktur investiert. Wofür genau – erst mal unwichtig. Endlich mal gute Nachrichten von der Bahn: neue Hochgeschwindigkeitszüge und Trassen, die den Flugverkehr unattraktiv machen sollen, Überwindung von Zeit und Raum mit Rennstrecken, Bahnhofsbauten für den Deutschlandtakt, spektakulären Brücken- und Tunnelprojekten.

Mehr Geld für die Schiene gleich mehr Klimaschutz! Diese Gleichung geht nur auf, wenn man in der Klimabilanz der Bahn all das ausblendet, was bei anderen Themen einzurechnen meist Standard, zumindest aber bekannt ist. Nämlich die Modi der Nutzung, die den unmittelbaren Energieverbrauch bestimmen, und die „graue Energie“, das heißt der Energieaufwand und Klima­belastungen aus Vorprodukten, zurückgehend bis zur Rohstoffgewinnung.

Bei jedem Staubsauger gibt es Energieeffizienzklassen, angesichts des explodierenden Einsatzes von Mikrochips und Batterien wird über die problematische Gewinnung von Lithium und Kobalt diskutiert. Bei jedem Auto weiß man, dass der Verbrauch, ob Benzin oder Strom, abhängt von seinem Gewicht, der gefahrenen Geschwindigkeit, und dass bei gleichen Tempi weniger verbraucht wird als bei ständigem Bremsen und Beschleunigen.

Auto ist also nicht gleich Auto, aber Bahn ist gleich Bahn und immer klimafreundlich? Physikalische Basics gelten aber auch bei der Bahn. Bei einer geilen Tempo-300-Sause verdreifacht sich der Energiebedarf beziehungsweise THG-Ausstoß pro Kilometer gegenüber 160 km/h. Auf Extremgeschwindigkeiten ausgelegte Züge müssen schwerer gebaut werden, gewichtsbedingt daher höherer Energieaufwand bei Bau und Betrieb sowie signifikant höherer Verschleiß von Gleisen und Gleisbett.

Tunneldurchfahrten sind energieaufwendiger als Fahrten auf offenem Gelände. Immens der Energieaufwand eines voll besetzten, fast 1.000 Tonnen schweren ICE4 beim Beschleunigen auf seine Höchstgeschwindigkeit.

Eine Studie im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung errechnet, dass der CO2-Ausstoß für den Bau der 30 Tunnel zwischen Köln und Frankfurt bei mehr als 850.000 Tonnen liegt. Mehr Geld für die Schiene bedeutet nicht automatisch mehr Klimaschutz. Nötig ist ein Paradigmenwechsel weg von der Beton- und Hochgeschwindigkeitsbahn.

Der Verkehrswissenschaftler Karlheinz Rößler hat Ähnliches für die in Stuttgart geplanten sogenannten Ergänzungsprojekte ermittelt. Von den Pro­jekt­geg­ne­r*in­nen als „zweites Stuttgart 21“ kritisiert, sollen mit weiteren 47 Kilometern Tunnel inklusive einem zusätzlichen unterirdischen Kopfbahnhof die immer deutlicher zutage tretenden Defizite von Stuttgart 21 behoben werden.

Der aktuelle Rekordhalter V150 der Rad-Schiene-Technik bei einer Geschwindigkeit von rund 574 km/h (2007)

Der Bau allein der geplanten Tunnelstrecken erfordert fast 3,5 Millionen Tonnen Material, im Wesentlichen Stahlbeton für die Tunnelwände, -böden und -decken. In der Klimawährung ausgedrückt: zusätzliche 730.000 Tonnen Treibhausgase, vor allem CO2! Je aufwendiger das Projekt, umso geringer der Klimagewinn.

Ähnlich verheerende Klimabilanzen dürften die vielen bundesweit geplanten Großprojekte der DB aufweisen, wie die Verlegung des Bahnhofs Hamburg-Altona, der Nord-Zulauftunnel zum Brenner-Basistunnel, der Fehmarnbelt-Tunnel durch die Ostsee, der Fernbahntunnel in Frankfurt am Main, der zweite S-Bahn-Tunnel in München.

Zu all diesen Vorhaben gibt es Bürgerinitiativen, die klimaverträglichere Alternativen entwickelt haben. In Stuttgart zum Beispiel das Konversionsprojekt Umstieg 21. Eine ehrliche Klimabilanz würde zeigen, dass der gefahrene Personenkilometer mit dem Auto oder dem Flugzeug weniger klimabelastend ist als ein Kilometer Zugfahrt in diesen Tunnel- und Hochgeschwindigkeitswelten.

Auf jeden Fall verkleinert diese anachronistische Ausbaustrategie den klimapolitischen Systemvorsprung der Schiene gegenüber den Verkehrsträgern Auto und Flugzeug, die ja mit der Verkehrswende zurückgedrängt werden sollen.

Quelle      :          TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —       Schnellfahrstrecke Hannover–Würzburg

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Klima ohne Menschen ?

Erstellt von Redaktion am 15. Mai 2022

Klima-Apartheid und Menschenrechte

Boycott Apartheid Bus, London, Vereinigtes Königreich. 1989.jpg

Von    :     Miriam Saage-Maaß

Die Erderwärmung verschärft soziale Ungleichheit. Klimaschutz ist Voraussetzung für mehr Gleichberechtigung birgt aber auch die Gefahr, bestehende Armut zu vergrößern.

Das Bundesverfassungsgericht hat es im Frühjahr 2021 festgehalten: Klimaschutz ist eine grund- und menschenrechtliche Verpflichtung des Staates. Weltweit hatten zuvor schon oberste Gerichtshöfe, beispielsweise in Pakistan, Kolumbien oder den Niederlanden, ähnlich entschieden. Dieses Klimaurteil ist ein wichtiger – längst überfälliger Schritt. Grund- und Menschenrechte haben in der klimapolitischen Debatte viel zu lange keine Rolle gespielt.

Das Gericht war bereit, traditionelle Konzepte des Verfassungsrechts bis zu einem gewissen Grad den Herausforderungen der Klimakrise entsprechend anzuwenden und die Grundrechte in einer intertemporalen Dimension zu denken. Die Klimapolitik der Gegenwart muss nach Auffassung der Karlsruher Rich­te­r*i­nnen die Grundrechte zukünftiger Generationen berücksichtigen und bereits heute ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen ergreifen, um die Freiheitsrechte der Menschen morgen zu schützen. Einigen Autor*i­nnen zufolge eröffnet das Urteil sogar eine neue Perspektive auf die Freiheitsrechte: Es erlaube, die Rechte der wenigen zugunsten der vielen zu beschränken und beispielweise den persönlichen Konsum heutiger Generationen zugunsten der Nutzung von Gemeingütern in der Zukunft einzuschränken.

Aber hier können wir nicht stehen bleiben. Wenn die Transformation unserer Gesellschaft und unseres Wirtschaftssystems hin zu echter Nachhaltigkeit und Klimaneutralität gelingen soll, dann braucht die gesamte Klima- und Wirtschaftspolitik einen Menschenrechtsansatz. Dabei kann es nicht nur um Freiheitsrechte gehen. Vielmehr müssen insbesondere auch die wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte einbezogen werden, und Menschenrechte müssen im Zusammenspiel mit den Rechten der Natur begriffen werden.

Es liegt eigentlich auf der Hand: Der Mensch ist Teil der Ökosysteme, und die Realisierung der Menschenrechte – wie beispielsweise das Recht auf Wasser, Nahrung, Gesundheit und angemessenes Wohnen – hängt wesentlich von einer intakten Umwelt ab. Diese Interdependenz bedeutet, dass der Genuss der Menschenrechte von der Qualität der Ökosysteme abhängt, aber auch umgekehrt die Ökosysteme davon beeinflusst werden, unter welchen menschenrechtlichen Voraussetzungen Menschen leben.

Hochwasser Kordel 02.jpg

Ein umfassender menschenrechtlicher Ansatz muss aber auch die historischen Ursachen des Klimawandels berücksichtigen. Der Klimawandel resultiert aus der Industrialisierung und dem mit ihr sprunghaft angestiegenen Verbrauch fossiler Energie. Koloniale Expansion und damit einhergehende Verbrechen und Zerstörungen von Lebensräumen waren auch von der Erschließung neuer Rohstoffquellen motiviert. Diese Dynamik setzte sich bekanntlich auch nach der Unabhängigkeit ehemaliger Kolonien fort: Viele Länder des globalen Südens sind bis heute wichtige Rohstofflieferanten für den globalen Markt.

Die Geschichte des Klimawandels ist also auch eine Geschichte des extraktiven Kapitalismus, und beides geht seit jeher mit schweren Menschenrechtsverletzungen einher. Die massive und dauerhafte Verschmutzung des Nigerdeltas durch die Ölförderung von Konzernen wie Shell verletzt bekanntermaßen das Recht auf sauberes Trinkwasser und das Recht auf angemessene Nahrung der örtlichen Bevölkerung. Hinzu kommt eine weitere typische Dynamik: Lokale Aktivisten, die sich wie Ken Saro-Wiwa in Nigeria hiergegen zur Wehr setzen, werden verfolgt, kriminalisiert oder gar extralegal hingerichtet.

Eben weil die extraktive Logik unseres Wirtschaftssystems so problematische Auswirkungen auf die Menschenrechte haben kann, müssen bei der Frage, mit welchen Mitteln die Erderhitzung abgewendet werden kann, menschenrechtliche Maßstäbe angesetzt werden. Es gilt, die aktuelle Umwelt- und Klimakrise auch als ein Symptom bestehender sozialer und wirtschaftlicher Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen zu verstehen. Umgekehrt sind die Bemühungen um Klimaschutz letztlich eine notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit wie für die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte.

Die Klimakrise wird bestehende soziale Ungleichheit verschärfen. Dieser Umstand wird in der hiesigen Diskussion noch immer deutlich zu wenig beachtet. Wir sitzen eben nicht alle in einem Boot. Manche sitzen auf einer Luxusyacht, während andere sich auf Holzplanken über Wasser halten. Laut dem ehemaligen UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut, Philip Alston, droht ein Zustand der „Klima-Apartheid“, wie Als­ton es nennt: Die ohnehin reichen Menschen, die bisher am meisten vom fossilen Turbokapitalismus profitert haben, werden sich mit technischem Know-how so gut wie möglich absichern und trotz dramatischer Umweltschäden ein halbwegs komfortables Leben organisieren und finanzieren können. Die Armen hingegen müssen sehen, wo sie bleiben. Heute schon leiden arme und marginalisierte Gruppen – sowohl innerhalb eines Landes als auch im globalen Vergleich – wesentlich stärker an den Folgen des Klimawandels als reiche Menschen. Diejenigen, die am wenigsten zum drohenden Klimakollaps beigetragen haben, müssen schon jetzt am meisten darunter leiden.

Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789.jpg

Die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte sind von entscheidender Bedeutung für die Verteilung der Lasten der Klimakrise und für die Gestaltung von Klimaschutzmaßnahmen: Ein menschenrechtsbasierter Ansatz wird immer fragen, wen und wie bestimmte Klimaschutzmaßnahmen betreffen. Soziale und wirtschaftliche Rechte oder die Rechte indigener Gruppen halten als kollektive Rechte Staaten dazu an, die vulnerablen Gruppen einer Gesellschaft zu erkennen, diese als Rechts­in­ha­be­r*in­nen zu verstehen, sie stärker zu schützen und die Lasten des Klimaschutzes eher sozial und ökonomisch starken Bevölkerungsgruppen aufzubürden.

Quelle          :      TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —           Aus einer sehr alten Schnappdose kam diese Schönheit von 1989 heraus. Im selben Jahr geschah viel in Deutschland und Europa. Das Ende der Apartheid wartete etwas länger Boykott-Aktivisten hatten das letzte Wort gegen Rassismus. Apartheid gibt es in Südafrika nicht mehr.

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Unten        —           Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789

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Kurs Klimakatastrophe

Erstellt von Redaktion am 2. Mai 2022

„Grüne“ Zukunftstechnologien als Irrwege

Gensler, Günther - Hamburg nach dem Brande von 1842 - Hamburger Kunsthalle.jpeg

Blick über die Kleine Alster auf die zerstörte Innenstadt

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Jürgen Tallig

Der Weltklimarat warnt vor verheerenden, irreversiblen Folgen unseres Krieges gegen die Natur und das Klima

Auch wenn die Welt diese Nachricht in der jüngsten lautstarken Propagandaschlacht des fossilen Zeitalters kaum vernommen hat, so ist doch unser Krieg gegen die Natur unverändert die eigentliche Herausforderung auf Leben und Tod, vor der die Menschheit steht.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres nennt den kürzlich erschienenen neuen Bericht des Weltklimarates IPCC „einen Atlas des menschlichen Leids und eine Anklage gegen das kriminelle Versagen der Klimapolitik“. Fast die Hälfte der Menschheit ist schon jetzt besonders stark vom Klimawandel und seinen Folgen bedroht, ein weiteres Viertel muss sich an drastische Veränderungen anpassen.

Milliarden Menschen sind bereits betroffen

Die nächsten Jahre sind absehbar die letzte Gelegenheit, um die drohende Klimakatastrophe noch zu verhindern und die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Denn die Entwicklungen verlaufen schneller, die Risiken sind größer und die Biosphäre reagiert sensibler als bisher angenommen, schreibt der IPCC im zweiten Teil seines sechsten Sachstandsberichts. Sollte sich die Welt auch nur zeitweise über die Marke von 1,5 Grad erwärmen, rechnen die Autoren mit irreversiblen Auswirkungen auf die Ökosysteme. „Die Risikoschwellen werden schon bei deutlich niedrigeren Temperaturen erreicht“, so Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven, einer der Hauptautoren des Berichts. Ein Zurück, zum Beispiel durch CO?-Rückholung, wird es bald nicht mehr geben.

Die Klimarisiken schaukeln sich jetzt bereits hoch. „Jenseits der 1,5 Grad sehen wir schwerwiegende, zum Teil irreversible Schäden“, sagt Mitautor Matthias Garschagen von der Uni München. „Zum Beispiel das Auftauen von Permafrostböden, das rasante Abschmelzen von Gletschern und Meereis und der weitere Verlust von Waldflächen. Das führt dazu, dass es immer schwieriger wird, die Temperaturkurve später wieder zu senken.“

Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung

Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung – das war das inspirierende Motto der ökumenischen Bewegung in den 1980er Jahren in der DDR. Es ist heute aktueller denn je und drückt die Kernpunkte des notwendigen neuen Denkens aus.

So schrecklich der Angriff auf die Ukraine ist, das Abrutschen in eine Eskalationsspirale von Gewalt, Erpressung, Waffenexporten und weiteren Kriegen muss unbedingt verhindert werden. Krieg, ökonomische Erpressung und Aufrüstung können nie eine Lösung sein, wie wir vor über 30 Jahren schon einmal wussten – auch wenn wir seitdem so einiges an „System Change“ und Krieg vonseiten des Westens erleben mussten. Doch der Rückfall in ein imperiales, in vielfacher Hinsicht fossiles Denken, auch seitens des Westens, kann die Probleme der Staaten nicht lösen, geschweige denn die globalen Probleme.

„Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst“ – dieser wahre Satz gilt möglicherweise auch für unseren Krieg mit der Natur. Wir müssen einen gesellschaftlichen Zustand verhindern, in dem die Menschheit quasi „blind“ weiter in Richtung Klimakatastrophe taumelt. Plötzlich geht es um Aufrüstung und Rüstungsexporte, um die Verschiebung des Kohleausstiegs, die Verlängerung der Braunkohleverstromung und vielleicht sogar der Atomkraft. Plötzlich werden weitere 100 Milliarden Schulden gemacht, zu all den Coronaschulden noch dazu – für Aufrüstung. Klimaschutz ist wieder an fünfter Stelle in der Prioritätenliste und in den Nachrichten.

GroKo ohne Ende

Es gibt einen fossil-mobil-monetären – und militärischen (muss man nun unbedingt hinzufügen) Machtkomplex in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, der grundsätzlich weitermachen will wie bisher. Ob Große Koalition oder Ampel – die eigentliche Große Koalition im Hintergrund, die zwischen Wirtschaft, Großkapital und Politik, wird davon nicht berührt, wie der Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien wieder einmal deutlich machte. Hier einige Stichworte aus dem Vertrag:

„Raum für unternehmerisches Wagnis schaffen“, „Wachstum generieren“, „wirtschaftlich und technologisch in der Spitzenliga spielen“, „Eisenbahnverkehrsunternehmen gewinnorientiert im Wettbewerb“, „Wettbewerbsfähigkeit für nachhaltiges Wachstum erhöhen“, „Börsengänge für Wachstumsunternehmen erleichtern“ – und immer so weiter. Worte, die nicht vorkommen, sind Genügsamkeit, Konsumverzicht, Suffizienz, Vermögenssteuer oder  Wachstumsbegrenzung.

Flamersheim, Aufräumen nach dem Hochwasser Juli 2021-2623.jpg

Wenn es dann auch noch um Aufrüstung, Rüstungsexport und Kriegsvorbereitung geht, dann kennt Deutschland erfahrungsgemäß ohnehin „keine Parteien mehr“. Sowohl die denkwürdige Sondersitzung des Bundestages Ende Februar als auch die jüngsten, „von allen demokratischen Parteien“ gemeinsam beantragten Aufrüstungsbeschlüsse erinnerten in fataler Weise an die Bewilligung der Kriegskredite vor dem 1.Weltkrieg. Faktisch wurde damit die CDU wieder in die Regierung aufgenommen, obwohl das Farbenmischmasch der Ampel ohnehin längst von olivgrün bis schwarz changiert. Die Geschichte lehrt, dass solch einhelliger Patriotismus immer zum Verlust demokratischer Strukturen und vernunftgeleiteter Urteilsfähigkeit führt und meist mit einem bösen Erwachen endet.

Eine solche Wiederholung der Geschichte können wir uns angesichts von Atomwaffen und drohendem Klimakollaps allerdings nicht mehr leisten. Bisherige vermeintlich grüne Subventions- und Konjunkturprogramme für Großkonzerne reichen nicht aus, um den Klimakollaps noch zu verhindern (siehe auch Rabe Ralf August 2020, S. 3),- eine olivgrüne mittelverschlingende Aufrüstung und permanenter Krieg machen das gänzlich unmöglich. Ein neuer Rüstungswettlauf ist jetzt wirklich das Allerletzte und nutzt nur den Rüstungskonzernen in den USA und in Europa. Es geht nicht um die grün verbrämte Modernisierung und militärische Aufrüstung der „Megamaschine“, sondern um ihre Verschrottung.

Die eigentliche Freiheits- und Friedensenergie

Die Klimakatastrophe und die weitere Naturzerstörung lassen sich nicht allein durch eine bloße Dekarbonisierung und Elektrifizierung der heutigen Strukturen verhindern – schon weil es dafür gar nicht genügend erneuerbare Energien gibt –, sondern nur durch eine gleichzeitige, sehr schnelle Verringerung des Energie- und Rohstoffverbrauchs der Ökonomien und Gesellschaften. Aufrüstung und die derzeitige zusätzliche Subventionierung von fossiler Energie sind da natürlich völlig kontraproduktiv, während das 9 €-Ticket endlich einen Schritt in die richtige Richtung bedeutet und die Aufrufe zum Energiesparen durch den realen Preisdruck endlich reale Wirkmacht entfalten. Das ist faktisch unfreiwillig die gecancelte CO?-Steuer durch die Hintertür.

Die eigentliche „Freiheitsenergie“, – wie FDP-Finanzminister Christian Lindner neuerdings die grüne Energie nennt, ist aber die nicht verbrauchte und nicht benötigte Energie. Vor allem ist diese eingesparte Energie gleichzeitig Friedensenergie, da sinkender Verbrauch den expansiven Druck zur Energie- und Rohstoffsicherung mindert, der uns schon einige „Öl-Kriege“ beschert hat und steigende Preise für Energie und Transporte die Möglichkeit und den Zwang zur globalen Marktkonkurrenz (Globalisierung) beschränkt.

Laut der „Denkfabrik“ Agora Energiewende wäre zur Einhaltung der Klimaziele eine schnelle Reduzierung des Energieverbrauchs um 50 Prozent notwendig. Die Wege zum „Freiheits- und Friedensenergiesparen“, zur Energiesouveränität und zum Klima-und Umweltschutz sind weit offen. Dazu gehören eine Regionalisierung der Wirtschaft mit entsprechend verringerten Transporten, eine erhebliche Verringerung des Energie-und Stoffdurchsatzes der Wirtschaft und vor allem auch der Landwirtschaft und eine entsprechend geänderte Subventionspolitik. Letztlich ist ein Ende der Globalisierung und der energiefressenden Digitalisierung notwendig.

„Grüne“ Zukunftstechnologien als Irrwege

Digitalisierung ist keineswegs klimafreundlich, wird aber als „grüne“ Zukunftstechnologie gehypt.

Der Energiebedarf der Data Center in Frankfurt/Main z.B. ist exorbitant. Die Serverfarmen verbrauchen eineinhalbmal so viel Energie, wie die 400000 Haushalte der Stadt. Dabei entsteht ein Mehrfaches dessen an Abwärme, was nötig wäre, um die ganze Stadt zu beheizen (Die Strom-Monster, FAZ, 16.10.2021, Seite 11).

Digitalisierung, Elektrifizierung und E-Mobilität führen außerdem zu einem neuen Schub beim weltweiten Raubbau an Ressourcen und Naturgütern. Das verursacht nicht nur Treibhausgasemissionen, sondern zerstört auch CO?-Senken wie Wälder, Böden und Meere.

Siehe hierzu der sehr informative Artikel „Raubbau im Namen der Umwelt“ (DER SPIEGEL Nr.44, 30.10.2021), der den gigantischen Materialbedarf der sogenannten Zukunftstechnologien näher untersucht. So enthält ein Tesla Modell S so viel Lithium, wie in 10000 Handys verarbeitet ist und eine Windkraftanlage auf See enthält 67 Tonnen Kupfer, für deren Herstellung etwa 50000 Tonnen Erde und Gestein bewegt werden müssen. Eine realistische Analyse und Bepreisung der ständig zunehmenden Stoffströme unseres gigantischen Metabolismus (Stoffwechsels) mit der Natur findet nicht statt. „Wir benutzen die Ressourcen der Zukunft, um die Gegenwart zu bezahlen“, so der Ressourcenforscher Mathis Wackernagel.

Krieg gegen die Natur

Der Überkonsum und die globalisierten kapitalistischen Ausbeutungsstrukturen zerstören die Biosphäre und die Reproduktionsfähigkeit der Lebensgrundlagen. Das ist auch ein Krieg, ein globaler Krieg gegen das Leben. „Die Natur kann unsere Rettung sein, aber nur, wenn wir sie retten!“, sagt die Direktorin des UN-Umweltprogramms UNEP, Inger Andersen zum neuen Klimabericht, der die Rolle der Natur, der Biosphäre viel stärker betont, als bisher üblich.

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Der Weltklimarat IPCC erachtet als nötig: Es müssten alljährlich 1,6 bis 3,8 Billionen Dollar ausgegeben werden, um eine Klimaerwärmung um mehr als 1,5 Grad Celsius zu verhindern. Um das ins Verhältnis zu setzen: Fossile Brennstoffe werden nach jüngsten Schätzungen mit jährlich 554 Milliarden Dollar subventioniert und in ihr Militär stecken die Länder der Welt pro Jahr rund zwei Billionen Dollar. Weiter „Öl“ ins Feuer der Klimakrise zu gießen (egal woher es kommt), ist genauso unsinnig und unverantwortlich, wie die Lieferung von immer mehr Waffen in Krisengebiete und das dadurch bedingte weitere Anheizen kriegerischer Konflikte.

Es gilt militärisch, aber auch energetisch und ökonomisch abzurüsten und eine gerechte, global wirksame neue Sicherheits- und Kooperationsstruktur zu schaffen und die freiwerdenden Mittel in die Sicherung der Lebensgrundlagen und die Verhinderung der Klimakatastrophe umzulenken.

Wir brauchen die Friedensdividende für die globale Klimawende. Insofern ist Friedenspolitik die beste Klimapolitik und Voraussetzung und Schlüssel für die Bewältigung der sich zuspitzenden Existenzkrise der Menschheit. Es gilt zu beweisen, dass der Mensch nicht nur mit Vernunft begabt ist, sondern auch fähig ist, diese zu gebrauchen, um seine Zukunft und sein Überleben zu sichern.

Es gilt, den „Meistern des Todes“, den Kriegstreibern und Rüstungsprofiteuren das Handwerk zu legen. Siehe dazu unbedingt und immer wieder Bob Dylans, „Masters of War“.

Noch haben wir die Wahl zwischen Krieg und Frieden, auch mit der Natur:

„Give Peace a Chance! “

Der Autor hat 1989 das Neue Forum in Leipzig mitgegründet. Weitere Informationen: www.earthattack-talligsklimablog.jimdofree.comDEaR RABE RALF BE RALF GRÜNE LIGA

Die Kurzfassung wurde zuerst veröffentlicht in der DER RABE RALF April/Mai 2022, Seite 17 (der größten Berliner Umweltzeitschrift)

(leicht überarbeitet und ergänzt am 20.und 28.04.2022)Berlin e.V.

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Denken in Kreisläufen

Erstellt von Redaktion am 17. April 2022

Secondhand, Repaircafés, Unverpacktläden und demontierbare Häuser.

Münster, Antiquariat Lot -- 2019 -- 3967.jpg

Von Hanna Gersmann

Abfallvermeidung ist eine Antwort auf Rohstoffmangel und Erderwärmung. Würden die Menschen überall so leben wie in Deutschland, wäre die Erde dreimal nötig.

Natürlich will das niemand hören: „Schaff mal den Müll weg.“ Also anderer Versuch, eher so im Fünf-Schritte-zum-Knackarsch-Stil von Lifestylemagazinen oder Influencer:innen: „Dein Weg aus der Krise. So wirst du resilient und unabhängig.“ Vielleicht muss an der Sprache arbeiten, wer klarmachen will: „Leute, es gibt ein Problem. Verschwendung heißt es. Zu viel Müll. Da stecken aber Schätze drin. Also keine Diamanten, aber so was Ähnliches.“

In der Krise lernt man sich ja noch mal ganz anders kennen, die Macken, was so richtig schiefläuft. Und der Druck, mit Ressourcen schonender umzugehen, sie nicht einfach in die Tonne zu schmeißen, ist schon enorm wegen der Erderhitzung. Aber durch Corona und den furchtbaren Krieg reißen nun auch noch Lieferketten, ziehen die Preise an. Dabei geht es anders – es muss. Denn das Problem wiegt schwer.

Das sagen nicht spinnerte Ökokatastrophisten. Das zeigen Rechnungen der Industrieländerorganisation OECD. Demnach wiegen 35.000 Eiffeltürme genauso viel wie aller Plastikmüll, der allein 2019 in der Welt produziert wurde: 353 Millionen Tonnen. Damit hat sich der Plastikmüll innerhalb von nur 20 Jahren verdoppelt. Und nur der geringste Teil des Plastikmülls wird recycelt: 9 Prozent. Der Rest kommt auf Deponien, wird verbrannt oder landet irgendwo und treibt über Flüsse in die Meere. Es läuft nicht rund.

Ja, aber in Deutschland ist das doch anders? Keinen Deut. Deutschland rühmt sich zwar gern, bester Müllsammler und -sortierer zu sein. Doch in fast keinem anderen Land der EU wird so viel in die schwarzen, blauen, gelben, braunen, sonst wie bunten Mülltonnen und Extracontainer gestopft wie in Deutschland. Im Jahr 2020 entsorgte hierzulande je­de:r Einzelne, das rechnet die Statistikbehörde Eurostat vor, 632 Kilo Müll. Das sind 67 Kilo mehr als noch 2005. Deutschland ist eine Wegwerfgesellschaft im XXL-Format.

Die Bestellung aus dem Internet, an Verpackung wird kaum gespart. Supermärkte bieten die Ananas und den Salat schon geputzt und geschnitten in Plastikbechern an. Mit einer älteren Gesellschaft werden Haushalte kleiner, die verkauften Portionsgrößen auch. Die Schrankwand fürs Leben, Eiche massiv – die Zeiten sind vorbei, seit ein schwedisches Möbelhaus Regale, Tische, Einbauschränke zu einer Trendsache gemacht hat. Das hat sein Gutes. Denn was zuvor oft als elitär galt, ist nun erschwinglich. Nur wird nun allerhand an Zeug in die Wohnung gekarrt, was kurze Zeit später schon wieder in der Tonne landet.

Das ist bei Elektrogeräten nicht viel anders. Manche Modekette wirft im 14-Tage-Takt eine neue Kollektion auf den Markt, hier ein leicht anderer Schnitt, da eine etwas pastelligere Farbe. Die Textilbranche ist so für mindestens 8 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Das ist mehr, als der gesamte Flug- und Schiffsverkehr rund um den Globus ausstößt. Noch nicht geredet von den vielen Häusern, die einfach abgerissen werden, kaum einige Jahrzehnte alt. Das Gros des Bauschutts, der dann Laster für Laster ­abtransportiert wird, landet aufbereitet im Straßenbau. Dass aus einem alten Haus ein neues wird – selten.

Für das Desaster gibt es eine berühmte Formel, aufgestellt vom Global Footprint Network: Würden die Menschen überall so leben wie in Deutschland, wäre die Erde dreimal nötig, um den Ressourcenverbrauch nachhaltig zu decken. Als hätte es nie einen Umweltminister namens Klaus Töpfer gegeben, der Anfang der 1990er Jahre die Kreislaufwirtschaft einführte, allen eintrichterte: Vermeiden ist besser als wiederverwenden. Wiederverwenden ist besser als Recycling. Recycling ist besser als verbrennen.

Allerdings gibt es jene, die vorangehen. Damit ist die Politik nicht aus der Verantwortung. Dazu später. Doch ist gut zu wissen, was möglich ist. Darum drei Beispiele neben Repaircafés, Unverpacktläden und unzählig vielem anderen.

Erstens: Städte stemmen sich gegen den Wegwerfkram, Bamberg, Berlin, Düsseldorf, Köln, ­Regensburg, München. Vorreiter: Kiel. Die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt hat 100 Maßnahmen gegen den Abfall entwickelt, will „Zero Waste City“ werden wie 400 andere Städte in anderen europäischen Ländern auch schon. Die ­Stadtbücherei verleiht seit Kurzem zum Beispiel Nähmaschinen, Skateboards, Werkzeug, verschiedene Gebrauchsgegenstände. Die Abfallentsorger analysieren, was alles falsch in welcher Mülltonne landet, um dann eine Infokampagne zu machen

Wer weiß schon genau, ob die Käserinde in die schwarze Tonne für Restmüll, der verbrannt wird, oder in die braune gehört, woraus Kompost entsteht. Es ist die Biotonne. Oder der Pizzakarton: Restmüll, wenn dreckig, sonst Gelb, Recycling, er zählt zu den Verpackungen. Theoretisch ist aber auch nichts falsch, wenn der saubere Karton in der blauen Tonne für Altpapier landet. Kiel will so bis 2035 die Menge, die je­de:r dort pro Jahr in die schwarze Tonne für Restabfälle wirft, im Vergleich zu 2017 halbieren. Es ist ein Etappenziel.

Zweitens: Erste Ar­chi­tek­t:in­nen prägen einen neuen Stil. Das neue Bürogebäude der niederländischen Triodos Bank nahe Utrecht, zumeist aus Holz, entworfen vom Büro RAU Architects, ist komplett demontierbar. Denn das Gebäude wurde mithilfe von 165.312 Schrauben errichtet und kann wieder auseinandergenommen werden. Die Angaben zu allen verwendeten Materialien sind akri­bisch in einer Datenbank registriert, ­Madaster genannt. Die Idee: Es wird leichter, die Rohstoffe wiederzuverwenden. Außerdem könnten sie so auch neben der Immobilie selbst als Wert verbucht werden. Theoretisch zumindest, bisher macht das wohl niemand.

Drittens: Der Handel mit Gebrauchtem ist der letzte Schrei. Auf der französischen Internetplattform Vestiaire Collective lassen sich Designmäntel, -taschen, -gürtel von Gucci, Prada und so weiter kaufen – alles secondhand. Man mag von Marken halten, was man will. Da ist auch nicht für je­de:n was dabei: Die Preise liegen zwar unter dem Neupreis, sind aber oft immer noch sagenhaft.

Doch hinter Vestiaire Collective – auf Deutsch „gemeinsame Umkleidekabine“, angeblich rund 1,7 Milliarden Euro wert – stehen namhafte Investoren. Al Gore zum Beispiel, der frühere amerikanische Vizepräsident und Klimaaktivist. Sie glauben offenbar an eine, wenn auch luxuriöse, Neuauflage des Kleiderflohmarkts, an eine länger anhaltende Abkehr einer ernst zu nehmenden Zahl von Kund:innen vom schnellen Konsum.

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Nur: Standard ist das alles beileibe nicht. Es bräuchte neue Regeln, Vorgaben. Dafür standen die Chancen aber wohl noch nie so gut wie heute. Po­li­ti­ke­r:in­nen haben einen Blick für Trends, zumindest wenn sie klug sind. Es geht ja um ihre Wähler:innen. Und vor allem richtet sich im ­rohstoffarmen Deutschland, aber nicht nur hier, die Wirtschaft neu aus. Immerhin gilt, was lange undenkbar schien und was die meisten Ma­na­ger:in­nen – laut Umfragen jedenfalls – nicht sorgte: Öl und Gas sind knapp. Und das ist noch nicht alles. Es fehlt an Nachschub von Aluminium, von Stahl, von so vielem. Um robuster zu werden, resilienter gegen die Krise – besser: die Krisen –, suchen sie in vielen Konzernzentralen jetzt nach alternativen Quellen für ihre Rohstoffe. Da gerät nun auch die voll gestopfte Mülltonne in den Blick und die Tatsache, dass sich aus Altem was Neues machen lässt.

Das ist spät. Es rächt sich, dass Regierungen das Denken in Kreisläufen viel zu lange unter den Teppich gekehrt, nicht ernst genommen haben. Jetzt ändert sich etwas, zumindest für alle, die optimistisch rangehen – gleich auf verschiedenen Ebenen. Auf der internationalen: Vertreter aus aller Welt haben sich erst Anfang März auf einer UN-Umweltkonferenz im kenianischen Nairobi geeinigt, den Plastikmüll an Land und in den Meeren zu bekämpfen. Innerhalb der nächsten zwei Jahre soll dazu ein rechtsverbindliches internationales Abkommen ausgehandelt werden, ähnlich dem Pariser Klimaabkommen. Wie streng es wird: offen. Dagegen steht: Seit 2010 hat die Kunststoffindustrie 180 Milliarden US-Dollar in neue Fabriken investiert. Aber es kann ein Anfang vom Ende sein.

Die EU will für Textilien, Möbel, elektronische Geräte, für alle Produkte, die auf dem EU-Markt landen, Vorgaben machen, damit sie nicht so schnell in der Tonne landen. Tempo? Fraglich, das kann sich ziehen, sollte Schritt für Schritt jede Produktgruppe einzeln verhandelt werden. Aber wer weiß.

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Oben      —       Antiquariat Solder in MünsterNordrhein-Westfalen, Deutschland

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Unten       —       Hanna Gersmann (Chefredakteurin des taz-Magazins zeozwei) Foto: <a href=“http://www.stephan-roehl.de“ rel=“nofollow“>Stephan Röhl</a> Konferenz „Das Wetter vor 25 Jahren: Grüne Lehren aus der Wiedervereinigung“ in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin

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Regieren mit den Grünen

Erstellt von Redaktion am 16. April 2022

Joschka Fischer über den Ukrainekrieg –
„Das war eine Verkennung der Lage“

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Dank an die Politik: Geld in der Tasche – Turnschuhe im Beutel.
Was ein  ergrauter Greis –  jetzt alles weiß?

Ein Interview von Peter Unfried mit Joschka Fischer

Ex-Bundesaußenminister Joschka Fischer über Kooperationen in der Klimakrise und die Fehler der deutschen Russland- und Ukrainepolitik.

taz am wochenende: Herr Fischer, müssen die Deutschen sich im Angesicht des Krieges und der Klimakrise neu erfinden?

Joschka Fischer: Ein Stück weit. Sie sind schon dabei.

Was genau macht Sie optimistisch?

Zu sehen, was heute möglich ist unter dem Druck des Krieges. Und perspektivisch gilt das auch für die Klimakatastrophe.

Was war der fundamentale Fehler im bundesdeutschen Denken und Handeln, wo liegen wir falsch?

Was wir gerade erleben, ist das Ende einer langen Nachkriegszeit. Zu glauben, wir könnten als Konsequenz unserer missratenen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf Abschreckung und militärische Sicherheit verzichten, das war ein Irrtum. So sehr ich mir das wünschen würde, das geht geopolitisch nicht, dafür sind wir zu groß und zu exponiert. Aus dem Irrtum ist auch die Illusion in der Beziehung zu Russland erwachsen, man könne dort durch Austausch langfristig eine friedliche Systemveränderung erreichen. Jeder, der die politische Elite in Russland kennt, weiß, dass die das völlig anders sehen. Und wie sie es sehen, das erleben wir gerade. Diese Illusion hat uns in Abhängigkeiten geführt, für die wir jetzt einen hohen Preis bezahlen müssen.

Wir Bundesdeutsche sind kulturell-mental überfordert mit Krieg, geprägt von dem kategorischen Imperativ des „Nie wieder“ und von dem Eindruck, das Wort „Nachkriegszeit“ habe für uns ewige Gültigkeit, politisch gab es bisher nicht mal eine Sicherheitsstrategie.

Oh doch, die gab es immer, man redete nur nicht gerne darüber: Nato, Westbindung, europäische Integration durch die EU. Ich verstehe vollkommen, dass man nach der katastrophalen ersten Hälfte des Jahrhunderts, zwei Weltkriegen, zweimal Deutschland als Aggressor, barbarischen Verbrechen, die Deutsche begangen haben, dass man da nach dem großen Turnaround nie wieder militärisch gestützte Außenpolitik und nie wieder Großmachtpolitik machen wollte. Man sagte, das hat die Schutzmacht, die USA, zu übernehmen, und wir konzentrieren uns auf friedliche Geschäfte. Das war nach 1945 völlig verständlich. Aber nach 1989 zog die Schutzmacht faktisch ab, dann brach auch schon Jugoslawien auseinander, und es kamen die Balkankriege. Jetzt ist alles eskaliert, eine nukleare Weltmacht hat unter fadenscheinigsten Vorwänden ihren Nachbarn überfallen.

Der Verzicht der Ukraine auf Atomwaffen im Budapester Memorandum 1994 stellt sich heute als schwerer Fehler dar.

Im Rückblick ja, aber damals waren wir alle dafür, auch im Westen, dass es keine vagabundierenden Nuklear­waffen gibt, das war der Albtraum schlechthin. Deswegen erschien es besser, sie dem Haupterben der Sowjetunion in die Hand zu geben, der russischen ­Föderation. Im Vertrauen, dass das auch auf der sicherheitstechnischen Ebene durch Russlands Erfahrung des Kalten Krieges funktionieren wird. Die neue Situation heute wird schlimme Konsequenzen für die Zukunft haben, denn es ist nun offensichtlich für jedermann: Nur wenn du Nuklearwaffen hast, dann bist du wirklich souverän und sicher. Hast du sie nicht, verfügst du nur über eine eingeschränkte Souveränität. Diese Erfahrung wird zu einer wesentlich unsichereren Welt führen.

Was bedeutet „Nie wieder Auschwitz“ unter den Bedingungen der Gegenwart?

Man kann hier im Grunde auf die entsprechende Konvention der Vereinten Nationen zurückgreifen, die noch unter dem Eindruck der völkermordenden Praxis der Nationalsozialisten verfasst wurde: Eine Kriegsführung, die darauf hinausläuft, das Existenzrecht von ganzen Völkern oder auch Minderheiten in Frage zu stellen, darf es nie wieder geben. Das steht in anderen Worten auch im Grundgesetz. Es ist die Aufgabe aller staatlichen Gewalt bei uns in Deutschland, dass die Menschenwürde gewahrt bleibt. Artikel 1 Grundgesetz.

Braucht die EU eigene Atomwaffen?

Die EU ist kein Staat, sondern ein Staatenverbund. Ich sehe nicht, wie das geschehen sollte ohne eine sehr viel vertieftere Integration.

Ihr Weggefährte Daniel Cohn-Bendit sagte gerade, unsere deutsche Freiheit werde mit französischen, britischen und amerikanischen Atombomben verteidigt.

Vor allen Dingen sind es amerika­nische.

Einige taz-Leser waren ja empört.

Ich wäre enttäuscht, wenn das anders wäre.

Europa muss sich so verteidigen können, dass es keiner anzugreifen wagt, auch ohne US-Schutz – das ist jetzt Grundlage jeder emanzipatorischen Zukunftspolitik?

Hören Sie, ich bin Jahrgang 1948, ich fühle mich derzeit sehr oft erinnert an meine Kindheitstage, als der Kalte Krieg oft zu eskalieren schien und man nie sicher sein konnte, dass es wieder losgeht. Nuklear wird Europa noch lange nicht ohne die US-amerikanische Schutzgarantie auskommen.

Im Vergleich zu Putin scheint aus heutiger Sicht die Sowjetunion ein Hort der Vernunft gewesen zu sein.

Der Unterschied ist, dass die Sowjetunion spätestens nach der Kuba-Krise am Erhalt des europäischen Status quo interessiert war. Putins Russland ist das Gegenteil, eine revisionistische Macht, der es in der Ukraine nicht wirklich um die Ukraine geht, sondern um eine Revision der europäischen Ordnung und der Weltordnung.

Wann genau und warum haben Sie den Glauben an die Friedensdividende verloren, also die Umwandlung von Militärausgaben in gesellschaftlichen Gewinn nach dem Ende des Kalten Krieges?

Mit dem Abgang von Boris Jelzin und der Machtübernahme durch Putin war recht früh absehbar, dass dieser eine revisionistische Politik verfolgt, die mich mehr als misstrauisch machte.

Es geht nicht gegen die Nato, es geht gegen uns, die EU und unsere liberale Demokratie, schreiben Sie in Ihrem neuen Buch.

Ja, stellen Sie sich vor, dass sich in der Ukraine mit allen Schwierigkeiten ein Land entwickelt, das wirtschaftlich erfolgreich ist, sich zunehmend an europäischen Normen orientiert, eine Erfolgsstory. Dann wäre doch sofort die Frage der Bevölkerung an Putin und die Oligarchie in Russland: Warum die und warum nicht wir?

Welchen Fehler hat Deutschland gemacht, was die Ukraine angeht?

Wir haben die Ukraine immer als den weniger ernstzunehmenden kleinen Bruder Russlands gesehen. Das war eine völlige Verkennung der Lage. Die Ukraine ist alles andere als klein. Und wie wir jetzt sehen einer der weltweit größten Agrarexporteure. Ein Ausfall als Getreideproduzent wird eine ­weitere globale Krise nach sich ziehen.

Wenn vom Westen im Sinne einer Co-Existenz mit Russland eines Tages eine amputierte und entmilitarisierte Ukraine akzeptiert werden sollte, geht das auf Kosten der Leute dort.

Ich glaube, so wird es nicht kommen. Was schwer wiederherzustellen sein wird, ist ein Minimum an Vertrauen gegenüber Russland. Der zentrale Fehler von uns allen war, zu glauben, dass wir Russland vertrauen können ohne innere Demokratisierung. Die sogenannte Machtvertikale …

…die Machtkonzentration jenseits von Institutionen und Verfassung …

… existiert seit Iwan dem Schrecklichen, und genauso existiert immer noch diese Obsession, Weltmacht sein zu müssen. Das kann nur durch eine demokratische Revolution in Russland überwunden werden. Das meint nicht ein zweites 1917, sondern institutionelle Veränderungen.

Außenministerin Baerbock hat am Tag nach dem Einfall der Russen in der Ukraine gesagt, wir seien „in einer anderen Welt aufgewacht.“ Damit hat sie ein verbreitetes Gefühl grüner Milieus bedient, aber die Aussage steht doch auch für unsere Naivität. Wir lebten doch längst in dieser anderen Welt, wir hatten nur die Augen zu, damit wir sie nicht sehen.

Wen meinen Sie mit „wir“?

Die Bundesdeutschen, die Links­liberalen.

Lassen Sie uns die Dinge benennen. An erster Stelle wollte die russische Realität von der deutschen Wirtschaft, vorneweg dem „Ostausschuss“, und der SPD nicht gesehen werden. An zweiter Stelle mit geringem Abstand von der Union. Machen Sie sich da keine Illusionen. Im Übrigen finde ich die Aussage von Annalena nicht naiv, sondern zutreffend. Hoffentlich sind wir aufgewacht.

Sie sprechen im Buch von einer „doppelten Realität“. Die alte Realität der Machtpolitik bleibt und eine neue Realität der nachhaltigen globalen Kooperation muss dazukommen, in der das Terrestrische nach dem französischen Philosophen Bruno Latour nicht mehr als Rahmen, sondern als Teil menschlichen Handelns verstanden wird.

Wir mussten seit Beginn der Zivilisation nie als Menschheit agieren, sondern immer nur als eigene Gruppe. Es begann mit Familien, dann kamen Stämme, Nationen, Imperien, aber das Prinzip war immer die eigene Gruppe. Entweder machst du, was ich will – oder ich schlag dir den Schädel ein. Das Konfrontationsprinzip. Aber das funktioniert so nicht mehr. Klimaschutz setzt Kooperation voraus.

Das sieht Putin anders.

Er lebt im späten 19. und nicht im 21. Jahrhundert. Das unterscheidet China von Russland. Die Klimakrise ist mit Gewalt nicht zu lösen. Nur mit Kooperation, also dem Gegenteil der erlernten Kultur. Das wird zu einer doppelten Realität führen, die gleichzeitig angegangen werden muss. Die traditionelle Machtpolitik, auf Konfrontation gegründet, und die neuen planetaren Herausforderungen, die Zusammenarbeit erfordern. Etwa das Corona-Virus, dem weitere folgen werden. Oder die Klimakrise. Wir können nicht mal sagen, okay, dann machen wir das halt in Europa. Das führt zu nichts. Die Klimakrise ist global wie das Virus. Der reiche Norden wird nicht auf der sicheren Seite sein, wenn der arme Süden vergessen wird. Die westlichen Industrienationen müssen fossil abrüsten, der Süden muss sich industrialisieren, um nicht in Hunger und Chaos zu versinken, aber auf neuen nachhaltigen Pfaden. Und der reiche Norden muss das bezahlen.

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Sie reden wie ein Pastor, Herr Fischer. So kenne ich Sie gar nicht.

Ich rede überhaupt nicht wie ein Pastor.

Doch, und in der Kirche nicke ich auch schön planetarisch. Aber dann gehe ich raus und muss meine eigenen ­Interessen sichern.

Aber, mein Lieber, der Unterschied ist, dass wir vor der praktischen Aufgabe stehen, das zusammenzufügen. Mein Parteifreund Robert Habeck steht vor dieser Ausgabe, Annalena Baerbock genau­so. Wir sind stark beeinflusst durch den Krieg in der Ukraine. Aber die Klimakrise beeindruckt das überhaupt nicht. Wenn sich das für Sie wieder zu pastoral anhört, tut’s mir leid.

Nein, das ist Wissenschaft.

Genauso ist es Wissenschaft, dass wir sowohl bei der Virus- als auch der Klimakrise den globalen Süden nicht vergessen dürfen, eben nicht nur aus moralischen Gründen.

Mir leuchtet Ihre Analyse völlig ein, nur was sollen die Russen denn ­verkaufen, wenn nicht mehr Öl, Gas und Kohle? Die nationalstaatlichen und die planetarischen Interessen gehen hinten und vorn nicht zu­sammen.

Die Politik wird es sich nicht so einfach machen können wie Sie und sagen: Das geht halt nicht.

Das hoffe ich sehr.

Das ist keine Frage der Hoffnung. Das ist ein Zwang. Wir entkommen den Herausforderungen der Klimakrise nicht. Es gibt keinen zweiten Planeten, auf den wir auswandern könnten.

Der Klimapakt von Paris ist das zentrale Instrument planetarischer Verantwortungsübernahme – aber die Emissionen steigen weiter, weil sich fast keiner daran hält.

Aber ohne das Abkommen von Paris wären wir sehr viel weiter zurück. Damit ist der Rahmen und das Ziel ­definiert, das ist ein gewaltiger Schritt nach vorn. Aber unter einem Gesichtspunkt haben Sie natürlich Recht, das Steuer herumzureißen, dafür reicht Paris nicht. Auch wenn alle Punkte erfüllt wären, würde die Erderwärmung erst einmal verlangsamen, aber nicht stoppen.

In Ihrem Buch, das vor dem russischen Angriffskrieg fertig war, schreiben Sie: Dekarbonisierung ist das Gebot der Stunde. Aber bei einem russischen Angriff geht es erst einmal um Versorgungssicherheit.

So ist es. Fragen Sie unseren Energieminister. Der erlebt und erleidet das 24 Stunden am Tag.

Teile seiner Milieus sagen: Jetzt buckelt er zum Emir von Katar. So nicht.

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Oben       —       Joschka Fischer (Vizekanzler und Außenminister a.D.) Foto: stephan-roehl.de Veranstaltung „Europa im Aufbruch? Ideen für eine progressive Politik“ in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin

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Unten        —           41. Münchner Sicherheitskonferenz 2005: Von links: Die demokratische US-Senatorin Hillary Clinton, Prof. Dr. Horst Teltschik, der Bundesaußenminister Joschka Fischer und der polnische Außenminister Prof. Dr. Adam Rotfeld.

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Die Toxische Nostalgie

Erstellt von Redaktion am 16. April 2022

Putin, Trump und der brennende Planet

Datei:Wladimir Putin und Donald Trump auf dem Hamburger G-20-Gipfel 2017 (2).jpg

Von Naomi Klein

Imperiale Nostalgie scheint es zu sein, was Wladimir Putin umtreibt – Nostalgie und der Wunsch, die Schmach der ökonomischen Schocktherapie loszuwerden, der Russland am Ende des Kalten Krieges unterzogen wurde. Nostalgische Vorstellungen von amerikanischer „Greatness“ wiederum sind Teil der Motivation, welche die immer noch von Donald Trump angeführte Bewegung mobilisiert – sowie der Wunsch, sich nicht länger für die als White Supremacy verherrlichte Ruchlosigkeit verantworten zu sollen, welche die Gründung der Vereinigten Staaten prägte und diese bis heute entstellt.

Und Nostalgie ist es auch, was jene kanadischen Trucker animiert, die wochenlang Ottawa besetzt hielten und mit ihren rot-weißen Flaggen wie eine Eroberertruppe eine simplere Zeit beschworen – eine Zeit, in der ihre Gewissensruhe nicht durch Erinnerungen an die Körper indigener Kinder gestört wurde, deren Gebeine man immer noch auf dem Boden jener genozidalen Institutionen findet, die es einst wagten, sich „Schulen“ zu nennen.[1]

Hier handelt es sich nicht um die warme, wohltuende Nostalgie schemenhafter Erinnerungen an Kindheitsfreuden. Vielmehr haben wir es mit einer wuterfüllten und zerstörerischen Version zu tun, die sich an eingebildete Vorstellungen vergangener Ruhmestaten klammert – entgegen aller ernüchternden Evidenz.

All diese nostalgiegetriebenen Bewegungen und Gestalten verbindet die Sehnsucht nach etwas anderem, ein auf den ersten Blick möglicherweise unwahrscheinlicher Zusammenhang. Es ist die nostalgische Verklärung einer Zeit, in der man fossile Brennstoffe aus der Erde fördern konnte, ohne sich unnötige Gedanken machen zu müssen – über Genozide; über Kinder, die auf ihr Recht pochen, eine Zukunft zu haben; oder über alarmierende Berichte des Weltklimarates (IPCC) wie jenen dieser Tage veröffentlichten, der UN-Generalsekretär António Guterres zufolge einem „Atlas menschlicher Not und einer vernichtenden Anklageschrift über das Versagen bisheriger Klimapolitik“ gleicht.[2] Gewiss, Putin führt einen Petrostaat an, der sich trotzig einer Diversifizierung seiner einseitig von Öl und Gas abhängigen Wirtschaft verweigert hat, ungeachtet der verheerenden Auswirkungen des hektischen Auf und Ab der Rohstoffpreise auf sein Volk sowie ungeachtet der Realitäten des Klimawandels. Trump seinerseits ist geradezu besessen davon, wie leicht sich mit fossilen Brennstoffen Geld machen lässt, und hat die Leugnung des Klimawandels zur Signatur seiner Präsidentschaft gemacht.

Die kanadischen Trucker wiederum wählten nicht nur Benzinkanister und gigantische Neunachser-Lastzüge als Symbole ihres Protests. Die Führer der Bewegung schwören obendrein auf das extraschmutzige Öl der Teersande von Alberta. Bevor sie jetzt als Freedom Convoy auftraten, nahmen viele von ihnen bereits 2019 an der als United We Roll bekannt gewordenen Generalprobe teil, einer wilden Mischung aus flammender Verteidigung von Pipelines, Widerstand gegen C02-Bepreisung, einwanderungsfeindlicher Xenophobie und unverhüllter Nostalgie für ein weißes, christliches Kanada.

»Öl« steht für eine ganze Weltanschauung

Auch wenn Petrodollars diese politischen Kräfte sponsern, muss man wissen, dass „Öl“ hier für eine ganze Weltanschauung steht, für eine tief mit Vorstellungen von Manifest Destiny[3] und einem Zeitalter glorreicher „Entdeckungen“ verwobene Kosmologie, die menschliches wie nichtmenschliches Leben einer rigiden Hierarchie unterwirft und an deren Spitze weiße, christliche Männer stehen. In diesem Kontext symbolisiert „Öl“ die extraktivistische Geisteshaltung, die nicht nur von dem gottgegebenen Recht ausgeht, fossile Brennstoffe zu fördern, sondern, sich auch berechtigt fühlt, nach allem zu greifen, was man begehrt, dabei verseuchten Grund zu hinterlassen und niemals zurückzublicken.

Aus diesem Grund stellt die rasch voranschreitende Klimakrise nicht nur eine wirtschaftliche Bedrohung für in den extraktiven Branchen engagierte Menschen dar, sondern zugleich eine kosmologische Herausforderung für alle, die der beschriebenen Weltsicht anhängen. Denn was bedeutet „Klimawandel“ in Wahrheit? Ist es doch die Erde selbst, die uns mitteilt, dass es nichts gratis gibt; dass das Zeitalter der „Herrschaft“ des (weißen, männlichen) Menschen zu Ende ist, dass es keine Einbahnstraße gibt, in der es ausschließlich ums Nehmen geht, und dass jede Aktion Reaktionen hervorruft. Diese Jahrhunderte des Grabens, Bohrens und Ausspeiens setzen jetzt Kräfte frei, die selbst die robustesten Strukturen, welche die Industriegesellschaften schufen – Küstenstädte, Autobahnen, Bohrinseln –, verwundbar und zerbrechlich aussehen lassen. Das aber kann die extraktivistische Geisteshaltung unmöglich akzeptieren.

Angesichts der von ihnen geteilten Kosmologien sollte es nicht überraschen, dass Putin, Trump und die Freedom Convoys ungeachtet disparater Geographien und gänzlich verschiedener Umstände einander verblüffend nahestehen. So lobt Trump Kanadas – wie er sie nennt – „friedliche Bewegung patriotischer Trucker, Arbeiter und Familien, die ihre elementarsten Rechte und Freiheiten einfordern“. Der „Fox News“-Moderator Tucker Carlson und Steve Bannon applaudieren Putin, während die Trucker mit ihren „Make America Great Again“-Kappen protzen. Randy Hillier, ein Abgeordneter aus Ontario, der zu den lautstärksten Unterstützern des Convoys zählt, verkündet auf Twitter, dass „viel mehr Leute durch diesen Schuss [die Covid-Impfstoffe] starben und sterben werden als im Russland/Ukraine-Krieg“. Oder nehmen wir jenes Restaurant in Ontario, unter dessen „Daily Specials“ die Mitteilung prangte, dass Putin nicht etwa „die Ukraine okkupiert“, sondern sich gegen den „Great Reset“ erhebt, gegen die Satanisten und „gegen die Versklavung der Menschheit“.

Auf den ersten Blick erscheinen diese Allianzen zutiefst abwegig und unwahrscheinlich. Aber bei genauerem Hinsehen wird klar, dass sie ein bestimmtes Zeitgefühl verbindet. Ein Zeitgefühl, dass sich an eine idealisierte Version der Vergangenheit klammert und sich standhaft weigert, unangenehme Wahrheiten über die Zukunft zur Kenntnis zu nehmen. Gemeinsam ist ihnen auch das Wohlgefallen an roher Gewalt: Supertruck vs. Fußgänger, die lärmende industrielle Realität vs. bedachtsam analysierende Forschungsberichte, Nukleararsenal vs. Maschinengewehr. Solch gewaltträchtige Energie braut sich gegenwärtig in vielen ganz unterschiedlichen Sphären zusammen, bricht Kriege vom Zaun, greift Regierungssitze an und bedroht mutwillig die Lebensadern unseres Planeten. Diese Gesinnung liegt so vielen Demokratiekrisen, so vielen geopolitischen Krisen und nicht zuletzt auch der Klimakrise zugrunde: ein gewaltbereites Sich-Klammern an toxische Vergangenheit und die strikte Weigerung, sich auf eine enger verflochtene, interrelationale Zukunft einzulassen, welche die Grenzen dessen respektiert, was Mensch und Planet ertragen können. Das ist in Reinkultur eben das, was die jüngst verstorbene Literaturwissenschaftlerin Gloria Jean Watkins so oft als „imperialistisch-kapitalistisches Patriarchat im Zeichen der White Supremacy“ beschrieben hat – augenzwinkernd, weil es manchmal eben der gröbsten Kaliber bedarf, um treffsicher zu erfassen, wie es um unsere Welt steht.

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Die derzeit dringlichste Aufgabe besteht zweifellos darin, genügend Druck auf Putin auszuüben, damit er einsieht, dass seine kriminelle Ukraine-Invasion zu riskant ist, um an ihr festzuhalten. Doch das ist nur der allererste Anfang. „Es gibt nur für kurze Zeit ein sich sehr schnell schließendes Zeitfenster dafür, eine erträgliche Zukunft auf dem Planeten zu sichern“, sagte Hans-Otto Pörtner, Ko-Vorsitzender der Weltklimarats-Arbeitsgruppe, die den bereits erwähnten, bahnbrechenden Bericht verantwortet.[4] Wenn es in unserer Zeit eine einheitsstiftende politische Aufgabe gibt, dann sollte diese darin bestehen, auf den Flächenbrand toxischer Nostalgie ebenso flächendeckend zu antworten. Und in einer modernen Welt, deren Geburt mit Genozid und Enteignung einherging, erfordert dies, die Vision einer nie zuvor betretenen Zukunft zu entwerfen.

Mit ganz wenigen Ausnahmen gibt es in unseren Ländern nirgendwo eine Führung, die dieser Herausforderung gerecht würde. Putin und Trump sind rückwärtsgewandte Nostalgiker, und auf der harten Rechten finden sie überreichlich Gesellschaft. So gelang es Jair Bolsonaro gewählt zu werden, weil er nostalgische Erinnerungen an die Ära der Militärherrschaft in Brasilien bediente. Und die Philippinen stehen in alarmierender Weise offenbar davor, Ferdinand Marcos Jr. als ihren nächsten Präsidenten zu wählen, den Sohn des gleichnamigen Diktators, der sein Land in den 1970er und 1980er Jahren ausplünderte und terrorisierte. Aber diese Krise geht nicht nur von der extremen Rechten aus. In der liberalen Prominenz finden sich ebenfalls ausgemachte Nostalgiker, die als Gegenmittel zu ins Kraut schießenden Faschismen weiter nichts anzubieten haben als aufgewärmten Neoliberalismus und die ganz offen mit den räuberischen Konzerninteressen – von Big Pharma bis zu mächtigen Banken – verbandelt sind, die die Lebensstandards geschreddert haben.

Joe Biden etwa verdankt seine Wahl dem tröstlichen Versprechen einer Rückkehr jener Normalität, die vor Trump bestand, obwohl ebendiese doch dem Trumpismus den Weg bereitete. Justin Trudeau ist die jüngere Version des gleichen Angebots: ein hohl klingendes, der Aufmerksamkeitsökonomie geschuldetes Echo seines Vaters, des verstorbenen kanadischen Premierministers Pierre Elliott Trudeau. 2015 lautete das erste Statement von Trudeau Jr. auf der Weltbühne: „Kanada ist wieder da“. Fünf Jahre später war es Joe Biden, der verkündete, „America is back“ – und „bereit, die Welt anzuführen“.

Die Kräfte der toxischen Nostalgie werden wir mit solch schwachen Dosen kaum weniger toxischer Nostalgie nicht besiegen. Es reicht nicht, „zurück“ zu sein. Was wir stattdessen verzweifelt benötigen, ist etwas Neues. Die gute Nachricht lautet, dass wir wissen, wie der Kampf gegen die Kräfte aussieht, die imperiale Aggression, rechtsextremen Pseudo-Populismus und Klimakatastrophe gleichzeitig und gleichermaßen entfesseln. Die Aufgabe gleicht hochgradig einem Green New Deal, einem Rahmenkonzept dafür, sich von fossilen Energieträgern unabhängig zu machen – durch Investitionen in familienfreundliche gewerkschaftlich organisierte Arbeitsplätze, an denen sinnvolle Arbeit wie etwa der Bau erschwinglicher, klimagerechter Wohnungen und guter Schulen geleistet wird, angefangen in den am meisten vernachlässigten und vergifteten Kommunen. Das erfordert zugleich eine Abkehr von der Phantasie grenzenlosen Wachstums und die energische Hinwendung zu care and repair, zu Sorgearbeit und Reparatur.

Der Green New Deal – besser gesagt: der Rote, Schwarze und Grüne New Deal (RBGND)[5] – eröffnet uns die besten Chancen, eine stabile multiethnische Koalition arbeitender Menschen zu schaffen – jenseits aller Spaltungslinien und auf Grundlage ihrer Gemeinsamkeiten. Das ist zufällig auch die beste Methode, Leute wie Putin vom Zufluss der Petrodollars abzuschneiden, weil grüne Volkswirtschaften, die nicht länger der Fiktion endlosen Wachstums verfallen sind, Öl- und Gasimporte nicht länger brauchen. Auf diese Weise können wir auch die Sauerstoffzufuhr zum Pseudo-Populismus der Trump/Carlson/Bannon drosseln, der nur deshalb an Boden gewinnt, weil diese Leute es viel besser als die Demokraten verstehen, die den Davos-Eliten geltende Wut auf ihre Mühlen zu leiten – zumal die Führer der Demokraten größtenteils eben diesen Eliten angehören.

Die russische Invasion unterstreicht die Dringlichkeit einer solchen grünen Transformation, konfrontiert uns allerdings auch mit neuen Herausforderungen. Bevor die russischen Panzer losrollten, hörten wir bereits, Putins Aggression ließe sich am besten dadurch aufhalten, dass Nordamerika die Erzeugung fossiler Treibstoffe hochfährt. Als dann die Invasion begann, wurde binnen Stunden jedes planetenversengende Vorhaben, das die Klimagerechtigkeitsbewegung im Laufe des vergangenen Jahrzehnts blockieren konnte, von rechtsgerichteten Politikern und industriefreundlichen Koryphäen wieder ins Gespräch geworfen: jedes eingestellte Pipeline-Projekt, jedes nicht realisierte LNG-Terminal, jedes gesicherte Frackinggasfeld, jeder arktische Ölbohr-Traum. Da Putin seine Kriegsmaschine mit Petrodollars finanziert, besteht die Lösung – sagt man uns – ausgerechnet darin, selbst mehr zu bohren, zu fracken und zu exportieren.

Die Rückkehr zu fossilen Energien ist unrealistisch

Das alles ist eine katastrophenkapitalistische Scharade der Art, über die ich schon so oft geschrieben habe. Erstens wird China weiterhin russisches Öl kaufen, ganz egal was in der Marcellus-Formation oder auf den Teersandfeldern Albertas geschieht. Zweitens sind die Vorstellungen über den zeitlichen Ablauf reine Phantasie. Jedes der Projekte, die jetzt als Mittel zur Überwindung der Abhängigkeit von russischem Gas oder Öl oder russischer Kohle durchgepeitscht werden sollen, würde erst in einigen Jahren Wirkung zeigen. Und damit die darin versenkten Gelder sich doch noch rentieren, müssten die Objekte jahrzehntelang in Betrieb bleiben, ungeachtet der zunehmend verzweifelten Warnungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Aber natürlich geht es bei dem Schub, den neue fossile Vorhaben in Nordamerika derzeit erfahren, nicht wirklich darum, den Ukrainern zu helfen oder Putin zu schwächen. In Wahrheit haben all die aufgefrischten Hirngespinste einen viel krasseren Grund: Dieser Krieg hat sie über Nacht wesentlich profitabler gemacht. In der ersten Woche der russischen Ukraine-Invasion stieg der europäische Ölpreis-Richtwert – der für Brent-Rohöl – auf 105 US-Dollar pro Barrel, ein seit 2014 nie dagewesener Preis. Banken und Energiekonzerne wetteifern darum, wer am stärksten von dieser Preis-Rallye profitiert, sei es in Texas, Pennsylvania oder Alberta. Und ebenso wie Putin entschlossen ist, die nach dem Kalten Krieg entstandene Landkarte Osteuropas neu zu zeichnen, zielt auch dieses Machtspiel in Sachen fossile Brennstoffe auf eine Neukartierung des Energiesektors ab.

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Die Klimagerechtigkeitsbewegung hat im vergangenen Jahrzehnt einige äußerst bedeutsame Schlachten gewonnen. Es gelang ihr, Fracking-Verbote in ganzen Ländern und Provinzen durchzusetzen. Gewaltige Pipeline-Vorhaben wie Keystone XL konnten gestoppt werden. Gleiches gilt auch für viele Export-Terminals und diverse Vorstöße zur Ausbeutung arktischer Vorkommen. Indigene Führung spielte in fast allen dieser Auseinandersetzungen eine zentrale Rolle. Bemerkenswerterweise haben Stiftungs- und Pensionsfonds dank eines Jahrzehnts hartnäckiger Divestment-Kampagnen bis heute schon aus über 1500 Institutionen Beteiligungen am Geschäft mit fossilen Energieträgern zurückgezogen. Der Gesamtwert solcher Divestments beläuft sich derzeit auf rund 40 Mrd. US-Dollar.

Allerdings wurde dieser Erfolg durch einen Faktor begünstigt, der in unseren Bewegungen gern übersehen wird: Seit 2015 der Ölpreis abstürzte, war die Branche, gegen die wir kämpfen, zeitweilig gehandicapt. Da die leichter zugänglichen und billiger auszubeutenden Öl- und Gasvorkommen in Nordamerika größtenteils erschöpft sind, ging es nämlich in den entscheidenden Kämpfen primär um unkonventionelle Quellen, deren Ausbeutung kostspieliger ist: in Sedimentgestein oder in ozeanischen Tiefen unter dem Meeresgrund, unter arktischem Eis oder in den schlammigen Teersanden Albertas eingeschlossene fossile Energieträger. Viele dieser New-Frontier-Öl- und Gasquellen waren erst profitabel geworden, als im Gefolge der US-Irakinvasion von 2003 die Ölpreise explodierten. Plötzlich rechnete es sich, Multimilliarden von Dollar in diese unkonventionellen Extraktionsvorhaben zu investieren, in Tiefseebohrungen oder in die Verwandlung der matschigen Bitumenvorkommen Albertas in Rohöl. Es folgten zehn goldene Jahre, welche die „Financial Times“ – auf den Teersande-Rausch bezogen – als „Nordamerikas größten Ressourcen-Boom seit dem Klondike-Goldrausch“ beschrieb.

Als aber 2015 der Ölpreis abstürzte, geriet die Entschlossenheit der Branche, in diesem Tempo weiter zu wachsen, ins Wanken. In manchen Fällen fürchteten Investoren sogar, nicht einmal das eingesetzte Kapital wieder einspielen zu können. Manche Ölgiganten zogen sich aus der Arktis und den Teersanden wieder zurück. Und angesichts fallender Profite und Aktienkurse konnten die Aktivisten der Divestment-Kampagne auf einmal argumentieren, Öl-, Gas- und Kohleaktien zu handeln sei nicht nur unmoralisch, sondern – selbst an kapitalistischen Maßstäben gemessen – ein miserables Geschäft.

Putins Vorgehen hat Big Oil jetzt von dem besagten Handicap erlöst und sogar eine Waffe daraus gemacht. Das erklärt die jüngste Angriffswelle gegen die Klimabewegung und gegen die Handvoll demokratischer Politiker, die sich für eine wissenschaftlich begründete Klimapolitik einsetzen. So behauptete kürzlich der Kongressabgeordnete Tom Reed, ein Republikaner aus New York: „Die Vereinigten Staaten haben die Energiereserven, um Russland gänzlich aus dem Öl- und Gasmarkt zu werfen. Aber wegen Präsident Bidens Kungelei mit den Umweltextremisten der Demokratischen Partei setzen wir diese Ressourcen nicht ein.“

Es verhält sich aber gerade umgekehrt. Hätten die Staaten ihre vielen Versprechungen der vergangenen 15 Jahre im Sinne eines Green New Deal tatsächlich umgesetzt, dann könnte sich Putin nicht in der Gewissheit, dass er für seine immer gewinnträchtigeren Kohlenwasserstoffe auch weiterhin Kundschaft findet, derart flagrant über Völkerrecht und Weltmeinung hinwegsetzen. Die eigentliche Krise besteht nicht darin, dass die Staaten Nordamerikas und Westeuropas es versäumt hätten, die fossil-energetische Infrastruktur zu schaffen, mit der sie russisches Öl und Gas hätten verdrängen können. Diese Krise erwächst vielmehr daraus, dass wir alle – die Vereinigten Staaten, Kanada, Deutschland, Japan – immer noch obszöne und unhaltbar große Mengen an Öl und Gas, ja an Energie generell, konsumieren. Punkt.

Quelle         :         Blätter-online           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben       —      Wladimir Putin und Donald Trump treffen sich auf dem G-20-Gipfel in Hamburg 2017

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 International Lizenz.
Namensnennung: Kremlin.ru

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2.) von Oben           —       Der „Goldene Finger“ der Ende Gelände Aktion am 27. Oktober.

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Unten        —           Die drei Haupttypen von Windkraftanlagen – Savonius und Darrieus vertikale Achsen-Windturbinen (VAWTs) und eine Standard-Windturbine mit horizontaler Achse (HAWT) – alle mit drei Blättern, drehen sich, als ob sie bei echtem Wind in Betrieb wären. Sie drehen sich mit der gleichen Geschwindigkeit (mathematisch); 30 U/min.

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„Du bist so 1 Pimmel“

Erstellt von Redaktion am 15. April 2022

Pimmel-Kommentar führt zu Razzia bei Klimaaktivisten

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Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von    : 

Ein Klimaaktivist bezeichnet auf Facebook einen AfD-Politiker indirekt als Pimmel. Daraufhin untersucht die Polizei die Wohnung des Aktivisten und beschlagnahmen seine technischen Geräte. Die Anwältin bezeichnet das Vorgehen der Polizei als unverhältnismäßig. Der Vorfall erinnert an das Pimmelgate-Eklat in Hamburg.

Die Aussage „Du bist so 1 Pimmel“ hat bereits letzten Sommer eine Hausdurchsuchung ausgelöst. Nun ist es in Augsburg zu einer ähnlichen Razzia gekommen. Der Klimaaktivist Alexander Mai hatte im Oktober ein Foto des Pimmel-Skandals auf Facebook verlinkt – und zwar unter einem Post des AfD-Politikers Andreas Jurca, dem Fraktionsvorsitzenden der Partei im Stadtrat Augsburg .

Der AfD-Politiker fühlte sich davon offenbar beleidigt und hat Anzeige gegen den Aktivisten erstattet. Die Augsburger Polizei hat am vergangenen Dienstag Mais Wohnung durchsucht. Die Aufgabe der Abteilung „Staatsschutz“ ist vor allem die Bekämpfung von politisch motivierter Kriminalität. Die Beamt:innen beschlagnahmten dabei auch private Geräte des Aktivisten, der für das Augsburger Klimacamp aktiv ist. Die zuständige Anwältin bezeichnet das als unverhältnismäßig.

„Das war offensichtlich keine Beleidigung“

Um über den Vorfall zu informieren, wurde zügig eine eigene Website eingerichtet namens pimmelgate-süd.de. Im Impressum steht der Augsburger Fridays-For-Future-Aktivist Ingo Blechschmidt. Dort stellt sich Mai als 26-jähriger Klimaaktivist vor, Mathematik-Student und IT-Entwickler.

Den Facebook-Post des AfD-Politikers bezeichnen die Aktivist:innen auf der Website als „fremden- und frauenfeindlich“. In dem von Mai darunter verlinkten Zeitungsbeitrag war ein Vorschaubild mit dem Schriftzug „Andy, Du bist so 1 Pimmel“ zu sehen.

Dass es Monate später zu einer Hausdurchsuchung kam, war für den Klimaaktivisten völlig überraschend. „Ich habe damit überhaupt nicht gerechnet“, sagt er in einem Gepsräch mit netzpolitik.org. „Das war offensichtlich keine Beleidigung“. Die Poliziei habe seinen Arbeitslaptop und Smartphone beschlagnahmt.

Vom Pimmel-Kommentar zum Polizeieinsatz

Der Vorfall erinnert stark an einen Eklat im vergangenen September. Damals durchsuchten Beamte die Wohnung des mutmaßlichen Urhebers eines Tweets. In dem Tweet wurde Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) als „Pimmel“ bezeichnet. Das ging als „Pimmelgate“ durch die Medien und wurde zeitweise zum Meme. Hausdurchsuchung wegen eines Genitalvergleichs? Dahinter steht die größere Frage nach potentiellem Machtmissbrauch politisch mächtiger Personen – und fehlender Verhältnismäßigkeit von Polizeieinsätzen.

Die zuständige Klimacamp-Anwältin Martina Sulzberger hält die Hausdurchsuchung jedenfalls für „unverhältnismäßig“. Schließlich habe Mai den Post unter Klarnamen verfasst und es sei damit offensichtlich, wer für den Post verantwortlich ist. „Zudem ist fraglich, ob das Verlinken zu einem Artikel, in diesem Fall mit dem Kontext der ganzen Kommentare, überhaupt eine Beleidigung darstellt“, sagt Sulzberger gegenüber netzpolitik.org. Mai verlinkte das Foto, ohne den AfD-Politiker persönlich anzusprechen, wie aus einem entsprechenden Screenshot hervorgeht.

Die Polizeihauptkommissarin Christina Meissl des zuständigen Polizeipräsidiums rechtfertigt die Razzia auf Anfrage von netzpolitik.org. Die Polizei leite Ermittlungen ein, um den Sachverhalt aufzuklären, sobald sie von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhalte.

Polizei soll Telefonat mit Anwältin verweigert haben

Das Vorgehen der Polizei wird auch deshalb kritisiert, da Mai anschienend während der Hausdurchsuchung nicht seine Anwältin kontaktieren durfte. Das soll ein polizeiliches Durchsuchungsprotokoll zeigen,  das auf pimmelgate-süd.de veröffentlicht wurde. Dort steht: „Der Betroffene (…) ist unzufrieden damit, dass er für die Dauer der Maßnahme nicht telefonieren darf“. Polizeihauptkommissarin Meissl weist den Vorwurf, Mai hätte nicht telefonieren können, zurück. Sie sagt, dem Klimaaktivisten sei ein polizeiliches Smartphone angeboten wurden.

Nach Paragraf 137 der Strafprozessordnung steht der betroffenen Person bei einer Hausdurchsuchung ein Telefonat zu. Der Strafverteidiger Thomas Penneke schreibt dazu auf seiner Website:

Die Polizei spricht oft ein Telefonverbot während der Hausdurchsuchung aus. Sollten Sie Ihren Anwalt anrufen wollen, ist das Verbot rechtswidrig. Lassen Sie sich hiervon nicht abbringen.

Sulzberger hält das angebliches Telefonverbot ihres Mandanten ebenfalls für „nicht rechtens“. Sulzberger und Mai behalten sich vor, gegen den Durchsuchungsbeschluss oder das Verhalten der Polizei vorzugehen.

„Wir haben nichts zu verstecken“

Die Hausdurchsuchung betrifft dabei nicht nur Mai selbst, sondern auch seine Freund:innen und Familie. Schließlich könne die zuständige Staatsanwaltschaft über die technischen Geräte des Studenten auf alle seine aktuellen Kontakte zugreifen. „Die nicht-aktivistischen Kontakte werden es teilweise nicht cool finden, dass sie jetzt mit Name und Nummer bei der Polizei sind“, sagt Mai.

Der Klimaaktivist findet es unsinnig, dass die Polizei seine technischen Geräte für Ermittlungen beschlagnahmt hat. „Unsere Strukturen sind frei und öffentlich zugänglich, wir haben also nichts zu verstecken“, sagt Mai. „Die Polizei hätte die Informationen auch herausfinden können, ohne meine Geräte zu beschlagnahmen.“ Er sieht den größeren Schaden darin, dass nun alle seine Geräte weg sind, was ihn auch in seiner Arbeit hindere.

Die Klimabewegung hofft auf gesellschaftlichen Diskurs

Das Klimacamp Augsburg und Fridays For Future stellen sich hinter Mai. Auf pimmelgate-süd.de stellen sie den Kontext zu einer Reihe weiterer unverständlicher Ermittlungen durch die Abteilung Staatsschutz her. Mai sagt: „Die Polizei wartet auf eine solche Gelegenheit, um gegen uns als Klimabewegung vorzugehen.“ Meissl sagt, die Durchsuchung stünde in keinerlei Zusammenhang mit Mais Aktivitäten bei der Klimabewegung.

Nach Angaben der Klimaaktivist:innen verfolge die Abteilung Staatsschutz seit mehr als zwei Jahren ihre Aktivitäten in Augsburg. Bisher hätten sie diese Fälle nicht öffentlich bekannt gegeben. Doch der aktuelle Pimmelgate-Süd-Fall veranlasse die Gruppe dazu, fortan „unverhältnismäßige Repression“ zu veröffentlichen und gegebenenfalls Dienstaufsichtsbeschwerden einzureichen.

Mai hofft auf einen großen öffentlichen Diskurs über das Vorgehen der Polizei gegen Klimaaktivist:innen. Er sagt: „Mir geht es nicht unbedingt um meinen konkreten Fall, sondern darum, dass wir aufpassen müssen, dass bei der Polizei die Schwellen allgemein nicht immer geringer werden, um gegen Menschen wie uns vorzugehen.“

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

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Grafikquellen      :

Oben     —   Polizei neben einem Besetzungsdorf auf der für den Tagebau Hambach teilweise abgerissene Autobahn am Hambacher Forst, die Noch als Zufahrt zum Tagebau verwendet.

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Wenn es ganz dicke kommt

Erstellt von Redaktion am 10. April 2022

Warnsirenen wurden abgebaut, Luftschutzbunker zugeschüttet.

Heikendorfer Weg, 24232 Schönkirchen 01.jpg

Aus Schönkirchen und Berlin von Daniel Böldt

Doch die Katastrophen nehmen wieder zu – und man fragt sich: Sind wir gut geschützt? „Wir haben in den vergangenen Jahren mehr als eine Million Euro für den Hochwasserschutz ausgegeben“ GERD RADISCH, BÜRGERMEISTER.

WWWWOOOOOOoooooo… – Gerd Radisch hebt den Finger, um auf ein Geräusch aufmerksam zu machen, das ohnehin nicht zu überhören ist. OOOOOooooouuuuu, heult es weiter, ehe das Geräusch irgendwann verstummt. Es ist 12 Uhr an einem Samstag Ende März in Schönkirchen, einer Gemeinde, die nordöstlich an Kiel grenzt. „Jetzt wissen alle, dass Wochenende ist“, sagt Radisch, 68 Jahre, und schmunzelt. Seit sechs Jahren ist er Bürgermeister der rund 7.000 Ein­woh­ne­r:in­nen Schönkirchens. Und man merkt, dass er den Witz mit dem Wochenende nicht zum ersten Mal macht.

Das laute, lang gezogene Geräusch, auf das Radisch hingewiesen hat, stammt von einer Warnsirene. Sie soll die Schön­kirch­ene­r:in­nen natürlich nicht daran erinnern, dass sie heute nicht zur Arbeit müssen und sich entspannt in den Garten legen können. Im Grunde soll sie nur darauf aufmerksam machen, dass sie noch da ist. Dass sie funktioniert und warnen könnte – falls es sein muss. Falls ein Hochwasser Straßen und Häuser umspült, falls es ein größeres Gasleck im Gemeindewerk geben sollte oder auch, falls ein Luftangriff droht.

Dass die Sirene hier, auf dem Dach der Bäckerin Rosemarie Blöcker, gleich gegenüber der Gemeindekirche, überhaupt noch existiert, ist nicht selbstverständlich. Anfang der Neunzigerjahre umfasste das Sirenennetz in Deutschland noch rund 80.000 Standorte. Im Jahr 2018 konnten laut dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gerade noch 15.000 Sirenen ein Bevölkerungswarnsignal senden. Die meisten Warnsirenen wurden in den vergangenen 30 Jahren abgebaut, andere wurden abgeschaltet. Nach der Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch der Sowjetunion wähnte sich nicht nur der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama am „Ende der Geschichte“ und damit am Ende der großen Kriegsgefahr. Alarmsirenen? Brauchte es nicht mehr in dieser schönen, friedlichen neuen Welt.

In Schönkirchen hat man sich Anfang der Neunziger dennoch gegen den Abbau der insgesamt fünf Sirenen in der Gemeinde entschieden. Warum? „Wir haben einfach die Gegenfrage gestellt“, sagt Radisch. „Warum sollten wir sie abbauen?“ Zehn Sekunden dauert das Warnsignal jeden Samstag. Dass sich mal jemand über das Geräusch beschwert habe, daran kann Radisch sich nicht erinnern. Doch der Bürgermeister will gar nicht in erster Linie über die Warnsirene sprechen. Ihm geht es um das, was danach folgt: Um den Schutz der Bürger:innen. Um den macht sich Radisch – trotz Sirenen – Sorgen.

Es ist nicht so, dass er seine Gemeinde für vollkommen schutzlos hält. Ein Starkregen-Ereignis im vergangenen Jahr, die bisherigen Hochphasen der Corona-Pandemie, auch die hin und wieder notwendigen Bombenentschärfungen habe man bisher – alles in allem – ganz gut gemeistert. „Aber was ist, wenn es mal dicke kommt?“, fragt er. „Dann sitzen wir hier wie das Kaninchen vor der Schlange.“

Die Frage, wie gut die Menschen in Deutschland vor Großgefahren geschützt sind, wird von Jahr zu Jahr lauter gestellt. Denn dass es „dicke“ kommt, wie Radisch sagen würde, wird wahrscheinlicher. Klimakrise, Pandemie und nun auch noch Kriegsgefahr und Kriegsfolgen. In einem Zeitalter, in dem – wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach kürzlich sagte – „die Katastrophe die neue Normalität ist“, sollte man annehmen, dass auch der Schutz der Bevölkerung zum politischen Alltag, zur Normalität gehört. Aber stimmt das?

Folgt man Radisch, dann liegt beim Bevölkerungsschutz in Deutschland einiges im Argen. Formal ist seine Gemeinde für diesen gar nicht zuständig. Für die allermeisten Katastrophenfälle sind in Deutschland die Kreise beziehungsweise Landkreise zuständig. Sie rufen den Katastrophenfall aus, organisieren und leiten die Krisenstäbe. Sie haben auch die Aufgabe, zu schauen, welche Katastrophen überhaupt auftreten können, wer sie womit bekämpfen und wie die Bevölkerung vor Gefahren geschützt werden kann. Das jeweilige Bundesland unterstützt und kann in Extremfällen auch selbst den Katastrophenfall ausrufen. Geregelt sind die Aufgaben und Zuständigkeiten in den Katastrophenschutzgesetzen der Länder.

Public warning system, Dresden. Electronic sirens by Telegrafia.jpg

Das Problem ist: Radisch traut diesen Strukturen nicht. So lägen ihm die Katastrophenschutzpläne des zuständigen Landkreises Plön gar nicht vor, sagt er. Und tatsächlich macht der Versuch, die Pläne einzusehen, stutzig. Auf eine Bitte bei der Verwaltung, einem die ausgearbeiteten Pläne zu schicken, heißt es, dass man diese Anfrage aktuell nicht so einfach bedienen könne. Auf den Hinweis, dass die Pläne laut Landeskatastrophenschutzgesetz zur Einsicht ausliegen müssen, sagt eine Mitarbeiterin am Telefon: „Im Gesetz steht viel.“

Die Frage nach dem Zustand des Bevölkerungsschutzes ist komplex. Katastrophen haben unzählige Ursachen, Erscheinungsformen und Folgen. Es gibt Naturkatastrophen wie Erdbeben, Stürme, Hochwasser, Hitze oder Waldbrände – teils vom Menschen verursacht, teils durch ihn verstärkt. Es gibt technische Katastrophen. Industrieunfälle, Zugunglücke, Flugzeugabstürze. Und es gibt Krieg mit all seinen schrecklichen Folgen – auch und gerade für die Zivilbevölkerung.

Dazu kommt, dass eine singuläre Katastrophe sehr viele verschiedene katastrophale Folgen nach sich ziehen kann. Nach dem Ahrtal-Hochwasser 2021 kam es zu flächendeckenden Stromausfällen, die Trinkwasserversorgung war unterbrochen, viele Pa­ti­en­t:in­nen kamen nicht an ihre Medikamente. Heizöl und Benzin lief vielerorts aus. Es drohte die nächste Umweltkatastrophe.

Das bedeutet aber auch, dass man sich auf keine Katastrophe im Detail vorbereiten kann. Man merkt dies unter anderem an der Formulierung in dem entsprechenden Gesetz zum Katastrophenschutz in Schleswig-Holstein: „Eine Katastrophe […] ist ein Ereignis, welches das Leben, die Gesundheit oder die lebensnotwendige Versorgung zahlreicher Menschen […] in so außergewöhnlichem Maße gefährdet oder schädigt, dass Hilfe und Schutz wirksam nur gewährt werden können, wenn verschiedene Einheiten und Einrichtungen des Katastrophenschutzdienstes […] zusammenwirken.“

Nicht das Ereignis bestimmt also, was eine Katastrophe ist, sondern die Reaktionsfähigkeit des Staates, seine Überforderung.

Was der Staat kann und muss, ist Strukturen schaffen, die die Überforderung in Grenzen halten. Formal besteht der Bevölkerungsschutz in Deutschland aus zwei Bereichen: Dem Zivilschutz im Kriegsfall. Und dem Katastrophenschutz für alle Katastrophen, die in Friedenszeiten auftreten. Der Bund ist für ersteres zuständig, die Länder für letzteres.

Die Unterscheidung zwischen Katastrophen- und Zivilschutz ist historisch gewachsen, laut zahlreicher Ex­per­t:in­nen jedoch nicht mehr zeitgemäß. Operativ greifen Katastrophen- und Zivilschutzeinheiten ohnehin längst ineinander. Der Bund packt mit der Bundeswehr und dem Technischen Hilfswerk bei Naturkatastrophen mit an. Katastrophenschutzeinheiten wie das Deutsche Rote Kreuz würden auch im Kriegsfall tätig werden.

Rückgrat des Katastrophenschutzes sind die Feuerwehren mit ihren über eine Million Mitgliedern. Dazu kommen Polizei, private Hilfsorganisationen, gegebenenfalls Gesundheitseinrichtungen, und immer wieder ein Heer von freiwilligen Helferinnen und Helfern.

Auf den ersten Blick wirkt das alles recht gut organisiert. Doch nicht nur Bürgermeister Radisch, sondern auch Menschen, die sich tagein, tagaus mit nichts anderem als Bevölkerungsschutz beschäftigen, zeichnen ein eher düsteres Bild von der zivilen Wehrhaftigkeit des Staates.

An einem Mittwoch Mitte März sitzt Martin Voss in seinem Büro am Institut für Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin. Voss leitet die Katastrophenforschungsstelle an der Universität und ist pessimistisch, was den Zustand des hiesigen Bevölkerungsschutzes angeht. „Es gibt ein formelles Arrangement, aber die Praxis ist davon weitgehend entkoppelt. Die damit verbundenen Probleme müssen die vielen Akteure mit all ihrem Engagement ausgleichen.“

Voss ist Soziologe, die Forschungsstelle ist interdisziplinär angelegt, hat aber einen klaren sozialwissenschaftlichen Fokus. Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen, dass Voss und seine Kol­le­g:in­nen sich nicht fragen, wie viele Pumpen, Sandsäcke und Einsatzkräfte es bei einem bestimmten Pegelstand in einer bestimmten Region braucht, sondern wie solche Entscheidungen zustande kommen, warum sie wann, wie und von wem getroffen werden.

Seinen Pessimismus macht Voss am Beispiel der Krisenstäbe deutlich, also dem zentralen Beratungs- und Kommunikationsgremium in Katastrophenfällen. Das Know-how der Beteiligten sei nicht das Problem, aber oftmals seien die verschiedenen Ex­per­t:in­nen gar nicht in der Lage, miteinander zu kommunizieren, da sie außer in Katastrophenfällen und gelegentlichen Übungen nur selten miteinander in Kontakt kämen. „In komplexen Katastrophen können Probleme nicht verwaltungsmäßig abgearbeitet werden“, sagt Voss.

„Man bekommt kein Bild vom großen Ganzen, nur weil man verschiedene Spezialisten zusammenführt. Dazu braucht es besondere Kompetenzen, sozusagen Generalisten, die wir uns aber nicht mehr leisten.“

Nun will Voss nicht nur den Mahner geben, sondern hat auch einen Vorschlag erarbeitet, wie es aus seiner Sicht besser funktionieren könnte. Er hat dafür ein Konzept erarbeitet, das sich „Kompetenzhubs Resilienz und Schutz der Bevölkerung“ nennt. Dieses sieht im Kern die Einführung jener Generalisten vor, die laut Voss so dringend fehlen. Jedem Landrat müssten zwei bis drei Ex­per­t:in­nen zur Seite gestellt werden, die sich mit den spezifischen Gefahren vor Ort auskennen und – das sei entscheidend – gemeinsam Konzepte zur Gefahrenabwehr, aber auch zur Vorsorge entwickeln. Gleiches gilt für die In­nen­mi­nis­te­r:in­nen der Länder und die Bundesebene.

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„Es ist zwar die Aufgabe einer Landrätin oder eines Landrates, den Katastrophenschutz politisch zu leiten, aber sie oder er hat dafür aktuell nicht die Ressourcen und viel zu viele andere Aufgaben“, sagt Voss. Er hofft, dass die Experten-Hubs diese Strukturen aufbrechen, Bür­ge­r:in­nen für Gefahren sensibilisieren und so auch wieder für ein Risikobewusstsein in der Gesellschaft sorgen könnten. Voss taxiert die Kosten für ein solches Projekt auf einen mittleren bis höheren zweistelligen Millionenbetrag, was angesichts der auf 12,5 Milliarden Euro bezifferten Summe an Sachschäden in Folge des Hochwassers 2021 nicht größenwahnsinnig klingt.

Das Konzept klingt erst mal wenig revolutionär, aber es wäre laut Voss ein radikaler Bruch damit, wie in Deutschland Bevölkerungsschutz gedacht wird: nicht wie bisher als Reaktion auf vergangene Katastrophen, sondern als Vorsorge auf mögliche künftige Szenarien.

Es gibt jedoch Orte, wo durchaus schon im Sinne von Voss gedacht wird: Gerd Radisch, der Bürgermeister von Schönkirchen, steht zum Zeitpunkt des Sirenengeheuls mit einem Tablet in der Hand in einer der zwei Turnhallen der Gemeinde, einem Klinkerbau, der an die Schule anschließt. Inmitten eines Parcours mit Hindernissen aus Matten, Sprungkästen und Bänken sagt er: „Das hier soll mal unser Katastrophenschutzzentrum werden.“

Beide Turnhallen will Radisch so herrichten lassen, dass hier im Ernstfall bis zu 150 Menschen über mehrere Tage untergebracht werden können. Das Szenario, an das er dabei denkt, ist ein flächendeckender und langanhaltender Stromausfall, ein Blackout. Die Turnhallen sollen ein eigenes Blockheizkraftwerk bekommen, sodass sie autark mit Strom und Wärme versorgt werden können. Einen entsprechenden Auftrag an die Gemeindewerke Schönkirchen habe die Gemeindevertretung bereits vergeben, sagt Radisch.

Die Turnhalle ist nicht das erste Projekt, das in Schönkirchen für den Katastrophenschutz umgesetzt wurde. Mittlerweile hat Radisch das Gebäude verlassen und läuft einen Fußballplatz entlang in Richtung des Kiebitzbeks, einem kleinen Bach am Rande der Ortschaft. Er will hier zeigen, ja beweisen, warum sich Vorsorge aus seiner Sicht lohnt und warum sie notwendig ist.

Der Kiebitzbek ist wenig mehr als ein Rinnsal. Radisch schlägt die Schutzklappe seines Tablets zurück, um ein Video zu zeigen. Darauf sieht man den Kiebitzbek, wie er mit großer Geschwindigkeit am Fußballplatz vorbeirauscht. Der Pegel knapp unter der Grasnarbe. Das sei vor einem Jahr gewesen. Und es wäre schlimmer gekommen, wenn die Gemeinde nicht vorgesorgt hätte, sagt Radisch. Er läuft ein Stück weiter zu einer kleinen Brücke und zeigt auf die zwei darunterliegenden Durchflussrohre. Das zweite habe man erst vor zwei Jahren angelegt, um eine Stauung des Wassers zu verhindern. Noch weiter bachaufwärts, man steht mittlerweile im Wald, zeigt Radisch mehrere Findlinge, die man rangeschafft habe, damit sich das Wasser im Ernstfall hier stauen und im Waldboden versickern kann. „Wir haben in den vergangenen Jahren mehr als eine Million Euro für den Hochwasserschutz ausgegeben“, sagt Radisch.

Fragt man ihn, warum ihn der Katastrophenschutz so umtreibt, erzählt er von zwei Ereignissen. Als 8-jähriges Kind erlebte er in Hamburg im Jahr 1962 die Sturmflut. Seine Familie sei zwar nicht direkt betroffen gewesen, sie hätten aber die ganze Nacht den Polizeifunk verfolgt und natürlich das Ausmaß der Zerstörung gesehen. Später als Soldat war Radisch im Einsatz bei der Schneekatastrophe im Winter 1978/79. „Vielleicht hat mich das für den Katastrophenschutz sensibilisiert“, sagt er.

Zur Wahrheit gehört aber auch das: Schönkirchen ist seit mehreren Jahren schuldenfrei. Geld war bei all den Vorhaben zum Katastrophenschutz nie ein K.O.-Kriterium. Dennoch legt Radisch Wert darauf, dass seine Gemeinde nicht einfach wahllos irgendwelche Schutzvorrichtungen plant. Beim Hochwasserschutz sei man Prognosen gefolgt. Das Hochwasser, das Radisch auf seinem Tablet gezeigt hat, sei ein sogenanntes 30-jähriges Ereignis gewesen, trete also den Erfahrungen der Vergangenheit nach alle 30 Jahre einmal auf. Mit anderen Worten: Man wusste, dass es kommt. Man wusste nur nicht, wann.

Dass Radisch nun auch die Turnhalle aufrüsten will, geht auf einen Vortrag der Feuerwehr Neumünster aus dem Jahr 2020 zurück. Dort zeigte man interessierten Kommunalpolitiker:innen, welche desaströsen Folgen ein Blackout haben kann: von der Unterbrechung der Trinkwasserversorgung über den Zusammenbruch des Kommunikationssystems bis zum Ausfall von Tankstellen, sodass keine Rettungsfahrzeuge mehr betankt werden können – all das habe ihn tief beeindruckt, erzählt Radisch.

Ein solches Szenario halten Ex­per­t:in­nen zumindest in der Zukunft nicht für unplausibel. Denn so ein Blackout ist häufig die Folge von einer vorangegangenen Katastrophe wie einem verheerenden Unwetter, einem Cyberangriff oder einem Krieg.

Und doch erklärte Albrecht Broemme, Vorsitzender des Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit, einem Thinktank im Bereich Katastrophenschutz, kürzlich in der Tagesschau: „Auf einen Blackout ist Deutschland überhaupt nicht vorbereitet.“ Die Sensibilität für die Folgen eines solchen Stromausfalls sei in keiner gesellschaftlichen Gruppe vorhanden.

Die mangelnde Vorbereitung betrifft noch weitere Bereiche. Nicht, dass es in Deutschland an Szenarien für mögliche Katastrophen fehlt. Das Problem ist: Sie bleiben meist folgenlos.

Die verschiedenen Übungen, in denen ein Pandemieausbruch und seine Folgen durchgespielt wurden, sind mittlerweile oft zitiert worden. 2007 fand unter Federführung des BBK eine sogenannte LÜKEX statt, eine „Länder- und Ressortübergreifende Krisenmanagementübung (Exercise)“. Übungsthema: Ausbruch einer Grippe-Pandemie. Im Anschluss stellte man unter anderem „Optimierungsbedarf“ beim „Meldewesen, Ressourcenmanagement und Informationsmanagement“ fest. Im Januar 2013 erhielten die Mitglieder des Bundestags eine vom Robert Koch-Institut ausgearbeitete „Risikoanalyse Bevölkerungsschutz – Pandemie durch Virus Modi-SARS“. Und im Mai 2017 übten die Gesundheitsminister der G20-Staaten den fiktiven Fall eines Ausbruchs des „Mars-Virus“.

Trotz dieser drei Übungen mit teils sehr konkreten Empfehlungen im Anschluss fehlten Deutschland beim Pandemieausbruch 2020 nicht nur Masken und andere Schutzausrüstung, es fehlte auch an den strukturellen Voraussetzungen. Das Infektionsschutzgesetz war weitgehend unbrauchbar für den eingetretenen Fall und musste eilig durch den Rechtsbegriff „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ ergänzt werden, damit der Bund überhaupt tätig werden konnte.

Consequences of the floodings in Ahrweiler, Germany.15.jpg

Es lassen sich Beispiele aus anderen Bereichen anführen. Aktuell wird in vielen Medien die LÜKEX-Übung von 2018 zu einer Gasmangel-Lage hervorgeholt. Auch sie blieb weitgehend folgenlos. Ein Gesetz, das Mindestfüllmengen in Gasspeichern vorschreibt, wurde erst hektisch vor wenigen Wochen im Bundestag beschlossen, als ein Gasembargo gegen Russland wahrscheinlicher wurde.

Das Problem eines unzureichenden Katastrophenschutzes ist auch eines der politischen Verantwortung. Es gibt diesen Spruch: „There is no glory in prevention“. Anders könnte man sagen: Mit Vorsorge lassen sich keine Wahlen gewinnen. Vielleicht noch entscheidender ist aber: Mit fehlender Vorsorge verliert auch kaum jemand eine Wahl.

Nun ist der Bevölkerungsschutz, wie gesagt, komplex. Dazu gehört, dass Deutschland einerseits zwar unzureichend auf viele Katastrophenszenarien vorbereitet ist, andererseits die Menschen sicher nicht schutzlos gegenüber Katastrophen sind. Das Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit, dessen Leiter mit so großer Sorge auf mögliche Blackouts schaut, veröffentlichte 2020 ein „Grünbuch zur Öffentlichen Sicherheit“. Darin heißt es: „Deutschland ist im Bevölkerungsschutz grundsätzlich gut aufgestellt.“ Aus der föderalen Struktur folgten in der Regel „bedarfsorientierte und lokal adäquate (Re-)Aktionen, eine erleichterte Einbindung von Ehrenamtlichen und bürgernahe Entscheidungen“, lobt der Bericht.

Quelle           :        TAZ-online          >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —       Heikendorfer Weg, 24232 Schönkirchen

2.) von Oben       —         ublic warning system, Dresden. Electronic sirens by Telegrafia.

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3.) von Oben     —        These illustrations show the floods that hit Germany in July 2021. Several European countries were hit by catastrophic floods in the summer of 2021, causing many deaths and considerable damage. The floods, which affected several river basins, first in the UK and then across northern and central Europe, were caused by unseasonably high levels of rainfall.

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Polizeigesetz NRW:

Erstellt von Redaktion am 29. März 2022

Vor allem Klima-Aktivisten in Langzeitgewahrsam

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Quelle        :      Netzpolitik. ORG

Von    :     – in Überwachung – 13 Ergänzungen

Das Polizeigesetz in NRW ermöglicht der Polizei, Personen länger festzuhalten – begründet wurde dies mit Terrorismus. Vier Jahre später stellt sich heraus: Die größte Einzelgruppe in Langzeitgewahrsam sind Menschen aus der Klimabewegung.

Die Polizei in Nordrhein-Westfalen setzt immer mehr Menschen mit klimapolitischem Hintergrund in einem außergewöhnlich langen Gewahrsam fest. Rechtliche Grundlage dafür ist das geänderte Polizeigesetz des Landes. Eine Recherche von Krautreporter hat nun erstmals Zahlen zu diesen Gewahrsamnahmen veröffentlicht.

Im Jahr 2018 hatte das Bundesland ein neues Polizeigesetz mit erweitertem Präventivgewahrsam bekommen, gerechtfertigt wurde dieses vom NRW-Innenministerium mit Befugnissen gegen Terroristen. Mit der Gesetzesänderung wurde ein Gewahrsam von bis zu sieben Tagen und bei einer drohenden Gefahr bis zu 28 Tagen ermöglicht – ohne, dass eine Straftat vorliegen muss.

Die Polizei in NRW nutzt laut einer Antwort der Landesregierung auf eine kleine Anfrage das Mittel des längerfristigen Gewahrsams immer häufiger: Waren im Jahr 2019 noch 35 Menschen in einem solchen Langzeitgewahrsam, sind es 2021 mit 97 fast dreimal so viele gewesen.

Bei Krautreporter heißt es:

Schaut man sich an, wer da festgenommen wird, ergibt sich für den gleichen Zeitraum 2019 bis 2021 ein eindeutiges Bild: Kein einziger rechter Gefährder wurde in Gewahrsam genommen, sechs religiös motivierte Gefährder – und insgesamt 74 Menschen im Zusammenhang mit Klimaprotesten.

Nun landen also kaum die mutmaßlichen Terroristen, mit denen das Gesetz begründet wurde, in präventivem Gewahrsam, sondern Klima-Aktivist:innen. Schon ein Jahr nach Einführung des Polizeigesetzes zeichnete sich dieser Trend ab. Von einer „Lex Hambi“ war damals die Rede, also einem Gesetz, das sich gegen die Klimaproteste im Hambacher Forst richte.

Besonders gegen Klima-Aktivismus

Weil Aktivist:innen als Form des zivilen Ungehorsam oftmals auch die Identitätsverweigerung nutzen, keine Ausweise bei sich tragen und sich die Fingerkuppen mit Sekundenkleber verkleben, ist bei der Polizei nach einer Blockade-Aktion keine Identitätsfeststellung möglich. Die Identitätsverweigerung nimmt die Polizei dann als Vorwand, diese Aktivist:innen so lange in Gewahrsam zu halten, was wegen der Blockade selbst gar nicht möglich wäre.

Dass in Nordrhein-Westfalen Gesetze vermehrt gegen Klima-Aktivist:innen genutzt werden oder sogar für sie geschrieben werden, ist kein Einzelfall. Im neuen umstrittenen Versammlungsrecht, welches die Demonstrationsfreiheit im Bundesland deutlich einschränkt, ist auch ein Passus, der Demonstrationen auf Autobahnen pauschal verbietet. Dass die schwarz-gelbe Landesregierung mit dem Gesetzestext Klimaproteste im Fokus hatte, zeigt sich auch in der Gesetzesbegründung. Dort wurden die oftmals bei Klimaprotesten genutzten weißen Maleranzüge mit Uniformen von SA und SS gleichgesetzt.

In der ursprünglichen Fassung des Artikels hatte sich ein Fehler beim Richtervorbehalt eingeschlichen. Diesen haben wir korrigiert.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

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Grafikquellen      :

Oben     —   Polizei neben einem Besetzungsdorf auf der für den Tagebau Hambach teilweise abgerissene Autobahn am Hambacher Forst, die Noch als Zufahrt zum Tagebau verwendet.

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Zu Klima und Krisen

Erstellt von Redaktion am 25. März 2022

„Es ist Zeit für System Fragen“

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Im Interview mit Luisa Neuber – Katherina Schipkowski

Wenn der Koalition der gesellschaftliche Frieden in Deutschland wichtiger sei als die Menschen in der Ukraine, solle sie das sagen, fordert Neubauer.

taz: Frau Neubauer, am Freitag findet der zehnte Klimastreik von Fridays for Future statt. Haben wir derzeit nicht andere Probleme?

Luisa Neubauer: Wir streiken, gerade weil wir auch andere Probleme haben. Es gibt heute keine singulären Krisen mehr. Es ist Zeit, das anzuerkennen und die Systemfragen anzugehen. Nie war es offensichtlicher, dass wir eine Energiewende brauchen. Trotzdem müssen wir dafür kämpfen, weil wir sehen, dass die Regierung selbst jetzt zu allen Irrationalitäten bereit ist.

Welche Systemfragen meinen Sie – den Kapitalismus abschaffen?

Wenn man  wie Wirtschaftsminister Robert Habeck  von Putins Gas wegwill und dafür nach Katar reisen muss, steht man vor einer Systemfrage. Hier wie da finanzieren wir die Gegner der Demokratie und erhöhen das Risiko eines Klimakollapses. Um sich davon zu befreien, muss man die großen Hebel umsetzen und die Systeme – Energie, Mobilität, Landwirtschaft und so weiter – humanisieren, demokratisieren und dekarbonisieren.

Nachrichten über zu viel Wärme in der Arktis, globale Emissionsrekorde oder den IPCC-Bericht dringen zurzeit kaum durch. Wer soll sich aktuell für den Streik interessieren?

Uns geht es nicht darum, dass sich Menschen für den Klima­streik interessieren, sondern dass Menschen die Klimakrise als das wahrnehmen, was sie ist: die größte Bedrohung der Menschheit. Und dass sie entsprechend handeln. Dafür ist der Streik nur ein Vehikel.

Mit den 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sind für die kommenden Monate andere Themen gesetzt als das Klima.

Es ist Krieg und erst mal logisch, dass auch über Militärausgaben diskutiert wird. Aber was sollte uns davon abhalten, gleichzeitig das große Ganze in den Blick zu nehmen? Ein paar Stimmen, die sich gekränkt fühlen, wenn sie keine alleinige Diskurshoheit mehr haben? Tja. Eine brennende Frage ist: Wie sichern wir Demokratien? Wir brauchen Unabhängigkeit von Autokraten und Energieunabhängigkeit. Und es gibt ja keine Regel, laut der man in einem Krieg, der durch den Verkauf fossiler Energien finanziert wird, nicht über die Transformation von Energiesystemen sprechen kann.

Bei einigen Kohlekraftwerken wurde jetzt schon die Laufzeit verlängert. Ist es richtig, wie Robert Habeck sagt, im derzeitigen Ausnahmezustand nicht an Klima-Deadlines festzuhalten, sondern flexibel zu reagieren?

Ich möchte sehen, wie Robert Habeck das den Leuten erklärt, die vor der Klimakatastrophe auf der Flucht sind. Wie sollen die flexibel sein? Ja, wir werden uns mit sehr harten Energiedebatten auseinandersetzen müssen. Aber ich ermuntere uns, sorgfältig auseinanderzuhalten, wo wir von Machbarkeit und wo von Politik reden. Ich verstehe, dass man das vermischen möchte, wenn man eine grüne Regierung ist und die Illusion aufrechterhalten will, dass man alles tue, was möglich sei. Aber das darf uns nicht davon abhalten zu gucken, wer diesen Krieg finanziert, was Putin stark macht und welche politischen Konsequenzen gezogen werden müssen, wenn wir das anerkennen.

Sie fordern den kompletten Boykott russischer Energieträger. Das würde eine schwere Wirtschaftskrise auslösen und sich auch auf arme Länder auswirken.

Der russische Gasimport ist sehr schwer zu ersetzen, das stimmt. Kurzfristig muss man sich fragen, was wir stattdessen reduzieren können. Für soziale Gerechtigkeit braucht es soziale Politik. Das heißt aber nicht, dass man denjenigen, die sich das leisten können, nichts abverlangen darf. Die Bundesregierung tut so, als gäbe es ein Recht auf Energieverschwendung. Warum zum Henker traut sie sich nicht, ein Tempolimit zu verabschieden? Wenn sie den privilegiertesten Teil der Gesellschaft, der am meisten Energie verbraucht, mit einer Handvoll Maßnahmen zum kollektiven Energiesparen auffordert

… dann wäre das immer noch keine Transformation des Energiesektors, sondern eine Individualisierung der Verantwortung.

Man würde zunächst akut Spannung aus der Situation nehmen. Wir sehen doch gerade, wie sich Menschen organisieren, eine wehrhafte Demokratie gestalten und ernst genommen werden wollen. Wenn die Regierung stattdessen meint, das Tempo auf der Autobahn sei wichtiger als die Solidarität mit den Menschen, die in Mariupol vor den Bomben fliehen, muss sie dazu stehen und das nicht mit einem pseudosozialen Frieden verteidigen. Den Frieden hier und die Ukraine gegeneinander auszuspielen, finde ich das Allerletzte.

Die Po­li­ti­ke­r*in­nen sollen also an den guten Willen der Bür­ge­r*in­nen appellieren?

Nein, sie sollen ehrlich zugeben, dass wir kein Recht auf Energieverschwendung haben. Und dass jeder Liter Öl, den wir unnötig verbrauchen, Putin zugutekommt. Es braucht einen Plan und eine Strategie. Ich war nicht dabei, als es 1973 die autofreien Sonntage gab, aber ich habe von niemandem gehört, dass er das als schwarzen Tag erinnert.

Ist Habecks Prioritätensetzung ein Verrat der Grünen an der Klimabewegung?

Ach, ehrlicherweise kann ich hier mit dem Begriff des Verrats nicht so viel anfangen. Was wir gerade sehen, ist, dass die klimafreundlichste Regierung, die wir jemals hatten, vor offensichtlichen Systemfragen steht und scheinbar nicht bereit ist, sie ehrlich und zukunftsgewandt zu beantworten, um langfristig Lebensgrundlagen zu bewahren.

Welche Konsequenz ziehen Sie daraus?

Wir stellen fest: Am Ende des Tages steht und fällt alles nicht damit, wer gerade regiert, sondern damit, was wir als Zivilgesellschaft damit machen.

Wann kommt der endgültige Bruch der Klimabewegung mit den Grünen?

Was soll denn dann folgen – sollen wir auf den Tisch hauen und sagen „Das war’s jetzt“? Dass die Grünen nicht der parlamentarische Arm der Kli­ma­be­wegung sind, wissen alle Beteiligten. Darum geht es auch nicht. Es braucht Parteien, die ernsthaft und integer die ökologischen Fragen ins Parlament und die Regierung tragen. Das sollten so viele Parteien sein wie möglich. Ich finde es absurd, die größte Katastrophe der Menschheit auf eine Frage zwischen einer Partei und einer Bewegung zu reduzieren.

Wie kann Fridays for Future zukünftig Druck ausüben? Die Mobilisierungskraft hat über die Jahre abgenommen, Gesellschaft und Politik haben sich an die Klimaproteste gewöhnt.

Im Gegensatz zu jedem anderen Politikfeld braucht die Klimapolitik permanent eine externe Erinnerung daran, dass es sie überhaupt gibt. Das ist zwar eine komplett abstruse Scheinlogik, aber solange man gute Klimapolitik sehen will, wird man Druck machen müssen. Ein Teil davon müssen Massen auf der Straße sein. Das hat auch damit zu tun, dass sich immer irgendein Politiker in die Hose macht, wenn er daran denkt, dass man der Gesellschaft ein paar kleine Klimamaßnahmen zumutet.

Aber was kann FFF noch erreichen? In den Talkshows sitzen Sie schon lange, Greta Thunberg hat schon vor den Vereinten Nationen in New York gesprochen, die Zahlen auf der Straße sind nicht mehr zu toppen. Eine Klimapolitik, die 1,5 Grad erreicht, folgt daraus zwar nicht, aber das haben Sie offensichtlich nicht in der Hand.

Quelle        :        TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben          —   1 Jahr Nur Blockiert: Luisa Neubauer liest ihre Rede vor, die sie vor einem Jahr beim ersten Streik von Fridays For Future Berlin gehalten hat. Berlin, 13.12.19

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Tyrannei des Wachstums

Erstellt von Redaktion am 21. März 2022

Die Tyrannei des Wachstumismus: Was heißt heute gutes Leben?

Von  .   Jason Hickel

Sich der Illusion hinzugeben, dass sich die globale Wirtschaft immer und ewig erweitern lässt, heißt, die augenfälligsten Wahrheiten zu den ökologischen Grenzen unseres Planeten zu leugnen. Diese Erkenntnis kam im März 1972 – also vor genau 50 Jahren – erstmals in der Öffentlichkeit an, als eine Gruppe von Wissenschaftlern am MIT einen bahnbrechenden Bericht mit dem Titel „Grenzen des Wachstums“ veröffentlichte.

Die Ergebnisse waren frappierend. Das Business-as-usual-Szenario mit einer Fortsetzung des Wirtschaftswachstums in der bisherigen Geschwindigkeit ließ erkennen, dass wir irgendwann zwischen 2030 und 2040 in eine Krise geraten würden. Angetrieben durch den exponentiellen Charakter der Wachstumsfunktion würde folgende Entwicklung einsetzen: Die erneuerbaren Ressourcen würden die Grenzen ihrer Erneuerbarkeit erreichen, die nicht erneuerbaren Ressourcen zur Neige gehen und die Verschmutzung die Absorptionskapazität der Erde überschreiten. Beim Versuch, diese Probleme zu lösen, würden die Länder immer höhere Geldbeträge aufwenden müssen und daher weniger für das Reinvestment zur Verfügung haben, das man braucht, um weiterhin Wachstum zu generieren. Die Wirtschaftsleistung würde zu sinken beginnen, das Nahrungsangebot würde stagnieren, der Lebensstandard würde sinken und die Bevölkerungszahlen würden nach und nach schrumpfen. „Das wahrscheinlichste Ergebnis“, schrieben sie etwas ominös, „ist ein ziemlich plötzlicher und unkontrollierbarer Rückgang sowohl bei der Bevölkerung als auch bei der industriellen Kapazität.“

Das traf einen Nerv. Der Bericht „Grenzen des Wachstums“ schlug in der Szene ein und wurde einer der am meisten verkauften Umwelttitel in der Geschichte, wobei er von der Gegenkultur profitierte, die im Nachklang der Jugendrevolte von 1968 weit verbreitet war.

Doch obwohl wir nun schon seit fast einem halben Jahrhundert wissen, dass auch die menschliche Zivilisation auf dem Spiel steht, hat es bei den Bemühungen, den ökologischen Zusammenbruch aufzuhalten, keinen Fortschritt gegeben. Keinen. Das ist ein seltsames Paradox. Zukünftige Generationen werden auf unsere Zeit zurückblicken und nicht begreifen, warum wir ganz genau wussten, was Sache war, bis ins fürchterlichste Detail, und doch bei der Problemlösung versagt haben.

Wir wissen ganz genau, was zu tun ist, um einen Klimakollaps zu vermeiden. Wir müssen aktiv fossile Energie herunterfahren und alles für eine rasche Einführung von erneuerbaren Energien in die Wege leiten – für einen globalen Green New Deal –, um die weltweiten Emissionen innerhalb von zehn Jahren zu halbieren und vor 2050 auf null zu bringen. Dabei muss man immer im Auge behalten, dass es sich bei diesem Ziel um den globalen Durchschnitt handelt. Angesichts ihrer größeren Verantwortung für die Emissionen der zurückliegenden Jahre müssen einkommensstarke Nationen diesen Prozess sehr viel schneller bewerkstelligen und den Nullpunkt bis 2030 erreicht haben. Die Dramatik der Situation kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden; es ist die allergrößte Herausforderung, der sich die Menschheit jemals gegenübersah. Die gute Nachricht: Das ist durchaus zu schaffen. Es gibt allerdings ein Problem: Die Wissenschaftler*innen lassen keinen Zweifel daran, dass wir das nicht schnell genug hinbekommen, um die Temperaturen unter 1,5 Grad Celsius oder auch unter 2 Grad Celsius zu halten, wenn wir gleichzeitig die Wirtschaft weiterwachsen lassen. Und warum ist das so? Weil mehr Wachstum mehr Nachfrage nach Energie bedeutet, und mehr Energienachfrage macht es erst recht schwierig – in der Tat unmöglich –, in der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung steht, ausreichend erneuerbare Energien auf den Markt zu bringen, um die Nachfrage abzudecken.

Auch »sauberes Wachstum« stürzt uns in die Krise

Selbst wenn es dieses Problem nicht gäbe, bleibt da doch noch eine Frage: Wenn wir endlich irgendwann 100 Prozent saubere Energie haben, was machen wir dann damit? Wenn wir die Art und Weise nicht verändern, wie unsere Wirtschaft funktioniert, dann werden wir weiterhin genau das Gleiche machen wie mit den fossilen Energien: Wir nutzen sie, um unablässig Extraktion und Produktion voranzutreiben, immer mehr und immer schneller, und setzen dabei die lebendige Welt immer stärker unter Druck, weil es das ist, was der Kapitalismus verlangt. Saubere Energie mag eine Hilfe sein, wenn es um Emissionen geht; aber sie trägt nichts dazu bei, Entwaldung, Überfischung, Bodenverarmung und Massensterben rückgängig zu machen. Eine wachstumsbesessene Wirtschaft wird uns, auch wenn sie von sauberer Energie angetrieben ist, trotzdem in die ökologische Katastrophe stürzen.

Der heikle Punkt dabei ist, dass wir hier offensichtlich kaum eine Wahl haben. Der Kapitalismus ist grundsätzlich von Wachstum abhängig. Wenn die Wirtschaft nicht wächst, rutscht sie in die Rezession: Schulden türmen sich auf, Menschen verlieren Arbeitsplatz und Wohnung, Lebensentwürfe zerbrechen. Die Regierungen haben alle Hände voll zu tun, die industrielle Aktivität am Wachsen zu halten, in einem dauernden Bemühen, die Krise abzuwehren. Wir stecken also in der Falle. Wachstum ist ein struktureller Imperativ – ein stahlhartes Gesetz. Und es kann sich auf stahlharte ideologische Unterstützung verlassen: Politiker*innen der Linken und Rechten mögen sich darum streiten, wie die Früchte des Wachstums zu verteilen sind, aber wenn es um das Streben nach Wachstum selbst geht, dann sind sie sich einig. Da passt kein Blatt Papier dazwischen. Der Wachstumismus, um einmal diesen Ausdruck zu gebrauchen, präsentiert sich als eine der Ideologien mit dem höchsten Führungsanspruch in der modernen Geschichte. Niemand kommt auf die Idee, sie zu hinterfragen.

Weil sie sich dem Wachstumismus verschrieben haben, sehen sich unsere Politikerinnen und Politiker nicht in der Lage, sinnvolle Schritte zu unternehmen, um die ökologische Katastrophe zu stoppen. Wir haben jede Menge Ideen, wie wir das Problem lösen können, aber wir wagen nicht, sie umzusetzen, weil wir damit das Wachstum untergraben könnten. Und in einer wachstumsabhängigen Wirtschaft darf so etwas einfach nicht passieren. Stattdessen berichten die gleichen Zeitungen, die erschütternde Geschichten über ökologische Katastrophen bringen, auch ganz begeistert darüber, wie das BIP in jedem Quartal wächst, und die gleichen Politikerinnen und Politiker, die händeringend die Klimakrise beklagen, rufen jedes Jahr pflichtbewusst nach mehr industriellem Wachstum. Die kognitive Dissonanz hier ist bemerkenswert.

»Wachstumismus« oder die Geheimnisse des guten Lebens

Wie lässt sich erklären, dass der Wachstumismus unsere politische Vorstellungskraft derart fest im Griff hat? Ganz gleich, wie reich ein Land ist – seine Wirtschaft muss wachsen, unbegrenzt, egal was es kostet. Das ist die Botschaft. Ökonom*innen und politische Entscheidungsträger*innen beharren auf dieser Position, auch wenn sich die Hinweise auf einen ökologischen Zusammenbruch häufen. Fühlen sie sich in die Ecke gedrängt, dann kommen sie mit einer schlichten Erklärung daher: Das Wachstum ist für die außerordentlichen Verbesserungen bei Wohlfahrt und Lebenserwartung verantwortlich, die wir in den letzten Jahrhunderten erlebt haben. Wir müssen weiterwachsen, um das Leben der Menschen weiter zu verbessern. Das Wachstum aufzugeben, würde heißen, den menschlichen Fortschritt selbst aufzugeben.

Das ist ein machtvolles Narrativ, und es scheint so offenkundig zutreffend. Das Leben der Menschen ist heute eindeutig besser als in der Vergangenheit, und die Überzeugung, dass wir dies dem Wachstum zu verdanken haben, erscheint durchaus vernünftig. Nun sind aber Wissenschaftler*innen und Historiker*innen dabei, diese Geschichte zu hinterfragen. Wir haben herausgefunden, dass sie auf einem schwachen empirischen Fundament ruht – eigentlich erstaunlich bei einer Behauptung, die in unserer Gesellschaft so tief verwurzelt ist. Es zeigt sich, dass der Zusammenhang zwischen Wachstum und menschlichem Fortschritt nicht ganz so eindeutig ist, wie wir eigentlich dachten. Wichtig ist nicht das Wachstum an sich – wichtig ist, wie Einkommen verteilt und in welchem Maße es in öffentliche Dienstleistungen investiert wird. Und ab einem bestimmten Punkt ist für eine Verbesserung des gesellschaftlichen Wohlergehens gar kein höheres BIP mehr notwendig.

Es gibt viele Länder, die es schaffen, mit vergleichsweise wenig BIP pro Kopf ein erstaunlich hohes Niveau des gesellschaftlichen Wohlergehens zu erreichen. Wir sehen diese Länder gerne als „Sonderfälle“ an; sie belegen aber genau die These, die Szreter und andere Gesundheitswissenschaftler*innen aufzustellen versuchten: Es geht hier um ein reines Verteilungsproblem. Und das Wichtigste dabei ist die Investition in allgemeine öffentliche Güter. Hier wird es wirklich interessant.

Nehmen wir zum Beispiel die Lebenserwartung. Die Vereinigten Staaten haben ein BIP von 59500 US-Dollar pro Kopf, womit sie eines der reichsten Länder der Welt sind. Die Menschen in den USA können damit rechnen, 78,7 Jahre zu leben, was sie gerade noch in die oberen 20 Prozent hineinhievt. Dutzende Länder übertreffen die Vereinigten Staaten bei diesem entscheidenden Indikator, mit nur einem Bruchteil des Einkommens. Japan hat 35 Prozent weniger Einkommen als die USA, aber eine Lebenserwartung von 84 Jahren – die höchste auf der Welt. Südkorea hat 50 Prozent weniger Einkommen und eine Lebenserwartung von 82 Jahren. Und dann ist da noch Portugal, das 65 Prozent weniger Einkommen hat und eine Lebenserwartung von 81,1 Jahren. Es handelt sich hier nicht um ein paar wenige Sonderfälle. Die Europäische Union als Ganzes hat 36 Prozent weniger Einkommen als die USA und übertrifft sie dennoch nicht nur bei der Lebenserwartung, sondern bei praktisch jedem anderen Indikator des gesellschaftlichen Wohlergehens.

Und dann gibt es Costa Rica, das vielleicht das erstaunlichste Beispiel liefert. Das an Regenwäldern reiche zentralamerikanische Land übertrifft die USA bei der Lebenserwartung, obwohl es 80 Prozent weniger Einkommen aufzuweisen hat. Costa Rica zählt sogar zu den ökologisch effizientesten Volkswirtschaften auf dem Planeten, was die Fähigkeit betrifft, hohe Wohlergehensstandards mit minimaler Umweltbelastung zu liefern. Und wenn wir sie zeitübergreifend betrachten, sieht die Geschichte sogar noch faszinierender aus: Einige der eindrucksvollsten Steigerungen bei der Lebenserwartung konnte Costa Rica während der 1980er Jahre erreichen, wobei man die USA ein- und überholte; das war eine Zeit, als das BIP pro Kopf nicht nur klein war (ein Siebtel der USA), sondern auch überhaupt nicht wuchs.

Es ist nicht nur der Indikator Lebenserwartung, der dieses Verhalten zeigt. Wir können das gleiche Muster beobachten, wenn es um den Bereich der Bildung geht. Finnland ist allgemein als ein Land bekannt, das eines der besten Bildungssysteme auf der Welt besitzt, obwohl sein BIP pro Kopf um 25 Prozent unter dem der USA liegt. Estland steht ebenfalls weit oben im Ranking der weltbesten Bildungssysteme, aber mit 66 Prozent weniger Einkommen als die USA. Polen ist besser als die USA mit 77 Prozent weniger Einkommen. Auf dem Bildungsindex der Vereinten Nationen schlägt der Staat Weißrussland Leistungsträger wie Österreich, Spanien, Italien und Hongkong mit einem BIP pro Kopf, das um ganze 90 Prozent niedriger liegt als das der USA.

Wie lassen sich die erstaunlichen Ergebnisse erklären, die diese Länder erreicht haben? Das ist ganz einfach: Sie haben alle in den Aufbau hoch qualifizierter Systeme in der allgemeinen Gesundheitsfürsorge und der Bildung investiert. Wenn es darum geht, ein langes, gesundes, blühendes Leben für alle zu schaffen, dann ist es das, was zählt.

Warum Wachstum den Wohlstand verringert

Die gute Nachricht: Das ist überhaupt nicht teuer. Allgemeine öffentliche Dienste sind sogar signifikant kosteneffizienter zu betreiben als ihre privaten Entsprechungen. Nehmen wir zum Beispiel Spanien. Spanien gibt nur 2300 US-Dollar pro Person dafür aus, um allen eine Gesundheitsversorgung von hoher Qualität zu liefern, als ein Grundrecht, und erreicht damit einen Spitzenwert unter den Lebenserwartungen weltweit: 83,5 Jahre; volle fünf Jahre mehr als die USA. Im Gegensatz dazu verschlingt das private, profitorientierte System in den USA horrende 9500 US-Dollar pro Person, während es eine geringere Lebenserwartung und schlechtere Gesundheitsergebnisse liefert. Ähnlich vielversprechende Beispiele entwickeln sich in Gegenden überall im globalen Süden. Staaten, deren Regierungen in allgemeine Gesundheitsversorgung und Bildung investierten, haben jetzt Verbesserungen bei der Lebenserwartung und anderen Indikatoren gesellschaftlichen Wohlergehens erreicht, die sich weltweit mit am schnellsten entwickelten. Sri Lanka, Ruanda, Thailand, China, Kuba, Bangladesch und der indische Staat Kerala – alle weisen erstaunliche Steigerungen auf, trotz eines vergleichsweise niedrigen BIP pro Kopf. Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Die empirischen Belege zeigen, dass es möglich ist, ein hohes Niveau der menschlichen Entwicklung zu erreichen ohne ein hohes BIP-Niveau. Den UN -Angaben zufolge können Staaten mit lediglich 8000 US-Dollar pro Kopf (im Sinne von Kaufkraftparität oder KKP) in die allerhöchste Kategorie des Lebenserwartungs-Index aufsteigen und auf sehr hohe Stufen beim Bildungsindex mit nur 8700 US-Dollar. Staaten können sogar auf einer ganzen Skala von sozialen Schlüsselindikatoren erfolgreich sein – nicht nur bei Gesundheit und Bildung, sondern auch bei Beschäftigung, Ernährung, sozialer Unterstützung, Demokratie und Lebenszufriedenheit – mit weniger als 10 000 US-Dollar pro Kopf, während sie sich innerhalb oder fast innerhalb der planetaren Grenzen halten. Das Bemerkenswerte an diesen Zahlen ist, dass sie deutlich unter dem globalen Durchschnitt von 17 600 US-Dollar BIP KKP pro Kopf liegen. Mit anderen Worten: In der Theorie könnten wir alle unsere gesellschaftlichen Ziele erreichen, für jeden Menschen auf der Welt, mit weniger BIP, als wir derzeit haben, indem wir einfach in öffentliche Güter investieren und Einkommen und Chancen gerechter verteilen.

Es ist also klar, dass die Relation zwischen BIP und der gesellschaftlichen Wohlfahrt ab einem gewissen Punkt nicht mehr funktioniert. An dieser Relation ist aber noch ein anderer Aspekt interessant. Jenseits einer gewissen Schwelle entwickelt das Wachstum allmählich eine negative Wirkung. Wirkönnen diesen Effekt erkennen, wenn wir uns alternative Kennzahlen für Fortschritt ansehen, wie etwa den Indikator echten Fortschritts (Genuine Progress Indicator GPI). Der GPI beginnt bei den persönlichen Konsumausgaben (was auch der Ausgangspunkt für das BIP ist) und wird dann bereinigt um die Einkommensungleichheit sowie die sozialen und ökologischen Kosten der wirtschaftlichen Aktivität. Indem dieser Maßstab die Kosten wie auch den Nutzen des Wachstums einrechnet, gewährt er uns eine ausgeglichenere Sicht darauf, was in der Wirtschaft geschieht. Wenn wir die Daten im Zeitverlauf grafisch darstellen, sehen wir, dass der globale GPI bis in die Mitte der 1970er Jahre zeitgleich mit dem BIP wuchs, seitdem aber abflachte und sogar abgenommen hat, als die sozialen und ökologischen Kosten des Wachstums ausreichend signifikant geworden waren, um die verbrauchsabhängigen Gewinne aufzuwiegen. Ab einem bestimmten Punkt, so formuliert es der Ökologe Herman Daly, wird das Wachstum mehr und mehr „unwirtschaftlich“: Es schafft zunehmend mehr „Schlechtstand“ als Wohlstand. Wir können dies an mehreren Fronten beobachten: Das fortgesetzte Streben nach Wachstum in einkommensstarken Ländern verschärft die Ungleichheit und die politische Instabilität und trägt zu Problemen bei wie etwa Stress und Depression infolge von Überarbeitung und Schlafmangel, schlechter Gesundheit wegen Umweltverschmutzung, Diabetes und Herzkrankheiten und so weiter.

Quelle       :         Blätter-online         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben       —   einige Planetare Grenzen sind überschritten[44]

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Kinderlos fürs Klima?

Erstellt von Redaktion am 17. März 2022

Es geht nicht um moralischen Masochismus,
sondern darum, möglichst viel Klima gas einzusparen

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Von Bernward Gesang

Die „birthstrike“-Bewegung diskutiert den persönlichen Verzicht auf Kinder für den Klimaschutz. Effizienter wären aber Spenden für mehr Geburtenkontrolle.

Der Verzicht auf Kinder scheint die radikalste und gemäß Studien der Lund-Universität in Schweden die effizienteste Maßnahme zu sein, die der Einzelne zum Klimaschutz beisteuern kann. Der Verzicht aufs Auto spart demnach 1 bis 5,3 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr, aber der Verzicht auf ein Kind 23,7 bis 117,7 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr. Es hat sich eine eigene Bewegung namens „birthstrike“ gebildet, in deren Reihen diese Fragen diskutiert werden. Was ist davon zu halten?

Wer auf freiwilliger Basis Klimagase reduzieren will, sollte das vielleicht eher da tun, wo es am effizientesten ist. Dazu ein Rechenbeispiel: Ein Jahr lang auf Fleisch verzichten spart 450 kg Emissio­nen ein. Das bringt eine Ersparnis von 650 Euro. Setzt man diese Summe für durchdachte Spenden in Ländern des globalen Südens ein, vermeidet man 28.000 kg CO2. Spenden ist rund 50-mal effizienter, als den eigenen Fußabdruck zu kontrollieren, dafür gibt es viele Beispiele.

Nun könnte man mit den Verfasserinnen meinen, auf Kinder zu verzichten sei aber viel effizienter als auf Fleisch zu verzichten. Auch hier kann Spenden jedoch mehr. Wenn weniger Kinderkriegen das effizienteste Mittel ist, kann man es durch Spenden besser durchsetzen. Man kann für den Einsatz von Verhütungsmitteln gegen ungewollte Kinder in der „Dritten Welt“ spenden. So vermeidet man wesentlich mehr Kinder, als man je privat in die Welt setzen könnte. Das Argument hinkt, dass CO2-Vermeidung in wohlhabenden Ländern ökologisches Schwergewicht habe, während in der Dritten Welt kaum emittiert werde. In Zukunft werden wir hier eine Energiewende erleben, während die Dritte Welt nachholendes Wachstum auslebt. Aber: Wer sind wir, dass wir bevölkerungspolitisch Einfluss auf den globalen Süden nehmen, nur um unseren (Klima-)Wohlstand nicht zu gefährden? Erstens stellen wir aber mit Verhütungsmitteln und Beratung nur ein Angebot zur Verfügung, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Durch Aufklärung und Verhütung kämpft man auch gleichzeitig für Frauenrechte, Bildung und gegen Armut. Zweitens geht es nicht um unseren Wohlstand, sondern darum, so viele Emissionen zu vermeiden wie möglich.

Über den Weg des Spendens gäbe es noch viel zu sagen: etwa, dass er nur eine Zeit lang zu begehen ist und dass dies kein Ablasshandel ist, solang man nicht nur Emissionen kompensiert, sondern systematisch mehr spendet, als man selber emittiert. Wir sind einem Denken verhaftet, das besagt: Ich selbst und mein Verhalten bin der ­Nabel der Welt. Bei mir muss ich anfangen und das muss wehtun. Das ist falsch. Es geht nicht um meinen moralischen Masochismus, sondern ­darum, möglichst viel Klimagas einzusparen.

Wir sollten uns zudem freiwillig so engagieren, dass wir uns nicht überfordern. Wer sich wirklich Kinder wünscht, wird durch die Unterdrückung dieses Wunsches langfristig unglücklich werden. Jedenfalls ist dieser Weg nicht nur ineffizient, wie der ganze Ansatzpunkt am ökologischen Fußabdruck, sondern er verschleißt auch die Motivation zum Klimaschutz. Der Verzicht auf eigene Kinder für den Klimaschutz verbindet hohe Wohlergehenskosten mit mangelnder Wirkung. Keine gute Kombination.

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Liegen in den Kriegen nicht viel  größere Gefahren für das Klima?

Neben der privaten hat die Frage der Geburtenkontrolle auch eine politische Dimension. Die neue Bundesregierung will den Klimaschutz im Inland anpacken. Dabei darf sie nicht vergessen, dass sie im Ausland wesentlich mehr als 2 Prozent der weltweiten Emissionen beeinflussen kann. Deshalb hat sie den Klimaschutz ja auch zum Teil im Außenministerium angesiedelt. Ungenutztes Potenzial ließe sich dabei bei der Bevölkerungspolitik nutzen.

Geburtenkontrolle bietet sich als Stellschraube für den Klimaschutz politisch besonders deshalb an, weil sie Staaten kaum etwas kostet, ja sogar Geld sparen hilft. Sie durchzuführen bedeutet keinen globalen Wettbewerbsnachteil und sie erfordert keine technologischen Wunder und Risiken.

Gegen eine staatlich gelenkte Geburtenkontrolle spricht aber: Die freie Wahl der Nachkommenzahl ist ein Grundrecht, das etwa vom achten Prinzip der UN-Kairo-Konferenz betont wird. Eine weitere häufige Kritik an jedweder Bevölkerungspolitik ist die, dass hier die Privatsphäre der Menschen derart stark berührt sei, dass Staaten sich gänzlich zurückzuziehen hätten. Der Gedanke einer „mit Zwang“ vertretenen Bevölkerungspolitik wird von Kirchen und vielen NGOs abgelehnt. Weiterhin muss hinterfragt werden, ob weniger Kinder wirklich einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die Antwort ist eindeutig: Dieser Beitrag soll nach Daten der US-Akademie der Wissenschaften schätzungsweise ein Fünftel einer Reduktion der Klimagase bringen, die wir benötigen.

Quelle      :      TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Kindergartenkinder in der Türkei

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Unten     —       Zerstörungen in der Oblast Charkiw nach russischem Beschuss während der russischen Invasion der Ukraine im Jahr 2022.

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Widerspruch gegen Grüne

Erstellt von Redaktion am 27. Februar 2022

„Wir sind kein Vorbild für Rechtsextreme“

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Das Interview mit Josef März führte Jost Maurin

Autobahnblockaden gefährden nicht Mehrheiten für mehr Klimaschutz, sagt Tobias März von der „Letzten Generation“. Damit widerspricht er den Grünen.

taz: Herr März, Ihre Initiative „Letzte Generation“ blockiert seit einigen Wochen immer wieder Autobahnen und jetzt auch Zufahrtsstraßen von See- und Flughäfen. So wollen Sie die Bundesregierung zu mehr Klimaschutz und einer Verpflichtung für Supermärkte zwingen, übrig gebliebene Lebensmittel zu spenden. Müssen wir damit rechnen, dass auch Querdenker oder Rechtsradikale bald Einrichtungen blockieren, die wenig mit ihrem Anliegen zu tun haben?

Tobias März: Das ist unwahrscheinlich, weil wir sehr gewaltfrei vorgehen und die Menschen, die sich daran beteiligen, viel auf sich nehmen. Die werden ja von Autofahrern geschlagen oder von der Straße gezerrt. Oder sie sitzen stundenlang in der Kälte oder im Regen auf dem Asphalt und kommen dann in Polizeigewahrsam für Stunden. Da braucht man schon eine sehr große Entschlossenheit. Das halte ich für unwahrscheinlich, dass das in großem Stil übernommen wird.

Querdenker und Rechtsradikale sind allerdings auch sehr überzeugt von ihren Zielen. In Kanada haben Impfgegner ebenfalls schon Straßen blockiert.

Aber wir grenzen uns ab von solchen Leuten: Wir respektieren Rechtsstaatlichkeit. Wir wehren uns nicht gegen die Polizei, sondern lassen uns wegtragen und einsperren. Wir fordern auch nicht irgendwas, das vom Himmel gefallen ist. Wir berufen uns auf den Bür­ger­rat Klima, in dem 2021 zufällig ausgewählte Bürger unter Beratung von Experten demokratisch Beschlüsse gefasst haben – nur diese fordern wir ein. Wir sagen nicht, dass die Regierung abgeschafft werden oder eine Anarchie entstehen soll. Wir sind kein Vorbild für Rechtsextreme.

Vielen erschließt sich nicht, was Blockaden auf Autobahnen mit Lebensmittelverschwendung zu tun haben. Warum blockieren Sie nicht das zuständige Agrarministerium oder Supermärkte?

Es gab ja eine Aktion auch im Landwirtschafts- und im Justizministerium. In andern Aktionen retten wir auch Lebensmittel aus der Tonne bei Supermärkten und verteilen sie dann. Aber damit bekommen wir nicht die nötige Aufmerksamkeit. Das allein bringt nicht schnell genug eine neue Klimapolitik, die wir jetzt brauchen. Wir haben nur 3 bis 4 Jahre, um den schlimmsten Klimakollaps aufzuhalten. Sonst erwärmt sich die Erde stärker als 2 Grad und wegen der Kipppunkte im Klimasystem sind wir schnell bei 3 und 4 Grad. Dann können wir die heutige Zahl Menschen gar nicht mehr ernähren. Das zeigen wissenschaftliche Studien. Wegen dieser Dringlichkeit halten wir diese Art von Protestform als Weckruf für angemessen.

Stimmt der Vorwurf von Agrarminister Cem Özdemir (Grüne), Ihre Aktionen würden es schwieriger machen, Mehrheiten für mehr Klimaschutz zu bekommen?

Das glaube ich nicht. Natürlich regen sich viele über die Aktionsform auf. Aber das wird sie nicht langfristig gegen Klimaschutz aufbringen. Im Gegenteil: Bei ihnen wird ankommen, dass Menschen so viel für diesen Kampf in Kauf nehmen, und dann werden sich die Leute mehr damit beschäftigen.

Die CDU/CSU-Fraktion hat kritisiert: „Mit der Blockade von Straßen und Häfen werden unbeteiligte Bürger gefährdet. Krankenwagen müssen Umwege fahren.“ Was ist an dem Vorwurf dran?

Wir schauen immer, dass wir eine Rettungsgasse freihalten. Es kommt immer wieder vor, dass Krankenwagen im Stau stehen. Das kann man jetzt nicht auf diese Blockaden zurückführen. Umgekehrt sagen wir halt: CSU und CDU sind die, die uns die letzten Jahrzehnte in diese Situation geführt haben. Wenn die eine anständige Klimapolitik gemacht hätten in den letzten drei Legislaturperioden, dann bräuchten wir diese Aktion jetzt vielleicht gar nicht.

Können Sie erklären, welchen Sinn es ergibt, bei einer Aktion gegen Lebensmittelverschwendung große Mengen Brot und andere Lebensmittel auf den Autobahnasphalt zu kippen?

Das waren ja Lebensmittel, die aus der Tonne gerettet worden waren. Das heißt, sie waren sowieso schon im Müll, weil das momentan eben so Praxis ist. Darauf wollten wir hinweisen und das bildlich machen.

Sie haben auch versucht, den Schiffsverkehr zu blockieren. Sind Sie wirklich gegen Schiffe, die pro Tonne klimafreundlicher sind als Lastwagen?

Verteilung von weggeworfenen Lebensmitteln durch den Aufstand der letzten Generation, Kaufland, Residenzstraße, Berlin (51808549528).jpg

Dabei geht es uns nicht per se um den Schiffsverkehr, sondern um das System, wie es jetzt läuft. Also zum Beispiel, wie viele Güter derzeit von China nach Europa verschifft werden. Das ist auf Dauer nicht tragbar. Verkehr insgesamt muss sich ändern, nicht nur in Richtung E-Mobilität, sondern der Verkehr und auch der Konsum muss reduziert werden. Jedenfalls, wenn wir nicht wollen, dass unsere Kinder, Enkel oder vielleicht auch wir selbst noch große Hungersnöte, Dürren, Unruhen und so weiter erleben.

Die durch Lebensmittelverluste verursachten Treibhausgasemissionen betragen nach Angaben des Umweltbundesamts von 2017 nur etwa 4 Prozent des gesamten deutschen Ausstoßes. Warum fokussieren Sie sich auf dieses Detail?

Wir wollten eine Frage in den Mittelpunkt stellen, bei der die Regierung direkt handeln kann. Die Energie- und die Verkehrswende sind super wichtig. Aber da redet sich die Regierung raus, das sei so schwierig und dauere. Deshalb haben wir Emissionen herausgegriffen, die halt von heute auf morgen eingespart werden können, ohne dass es wirklich jemandem schadet. Der Gesetzesentwurf liegt vor und kann direkt in den Bundestag eingebracht werden.

Aber laut Bundesagrarminis­terium fallen in Deutschland nur 4 Prozent der gesamten Lebensmittelabfälle im Handel an­. Vergeuden Sie da nicht Ihre Energie für einen nachrangigen Teilaspekt?

Quelle       :        TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Aufstand der Letzten Generation – Strassenblockade in Freiburg für eine Agrarwende, 7. Februar 2022

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Erinnerung + Engagement:

Erstellt von Redaktion am 25. Februar 2022

 Was bedeutet es, planetarisch und zugleich anti-imperial zu denken?

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Quelle        :     Berliner Gazette

Von  :     · 23.02.2022

Angesichts globaler Krisen wie der COVID-19-Pandemie oder der Klimakatastrophe besteht die große Herausforderung heute darin, planetarisch zu denken und gleichzeitig zu hinterfragen, inwieweit unser alltägliches Leben von einer „imperialen Lebensweise“ geprägt ist. Der Übersetzer und Autor Edward Viesel unternimmt eine Nabelschau.

Was sagt ein Historiker, der keinen Job hat, zu einem Historiker, der einen Job hat? „Einmal Pommes mit Mayo, bitte!“. Dieser Witz machte die Runde, als ich 1993 in Mainz unter anderem Geschichte studierte. Damals herrschte auf dem Arbeitsmarkt für Akademiker eine Krise. Krisen sorgen dafür, dass man sich vertieft über eine bessere und andere Zukunft Gedanken macht.

Diesen Weg geht auch Werner Wintersteiner, der sein kürzlich im transcript-Verlag erschienenes Buch „Die Welt neu denken lernen – Plädoyer für eine planetare Politik. Lehren aus Corona und anderen existentiellen Krisen“ wie folgt einleitet:

„Indem Corona – für einen Augenblick nur – unsere bisherige Lebensweise infrage gestellt hat, hat es auch die Frage gestellt, ob wir weiterhin auf die bisherige Weise leben wollen. So wie Corona Schicksal spielt und weltweit gleichzeitig alle Menschen bedroht, macht es uns auf die schicksalshafte Gemeinsamkeit von uns allen als Menschheit aufmerksam. Weil unser Überleben nicht mehr gesichert erscheint, beginnen wir nachzudenken, wie wir zusammenleben können.“

Ich bin 1971 geboren, Wintersteiner zwanzig Jahre früher. Er ist als Universitätsprofessor emeritiert, ich arbeite seit vielen Jahren als etwas prekärer Freiberufler. Wenn ich in ähnlicher Absicht ein Buch einleiten wollte, wäre mein Ausgangspunkt weitgehend das Gegenteil: 1) Jüngere Menschen in Westeuropa haben Angst vor Veränderung; sie befürchten, dass es nun (für sie) ökonomisch schlimmer werden wird. 2) Corona hat gezeigt, dass reiche Menschen die meisten Bedrohungen durch ihr Geld und ihre Macht abwenden und kontrollieren können. 3) Das bequeme Überleben der Reichen und Mächtigen in kleinen, abgeschiedenen „Refugien“ ist nahezu perfekt gesichert, aber selbst westliche, demokratische Gesellschaften zerfallen sozial und politisch in immer unversöhnlicher werdenden Dissens, wobei die Maßnahmen gegen Corona derzeit häufig der Ausgangspunkt für härteste Auseinandersetzungen sind (unter anderem um zwei Auffassungen von „Überleben“: „medizinisch-physiologisch“ versus „ökonomisch-finanziell“).

Diese unterschiedliche Sichtweise auf das Heute bestärkt mich in der Annahme, dass die Überlegungen des Autors, wie sich Menschen im „Westen“ mit „planetarischem“ Anspruch politisch für eine Welt ohne Verlierer engagieren können und sollten, kaum zum Erfolg führen werden, weil sie ein übertrieben durchgängig reiches und sattes Bild von Europa und Nordamerika zeichnen.

Für manche Generationen ist das „Überleben“ deutlich besser gesichert als für andere, auch innerhalb bestimmter Länder der Europäischen Union. Auch innerhalb reicher Staaten und etablierter Gesellschaftsschichten wäre es gut, nachzudenken, wie die Menschen gut und friedlich „zusammenleben können“. Wintersteiner tut dies eher nicht, weil sein Gerechtigkeits- und Transformationsbegriff sich vor allem an extremer Armut, Geflüchteten ohne Rechtsstatus oder neokolonialer Ausbeutung in Afrika schärft – an objektiv extremen Situationen also. Ob man sich als Verlierer*in fühlt oder nicht, ist aber oft eine Frage der relativen Perspektive, eine Frage des Sichvergleichens. Politisch ist dieses „Gefühl“ aber nicht belanglos, sondern es ist in vielerlei Hinsicht sehr wirkmächtig; es entscheidet auch über „Krieg oder Frieden“.

Die Nase im Geschichtsbuch …

Nicht nur im zivilen und sozialen Bereich gibt es Gewinner*innen und Verlierer*innen. Wir sähen, meint Wintersteiner, dass Corona als Anlass diene, internationale Spannungen weiter anzuheizen; dies zeigten die Rivalitäten zwischen den USA und China. Der Buchautor ist unter anderem in der „Friedenserziehung“ tätig, in der Konflikte und Krieg mithilfe von Bildung, also auch Aufklärung, vermieden werden sollen. Und er schreibt generell, dass Bildung der einzige Weg sei, „gewaltfreie politische Veränderungen vorzubereiten und zu begleiten“. Bildung sei Voraussetzung für Politik, und in diesem Sinne „selbst politisches Handeln“.

Mich erinnert das an die Zeit, als ich 1995 beim „Papst für die Kriegsschuldfrage des Ersten Weltkriegs“ in Heidelberg Geschichtsvorlesungen besuchte. Ich erinnere mich weder an seinen Namen (er ist sicher schon lange emeritiert) noch an seine Thesen, sondern nur daran, dass er immer braungebrannt und im frisch gebügelten Polohemd erschien, so als käme er immer geradewegs vom Tennisplatz (was ja auch stimmen könnte).

Ich erinnere mich aber vielleicht auch deshalb nicht an seine Ausführungen zur Kriegsschuld, weil diese Frage letztlich eine wahrlich „akademische“ Frage ist: Die Erkenntnisse kommen immer Jahrzehnte zu spät. Wäre es nicht besser, diese Frage vorher, also vor Ausbruch der Kriegshandlungen, zu stellen? Eine Bildung, die allgemein von einer „Rivalität zwischen USA und China“ und einer „geopolitischen Krise“ spricht – ohne den sicher kontroversen Versuch zu machen, über konkrete Verantwortlichkeiten und Abläufe, vielleicht sogar über Schuld, zu sprechen –, wird meines Erachtens wenig bewirken.

Dr Mamphela Ramphele, Founder, Agang South Africa Party (8902079418).jpg

Statt „Bildung“ würde ich beim Versuch, gesellschaftlich und weltpolitisch Frieden zu erhalten und zu stiften, sowieso eher den schneller und direkter wirkenden Begriff „Wahrheit“ favorisieren. Angeregt wurde ich zu dieser Überlegung durch die „Truth and Reconciliation Commission“ (Wahrheits- und Versöhnungskommission) nach dem Ende der Apartheid ab 1996 in Südafrika. Dieses „Justizsystem“ diente dazu, dem Vergessen entgegenzuwirken und Verantwortlichkeiten zu benennen, um dadurch Versöhnung herbeizuführen (es gab nur sehr geringe Entschädigungen). Man könnte ja ein solches „Justizsystem“ in Bezug auf soziale Gerechtigkeit bereits heute einführen, statt, wie in Südafrika, möglichen Verfehlungen lediglich in der Rückschau nachzugehen. Es gab solche Ansätze in Ostdeutschland nach der Wende, da fehlte allerdings meist der Versöhnungsaspekt. Aus meiner Sicht geht es darum, dass sich am Ende alle Menschen sozial und innerlich in einem „Feld der Gerechtigkeit“ aufgehoben fühlen.

Mein Engagement“, meine Gerechtigkeit“

Wenn ich zurückblicke, hat sich für mich ein solches inneres „Feld der Gerechtigkeit“ in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren praktisch nicht materialisiert. Etwa um die Jahrtausendwende wurde ich mit 30 Jahren Mitglied bei Attac, damals „Antiglobalisierungs-Netzwerk“ genannt. Ich war damals gerade aus meiner letzten, zeitlich befristeten Stelle als Journalist entlassen worden (aufgrund der im Jahr 2000 geplatzten „Internetaktienblase“, die Massenentlassungen zur Folge hatte) und hatte angefangen, als freiberuflicher Übersetzer zu arbeiten. Warum Attac, eine Bewegung, die sich stark um das Problem „Prekarisierung von Arbeit“ herum bildete?

Als „beeidigter Übersetzer“ kann man unter anderem zu guten Honoraren für die Gerichte übersetzen. Leider nur in der Theorie. In der Praxis werden die Aufträge von den Geschäftsstellen der Gerichte aus Zeitersparnisgründen meist an große Übersetzungsagenturen vergeben, die als „Torwächter“ trotz eines oft geringen eigenen Aufwandes durchschnittlich rund 40 Prozent des staatlichen Honorars für sich einbehalten. Wie in vielen anderen Bereichen ist dieser Bereich (schleichend und heimlich) privatisiert worden; das Gerichtsübersetzen ist letztlich ein privates, staatlich gestütztes Oligopol, das „Billigkräfte“ ausbeutet – zumindest zu vergleichsweise niedrigen Vergütungen beschäftigt.

Das hat mir das Leben unnötig erschwert. Wie sollte mir nun Attac dabei helfen, bei den Gerichtsaufträgen eine echte Veränderung, eine „Transformation“ zu erzielen? Wintersteiner fragt sich, wie eine „große Transformation“ gelingen könne, deren Notwendigkeit so vielen klar sei, „gegen die aber mächtige Kapitalinteressen ebenso stehen wie die Hoffnungen breiter Gesellschaftsschichten in den Industrieländern, mit dem bestehenden System die eigene imperiale Lebensweise doch noch prolongieren zu können?“

Ich habe mit Anfang 30 nicht das Gefühl gehabt, eine „imperiale Lebensweise“ zu führen. Wenige Monate nach einem „europäischen Aktionstag gegen Sozialabbau“ mit von einer bunten Vielzahl von politischen Gruppierungen getragenen Megademonstrationen in Berlin, Stuttgart und Köln trat ich 2004 mit vielen etwa gleichaltrigen Mitgliedern aus unserer Attac-Gruppe aus. Man kam mit den anderen Mitgliedern bei den regelmäßigen Treffen irgendwie nicht richtig ins Gespräch. Letztlich war die jeweils eigene Perspektive stets unterbelichtet, und es wurde umstandslos ein weltweit agierendes, inhaltlich plurales Engagement für eine bessere Welt – oder sehr eng der Kampf gegen die „Agenda 2010“ propagiert. Die konkreten eigenen Probleme gingen dabei unter. Solidarität hat aber meist etwas mit einem wirklich gemeinsamen Anliegen zu tun.

Es bleibt natürlich die Frage bestehen, „wie ein Schritt über die Grenzen des gegenwärtigen ökonomisch-politischen Systems hinaus möglich ist“. Aber dass eine Vielzahl „systemischer Alternativen“ dazu genutzt werden könnte, dass sich unterschiedliche politische Ansätze „gegenseitig ergänzen“ und dadurch auch verstärken, wie Wintersteiner im Anschluss an den globalisierungskritischen Bolivianer Pablo Solón ausführt, erscheint mir – auch auf der Basis eigener Erfahrungen – nicht sehr erfolgversprechend. Die Welt ist zwar komplex, aber eine politische Lösung erfordert meist eine gewisse Vereinfachung: Kompromisse und Vereinbarungen, die von der Vielzahl zur Einzahl führen. Man braucht ein gemeinsames Band, das die Menschen, die sich zusammentun, verbindet. Die wechselhafte Geschichte von Frauenbewegung und Arbeiterbewegung zeigt, wie Gemeinsamkeiten – und Gegensätze – entstehen und auch wieder vergehen.

Auch bei der Rolle des Staates bleibt bei mir ein großes Fragezeichen. Der Buchautor fordert, der Staat müsse der Privatwirtschaft Vorgaben machen, der staatliche Sektor müsse ausgebaut sowie als drittes Standbein eine Gemeinwohlökonomie gefördert werden. Das klingt ganz gut, bis man einen Blick in die aktuelle Tageszeitung wirft: Gerade beim Staat und bei Wohlfahrtsverbänden häufen sich Korruption, Selbstbereicherung und Misswirtschaft (Arbeiterwohlfahrt in Hessen, Autobahn GmbH, Berateraffäre bei der Bundeswehr, Berliner Flughafen etc.).

Es gibt ein zynisches Sprichwort: „Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde“. Wenn es einen wirklich korruptionsfreien, funktionierenden staatlichen oder gemeinwohlorientierten Sektor gäbe, würde ein schlichter „Ausbau“ sicher für den ärmeren Teil der Bevölkerung Vorteile bringen. Der zeitgenössische Staat ist aber schon längst in seinen Kernbereichen mindestens „teilprivatisiert“. In Anlehnung an das obige Sprichwort könnte man sagen: „Wer einen solchen Staat hat, braucht keine Privatisierungen mehr“.

Klimakrise: Kippt das Klima?

Wie eingangs gesagt, glaube ich, dass die im Buch formulierten Vorschläge deshalb kaum durchführbar sind, weil sie ein übertrieben friedliches und wohlgeordnetes Bild von Europa und Nordamerika zeichnen. Der Autor schreibt, dass die folgende Frage gestellt werden müsse: „Wie kann eine Veränderung des Bewusstseins eines relevanten Teils der Bevölkerung erzielt werden, wenn sich die sozialen, politischen, ökonomischen und ökologischen Verhältnisse nicht ändern?“

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Mir scheint, dass dies gerade mit großem Gefahrenpotenzial passiert: Die sozialen, politischen, ökonomischen und ökologischen Verhältnisse ändern sich, und das Bewusstsein eines relevanten Teils der Bevölkerung ändert sich auch, weg vom „Bewusstsein der (aktuell) Herrschenden“. Einerseits erklären sich daraus die zunehmend rabiate und kompromisslose Repression durch die Herrschenden und andererseits immer größere Probleme, bei einer breiten Bevölkerung Akzeptanz für einen ökologischen Umbau zu erzielen.

Vielleicht ist es auch Wintersteiners Generationszugehörigkeit geschuldet, dass er (im Anschluss an den von ihm geschätzten, heute 100-jährigen französischen Philosophen Edgar Morin) bei allen Situationen deren „Komplexität“ betont. Eine gesellschaftliche Situation ist abstrakt gesehen aber immer komplex. Erst durch die Anwendung auf das eigene Leben wird sie eindeutiger und einfacher. Fehlt die eigene Perspektive, bleibt alles schwammig. Dass man dabei zur „einzigen Wahrheit“ vordringt, die alle Komplexität auflöst, ist unwahrscheinlich. Vereinfachung ist aber nicht in jedem Fall ein „Reduktionismus“.

Ich glaube, dass die jüngeren Generationen einerseits sicher „planetarisch denken“ sollten und kritisch untersuchen sollten, inwieweit ihr alltägliches Leben von einer „imperialen Lebensweise“ geprägt ist. Andererseits sehe ich bei meiner Generation, dass sich die Menschen in bestimmten Teilbereichen des Lebens zu wenig – eher als zu viel – um sich selbst und ihre Belange gekümmert haben. Nun, wo die ersten langsam auf die Rente zusteuern, stellen sie erschrocken fest, dass sie nicht – wie ihre Eltern – den Lebensabend auf dem (sehr unökologischen) Kreuzfahrtschiff verbringen werden, sondern (ressourcensparend) auf den Fluren des Sozialamtes.

Die naive Enttäuschung, die eine sich immer weiter verbreitende Grundhaltung ist, gepaart mit der daraus resultierenden plötzlich hochkochenden Wut sind eine sehr schlechte Vorbedingung für das von Werner Wintersteiner propagierte komplexe und solidarische Denken oder für den auf altruistischem und langfristigem Umdenken („Bildung“) beruhenden Einsatz für andere. „Truth and Reconciliation“ – und die damit verbundenen Diskussionen – wären aus meiner Sicht zunächst die direkteste und allererste Möglichkeit, Menschen zu einem tiefgreifenden Umdenken zu bewegen, welches nicht in der „Katastrophe“ endet, sondern in einem besseren Leben.

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Oben          —     In low class neighbourhoods of Caracas you can come across these political grafittis.

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Die beste Jahre vermerkelt ?

Erstellt von Redaktion am 23. Februar 2022

Wir hatten die besten Jahre

Karikatur Merkel Politikerdiäten.jpg

Ein Schlagloch von Matthias Greffrath

Wenn das Szenario des Films „Don’t Look Up“ nicht Realität werden soll, braucht es radikale Veränderungen. Doch Politiker fürchten, abgewählt zu werden.

Don’t Look Up“ – natürlich hatten alle am Tisch den Film mit dem Meteoriten gesehen, der zielgenau auf die Erde zurast, diese Satire, die punktgenau den Zustand von Welt und Politik und Medien und Mentalitäten abbildet: die einflussarme Wissenschaft, die machtvergessenen Amtsträger, die Schredderung des Schreckens im Spaßfernsehen, die technokratischen Heroes of the Universe aus dem Silicon Valley. „Wir hatten die besten Jahre“ – ich glaube, das war der letzte Satz, beim letzten Mahl, das Leonardo DiCaprio mit seiner Familie feiert, während die Wände schon beben. Und natürlich waren auch alle am Tisch erschrocken darüber, dass ihnen das Lachen nicht im Hals stecken geblieben war: Wo sind wir gelandet, wenn Apokalypsen nicht mehr schaudern machen?

Im weiteren Verlauf des Abends ging es dann um Folgefragen wie diejenige, warum die Eliten offiziell immer noch von 1,5 Grad reden, obwohl sie wissen oder doch wissen könnten, dass es längst eine Illusion ist? Oder warum Volkswirte nicht längst schon lernen, mithilfe von avancierten Algorithmen Szenarien zu entwickeln, die präziser wären als das kulturwissenschaftliche Murmeln von Postwachstum?

Oder: Warum gibt es noch kein Max-Planck-Institut für Transformation, dessen Bulletins nicht so leicht abgetan werden könnten wie die Klebeaktionen von verzweifelten 17-Jährigen auf Ruhrschnellwegen oder die Feuilletons über das Glück-des-Weniger, das Resonanzdefizit der Gesellschaft oder die Soziologie des Verlusts? So ging der Abend dahin, bei Rehgulasch und Rotkohl und Rotwein, Gesprächen über die Kinder, die trotz alledem auf einem guten Weg sind, die Planung von Radtouren auf den gut asphaltierten Nebenstraßen in Frankreich, und irgendwann auch alten Gedichten:

Dass etwas getan werden muss und zwar sofort

das wissen wir schon

dass es aber noch zu früh ist um etwas zu tun

dass es aber zu spät ist um noch etwas zu tun

das wissen wir schon

und dass es uns gut geht

und dass es so weiter geht

und dass es keinen Zweck hat

das wissen wir schon

und dass wir schuld sind

und dass wir nichts dafür können dass wir schuld sind

und dass wir daran schuld sind dass wir nichts dafür können

und dass es uns reicht

das wissen wir schon …

An die Stelle der Denunziation ist die sozialpopulistische Rückhand getreten: Veränderung träfe die Armen

Das „Lied von denen, auf die alles zutrifft und die alles schon wissen“ endet 33 Zeilen später mit den Versen „und dass wir das schon wissen / das wissen wir schon“. Hans Magnus Enzensberger hat es geschrieben, allerdings schon 1967. Zehn Jahre danach forderte Jimmy Carter seine Landsleute in landesväterlicher Freundlichkeit auf, weniger Strom zu verbrauchen, die Häuser besser zu isolieren und nicht länger mit den großen Schlitten zu fahren. Er besteuerte die Ölkonzerne, gab die Umweltstudie „Global 2000“ in Auftrag, in der zum ersten Mal von einer Klimaveränderung die Rede war. Auf dem Dach des Weißen Hauses ließ er Sonnenkollektoren installieren. Vier Jahre darauf demontierte Ronald Reagan die Anlage, strich das Energiesparprogramm, entließ Hunderte von Forschern, die Windparks verrotteten.

Greta Thunberg spricht mit US-Senatoren über die Klimakrise.jpg

Wer versteht die Wahrheit, welche er nicht hören will oder darf !

Unsere Generation und die unserer Kinder und Enkel – so schrieb es vor 33 Jahren der Zoologe Hubert Markl – werden zu tätigen Zeugen einer gewaltigen Umwälzung des Lebens auf unserer Erde. „Vor unseren Augen, unter unseren Händen geht eine erdgeschichtliche Epoche zu Ende, die viele Jahrmillionen Bestand hatte. Nur blinder Stumpfsinn könnte sich dieser Tragik verschließen. Was bevorsteht, ist ebenso klar erkennbar wie bitter.“ Natur sei nun zur Kulturaufgabe geworden.

Zwanzig weitere Jahre dauerte es dann, bis sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse gegen die milliardenschweren Leugnungskampagnen durchgesetzt hatten, und noch einmal ein Jahrzehnt bis zum Pariser Abkommens im Jahr 2015. Dann kamen ein paar heiße Sommer, Greta Thunberg sprach vor der UNO, und in einem Wandelgang machte ihr die Kanzlerin klar, dass es sehr wichtig sei, aber dass sie auch die Menschen in ihrem Wahlkreis mitnehmem müsse. Und Friedrich Merz befand: das Mädchen sei krank.

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Dreieck statt Achse

Erstellt von Redaktion am 22. Februar 2022

Schland droht mit Merkel wenn Berlusconi kommt ?

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Von Michelangelo Freyrie

Deutschland und Italien wollen stärker zusammenarbeiten. Pläne für ein politisches Dreieck Berlin–Paris–Rom stoßen aber nicht überall auf Euphorie.

Die deutsch-französische Freundschaft ruht auf weltbekannten Symbolbildern. Viele erinnern sich an das Foto von Kohl und Mitterrand, Hand in Hand auf dem Kriegsfriedhof von Verdun. Das Signal war eindeutig: Nach Jahrzehnten Krieg setzen Deutschland und Frankreich auf Partnerschaft und enge politische Zusammenarbeit. Beamtenaustausch, Sicherheitsberatungen, bilaterale Absprachen in internationalen Gremien gehören heute zum europapolitischen Alltag der beiden Länder.

Italiens Beziehung mit Deutschland und Frankreich kann kaum auf ähnliche  Symbole zurückgreifen. Von Italien aus gesehen, stammt das prägnanteste Bild des deutsch-französischen Paars aus der Schuldenkrise 2011, als Italien kurz vor einer Staatspleite stand. Damals beriefen Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy eine gemeinsame Pressekonferenz ein; auf die Frage eines Journalisten, ob die beiden noch Vertrauen in das Krisenmanagement des damaligen italienischen Premierministers Silvio Berlusconi hätten, reagierten die Regierungschefs (verständlicherweise) mit einem lächelnden Blick. Der Clip schlug europaweit Wellen und wurde auch von den italienischen Gegnern Berlusconis missbilligt: Für viele galt es als die plastische Darstellung eines Direktoriums, das die immerhin legitime Regierung eines anderen Mitgliedstaates süffisant kleinredete.

Das Lächeln von Merkel und Sarkozy traf den Nerv eines Landes mit starken politischen Minderwertigkeitsgefühlen. Die häufigen Regierungswechsel und ein dysfunktionaler Staatsapparat sind die größten Mankos eines Landes, das aus volkswirtschaftlicher Sicht eigentlich zu den stärksten Europas gehört. Dementsprechend hat in Rom die deutsch-französische „Achse“ immer den Verdacht erregt, man habe Italien aus dessen legitimem Platz im vermeintlichen Führungsstab Europas ausgeschlossen. Das jüngste Treffen zur Ukrainekrise zwischen USA, Deutschland, Großbritannien und Frankreich hat sicherlich nicht geholfen.

Vor dieser gefühlspolitischen Kulisse kündigte Kanzler Scholz im Dezember einen gemeinsamen „Aktionsplan“ an, um die Partnerschaft zwischen Deutschland und Italien zu stärken. Die politischen Umstände sind dafür äußerst günstig. Das Input der beiden Botschaften traf in Berlin auf eine Ampelregierung, die Deutschlands Europapolitik mehrheitlich umgestalten will, während in Rom gerade ein regelrechter Vertragseifer herrscht. Die sehr breite Koalition unter dem ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi hat im November den sogenannten Quirinal-Vertrag mit Frankreich geschlossen, ein langjähriges Projekt der italienischen Diplomatie, das die Beziehung zwischen den Nachbarländern stabilisieren will.

Datei:Karte Europa 1923-de.svg

Der Quirinal-Vertrag wird auch als Versuch verstanden, die Vormacht der „deutsch-französischen Achse“ zu relativieren; der gemeinsame Standpunkt von Draghi und Macron bezüglich flexibleren europäischen Schuldenregeln hat sicher auch geholfen. Konsens in Rom ist allerdings auch, es sei jetzt wichtig, das „Dreieck“ zwischen den drei Ländern zu schließen und eine äquivalente Vereinbarung mit Deutschland zu schaffen. Der Besuch von Außenministerin Baerbock im Januar zeigt, dass man sich bereits in vielem einig ist, etwa hinsichtlich der engen Wirtschaftsverflechtung (viel stärker als die mit Frankreich), ähnlichen Perspektiven auf Migration oder einem gemeinsamen Standpunkt zu Nato und europäischer Sicherheit.

Auf deutscher Seite jedoch herrscht Irritation hinsichtlich dieses „geometrischen Denkens“, und breite Freundschaftsverträge entsprechen eigentlich auch nicht dem diplomatischen Stil der Bundesrepublik. Dazu kommt, dass Migration der einzige EU-Bereich ist, in dem eine engere Zusammenarbeit mit ausgewählten Partnern bevorzugt wird. Der Idee eines in Rom und Paris bevorzugten „Kerneuropas“ enger politisch verflochtener Mitgliedstaaten hat Berlin immer eine klare Absage erteilt. Vorabsprachen mit dem Élysée, etwa zu Russland-Sanktionen, werden von deutschen Funktionären eher als eine Form von Arbeitsteilung verstanden, nicht als Vorpreschen gegenüber anderen Mitgliedstaaten.

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„Absichtlich rechtswidrig“

Erstellt von Redaktion am 22. Februar 2022

Philosoph zu Autobahn Blockierer – In­nen

Aufstand der Letzten Generation - Strassenblockade 02.jpg

Das Interview mit Robin Celikates führte Ruth Lang Fuentes

Klimaaktivisten blockieren Autobahnen und wollen Flughäfen stilllegen. Ist das noch legitim? Der Sozialphilosoph Robin Celikates sieht genauer hin.

taz: Herr Celikates, durch Kohlebaggerblockaden, Waldbesetzungen und Schulstreiks vonseiten der Klimabewegung hat der Begriff des „zivilen Ungehorsams“ erneut an Aufmerksamkeit gewonnen. Seit Ende Januar blockieren Ak­ti­vis­t:in­nen der „letzten Generation“ fast täglich Autobahnen und nun auch Straßen im Hamburger Hafen. Was definiert zivilen Ungehorsam?

Robin Celikates: Zivilen Ungehorsam zeichnen vor allem zwei Elemente aus: Er hat im Unterschied zu legalen Formen des Protests einen absichtlich rechtswidrigen Charakter. Und er ist nicht bloß symbolisch, sondern greift auf eine disruptive Art und Weise in die tägliche Ordnung ein. Er soll Aufmerksamkeit generieren und die Dringlichkeit des Anliegens unterstreichen. Es handelt sich nicht um rein kriminelle Taten oder unmotivierte Randale, sondern um einen prinzipienbasierten Protest. Die Akteure berufen sich auf anerkannte moralische, politische, zum Teil rechtliche Prinzipien und wollen bestimmte Veränderungen erreichen. Im Unterschied zu einem militanten Aufstand sind die Aktionsformen dabei, auch wenn sie vielen radikal erscheinen, ziemlich gemäßigt und verzichten auf organisierte Gewalt.

Ricarda Lang findet zivilen Ungehorsam legitim, solange es friedlich ist. Ihrer Definition zufolge ist er doch immer friedlich?

Das Wort „zivil“ wird manchmal so interpretiert, dass ziviler Ungehorsam gewaltlos oder friedlich sein muss. In Deutschland kann eine Sitzblockade – eigentlich ein paradigmatisches Beispiel für gewaltfreien Ungehorsam – jedoch als eine gewaltsame Nötigung aus Sicht des Strafrechts erscheinen. Moralische Helden wie Martin Luther King oder Gandhi, die heute für friedlichen Ungehorsam stehen, wurden zu ihrer Zeit als gewaltsame Terroristen diffamiert. Heute sieht man ähnliche Dynamiken. Für mich ist eine Blockade auf der Autobahn zunächst einmal eine friedliche Form des Protestes. Nur weil Leute auf zum Teil natürlich sehr unangenehme Weise in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden, ist das nicht per se gewaltsam. Man muss also genau prüfen, was mit „friedlich“ und „zivil“ jeweils gemeint ist.

Henry David Thoreau, Begründer des heutigen „zivilen Ungehorsams“, sagte: „Nur eine einzige Verpflichtung bin ich berechtigt einzugehen und das ist jederzeit zu tun, was mir gerecht scheint.“ Der „Aufstand der letzten Generation“ besteht aus vielleicht höchstens 100 Leuten in ganz Deutschland. Welche Legitimation hat ihr ziviler Ungehorsam?

Dieses Thoreau-Zitat ist bedenklich und weist auf die Gefahren eines individualistischen zivilen Ungehorsams hin, bei dem es egal ist, ob man sich auf geteilte Prinzipien bezieht oder andere überzeugen kann. Auch Hannah Arendt kritisierte das scharf: „Woher weiß ich, dass du ein moralischer Held und kein Fanatiker bist? Du musst deine Prinzipien auch im Dialog mit anderen erläutern.“ Die Ak­ti­vis­t:in­nen tragen die Verantwortung, ihre Gründe darzulegen und zu erklären, warum ziviler Ungehorsam der einzige Weg ist, dafür einzustehen. Der Ungehorsam kann sich ja sogar auf Prinzipien berufen, die im Grundgesetz verankert sind, wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, soziale Gerechtigkeit oder die Verantwortung für zukünftige Generationen. Über diese Prinzipien besteht erstmal kein Dissens. Nur haben die Protestierenden eine viel weitergehende Interpretation, zu was uns diese Prinzipien konkret verpflichten, und weisen darauf hin, dass die aktuelle rechtliche Lage und die politischen Verhältnisse weit hinter diesen Selbstverpflichtungen zurückbleiben.

Zu sagen: Wir blockieren Autobahnen, bis das Essen-Retten-Gesetz steht. Ist das nicht Erpressung?

Der Vorwurf trifft nicht. Erpressung heißt, anderen durch Androhung von Gewalt oder tatsächliche Gewalt etwas abzunehmen, um sich selbst zu bereichern. Die Ak­ti­vis­t:in­nen wollen ja kein Lösegeld von Olaf Scholz. Sie wollen, dass im allgemeinen Interesse der jüngeren Generationen gehandelt wird. Die Diffamierung als Erpressung, die man aus der Bild-Zeitung oder konservativen Kreisen kennt, geht an der Realität des Protestes vorbei. Die Ak­ti­vis­t:in­nen wollen die Politik zum Handeln bewegen, indem die Kosten durch Blockaden in die Höhe getrieben werden. Wenn man keine zusätzliche Überzeugungsarbeit leistet, riskiert man aber den Vorwurf der Nötigung. Deswegen muss man auch versuchen, zu überzeugen. Das wird bei den Leuten in den Autos natürlich schwer sein, auch wenn deren Reaktionen sicher gemischt sind. Es geht um die breite Öffentlichkeit.

Kann ziviler Ungehorsam, der in der Gesellschaft zu viel mehr Unmut führt als Überzeugung, überhaupt effektiv sein, um seine Ziele zu erreichen?

Der Aufstand der Letzten Generation blockiert Straße am Hauptbahnhof (51848567803).jpg

Die Frage ist: Was ist das Ziel, und bringt dieses Mittel uns dem Ziel näher? Bringt man die Autofahrer auf die eigene Seite? Eher nein. Bekommt man viel mediale Aufmerksamkeit? Ja. Insofern ist die Strategie aufgegangen. Allerdings wird zu wenig über das gerechtfertigte Ziel gesprochen. Alle reden über den Krankenwagen, der nicht durchkommt und über die schwangere Frau. Das liegt auch daran, dass der genaue Zusammenhang zwischen der Blockade der Autobahn und dem Anliegen nicht auf der Hand liegt, wie es zum Beispiel bei einer Castor-Blockade der Fall ist. Wenn es bei der Diskussion nur noch um die Skandalisierung der Mittel geht, muss man sich überlegen, ob es andere bessere Adressaten für Blockaden gäbe, etwa Lebensmittelkonzerne oder Ministerien.

Darf die Regierung überhaupt nachgeben? Besteht nicht die Gefahr, dass trotz gerechtfertigter Forderungen bei Erfolg der Aktionen je­de:r anfängt, für seine individuellen Überzeugungen und Ziele zu solchen Mitteln zu greifen und unsere Infrastruktur kollabiert?

Es braucht schon eine sehr starke moralische Überzeugung, um die Risiken des Ungehorsams in Kauf zu nehmen und sowas auch durchzuziehen. Viele Errungenschaften der Demokratie, die wir heute für gegeben halten, sind Ergebnis genau solcher Kämpfe. Sie haben dazu geführt, dass heute Frauen gleiche Rechte haben wie Männer oder Mi­gran­t:in­nen mehr Rechte als vor ein paar Jahrzehnten. Sowas passiert meistens nicht aus Eigeninitiative des politischen Systems heraus, sondern muss auf den Straßen erkämpft werden. Daher ist ziviler Ungehorsam ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie, ja der Demokratisierung der Demokratie. Die Regierung soll ja auch nicht einfach nachgeben, sondern auf die inhaltlich richtige Argumentation eingehen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Das ist kein Eingeständnis von Schwäche. Frankreich ist auch nicht untergegangen, nur weil es dort ein Gesetz gibt, das das Wegwerfen von Lebensmitteln verbietet.

Eigentlich möchte man meinen, dass man gerade in Demokratien eben keinen zivilen Ungehorsam braucht. Ist er ein Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt an der Demokratie?

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Oben       —   Aufstand der Letzten Generation – Strassenblockade in Freiburg für eine Agrarwende, 7. Februar 2022

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Ein Leben ohne Auto

Erstellt von Redaktion am 20. Februar 2022

30 Milliarden Euro für klimaschädliches Mobilitätsverhalten

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Von Michael Kopatz

Für ein Umdenken weg vom Auto braucht es einen äußeren Impuls. Der könnte in Form einer Abschaffprämie kommen. Vorläufig wird hingegen belohnt, wer am Auto festhält.

Verkehrswende rückwärts: mehr Autos, mehr PS und mehr Straßen. Die Pendelstrecken werden länger und das Fahrzeuggewicht schwerer. Findet die Autonation Deutschland einen Weg zum Weniger? Es sollte 2.000 Euro vom Staat geben, wenn man sein Auto abschafft. Verkehrsexperten vom Wuppertal Institut gehen davon aus, dass viele Menschen in urbanen Räumen eine „Abschaffprämie“ zum Anlass nähmen, zunächst für ein Jahr den Kauf eines neuen Wagens aufzuschieben und anschließend auch ohne Privatauto glücklich zu leben.

Vor einigen Jahren hatte ich eine interessante Begegnung im Zug. Mir gegenüber saß ein Geschäftsmann aus der Automobilindustrie. Wir kamen ins Gespräch und nach einer Weile fragte ich: „Warum fahren ausgerechnet Sie (als Mann der Autobranche) mit der Bahn, sogar mit einer BahnCard 100?“ Seine Antwort: „Vor einigen Jahren habe ich mir den Fuß gebrochen. Daraufhin meinte der Chirurg, ich könne jetzt ein Jahr kein Auto fahren, ich war auf die Bahn angewiesen. Anschließend konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen, mit dem Auto zu fahren. Wenn ich jetzt nach Hause komme, sind die Berichte geschrieben, die Listen fertig und ich habe meistens Feierabend. Früher musste ich mich dann noch Stunden an den Schreibtisch setzen. Deswegen ist es für mich auch nicht so schlimm, wenn es mal etwas später wird mit der Bahn.“

So wie der Geschäftsmann haben alle Menschen Gewohnheiten und Routinen. Als Routine bezeichnen Psychologen das, worüber man nicht mehr nachdenkt, nicht mehr nachdenken muss. Das macht sie so nützlich. Sie entlasten und ermöglichen es, dass die Menschen sich auf das konzentrieren können, was eine bewusste Entscheidung verlangt. Anders wäre der Alltag gar nicht zu bewältigen. Sie lenken das Fahrzeug, ohne die einzelnen Handlungsabläufe zu planen. Und sie erledigen ihre Einkäufe, Arbeitswege und vieles mehr mit dem Auto, einfach, weil sie es immer so gemacht haben.

Die Umstellung auf ein Leben ohne eigenes Automobil wird als radikal empfunden – auch von weiten Teilen der grünen Bewegung. Es ist sozial­kulturell und mental fest verankert. Es ist einfach sehr bequem – meistens. Und man hat seine Privatsphäre.

Stau auf der Autobahn, nervige Parkplatzsuche, steigende Spritpreise und Parkplatzgebühren reichen offenbar nicht aus, um einen Wandel der Mobilitätskultur einzuleiten. Die Frustrationstoleranz ist enorm. Der Autobestand nimmt kontinuierlich zu, inzwischen sind mehr als 48 Millionen und damit knapp sieben Millionen Pkw mehr auf Deutschlands Straßen als 2010. Der Carsharing-Trend hat diese Entwicklung nicht umgekehrt.

Doch was könnte ein Umdenken auslösen? So wie gestresste Menschen nach einem Herzinfarkt ihr Leben neu ordnen, erging es dem Geschäftsmann aus der Automobilindustrie. Der komplizierte Fußbruch veranlasste ihn, über Alternativen nachzudenken, die er vermutlich sonst nie erwogen hätte. Er fährt mit der Bahn! Es braucht also einen kräftigen Impuls von außen, um alte Gewohnheiten infrage zu stellen.

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Vorläufig scheint die Bundesregierung nicht daran interessiert zu sein, dass die Leute Abschied vom geliebten Fahruntersatz nehmen. Im Gegenteil verschenkt Berlin Milliarden, damit sie ihre automobilen Gewohnheiten beibehalten. In Deutschland gibt es viel Geld vom Staat, wenn man einen Dienstwagen fährt, wenn man einen Diesel fährt, wenn man E-Auto fährt, wenn man ein Hybrid-Auto kauft oder wenn man zur Arbeit pendelt. Insgesamt fördern die Behörden klimaschädliches Mobilitätsverhalten mit knapp 30 Milliarden Euro, bilanziert das Umweltbundesamt. Nur wenn man sein Auto abschafft, dann gibt es kein Geld. Warum gibt es keine Förderung für das Naheliegende, wo es doch der effektivste Beitrag zu Klimaschutz und Verkehrswende wäre, den man leisten kann.

Funktionieren würde es so: Wer sein privates Auto abschafft und mindestens für ein Jahr autofrei bleibt, bekommt 2.000 Euro. Zum Vergleich: Im Jahr 2009 gab es für die Verschrottung 2.500 Euro, heute bekommen Käufer eines E-Autos bis zu 9.000 Euro.

Der Bund zahlt, die Städte können die Prämie mit eigenen „Incentives“ verstärken: etwa durch ein günstiges Ticket für den Nahverkehr, einen Zuschuss für E-Bike oder Cargobike und – ganz wichtig – besondere Angebote für Carsharing. Denn die Umstellung fällt leichter, wenn sich ein Gemeinschaftsauto in unmittelbarer Nähe befindet.

Es gab Modellprojekte wie etwa „Ein Monat ohne Auto“ oder „autofasten“. Doch zum einen war der Zeitraum viel zu kurz, denn so schnell werden Alternativen zum Getränkeholen, Kinderwegbringen und mehr nicht zur Routine. Zum anderen stand der Privatwagen bei den Testhaushalten weiter vor der Tür. Nach einem Monat war dann eher klar: ohne ist es extrem umständlich und der Wagen muss bleiben. Ein Selbstversuch über ein Jahr wäre hingegen lang genug, um neue Routinen zu etablieren.

Diese innovative Form einer Abwrackprämie könnte als Milliardenprogramm die Transformation der Mobilitätskultur initiieren. Wenn man die Prämie auf 2.000 Euro festlegt, würden bei einem Gesamtvolumen von vier Milliarden Euro zwei Millionen Autos abgeschafft. Vorausgesetzt freilich, es finden sich genügend Interessenten.

Der Zeitpunkt ist günstig, aktuell wünschen sich knapp 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger weniger Autos in ihrer Gemeinde und rund 40 Prozent können sich vorstellen, zukünftig auf ein eigenes Auto zu verzichten, wie eine Befragung aus dem Jahr 2019 ergab. Demnach haben Millionen Menschen schon einmal darüber nachgedacht, ihr Auto abzuschaffen. Der naheliegende Moment für eine Umsetzung ist, wenn man seinen alten Wagen abstoßen will und einen neuen anschaffen.

Der Kaufpreis macht beim Privatwagen den größten Anteil aus. Anschließend ergeben sich nur die Kosten für den Unterhalt, und in der Regel sehen die Nutzenden allein den Spritpreis. Im Vergleich dazu erscheinen Bus und Bahn dann sehr teuer, ebenso wie Carsharing, weil dort mit jeder Fahrt die gesamten Unkosten abgerechnet werden. Aus dem Besitz des Fahrzeugs ergibt sich regelrecht der ökonomische Zwang, es auch zu nutzen. Die Rahmenbedingungen für eine Abschaffungsprämie sind günstig, denn die politische Debatte zur Verkehrswende nimmt an Fahrt auf. Der Bund hat seine Investitionen in die Bahn deutlich erhöht, viele Städte verbessern ihre Nahverkehrs- und Sharingangebote, erweitern ihre Radwegenetze, und vieles mehr. München, Hamburg und Berlin haben mit dem Rückbau von Parkflächen begonnen. Parken wird teurer und der Treibstoffpreis steigt. All das hat bisher nicht bewirkt, dass sich nennenswerte Teile der automobilen Stadtgesellschaft vom Privatauto trennen. Hier setzt die Prämie an. Sie soll eine gesellschaftliche Debatte in Gang bringen.

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Ein Klimadeal mit Russland

Erstellt von Redaktion am 17. Februar 2022

Die EU kann Russland Alternativen bieten

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Von Karl-Martin Hentschel

Russland hat mit dem Export von Öl und Gas nur auf absehbare Zeit eine sichere wirtschaftliche Existenz. Russland hat zwar das Pariser Abkommen unterschrieben, plant aber kaum Klimaschutzmaßnahmen.

Es ist erstaunlich! Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt wird über die Versorgung von Deutschland mit Gas und die Pipeline Nord Stream 2 und Kohlegruben im Osten der Ukrai­ne geredet, was in Zeiten des Klimawandels recht seltsam anmutet. Warum verhandeln Annalena Baerbock oder Emmanuel Macron mit Russland stattdessen nicht über handfeste langfristige ökologische und ökonomische Lösungen. Die EU und gerade Deutschland können Russland viel bieten, wenn sie es klug anstellen.

Die Ausgangssituation für Russland ist extrem schwierig. Die russischen Exporte resultieren in den letzten Jahren zu fast zwei Dritteln aus dem Export von fossilen Rohstoffen. Mit den Einnahmen aus dem Erdgas für unsere Heizungen bezahlt Russland die Importe von Maschinen und Konsumgütern aus Deutschland. Die drei mit Abstand größten russischen Konzerne Gazprom, Luk­oil und Rosneft produzieren Öl und Gas. Im russischen Staatshaushalt bringen die Steuern und Zölle auf fossile Energien fast die Hälfte der Einnahmen. Als in den 1990er Jahren diese Einnahmen wegfielen, konnte der damalige Präsident Boris Jelzin die Renten nicht mehr bezahlen. Das Renommee von Putin basiert nicht zufällig auf der Renationalisierung großer Teile der Energiewirtschaft, die nach der Perestroika privatisiert worden war. Auch wenn die Renten nicht hoch sind und Millionen von Rentnern durch Nebenjobs etwas dazu verdienen müssen, hat Putin zumindest dafür gesorgt, dass die Renten pünktlich bezahlt werden. Mittlerweile wurden aus den Öl- und Gas-Einnahmen sogar über 150 Milliarden Dollar in einem sogenannten Wohlfahrtsfonds zurückgelegt, der auch als geheime Kriegskasse dient und sicherstellt, dass Russland im Falle von Sanktionen zahlungsfähig bleibt.

Noch setzt Russland auf steigende fossile Exporte. Nach der aktuellen Energiestrategie von 2020 soll der Export von Kohle bis 2035 um 20 bis 90 Prozent zunehmen, der von Erdgas um 50 bis 100 Prozent. Dies soll durch erhöhte Förderung und durch den Ausbau der Atom- und Wasserkraft für die heimische Energieversorgung ermöglicht werden. Dagegen kommen Wind- und Solarenergie in den Planungen schlicht nicht vor.

Und was ist mit dem Klimaschutz? Russland hat zwar das Pariser Abkommen unterschrieben, plant aber kaum Klimaschutzmaßnahmen und beruft sich darauf, dass sich durch die Perestroika die CO2-Emissionen seit 1990 halbiert haben. Eine Senkung der Emissionen ist bislang nur durch Aufforstungsmaßnahmen vorgesehen. Die Emissionen der Energiewirtschaft bleiben nach dem Protest der Konzerne Gazprom und Co. unangetastet. Bis 2030 sollen die Emissionen nach der aktuellen Planung sogar um 50 Prozent zunehmen. Erst für die Zeit danach hat Putin eine Senkung versprochen.

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Was also kann Russland der EU bieten, wenn die Gas- und Ölexporte nicht mehr benötigt werden? Und was kann die EU bzw. Deutschland Russland anbieten? Das „Handbuch Klimaschutz“ rechnet auf Basis der vorhandenen wissenschaftlichen Studien damit, dass Deutschland bis 2040 maximal 1.200 Terawattstunden Primärenergie – davon 90 Prozent Strom aus Solar- und Windkraftwerken – bereitstellen kann. Damit kann der heimische Strombedarf mehr als abgedeckt werden.

Trotzdem wird Deutschland weiterhin ein Drittel der Primärenergie importieren müssen. Dabei geht es nicht um Strom, sondern um grünes Kerosin für den Flugverkehr, grünen Treibstoff (voraussichtlich Methanol) für die Schifffahrt, grünes Naphta (Rohbenzin), Ammoniak und andere Rohstoffe für die chemische Industrie. Als Lieferanten kommen solche Regionen in Frage, in denen günstig in großen Mengen mit Wind und Sonne erneuerbarer Strom produziert werden kann. Abu Dhabi, Marokko und Jordanien sind schon besonders aktiv und veranstalten regelmäßig internationale „Desertec-Konferenzen“, wo Regierungen, Forschungseinrichtungen und internationale Konzerne die Zukunft ohne Kohle, Öl und Gas planen. Aus Deutschland sind unter anderem Siemens, EON, Thyssen-Krupp und die Fraunhofer-Gesellschaft beteiligt.

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Oben     —        „This agreement will be seen as a historic moment, a time when the world came together, turned the corner and decided we would put words into action and embrace one our greatest challenges, combating the threat of climate change.“ – Administrator Gina McCarthy. Read more about the agreement here: go.wh.gov/ClimateTalks ‪#‎ParisAgreement‬ ‪#‎COP21‬

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Unten     —     The Eiffel Tower in Paris, France, is illuminated in green to celebrate the entry into force of the Paris Agreement, the most ambitious climate change agreement in history, on November 4, 2016. [Photo by Jean-Baptiste Gurliat/ Mairie de Paris]

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Chinas Diktaturshow ?

Erstellt von Redaktion am 15. Februar 2022

Die perversen Spiele von Peking

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Ohne die Schausteller – keine Kirmes? Das gleiche gilt für Politiker-Innen.

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Chinas Olympische Winterspiele betrachten selbst die Sportler kritisch, die daran teilnehmen. Die Diktaturshow entlarvt aber nur, was für den sogenannten Profisport generell gilt: Er passt nicht in die Zeit.

Das interessanteste Interview zu den Olympischen Spielen in China, das ich bislang gesehen habe, hat der Ex-Skiprofi Felix Neureuther mit dem Bobfahrer Johannes Lochner im Rahmen einer insgesamt sehr sehenswerten ARD-Doku geführt. Beide stehen dabei im staubigen Rohbau eines Hauses. Lochner bohrt Löcher, um einen Verteilerkasten an der Wand zu befestigen. Der mehrmalige Bobweltmeister, der trotzdem immer nur die Nummer zwei hinter Francesco Friedrich bleibt, arbeitet nämlich im Elektroinstallationsbetrieb seiner Eltern.

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Gute Reise Elon Musk

Erstellt von Redaktion am 15. Februar 2022

Gute Reise und immer schön Oben bleiben

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Quelle:    Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Weil ein vielschillernder Milliardär wie Elon Musk Kapital als Maß aller Dinge sieht und mit Geld alles für machbar hält, hat er offenbar keinen Blick mehr für die Folgen und Risiken seiner Umtriebe. So z.B. mit seinem Unternehmen SpaceX, das mal so ganz nebenbei 40 Satelliten durch einen geomagnetischen Sturm verlor, einfach so in der Erdatmosphäre verbrannt.

Ähnlich bizarre Umtriebe leiten auch die Milliardäre Branson und Bezos, die sich einen sündhaft teuren Konkurrenzkampf im Weltraumtourismus liefern. Ihre Reisekapseln voller Geldprotze sind nicht nur den immer wieder auftretenden geomagnetischen Stürmen, sondern auch noch einem permanentem Weltraumschrottgürtel rund um unseren Globus ausgesetzt. Der kann die Kapseln samt Insassen zerbröseln und zu weiterem Weltraumschrott machen, bis der dann auch einmal in der Erdatmosphäre verglüht oder mit anderem Schrott kollidiert. Welch herrliche Reiseerlebnisse, die man nicht nur mit exorbitanten Reisekosten, sondern hochriskant auch noch mit dem Leben bezahlt.

Allzu leicht und gerne lassen wir uns von den Erfolgen der Raumfahrt beeindrucken, ohne allerdings zu hinterfragen, was uns das alles bringt. In der Schwerelosigkeit im Raum werden uns beeindruckende schwebende Bewegungen der Astronauten vorgeführt, während der damit verbundene Stützmuskelschwund und die Unfähigkeit des aufrechten Gehens bei der Rückkehr zur Erde eher vertuscht werden. Kaum jemand macht sich eine Vorstellung von den mühsamen und umfassenden Vorbereitungen und Nachbehandlungen der Astronauten. Einmal kurz rauf und runter mag da für unseren Körper noch verkraftbar sein. Aber für soviel Geld und ohne Nutzen, ausser für die Befriedigung persönlicher Eitelkeit, scheint das Risiko einer Zerschmetterung im All eher nicht vertretbar.

Nun, die ersten 40 Satelitten von SpaceX sind verglüht, bevor das eigentliche Starlink-Projekt mit 4000 Satelliten rund um unseren Globus in etwa 210 km Höhe mit dem Ziel eines schnelleren Internet richtig gestartet ist. Für die Mehrheit der Menschen ist das Internet schnell genug. Viele machen lieber eine Fahrt mit dem Postschiff Hurtigruten in den Norden von Norwegen, um sich dort von den Polar-Lichtern beeindrucken zu lassen. Eben diese können sehr gefährlich werden, wenn man ihnen zu nahe kommt. Neben den Großraumsatteliten ISS und Tiangong (von China) sind derzeit noch tausende Satelliten aller Art und Größe für Telefonie, Wettervorhersagen, Information/TV, Ausspähung etc. unterwegs.

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Viele Flaschen sind schon leer – bevor sie ankommen. 

Und in diesem bunten Treiben gibt es keine Verkehrsordnung. Hienieden würde sich kein Mensch mit Verstand einem solchen Chaos aussetzen. Ganz zu schweigen von dem Dreck der Reise und der Armut, die man mit dem verpulverten Geld lindern könnte. Auf jeden Fall kann einem Angst und Bange werden, wenn man daran denkt, was da so alles über unseren Köpfen im Raum herumrast und welche Auswirkungen das für unsere Erde haben wird. Menschen aber, die ihren Verstand mit Geld dressieren, sehen und verstehen die Zweifel an ihrem Treiben nicht. Pecunia non olet, ergo sum! Geld stinkt nicht, also bin ich! Na, dann gute Reise! Und sei es ohne Wiederkehr.

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Olympia und die Umwelt

Erstellt von Redaktion am 14. Februar 2022

Ende vom Wanderzirkus

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Von Alina Schwermer

Winterspiele mit 100 Prozent Kunstschnee – nicht erst in China steht Nachhaltigkeit ganz hinten an. Neue Formate für Olympia sind lange überfällig.

Die braunen Hänge zwischen den Skipisten und Loipen sieht man auf den Fernsehbildern nur selten. Routiniert fangen die Kameras ein verschneites Winterwunderland ein, weiße Pisten vor weißen Hängen. Wie Mehlspuren aber ziehen sich die Bänder von Kunstschnee durch eine staubtrockene, braune Bergregion. Zum ersten Mal finden die Winterspiele wohl zu 100 Prozent auf Kunstschnee statt – weil man sie in eine Region gegeben hat, in der es kaum regnet, geschweige denn schneit.

Nachhaltige Anden-Spiele, Donau-Spiele, südostasiatische Spiele

Die ökologische Bilanz dieser Olympischen Spiele wird, dafür muss man keine Prophetin sein, trotz einiger Bemühungen wieder einmal verheerend sein. Ein enormer Wasserverbrauch für Hunderte Schneekanonen, die Zerstörungen im Naturschutzgebiet Songshan, Neubauprojekte, deren zukünftiger Nutzen mehr als unsicher ist: die Pisten für Ski-Alpin-Rennen, die Skisprungschanze, für die 1.500 Menschen umgesiedelt wurden, die Bobbahn für über 2 Milliarden Euro, das neue Biathlonzentrum ohne Weiternutzung und das neue Skilanglaufzentrum.

Über all das wurde berichtet. Der deutsche Biathlet Erik Lesser schrieb: „Zu wissen, wie diese Gegend zuvor ausgesehen hat, macht mich so traurig. All das für drei Wochen.“ Es ist an der Zeit, angesichts der Klimakatastrophe und der ökologischen Zerstörung das Format Olympia grundsätzlich zu überdenken. Und Zeit für ein Ende des Wanderzirkus.

Viel Kritik in puncto Nachhaltigkeit fokussiert sich aktuell auf China als Gastgeber: die fehlende chinesische Wintersporttradition zum Beispiel, weswegen viele Stätten neu gebaut werden, und die Autokratie, durch die kein Raum für Proteste ist. Aber das ökologische Desaster ist weder ein chinesisches Spezifikum, noch Spezifikum einer Autokratie.

Ein internationales Team von For­sche­r:in­nen hat 2021 die Human- und Umweltkosten für Olympische Sommer- und Winterspiele von Albertville 1992 bis Tokio 2021 untersucht, darunter die Zahl der Neubauten, die Nachnutzung, den ökologischen Fußabdruck der anreisenden Fans, aber auch Zwangsumsiedlungen und Widerstand in der Bevölkerung. Die Bilanz: Die Spiele seien ökonomisch, ökologisch und sozial über die Zeit immer schädlicher geworden.

Die Spiele werden immer schädlicher

Wer die Chefbehörde IOC und ihren Größenwahn kennt, den überrascht das nicht. Mit 16 Wettbewerben starteten 1924 die ersten Winterspiele in Chamonix. In Peking sind es 109. Die Zahl der Ath­le­t:in­nen hat sich derweil mehr als verzehnfacht. Von Mal zu Mal werden die Spiele größer, galaktischer, teurer. Für jede Nachnutzung, die gelingt, veröden in Rio, Athen oder Turin Geisterstadien, Olympiaparks und megalomanische Investitionsruinen.

Die Spiele im demokratischen Tokio waren laut Studie ökologisch fast ebenso desaströs wie Sotschi, das viel gelobte London 2012 schnitt im Gesamtranking schlechter ab als Peking 2008. Demokratie schützt vor Zerstörung nicht, wo Wachstum das Prinzip ist. Diese Spiele des 20. Jahrhunderts brauchen dringend ein neues Konzept. Das heißt auch: feste Stätten. Olympia ist ein Wanderzirkus. Allerdings einer, der das Zelt nicht mitbringt.

Es ist durchaus ein Fortschritt, dass Nachhaltigkeit bei der Infrastruktur zunehmend mitgedacht wird. Peking 2022 verwendet Sportstätten von 2008 wie das Vogelnest und die Schwimmhalle „Water Cube“ wieder, London 2012 ließ bemerkenswert viele Sporthallen nach den Spielen wieder zurückbauen. Aber warum überhaupt wird ständig neu gebaut, wenn doch woanders fertige Anlagen bereitstehen? Schon mit Blick auf die Ressourcen ist das absurd.

Und das gilt für Winterspiele umso mehr, denn sie brauchen rare Gebilde wie Skisprungschanzen und Bobbahnen, die nach der Veranstaltung fast keinen Nutzen für die Bevölkerung mehr bringen. Die Zahl der hobbymäßigen Skeletonis und Ski­sprin­ge­r:in­nen ist bekanntlich begrenzt. Auch ökonomisch bleiben die Versprechen vom großen Wachstum oft leer.

Die Alpenschutzkommission Cipra, die sich gegen erneute Winterspiele an den Alpenstandorten wendet, schreibt, es gebe zwar einen oft kurzfristigen Boom der Bauwirtschaft, aber keinen einzigen Beleg für eine langfristige positive Wirtschaftsentwicklung vor Ort. Stattdessen komme es eher zu einem Strohfeuer – und steigenden Lebenshaltungs- und Mietkosten, steigenden Bodenpreisen und Überkapazitäten in der Hotelbranche ohne langfristige Nachfrage.

Auf wenige Austragungsorte beschränken

For­sche­r:in­nen fordern längst, nicht jedes Mal einen anderen Ort mit dem Bau einer komplett neuen Infrastruktur für die Spiele zu beauftragen, sondern zwischen einer kleinen Auswahl von Austragungsorten zu rotieren, sodass dieselben Anlagen wiederholt genutzt werden können. Das ist überfällig und im Sport nicht ohne Vorbild: Die relativ neuen „Finals“, bei denen die Titelkämpfe vieler deutscher Sportarten gebündelt stattfinden, wurden bisher jedes Jahr in Berlin ausgetragen.

Niemand käme auf die Idee, in Bremerhaven eine neue Leichtathletik-Arena zu bauen, weil die Stadt auch mal dran sein soll. Die Pokalfinals im Fußball haben feste Standorte, und „Berlin“ oder „Wembley“ wurden gerade dadurch zu Kultstätten. Wo aber würden bei Olympia diese festen Stätten stehen? Das aktuell häufig angebrachte Argument etwa alpiner Tradition, die angeblich wertvoller sein soll als Neubauten in China, ist Heuchelei. Denn die Ungleichheit ist kein Zufall.

Dmytro Pidruchnyi bei den Olympischen Winterspielen 2022 (Männer Einzel).jpg

Die bisherigen Austragungsorte der Sommerspiele befanden sich, abgesehen von Mexiko und Brasilien, allesamt im Globalen Norden. Kein afrikanischer Staat hat jemals Olympische Spiele ausgerichtet, ebenso wenig die arabischen Staaten. Auch in Zentral- oder Südostasien fanden die Spiele noch niemals statt, was angesichts der bombastischen Kosten, der nötigen Lobbypower, der geringen Kaufkraft des Publikums und der benötigten Infrastruktur nicht weiter verwunderlich ist.

Radikal verkleinerte Spiele sind nicht nur aus Nachhaltigkeitsgründen nötig, sie können erst damit wahrhaft global sein. Sie haben die Chance, endlich mehr zu sein, als ein elitäres Vergnügen weniger Metropolen, nämlich endlich das, was Olympia nie war: echte Weltspiele. Mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) wird das nicht machbar sein, auch nicht unter dem vor Gigantismus strotzenden Label Olympia.

Kleinere Spiele und größere Globalität

Feste Standorte freilich bringen ein Problem mit sich: Wie mit Menschenrechtsverletzungen umgehen? Was tun, wenn ein bisher einigermaßen sympathischer Dauerstandort plötzlich eine schlimme Regierung bekommt? Eine subversive Lösung wäre diese: gemeinsame Ausrichtung durch Regionen statt durch einen Staat. Nicht durch die Staatsmacht selbst, sondern durch NGOs, Bürger:innenvereinigungen, Umweltgruppen, mit einem von allen teilnehmenden Nationen bereitgestellten Budget.

Quelle       :       TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben     —        Mit der Spitze des Shijing Berges sichtbar.

Verfasser N509FZ         /         Quelle        :     Eigene Arbeit         /      Datum       :    7 Februar 2022, 09:37:03

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Unten       —     Dmytro Pidruchnyi bei den Olympischen Winterspielen 2022 (Einzel Männer)

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Zeit für Notwehr ?

Erstellt von Redaktion am 12. Februar 2022

„Wenn man denkt, dass Militanz jemals in der Geschichte ethisch gerechtfertigt war, dann sind es auch diese Proteste“

Eintracht hooligans2.jpg

Auch eine sich Selbsternannte Demokratie regiert nur mit Gewalt ihrer Söldner.

Von Susanne Schwarz

Die Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ sorgt mit Straßenblockaden für große Aufregung. Die Diskussion über die Legitimität radikaler Protestformen gegen Klimaschädigung ist in vollem Gange.

Meistens ist es ziemlich einfach: Sie laufen bei Rot auf die Straße und gehen nicht mehr runter. Keine große Sache eigentlich. Aber kein Auto kommt mehr durch. Was ist das für eine Gruppe, die sich „Aufstand der letzten Generation“ nennt und über die sich gerade alle aufregen?

Gegen den Berufsverkehr, den sie blockieren, haben die Aufständischen erst einmal nicht viel. Sie wollen ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung. Und weiter noch eine Politik gegen den Klimakollaps. Darauf bezieht sich auch der Name der Gruppe. Sie sieht sich als Teil der letzten Generation, die noch etwas bewirken kann, bevor die Menschheit durch die Klima­krise völlig ihrem Untergang geweiht ist. Aus dieser Dringlichkeit heraus haben die Ak­ti­vis­t:in­nen ihre Aktionsform gewählt. Sie wollen Druck machen, sodass es wehtut. Eine Massenbewegung ist der „Aufstand“ allerdings nicht gerade. Pro Aktion sind es vielleicht ein, zwei, drei Dutzend. Die kommen aber eben immer wieder. Die Polizei steckt Ak­ti­vis­t:in­nen in Gewahrsam, entlässt sie, sie kommen wieder. Angefangen haben sie in Berlin, weitere Aktionen gibt es in Hamburg, Frankfurt am Main, Stuttgart und München.

Und plötzlich liefert eine Gruppe mit zweistelliger Mitgliederzahl die Gesichter der Klimabewegung in Deutschland. Es ist nicht die Zeit für große Demos, auch aus Infektionsschutzgründen. Fridays for Future haben zwar für Ende März den nächsten globalen Klimastreik angemeldet. Ob sich aber wie 2019 irgendwann wieder jeden Freitag die Marktplätze mit Schulstreikenden füllen, die eine lebenswerte Zukunft für sich einfordern, steht in den Sternen.

Die Straßenblockaden der „Letzten Generation“ sorgen für Empörung, auch wenn die Polizei sie jeweils recht schnell auflöst. Es kursieren Videos, in denen Au­to­fah­re­r:in­nen die Ak­ti­vis­t:in­nen beschimpfen, in Selbstjustiz eigenhändig von der Straße schleifen. In einem Fall schlägt ein hysterisch brüllender Mann einer Aktivistin gar ins Gesicht. Auch in der Politik stoßen die Aktionen nicht unbedingt auf Gegenliebe. „Unangemeldete Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig“, twitterte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Und nachdem Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) diese Woche zivilen Ungehorsam in einer Diskussionsrunde zunächst „absolut legitim“ genannt hatte, sprang sie Buschmann auf Twitter bei: „Alle, die darauf warten, dass es endlich einen saftigen Koalitionskrach geben möge, enttäusche ich jetzt mal“, schrieb sie. „Ich stimme mit meinem Kollegen Marco Buschmann überein.“ Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (auch Grüne), der von Amts wegen für Fragen der Ernährung zuständig ist, sagte in der taz bereits, „dass Straßenblockaden unserem gemeinsamen Ziel schaden“.

Aufstand der Letzten Generation - Strassenblockade 02.jpg

Noch ein Gesicht der Klimabewegung in der Öffentlichkeit ist derzeit Tadzio Müller. Er gehört keiner bestimmten Organisation mehr an, war aber Mitgründer der Gruppe „Ende Gelände“ und Klimagerechtigkeitsreferent für die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Selbst Blockaden wie die der „Letzten Generation“ gehen ihm nicht mehr weit genug. Müller empfiehlt der Bewegung die Erweiterung ihrer Aktionsformen: Fossile Infrastruktur zerstören, ohne Menschen zu gefährden. „Friedliche Sabotage“ hat er das schon in zahlreichen Interviews genannt, in der taz, im Spiegel, zuletzt auf dem „Heißen Stuhl“ bei Stern TV. „Alles andere hat nichts oder nicht genug gebracht“, argumentiert er. „Und wenn man merkt, eine Strategie funktioniert nicht, dann ist es doch Quatsch, immer wieder dasselbe zu machen.“

Was Müller vorschlägt, ist im Kleinen schon Realität. Anonyme ließen in mehreren Städten Luft aus SUV-Reifen und hinterließen klimapolitische Botschaften an den Autos sowie auf der Online-Plattform Indymedia. Dort wurde kurz zuvor ein Bekennerschreiben publiziert, in dem anonyme Personen behaupten, für das Klima auf dem Gelände des Lausitzer Kohlekonzerns Bagger und andere Gerätschaften beschädigt zu haben. „Polizei und LKA ermitteln“, bestätigte ein Unternehmenssprecher der taz. Ist das nur die Radikalisierung einer Nische oder treiben diese Ak­ti­vis­t:in­nen als Pioniere die Klimabewegung vor sich her?

Wenn man Tadzio Müller fragt, ob friedliche Sabotage nicht ein Widerspruch in sich sei, redet er sich schnell in Rage. „Natürlich ist das friedlich, wie soll man denn Gegenständen Gewalt antun? Die haben keine Seele und kein Schmerzempfinden“, meint er. „Da von Gewalt zu sprechen, ist absurd.“

Das sieht die Philosophin Eva von Redecker anders. Die Wissenschaftlerin, die sich unter anderem mit Fragen des Eigentums und des sozialen Wandels beschäftigt, meint: „Ich würde sogar sagen, dass unsere gesamte Lebensweise auf Gewalt gegenüber Sachen begründet ist.“ Sie führt die Ausbeutung der Natur als Beispiel an, die weitaus größere Gewalt natürlich, die in vielen Fällen auch noch legal ist.

Vor zwei Jahren ist von Redeckers Buch „Revolution für das Leben“ erschienen, in dem sie sich auch mit der Klimabewegung auseinandersetzt. „Ich würde die aktuelle Diskussion leider eher als Zeichen der Schwäche der Bewegung werten“, sagt sie. „Die Kapazität zur Mobilisierung und Massenbegeisterung hat sich reduziert, zum einen durch die Pandemie, aber auch durch ausbleibende politische Erfolge, Repressionsmaßnahmen und Erschöpfung im neoliberalen Alltag.“

Verteilung von weggeworfenen Lebensmitteln durch den Aufstand der letzten Generation, Kaufland, Residenzstraße, Berlin (51808546243).jpg

Es stelle sich eine Art Wille der Verzweiflung ein, der zu der Überzeugung führe, die Bewegung müsse drastischer, militanter und effektiver werden, meint von Redecker. Grundsätzlich überzeuge es sie zwar nicht, dass man zur Bekämpfung von größerer Gewalt auch selbst gewalttätig sein dürfe. Aber: „Wenn man denkt, dass Militanz jemals in der Geschichte ethisch gerechtfertigt war, dann sind es auch diese Proteste.“

Von Notwehr spricht Tadzio Müller. Ob diese Argumentation vor Gericht Bestand hat? Die Lage ist kompliziert: Juristisch gesehen setzt Notwehr eigentlich voraus, dass man einem Verbrechen ausgesetzt ist. Nun kann man die Verursachung der Klimakrise für ein solches halten, die nötigen Genehmigungen vorausgesetzt ist es derzeit aber legal, dass Autos fahren und Kohlebagger baggern. Erkundigt man sich bei Jurist:innen, die mit derartigen Fällen zu tun haben, erfährt man von vielen juristischen Diskussionen um diese Frage.

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Grafikquellen          :

Oben     —  Ultras des Fußballvereins de:Eintracht Frankfurtanlässlich eines Lokalderbys (gegen Offenbach, August 2009). Die Polizei greift ein, nachdem es Verletzte gab.

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Unten     —       Aktivisten vom Aufstand der Letzten Generation retten weggeworfene Lebensmittel. Da Containern in Deutschland unter Strafe steht, schreitet die Polizei ein. Hinten links Henning Jeschke, rote Jacke Carla Hinrichs, vorn Lina Eichler, Berlin, Lager der Gorillas, Schwedenstraße, 08.01.21

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Die hohen Energiepreise

Erstellt von Redaktion am 11. Februar 2022

Teuer geht nur fair

Von Anja Krüger

Die Ampelkoalition muss mehr zur Abfederung der hohen Energiepreise unternehmen. Sonst wird soziale Klimapolitik zur Phrase.

Die steigenden Preise für Energie erscheinen vielen wie ein Menetekel künftiger Klimapolitik. Viele fürchten, dass diese so aussehen wird: Sie haben kaum Einfluss auf ihren Verbrauch, aber müssen das Zig-fache für Energie bezahlen. Das ist für viele Millionen Menschen am unteren Ende der Einkommensskala ein enormes Problem – und untergräbt die Akzeptanz für eine konsequente Klimapolitik, die nicht weiter aufgeschoben werden darf. Wenn es mehr als eine Phrase ist, dass Grüne und So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen von einer sozialen Klimapolitik sprechen, müssen sie schleunigst einen glaubwürdigen Plan vorlegen, wie diese im Hier und Jetzt aussehen soll. Sie müssen konkrete Schritte einleiten, mit denen sie gleichzeitig klimapolitisch steuern und soziale Härten vermeiden.

Nur wenn sich die Ampelregierung einen sozialpolitischen Vertrauensvorschuss erarbeitet, wird sie überhaupt die Chance haben, eine konsequente Klimapolitik zu betreiben. Sonst wird sie an drohenden sozialen Verwerfungen scheitern. Nicht in erster Linie, weil so vielen in Deutschland die Armen am Herzen liegen. Eher weil die Geg­ne­r:in­nen einer konsequenten Klimapolitik das als Vorwand nutzen, um die Energie- und Verkehrswende zu verhindern. Dass soziale Folgen instrumentalisiert werden, heißt aber nicht, dass sie kein Problem sind. Im Gegenteil.

Die Bundesregierung will Klimapolitik vor allem über den Preis betreiben. Höhere Kosten für Sprit, Strom, fürs Warmwasser oder Heizen treffen Arme, mehr oder weniger Gutsituierte und Reiche aber nicht gleichermaßen – und das ist ein grundsätzliches Problem. Wer Geld hat, mag sich über teureren Sprit oder höhere Stromtarife ärgern – einschränken muss er oder sie sich nicht. Wer kein Geld hat, muss sich womöglich zwischen Essen und Heizen entscheiden. Oder das für den Urlaub gesparte Geld in die Stromnachzahlung stecken. Kommt es ganz schlimm, wird dem Haushalt die Energiezufuhr abgestellt.

Höhere Preise sollen dazu führen, dass weniger Energie verbraucht wird. In der Industrie mag das funktionieren. Für Unternehmen lohnen sich Maßnahmen zur Senkung. Damit Firmen mit extrem hohem Verbrauch nicht in Schwierigkeiten gerieten, hat der Staat bei der Einführung der Erneuerbaren-Energie-Umlage für sie großzügige Ausnahmen erlassen. Die haben auch Privatleute mit wenig Geld mitfinanziert. Für sie gab und gibt es aber keine Entlastung. Dabei haben Menschen ohne finanzielles Polster wenig Möglichkeiten, ihren Energieverbrauch zu senken, etwa neue Haushaltsgeräte anzuschaffen. Wer den Cent zweimal umdreht, wird bereits notgedrungen energiesparend leben – und gerät bei steigenden Preisen in Not.

Klimaschutz, nur weil es cool ist? Auch gut: Besser, Leute kaufen ein An­ge­be­r:in­nen­­­fahrrad als einen SUV

Die Bundesregierung versucht die steigenden Energiepreise mit einem Heizkostenzuschuss, unter anderem für Wohngeldempfangende, abzufedern. Das ist gut, reicht aber bei Weitem nicht. Diejenigen, die gerade so ohne staatliche Hilfe über die Runden kommen, bekommen kein Geld. Ob die möglicherweise vorgezogene Abschaffung der EEG-Umlage Ver­brau­che­r:in­nen hilft, ist unklar; möglicherweise geben die Lieferanten das nicht weiter. Selbst wenn sie es tun: Alle Einmalmaßnahmen, wie es auch die vielfach geforderte Senkung der Steuern auf Sprit, Strom und Gas wäre, lösen das Grundproblem nicht. Bei der nächsten Steigerung – und die kommt bestimmt – stehen diese Instrumente nicht mehr zur Verfügung. Und: Preissenkungen allein haben keinerlei steuernde Wirkung, sondern konterkarieren die Klimapolitik möglicherweise.

Deshalb muss die Bundesregierung jetzt schnell wirkende Maßnahmen einleiten, die zu einer echten sozialen Entlastung führen und gleichzeitig Steuerungseffekte haben. Dabei geht es um ein Bündel von erforderlichen Schritten. Es beginnt mit einem Austauschprogramm von Elektrogeräten: Wer wenig Geld hat, kann schlecht den uralten Wasserboiler auf eigene Kosten austauschen, wenn der Vermieter es nicht will. Oder den 30 Jahre alten Kühlschrank. Wichtig wäre die Einführung von Sozialtarifen bei Energieversorgern, etwa für Leute mit wenig Einkommen ein spezieller Grundpreis. Auch die Pflicht für Stromversorger, bei einem überdurchschnittlichen Verbrauch eine persönliche Energieberatung anzubieten, wäre ein wichtiger Schritt. Tarifsenkungen im ÖPNV und bei der Bahn würden spritpreisgeplagten Pend­le­r:in­nen den Umstieg vom Auto auf den öffentlichen Verkehr erleichtern. Ebenso eine Mobilitätsprämie für alle statt Pend­le­r:in­nen­pau­scha­le und Dienstwagensubvention. Aktivist:innen, Umwelt- und Sozialverbände oder Wis­sen­schaft­le­r:in­nen produzieren immer neue gute Vorschläge für eine soziale Klimapolitik. An Konzepten mangelt es nicht.

Quelle        :           TAZ -online          >>>>>         weiterlesen

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Oben       —       Mehrtarif-Stromzähler, Messung nach dem Ferrarisprinzip

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Unten      —       Kopfsturz oder Header beim Hochradfahren

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Ein schreckliches Versehen

Erstellt von Redaktion am 11. Februar 2022

Olympische Idee in falschen Händen!

Eingang des G7 Inbound an der Shangdi East Rd (20211221143518).jpg

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Dr. Renate Dillmann

Es geschehen wirklich schlimme Sachen in dieser Welt. Nein, nicht schon wieder, was Sie denken – Klimawandel, Welthunger, Kriege, Corona-Seuche, Plastik-Müll in den Weltmeeren und mehr. Wirklich erschreckend ist das, was wir gerade in Beijing sehen müssen: Ein „perfekt inszeniertes Sportereignis“. Denn dieses Ereignis – halten Sie sich jetzt fest und seien Sie ganz stark – wird von einem Staat (!) dazu benutzt, sein Prestige (!) aufzubessern.

Ist das zu glauben? Da will sich, wie wir Journalisten das alle vier Jahre aufs Neue begeistert formulieren, mal wieder die „Jugend der Welt“ treffen. Klar, wenn man es etwas weniger euphorisch formulieren würde, wäre es eigentlich weniger die Jugend der Welt, die sich da trifft, als eine Ansammlung von Sportsoldaten, die die nationalen Funktionäre in den Jahren davor sorgfältig aussortiert und nach allen Regeln der Kunst inklusive hoffentlich nicht nachweisbarem Doping trainiert haben. Und diese lustigen Jugendlichen begegnen sich auch nicht primär, um sich kennen zu lernen und Spaß miteinander zu haben, sondern eher, weil sie ziemliche Konkurrenzgeier sind, deren ungemein borniertes Lebensziel darin besteht, alle anderen hinter sich zu lassen in ihrer jeweils ganz speziellen Sportart. Aber wer will das eigentlich so genau nehmen – in solchen Floskeln quatschen wir Journalisten halt gerne, jedenfalls in Ländern, in denen die Meinungs- und Pressefreiheit nicht mit Füßen getreten wird.

Wir, Journalisten und deutsche Öffentlichkeit, müssen also gerade ohnmächtig zusehen, wie da hinten in Asien eine großartige Menschheitsidee zugrunde gerichtet wird. Und das nur, weil ein „autoritäres Regime“ versucht, sein mieses Image bei seinem übel unterdrückten Volk aufzupolieren. Und weil es sich gegenüber dem Rest der Welt ein weiteres Mal nach 2008 als lächelnde Macht aufspielen will, die 1-A-Sportstätten aus der Portokasse zahlen und ein solches Großereignis – diesmal auch noch unter den Bedingungen einer Zero-Covid-Politik – relativ problemlos organisieren kann. Da macht gerade die Politik den Sport kaputt, entsetzlich ist das. Das darf nicht sein – „die Spiele“ hätten nie an China vergeben werden dürfen!

Sicher – wenn man es genau nimmt, ist die ganze „olympische Idee“ von A bis Z politisch. Und zwar nicht erst seit B wie Beijing, sondern schon immer. Schließlich geht es um Wettkämpfe von Nationen. Bei der olympischen Eröffnungsfeier marschieren nicht die verschiedenen Sportarten ein, sondern Nationalmannschaften mit Flaggen; auf der Ehrentribüne hocken nicht Sportler, sondern Regierungschefs aus aller Welt. Dem Gewinner eines Wettkampfs wird auch nicht sein Lieblings-Song gespielt, sondern die Hymne seines Landes – ob er das will oder nicht, ob sie diesen Staat gut findet oder zum Kotzen. Aber das alles, nationale Identität und so, das ist ja alles so selbstverständlich, quasi so natürlich, das hat doch nichts mit Politik zu tun – das wäre ja regelrecht sophistisch! Und wir sind ja hier nicht im Politik-Seminar.

Fest steht: Olympia diesmal ist Krampf. Kein Vergleich mit den „heiteren Spiele“, wie wir Presse-Fritzen das 1972 bei uns so lange genannt haben, bis es wahr war. China kaufen wir weder sein glattes Lächeln ab noch irgendeine Form von authentischer Begeisterung seines Volks – weder für Sport noch für das Land. Das kann es dort nämlich gar nicht geben, erstens, weil Chinesen von Sport keine Ahnung haben, schon gar nicht vom Wintersport. Und zweitens, weil Chinesen von ihrem Staat ja unterdrückt werden, also nicht stolz auf ihn sein können. Man kann sich natürlich fragen, wie ein Staat ein Volk, das gegen ihn ist, durch Olympia für sich begeistern will. Oder auch, wie Chinas Prestigegewinn funktionieren soll, wenn die Spiele das China-Bashing in medaillenverdächtige Höhen treiben. Aber egal: Diese Spiele hätten nie und nimmer nach China vergeben werden dürfen – da haben die IOC-Funktionäre voll versagt. Und das, obwohl wir da einen Deutschen an der Spitze haben, das ist schon enttäuschend. Für den Sport, versteht sich.

Gut – wo „die Spiele“ stattfinden, wird immer sport-diplomatisch ausgekungelt und ist Ergebnis ausgeklügelter Abwägungen zwischen politischen und kommerziellen Opportunitätserwägungen, ein bisschen Bestechung gehört natürlich dazu. Aber wenn in Deutschland keiner mehr diesen Scheiß haben und das finanzielle Risiko eingehen will, kann das ja wohl nicht heißen, dass man dieses Urteil der Bürger respektiert und die olympische Ehre zukünftig nur noch bei „Autokraten“ anfällt – das kann ja wohl kaum der Sinn von Demokratie sein!

Dmytro Pidruchnyi bei den Olympischen Winterspielen 2022 (Männer Einzel).jpg

Eigentlich hätten wir also diese Spiele boykottieren müssen – gerade wir Deutschen sind ja irgendwie zuständig für den Anstand in der Welt. Je mehr die Chinesen schalten und walten in ihrer olympischen Bubble, um so klarer wird das. Aber das kann man den Sportlern ja nicht antun. Die haben so viel dafür gegeben, das kann man ihnen jetzt nicht nehmen. Man kann zwar allen möglichen Menschen auf der Welt ziemlich viel antun, den Flüchtenden ihre Heimat ruinieren oder kaputt schießen, den Arbeitslosen ihre Existenzmöglichkeit nehmen, eine Menge Leute von Hartz IV leben lassen – aber nicht den Sportlern. Also müssen wir dieses Olympia jetzt durchstehen, auch wenn es hart ist und ein bisschen wie Kriegsberichterstattung. Zu Gast bei Feinden, haha.

Und siehe da: Kaum sind wir in die Wettbewerbe gestartet, kaum sind die ersten Medaillen gewonnen, ist alles schon viel normaler. Denn das wollen wir neben der ganzen Hetze auf diese schlimme Nation schon auch: Ganz sportbegeistert und ohne jeden politischen Hintergedanken über die deutschen Medaillen jubeln. Wodrin nochmal? Ach Scheiß drauf, drei goldene sind es schon, mit China auf Platz 3 im Medaillenspiegel.

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Oben       — Mit 2022 Winter Olympics Zeichen.

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Eine andere Agrarpolitik

Erstellt von Redaktion am 7. Februar 2022

Die Instrumente dafür stehen bereits zur Verfügung.

Ladenansicht einer Filiale des SuperBioMarktes.jpg

Von Christoph Heinrich

Bei Lebensmitteln müssen die wahren Kosten eingepreist sein – das kann auch sozial fair geschehen.

Die Debatte über den Wert und damit auch den Preis von Lebensmitteln ist ein Wiedergänger. Mehr Wertschätzung für Lebensmittel wird seit Jahren immer wieder von Po­li­ti­ke­r:in­nen gefordert. Gerne auch aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Getan wurde dafür aber wenig. Derzeit sind oft diejenigen Lebensmittel am billigsten, die gesamtgesellschaftlich die meisten Kosten verursachen. Nachhaltig und fair produzierte Lebensmittel sind weitaus teurer.

Aber die Preise an der Kasse täuschen. Denn die nicht eingepreisten Kosten im Umwelt- und Gesundheitsbereich zahlen wir Ver­brau­che­r:in­nen indirekt obendrauf. Zum Beispiel, wenn es immer aufwändiger und kostspieliger wird, Nitrat aus dem Trinkwasser herauszubekommen. Oder wenn unsere Ernährungsgewohnheiten nachweislich die Klimakrise befeuern. Ernährungsmittelbedingte Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen verursachen heute in Deutschland Kosten in Milliardenhöhe. Und sie sorgen für viel Leid.

Es gibt erhebliche Ernährungsarmut in Deutschland. Einkommensschwache Haushalte können sich derzeit kaum gesunde und nachhaltige Lebensmittel leisten. Menschen, die auf existenzsichernde Leistungen wie Hartz IV angewiesen sind, stehen 5 Euro pro Tag für Lebensmittel zur Verfügung. Das ist ein Skandal. Sozialverbände warnen, dass Obst und Gemüse bald ein Luxusgut für Besserverdienende ist. Längst nicht mehr ist Fleisch und Wurst auf dem Teller Nachweis einer vollen Geldbörse.

Im Gegenteil. Billig auf Kosten von Tier, Natur und Mensch erzeugtes Fleisch gibt es zur Genüge – ein Kilo Hähnchenschenkel für 1,96 Euro etwa. Wer für Umwelt und eigene Gesundheit mehr auf pflanzliche Alternativen umsteigen möchte, zahlt drauf. Stichproben zeigten: Tofuwurst oder Sojaburger waren in der letzten Grillsaison durchschnittlich doppelt so teuer wie rabbattiertes Schweinekotelett oder Hähnchenschenkel.

Tofuwurst und Sojaburger waren in der letzten Grillsaison doppelt so teuer wie Hähnchenschenkel

Die neue Bundesregierung muss also im Rahmen ihrer angekündigten Ernährungsstrategie eine grundlegende Weichenstellung für eine andere Ernährungspolitik vornehmen. Diese Ernährungsstrategie muss Ressortgrenzen überwinden und alle Perspektiven mit einbeziehen. Eine gute Grundlage dafür bildet die „Farm-to-Fork-Strategie“ der Europäischen Kommission (ein Plan, der für eine nachhaltige Lebensmittelproduktion sorgen soll; d. Red.).

Sie gilt es ernst zu nehmen und umzusetzen. Das wird auch längst in gemeinsamen Bündnissen gefordert – so zuletzt auch vom Bündnis #ErnährungswendeAnpacken. Im Bündnis sind wir uns einig: Für eine sozial gerechte Ernährungspolitik ist eine entsprechend gestaltete Sozialpolitik unerlässlich. Dazu zählt zum Beispiel die angemessene Anpassung der Sozialleistungen und der Kampf gegen den Niedriglohnsektor. Gesundes, nachhaltiges Essen darf kein Privileg für Besserverdienende sein. Es ist ein Recht für alle.

Sicher ist: Die Lebensmittelbesteuerung gehört auf den Prüfstand. Richtschnur bieten könnte das sogenannte True Cost Accounting. Diese „wahre Kostenrechnung“ berücksichtigt nicht nur die direkten Kosten, sondern auch die gesamtgesellschaftlichen. Ökobilanzierungen ermitteln die Auswirkungen auf Klima, Wasserverbrauch oder auch Biodiversität.

Die Ergebnisse könnten als Grundlage für eine Nachhaltigkeitssteuer dienen, wie sie auch der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz empfiehlt. Dabei sollten nicht nur Umweltaspekte berücksichtigt werden, sondern auch Soziales, Gesundheit sowie Tierwohl. So könnte die derzeitige preisliche Benachteiligung von gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln vermindert werden, da diese steuerlich entlastet würden.

Außerdem sollte ein verbindliches Nachhaltigkeitslabel für Lebensmittel eingeführt werden – eines, das klar verständlich ist, wirklich Orientierung bietet und wissenschaftlich belastbar ist. Eine Nachhaltigkeitssteuer und ein verbindliches Nachhaltigkeitslabel würden den Anreiz für Unternehmen in der Lebensmittelwirtschaft stärken, gesundheitsförderliche und tierwohlgerechte Lebensmittel anzubieten. Denn wer will schon erkennbar als Schlusslicht dastehen?

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Oben     —   Ein Store des SuperBioMarkt

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Unten     —   Wochenmarkt auf dem Domplatz im westfälischen Münster

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Wem gehört die Vielfalt?

Erstellt von Redaktion am 5. Februar 2022

Von der Antibiotika und anderen Wirkstoffen

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Von Heike Holdinghausen

Antibiotika oder andere Wirkstoffe werden oft dank öffentlich zugänglicher Erbgutdatenbanken erzeugt. Forscher haben nun untersucht, wer die Datensätze einstellt und wer von ihnen profitiert – mit überraschendem Ergebnis.

Über die Hälfte aller antibakteriellen Wirkstoffe beruhen auf Naturstoffen. Vor allem Antibiotika verdanken wir häufig Pilzen oder Bakterien, die Grundstoffe für diese Medikamente produzieren. Damit Mikroorganismen im Labor aber zeigen, was sie können, muss bekannt sein, welche Gene genau ihnen zu dieser Fähigkeit verhelfen und wo diese im Genom liegen. Zweitens benötigt der Mikroorganismus im Labor eine spezielle Umgebung – Biologen sprechen vom „ökologischen Kontext“.

Um diese beiden Informationen zu erhalten, durchsuchen Wissenschaftler Genomsequenzen in offenen Datenbanken und überprüfen so in großem Maßstab, wo die aktiven Gene in Mikroorganismen liegen, die erfolgreich Antibiotika produzieren, und unter welchen Bedingungen. Solche vergleichenden Analysen der Geninformationen, die in offen zugänglichen Datenbanken für sogenannte digitale Sequenzinformationen (DSI) zur Verfügung gestellt werden, seien für die lebenswissenschaftliche Forschung unverzichtbar, befand vor einem Jahr die Wissenschaftsorganisation Leopoldina in einer Stellungnahme zur Bedeutung von DSI.

Der Umgang damit ist allerdings hoch umstritten und rückt immer mehr ins Zentrum einer Debatte über die Frage, wie weit Eigentumsrechte an biologischer Vielfalt eigentlich reichen. Hinter der Diskussion steht folgende Annahme: Der größte Schatz des Artenreichtums liegt in den Ländern des Globalen Südens; die größten Nutzer – Pharma-, Chemie-, Lebensmittelfirmen – sitzen jedoch im Globalen Norden. Nur: So einfach stimmt das nicht, sagen die Autoren einer aktuellen Studie.

Ein Team von Wissenschaftlern aus Deutschland, Großbritannien und Spanien hat 263 Millionen Datensätze genetischer Sequenzen einer Datenbank daraufhin untersucht, woher sie kommen und wer mit ihnen geforscht hat. Demnach sind sowohl die größten Anbieter digitaler Erbgutinformationen als auch ihre größten Nutzer die USA, China und Kanada. Aber auch in den meisten anderen Staaten – ob im Globalen Norden oder Süden – ist das Verhältnis zwischen zur Verfügung gestellten und genutzten digitalen Gensequenzen verhältnismäßig ausgewogen. Jüngst haben die Bioinformatiker und Biologen des Leibniz-Instituts für Kulturpflanzenforschung und Pflanzengenetik (IPK) in Gatersleben und des Leibniz-Instituts Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) in Braunschweig die Ergebnisse ihrer Zählungen in zwei Studien im Journal Giga Science veröffentlicht.

Ihre Ergebnisse verstehen sie als einen Beitrag zu der Debatte, wie weit Eigentumsrechte an biologischer Vielfalt gehen und wer auf welche Weise von Erbgutinformatio­nen profitieren darf. Je näher die für April geplanten Verhandlungen über ein neues Rahmenabkommen zur biologischen Vielfalt im chinesischen Kunming rücken, umso mehr Schärfe gewinnt diese Diskussion. Die Konvention zur biologischen Vielfalt (CBD) enthält drei Ziele: die Vielfalt der Natur zu erhalten; sie nachhaltig zu nutzen und die Gewinne daraus gerecht zu verteilen.

Vom letzten Punkt handelt das Nagoya-Protokoll, ein Abkommen, das den Zugang zur biologischen Vielfalt und die gerechte Verteilung ihrer Nutzung völkerrechtlich regelt. Funktioniert hat dieses vor sechs Jahren in Kraft getretene Abkommen nie so recht. Nun ist es eines der Verhandlungsschwerpunkte. Eine der Fragen bei der Umsetzung des Protokolls ist, wie mit den digitalen Erbgutinformationen verfahren wird. Zusammen mit der neuen gentechnischen Methode CRISPR/CAS, die präzise punktuelle Veränderungen am Genom gestattet, verschafft das Wis­sen­schaft­le­rn und Unternehmen neue Möglichkeiten – und verleiht dem Thema eine besondere politische Brisanz.

Digital Sequence Information (DSI) sind die Codes kurzer DNA-Abschnitte oder ganzer Genome von Mikroorganismen, Pflanzen, Pilzen und Tieren. Dafür wird das Erbgut dieser Lebewesen sequenziert, also ausgelesen, und in digitaler Form gespeichert. Datenbänke mit DSI sind so etwas wie „digitale Bibliotheken“ des Lebens, in der Forscher nachschlagen können, welche Informationen auf welchem Genabschnitt liegen, und welche Wirkungen sie eventuell entfalten können.

Eine dieser Bibliotheken ist das European Nucleotide Archive in der Nähe von Cambridge. Dort liegen die untersuchten 263 Millionen Datensätze – Open Source, also öffentlich zugänglich. Das Forscherteam aus Gatersleben ist nun in zwei Schritten vorgegangen. Zuerst hat es seine Hochleistungsrechner sämtliche frei zugängliche Literatur durchforsten lassen, die sich in der großen Datenbank für wissenschaftliche Zeitschriften der Bio- und Lebenswissenschaften ePMC befindet. Sie umfasst nach Eigenangaben derzeit rund 40 Millionen Zusammenfassungen und etwa 7 Millionen Artikel aus den Bereichen Medizin, Chemie, Pharmazie und Biologie. In diesen Texten haben die Wissenschaftler nach Hinweisen auf DSI aus der Datenbank ENA gesucht.

Wurden sie fündig, haben sie überprüft, ob der Eintrag zu der entsprechenden DSI Hinweise auf die Quelle liefert. Denn bisher war es so: Wenn ein Wissenschaftler einen DNA-Strang etwa einer Zuckerrübe entschlüsselt, digitalisiert und diese Information dann in die Datenbank der ENA eingetragen hatte, konnte er frei entscheiden, ob er den Ursprungsort der Rübe angibt oder nicht. Die meisten Wis­sen­schaft­le­r oder Institute haben sich ganz offensichtlich dagegen entschieden.

„In 15 Prozent der Fälle wurden wir fündig“, sagt Matthias Lange, Bioinformatiker am IPK. Das bedeutet: In 85 Prozent der Fälle ließ sich nicht mehr feststellen, woher die DSI in der Datenbank stammen. „Das wäre eine Datengrundlage dafür, dass die Ausgleichsmechanismen des Nagoya-Protokolls funktionieren“, sagt Lange. Inzwischen hat die ENA ihre Regeln geändert: Wissenschaftler, die Gensequenzen einstellen, müssen deren Ursprungsort angeben. Daten seien für die wissenschaftliche Erkenntnis grundlegend, schreibt der Leiter der ENA, Guy Cochrane in einem Kommentar zu der Studie, aber nur dann, wenn sie auffindbar, zugänglich, austauschbar und reproduzierbar seien.

Quelle          :      TAZ-online     >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben       —     Eine Collage, die die Tiervielfalt anhand eines vorgestellten Bildes darstellt.

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Unten          —        Parc de la Vanoise

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Amazons Kuckucksei:

Erstellt von Redaktion am 5. Februar 2022

Drei Thesen über die Expansion des Logistikgiganten in Osteuropa

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Quelle        :     Berliner Gazette

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Die Kritik an Amazon gehört zum Grundrauschen (sub-)politischer Debatten. Betrachten wir, wofür der Onlineversandhändler in der öffentlichen Wahrnehmung steht, so bleibt ein wichtiger Aspekt unterbelichtet: die laufende Expansion nach Ost- und Südosteuropa und die damit einhergehenden Konsequenzen für die arbeitenden und konsumierenden Bevölkerungen vor Ort. Die Autorin und Wissenschaftlerin Sabrina Apicella stellt im Folgenden drei Thesen vor, um die gesellschaftspolitische Bedeutung der Expansion Amazons in Osteuropa zu reflektieren.

Es gibt Dinge, die praktisch alle kapitalistischen Unternehmen tun. Sie beuten ihre Arbeiter*innen aus und versuchen, die Löhne so weit zu drücken, dass sie gerade noch für die Reproduktion der Arbeiter*innen ausreichen. Auch nutzen sie den Stand der Produktivkräfte zur Steigerung der Produktivität ihrer Arbeitsprozesse, bestenfalls um im Wettbewerb mit anderen Unternehmen einen Vorsprung zu haben. Dazu gehört auch, dass Unternehmen expandieren. Die konkrete Beschreibung der Art und Weise, wie Amazon dies alles für sich umsetzt, ist dennoch wichtig – nicht zuletzt, um die Basis für politische Potenziale auszuloten.

Das Besondere

Was also ist neu an Amazon? Zum Beispiel, dass das 1994 in Seattle gegründete Unternehmen von Anfang an massiv wächst, obwohl es erst seit der COVID-19-Pandemie Gewinne im Bereich Onlineversandhandel einfährt. Und dies trotz hoher Versandkosten und obwohl es mit viel Aufwand Retouren bearbeitet, bezahlt, teilweise sogar intakte Waren entsorgt. Dennoch ist Amazon heute weltweit größter Onlineversandhändler mit großem Gewicht besonders in den USA und Europa und nach seinem Konkurrenten Walmart, einem US-Einzel- und Versandhandelsunternehmen mit stationärem Schwerpunkt, sogar auf Platz zwei der weltweit umsatzstärksten Unternehmen der Welt. Auf der Seite der Kund*innenschaft haben zwei Jahre Pandemie und fehlende staatliche Einschränkungen dem Onlineversandhandel insgesamt zu mehr Popularität und Umsatz verholfen. Sein Anteil am gesamten Marktvolumen des Einzel- und Versandhandels in Deutschland hat sich der Pandemie verdoppelt.

Amazons hohe Umsätze und Produktivität fielen schon zuvor ins Auge. Früh hat Amazon durch die Nutzung des Internet und Einbindung digitaler Technologien sowie Transportentwicklungen einen Produktivitätsvorsprung gegenüber der Konkurrenz für sich genutzt, einen jungen Markt erschaffen und sich selbst darin als Vorreiter und Trendsetter positioniert. Mit Folgen für die Verkaufsarbeit, für die das „Prinzip Amazon“ steht: Das besondere an Amazons Modell ist die vollständige Trennung des für den Verkauf notwendigen Kontakts zu Kund*innen (der im Onlineversandhandel auf der „toten“ Plattform stattfindet) von denjenigen Arbeiten, die zur Warenbewegung nötig sind.

Dies führt uns in die Distributionszentren, die sogenannten Amazon Fulfillment Center, benannt nach dem Firmenselbstbild – wie von magischer Hand sollen hier alle Kund*innenwünsche erfüllt werden. Ergänzt durch kleinere Prime Hubs und Verteilzentren, in denen allerdings externe Verkäufer*innen keine Waren einlagern können, stellen die Distributionszentren allein schon durch ihre Größe wichtige Dreh- und Angelpunkte der Warenbewegungen im Logistiknetzwerk dar. Hier bewegen verhältnismäßig wenige Arbeitskräfte fernab der Kund*innen eine große Menge an Waren. Dies geschieht als Fabrikarbeit, in einfachen Arbeitsschritten, die stark vorgegeben sind und kontrolliert werden.

Die Arbeiter*innen werden in wenigen Stunden angelernt, technische Geräte und Software leiten sie zu Hunderten durch die riesigen Hallen, geben den nächsten Handlungsschritt vor, während die Arbeiter*innen nicht selbst entscheiden, welche Waren sie in welcher Reihenfolge verräumen („Stow“) oder den Regalen entnehmen („Pick“). Die Verkaufsarbeit wird, mit Karl Marx gesprochen, reell subsumiert, mit der Folge, dass sie äußerst produktiv und zugleich von vielen Arbeiter*innen als entfremdet erlebt wird: als uninteressant, als wenig bis gar nicht beeinflussbar, als gefährdend für Körper und Geist oder – aufgrund der ständigen Leistungskontrollen – als stressig. Dies verbindet Amazon mit einer wenig ausgeprägten Mitbestimmungskultur, einer feindseligen Managementlinie gegenüber Gewerkschaften, seiner Niedriglohnpolitik und einem leistungsbezogenen, paternalistischen und hierarchisch-autoritären Führungsstil.

Doch mit Amazon expandiert auch der Protest der Beschäftigten in den Distributionszentren: an Standorten in Polen, Spanien, Italien, Deutschland und Frankreich gibt es seit 2013 anhaltende, organisierte Streiks. Die Pandemie hat zu einem weiteren Erstarken von gewerkschaftlichen Protesten und Streiks geführt – sogar auch erstmalig „zu Hause“ in den USA.

Amazons Expansion nach Osteuropa

Amazon möchte seinen (potenziellen) Kund*innen näherkommen, um diese innerhalb eines Tages und sogar innerhalb von Stunden zu beliefern. Schon früh eröffnete das Unternehmen hierzu die ersten Distributionszentren in Europa. Heute sind über 80 Standorte über Europa verteilt – Tendenz steigend. Jedoch spannen die Standorte kein gleichmäßig verteiltes Netz über den Kontinent, sondern konzentrieren sich in west- und zentraleuropäischen Ländern. Die ersten europäischen Distributionszentren gingen ab 1998 in Großbritannien und ab 1999 in Deutschland in Betrieb; bis heute sind diese Länder Schwerpunkt des Geschäfts außerhalb der USA. Es folgten Neuansiedlungen in Frankreich, Spanien, Italien und seit Mitte der 2010er Jahren auch in Polen, Tschechien und der Slowakei. Die logistische Ratio bei der Verteilung der Standorte lautet: Egal von wo in Europa Kund*innen ihre Bestellung aufgeben – sie sollen in nicht mehr als 24 Stunden beliefert werden können. Es dürfte nicht überraschen, dass den großen Absatzmärkten hohe Priorität bei der Ansiedlung eingeräumt wird.

Die relativ späten Ansiedlungen in Osteuropa ab den 2010er Jahren wurden bisher zurecht als Strategie der Aufstandsbekämpfung zur Spaltung der Beschäftigten an verschiedenen Standorten gesehen. Hierüber legen beispielsweise die polnischen Gewerkschaftsaktivistinnen Magda Milanowska und Agnieszka Mroz lesenswert Zeugnis ab. Nationale Unterschiede wie divergierende Lohnhöhen, Steuern, Mitbestimmungs- und Arbeitsschutzgesetze begünstigen dies. Sie sind im Prozess der EU-Konversion nicht abgebaut worden. Man könnte also sagen: sie sind politisch gewollt. Auch Amazon bedient mit kostengünstigen Arbeitskräften aus Polen, Tschechien und der Slowakei vorwiegend den deutschen Markt.

Daher lautet meine erste These, dass Amazon auch weiterhin versuchen wird, die gewerkschaftliche Forderung nach höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen in den europäischen Distributionszentren durch innerbetriebliche Konkurrenz und das Ausnutzen des europäischen Lohngefälles zunichte zu machen.

Wie Bevölkerungen (mit öffentlichen Mitteln) zu Neukund*innen gemacht werden

Doch sind Polen und andere zentral- und südosteuropäische Länder nicht allein die „verlängerte Werkbank“ Deutschlands. Heute hat Amazon in Polen mit 13 Standorten annähernd so viele Distributionszentren wie in Deutschland, wo es 15 sind. Zum Vergleich: Großbritannien hat 26, Spanien 10, Frankreich und Italien jeweils 7 Distributionszentren und die Slowakei und Tschechien jeweils eines. Insofern gilt: Während Amazon in Osteuropa günstige Bedingungen für sich nutzt, um Personalkosten oder Steuern zu sparen, wirbt es dort auch um neue Kundschaft, weil es gesättigte Märkte in anderen Teilen Europas fürchtet.

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Die polnischsprachige Website wurde (erst) 2021 gelauncht. Dies markiert die Verschiebung weg von der alleinigen Ausnutzung von Arbeitskräften für den Westen und hin zur gezielteren Neuerschließung von Kund*innen in Osteuropa. Dabei konkurriert Amazon mit anderen großen Unternehmen, wie dem Onlineriesen Alibaba aus China.

Viele ost- und südosteuropäische Länder zusammen weisen ein seit den 2000ern anhaltendes und auch durch die Finanzkrise kaum unterbrochenes starkes Wirtschaftswachstum auf, besonders im produzierenden Gewerbe. Gleichzeitig haben sich in Polen, Tschechien, Slowenien, Rumänien oder Ungarn kaufkräftige urbane Ballungszentren herausgebildet mit einem für den Einzel- und Versandhandel interessanten Nachfrageüberhang, einem steigenden pro-Kopf-Einkommen und einem hochquotierten Kaufkraftwachstum. Die Expansion Amazons kann also auch als Bestandteil eines bereits in den 1990ern begonnen Prozesses innerhalb der Branche gesehen werden: die stagnierenden Wachstumsmöglichkeiten des Einzel- und Versandhandels in Ländern wie Deutschland werden mit der Expansion auf osteuropäischen Märkten kompensiert.

In Fachkreisen wird gleichzeitig moniert, dass die Infrastrukturen für Transport und Kommunikation in Osteuropa nicht denen der westeuropäischen Staaten entsprechen. Diese sind in den letzten Jahren auf Grundlage von staatlichen und durch die EU garantierte Mittel gezielt angepasst worden. Sonderwirtschaftszonen wurden eingerichtet, Förderprogramme zur europäischen Kohäsion mit Schwerpunkt Transport und Kommunikation sind finanziert worden. Insbesondere Polen ist mit Fördermitteln für Straßenbau, den Anschluss des polnischen an den europäischen Schienenverkehr und die Modernisierung des entsprechenden Kommunikationssystems in Höhe von 676 Millionen Euro gefördert worden. Auch zukünftig sollen EU-Gelder in die Bereiche „Innovation, Unterstützung kleiner Unternehmen, digitale Technologien und Modernisierung der Wirtschaft fließen“, mit Fokus auf einen reduzierten CO2-Ausstoß. Dieses Förderpaket richtet sich mit wenigen Ausnahmen noch bis 2027 hauptsächlich an Regionen Ost- und Südosteuropas, die gemessen am pro Kopf-BIP als unterentwickelt gelten (weniger als 75% des Durchschnitts der EU-27-Länder) und ist von der EU mit 500 Milliarden Euro ausgestattet.

Die Erschließung Osteuropas durch Amazon und seine Konkurrent*innen erfolgt nicht gleichmäßig, sondern konzentriert sich insbesondere auf die urbanen Ballungszentren rund um Warschau und Regionen im polnischen Westen, um Prag und den tschechischen Westen, sowie auf die Städte Bratislava, Budapest, Bukarest, Ljubljana und Sofia. Ländliche Regionen oder insgesamt statistisch weniger kaufkräftige Bevölkerungen haben eine geringere Priorität und werden daher beispielsweise nicht schnell „versorgt“: im Osten Polens gibt es keine Amazon-Standorte, ebenso wenig in Rumänien oder Bulgarien.

Grob verallgemeinert ließe sich also sagen: Während etwa staatliche Ausgaben für die soziale Absicherung der Bevölkerungen niedrig bleiben, findet eine massive Erschließung von Neukund*innen durch international agierende Einzel- und Versandhändler statt.

Die zweite These lautet daher, dass Amazon auf Basis einer öffentlich finanzierten Infrastrukturpolitik expandiert, die den Osten gemäß Kapitalinteressen erschließt. Es ist der öffentliche Sektor, der diese Ausbreitung vorbereitet: mit Investitionen in IT und Straßenbau, die für das Modell Amazons nötig sind. Amazon profitiert hierbei also von staatlichen Investitionen wie EU-Fördergeldern.

Wie weiter?

Amazon, Alibaba und Co. setzen sich quasi ins gemachte Nest. Diesen Prozess hat die COVID-19-Pandemie durch Schließungen vom stationären Einzelhandel noch beschleunigt, da tendenziell eher größere Ketten und der Versandhandel die Präventionsmaßnahmen unbeschadet und teils sogar mit Rekordgewinnen überstehen konnten.

Wie schon für Länder wie die USA oder Deutschland diskutiert, wird sich die Ausbreitung des Onlinehandels und der darin dominanten Unternehmen kaum rückgängig machen lassen. Die Investitionsprojekte der EU und der Empfang Amazons mit offenen Armen in polnischen Sonderwirtschaftszonen und vielen europäischen Regionen zeigen: die Ausbreitung des Versandhandels, insbesondere von Amazon als globalen Player, wird nicht nur politisch geduldet, sondern auch gefördert. Bisher sind jedenfalls keine Versuche zur Einflussnahme auf diesen Prozess oder gar das Suchen nach Alternativen zu Amazons Verkaufsmodell erkennbar

Datei:Amazon Spheres from 6th Avenue, Juni 2017.jpg.

Meine dritte und letzte These lautet hierzu entsprechend: Die Konsequenz für die Einzelhandelsstrukturen in Ost- und Südosteuropa wird verheerender sein, als in Westeuropa. Das hat mit der Struktur des Einzelhandels zu tun: ein Großteil der Umsätze entfällt in Osteuropa auf kleine Einkaufsläden und den traditionellen Einzelhandel. Der Betriebsformenwandel hin zu großen und modernen Betriebsformaten ist noch nicht vollzogen. Das ohnehin pandemiegebeutelte Kleinstgewerbe in den Städten wird nun zunehmend mit Unternehmen wie Amazon konkurrieren müssen, wodurch sich Innenstädte verändern und neue Arbeitskräfte frei werden – auch für die Arbeit in den Distributionszentren. Da die privaten Konsumausgaben in beinahe allen ost- und südosteuropäischen Staaten deutlich zugelegt und das Prä-Pandemie-Niveau teilweise deutlich überstiegen haben, wird die Erschließung Osteuropas durch Amazon und seine Konkurrent*innen weitergehen, der Anpassungsdruck an seine produktive Organisation des Arbeitsprozesses wird groß sein.

Die Emigration großer Bevölkerungsteile und der demografische Wandel in der Region tragen zusätzlich zu einer Konzentration auf die urbanen Ballungszentren bei. Genau hier siedelt sich Amazon an. Menschen und Regionen, die nicht im Zentrum dieses Akkumulationsregimes stehen, werden tendenziell weiter abgehängt. Dieser fortschreitende Prozess der „Eroberung des Ostens“ durch Amazon erinnert an die Thesen Rosa Luxemburgs zur kapitalistischen Landnahme durch Produktivitätssteigerungen: zunächst gibt es, grob verallgemeinert, staatliche Intervention durch Infrastrukturinvestitionen, es folgt dadurch die zeitliche und räumliche Anbindung an die Zentren der Akkumulation, dann kommt es zum erhöhten Konsum in bestimmten Regionen, dadurch entsteht wiederum die profitable Möglichkeit der reellen Subsumtion der Verkaufsarbeit. Dies lässt sich nun in Osteuropa beobachten, auch mit Blick auf den Einzel- und Versandhandel.

Bisherige Debatten zur politischen Reaktion auf diese Entwicklung zielen vor allem auf staatlichen politischen Willen und Regulierung: eine stärkere Besteuerung als Umverteilungsmechanismus sowie die Herstellung von Transparenz von Steuerzahlungen. Auch eine Angleichung der Löhne europaweit könnte eine Reaktion sein, was auch schon diskutiert wurde. Sie lassen jedoch zwei Punkte außer Acht: erstens, dass der Protest bei Amazon grenzübergreifend auf das Erleben der Arbeit als entfremdet hindeutet und zweitens, dass wirtschaftliches Wachstum und Massenkonsum die Klimakrise weiter verschärfen.

An diesen Problemen setzen momentan weder gewerkschaftliche, noch soziale Bewegungen, Arbeitslosenorganisationen oder die Klimabewegung an. Für sie sehe ich gleichwohl die Chance, andere Modelle der Warendistribution und des Konsums zu entwickeln: ohne Überausbeutung, ohne das Zerreiben der Arbeitskräfte in entfremdeter Arbeit, ohne abgehängte Peripherien und Innenstädte mit Leerstand oder dominanten Versandhandelsketten; und hin zum Wandel zu einer klimabewussten Warenzirkulation auf Grundlage des Stands digitaler Technologien und logistischen Wissens. Das gelingt nicht als nationales Projekt, sondern nur europaweit, mindestens.

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Grafikquellen     :

Oben          —     Straßenaufkleber in Washington, DC.

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2.) von Oben         —    Der Präsident, Vorsitzende und CEO von Amazon.com, Jeffrey P. Bezos, rief am 3. Oktober 2014 in Neu-Delhi Premierminister Narendra Modi an.

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Gewalttätig sind Konzerne

Erstellt von Redaktion am 3. Februar 2022

Der Druck muss erhöht werden:

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Von Tino Pfaff

Sabotageakte gegen klimaschädliche Produktionsformen sind legitim – nicht aber Zerstörungen von Privateigentum. Der Mythos vom grünen Kapitalismus als Lösung aller Probleme wird weiter aufrechterhalten.

Brauchen die Umwelt- und Klimagerechtigkeitsbewegungen neue Strategien? Darüber wird gerade kontrovers diskutiert. Im Fokus steht unter anderem der Akt der friedlichen Sabotage. Nach meinem Verständnis stellt das eine Aktionsform dar, die darauf abzielt, zerstörerische Vorgänge von fossilen, agroindus­triellen und sonstigen ressourcenraubenden Konzernen zu sabotieren. Stets, ohne Menschen dabei in Gefahr zu bringen.

Was genau friedliche Sabotage meint, ist diskutabel. Das können Gruppen oder ganze Menschenmassen sein, die die Mittel des zivilen Ungehorsams ausweiten. Blockaden und Besetzungen werden länger als ein paar Stunden oder Tage gehalten und so Prozesse der Zerstörung zum Erliegen gebracht. Ebenso kommen kleinere Aktionsformen in Frage, in denen Gleisbette nutzungsuntauglich gemacht oder Gerätschaften wie Gasterminals, Kohlebagger oder -förderbänder demontiert oder abgeschaltet werden. Auch das Sabotieren von Tiermastanlagen, Produktionsstätten und Lieferstrukturen – etwa von Verbrennungsmotoren oder giftigen Pflanzenschutzmitteln – ist vorstellbar.

Kürzlich hallte eine öffentliche Empörung auf, als ein Klimaaktivist mit einer Warnung für Aufsehen sorgte: Tadzio Müller meinte in einem Spiegel-Interview, wenn die Regierung nicht endlich adäquate Maßnahmen zur Bekämpfung der menschengemachten Klimaerhitzung vollziehe, gebe es ab dem kommenden Sommer „brennende Autos“ in deutschen Innenstädten. Im selben Interview warnt er schließlich vor der Entstehung einer grünen RAF. Das Ergebnis war eine reißerische Debatte, die an den Anliegen und Entwicklungen innerhalb des breiten Spektrums der deutschen Umwelt- und Klimagerechtigkeitsbewegung vorbeigeht, indem sie diese mit gefährlichen Straftaten in Verbindung bringt. Denn was mit der RAF verbunden ist, sind Gewalt, Terrorismus, Entführungen und Mord.

Die Medienresonanz darauf war bezeichnend. Von „Klimaschutz heiligt keine terroristischen Mittel“, „Sabotageakte[n] im Sinne einer grünen RAF“, einer „selbsterfüllende[n] Prophezeiung“ oder „Fridays for Terror“ war die Rede, ebenso von „zerdepperte[n] Autoshowrooms, zerstörte[n] Autos …“. Das Zerstören von Privatautos oder Showrooms jedoch hat wenig mit friedlicher Sabotage zu tun. Individuelles Privateigentum zu zerstören, ist individuelle Konsumkritik, mehr nicht. Der Produktionsprozess ist längst abgeschlossen. Was bliebe, wäre eine weitere Spaltung der Gesellschaft – Autofahrende gegen Aktivist*innen. Die Maschinerien des zerstörenden Kapitals laufen im Hintergrund eifrig weiter. Dass Außenstehende oder konservative und rechte Kräfte nun das friedliche Vorgehen gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen mit einer terroristischen Vereinigung in Verbindung bringen, war zu erwarten. Doch diese Debatte lenkt vom eigentlichen Thema ab. Einige Inhalte des neuen Koalitionsvertrags sind das Verdienst von Klima- und Um­welt­ak­ti­vis­t*in­nen. Ins Auge fallen besonders der Kohleausstieg und der Bürger*innenrat. Doch das Versprechen eines früheren und sozialverträglichen Kohleausstiegs bleibt so lange eines, bis es tatsächlich Realität geworden ist. Ein Bür­ge­r*in­nen­rat ist erst gelungen, wenn seine Forderungen erfüllt sind.

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Damit aber nicht genug: Von einer tiefgehenden sozialökologischen Transformation sind wir noch meilenweit entfernt. Weder steht eine ernsthafte Verkehrswende oder der Ausstieg aus der fossilen Verbrennung bevor, noch gibt es adäquate Maßnahmen gegen das Massensterben der Arten oder die Vernichtung natürlicher Böden. Der Mythos vom grünen Kapitalismus als Lösung aller Probleme wird weiter aufrechterhalten.

Es ist daher wichtig, den Druck zu erhöhen. Friedliche Sabotage kann dabei ein weiteres Instrument sein – basierend auf der Analyse, dass es fossile Konzerne sind, die für die menschengemachte Klimaerhitzung und Ökosystemzerstörung verantwortlich sind. Friedliche Sabotage eröffnet die Möglichkeit, lebensfeindlichen Konzernen auf direktem Wege das Handwerk zu legen und ihre zerstörenden Praktiken zum Investitionsrisiko zu machen.

Quelle         :          TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquelle :

Oben      —     Steinkohlekraftwerk Moorburg in Hamburg-Moorburg.

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Unten      —   Karikatur von Gerhard Mester zum Thema Klimawandel und Kohleverbrennung: – Totschlagargument Arbeitsplätze (Stichworte: Globus, Erde, Klima, Kohle, Energie, Umwelt)

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DER ROTE FADEN

Erstellt von Redaktion am 1. Februar 2022

Ich bestelle Führung, Herr Scholz!

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Durch die Woche mit Silke Mertins

Warum führt der Bundeskanzler nicht? Warum setzt Habeck bei Söder auf Osmose? Und warum überzeugt Baerbock auf eine überraschende Weise?

Die Minderjährige, die zu meiner Infektionsgemeinschaft gehört, findet, ich „faile“ total, wenn es darum geht, Fehler einzugestehen. Ich stelle hierzu fest: Es stimmt. Es fällt mir schwer, sie überhaupt zu erkennen. Jüngst ploppten beispielsweise drei Mails mit dem Betreff „Ihre Rechnung von Apple“ auf. Die E-Mail-Adresse der Minderjährigen war darin zu finden und die Angabe einer Spiele-App für summa summarum 89,92 Euro. Ich kreischte kurz auf und öffnete die Tür der Gefahrenzone.

Das war ein großer Fehler. Erstens: Betreten der Privatsphäre ohne Erlaubnis. Zweitens: Die Minderjährige war das nicht und weiß gar nicht, wovon ich eigentlich rede. Da muss sich jemand bei Apple geirrt haben. Drittens: Dass ich sie überhaupt beschuldige – begleitet von einem wirklich sehr glaubwürdigen Gesichtsausdruck –, ist sehr verletzend und verdirbt uns als Familie jetzt den ganzen Abend.

Dass sie jetzt noch mit mir Schach („du bist sooo schlecht“) oder Rummy („ich bin einfach schlauer als du“) spielt, kann ich voll vergessen. Viertens: Ich würde nicht einmal zugeben, dass ich mit meinen ungerechtfertigten Anschuldigungen einen Fehler gemacht habe. Ich würde überhaupt niiiieee etwas zugeben. Tür zu, sie muss erst mal die Freundin anrufen.

Die Minderjährige wirkte so überzeugend wie der scheidende grüne Geschäftsführer Michael Kellner, wenn er von den Wahlerfolgen seiner Partei spricht. Oder wie die neue grüne Co-Parteivorsitzende Ricarda Lang, wenn sie erklärt, dass die staatsanwaltlichen Ermittlungen wegen der Corona-Boni überhaupt kein Aufreger sind. Wurden doch zurückgezahlt! Man kann übrigens laut Duden tatsächlich – wie Lang es tat – „Bonusse“ sagen, so ein aufmerksamer Kollege. Ein Fehler meinerseits.

Ampel Sondierungen und FridaysForFuture protestieren 2021-10-15 169.jpg

Und hier noch ein Fehler, ein sehr großer sogar: Olaf Scholz. „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“, hat er gesagt. Viele wundern sich nun, warum er nicht führt. Will er nicht? Kann er nicht? Überfordert ihn die Rolle der Kanzlerin? Die einfache Antwort: Ich habe leider vergessen zu bestellen! Es ist alles meine Schuld, ich gebe es zu. Deutschland taumelt durch die Corona- und Ukrainekrise, nur weil die Bestellung fehlt. Ich hole dies nun schnell nach: Einmal Führung bitte, Herr Scholz!

Um Scholz ist es so still und leise, dass ich eine Weile schon dachte, Superklimawirtschaftsminister Robert Habeck hätte jetzt einfach ungefragt die Führung übernommen mit seinen neuen Vizekanzlerschuhen. Er fuhr sogar zu Markus Söder, um ihm im gemeinsamen Gespräch zu erklären, wie er sich künftig die Entscheidungen des bayerischen Ministerpräsidenten vorstellt.

Quelle      :        TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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Unten     —   Protest von FridaysForFuture und Anderen, sowie Ankunft der Verhandlungsteilnehmenden an der Messe Berlin zum letzten Tag der Sondierungsgespräche für eine Ampelkoalition.

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Verweigerte Klimarealität

Erstellt von Redaktion am 31. Januar 2022

Klimapolitik in Deutschland

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Von Gudula Frieling

Früher war der „perverse Antikommunismus“ ein Feindbild. Jetzt verhindert er die Debatte über nicht wachstumsorientierte Formen der Wirtschaft.

Seit Corona ist der Systemzwang ständigen Wachstums einmal mehr deutlich hervorgetreten. Weniger beachtet wird, dass auch der damit einhergehende, durch Treibhausgasemissionen verursachte globale Temperaturanstieg kontinuierlich weitergeht und über Land (ohne Ozean) weltweit 1,5 Grad Erderwärmung erreicht hat. Dennoch sind diejenigen, die dieses Wachstum für unvereinbar mit der erforderlichen Begrenzung der CO2-Emissionen halten, die Enfants terribles der Klimapolitik. Wie kommt es zu dieser gestörten Wirklichkeitswahrnehmung?

Menschen, deren Denken von Feindbildern geprägt ist, neigen dazu, Teile der Wirklichkeit auszublenden. Die deutsche Gesellschaft hält sich zwar für aufgeklärt, trägt jedoch bis heute schwer daran, dass seit Kriegsende der Antikommunismus als Teil der nationalsozialistischen Ideologie nicht problematisiert und bekämpft wurde. Als Deutschland im Kalten Krieg vom Feind der USA zu deren Verbündetem avancierte und infolgedessen seine Wiederbewaffnung anstand, wurde das antikommunistische Feindbild der Nazis unreflektiert auf die kommunistisch regierte Sowjet­union übertragen. Seither stand jede Kritik am scheinbar erfolgreichen kapitalistischen Wirtschaftsmodell im Verdacht, vom kommunistischen „Erbfeind“ lanciert zu sein.

Laut Ralph Giordano handelt es sich dabei um das Feindbild des „perversen Antikommunismus“, der im Gegensatz zur humanistisch begründeten Kritik am (real existierenden) Kommunismus der Formung der eigenen Identität dient und eine ungestörte Wirklichkeitswahrnehmung verhindert. Innenpolitisch impliziert das eine identitätsstiftende Intoleranz gegenüber allem, was als links gebrandmarkt wird. Wegen des „tiefen Widerspruchs zwischen Vorgabe und Wirklichkeit“ nennt Giordano diesen Antikommunismus „pervers“.

Wer von Feindbildern geprägt ist, sucht die Schuld entweder beim Feind oder – nach Giordano eine Besonderheit in der deutschen Geschichte – bei den Verbündeten: Mit seiner Appeasement-Politik sei es England gewesen, das Hitler erst wirklich zum Durchbruch verholfen hat, verkündete der Vertriebenensprecher Herbert Czaja unter allgemeinem Beifall noch in den 1980er Jahren.

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Auch Kli­ma­schüt­ze­r*in­nen sehen sich mit dem skandalösen Abschieben nationaler Verantwortung konfrontiert, wenn sie an die besonders hohen historischen Emissionen Deutschlands aufgrund der deutschen Industrie- und Kolonialgeschichte erinnern sowie an die aktuelle Rolle Deutschlands als Exportweltmeister. Der Hinweis auf die besondere Verantwortung Deutschlands wird mit dem Scheinargument vom Tisch gewischt, China und Indien seien längst die viel größeren C02-Emittenten (ohne dabei die relativ niedrigen Pro-Kopf-Emissionen dieser Länder zu berücksichtigen). Die Verdrängung der Realität und der nationalen Verantwortung geht mit dem Bestreben einher, die moralische Verantwortung für vergangene Fehleinschätzungen und Verbrechen von sich zu weisen.

Eine Störung in der Realitätswahrnehmung, die Giordano den Deutschen noch im Jahr 2000 attestierte, ist heute nicht nur in der extremen Rechten zu beobachten, die den Klimawandel und Corona leugnet, sondern in anderer Form auch in der Breite der Gesellschaft: Dass Deutschland das Restbudget, das ihm nach dem Zukunftsszenario des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung zusteht, 2020 aufgebraucht hatte, war nicht einmal eine Debatte wert.

Jede Kritik am scheinbar erfolgreichen kapitalistischen Wirtschaftsmodell steht unter Kommunismusverdacht

Aktuelle Prognosen für die Erderwärmung schreien danach, endlich die Forderungen des Club of Rome von 1972 nach Begrenzung von Wachstum und Ressourcenverschleiß umzusetzen. Stattdessen will die Ampel neun weitere Jahre an der Kohleverstromung festhalten und scheut sogar die Einführung eines Tempolimits. Doch selbst nach den großzügigen Berechnungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen ist das deutsche Restbudget bei gleichbleibender Emission 2026, bei linearer Reduktion 2032 aufgebraucht. Die Frage drängt sich auf: Gibt es dann ein neues „Restbudget“, aus wessen Hut wird es gezaubert und was bedeutet diese Wachstumspolitik für die Zukunft der Erde?

Quelle         :         TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben       —     These illustrations show the floods that hit Germany in July 2021. Several European countries were hit by catastrophic floods in the summer of 2021, causing many deaths and considerable damage. The floods, which affected several river basins, first in the UK and then across northern and central Europe, were caused by unseasonably high levels of rainfall.

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Unten      —       Faux Screencap eines Rollenspiels, das in der traditionellen Darstellung der Hölle spielt. Bild bestehend aus freiem Lizenzmaterial, siehe File:Hadean.png. Aktuelle Version, die in die Gemeinfreiheit entlassen wurde.

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Die SPD im Ukraine-Konflikt

Erstellt von Redaktion am 30. Januar 2022

„Das ist ein bisschen heuchlerisch“

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Haben Deutsche nicht immer schon jeden Troll gewählt, der gerade des Weges kam?

Das Interview mit Piotr Buras  führte Jan Pfaff

Wie schaut man in Polen auf die Haltung der deutschen Politik gegenüber Russland? „Scholz wird seiner Aufgabe nicht gerecht“, sagt Piotr Buras.

taz am Wochenende: Herr Buras, wie blickt man in Warschau auf die Spannungen mit Russland?

Piotr Buras: Sehr besorgt. Die Ukraine ist unser Nachbar. Ein Einmarsch Russlands würde einen Krieg an der Grenze Polens bedeuten. Damit ist unsere Sicherheit unmittelbar betroffen. Aber es geht noch um mehr – um die Sicherheitsarchitektur Europas und die Glaubwürdigkeit der Nato. Beide stehen auf dem Prüfstand. Zumindest für Polen ist das die schwierigste sicherheitspolitische Krise seit 1989/90. Für Europa waren die Balkankriege und der Kosovo auch sehr gefährlich. Aber ich glaube, nicht einmal diese Kriege wurden mit so viel Sorge beobachtet.

Wie unterscheidet sich die jetzige Situation mit dem russischen Aufmarsch an der ukrainischen Grenze von 2014, als Russland die Krim annektierte und in der Ostukraine begann, Separatisten mit Soldaten und Waffen zu unterstützen?

Wladimir Putin hat jetzt im Dezember klipp und klar gesagt, worum es ihm geht – eben nicht mehr nur um territoriale Gewinne in der Ukraine. Sondern ums große Ganze, um die Regeln und Grundsätze, auf denen die europäische Sicherheitsarchitektur aufgebaut ist. Er will diese Regeln umschreiben und seine eigenen schaffen. Russland soll bestimmen können, was seine Nachbarn zu tun und zu lassen haben. Das macht es so gefährlich.

Wie schätzt man vor diesem Hintergrund in Warschau die außenpolitische Debatte in Deutschland ein?

Das Image Deutschlands als Sicherheitspartner Polens war schon in den vergangenen Jahren nicht so gut. Viele sind nicht überrascht, dass Deutschland in dieser Krise nicht entschlossen handelt. Verblüfft ist man aber schon über die chaotische Kommunikation in Berlin. Die Bundesregierung hat sehr lange nicht mit einer Stimme gesprochen. Man hat viele Meinungen gehört, aber keine klare Linie gesehen.

Sie vermissen Führung?

Ja, und zwar sowohl innerhalb der Bundesregierung als auch in Europa. Olaf Scholz hat die Russlandpolitik zur Chefsache erklärt. Er ist dieser Aufgabe aber überhaupt nicht gerecht geworden. Deutschland erhebt keinen Führungsanspruch mehr in der Russlandpolitik. Egal, wie man zur Politik Angela Merkels stand – es war unumstritten, dass sie die federführende Person in der EU-Russlandpolitik war. Sie hat sich aktiv um den Konsens in der EU gekümmert. Diese Lücke versucht nun Emmanuel Macron zu füllen. Das Problem ist nicht, dass die deutsche Politik so viel schlechter als die Politik anderer europäischer Länder ist. Da sind sicher einige unschlüssig. Das Problem ist, dass Deutschland eine viel größere Verantwortung zukommt. Ich glaube, es wird in Deutschland oft nicht wirklich begriffen, wie groß diese Verantwortung ist und welche Erwartungen aus ihr erwachsen.

Deutsche Politiker verweisen oft auf die deutsche Vergangenheit. Deshalb müsse man sich gerade gegenüber Russland zurückhalten.

Das war jahrzehntelang ein wichtiges Argument, ist aber doch längst überholt. Wir haben europaweit Meinungsumfragen gemacht und ein Ergebnis war ganz klar, dass die meisten Europäer Deutschland die Führungsrolle zutrauen. Das ist vielleicht auch eine Konsequenz der Merkel-Ära. Sie hat das Vertrauen in Deutschland massiv gestärkt. Der ehemalige polnische Außenminister Radosław Sikorski hat einmal gesagt: „Deutsche Macht fürchte ich heute weniger als deutsche Untätigkeit.“ Das gilt für viele in Europa. In der deutschen Außenpolitik ist die Vergangenheit oft nur noch eine Ausrede. Gerade auch in dem aktuellen Konflikt mit Russland.

Wie meinen Sie das?

Es geht um die Verteidigung der Ukraine, deren Menschen unter den Nazis mindestens genauso gelitten haben wie die Russen. Aber es geht vor allem auch um die Verteidigung von Prinzipien, die aus der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs heraus entwickelt wurden – wie etwa das Recht auf Selbstbestimmung und die Unversehrtheit der Grenzen. Verantwortung gegenüber der deutschen Vergangenheit bedeutet da, diese Prinzipien zu verteidigen.

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Die Vereinigung ihrer Wertschöpfer fast aller Schrödianer!

Die SPD tritt sehr zögerlich auf. Einige in der Partei plädieren mit Verweis auf Willy Brandts Entspannungspolitik dafür, gegenüber Russland keinen zu harten Kurs zu fahren.

Willy Brandt ist natürlich eine anerkannte Persönlichkeit, aber die SPD-Ostpolitik hat in Polen eher einen schlechten Ruf – es wird ihr unterstellt, sich vor allem auf Russland zu konzentrieren. Aus meiner Sicht war die Entspannungspolitik Willy Brandts in den 1970er Jahren die richtige Strategie. Nur ging es damals darum, den Status quo anzuerkennen. Und dann über persönliche Kontakte und Verhandlungen zu Verbesserungen etwa bei den Menschenrechten zu kommen. Heute will Wladimir Putin den Status quo überwinden. Er will das Recht des Stärkeren durchsetzen. Insofern ist es eine völlig andere Situation. Sich da auf eine Strategie zu berufen, der ganz andere Ausgangsbedingungen zugrunde lagen, ist keine gute Idee.

In der SPD findet man auch die größten Befürworter der Ostseepipeline Nord Stream 2. Polen hat sie von Beginn an scharf abgelehnt.

Quelle       :         TAZ-online       >>>>>          weiterlesen

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Oben        —         Unterzeichnung des Koalitionsvertrags für die 20. Bundestagswahlperiode (Deutschland) am 7. Dezember 2021

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Verbrennung des Kapital

Erstellt von Redaktion am 28. Januar 2022

Die Klimakrise und die äußeren Grenzen des Kapitals

Datei:Klimastreik von Fridays For Future, Berlin, 22.10.2021 (51619357533).jpg

Quelle     :      Streifzüge ORG. / Wien 

Von Tomasz Konicz

Wieso scheitert der Kapitalismus trotz zunehmender ökologischer Verwerfungen an der Implementierung einer nachhaltigen Klimapolitik? Eine marxsche Perspektive.

Seit gut drei Jahrzehnten verspricht die Politik, der Klimakrise zu begegnen. Seit gut drei Dekaden steigen die globalen Emissionen von Treibhausgasen munter weiter, sodass der Verdacht aufkommen könnte, das kapitalistische Weltsystem sei nicht in der Lage, die CO2-Emissionen global zu senken. Die Fakten sprechen eine klare Sprache, da im 21. Jahrhundert der Ausstoß von Treibhausgasen alljährlich anstieg – mit Ausnahme der Krisenjahre 2009 und 2020.1 Und an dieser Tendenz scheint sich auch nichts zu ändern. Die Internationale Energieagentur IEA veröffentlichte jüngst eine Emissionsprognose,2 laut der die weltweiten CO2-Emissionen in diesem und im kommenden Jahr ansteigen werden, weshalb 2023 ein neuer historischer Höchstwert erreicht werden soll. Eine Trendwende sei „nicht in Sicht“, so die IEA. Aller Apologetik in den Massenmedien zum Trotz hat der Kapitalismus somit empirisch eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er global Emissionen nur um den Preis einer Weltwirtschaftskrise „absenken“ kann (Dies war, wie gesagt, nur 2009 und 2020 der Fall).

Es ist, also ob die Menschheit auf Godot warten würde. Und dieses Warten ist nicht nur im absurden Theater, sondern auch in der inzwischen nicht minder absurden, spätkapitalistischen Realität vergeblich. Im Folgenden soll daher unter Rückgriff auf marxsche Wert- und Krisentheorie dargelegt werden, wieso das Hoffen auf eine kapitalistische Lösung der Klimakrise ebenfalls sinnlos ist.

Das Kapital als gesamtgesellschaftliches, globales Reproduktionsverhältnis macht alle Ansätze zunichte, eine ressourcenschonende Wirtschaftsweise zu etablieren. Das innerste Wesen des Kapitalverhältnisses bringt zwangsläufig ein ökologisch schlicht selbstzerstörerisches Wirtschaftssystem hervor. Eine nachhaltige Lebensweise ist im Rahmen der gegenwärtigen Produktionsweise folglich unmöglich. Diese einleitende These soll im Folgenden belegt und begründet werden.

Kapital: Irrationaler Selbstzweck, rationelle Methode

Als Kapital fungiert Geld, das durch einen permanenten Investitionskreislauf vermehrt, also „akkumuliert“ oder „verwertet“ werden soll. Das Wirtschaftswachstum ist hierbei nur der volkswirtschaftlich sichtbare Ausdruck dieses Vorgangs. Die Akkumulationsbewegung ist aber an eine „stoffliche Grundlage“ in der Warenproduktion gebunden. Spätestens seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 ist klar geworden, dass dieser Prozess der Kapitalakkumulation an die Warenproduktion gekoppelt ist und damit von der verausgabten Arbeit abhängig bleibt – und nicht etwa auf den Finanzmärkten aufgrund reiner Spekulationsprozesse dauerhaft aufrechterhalten werden kann.

Wie geht dieser Akkumulationsprozess des Kapitals konkret vor sich? Ein Unternehmen investiert sein Kapital in Lohnarbeit, Rohstoffe, Maschinen, Produktionsstandorte, um die dort hergestellten Waren mit Gewinn zu veräußern – wobei die Lohnarbeit die Quelle des Mehrwerts ist. Letztendlich akkumuliert das Kapital immer größere Quanta verausgabter, abstrakter Arbeit in diesem uferlosen Verwertungsprozess. Hiernach wird das vergrößerte Kapital reinvestiert – in mehr Rohstoffe, Maschinen, etc., um einen neuen Verwertungskreislauf zu starten (Diejenigen Kapitalisten, die das nicht tun und etwa ihren Mehrwert verjubeln, gehen in der Marktkonkurrenz unter). Durchsetzen wird sich dasjenige Kapital in der Konkurrenz, welches am günstigsten anbieten kann. Dies kann erreicht werden durch eine Steigerung der Produktivität und Kostenreduktion aller Art (Beschleunigung des Transports, Externalisieren aller Folgekosten, Einsparung von Arbeit u.a., Verlagerung des Produktionsstandortes in Billiglohnländer).

Die scheinbare Rationalität kapitalistischer Warenproduktion dient somit einem irrationalen Selbstzweck – der uferlosen Vermehrung des eingesetzten Kapitals, dessen Substanz die Lohnarbeit bildet als die einzige Ware, die Mehrwert abwerfen kann. Der konkrete Gebrauchswert einer Ware ist somit für das Kapital nur als notwendiger Träger des Mehrwerts von Belang – ob es nun Nahrungsmittel, Smartphones oder Tretminen sind. Und dies ist ja für jedes Marktsubjekt, für jeden Kapitalisten nur zu vernünftig – niemand investiert sein als Kapital fungierendes Geld, um danach weniger oder genauso viel zu erhalten. Es muss sich „lohnen“, Rendite abwerfen.

Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene entfaltet diese ökonomisch „vernünftige“ Logik ihr verheerendes Zerstörungspotenzial, da mit erfolgreicher Kapitalakkumulation auch die Aufwendungen für den Produktionsprozess – Rohstoffe und Energie – permanent erhöht werden müssen. Das Kapital wird folglich von einem Wachstumszwang angetrieben. Somit gleicht schon das kapitalistische „Business as usual“ einem Prozess der Verbrennung von immer mehr Ressourcen. Das Kapital muss seinem ureigensten Antriebsgesetz folgend immer größere Mengen an Energie und Rohstoffen „verfeuern“, um seine Akkumulationsbewegung aufrechtzuerhalten – solange, bis es an seine „äußere Schranke“ stößt, die in der Endlichkeit der Ressourcen des Planeten besteht. Der permanente Wachstumszwang dieses Wirtschaftssystems resultiert letztendlich aus dem Wesen des Kapitals.

Das Kapital als Weltverbrennungsmaschine

Das Kapital strebt somit nach einer möglichst hohen „Selbstvermehrung“; es ist Geld, das zu mehr Geld werden will. Dieser „hohle“, selbstbezügliche Prozess ist blind gegenüber allen gesellschaftlichen oder ökologischen Folgen seiner beständig anwachsenden Verwertungstätigkeit. Karl Marx hat bekanntlich für diese gesamtgesellschaftliche Eigendynamik des Kapitalverhältnisses den Begriff des „automatischen Subjekts“ eingeführt. Automatisch, also selbstbezüglich, weil es, obwohl von den nach größtmöglicher Kapitalverwertung strebenden Marktsubjekten – wenn auch unbewusst „hinter ihrem Rücken“ – hervorgebracht, der Gesellschaft als eine fremde, tendenziell instabile Macht, als ein oftmals krisenhafter „Sachzwang“ gegenübertritt.

Die zusehends schwindenden Ressourcen dieser Welt bilden das immer enger werdende Nadelöhr, durch das sich dieser irrationale Prozess der Kapitalverwertung unter immer größeren Friktionen hindurchzwängen muss. Beide ökologischen Krisenprozesse – die Ressourcenkrise wie die Klimakrise – werden durch diesen Verwertungsprozess, der auf globaler Ebene wie ein automatisch nach Maximalprofit strebendes „Subjekt“ agiert, entscheidend befördert. Die am Selbstzweck uferloser Kapitalverwertung, an der Profitmaximierung ausgerichtete kapitalistische Weltwirtschaft fungiert somit de facto als eine Weltvernichtungsmaschine, bei der die reale, konkrete Welt verbrannt wird, um das blinde Wachstum der Realabstraktion des Werts bis zum sozialen oder ökologischen Kapitalkollaps zu perpetuieren. Der Kapitalismus ist somit aufgrund dieser Notwendigkeit permanenter Expansion das logische Gegenteil einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise, die notwendig wäre, um ein Überleben der menschlichen Zivilisation zu sichern.

Folglich muss das Kapital seinem ureigensten Antriebsgesetz folgend immer größere Mengen an Energie und Rohstoffen „verfeuern“. Der Ressourcenbedarf des globalen kapitalistischen Verwertungsmotors wird weiter ansteigen, bis er an seine „äußere Schranke“ stößt, die in der Endlichkeit der Ressourcen unseres Planeten besteht. Dieser permanente Wachstumszwang des kapitalistischen Systems resultiert aus dem Wesen des Kapitals selber.

Produktivitätssteigerung als Brandbeschleuniger

Entscheidend befeuert wird dieser Prozess der Weltverbrennung durch das immer höhere Produktivitätsniveau der kapitalistischen Weltwirtschaft. Es scheint auf den ersten Blick absurd, aber es sind gerade die ungeheuren Produktivitätssteigerungen der spätkapitalistischen Warenproduktion, die zur Eskalation der ökologischen Krise maßgeblich beitragen. Da die Lohnarbeit die Substanz des Kapitals bildet, nötigen die permanenten Steigerungen der Produktivität den Spätkapitalismus dazu, die „effiziente“ Verschwendung von Ressourcen und Rohstoffen ins Extrem zu treiben. Im Rahmen der Kapitalverwertung sind alle ökologischen Ressourcen und Rohstoffe nur als Träger von Wert – also abstrakt menschlicher Arbeit – von Belang. Je höher aber die Steigerung der Produktivität, desto weniger abstrakte Arbeit ist in einem gegebenen Quantum Ware verdinglicht. Wenn ein Fahrzeughersteller durch Innovationen die Produktivität um zehn Prozent erhöht – was durchaus branchenüblich ist -, dann muss er auch zehn Prozent mehr Autos umsetzen, um bei gleichem Produktpreis die gleiche Wertmasse zu verwerten – oder jeden zehnten Arbeiter entlassen.

Um den Verwertungsprozess des Kapitals aufrechtzuerhalten, müssen daher bei steigender Produktivität entsprechend mehr Waren produziert und abgesetzt werden. Deswegen gilt: Je größer die Produktivität der globalen Industriemaschinerie, desto stärker auch ihr Ressourcenhunger, da die Wertmasse pro produzierter Einheit tendenziell abnimmt. Ein Versuch, in der kapitalistischen Weltwirtschaft eine ressourcenschonende Produktionsweise einzuführen, ist somit unmöglich – er käme einer Kapitalvernichtung gleich. Die Produktivitätssteigerung, die eigentlich zur Realisierung einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise unabdingbar ist, wirkt im Kapitalismus als ein Brandbeschleuniger, da hier eine blinde, funktionalistische Rationalität dem irrationalen Selbstzweck uferloser Kapitalverwertung dienen muss.3

Aus diesem durch Rationalisierungsschübe ins Extrem getriebenen Verwertungszwang ergibt sich die besagte Tendenz zur immer weiter beschleunigten effizienten Ressourcenverschwendung. Dieser wachsende Widerspruch zwischen Produktivkräften und kapitalistischen Produktionsverhältnissen erklärt auch die zunehmenden Tendenzen zur geplanten Obsoleszenz beim Warendesign. Hierunter ist der beabsichtigte Verschleiß zu verstehen, der bei der Konzeption eines Produkts in einen möglichst frühen Zeitraum vorgesehen wird. Je schneller ein Produkt nach dem Ablauf der Garantie kaputt geht, desto schneller stellt sich die entsprechende Marktnachfrage ein, die zur Realisierung der Kapitalverwertung notwendig ist.

Der Spätkapitalismus produziert somit buchstäblich für die Müllhalde, um hierdurch der stockenden Verwertungsmaschine neue Nachfrage zu verschaffen. Dies gilt gerade für die IT-Industrie. Inzwischen ist es ja für Nutzer kaum noch möglich, selbst die Akkus der aus Aluminium gefertigten Smartphones oder Notebooks selber auszutauschen – während Ansätze zu einem modularen Design in der IT-Branche aufgegeben wurden. Ein Blick auf die jüngsten, zusammengeklebten Notebooks, wo inzwischen selbst der Tausch von RAM-Modulen oder SSDs nicht mehr möglich ist, genügt eigentlich.

Ein Paradebeispiel für diese Tendenz zur effizienten Ressourcenverschwendung liefert die US-amerikanische Maisindustrie, die seit der grünen Revolution in den Siebzigern die US-Verbraucher mit dem High Fructose Corn Syrup (HFCS) beglückt, einem Zuckerkonzentrat, das den gewöhnlichen Zucker verdrängt hat und sich inzwischen in einer Unmenge von Nahrungsmitteln befindet. Der Filmemacher Curt Ellis, der in seinem Dokumentarfilm »King Corn«4 Geschichte und Folgen der Industrialisierung der amerikanischen Maisbranche beleuchtet hat, schilderte die Einführung von HFCS in einem Interview so: »In den Siebzigern wurde diese enorme Steigerung der Maiserträge erreicht, und nun tauchten überall im Mittleren Westen diese gigantischen Maisberge auf. Deswegen schien alles hilfreich, um diese Maismengen verwenden zu können.«

Inzwischen findet sich das von der Lebensmittelindustrie entwickelte HFCS, das mit der Zunahme von Fettleibigkeit, Diabetes, Herz und Lebererkrankungen in den vergangenen Dekaden in Verbindung gebracht wird, in »Tausenden« von Lebensmitteln wieder. »Unsere Ernährung ist sehr viel süßer geworden«, so Ellis. »High Fructose Corn Syrup ist überall, er ist in deiner Spaghettisoße oder in einem Laib Brot – in Produkten, in denen er vor einer Generation noch nicht zu finden war.«5

Produktivitätssteigerungen in der kapitalistischen Agrarindustrie führen somit nicht zu einer Schonung der begrenzten natürlichen Ressourcen, sondern zum Bemühen, auf Biegen und Brechen neue Nachfragefelder zu schaffen, um den Verwertungsprozeß aufrechtzuerhalten – und wenn es der menschliche Körper sein muß, der als Fruchtzuckerhalde mißbraucht wird. Deswegen nimmt der Ressourcenhunger der globalen Verwertungsmaschinerie immer weiter zu, deswegen werden immer neue »Märkte« und krankmachende Produkte kreiert, während eine knappe Milliarde marginalisierter Menschen hungern muß, weil sie aus der Kapitalverwertung ausgestoßen sind und keine zahlungskräftige Nachfrage bilden können.

Die Illusion des „Green New Deal“

Da diese Absurditäten kapitalistischer Warenproduktion längst in der Öffentlichekit zur Normalität geronnen sind, soll die kapitalistische Klimakrise derzeit vor allem durch mehr Kapitalismus überwunden werden. Der Ideologie eines „grünen“ Kapitalismus fällt angesichts der sich global häufenden ökologischen Krisenerscheinungen künftig eine zentrale Rolle bei der Legitimierung der kapitalistischen Produktionsweise zu. Als aktuelles Paradebeispiel hierfür kann Deutschland dienen. Das ökonomische Fundament des Aufstiegs der „Grünen“ zu einer deutschen Regierungspartei bildet die implizite Hoffnung auf ein neues Akkumulationsregime: auf den „Green New Deal“, ein umfassendes Programm zur ökologischen Transformation der kapitalistischen Gesellschaft, bei der „ökologische“ und „regenerative“ Industriezweige ihren Durchbruch erfahren und die Rolle von Leitsektoren der Wirtschaft einnehmen sollen. Hierdurch soll die soziale und ökologische Doppelkrise der kapitalistischen Gesellschaft überwunden werden, die mit der Erschöpfung des fordistischen Nachkriegsbooms in den 70ern einsetzte.6

Die gesamtgesellschaftliche Durchsetzung des Automobils, die fordistische „Automobilmachung“ der führenden Industriegesellschaften, brachte zuletzt solch eine umfassende Umgestaltung des gesamten Kapitalismus mit sich, die auch zu einem ungeheuren konjunkturellen Aufschwung führte, der erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erlahmte. PKWs und weitere neuartige Produkte, die mit arbeitsintensiven, neuartigen Produktionsmethoden einhergingen, eröffneten der Kapitalverwertung neue Märkte, und sie ließen in vielen Industriestaaten Vollbeschäftigung und Arbeitskräftemangel entstehen. Den Staatsapparaten flossen hierdurch die Steuermittel zu, mit denen die notwendige Verkehrsinfrastruktur geschaffen wurde, deren Aufbau nicht im Rahmen von Marktprozessen bewerkstelligt werden kann. Mit der Automobilmachung des Kapitalismus ging ein umfassender infrastruktureller Umbau der kapitalistischen Volkswirtschaften einher: vom Zupflastern ganzer Landstriche mit Autobahnen und dem Aufbau eines Händler-, Werkstatt- und Tankstellennetzes bis hin zur Schaffung ausgedehnter Parkplatzwüsten in unseren Städten.

Es ist aber kaum vorstellbar, dass bei der Produktion der alternativen Energiequellen solch hohe Beschäftigungseffekte erzielt werden können, wie sie im Zuge der Automobilmachung des Kapitalismus in den Fünfziger- oder Sechzigerjahren erreicht wurden. Solarzellen und Windkrafträder werden effizient nicht in der Art und Weise produziert wie Autos vor 40 Jahren, als Tausende von Arbeitern im Rahmen des Taylor-Systems auf endlosen Montagebändern in genau festgelegten Zeitintervallen stupide Handgriffe tätigten, um nach Hunderten von Arbeitsschritten – die je ein Arbeiter ausführte – ein Fahrzeug herzustellen. Bei dem heutigen allgemeinen Stand der Automatisierung der Produktion gelten tendenziell auch für die Herstellung alternativer Energiequellen ähnliche Probleme der „Überproduktivität“, wie in vielen älteren Industriezweigen.

Die „faux frais“ des Kapitals

Es gibt noch indirekte Krisenfaktoren, die einem „Grünen Kapitalismus“ im Wege stehn. Aufgrund dieses allgemeinen Abschmelzens des Anteils der Lohnarbeit am Produktionsprozess verschob sich längst auch das Verhältnis zwischen den Feldern der Kapitalverwertung und den notwendigen staatlichen Aufwendungen für Infrastruktur, die im Verlauf der Umsetzung eines „Green New Deal“ entstehen und anfallen würden. Karl Marx würde die Infrastrukturaufwendungen auf volkswirtschaftlicher Ebene als „faux frais“, als tote Kosten bezeichnen, die für den Verwertungsprozess des Kapitals notwendig sind, ohne Teil dessen zu sein – und folglich von diesem, zumeist in Form von Steuern, abgeschöpft werden müssen. Strategische Infrastruktur wird folglich nur dann massiv aufgebaut, wenn die Wirtschaft sich in einer langen Boomphase befindet, wenn das Kapital neue Märkte erschließt, also sich ein neues Akkumulationsregime etabliert hat, wie zuletzt bei der dargelegten Durchsetzung des Automobils in der Phase der Nachkriegsprosperität.

Der Neoliberalismus mit seiner Tendenz zur Privatisierung und somit kapitalistischen „Kannibalisierung“ der Infrastruktur ist gerade Ausdruck eines fehlenden neuen Akkumulationsregimes, bei dem massenhaft Lohnarbeit verwertet würde. Das Kapital verscherbelt sozusagen sein infrastrukturelles „Tafelsilber“, zur Gewinnung kurzfristiger Profitmöglichkeiten – um den Preis langfristiger Destabilisierung. Dieses aus dem hohen globalen Produktivitätsniveau resultierende Missverhältnis zwischen fehlenden Verwertungsmöglichkeiten und astronomischen Infrastrukturkosten vereitelt auch den Durchbruch der Ökoindustrien zu einem neuen Akkumulationstregime: Den astronomischen infrastrukturellen Kosten einer „Energiewende“ steht eine unzureichende Schaffung von Arbeitsplätzen gegenüber.

Das Kapital bildet somit einerseits vermittels seines Verwertungszwangs („Wirtschaftswachstum“) die zentrale Ursache der Klimakrise. Zugleich wirken die zunehmenden inneren Widersprüche dieser Wirtschaftsweise in Gestalt der maroden Infrastruktur als zusätzlicher Krisenverstärker, der die Widerstandsfähigkeit der kapitalistischen Gesellschaften gegenüber externen, klimatischen Schocks unterminiert. Überschuldete Staaten, zerfallende Deiche, einstürzende Brücken, berstende Wasserleitungen samt kollabierenden Stromnetzen und eine Überakkumulationskrise, die zu einer absurden Konzentration von Reichtum bei gleichzeitiger Massenverelendung selbst in den Zentren des Weltsystems, etwa den USA, führte – dies ist der desolate Zustand des real existierenden Spätkapitalismus angesichts der nun voll einsetzenden Klimakrise.

Peripherie und Zentren in der Klimakrise

Solche Ideen eines kapitalistischen „Green New Deals“ sind übrigens fast nur noch in der BRD oder anderen Zentrumsländern wie den USA überhaupt denkbar, die sich aufgrund ihrer Exportüberschüsse oder der Kontrolle über die Weltleitwährung noch nicht in einer dramatischen Finanzlage befinden. In den am Rande der Staatspleite taumelnden südlichen Euro-Ländern wie Griechenland, Spanien oder Portugal ist von einem „Green Deal“ kaum die Rede, obwohl diese Staaten eigentlich aufgrund der klimatischen Verhältnisse für solch eine energetische Transformation prädestiniert wären.

Wenn schon die Zentren des Weltsystems kaum in der Lage sind, die CO2-Emissionen rasch zu senken, so ist dies in der Peripherie und den Schwellenländern, auf die der Großteil des globalen Emissionszuwachses entfällt, vollends illusorisch.7 Es ist blanker ökologischer Wahnsinn, die kapitalistische Modernisierung der Schwellenländer zu forcieren – und es verbietet sich zugleich für die Öffentlichkeit in den alten, westlichen Wohlstandszentren, den Schwellenländern ihr Recht auf ein ökonomisches Aufschließen streitig zu machen. Innerhalb der kapitalistischen Logik, in dem der veröffentlichte Klimadiskurs immer noch weitgehend abläuft, gibt es – neben der üblichen Schönfärberei – nur die Optionen, den Schwellenländern die nachholende Modernisierung und den Anschluss an das Zentrum zu verweigern, oder den Klimawandel in Bezug auf die Schwellenländer zu ignorieren, indem man in übler bürgerlicher Tradition die entsprechenden öffentlichen Diskurse schön säuberlich trennt.

Eine nachhaltige Entwicklung der Peripherie des Weltsystems, eine globale Angleichung der Lebensverhältnisse, wäre nur jenseits des Kapitals denkbar – in einem postkapitalistischen Weltsystem, wo die bewusste Gestaltung der gesellschaftlichen Reproduktion nicht mehr den Amok laufenden „Märkten“ zu gehorchen hätte, sondern sich auf die globale Bekämpfung der Spätfolgen der kapitalistischen Klimakrise konzentrieren würde.

Überlebensnotwendig: Alternativen zum Kapitalismus

Der zur „Normalität“ geronnene Irrsinn einer auf Wachstumszwang beruhenden Wirtschaftsweise, die einen permanent steigenden Energie- und Rohstoffverbrauch voraussetzt, war nur dank der im Überfluss vorhandenen fossilen Energieträger über die Zeitperiode seit der Industrialisierung aufrechtzuerhalten. Die ungeheure Energiedichte zuerst von Kohle, ab Mitte des 20. Jahrhunderts dann von Erdöl ermöglichte überhaupt erst diese alle Weltregionen und Lebensbereiche erfassende und sukzessive verwüstende, blinde Wachstumsdynamik.

In den fossilen Energieträgern war die Sonnenenergie von Millionen von Jahren gespeichert, und die Kapitaldynamik hat sie in einem erdgeschichtlichen Wimpernschlag unwiederbringlich verbrannt, um hierdurch einen irrationalen, irren Selbstzweck möglichst lange aufrechtzuerhalten: dass aus Geld mehr Geld werde. Mit dem Ausbrennen dieser fossilen Verwertungsmaschine geht dem kapitalistischen Wachstumszwang auch die energetische Basis zur weiteren Expansion verloren – eine ökologische, postkapitalistische Gesellschaft, die auf größtmögliche Ressourcenschonung und die Befriedigung zumindest der elementaren Bedürfnisse aller Menschen ausgerichtet sein müsste, ist nur jenseits von diesem aus der Kapitalakkumulation resultierenden, blinden Wachstumszwang überhaupt noch denkbar.

Dabei sind die materiellen und technischen Bedingungen einer ökologischen Wende längst gegeben. Das enorme Produktivitätspotential, das im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise die Umweltzerstörung nur noch weiter beschleunigt, könnte jenseits des Kapitalverhältnisses zur Errichtung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise beitragen. Erst wenn die gesellschaftliche Reproduktion nicht mehr dem Selbstzweck der Kapitalverwertung untergeordnet ist, sondern direkt der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse dient, kann eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise errichtet werden.

Beim Kampf gegen den drohenden ökologischen Kollaps geht es somit nicht um einen reaktionären Antiproduktivismus, um eine Rückkehr zu vormodernen Produktionsweisen. Vielmehr müssten die produktiven Potenzen und technischen Möglichkeiten, die der Kapitalismus hervorgebracht hat, in einem ungeheuren transformatorischen Akt jenseits des Kapitalverhältnisses zum Aufbau einer nachhaltigen Gesellschaftsformation verwendet werden. Die Produktivitätsfortschritte, die derzeit nur die kapitalistische Verbrennung der globalen Ressourcen beschleunigen, würden dann tatsächlich deren Schonung ermöglichen. Es geht letztendlich – auch im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Klimakrise – um die Befreiung der Produktivkräfte aus den Fesseln der kapitalistischen Produktionsverhältnisse.

Die Überwindung des in seiner Agonie regelrecht Amok laufenden Kapitalverhältnisses stellt somit eine Überlebensfrage der menschlichen Zivilisation dar. Die ökologische Bewegung müsste bei ihrer diesbezüglichen Argumentation somit nicht so sehr an die Moral der Menschen appellieren, sondern an ihren Überlebensinstinkt. Es ginge also mehr darum, die kapitalistische Lebens- und Produktionsweise infrage zu stellen und ihre Verrücktheit offenbar machen und nicht darum, sich auf moralisierende Appelle zu fokussieren: man möge doch nachhaltig konsumieren o.ä. Damit würde das ganze Problem zu einer „Privatangelegenheit“ reduziert.

Der Autor veröffentlichte zu diesem Thema das Buch „Klimakiller Kapital. Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstört“.8

1 https://www.iea.org/reports/global-energy-review-2021/co2-emissions

2 https://www.cnbc.com/2021/07/20/co2-emissions-will-hit-record-levels-in-2023-iea-says.html

3 Further reading: Claus Peter Ortlieb, A Contradiction between Matter and Form: On the Significance of the Production of Relative Surplus Value in the Dynamic of Terminal Crisis (2008). Link: https://mediationsjournal.org/articles/matter-and-form

4 https://www.youtube.com/watch?v=tGSsScjwQ3Y

5 https://www.youtube.com/watch?v=9eBJQ-bajns&t=1s

6 https://zcomm.org/znetarticle/back-to-stagflation/

7 https://oxiblog.de/klimakrise-und-china/

8 https://www.mandelbaum.at/buch.php?id=962

Copyleft

„Jede Wiedergabe, Vervielfältigung und Verbreitung unserer Publikationen ist im Sinne der Bereicherung des allgemeinen geistigen Lebens erwünscht. Es gibt kein geistiges Eigentum. Es sei denn, als Diebstahl. Der Geist weht, wo er will. Jede Geschäftemacherei ist dabei auszuschließen. Wir danken den Toten und den Lebendigen für ihre Zuarbeit und arbeiten unsererseits nach Kräften zu.“ (aramis)

siehe auch wikipedia s.v. „copyleft“

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Grafikquellen          :

Oben     —    Klimastreik von Fridays For Future, Berlin, 22.10.2021

Copyright-Symbol überprüft.svg Dieses Bild wurde ursprünglich von Stefan Müller (Klima) bei https://flickr.com/photos/184802432@N05/51619357533 auf Flickr gepostet. Es wurde am 26. Oktober 2021 von FlickreviewR 2 überprüft und es wurde bestätigt, dass es unter den Bedingungen des cc-by-2.0 lizenziert wurde.
Datum 22. Oktober 2021, 12:45 Uhr
Quelle Klimastreik von Fridays For Future, Berlin, 22.10.2021
Verfasser Stefan Müller (Klimakram) aus Deutschland

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 2.0 Generic Lizenz.

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2.) von Oben        —       Graffiti „Destroy Capitalism!“ auf einer Fabrikmauer

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Das Rätsel der Veränderung

Erstellt von Redaktion am 26. Januar 2022

Was beutet es wenn wir die Welt so nicht mehr verstehen

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Ein Schlagloch von Georg Diez

Ein Problem der aktuellen Debatte ist, dass Kämpfe nicht benannt, reale und vor allem materielle Zusammenhänge nicht formuliert werden.

Ich versuche zurzeit oft zu verstehen, auch an dieser Stelle, wie Veränderungen passieren, wie wir sie vorantreiben können, was die Allianzen und was die Gegenkräfte sind. Das verschiebt sich, manchmal ist dort, wo gerade noch vorne war, auf einmal eher hinten, und umgekehrt kommt Energie manchmal von dort, wo man es nicht erwartet.

Die Veränderungen sind gerade aber auch so grundsätzlich, technologisch, ökonomisch, sozial, das ganze Weltbild betreffend, dass die Widerstandskräfte fast von selbst entstehen müssen, wie in der Physikstunde damals, als das Weltbild Newtons erklärt wurde und die Beziehung von Actio und Reactio – die einen drängen nach vorne, die anderen sind dagegen.

Dieses Bild von Veränderung gibt dem Ganzen eine Art Ordnung, baut klare Gegner auf, sieht Veränderung oder Fortschritt als Nullsummenspiel, die einen gewinnen, die anderen verlieren. Es ist das naturwissenschaftliche Weltbild, wie es bis ins frühe 20. Jahrhundert galt – und im Denken im Grunde bis heute, selbst wenn die Revolution der Quantenphysik durch Bohr, Einstein, Heisenberg und andere die Vorstellung von Welt und damit auch der Veränderung oder Veränderbarkeit von Welt fundamental erschüttert hat.

In der Vorstellung der Quantenphysik spielt Unsicherheit eine überaus große Rolle, weil die Welt, im Gegensatz zu dem, was Newton im 17. Jahrhundert formuliert hat, nicht all das ist, was wir sehen – die Einsicht kann zu größerer Offenheit und Gelassenheit führen, fast in einem buddhistischen Sinn, das Gleiten der Welt also als Realität; sie kann aber auch zu Verwirrung und Verstörung führen, zu Ablehnung, Verweigerung, Verzweiflung, in letzter Konsequenz zweifellos sogar zu Gewalt.

Benjamin Labatut hat das in einem fantastischen, wirklich im Wortsinn fantastischen Buch beschrieben, das ich nur allen zum Lesen empfehlen kann. Es heißt auf Englisch „When We Cease to Understand the World“, was sehr viel mehr den Kern des Buches trifft als der deutsche Titel „Das blinde Licht: Irrfahrten der Wissenschaft“ – denn bei aller Liebe zum Suhrkamp Verlag, wo das Buch schon vor einer Weile erschienen ist, es geht nicht um Irrfahrten der Wissenschaft, es geht um ein Erdbeben, physikalisch und metaphysisch, das größer ist als alles, was wir uns vorstellen können.

Labatut, ein sprachlich ungemein talentierter chilenischer Schriftsteller, erzählt die Geschichten der großen Mathematiker, Chemiker, Physiker vor allem des 20. Jahrhunderts, wobei Werner Heisenberg eine zentrale Rolle einnimmt. Der Einblick in die Komplexität der Welt, um einen etwas banalen Ausdruck zu verwenden, führt sie alle an den Rand ihres Verstandes und ihrer Vernunft und manche in so etwas wie Wahn oder Wahnsinn.

Der englische Titel macht dabei sehr schön klar, dass dieser Zustand kollektiv ist, es ist das Wir in der Verwirrung, was eine auch politische Bedeutung bekommt – die Welt, die wir geschaffen haben, können und werden wir nicht verstehen, das ist eine der Botschaften dieses romanhaft überhöhten Berichts von Erkenntnissen von atemberaubender Schönheit und Verwüstung; die Konsequenz davon ist, dass wir einen Weg finden müssen, in dieser Verwirrung zu leben, ohne in ihr zu verharren.

Und hier, unter anderem, fangen die Schwierigkeiten an, weil unsere Abmachung eine andere ist, politisch, menschlich, sozial – wir können, wir müssen verstehen, was geschieht, darauf ist unsere Vorstellung von Demokratie genauso gebaut wie die Beziehungen in Familie und Gesellschaft, die Identität und Individualität genauso wie die Vorstellung von Fortschritt und Veränderung.

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Was also bedeutet es, wenn wir die Welt nicht mehr verstehen?

Das Buch von Labatut macht in gewisser Weise den Kopf klar und frei für eine andere Realität, es ist eine Denkübung jenseits von festgelegten Prämissen von Rationalität – und das ist notwendig, diese Offenheit für das radikal Andere, um zu Veränderungen zu kommen. Es ist auch ein Loslassen von Bekanntem, es geht darum, die Unsicherheit als eine Konstante ins eigene Leben und Denken einzubauen.

Wer das verleugnet, wird leicht und ganz im Sinne Newtons: reaktionär – verleugnet also die komplexe Natur unserer Welt und die Limits dessen, was wir wissen und verstehen können. Es ist fast eine Art von kindlichem Trotz, ein Beharren darauf, sich sein Weltbild nicht durch die Wirklichkeit kaputtmachen zu lassen, eine Wirklichkeitsflucht also, in Parallelrealitäten und -Wahrheiten, eine Weltflucht.

Quelle         :     TAZ-online            >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben          —       Faux Screencap eines Rollenspiels, das in der traditionellen Darstellung der Hölle spielt. Bild bestehend aus freiem Lizenzmaterial, siehe File:Hadean.png. Aktuelle Version, die in die Gemeinfreiheit entlassen wurde.

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Unten     —       Karikatur von Gerhard Mester zum Klimawandel: „Weiter so“

Abgelegt unter International, Positionen, Regierung, Umwelt | Keine Kommentare »

Einfach nur Glück gehabt

Erstellt von Redaktion am 24. Januar 2022

Brückenenergie und Erneuerbare

Pelamis bei EMEC.jpg

Pelamis Wellen-Energiewandler vor ort im Europäisches Testzentrum für Meeresenergie (EMEC).

Essay von Franz Alt

Die Erderwärmung ist eine Gefahr für unser Überleben – die atomare Vernichtung nicht weniger. Lieber gleich komplett umsteigen, als auf AKWs setzen.

Was die taz-Autorin Silke Mertins am 13. Januar „Tabu­thema Atomkraft“ nennt, ist in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und in der ARD schon lange und in den letzten Monaten auch in der Welt, im Spiegel und der Süddeutschen Zeitung diskutiert worden. Ein „großes Tabu“, wie die Kollegin meint, ist die Frage nicht.

„Wenn die Erderwärmung die größte politische Krise unserer Zeit ist, von deren Lösung das Überleben der Menschheit abhängt“, so schreibt sie, „wie kann es dann sein, dass die klimaschädlichen Kohlekraftwerke nicht zuerst abgeschaltet werden?“ Gemeint ist: erst Kohlekraft und dann AKWs abschalten. Also längere Laufzeiten der noch drei deutschen AKWs, die zum Jahresende 2022 vom Netz sollen.

Silke Mertins überschätzt – wie viele Journalisten oder auch Bill Gates – die alten Energieträger und unterschätzt die Chancen einer raschen hundertprozentigen Energieversorgung mit erneuerbaren Energien. Bill Gates will „kleine, aber sehr sichere Atomkraftwerke“ verkaufen, hat er Sandra Maischberger erzählt.

Zumindest über eine Laufzeitverlängerung der deutschen AKWs „müssen wir reden“, meint jetzt auch die taz-Autorin. Ich tue es als konservativer Mensch, der bis Tschernobyl für Atomenergie eintrat und für den „konservativ“ heißt: bewahren, was uns bewahrt. Also saubere Luft, reines Wasser und fruchtbare, nicht kontaminierte Böden.

Nach Tschernobyl zeigte ich in meinen damaligen „Report“-Sendungen in der ARD viele Beiträge gegen Atomkraft. Dann lernte ich über den SPD-Politiker und späteren „Vater“ des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, Hermann Scheer, die Vorteile der erneuerbaren Energien kennen und schrieb das Buch „Die Sonne schickt uns keine Rechnung“, hielt dazu weltweit 3.000 Vorträge und konnte global über 300 Windräder und Windparks mit einweihen.

Kostenlose Geschenke der Natur

Dabei lernte ich die Effizienz und die Chancen der Öko-Energien noch besser kennen. Sie sind beinahe kostenlose Geschenke der Natur (die alten Energien werden immer teurer), sie sind umweltfreundlich (die fossilen sind klimaschädlich und die nuklearen gefährlich und unbezahlbar, wenn die Folgekosten mit einberechnet werden) und sie sind ewig vorhanden, während alle fossil-atomaren Energieträger Auslaufmodelle sind. Und es sind Bürgerenergien, weitgehend unabhängig von Konzerninteressen.

Das stärkt, vertieft und verankert die Demokratie bei den Menschen. Warum also längere Laufzeiten für deutsche AKWs? Wir haben unbestreitbar bessere und preiswertere Alternativen. Hierzulande kann heute eine Kilowattstunde Solarstrom für etwa 3 Cent und in Afrika oder Indien für 1,5 Cent produziert werden. Die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) schätzt, dass diese Preise in wenigen Jahren noch mal halbiert werden. Ein weiterer Vorteil der Erneuerbaren: Solarstrom ist Sozialstrom.

Doch der Umstieg wird halt noch dauern, meint die Kollegin und empfiehlt längere AKW-Übergangs-Laufzeiten als kleineres Übel. Vom Slogan „Atomkraft?– nein danke“ zu „Atomkraft? – ja bitte“? Einspruch: Einer der renommiertesten Solarforscher der Welt und langjähriger Chef des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme in Freiburg, Professor Eicke Weber, hat soeben in meiner Zukunftssendung auf „Transparenz TV“ gesagt:

„Der Umstieg auf 100 Prozent erneuerbaren Strom ist bis 2030 in Deutschland möglich“. Man muss es also nur wollen. Auch Eicke Weber sieht in AKWs eher einen Teil des Problems als einen Teil der Lösung. Ich halte die aktuelle Diskussion „Kohle oder Atomkraft?“ für eine Gespenster-Diskussion. Wer gegen Cholera ist, muss sich doch nicht für die Pest entscheiden. Erst vor wenigen Wochen hat der neue Eon-Chef, Leonhard Birnbaum, längere Laufzeiten für AKWs abgelehnt und der Süddeutschen Zeitung gesagt:

„Das Thema Kohleausstieg erledigt sich gerade von selbst“. Wegen der stets steigenden CO2-Bepreisung. Die einstige Wunderwaffe des deutschen Wirtschaftswachstums nach 1950, die Kohle, ist preislich nicht mehr konkurrenzfähig mit den Erneuerbaren. Schon zuvor hatte mir der EnBW-Chef in einer Diskussion gesagt: „Wir brauchen keine längeren AKW-Laufzeiten. Erst unter Rot-Grün raus aus der Atomkraft, dann 2010 unter Merkel wieder rein und kurz nach Fukushima 2011 wieder raus und jetzt wieder rein?

Kohleausstieg erledigt sich von selbst

Das ist doch ökonomisch unmöglich. Wir brauchen vor allem Planungssicherheit“. Wir können davon ausgehen, dass die deutschen Atomkonzerne an einem finanziellen Harakiri kein Interesse haben. Atomarer Klimaschutz? Es ist schlauer, gleich komplett umzusteigen. Wir setzen auf unserem Hausdach in Baden-Baden seit 30 Jahren auf den Fusionsreaktor Sonne, der uns aus sicherer Entfernung von etwa 150 Millionen Kilometern preiswert, zuverlässig, sicher und per Speicher mit Strom und zum Teil auch mit Wärme versorgt.

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Es reicht auch noch für kostenloses Fahren mit einem E-Auto. Der Atomreaktor Sonne schickt uns etwa 15.000-mal mehr Energie als die gesamte Menschheit heute verbraucht. Es gibt von Natur aus kein Energieproblem, es gibt nur falsches Energieverhalten und vorgestrige Energiepolitik. Leider stehen in Deutschland 2022 noch 90 Prozent der Dächer energetisch völlig umsonst in der Gegend herum.

Die Kollegin hat natürlich recht, dass der komplette Umstieg nicht von heute auf morgen geht. Doch er ist in 10, spätestens 15 Jahren machbar. Das traue ich dem neuen Klimaminister Robert Habeck eher zu als der alten Groko. Dieses Szenario wird auch gestützt von den Wissenschaftlern des Wuppertal-Instituts und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.

Habeck bekommt zwar viel Gegenwind, doch er setzt auf die gesamte Symphonie der Erneuerbaren: Sonne, Wind, Wasserkraft, Bioenergie, Erdwärme sowie Gezeiten- und Strömungsenergie der Ozeane. So wirds klappen. Die deutsche Solar- und Energieforschung hat hierfür über Jahrzehnte hervorragende Arbeit geleistet.

Schlag ins Gesicht der Anti-AKW-Bewegung

Silke Mertins meint auch: „Die Klimakiller Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen, während AKWs abgeschaltet werden, ergibt einfach keinen Sinn“. Doch welchen Sinn macht ein zweiter Ausstieg aus dem zweiten Ausstieg von AKWs? Zwei gravierende Gegenargumente. Erstens: Wie glaubwürdig wäre noch unser Jahrzehnte langer Kampf gegen die Gefährlichkeit von Atomkraft, wenn wir jetzt für eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten kämpfen würden?

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Oben     —     Pelamis Wellen-Energiewandler vor ort im Europäisches Testzentrum für Meeresenergie (EMEC). Portugal

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Den Staat neu denken

Erstellt von Redaktion am 23. Januar 2022

Corona und die Krise der Demokratie

Ich war einst  rote Lola und ging  mal zum Klosett – ich komme recht bald wieder und find den Merz nicht nett.

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Ein Pro & Contra

Erstellt von Redaktion am 20. Januar 2022

Deutsche Waffen für die Ukraine?

Waffen für die Kriegs – Affen ?

Ja- Dominik Johnson    – Nein – Anna Lehmann

Putin rasselt mit den Säbeln. Noch setzen westliche Diplomaten auf gutes Zureden. Sollte die Bundesregierung die Ukraine militärisch unterstützen?

Ja – Deutschland soll Waffen schicken

Jeder souveräne Staat hat das Recht, sich gegen einen bewaffneten Angriff zu wehren. Die Charta der Vereinten Nationen bestätigt „das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“. Einem Land im Falle eines Angriffs die Möglichkeit zur Verteidigung zu nehmen ist mindestens unterlassene Hilfeleistung, wenn nicht Beihilfe zum Völkerrechtsbruch. Das ist so, als würden Passanten tatenlos zusehen, wie Nazis Ausländer jagen.

Wer ungerührt zuguckt, obwohl er etwas tun könnte, macht sich strafbar. Wer darüber hinaus die Opfer auffordert, mit ihren anstürmenden Angreifern ins Gespräch einzutreten, macht sich lächerlich. In diese Lage gerät Deutschland mit seinem Beharren darauf, es dürfe keine Waffenlieferungen in die Ukraine geben. Russland hat 2014 die Krim besetzt, es führt ­einen verdeckten Krieg in der Ost­ukraine, es stapelt Soldaten an der Grenze, es negiert öffentlich das Existenzrecht einer souveränen Ukraine – aber Berlin gönnt Kiew nicht einmal Defensivwaffen.

Nicht etwa aus grundsätzlichen Erwägungen – Deutschland ist der viertgrößte Waffenexporteur der Welt, zu seinen Kunden gehören Diktatoren und Länder in Krisengebieten. Nein, man argumentiert mit „historischen Gründen“. Angesichts des Naziterrors in der ehemaligen Sowjetunion, etwa in der Ukraine, ist das nicht einmal historisch überzeugend – würde Deutschland auch Israel fallen lassen gegen Länder, die sein Existenzrecht nicht anerkennen?

Wie gut, dass es andere gibt, die der Ukraine helfen und die richtige Lektion aus der Geschichte ziehen – nämlich die, dass einem schwächeren Land gegen ein stärkeres Beistand gebührt. Jedes Opfer deutscher Angriffskriege im 20. Jahrhundert weiß das. Nur Deutschland hat es vergessen. Die gern angeführte Sorge um eine weitere Eskalation ist scheinheilig. Hätte Russland ein Interesse an Frieden, könnte es einfach friedlich bleiben.

Wenn eine militärische Großmacht aber ganz offen Krieg gegen den Nachbarn vorbereitet, ist das Gleichgewicht der Kräfte das einzige Mittel, den Frieden zu retten. Die Ukraine muss militärisch stärker werden, damit sich für Russland ein Angriff nicht lohnt. Erst dann kann der von Deutschland herbeigesehnte Friedensprozess in Gang kommen – auf der Grundlage gegenseitigen Respekts. Dominic Johnson

Nein – auf keinen Fall Rüstungsexporte ins Krisengebiet

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Oben     —     Ein in Deutschland entwickelter Leopard AS1 Gun Tank des 1st Armored Regiment (1ARMD) nimmt an einer simulierten Schlacht während der Talisman Saber 2005 Übung auf der Shoalwater Bay Training Area, Queensland, Australien Kameramann: PH2 BRANDON A. TEEPLES, United States Navy Date Shot: en:June 25en:2005

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Wer bist du, Ella?

Erstellt von Redaktion am 19. Januar 2022

Anonyme Aktivistin im Gefängnis

Von Katharina Schipkowski

Eine junge Frau sitzt in Haft. „Ella“, wie sie sich nennt, ist wegen des Angriffs auf zwei Polizisten verurteilt worden. Was ist da geschehen?

lla“ heißt auf spanisch „sie“ und auf Deutsch rückwärts gelesen „alle“. Das ist auch schon alles, was über „Ellas“ Identität bekannt ist. Die von der Justizbehörde „UWP 1“, also „unbekannte weibliche Person 1“ genannte junge Frau sitzt an einem Tisch hinter einer Plexiglasscheibe im Besucherraum der Justizvollzugsanstalt III Frankfurt am Main. Ihre Hände liegen auf dem Tisch, die Finger sind ineinander gefaltet. Sie trägt eine graue Sweatshirtjacke und dunkle Jeans, ihre Haare werden von einem Tuch zusammengehalten. Eine Corona-Schutzmaske verdeckt die Gesichtszüge der zierlichen Frau. Zur Begrüßung führt sie ihre Handflächen vor der Brust zusammen und deutet eine Verneigung an, wie zu einem hinduistischen „Namasté“, dem Willkommensgruß.

Die Bild-Zeitung hatte im Mai vergangenen Jahres ein Foto von ihr veröffentlicht, dazu der Titel: „Das ist die Polizisten-Treterin aus dem Dannenröder Wald“. Aber wer ist die Person wirklich, die absolut nichts über sich verraten will? Und warum hält sie so eisern an ihrer Anonymität fest? Das Gericht rechnete ihr das Schweigen über ihre Identität strafverschärfend an.

Die junge Frau, die auf dem Stuhl im hintersten Teil des Besucherraums Platz genommen hat, wirkt auf den ersten Blick zurückhaltend, fast schüchtern. Das Gespräch findet in englischer Sprache statt. Auf die Frage, warum sie anonym bleiben will, sagt sie: „It’s about principles“, auf Deutsch: „Es geht ums Prinzip.“ Welche Sprache ihre Muttersprache ist, sagt sie nicht, Deutsch ist es jedenfalls nicht. „Ella“ erklärt ihre radikale Verweigerung: Sie lehne es ab, sich vom Staat in Kategorien wie Geschlecht, Alter oder Herkunft einteilen zu lassen. Wichtiger sei, was die Menschen verbinde.

Wer bist du, „Ella“? Die Aktivistin neigt den Kopf leicht zur Seite, ihre Augen blicken mild und deuten ein Lächeln unter der Corona-Schutzmaske an. „Ein Mensch einfach“, sagt sie leise. Mehr ist dazu von ihr nicht zu erfahren.

Ein drakonisches Urteil

Das Amtsgericht im hessischen Alsfeld hat „Ella“ im Juli 2021 zu zwei Jahren und drei Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Richter Bernd Süß sah es als erwiesen an, dass „Ella“ am 26. November 2020 bei der Räumung des Dannenröder Walds einem Poli­zisten mit dem Fuß gegen den Kopf und einem anderen mit dem Knie ins Gesicht getreten habe – beides in 15 Metern Höhe, während sie auf einem Seil stand, das zwischen zwei Bäumen gespannt war, und die Polizisten sich ihr von unten, an einem Baum hochkletternd, näherten.

„Versuchter Totschlag“, lautete der Vorwurf zunächst. Davon rückte die Staatsanwaltschaft jedoch wieder ab und stufte die Anklage auf „Tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Widerstand und gefährlicher Körperverletzung“ herab. Dafür verurteilte der Amtsrichter sie schließlich.

Aktivistinnen protestieren gegen den Ausbau der A49 und die Rodung des Dannenröder Forstes in Zeiten des Klimawandels (50323016098).jpg

Die Politik der Sprechblasen bietet immer wieder Gelegenheiten für die Gesellschaft, ihre Märtyrer, genau wie in den Märchenbüchern der Religionen zu finden.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Nicht nur „Ellas“ Verteidigung, sondern auch die Staatsanwaltschaft haben Berufung eingelegt. Doch wie kam es zu der hohen Strafe? Und was ist am 26. November 2020 im nordhessischen Dannenröder Wald beim Protest gegen den Bau einer Autobahn geschehen?

Was geschah am 26. November 2020 im Wald?

„Am Tag von ‚Ellas‘ Räumung herrschte große Anspannung im Wald“, sagt Gábor Fekete. Er hat die Räumung des „Danni“, wie der Wald unter den Aktivisten genannt wurde, von Anfang bis Ende mit einer Kamera begleitet und fast die ganze Zeit live bei Twitter übertragen. Die Stimmung habe sich schon einige Tage vor der Räumung von „Ella“ hochgeschaukelt, berichtet Fekete.

Drei Tage zuvor war ein Gestell aus Baumstämmen eingestürzt und fast auf einen Polizisten gefallen – die Polizei wertete dies als einen gezielten Angriff. Vier Tage vorher hatten rund 30 Personen eine Gruppe Polizisten mit Pyrotechnik beworfen. Am gleichen Tag stürzte eine Aktivistin bei der Räumung aus sieben Meter Höhe ab und verletzte sich schwer.

Die Hütten der Baumhäuser „Nirgendwo“, aus denen „Ella“ geräumt wurde, stellten das Herz der Waldbesetzung gegen den Autobahnbau dar: knapp 30 Holzbauten in 20 bis 30 Metern Höhe, darunter das Technikzentrum des Waldes, eine große Küchenplattform sowie ein Anlaufpunkt für neue Waldbewohner*innen. Hier wurde überwiegend Englisch gesprochen, viele Be­woh­ne­r*in­nen kamen aus dem Ausland. Einige hatten vorher schon im rheinischen Hambacher Forst gelebt und gegen den dort geplanten Ausbau der Braunkohlegrube protestiert – unter ihnen wahrscheinlich auch „Ella“.

„Ausgebaut wie eine Festung“

„‚Nirgendwo‘ war ausgebaut wie eine Festung“, sagt Fekete. Die Baumhäuser lagen in der Mitte des besetzten Waldes, hinter Barrikaden, dreibeinigen hölzernen Türmen, Tripods genannt, und Plattformen, die mit Baumstämmen und Stacheldraht die Wege versperrten. Um die Hüttensiedlung herum war ein Seil gespannt, an der in zwölf Meter Höhe eine „Suicide-Box“ hing: ein Kasten, in dem ein Mensch saß. Die Ak­ti­vis­t*in­nen veröffentlichten vor der Räumung Pläne dieser Konstruktion, damit die Polizei informiert sei: Würde sie mit großen Räumfahrzeugen in das Hüttendorf hoch in den Bäumen eindringen, würde dieses Seil reißen, der Mensch hinabstürzen.

„Ella“ stand auf einem anderen Seil, doch auch ihre Räumung beschreibt Fekete als „schwierig und gefährlich“ – gefährlich aber hauptsächlich für sie. Ein Polizist habe wiederholt an ihrer Sicherung gezerrt und sie damit in Gefahr gebracht.

Feketes Video, auf dem der Fußtritt zu erkennen sein soll, der „Ella“ den größten Teil ihrer Haftstrafe einbrachte, dauert sieben Minuten. Vom Waldboden aus, wo seine Kamera stand, kann man erkennen, wie sich eine schlanke Person mit schwarzer Adidas-Jacke geschickt an mehreren Seilen zwischen den Bäumen bewegt. Sie steht auf einem Seil zwischen zwei Bäumen, ist an der Hüfte mit einem anderen Seil gesichert und hält sich mit den Händen an einem dritten Seil über ihrem Kopf fest. Im Hintergrund sind Holzfällarbeiten zu hören, einige Ak­ti­vis­t*in­nen rufen, die Polizei solle sie in Ruhe lassen oder lieber das Klima schützen, anstatt den Wald abzuholzen.

Als „Ella“ sich in der Adidas-Jacke auf dem Seil entlanghangelt, wirkt sie ruhig, hat aber keinerlei Möglichkeit mehr, der Polizei zu entkommen. An der einen Seite des Seils, auf dem sie steht, warten zwei Polizisten eines Sondereinsatzkommandos (SEK) auf einer Plattform. An der anderen Seite, wo „Ella“ sich einem Baum nähert, steigt ein SEK-Kletterer langsam, aber stetig ebenjenen Baum hinauf. Ein gelber Helm schützt seinen Kopf, an seinem Gürtel hängen Haken, Seile, Ohrenschützer und andere Ausrüstungsgegenstände.

Als er sich „Ellas“ Fußhöhe nähert, beginnt ein Gerangel: Er zieht an ihrem Sicherungsgurt, sie hält dagegen, von unten rufen Ak­ti­vis­t*in­nen „Ey, lass sie los“. „Ella“ versucht, seine Hand wegzuschlagen, er greift ihre Hand und zieht daran, sie reißt sich los, klettert um den Baum herum. Er zerrt wieder an ihrem Gurt, sie tritt nach seinem Kopf, aber er weicht offenbar nach hinten aus, sie trifft ihn nicht. Oder doch?

Alles gelogen?

Sie habe ihn sehr wohl getroffen, urteilte der Richter in erster Instanz. „Um seinem Griff zu entkommen, trat die Angeklagte in Richtung des Beamten. Dabei traf sie seinen Kopf, welcher aufgrund dessen ruckartig nach hinten geschleudert wurde“ – so steht es im Alsfelder Urteil.

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Die zweite Tat, für die „Ella“ verurteilt wurde, ist ein Stoß mit dem Knie gegen das Gesicht eines anderen SEK-Beamten. Zwar räumt der Richter ein, dass der Kniestoß auf den Videos nicht zu sehen ist. „Jedoch spricht dies nicht dagegen, dass der Beamte tatsächlich von der Angeklagten getreten worden ist“, so Richter Süß. Der Polizist sei in den Videos „entweder verdeckt oder zu weit weg von der Kamera gewesen, sodass die Videos einen Tritt nicht ausschließen können“. Auch auf Feketes Videos, die die ganze Interaktion zwischen „Ella“ und den drei beteiligten Beamten zeigen, ist ein solcher Stoß nicht zu sehen.

„Alles, was die Polizisten vor Gericht über die Räumung gesagt haben, ist gelogen“, sagt Jörg Bergstedt. Er hat den Prozess als Mitarbeiter der Kanzlei von „Ellas“ Anwalt begleitet, saß mit ihr und ihrem Verteidiger gemeinsam auf der Anklagebank. „Der Richter war nicht an einer Aufklärung interessiert. Das ist Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung, eine lancierte politische Justiz.“ Bergstedt hat das so wütend gemacht, dass er „Ella“ am liebsten selbst verteidigt hätte, als Laienverteidiger, wie er es oft für andere Ak­ti­vis­t*in­nen oder sich selbst macht. Aber das Gericht hat das nicht zugelassen.

Die Behörden kennen den 57-jährigen Bergstedt gut. Überall, wo in der Mitte Deutschlands eine Autobahn blockiert oder ein Wald besetzt wird, hat er seine Finger im Spiel. In der Nähe von Gießen betreibt er ein autonomes Zentrum. Dort haben er und andere Aktivisten einen Film über „Ellas“ Räumung gemacht. Er heißt „Ella – Von den Lügen einer Staatsanwaltschaft, die verschleiern und einschüchtern will“, und wurde bereits an über einhundert Orten in Deutschland aufgeführt, man kann ihn auch bei Youtube sehen. Sowohl die Filmaufnahmen der Polizei als auch Gábor Feketes Videos sind in den Film eingeflossen. Anhand ihrer und eines Theaterstücks, in dem Ak­ti­vis­t*in­nen die Räumung nachspielen, versucht Bergstedt die Räumung zu rekonstruieren.

Als die Polizeivideos im Gerichtssaal gezeigt wurden, hätten der Richter und die Staatsanwältin zum Teil gar nicht richtig hingeschaut, beschwert sich Bergstedt verärgert. Mit der hohen Haftstrafe hätten bis zum Tag des Urteils auf Seiten von „Ellas“ Verteidigung niemand gerechnet. Für die Angeklagte sei es ein Schock gewesen. Sie sei aufgesprungen und habe dem Richter entgeistert zugerufen „What happens to you?“, auf Deutsch: „Was ist los mit Ihnen?“. Im Zuschauerraum brach Tumult aus, der Richter räumte den Saal.

Ella, „eine zurückhaltende Person“

„Ella ist eine ruhige, zurückhaltende Person.“ So beschreibt Anja Kraus ihre Freundin. Die 60-jährige Heilpraktikerin ist eine von „Ellas“ wenigen Kontakten zur Außenwelt, sie hat als eine von zwei Personen eine Besuchserlaubnis und fährt alle zwei Wochen in die Justizvollzugsanstalt nach Frankfurt am Main. Während der Monate im Dannenröder Wald kam „Ella“ oft zum Duschen und Wäschewaschen zu Kraus, die in der Region wohnt. Kraus wiederum ging oft in den Wald, um den Protest mit einer Musikgruppe zu unterstützen, in der sie mitsingt.

Quelle         :          TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   Proteste gegen die Rodungsarbeiten im Dannenröder Forst (2020)

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2.) von Oben     ––         Die Rebel Riders von Extinction Rebellion fahren per Rad zur Montagsdemo Klimamontag von Berlin4Future. An verschiedenen Stellen gibt es Reden. Hier sprechen Aktivistinnen gegen den Bau der A49 und die Rodung des Dannenröder Forstes. Berlin, 07.09.20

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Eine Phantomdiskussion

Erstellt von Redaktion am 18. Januar 2022

Die Argumente gegen Atomenergie sind erdrückend

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Von Wolfram König

Selbst die AKW-Betreiber wollen aussteigen. Das eigentliche Thema Energiewende wird damit belastet. Mit dem Verblassen der Bilder von explodierenden Atomkraftwerken wiederholt sich Geschichtsvergessenheit.

Der Elefant steht im Raum, und keiner spricht über ihn. Die Klimakrise zeigt schonungslos die Grenzen unserer lieb gewonnenen Lebensweise auf Kosten unserer Mitwelt und künftiger Generationen auf. Das lange Zeit kollektiv geübte Verdrängen und Verschieben der Probleme funktioniert zunehmend schwer – nicht zuletzt vor dem Hintergrund unabweisbarer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Doch anstelle eines gesellschaftlichen Diskurses über eine tiefgreifende Umstellung unserer Lebensweise auf Nachhaltigkeit erleben wir eine schon manchmal verzweifelt anmutende Hoffnung auf die Erlösung durch Technik und Innovation. Dass dabei der Fortschrittsglaube der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts in Heilsversprechen der Atomenergie neuerdings Wege bis in die Redaktionen bislang unverdächtiger Presseorgane findet, erstaunt schon.

Welche angeblich neuen Erkenntnisse sollen eine Neubewertung notwendig machen? Die Atomenergie schien zumindest in der Bundesrepublik seit dem zweiten Ausstiegsbeschluss vor 10 Jahren abgehakt zu sein. Und auf kürzlich von meinem Bundesamt angestrengte Forschungsvorhaben zur nüchternen, wissenschaftlichen Einordnung von sogenannten neuen Reaktortypen („small modular reactors“) und Wunderwerken der radioaktiven Abfallbeseitigung („Partitionierung und Transmutation“) kam aus dem politischen Raum der Kommentar, ich möge bitte keine schlafenden Hunde wecken. Und doch – spätestens durch das Vorhaben der EU-Kommission, der Atomenergie ein grünes Label umzuhängen, ist es mit der Ruhe erst einmal vorbei.

Mit dem Verblassen der Bilder von explodierenden Atomkraftwerken in Japan wiederholt sich offenbar eine Geschichtsvergessenheit über die multikausalen Gründe für den Ausstieg aus dieser Hochrisikotechnologie. Schon einmal, nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, konnten wir erleben, wie mit der Zeit die Aufmerksamkeit für die katastrophalen Folgen einer Reaktorhavarie aus dem Blick geriet. Der Unterschied zu heute ist, dass damals die Energieversorger mit Unterstützung der Politik an dem weiteren Ausbau der Atomkraft in Ost- wie Westdeutschland festhielten. Uns als Gegner dieser Technologie ging es nicht nur um das bloße Nein, sondern um das Aufzeigen von Alternativen. So war die Katastrophe gleichzeitig der Booster für die Entwicklung erneuerbarer Energien. Und sie führte zur Etablierung einer kritischen Fachöffentlichkeit in Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Behörden.

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Heute erleben wir ähnlich wie damals erneut eine Kampagne für den Segen des Atomstroms. Um es kurz zu sagen: Keines der jetzt ins Feld geführten Argumente, warum Atomstrom nachhaltig sein soll, ist neu und kann fachlich eine Abkehr vom Ausstieg legitimieren. Atomenergie ist teuer, zerstört die Umwelt und gefährdet die Menschen bei der Brennstoffgewinnung; sie ist risikoreich, erzeugt hochgefährliche Abfälle, und – was gerne vergessen wird – sie fördert die Verbreitung von technischem Know-how zum Einstieg in die atomare Bewaffnung. Nur eines ist an dieser Technik wirklich nachhaltig: Mit unseren hochradioaktiven Abfällen müssen sich unabsehbar viele Generationen beschäftigen, ohne jemals eine eigene Entscheidungsmöglichkeit für den Eintritt in diese Technologie gehabt zu haben. Generationengerechtigkeit sieht anders aus.

Die sogenannten neuen Reaktortypen oder -techniken können diese grundlegenden Probleme nicht lösen. Die Analyse der genannten Konzepte fällt vielmehr ernüchternd aus: Vielfach handelt es sich um seit Jahrzehnten bekannte Überlegungen, die sich aus wirtschaftlichen oder sicherheitstechnischen Gründen nicht durchsetzen konnten. Bei anderen handelt es sich um Konzeptstudien, die bisher nie großtechnisch erprobt wurden und somit aus sicherheitstechnischer Sicht noch gar nicht bewertbar sind. Und: Kein Konzept könnte auch nur ansatzweise rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden, um beim Kampf gegen den Klimawandel zu helfen. Von den häufig ins Feld geführten kleinen Reaktoren müssten weltweit mehrere 1.000 bis 10.000 Reaktoren neu gebaut werden, nur um auf den Anteil der Energieerzeugung zu kommen, der heute von den weltweit 400 Reaktoren produziert wird. Das entspräche dann rund 10 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs – immer noch zu wenig, um einen spürbaren Akzent bei der CO2-Reduzierung zu setzen.

Quelle      :          TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

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Oben      —       Atomkraftwerk Brokdorf von der Elbe aus gesehen

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Inflation und Klimakrise

Erstellt von Redaktion am 16. Januar 2022

Die Profiteure fossiler Brennstoffe

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Von Stephan Schulmeister

Die Preiserhöhung für fossile Brennstoffe sollte durch die Erhöhung der CO2-Steuer zustande kommen – nicht durch Profite der Anbieter.

Im November 2021 stiegen die Verbraucherpreise im Euroraum um 4,9 Prozent, so stark wie seit 30 Jahren nicht mehr. Hauptursache dafür sind dramatisch steigende Energiepreise (+27,4 Prozent). Ohne Energie lag die Inflation nur bei 2,5 Prozent, in den vorangegangenen Monaten sogar unter dem Zielwert von 2 Prozent. Aber warum haben sich Erdöl, Erdgas und Kohle so sehr verteuert?

Hauptverantwortlich dafür sei der unerwartet starke Wirtschaftsaufschwung 2021 nach dem Corona-Einbruch 2020, die Produktion fossiler Energie konnte mit der Nachfrage nicht mithalten, die Lagerbestände sind daher gesunken. Tatsächlich wuchs die Weltwirtschaft zwischen 2021 und 2019 nicht einmal halb so stark wie im langjährigen Trend. Die Produktion von Erdöl sank nur geringfügig stärker als der Verbrauch, die Lagerbestände gingen lediglich auf das übliche Niveau zurück.

Zwar haben auch Wetterereignisse die Preise fossiler Energie steigen lassen – Dürren in Nord- und Südamerika dämpften die Stromerzeugung aus Wasserkraft, Überflutungen beeinträchtigten die Kohleförderung in Ostasien –, doch können sie das Ausmaß der Verteuerung nicht erklären: Die Preise für Erdöl und Erdgas stiegen auf das 4-Fache, jene für Kohle verdoppelten sich.

Dahinter steckt ein Problem von fundamentaler Bedeutung: die Verteilung der Profite („Renten“) aus der Produktion von Erdöl, Kohle und Erdgas in der Endphase des fossilen Zeitalters. Soll eine Klimakatastrophe vermieden werden, muss der Verbrauch fossiler Energie in den nächsten Jahrzehnten gegen null sinken, ihre Preise sollten daher stetig steigen. Dies kann – idealtypisch – auf zweierlei Weise erfolgen.

Fossile Brennstoffe müssen teurer werden

Variante I: In den Verbraucherländern senkt eine stetig steigende CO2-Steuer die Nachfrage nach fossiler Energie und macht es für die Produzentenländer schwer, höhere Preise am Weltmarkt durchzusetzen. Es wird ein „Steuerkeil“ zwischen Verbraucher- und Produzentenpreisen getrieben. Die Erträge aus der Verteuerung der fossilen Energie fließen den Verbraucherländern zu und können für weitere Maßnahmen der Dekarbonisierung sowie für die Unterstützung der dadurch besonders belasteten Gruppen verwendet werden.

Variante II: Die Produzentenländer setzen in Kooperation mit den großen Energiekonzernen eine schrittweise Verteuerung von fossiler Energie durch und erschweren es den Verbraucherländern, zusätzliche, spürbare Ökosteuern einzuheben. Die Gewinne aus der Verteuerung fossiler Energie fließen den Produzentenländern zu. Sie haben daher einen Anreiz, weiter in die Förderung fossiler Energien zu investieren – ungeachtet der Folgen für das Klima.

Auf den ersten Blick erscheinen die Chancen der „Fossilrentiers“ gering, in diesem Verteilungskampf erfolgreich zu sein. Schließlich dämpfen die Klimaziele die Nachfrage nach fossiler Energie, gleichzeitig besteht ein Angebotsüberschuss: Die Weltreserven an Erdöl und Erdgas betragen das 50-Fache der jährlichen Produktion, bei Kohle sogar das 150-Fache. Wenn auch nur die Hälfte davon verwertet wird, ist das Klima nicht zu retten.

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Allerdings: Die Welt wird noch mindestens 40 Jahre von fossiler Energie abhängig sein. Gleichzeitig ist die Macht der Anbieter ex­trem konzentriert, auf die 10 größten Produzentenländer entfallen etwa 70 Prozent der Erdöl-, Kohle- und Erdgasproduktion; ähnlich konzentriert ist die Macht der Energiekonzerne. Um einen überdurchschnittlichen Preisanstieg durchzusetzen, braucht es keine Absprachen über Fördermengen und Preise.

Riesige Reserven von Erdöl und Kohle

Es genügt, die Erwartung von Knappheit zu stärken, sei es durch Schlagzeilen wie: Russland liefert weniger Erdgas als in der Vergangenheit, Saudis drosseln die Ölförderung, und Fake News wie: Ölkonzerne senken Investitionen. Auch die seit 2008 nahezu permanent boomenden Vermögenspreise nähren die Erwartung steigender Energiepreise.

Nachdem die Notenbanken einen drohenden Aktiencrash Mitte März 2020 durch nie dagewesene Interventionen verhindert hatten, boomten die Preise von Aktien, Rohstoffen, Immobilien, CO2-Zertifikaten oder Bitcoins – und das in der tiefsten Krise der Realwirtschaft seit den 1930er Jahren.

Quelle     ;        TAZ-online        >>>>>      weiterlesen 

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Grafikquellen          :

Oben     —       Steinkohlekraftwerk Moorburg in Hamburg-Moorburg.

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Unten      —     SPÖ EU-Spitzenkandidat zu Gast in Tirol 15.3.2019, Foto: Julia Hitthaler

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Der Abschied vom Feuer

Erstellt von Redaktion am 15. Januar 2022

Abschied vom Feuer als Teil der Menschheitsgeschichte

»Jedes Stück Betonstahl hier stammt aus einem Walzwerk. Woher kommt die Hitze? Wir verbrennen Zeug. Der Zement stammt aus Brennöfen. Wie werden die angeheizt? Wir verbrennen Zeug. Wir verbinden Stahl und Beton und bauen Autobahnkreuze, damit Autos darüberfahren können. Wie halten wir die Autos in Bewegung? Wir verbrennen Zeug.«

Aus »Termination Shock« von Neal Stephenson (2021)

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Seit Hunderttausenden von Jahren verbrennen Menschen Dinge, um Energie zu gewinnen. Wir lieben das Feuer – dabei könnten und sollten wir längst weitgehend darauf verzichten.

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KOLUMNE * MATERIE

Erstellt von Redaktion am 15. Januar 2022

Alfred, mein Bundespräsident

Shinzo Abe und Frank-Walter Steinmeier bei der Inthronisation von Naruhito (1).jpg

Nur vor den Fahnen – reifen die Bananen !

Von niemandem habe ich im Jahr 2022 so viel über Demokratie gelernt wie von Alfred. Das ist am 15. Januar keine besonders weitgehende Aussage, werden Sie jetzt einwenden, aber Sie kennen Alfred noch nicht.

Alfred ist ein kleiner Boxer, ein Hund. Er wohnt in meiner Nachbarschaft und sieht für einen Boxer ganz freundlich aus. Ich habe Alfred am letzten Wochenende kennengelernt, beim Fußballspielen im Park. Meine Kinder wollten den neuen Ball einweihen, und so improvisierten wir aus unseren Fahrradhelmen zwei Fußballtore.

Nun hat sich der Park inoffiziell zu einer verkappten Hundewiese entwickelt. Offiziell gilt dort eine Leinenpflicht, die wird aber weder eingehalten noch kontrolliert.

So kam es, dass Alfred fröhlich auf uns zu rannte, sein Frauchen 30 Meter hinter ihm. Und während eines der Kinder gerade ebenso fröhlich das handgezählte 17:1 schoss, hob Alfred sein Bein und pinkelte an unseren Torpfosten: in den Fahrradhelm meines Sohnes.

„Ich fass es nicht!!!“, brüllte ich hysterisch. „Das ist so widerlich!“ und dann sagte ich noch irgendwas von „keine Hundewiese, eine Unverschämtheit“. Alfreds Frauchen ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, zog ein Tuch aus der Tasche und sprach mit sanfter Stimme – nicht mit mir, sondern mit ihrem Hund: „Alfred, das sollst du doch nicht machen.“

Was hat diese Anekdote nun mit Ihnen und mit dieser Gesellschaft zu tun?

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Nun, mein erster Reflex, während Alfreds Frauchen über den Fahrradhelm meines Sohnes wischte, war: „Bald ziehe ich in ein Haus mit Garten, dann hänge ich ein Alfred-verboten-Schild an meinen Jägerzaun und habe mit diesen scheiß Kötern nichts mehr zu tun.“

Doch dann sah Alfred, der Boxer, mich an und fing an zu sprechen:  „Kersten“ denk doch bitte auch an Immanuel Kant und den Kategorischen Imperativ: Es ist weder materiell noch rechnerisch möglich, dass sich jeder Mensch auf der Welt auf seine private Scholle zurückzieht. Wenn wir in einer Gesellschaft leben wollen, müssen wir uns arrangieren!“

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Oben      —         Am 23. Oktober 2019 führte Ministerpräsident Abe ein bilaterales Gespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Gästehaus Akasaka Palace.

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Tabuthema Atomkraft

Erstellt von Redaktion am 13. Januar 2022

Brückenenergie und Erderwärmung

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Von Silke Mertins

Die Klimakrise ist eine Überlebensfrage für die Menschheit. Dennoch werden in Deutschland AKWs statt Kohlekraftwerke abgeschaltet. Wir müssen reden.

Robert Habeck geht mit dem sympathischen Grundsatz durchs Leben, dass auch andere recht haben könnten, dass die Dinge auch anders sein könnten. Die Ideen der politischen Konkurrenz könnten vielleicht sogar überzeugender sein, ihre Forderungen sinnvoller. Wenn diese Sicht des Wirtschafts- und Klimaschutzministers auf die Politik auch für die Wirklichkeit gilt, dann wäre angesichts der bedrohlichen Erderwärmung und der aktuellen Diskussion über die Energiewende zu fragen:

Was wäre, wenn die anderen, die Atomkraftbefürworter*innen, recht hätten? Wenn die Bedeutung der AKWs und die Gefahr, die von ihnen ausgeht, in Zeiten des Klimawandels, der großen Überlebensfrage für die Menschheit, neu bewertet werden müssen? Die Frage ist ein großes Tabu. Niemand stellt sie, nicht einmal die Union. Bei Habecks Pressekonferenz diese Woche zur Klimabilanz (verheerend) meldeten sich rund zwei Dutzend Jour­na­lis­t*in­nen zu Wort.

Ob die derzeitige Linie zur Energiewende richtig ist, war dabei kein Thema. Deutschland nimmt AKWs vom Netz und lässt stattdessen die Kohlekraftwerke weiterlaufen. Erst zum Jahreswechsel wurden die Kernkraftwerke Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen C abgeschaltet, die drei letzten folgen Ende 2022. Neue Gaskraftwerke als Backup für Erneuerbare sollen sogar noch gebaut werden, was allein schon wegen des Gaslieferanten Wladimir Putin höchst problematisch ist.

Wenn die Erderwärmung die größte politische Krise unserer Zeit ist, von deren Lösung das Überleben der Menschheit abhängt, wie kann es dann sein, dass die extrem klimaschädlichen Kohlekraftwerke nicht zuerst abgeschaltet werden? Wie kann es sein, dass Gaskraftwerke ganz selbstverständlich eingeplant sind, weil man sie eben „braucht“? Ein kleiner Zahlenvergleich:

Fast das 10fache an CO2-Emissionen

Bei der Braunkohle betragen die CO2-Emissionen pro Kilowattstunde 1.034 Gramm, bei Gas sind es 442 Gramm und bei Atomstrom 117 (Uranabbau, der Bau usw. eingerechnet). Am effektivsten sind erwartungsgemäß die Erneuerbaren. Doch wer die Klimabilanz von Habeck diese Woche gehört hat, der weiß, dass es nahezu unmöglich ist, in den kommenden zwei Legislaturperioden ihren Anteil zu verdoppeln, um auf dem 1,5-Grad-Pfad zu bleiben.

Habeck kann noch so viel in seiner Lieblingsrolle als Draußenminister durchs Land reisen und mit Menschen sprechen, es wird nicht reichen. Denn auch wenn es zeitnah gelingt, Genehmigungsverfahren zu verkürzen, wird es nach gültiger Rechtslage immer noch eine gewisse Zeit dauern, bis Anlagen genehmigt und gebaut sind. Von der Materialbeschaffung und dem Mangel an Fachkräften in diesem Bereich mal ganz zu schweigen.

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Hinzu kommt, dass der Strombedarf von Industrie und Verkehr nach allen Prognosen in den kommenden Jahren enorm steigen wird. Natürlich ist die Kritik der Atom­kraft­geg­ne­r*in­nen an der geplanten EU-Einstufung von AKWs als „grüne“ und „nachhaltige“ Brückentechnologie berechtigt. Es dauert viel zu lange, neue Kraftwerke zu bauen und in Betrieb zu nehmen, um den Klimawandel in der entscheidenden Phase bis zum Kipppunkt noch positiv zu beeinflussen.

Wohin mit dem Atommüll ist bis zum heutigen Tage nicht geklärt. Die neuen Reaktortypen der vierten Generation – Thorium-Reaktor, Laufwellen-Reaktor und ähnliche –, die sicherer sein und teils ohne radioaktiven Abfall auskommen sollen, sind bestenfalls in der Erprobung. Atomstrom ist allein schon wegen der teuren Sicherheitsvorkehrungen und den Folgekosten unwirtschaftlich. Investitionen in Atomstrom könnten den Erneuerbaren das nötige Geld für den Ausbau entziehen. Nukleare Störfälle sind gefährlich.

Umweltorganisationen denken um

Ein GAU kann ganze Landstriche unbewohnbar machen. Doch wie viele Landstriche werden aufgrund des Klimawandels unbewohnbar werden? Wie viele Menschen werden in Zukunft sterben, wenn Städte verschwinden, Hitzewellen und Fluten Landwirtschaft vielerorts unmöglich machen? Denn schließlich ist die Erderwärmung nicht mehr aufzuhalten, es geht es jetzt nur noch darum, sie einzudämmen. Und bei aller Gefahr, die mit der Atomkraft verbunden sind:

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Oben      —       Atomkraftwerk Brokdorf von der Elbe aus gesehen

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Urknall und Gott-Komplex

Erstellt von Redaktion am 12. Januar 2022

Die Spezies Mensch ist in Gefahr, nicht der Planet.

Ein Schlagloch von Ilija Trojanow

Die Erde und mit ihr resistentere Arten als wir brauchen die ökologische Transformation nicht. Es ist durchaus beruhigend, dass die allergrößten Geheimnisse weiterhin nicht gelöst sind.

Das Jahr begann mit einer wuchtigen Nachricht. Trotz einer phänomenalen Messpräzision konnte auch das jüngste Experiment am Cern in Genf nicht erklären, wieso es uns gibt. Wie der Physiker Stefan Ulmer erklärt: „Die Frage ‚warum existieren wir?‘ kann die moderne Physik noch nicht beantworten.“ Materie und Antimaterie hätten sich beim Urknall gegenseitig auslöschen müssen. Haben sie aber nicht getan. Offensichtlich. Oder scheinbar? Wer kann sich da schon sicher sein.

Weiterhin trifft zu, was ein führender Astrophysiker mir vor einigen Jahren erklärte: „Wir wissen alles, nur nicht, was in den ersten sechs Sekunden geschehen ist.“ Weswegen jemand wie James ­Peebles, der 2019 den Nobelpreis für Physik gewonnen hat, der schlüssigen Ansicht sein kann, dass die Urknalltheorie einen Knall hat (pardon, das war zu verlockend): „Der Begriff suggeriert die Vorstellung eines Ereignisses und einer Positionsbestimmung, und beides ist völlig falsch. Es ist sehr bedauerlich, dass wir von einem Anfang aus denken, obwohl wir in Wirklichkeit keine gute Theorie für so etwas wie den Anfang haben.“

Das finde ich tröstlich. Es könnte uns Menschen ein Gefühl der Demut für unsere untergeordnete und gefährdete Stellung im Universum geben. Und es ist durchaus beruhigend, dass die allergrößten Geheimnisse weiterhin nicht gelöst sind. Ebenso tröstlich ist es, kosmologische Gedanken anzustellen in Zeiten, in denen die Frage von Sein und Nichtsein anhand des Maskentragens diskutiert wird.

ie wir in den letzten zwei Jahren erlebt haben, tut sich eine Gesellschaft, die ein Grundrecht auf Sicherheit einfordert, schwer mit der widersprüchlichen Dynamik wissenschaftlicher Erkenntnis. Es ist tatsächlich nicht ganz einfach. Wissen ist eine Momentaufnahme – die Physiker am Cern haben sogleich erklärt, bei noch genauerer Messung könnte sich das Erkenntnisbild ändern. Wissen ist vorläufig und kann daher von einer temporalen Vogelperspektive aus mangelhaft erscheinen, weswegen die Schlaueren unter den Gläubigen die Offenbarung Gottes nicht an den aktuellen Erkenntnissen der Physik festmachen, denn die ändern sich, das Alte Testament oder der Koran hingegen bleiben gleich.

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Wer also seine Meinung ändert, ist nicht der Korruption verdächtig, sondern des Nachdenkens. Und dass einzelne Wissenschaftlerinnen anderer Meinung sind, ist nicht der ultimative Beweis, dass diese Leute als Einzige die Wahrheit verteidigen. Denn merkwürdigerweise aktualisieren auch diese ihren Wissenstand.

Wenn es aber keinen Anfang gegeben haben soll, kann es logischerweise auch kein Ende geben, was uns in unserer momentanen apokalyptischen Laune etwas verunsichern sollte. Der zuletzt so erfolgreiche Netflix-Film „Don’t Look Up“ zeigt auf, wie wir gegenwärtig Zukunft framen (neudeutsch für „der Rahmen ist wichtiger als das Bild“). Die Handlung: Ein Weltuntergang droht, aber wir sind aus Dummheit und Gier nicht in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen. Da diese simple Annahme locker in einer halben Stunde illustriert werden kann, dümpelt der Film in der Folge dahin, auf bekalmten satirischen Gewässern, und endet – Achtung, Spoiler! – mit einer spießigen Verheißung: Piep, piep, piep, wir haben uns beim letzten Abendmahl besonders lieb.

Am Ende gibt es den Planeten nicht mehr. Diese Vision ist nicht nur reine Hybris, sondern auch eine Diskriminierung von Insekten und Mikroben. Wer bevorzugt an Pandas und Eisbären denkt (das Disney-Dogma) übersieht, dass die schlimmsten Entwicklungen, die wir uns vorstellen können – in beliebiger Reihenfolge: tote Meere, Atomkrieg, Klimakatastrophe, Zerstörung der Regenwälder – für Arten mit vielen Gehirnzellen ungemütliche Folgen zeitigen, keineswegs aber zum Absterben aller Äste des gewaltigen Stammbaums des Lebens führen werden.

Mikroben etwa sind sehr resistent, sie können nahezu ewig überleben und dabei erstaunlich lange Ruhephasen einlegen. Vor Kurzem sammelte ein Forscherteam in Japan aus den Tiefen des Meeres Bakterien, die schätzungsweise über hundert Millionen Jahre alt waren. Etwas Sauerstoff und Nahrung erweckte sie zum regen Leben. Schon nach einigen Wochen begannen Bakterien, die zuletzt in der Frühzeit der Säugetiere aktiv waren, sich wieder zu teilen. „Winter is coming“ entlockt einer anständigen Mikrobe nur ein müdes Lächeln.

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Die Fußball-WM in Katar

Erstellt von Redaktion am 9. Januar 2022

Werbe-Event mit Todesfolge

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von Inga Hofmann

In gut elf Monaten ist es so weit: Am 21. November beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Doch während in Deutschland darüber diskutiert wird, ob Hansi Flick ein besserer Bundestrainer als Joachim Löw sein wird, ist das Turnier selbst längst zum Politikum geworden. Denn die WM wird in einem Land ausgetragen, das den Tod tausender Arbeitsmigrant*innen in Kauf genommen hat, um mit prunkvollen Stadien zu beeindrucken und so sein außenpolitisches Ansehen aufzubessern. Systematisch versucht Katar, sich mit Hilfe des Profifußballs auf globaler Ebene als progressiv zu inszenieren und die wirtschaftlichen Beziehungen zu Ländern wie Deutschland auszubauen. Der Golfstaat nutzt die WM gezielt, um Sportswashing zu betreiben, also mit Hilfe des Turniers sein Image reinzuwaschen. Das aber konterkariert das oft zitierte Diktum des Weltfußballverbandes Fifa und des Deutschen Fußballbundes (DFB), wonach der Fußball unpolitisch sei.

Bereits die Vergabe der WM an Katar war ein Fehler. Zeitig kursierten Korruptionsvorwürfe, wonach drei südamerikanische Funktionäre Geld für ihre an Katar vergebenen Stimmen erhalten haben sollen.[1] Trotzdem zog die Fifa eine Neuvergabe nie ernsthaft in Erwägung. Nun lässt sich entgegnen, dass auch bei der Vergabe der WM 2018 an Russland Bestechungsgelder geflossen sein sollen, dennoch sind die Fälle nicht vergleichbar: Im Gegensatz zu Russland ist Katar keine Fußballnation, und dem Land geht es auch nicht um den Sport – sondern darum, ein durchkommerzialisiertes Werbe-Event abzuhalten. Zu diesem Zweck hat Katar in den vergangenen Jahren mit viel Aufwand erst einmal ein konkurrenzfähiges Nationalteam zusammenstellen müssen. Weil die Sportförderung im Land lange Zeit gering ausfiel und es wenig wettbewerbsfähige Athleten gibt, versucht Katar die Defizite durch Einbürgerungen zu kaschieren. Nicht alle Profifußballer, die für Katar auflaufen, erhalten allerdings die volle Staatsbürgerschaft. Das Emirat stand deshalb in der Kritik, vor allem nachdem das Nationalteam 2019 überraschend den Asien-Cup gewann.

Moderne Sklaverei

Ein weitaus gravierenderes Problem zeigt sich allerdings abseits der sportlichen Ebene: Seit Katar den Zuschlag für die WM erhalten hat, legte der Golfstaat ein ehrgeiziges Infrastrukturprogramm auf. Es stampfte nicht nur einen neuen Flughafen und ein ganzes U-Bahn-Netz aus dem Boden, sondern auch gleich neun neue Stadien. Ob die Arenen nach der WM weiter genutzt werden, ist in einem Land, in dem Fußball keine große Rolle spielt, äußerst fraglich. Darüber kann auch die Nachhaltigkeitsstrategie der Fifa für diese WM nicht hinwegtäuschen, selbst wenn es Katar gelingen sollte, die Stromversorgung mit Hilfe von Sonnenenergie zu garantieren. Vielmehr handelt es sich dabei um Greenwashing, das von den unmenschlichen Bedingungen, unter denen die Stadien entstanden sind, ablenken soll.

Denn die Last des Infrastrukturprogramms tragen vor allem Arbeitsmigrant*innen, die zumeist aus südasiatischen Ländern wie Nepal, Bangladesch und Sri Lanka stammen. Im Golfstaat müssen sie unter katastrophalen Bedingungen leben: Laut Amnesty International sind die Arbeiter*innen extremer Hitze ausgesetzt und in kargen Massenunterkünften untergebracht. Vielen stünden nicht einmal genügend Lebensmittel zur Verfügung. Der Internationale Gewerkschaftsbund warnte bereits 2014 davor, dass bis zum WM-Start tausende Arbeitskräfte ums Leben kommen würden, wenn Katar nicht grundlegend etwas an deren Situation ändere.[2] Diese Befürchtung hat sich mittlerweile bewahrheitet: Dem „Guardian“ zufolge starben seit der WM-Vergabe mindestens 6500 Arbeitsmigrant*innen.[3] Diese Zahl basiert auf Anfragen an die Regierungen der Herkunftsländer, in denen aber Daten aus Kenia und den Philippinen fehlen, so dass die Dunkelziffer noch höher ausfallen dürfte. Inwieweit die Todesfälle auf Unfälle beim Bau der Stadien oder auf die prekären Lebensverhältnisse zurückzuführen sind, ist unklar. Allerdings ist es naheliegend, dass der Großteil der Toten in Verbindung mit den Bauprojekten steht, denn schließlich sind mindestens 20 000 Arbeiter*innen nur zu diesem Zweck nach Katar gekommen.[4] Doch das Emirat hat bisher weder die Todesursachen umfassend aufgeklärt noch die Familien der Opfer entschädigt, die oftmals ihre Haupternährer*innen verloren haben, was sie in ihren Heimatländern in große Armut stürzt. Stattdessen schiebt es die Todesfälle auf „natürliche Ursachen“ oder Herzinfarkte. Das aber ist wenig glaubwürdig, handelt es sich bei den Verstorbenen doch größtenteils um junge Männer.

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In Katar machen Arbeitsmigrant*innen 95 Prozent der gesamten Erwerbsbevölkerung aus.[5] Viele von ihnen nehmen diese Jobs an, weil sie keine andere Möglichkeit haben, sich und ihre Familien zu versorgen. Ihre Ausbeutung im Emirat beruht auf dem sogenannten Kafala-System, das die Arbeitsmigration in vielen arabischen Ländern regelt. Innerhalb dieses „Bürgschaftssystems“ werden Arbeitskräfte im Baugewerbe von privaten Agenturen angeworben und an Arbeitgeber im Golfstaat vermittelt, die für ihre Einreise „bürgen“. Daraus entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis, das nur als moderne Sklaverei bezeichnet werden kann: Die Arbeiter*innen werden gezwungen, ihrem „Bürgen“ bei der Einreise ihre Ausweisdokumente auszuhändigen, und dürfen ohne deren Einverständnis weder den Arbeitgeber wechseln noch das Land verlassen. Ihr Aufenthaltsstatus und die Arbeitserlaubnis hängen also vom Wohlwollen einzelner Personen ab.

Unzureichende Reformen

Nach breiter internationaler Kritik hat Katar inzwischen einige Reformen initiiert. So erließ das Emirat 2017 ein Gesetz, das die Arbeitszeit regelt, und führte einen Mindestlohn ein, der umgerechnet bei rund 232 Euro plus Verpflegung liegt. Darüber hinaus schaffte es die sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigung („No Objection Certificate“) ab, so dass Arbeiter*innen mittlerweile nicht mehr auf die Zustimmung ihres Arbeitgebers angewiesen sind, wenn sie das Land verlassen oder den Arbeitgeber wechseln wollen. Diese Reformen klingen erst einmal vielversprechend, so dass sogar die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) befand, das Kafala-System sei im Land vollständig abgeschafft worden.[6] Der Jubel kam jedoch zu früh.

Das geht jedenfalls aus einem neuen Bericht von Amnesty International hervor. Demnach hat Katar die Reformen allenfalls lückenhaft umgesetzt. So werden Löhne weiterhin häufig zu spät oder gar nicht ausgezahlt, wogegen sich Arbeitnehmer*innen kaum wehren können, da ihnen der Zugang zur Justiz weitgehend versperrt bleibt. Außerdem ist es ihnen immer noch untersagt, sich in Gewerkschaften zu organisieren. Selbst Ausreisegenehmigungen und Unbedenklichkeitsbescheinigungen wurden faktisch nicht abgeschafft, sondern durch ein intransparentes Verfahren ersetzt. Amnesty kritisiert zudem, dass die 6500 Todesfälle nach wie vor nicht umfassend aufgeklärt wurden, obwohl es eindeutige Belege für einen Zusammenhang mit den unsicheren Arbeitsbedingungen auf den Baustellen gibt. Katar hat seither zwar einige Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, allerdings reichen diese bei Weitem nicht aus, um die Arbeiter*innen beispielsweise vor den extremen klimatischen Bedingungen zu schützen.[7]

In der Kritik steht dabei nicht nur die katarische Regierung, die es bis heute versäumt hat, umfassende Reformen zum Schutz der Arbeitskräfte zu initiieren. Vielmehr trägt auch die Fifa eine erhebliche Verantwortung für die menschenunwürdigen Zustände, indem sie die WM an ein Land vergeben hat, das nicht über die nötige Infrastruktur verfügte, um ein solches Turnier auszurichten. Denn die Todesfälle auf den Baustellen sind keine einfachen Unfälle, sie sind die logische Konsequenz des Kafala-Systems.

Boykott als letzter Ausweg?

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Oben       —   Doha

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Unten      —       Fifa 2020 Stadion in Al-Rayan, Doha, Katar

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Die grüne Kühlanlage

Erstellt von Redaktion am 7. Januar 2022

Klimaschutz durch gesunde Böden

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Von Ute Schwab

Regenerative Landwirtschaft und Wiederaufforstung sind wichtig fürs Klima. Der neue grüne Agrarminister Özdemir sollte deren Förderung forcieren.

Alle reden von CO2, niemand von Wasser. Dabei legen neue Studien nahe: Wiederbegrünung, Aufforstung und regenerative Landwirtschaft könnten die Erderhitzung entscheidend abmildern, indem Städte und Land(wirt)schaften bodennah gekühlt werden.

Wasserknappheit erschien bislang im regenreichen Deutschland undenkbar. Doch die Dürresommer von 2018 bis 2020 ließen Böden so tief austrocknen, dass im Harz und anderswo der Wald stirbt. Me­teo­ro­lo­g:in­nen sagen, die früher beginnende Vegetationsperiode verbrauche das Wasser im Boden schneller, sodass es im Sommer fehlt. Aber Studien zeigen, dass auch Abholzung und Versiegelung enorm zu Dürren und Fluten beitragen. Regionen mit humusverarmten, agroindustriell bearbeiteten Böden sind besonders überflutungsgefährdet. Mit seinen vielen Poren speichert ein Prozent Humus pro Hektar 100 Tonnen CO2 in Form von Kohlenstoff und mindestens 50.000 Liter Wasser – die beste Prävention gegen Trockenheit und Überschwemmungen.

Scheint die Sonne auf eine begrünte Fläche, verwenden Pflanzen über 70 Prozent der Sonnenenergie für die Verdunstung. Sie nutzen Wasser als Transportmittel für Nährstoffe und geben es an die Umwelt ab. Die dafür aufgewendete Energie führt zur Kühlung der Umgebungsluft und steigt als „latente Wärme“ in höhere Schichten auf. Wenn der Boden aber nackt ist – was auf konventionellen Äckern oft monatelang passiert –, heizt er sich auf und strahlt deutlich mehr Wärmeenergie ab.

Trockenheit entsteht nicht durch Regenmangel, sondern es regnet nicht mehr, weil Grün und Humus verschwinden

Das kann eine Differenz von bis zu 21 Grad ausmachen – wie in Tschechien an einem Hitzetag gemessen. In einem Wald herrschten 28 Grad, daneben auf einem abgeernteten Feld 42 und über Asphalt sogar 49 Grad. Eine Untersuchung der ETH Zürich ergab ergänzend, dass Bäume Städte entscheidend kühlen können, deutlich besser als Grünflächen. Ein einzelner Baum transpiriert mehrere 100 Liter Wasser und kühlt seine Umgebung mit 70 Kilowattstunden pro 100 Liter, was zwei 24 Stunden lang laufenden Klimaanlagen entspricht. Pflanzen leisten also einen entscheidenden Beitrag zur Kühlung des Planeten.

Die Erde hat aber etwa die Hälfte ihrer Wälder verloren, weil Menschen Platz für Äcker, Städte und Straßen schafften. Das führte laut einer Studie in Nature Communications zur Abnahme lokaler Wolkenbedeckung und damit der Niederschläge. Global hat sich die Verdunstung von 1950 bis 2010 um etwa 5 Prozent reduziert, gleichzeitig stieg die Oberflächentemperatur im Schnitt um 0,3 Grad. Klingt wenig, macht aber ungefähr ein Viertel der bisher gemessenen Erderhitzung aus.

Große Wälder lassen zudem Bakterien, Pilzsporen und Pollen aufsteigen, diese dienen als Kondensations- und Eiskerne für Wolken und Niederschläge. In Nahost bis nach China herrscht aber immer öfter eine Feuchte in der Atmosphäre, die nicht mehr abregnet – aufgrund fehlender Biokerne sowie menschenverursachter Staub- und Schwefelpartikel, die die Regentropfenbildung verhindern.

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Wälder produzieren somit ihren Regen selbst. Millionen von Bäumen erzeugen in Form von Wolken riesige Wasserflüsse in der Luft, die „fliegenden Flüsse“, die in 8 bis 10 Tagen bis zu 5.000 Kilometer zurücklegen können. Auch Böden sind Regenmacher. Trockenheit entsteht nicht durch Regenmangel, sondern es regnet nicht mehr, weil Grün und Humus verschwinden.

Deshalb müssen Wälder, Vegetation und Wasserkreisläufe als globales „Kühlsystem des Planeten“ intakt gehalten werden. Das Abholzen sollte gestoppt und Wiederaufforstung gefördert werden. Große Waldökosysteme wie am Amazonas oder am Kongobecken sollten als Gemeingüter unter Schutz gestellt werden. Die besten Naturschützer sind dabei die indigenen Gemeinschaften, die dort leben.

Unser Ernährungssystem sollte konsequent auf regenerative Landwirtschaft umgestellt werden. Diese weist Überschneidungen mit „bio“ auf, ist aber nicht damit identisch, weil auch konventionelle Höfe Humus aufbauen, begrünen und Wasser zurückhalten können. Der Boden sollte nie nackt liegen, sondern gemulcht und mit Zwischenfrüchten und Untersaaten immer begrünt werden. Ausgeräumte Agrarlandschaften wie in östlichen Bundesländern sollte es nicht länger geben dürfen. Hecken  anzupflanzen transpiriert, um damit wieder zu Niederschlag umgewandelt werden kann.

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Oben     —     Landschaftsschutzgebiet „Reutlinger und Uracher Alb“ (Schutzgebiets-Nr. 4.15.135, Steckbrief): Blick auf eine Streuobstwiese im Gewann „Löher“, Grabenstetten, charakteristisch für die Albhochfläche zwischen Grabenstetten, Hülben und Erkenbrechtsweiler. Ansicht von Westen in Mai. Teile dieser Streuobstwiese gehören außerdem zum Biotop „Gehölze im Gewann Platte“ (Biotop-Nr. 174224151201, Info).

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So retten wir die Welt

Erstellt von Redaktion am 7. Januar 2022

Jupiter und andere Sterne vor den Augen

Von Bernhard Pötter

Die letzten Donnerschläge des Böllerverbots sind verhallt. Auch der größte Tierfreund ist seinen Kater zum Jahresbeginn wieder losgeworden. Und immer noch wohnt für 2022 jedem Anfang ein Zauber inne. Zeit also für das große Horoskop.

Liebe und Erotik

Sie haben sich unter dem Einfluss der magischen Demoskopia für ein großes Wagnis entschieden: In einer bislang unbekannten Dreierkonstellation von verschiedenen Planeten ein gemeinsames Ziel anzugehen. Das eröffnet Ihnen neue Gefühlswelten. Ihr Unbewusstes hält sie vor allem in Nächten mit zu- oder abnehmendem Mond wach. Eine Liebesheirat war das nicht, aber Zweckbündnisse werden unterschätzt. Wenn Sie sich nach Verschmelzung sehnen, rufen Sie einen Stahlkocher (mit grünem Wasserstoff). Achtung: Bleigießen gefährdet die Gesundheit! Wie alle Prognosen.

Job und Finanzen

Sie ernten jetzt, was andere nicht gesät haben. Spätestens im März wird sichtbar, dass das schlechte Betriebsklima auf diesem Planeten ab sofort Ihr Problem ist. Wenn Sie jetzt noch gegen Windmühlen kämpfen, machen Sie grundlegend etwas falsch. Ihr inneres und äußeres Zuhause verlangen dringend nach einer Renovierung: Jetzt ist die Zeit, Ihre Fassade liften zu lassen! Wenn enge Grenzen Sie bedrücken, bleiben Sie mobil – aber achten Sie darauf. dabei immer unter Strom zu stehen. Und, ganz wichtig: Umarmen Sie Ihre Verlustängste! Geld ist genug da, wenn Sie nur den gelben Merkur, den pfiffigen Knaben und Gott der Schwindler und Kaufleute, bezirzen können. Schenken Sie seinem Unterbewussten Aufmerksamkeit. Erinnern Sie ihn an die „Demut“, von der er immer redet. Nur Sie wissen: Es heißt eigentlich „der Mut“.

Freundschaft und Familie

Verbünden Sie sich mit dem Wassermann. Das wird gerade beim nächsten Hochwasser entscheidend sein. Hüten Sie sich aber vor dem selbsternannten Jupiter im Westen. Er will Sie in heikler Konstellation mit Uranium und Plutonium in eine gefährliche Lage bringen, die Ihre innere Waage zum Kippen bringen kann. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Stärken und auf die Herausforderungen im Mai und Oktober, wo im Westen, Norden und in Ihrer inneren Mitte viele wichtige Menschen eine Wahl haben. Machen Sie bei den vielen Begegnungen der Magischen Mächtigen Sieben, die Sie leiten werden, eines klar: Herausforderungen können auch Hereinforderungen sein. Und dann immer schön schlumpfig grinsen.

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Oben     —     Panorama (~280°) des Sommernachthimmels bei Brandenburg an der Havel mit Lichtdom am Horizont

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Eine verlogene Erklärung

Erstellt von Redaktion am 6. Januar 2022

Niemand hat die Absicht, atomare Waffen einzusetzen

Quelle      :        INFOsperber CH.

Andreas Zumach /   

Die fünf offiziellen Atomwaffenmächte sprechen sich für eine atomwaffenfreie Welt aus. Die Erklärung ist verlogen.

«Wir wollen mit allen Staaten zusammenarbeiten, um das endgültige Ziel einer Welt ohne Atomwaffen zu erreichen, und bekennen uns zu unserer Verpflichtung aus dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NPT), Verhandlungen über ein Ende des atomaren Rüstungswettlaufs und ein Abkommen zur vollständigen Abrüstung zu führen.» Das behaupten die fünf offiziellen Atomwaffenstaaten und ständigen Vetomächte des Uno-Sicherheitsrates – die USA, Russland, China, Frankreich und Grossbritannien (P5) – in einer gemeinsamen Erklärung, die am Montag  in New York veröffentlicht wurde.

(Am Dienstag hätte dort die 10. NPT-Überprüfungskonferenz beginnen sollen. Diese wurde aufgrund der Corona-Pandemie jedoch kurzfristig abgesagt und auf verschoben. Die Medien wurden über die Entscheidung überhaupt nicht oder zumindest nicht rechtzeitig informiert. Korrektur vom Mittwoch, 5. Januar.)

Irreführend und unwahr

Wie auch immer: Die zitierte Behauptung ist ebenso irreführend und unwahr wie das Bekenntnis der fünf Atomwaffenmächte zur «Stärkung von Stabilität und Vorhersehbarkeit». Und die an sich völlig richtige Feststellung, dass «ein Nuklearkrieg nicht gewinnbar ist und niemals geführt werden darf», erinnert aus dem Mund der P5 an Walter Ulbrichts Satz «Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen».

Denn tatsächlich verweigern und boykottieren die P5 bislang jegliche multilaterale Verhandlung zu atomarer Abrüstung. Stattdessen betreiben sie mit grossem Aufwand und unter Verschleuderung gigantischer Geldsummen die von allen Seiten stets als «Modernisisierung» verharmloste Aufrüstung ihrer atomaren Arsenale. Dabei werden immer mehr Waffensysteme entwickelt, die zerstörungsstärker, zielgenauer, schneller und flexibler einsetzbar sind als ihre Vorgänger – und damit gefährlicher und unberechenbarer für den Gegner. Das gilt für die geplanten Nachfolgesysteme der US-Atombomben in der Eifel, für deren Einsatz auch die neue Bundesregierung neue Kampfflugzeuge anschaffen will, ebenso wie für die von Russland entwickelte Hyperschallrakete Zirkion, die mit einer Geschwindigkeit von 10.000 Stundenkilometern dem anvisierten Gegner jede Vorwarnzeit und Abwehrchance nimmt.

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Destabilisierend

Derartige Waffen senken die Schwelle zum Einsatz und bewirken das Gegenteil der von den P5 angeblich angestrebten «Stabilität und Vorhersehbarkeit». Noch führen die USA und Russland den atomaren Aufrüstungswettlauf an. Doch China zieht inzwischen gewaltig nach. Die Erklärung der P5 dürfte kaum ausreichen, den wachsenden Unmut der 186 Vertragsstaaten des NPT, die auf atomare Waffen verzichtet haben, zu beruhigen. Daher wäre ein erneutes Scheitern der New Yorker Überprüfungskonferenz wie schon 2015 keine Überraschung. Zumal auch der Beschluss zur Durchführung einer Uno-Konferenz über eine massenvernichtungsfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten, mit dem die NPT-Konferenz 2010 gerettet werde konnte, wegen des Widerstandes von Israel und der USA bis heute nicht umgesetzt wurde.

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Oben      —    Explosion von Upshot-Knothole Badger 1953 auf der Nevada Test Site

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EU-Entwurf zur Taxonomie

Erstellt von Redaktion am 4. Januar 2022

Atomstrom als Religion à la Macron

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Nur im Gebet vereint – ein Küssen recht und links – das war es.

Von Christine Longin

Energiewende mal anders: Frankreichs Präsident setzt sich vehement für Meiler ein. Die Bevölkerung ist erstaunlicherweise dafür.

Die Frage, wann der Druckwasserreaktor EPR am Ärmelkanal endlich in Betrieb geht, wird in Frankreich kaum noch gestellt. Denn die Entwicklung auf der Dauerbaustelle im Nordwesten des Landes ist zweitrangig geworden, seit Präsident Emmanuel Macron klar gemacht hat, dass die EPR-Technologie trotz ihrer Pannenserie eine Zukunft hat. Er werde weitere solcher Reaktoren bauen, kündigte der Staatschef in einer Rede bereits im November an.

Dazu sollen neue Mini-Reaktoren kommen. „Wir brauchen diese Technologie auf alle Fälle“, versicherte der frühere Wirtschaftsminister, der aus seiner Begeisterung für die Atomkraft nie einen Hehl machte. Deshalb verhandelte Frankreich in den umstrittenen EU-Entwurf zur Taxonomie auch die Kernkraft als „nachhaltig“ hinein.

Die Mehrheit der Bevölkerung ist für Atomkraft. Nach Jahren des Zweifels erlebt „le nucléaire“ gerade einen zweiten Frühling. Laut einer Umfrage vom Oktober sind 53 Prozent der Französinnen und Franzosen der Ansicht, dass die Atomkraft eine „gute Sache“ für ihr Land ist. In den 1990er Jahren vertraten weniger als 30 Prozent diese Meinung. Mit einem Atomstromanteil von 70 Prozent ist Frankreich das Land mit der meisten Nuklearenergie in Europa.

Das Energiewendegesetz sieht vor, den Anteil der Kernenergie am Strommix bis 2035 auf 50 Prozent herunterzufahren, doch die dazu nötige Schließung eines Teils der 56 Reaktoren ist noch nicht beschlossen. Bisher gingen lediglich die beiden Reaktoren des ältesten Atomkraftwerkes im elsässischen Fessenheim unweit von Freiburg vom Netz. Ihre Abschaltung war zunächst an die Inbetriebnahme von Flamanville geknüpft. Doch der Pannenreaktor, der bereits 2012 Strom produzieren sollte, wird frühestens zum Jahresende fertig. Mit 19 Milliarden Euro ist er zudem sechs Mal so teuer wie einst geplant, da während der Bauarbeiten immer neue Schwächen auftraten.

Angesichts der Summen, die in die Atomkraft fließen, wirken Solarenergie und Windkraft wie Stiefkinder der Energiepolitik. Die Erneuerbaren lieferten 2020 gut 19 Prozent zum Energiemix zu. Laut dem französischen Umweltministerium wurden 2018, dem letzten erfassten Jahr, 8,6 Milliarden Euro in „alternative Energien“ investiert. Ein Klacks im Vergleich zu den 100 Milliarden Euro, die der ohnehin hoch verschuldete staatliche Stromkonzern EdF für die Renovierung des alternden Atomparks zahlen muss.

Quelle        :      TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

Atompolitik der EU: Streit gehört dazu

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Kommentar von Gereon Asmuth

EU-Befürworter-Innen, die Atomkraft ablehnen, bringt die Idee einer klimafreundlichen Atomenergie in ein Dilemma. Der Kampf muss weitergehen.

Es ist ein echter Schuss vor den Bug von Grünen. Ausgerechnet die hierzulande größten Fans des europäischen Projekts müssen nun wegstecken, dass ihre geliebte Europäische Union der Atomkraft ein formidables Greenwashing verpasst. Die Welt soll vor der Klimaerwärmung gerettet werden, indem man sie dem Risiko einer Jahrtausende währenden Verstrahlung aussetzt. So einen ökologischen Unsinn von politischen Mit­strei­te­r:in­nen muss man erst mal verkraften.

Damit nicht genug, strahlen konservative Möchtegernrechthaber auch noch vor Schadenfreude. Jetzt werde man sehen, wie europäisch die Grünen sind, die sonst stets Polen und Ungarn kritisieren, höhnte etwa Ulf Poschardt von der Welt. Da kann man sich schon mal grün ärgern.

Aber sind die Grünen nun dazu verdonnert, den nuklearen Unsinn mitzutragen, wenn sie ihre transnationalen Ideale nicht verraten wollen? Im Gegenteil! Die EU lebt vom demokratischen Streit, vom Dissens, vom politischen Wettbewerb. Ganz ähnlich übrigens wie Deutschland, wo man über Jahrzehnte vehement die Atomkraft bekämpfen konnte, ohne gleich den demokratischen Staat in Gänze ablehnen zu müssen.

Quelle       :          TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Oben     —   Angela Merkel und Emmanuel Macron in Paris

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Klimawandel, Artensterben –

Erstellt von Redaktion am 1. Januar 2022

– schwindende Rohstoffe: Es gibt kein „Weiter so“ – auch nicht für
DIE LINKE.

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Quelle:    Scharf  —  Links

Von Edith Bartelmus-Scholich*

Die Hitzesommer der vergangenen Dekade mit vielen Herz-Kreislauf-Toten und die Starkregen-Katastrophe im Sommer 2021 mit fast 200 Todesopfern zeigen, dass die Folgen des menschengemachten Klimawandels allmählich für alle spürbar werden. Dabei hat sich bis jetzt nur eine globale Erwärmung von ungefähr 1,3° vollzogen. Ohne sofortiges Eingreifen der Politik droht eine Erderwärmung von ungefähr 3,2° bis zum Ende des Jahrhunderts. Deutschland mit seinem hohen Verbrauch fossiler Brennstoffe ist dabei ein Treiber des Klimawandels. Die globale Katastrophe wird Dürren und extreme Wetterereignisse befördern sowie den Meeresspiegel ansteigen lassen. Sie wird Ernteausfälle, Hunger für Milliarden Menschen und Migrationsströme nach sich ziehen. Auch in den Metropolen wird es zu immer mehr Herz-Kreislauf-Toten kommen, vor allem werden Arme in Innenstadtbezirken von Großstädten betroffen sein.

Noch weitaus gefährlicher ist jedoch, dass der Klimawandel das globale Artensterben zusätzlich antreibt. Pflanzen, Pilze und Tiere sind überwiegend nicht in der Lage sich an so rasch eintretende Veränderungen ihrer natürlichen Umgebung anzupassen. Von den ehemals ca. 8 Millionen Pflanzen-, Pilz- und Tierarten sind in den letzten Jahrzehnten bereits ca. 1 Million ausgestorben, weil ihre Lebensräume zerstört wurden oder weil sie ausgerottet wurden. Täglich kommen ca. 150 Arten hinzu. Ein Viertel der Arten in Europa steht auf der Roten Liste, ist also akut gefährdet. Deutschland hat innerhalb Europas den traurigen Spitzenplatz inne, was das Artensterben betrifft. Mit den Arten brechen Nahrungsketten zusammen, an deren Spitze schließlich der Mensch steht. Besonders bedrohlich ist das Insektensterben, da 80 bis 90 Prozent der Pflanzen und auch 75 Prozent der Nahrungspflanzen von Bestäubern, also Insekten, abhängig sind. Eine Erderwärmung um 2° bis 3° wird noch einmal zum Aussterben von 20 bis 30 Prozent der Arten in allen Lebensräumen führen.

Pflanzen benötigen für ihr Wachstum essentiell Phosphor und Kalium. Die bisher bekannten Reserven dieser beiden Elemente werden bei heutigem Abbau in ca. 30 Jahren erschöpft sein. Damit erledigt sich dann die Praxis der Kunstdüngung und Nahrungsmittelknappheit für die gesamte Menschheit wird die Folge sein. Aber nicht nur Phosphor und Kalium gehen zur Neige. Auch verwendbarer Sand für Beton wird knapp werden, Kobalt für e-Autos ohnehin. Bei genauer Betrachtung gibt es kaum eine natürliche Ressource die bei weiterem Wirtschaften wie gehabt noch ausreichend vorhanden sein wird.

Die multiple Krise wird, wenn nicht in den nächsten vier bis fünf Jahren energisch umgesteuert wird, eine absehbare Folge von Katastrophen für den ganzen Planeten, für alle Ökosysteme und für die gesamte Menschheit nach sich ziehen. Milliarden Menschen vor allem im globalen Süden werden ihrer Existenzgrundlage beraubt werden. Dies wird Migration in einem nie gekannten Ausmaß nach sich ziehen. Verteilungskämpfe um Nahrung, um Wasser und um eine Zukunft für die jeweils nächste Generation werden zunehmen. Die Kriegsgefahr wird enorm steigen.

Nachhaltigkeit und Klimaneutralität als Prämissen neuer linker Politik

Die skizzierte Entwicklung lässt politische Lösungen, wie sie über Jahrzehnte praktiziert wurden, auch für Linke nicht mehr zu, denn es geht nicht nur um den raschen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern. Jeder einzelne Vorschlag, jede einzelne Maßnahme muss zwingend daraufhin geprüft werden, wie sie sich auf die Erderwärmung, das Artensterben und den Ressourcenverbrauch auswirkt. Akzeptabel sind für eine kurze Übergangszeit gerade noch Vorschläge, die keine weitere Verschlechterung des Status quo nach sich ziehen. Ziel ist eine Umkehr der krisenhaften Entwicklung. Dabei ist immer mitzudenken, dass es die Armen sein werden, ob in den Metropolen oder im globalen Süden, die als Erste keinen Zugang mehr zu lebensnotwendigen Gütern wie Heizenergie oder Lebensmitteln haben werden.

Die multiple Krise kann nur bewältigt werden, wenn sich das Wirtschaften und der Umgang mit Natur grundlegend verändern. Der Aufbau einer überwiegend regionalen Kreislaufwirtschaft in der Rohstoffe und Wertstoffe weitestgehend wiederverwertet werden, muss sofort begonnen werden. Notwendige Gebrauchsgüter müssen langlebig und reparaturfähig werden. Ein weiteres Wachsen der Wirtschaft kann nur in Sektoren geduldet werden, die Klima und Umwelt nicht zusätzlich belasten. Klima- und umweltschädliche Produktionen müssen jedenfalls decarbonisiert, aber zu einem großen Teil auch rückgebaut werden. Der sogenannte ökologische Fußabdruck von derzeit 2,83 gHa darf vor allem in den westlichen Industrienationen nicht mehr wachsen, sondern muss jährlich schrumpfen. Dazu muss der Flächenverbrauch reduziert werden.

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Eine Schlüsselrolle im Kampf gegen das Artensterben kommt dem Umbau der Landwirtschaft zu. In Deutschland wird die Hälfte der Fläche landwirtschaftlich genutzt. Monokulturen, die heute das Bild bestimmen, müssen aufgelöst werden. Herbizide und Pestizide müssen aus der Nahrungskette verschwinden. Die Flur muss wieder ausreichend Lebensräume für Wildpflanzen, Insekten, Amphibien, Vögel und Säugetiere bereitstellen. Der übermässige Eintrag von Nitraten in Gewässer und Böden ist zu stoppen. Lebensräume von Wildpflanzen und Tieren dürfen nicht verinselt werden, sondern müssen zusammenhängen. Die Waldfläche muss weltweit vergrößert werden, wobei hauptsächlich Wälder ohne größere menschliche Eingriffe zu schaffen sind. Die industrielle Massentierhaltung ist klima- und umweltschädigend. Sie muss unverzüglich in eine artgerechte, an die Hoffläche gebundene Tierhaltung nach Bio-Standards überführt werden. Dabei muss garantiert werden, dass allen Menschen ausreichend gesunde Lebensmittel zur Verfügung stehen. Die Vernichtung von verwertbaren, gesunden Lebensmitteln durch die Erzeuger oder den Handel ist sofort zu stoppen.

Ökosozialismus statt Barbarei

Ein so tiefgreifender, rascher wirtschaftlicher Umbau ist mit den marktwirtschaftlichen Mitteln des Kapitalismus nicht zu bewerkstelligen. Es bedarf statt dessen einer gesamtgesellschaftlichen, planvollen wirtschaftlichen Vorgehensweise. An die Stelle der Konkurrenz zwischen Unternehmen muss eine zielgerichtete Kooperation von Betrieben treten. Eigentumsverhältnisse, die einer solchen Wirtschaftsordnung entgegenstehen, müssen neu geordnet werden. Im Rahmen einer solchen Neuordnung muss die praktische Lenkung der Betriebe demokratisiert werden.

Auch das alltägliche Leben der Menschen wird sich sehr ändern. Konsum wird nicht mehr geeignet sein, gesellschaftliche Hierarchien abzubilden. Die Ernährung wird nicht mehr einen so hohen Anteil tierischer Proteine enthalten. Mobilität wird nicht mehr überwiegend privat mit dem Auto organisiert werden, sondern kollektiv mit Bus und Bahn. Raumordnung und Gestaltung der Städte müssen an die höheren Temperaturen und die neuen Bedürfnisse kollektiver Mobilität angepasst werden. Allerdings wird in einer vom Wachstumszwang befreiten Kreislaufwirtschaft die Erwerbsarbeitszeit stark sinken und die Freizeit stark wachsen. Diese Freiräume werden dazu beitragen die unterschiedliche Belastung von Frauen und Männern bei der Familien- und Sorgearbeit einzuebnen. Sie können für Bildung, kulturelle oder politische Aktivitäten zur Vertiefung der Demokratie genutzt werden. Linke Politik wird hier die Aufgabe haben, Verteilungsgerechtigkeit und soziale Gleichheit herzustellen, damit eine neue Lebensqualität für alle Menschen erfahrbar wird.

DIE LINKE wird eine ökosozialistische Partei oder sie wird scheitern

Mit dem Erfurter Programm und dem von 88% der Delegierten beschlossenen Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 hat DIE LINKE bereits eine Programmatik geschaffen, die von allen Parlamentsparteien am ehesten geeignet ist, vor den Herausforderungen durch den Klimawandel, das Artensterben und die Verknappung von Rohstoffen zu bestehen. Es ist ihr auch gelungen, diese Programmatik mit den klassischen Zielen einer sozialistischen Partei, insbesondere mit dem politischen Kampf für soziale Gerechtigkeit zu verbinden. Leider geht sie jedoch mit ihrer Programmatik in der Praxis nicht genug in die Offensive. Vielmehr verspielt sie ihre politischen Chancen sich zu einer ökosozialistischen Partei fortzuentwickeln indem sie sich innerparteilich zuerst von ihrem sozialkonservativen Flügel und nun von der Mehrheit der Bundestagsfraktion blockieren lässt. Sie geht damit das Risiko ein, keine glaubwürdige politische Praxis in Bezug auf den Klimawandel, das Artensterben und die Verknappung von Rohstoffen und auch keine ökosozialistische Perspektive zu entwickeln. Sie nimmt diese Blockade hin, obwohl schon die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl zeigen, dass eine Unterordnung unter den sozialkonservativen Flügel DIE LINKE ins politische Aus führen wird.

Aus innerparteilicher Rücksichtnahme auf eine relativ kleine, aber gut vernetzte und lautstarke Minderheit, die allen Analysen zum Trotz am Konzept einer „echten traditionellen Sozialdemokratie“ festhält und fordert, dass DIE LINKE sich auf ihre Kernkompetenz „Soziale Gerechtigkeit“ konzentrieren soll, wurde genau dies im Bundestagswahlkampf getan. Klimapolitik wurde dabei auf den Umbau des ÖPNV eingedampft, Umweltpolitik kam gar nicht vor. Auch weitere Themen, die dieser sozialkonservativen Minderheit ungeeignet erscheinen, wie Frauenpolitik, Einsatz für unterdrückte Minderheiten, Migrationspolitik usw. hatten in der Kampagne keinen Stellenwert. Ziel war offenbar, ohne Konflikte in den Bundestagswahlkampf zu ziehen. Dieses Ziel wurde schon deswegen verfehlt, weil 5 Monate vor der Wahl die Wortführerin des sozialkonservativen Flügels, Sahra Wagenknecht, eine mediale Feldschlacht gegen die eigene Partei eröffnete. Im Rahmen einer zerstörerischen Kampagne wurde von Wagenknecht vermittelt, dass Klimapolitik ein Hobby von gelangweilten Mittelschichtkids sei, und dass der Einsatz für unterdrückte Minderheiten vor allem der Selbstgefälligkeit sogenannter Life-Style-Linker diene. Die potentiellen WählerInnen der Partei DIE LINKE in links-grünen, urbanen Milieus wurden dadurch zu Hunderttausenden vertrieben. Die unmittelbare Folge war eine desaströse Wahlniederlage. DIE LINKE stürzte auf 4,9% ab und ist nur mit einer Fraktion im 20. Bundestag vertreten, weil drei Direktmandate gewonnen wurden.

Die Bundestagsfraktion steht für ein „Weiter so“

Die mittelbare Folge der Wahlniederlage ist, dass in der auf 39 Abgeordnete geschrumpften Bundestagsfraktion eine Zwei-Drittel-Mehrheit von Abgeordneten mit sozialkonservativen, ökonomistischen Einstellungen besteht. Diese Fraktionsmehrheit machte schon sehr bald nach der Wahlniederlage klar, dass sie offenbar nichts gelernt hat. Noch am Wahlabend, vor jeder fundierten Analyse gab Wagenknecht ihre Meinung bekannt, dass DIE LINKE verloren habe, weil sie sich zu wenig um die Interessen von ArbeiterInnen kümmere. Bartsch schloss sich sinngemäß an, indem er einen höheren Stellenwert für Wagenknecht forderte. Wenig später wurde in einem Positionspapier der Fraktionsvorsitzenden ein entschiedenes „Weiter so“ vorgeschlagen. Entgegen der Bitten des Parteivorstands eine plurale Führung der Fraktion zu ermöglichen, zog bei den Wahlen zum Fraktionsvorstand zudem die Fraktionsmehrheit durch.

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Die nächste Auseinandersetzung ereignete sich Mitte Dezember auf dem Terrain der Klimapolitik. Für den Vorsitz des Bundestagsausschusses „Wirtschaft und Klima“ schlug die Fraktionsmehrheit den Abgeordneten Klaus Ernst vor. Nun hat Klaus Ernst durchaus Verdienste, seine Positionen in der Energie- und Klimapolitik sind jedoch weit von der Programmatik seiner Partei entfernt. Ernsts Positionen schienen auch dem Parteivorstand nicht geeignet, linke Akzente in diesem Ausschuss zu setzen, weshalb Gesprächsbedarf mit der Fraktionsspitze angemeldet wurde. Die neue, negative Qualität im Miteinander zwischen Fraktion und Partei zeigte sich darin, dass die Fraktion keinen Bedarf sah mit dem Parteivorstand über das Thema zu reden. Schließlich wurde Klaus Ernst mit einer Mehrheit von 23 zu 13 Stimmen (für Bernd Riexinger) bei einer Enthaltung für den Vorsitz des Ausschusses nominiert.

Mit „Nicht-Euer-Ernst“ setzt die linke Basis ein Zeichen

Angesichts der Tatsache, dass knapp zwei Dutzend MandatsträgerInnen mit ihrer „Weiter so“-Strategie deutlich machten, dass sie 1. faktisch die Führung der Partei entgegen der Parteiprogamme beanspruchen, 2. den Parteivorstand vorführen und 3. mit einer personellen Entscheidung für Klaus Ernst als Vorsitzenden des Klima-Ausschusses, der Klimabewegung „den Stuhl vor die Tür stellen“, entstand als Initiative einiger FunktionsträgerInnen der Partei und einiger KlimaaktivistInnen ein „Offener Brief“ an die Bundestagsfraktion DIE LINKE.

In diesem „Offenen Brief“ wenden sich die UnterzeichnerInnen solidarisch, aber kritisch mit den Positionen von Klaus Ernst umgehend, an die Fraktion. Abschließend heißt es: „Wenn die Erneuerung der Partei ernst gemeint ist, dann sollte alles getan werden, um ihre Strukturen und Positionen für alljene jungen Klimabewegten fit zu machen und die Parteiaktivitäten auch in ihren Dienst stellen – ob bei Fridays for Future, Ende Gelände oder in der Gewerkschaftsjugend, ob an den Universitäten und Schulen oder in den Berufsschulen und Betrieben. Wir sind überzeugt, dass die Zukunft der LINKEN auch davon abhängt, ob sie glaubhaft an der Seite ziviler Bewegungen gegen die Klimakrise stehen kann. Überall dort, wo sich mit beispielsweise der Klimabewegung inhaltlich und strukturell solidarisiert wird, profitieren Parteien und Gesellschaft. Die Nominierung von Personen mit Klimaschutz blockierenden Positionen – wie unter anderem Klaus Ernst – machen diesen Fortschritt nahezu unmöglich. Aus diesen Gründen fordern wir Euch auf, den Vorsitz dieses wichtigen Ausschusses jemandem aus der Fraktion zu übergeben, der/die wirksame Klimapolitik standhaft vertritt.  …Wir fordern also: stellt jemanden für den Klima- und Energieausschuss auf die*der Klimabewegung und Gewerkschaften schätzt, mit ihnen aktiv kooperiert und sie nicht gegeneinander ausspielt!“(1)

Erwartungsgemäß konnten die knapp zwei Dutzend Abgeordneten, die in der Fraktion für ein „Weiter so“ stehen von dem Appell nicht erreicht werden. Wohl aber wurden tausende Mitglieder und SympathisantInnen aktiviert. Innerhalb von drei Tagen zeichneten mehr als 12000 Menschen den Offenen Brief, darunter viele Mitglieder der Partei DIE LINKE, aber auch tausende AktivistInnen aus der Klimabewegung. Dass auch mehrere tausend AktivistInnen der Klimabewegung mit dem Offenen Brief beweisen, dass sie auf DIE LINKE als politische Kraft orientieren, sollte Freude auslösen und Hoffnung machen.

In Anbetracht dessen, dass die Partei DIE LINKE nur ca. 12000 aktive Mitglieder hat, war die hohe Zahl der UnterzeichnerInnen ein nie vorher dagewesenes und überhaupt nicht zu erwartendes Ergebnis. Es zeigt sich hier, dass die Mehrheit der Parteibasis nicht vorhat, sich von der Fraktionsmehrheit auf einen Kurs des „Weiter so“ zwingen zu lassen. Gleichzeitig sagen die UnterzeichnerInnen der Parteispitze, wohin der Weg führen soll: Klimakrise, Artensterben und sozial-ökologischer Umbau sind Schwerpunkte eines linken Zukunftsprogramms. Und befördert werden sie mit verbindender Klassenpolitik in einer glaubwürdigen Praxis.

Edith Bartelmus-Scholich

*Die Autorin ist Mitglied im Landesvorstand DIE LINKE. NRW.

(1) https://linke-erneuern.de/offener-brief-an-die-linksfraktion/

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Oben       —    Houseboat Row on South Roosevelt Boulevard after Hurricane Georges September 1998. From the Dale McDonald Collection. Hurricane Georges in Key West, Florida, September 1998.

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Das Licht geht aus

Erstellt von Redaktion am 28. Dezember 2021

AKW – Brokdorf wird zum Jahresende abgeschaltet

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Von Rainer Paul

425 Mahnwachen in 36 Jahren. Am Nikolaustag gab es die letzte. Die Demonstranten feierten, dass das AKW Brokdorf nun vom Netz genommen wird.

Dieselben Wiesen, dieselben Gräben, derselbe scharfe Wind. Als wir in Wewelsfleth aus dem Auto steigen, haben wir den Eindruck, dass sich hier in der Wilstermarsch (eine der vier holsteinischen Elbmarschen, nordöstlich der Elbe – Anm. d. Red.) in den vergangenen 45 Jahren gar nicht so viel verändert hat. Wir gehen noch einmal denselben Weg wie am 31. Oktober 1976, als wir das erste Mal in Brokdorf waren. Von Wewelsfleth Richtung Elbe, dann weiter auf dem Deich, insgesamt etwas mehr als fünf Kilometer.

Doch wo damals eine Baustelle war, von der Polizei zur Festung ausgebaut, steht jetzt das Atomkraftwerk. Hellgrau die Reaktorkuppel und der Abluftkamin, weiß das wuchtige Maschinenhaus. An einem Baum hat sich eine Fahne verfangen, dreckverschmiert ist die aufgedruckte lachende Sonne, das Symbol der Anti-Atom-Bewegung.

Die Flagge ist vermutlich ein Überbleibsel der Mahnwache vom Nikolaustag. Seit 36 Jahren haben sich an jedem 6. Tag eines Monats Umweltschützer am Haupttor des AKWs zum stillen Protest versammelt. Am 6. Dezember dieses Jahres fand die 425. und zugleich letzte Mahnwache statt. Außer Tee und Gebäck gab es auch Sekt. Die Demonstranten feierten, dass Brokdorf zum Jahresende für immer abgeschaltet wird.

Hans-Günter Werner gehört zu den Kirchenleuten, die die Mahnwache 1986 nach der Atomkatastrophe in Tschernobyl ins Leben riefen. „Wir haben damals versprochen, dass wir kommen, bis das AKW abgeschaltet wird“, sagt er. „Jetzt ist es endlich so weit.“ Werner hat kaum eine Mahnwache verpasst, sogar seine Urlaube plante er nach dem wiederkehrenden Datum.

In einer Nacht- und Nebelaktion

Mit Brokdorf gehen zeitgleich zwei weitere der sechs noch laufenden Atomkraftwerke dauerhaft vom Netz, Grohnde in Niedersachsen und Gundremmingen-C in Bayern. Deutschland, das gefühlt schon vor Jahrzehnten aus der Atomkraft ausgestiegen ist, verliert damit seinen Platz als zweitgrößter Atomstrom- und Atommüllproduzent in der Europäischen Union hinter Frankreich.

Deutschland verliert damit seinen Platz als zweitgrößter Atomstrom- und Atommüllproduzent in der Europäischen Union hinter Frankreich

Brokdorf ist das am heftigsten umkämpfte deutsche AKW. Schon gegen den in einer Nacht- und Nebelaktion erfolgten Baubeginn demonstrierten am 30. Oktober 1976 rund 8.000 Menschen, einige hundert besetzten das Baugelände. Im Morgengrauen trieben Polizisten die Besetzer mit Hunden, Knüppeln und Tränengas vom Platz. „Die Polizei ging mit unfassbarer Brutalität vor“, hieß es damals in den NDR-Nachrichten.

Auf dem Elbdeich protestierten einen Tag später 4.000 Menschen gegen die Polizeiübergriffe. Bei dieser Demo gelang dem Fotografen Günter Zint das berühmte Gegenlichtfoto von den Menschen auf dem Deich, das später immer wieder auf Plakaten und Flugblättern der Anti-AKW-Bewegung gedruckt wurde. Wir hatten die Räumung des Baugeländes am Vorabend in den Fernsehnachrichten gesehen und waren aus Neugier nach Brokdorf gefahren.

Obwohl die Polizei weiträumig Straßen absperrte, zogen zwei Wochen später, am 13. November, 40.000 durch die Wilstermarsch zum Bauplatz. Der Versuch einer erneuten Besetzung misslang. Polizisten und Grenzschützer verteidigten das Gelände, warfen Tränengaskartuschen aus tief fliegenden Hubschraubern in die Menge. Hunderte wurden verletzt.

Rebellion gegen das kapitalistische System

Waren die ersten großen Anti-AKW-Proteste im badischen Wyhl noch stark regional geprägt und zielten vorrangig auf den Schutz der eigenen Lebensumgebung ab, gelangte in Brokdorf die Auseinandersetzung um die Atomkraft auf eine grundsätzlichere Ebene: Sie entwickelte sich zu einer Rebellion gegen das kapitalistische System und gegen den „Atomstaat“. Weite Teile vor allem der städtischen und studentischen Bewegung verschmolzen die Ökologie- mit der Systemfrage.

Ende 1976 verfügte das Verwaltungsgericht Schleswig einen Baustopp für Brokdorf. „Richtersprüche machen Atomkraftwerke auch nicht sicherer“, hielt die Anti-Atom-Bewegung dagegen. Trotz beispielloser Hetze und dem Heraufbeschwören einer „Schlacht um Brokdorf“ in den Medien – die Bild fantasierte den von den „Chao­ten“ zu Propagandazwecken einkalkulierten Tod von Demonstranten herbei –, und trotz Versammlungsverbots fand am 19. Februar 1977 die bis dahin größte Demo gegen das AKW statt. 50.000 Menschen zogen Richtung Bauplatz – und kehrten nach einer Kundgebung an der ersten Polizeisperre wieder um. Die Massen folgten dem Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW), der zum „Schleifen der Festung“ aufruft, nicht.

„Richtersprüche machen Atomkraftwerke auch nicht sicherer“, hielt die Anti-Atom-Bewegung dagegen

In den Kämpfen um Brokdorf entdeckten die damals starken „K-Gruppen“ ihre Liebe zur Anti-AKW-Bewegung. Sie sahen in den überall neu entstehenden und wachsenden Initiativen ein ideales Propaganda- und Rekrutierungsfeld. Manch hart gesottener K-Grüppler etwa aus dem KBW oder der Abspaltung „Gruppe Z“ des Kommunistischen Bunds (KB) hielt sich indes gar nicht lange in der Bewegung auf, sondern marschiert gleich weiter in die sich Ende der 1970er Jahre bildenden grünen und bunten Listen.

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Wer weiß – vielleicht sitzen heute einige der damaligen Verschwörungs-Theoretiker von der Grünen in der Regierung? 

Am 28. Februar 1981 protestierten 100.000 in der Wilstermarsch gegen das Auslaufen des Baustopps. Ein gewaltiges Polizeiheer mit Hubschraubern und Wasserwerfern empfing die Demonstranten. Es folgten stundenlange Auseinandersetzungen, es gab zahlreiche Verletzte und Verhaftete. Wenige Tage später veröffentlichte der Stern ein Foto: Es zeigte drei AKW-Gegner, die einen Polizisten verprügeln. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchten Mordes, zwei Männer wurden verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Radioaktive Wolke über halb Europa

Die juristische Auseinandersetzung um das Demo­verbot mündete im Mai 1985 im Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. In seinem Urteil traf es weit reichende Aussagen zur Bedeutung der Versammlungsfreiheit, das Gericht erarbeitete Begriffe wie Eilversammlung und Spontanversammlung und betonte ausdrücklich, dass Bürokratie und Protest sich nicht gut vertragen und dass es „… seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers galt, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln“.

Zehntausende machten sich am 7. Juni 1986 erneut auf dem Weg nach Brokdorf. Wenige Woche zuvor war Reaktor Nummer 4 im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl explodiert, eine radioaktive Wolke hatte sich über halb Europa ausgebreitet. Die Demo wurde von der Polizei zerschlagen. Den Hamburger Konvoi – acht Kilometer lang, mehr als 10.000 Leute – überfielen die Beamten schon auf dem Hinweg. Sie schlugen bei mehr als hundert Fahrzeugen die Scheiben ein, zerstachen die Reifen, brachen die Kofferräume auf oder schoben die Autos gleich ganz in den Graben. Die Straße bei Kleve glich einem Schrottplatz.

Quelle         :        TAZ-online        >>>>>         weiterlesen 

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Oben     —    Atomkraftwerk Brokdorf von der Elbe aus gesehen

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Unten        —   Demonstration gegen den Bau des Kernkraftwerks Brokdorf. Etwa 5.000 Menschen zogen durch die Innenstadt zum Landeshaus. Das Regierungsviertel ist von der Polizei abgeriegelt. Texte: „Baustopp in Brokdorf“, „Brokdorf kein KZ, Stoltenberg muss weg!“.

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Ein Versagen der Medien ?

Erstellt von Redaktion am 27. Dezember 2021

Corona spaltet die Gesellschaft. 

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Das Hauptversagen  kommt aus der Politik, wo viele Politiker-Innen, sei es aus Arroganz oder Einfältigkeit die einfachen Bürger mitzunehmen. Wo Politiker-Innen nur noch abgreifen und alles beschimpf was anderer Meinung ist, werden sie hohe Rechnungen zahlen müssen. Wer nicht liefert, sollte auch nicht fordern,

Von Maren Urner

Dies ließe sich verhindern, wenn die JournalistInnen ihre Perspektive ändern würden. Drei Vorschläge.

Ich habe keine Lust mehr!“ „Ich kann nicht mehr!“ „Diese Idioten!“ Müde, erschöpft, überfordert oder gar wütend. Das ist meine aktuelle und selbstverständlich subjektive Sammlung der Stimmungen im In- und auch dem ein oder anderen Ausland. Wobei ich das „aktuell“ nicht mehr wage zeitlich ein- oder abzugrenzen. Nach knapp zwei Jahren Pandemie scheinen Zeit und deren Wahrnehmung noch relativer geworden zu sein. Im privaten und gesellschaftlichen Diskurs reiht sich zudem eine Streitfrage nahtlos an die nächste. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hier ein paar Beispiele des Staffelteams der Uneinigkeiten. Maske, Schulschließung, Sportveranstaltungen inklusive Olympia, Kontaktbeschränkungen, Testen, Lockdown, Shutdown, Quarantäne. Unangefochten auf dem ersten Platz der Staf­fel­läu­fe­r:in­nen steht aber ein Thema, das es geschafft hat, Familien, Freundschaften und Freiheit infrage zu stellen. Die Impfung. Ganz vorne dabei ist diejenige, auf deren Lauftrikot „mRNA“ steht.

Wie konnte es so weit kommen? Oder anders formuliert: Wer trägt die Schuld an der Impfmisere? Schließlich muss der ganze Frust über verpasste, verschobene und verrückte (Zoom-)Hochzeiten, (Digital-)Konzerte und (Team-)Konferenzen ja auf irgendwas, besser noch irgendwen, gerichtet werden.

Stopp! Dieser Artikel soll anders sein. Er soll nicht die x-te Schuldzuweisung verteilen, er will sich nicht an der Olympiade der Rechthaberei beteiligen und er will erst recht nicht zynisch daherkommen. Stattdessen möchte ich – fast frei von Wut und Frust – auf die Rolle der Medien bei dem aktuellen Impfunmut hinweisen.

Ja, ich bin davon überzeugt, dass die Berichterstattung der letzten Monate zu einem großen Anteil dafür verantwortlich ist, dass wir ziemlich genau ein Jahr nach der ersten Corona-Impfung im eigenen Land nun auf eine Bevölkerung schauen, in der Abschottung, Rechthaberei und ein Mix aus Verunsicherung und Misstrauen eine zu große Rolle spielen, um die wichtigste Frage zentral zu denken: Wie können wir diese Pandemie besiegen?

Statt mich nun aber an Negativbeispielen abzuarbeiten und den Rest des Artikels mit Belegen für meine These zu füllen, möchte ich versuchen, das zu praktizieren, was ich als Alternative für eine bessere Berichterstattung vorschlage und fordere. Ihr oberstes Ziel wäre es, den demokratischen Diskurs zu fördern. Gegen Abschottung, Rechthaberei und Misstrauen braucht es drei Zutaten beziehungsweise Fragen:

Zutat 1: Worum geht es wirklich? Oder: Neue Gruppen und Geschichten abbilden.

Frau versus Mann, jung versus alt, links versus rechts, Impfgegner versus Impfbefürworter: Sobald wir in einen zwischenmenschlichen Austausch treten, entscheidet unser Gehirn blitzschnell, ob jemand dazugehört oder nicht. Schließen wir andere Menschen in unsere Gruppe(n) ein, verhalten wir uns ihnen gegenüber hilfsbereiter und vertrauen ihnen stärker. Umgekehrt strecken wir Gegnern seltener die helfende Hand entgegen und suchen nach Gegenargumenten für deren Positionen. Hand aufs Hirn: Wie häufig geht es medial um Ab- und Ausgrenzung, liegt der Fokus darauf, was Menschen voneinander trennt und unterscheidet? Zu oft.

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Im Osten wurde die Distanz zur Macht noch weitaus stärker als früher  gefühlt ?

Um die argumentativen und emotionalen Gräben, die wir dadurch in den vergangenen Monaten fleißig verbreitert haben, wieder zuzuschütten oder gar zu überbrücken, benötigen wir einen medialen Diskurs, der Gruppen neu definiert. Das kann gelingen, indem bei sämtlichen Themen der kleinste gemeinsame Nenner und damit das Verbindende in den Fokus gerückt wird. Gepaart mit der offensichtlichen Antwort auf die Frage „Worum geht es wirklich?“ kann so ein nach vorn gerichteter Diskurs entstehen, der uns aus dem Verteidigungsmodus befreit. Denn klar ist: Wir alle wollen das Virus besiegen!

Zutat 2: Was, wenn wir es wirklich wollen? Oder: Bessere Fragen stellen.

Gegen Einschränkungen, gegen neue Regeln, gegen neue Pflichten. Ständig lesen, hören und sehen wir, wogegen andere sind, und stimmen gern ein in den Mix aus Abwehrhaltung und Rechthaberei. Vor allem lernen wir medial, dass wir gegen (vermeintliche) Freiheitsbeschränkungen zu sein haben, und werden dabei viel zu selten an den siamesischen Zwilling der Freiheit erinnert: die Verantwortung.

Quelle         :       TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben     —       Protest von FridaysForFuture und Anderen, sowie Ankunft der Verhandlungsteilnehmenden an der Messe Berlin zum letzten Tag der Sondierungsgespräche für eine Ampelkoalition.

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Demokratie am Kipppunkt:

Erstellt von Redaktion am 26. Dezember 2021

Die Ampel im Krisenjahrzehnt

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von Albrecht von Lucke

n der wohl größten Krise in der Geschichte der Republik hat am 8. Dezember 2021 die vielleicht labilste und jedenfalls unerfahrenste Koalition die Regierungsgeschäfte übernommen. Alles andere als gute Voraussetzungen für den versprochenen historischen Aufbruch. Kaum im Amt, ist die neue Bundesregierung mit der Coronakrise jedenfalls bereits mit einer immensen Bewährungsprobe konfrontiert. Ja mehr noch: mit einer Bewährungsprobe für die Demokratie insgesamt. Derweil der neue Bundeskanzler Olaf Scholz schon von einem „sozialdemokratischen Jahrzehnt“ schwärmt, geht es im Kern um etwas weit Fundamentaleres: nämlich um die Frage, ob die demokratische Politik als solche sich in dieser nicht nur klimapolitisch so entscheidenden Dekade als handlungs-, führungs- und damit letztlich als überlebensfähig erweisen wird.

Das kardinale Demokratieproblem der vergangenen 16 Jahre bestand darin, dass es keine überzeugende politische Alternative zur Dominanz des entpolitisierenden Merkelschen „Sie kennen mich“ gab. Das sorgte für gewaltige Frustration und die Gründung einer inzwischen in weiten Teilen rechtsradikalen „Alternative“ für Deutschland. Jetzt aber könnte die Desillusionierung eine noch größere sein, und zwar vor allem unter den dezidiert demokratischen Kräften, wenn sich nämlich herausstellen sollte, dass nun eine Alternative zur Vorherrschaft der Union zwar gewählt wurde, diese aber gar nicht über die erforderliche Handlungsmacht verfügt, um tatsächlich etwas Grundlegendes zu ändern – angesichts der Größe der Probleme und der Schwäche der politischen Akteure. Das gilt für die sich immer größer auftürmende Klimakrise und, höchst akut, für die aktuelle Corona-Lage. Angesichts steigender Infektionszahlen bei fast stagnierenden Neu-Impfungen kommt es daher für die neue Regierung vor allem darauf an, sofort politische Handlungsfähigkeit zu beweisen. Worum es aber letztlich geht, ist die Rückeroberung des Primats des Politischen. Andernfalls droht aus einem anfänglichen Politikerversagen, das inzwischen längst zu einem Politikversagen in Gänze geworden ist, am Ende ein Systemversagen der Demokratie zu werden.

Während der Coronakrise hat die Politik eine Menge Vertrauen in ihre Kompetenz verspielt. Es begann, nach einem gerade in Deutschland eigentlich verheißungsvollen Start, im Winter des ersten Corona-Jahres mit dem Versagen führender Politiker bei der Bestellung der erforderlichen Impfdosen für die Bundesrepublik und die EU; und es setzte sich fort mit den skandalösen Maskendeals der Union.

Doch im vergangenen Sommer des zweiten Corona-Jahres wurde aus dem Politikerversagen ein Politikversagen. Über Monate wurde die realexistierende Chance verspielt, das zu erreichen, was den Nachbarländern gelungen ist, nämlich deutlich höhere Impfquoten. So wurde aus einem Scheitern einzelner Politiker, insbesondere des Gesundheitsministers Jens Spahn, das Scheitern der Politik als solcher. Dadurch hat diese erheblich an Gestaltungsmacht eingebüßt. Beispielhaft dafür stehen zwei zentrale Aussagen der damaligen Kanzlerin. Am Anfang der Krise, in Angela Merkels historischer Fernsehansprache vom 18. März 2020, stand die eindringliche Bitte: „Die Lage ist ernst. Nehmen Sie sie auch ernst.“ Dies führte zu erheblicher Folgebereitschaft, nämlich zu leeren Straßen und einer vorsichtigen Bevölkerung. Ein knappes Jahr später, Anfang Februar 2021, legte die Kanzlerin nach, mit dem von ihr immer wiederholten Satz, die Regierung wolle bis zum 21. September 2021 – also bis unmittelbar vor der Wahl – „jedem Bürger ein Impfangebot machen können“.

Mit diesem Satz aber setzte sie den völlig falschen Ton. Stets war nur von Angeboten und nicht von irgendwie gearteten verstärkten Anstrengungen die Rede, geschweige denn von Druck auf die Corona-Leugner. Im Gegenteil: Die Politik duckte sich weg unter dem permanenten Protest der Maßnahmengegner wie ihrer medialen Verstärker, insbesondere der „Bild“-Zeitung.

Auf diese Weise gab die Politik das Heft des Handelns bereitwillig aus der Hand – auch deshalb, weil insbesondere die beiden Parteien der großen Koalition während des Wahlkampf keinerlei Interesse daran hatten, ihre Fehler in der Coronakrise zu thematisieren. Die Konsequenz: Über die gesamten Sommer- und Herbstmonate erhöhte sich die Impfquote nur marginal. Faktisch wurde damit die Chance vertan, durch forcierte Aufklärung und echte materielle Anreize weit mehr Menschen zu einer Impfung zu motivieren,[1] zumal inzwischen viel weniger Krankenhausbetten zur Verfügung stehen.

Diese enorme Hypothek eines fundamentalen Scheiterns der großen Koalition erbt nun das neu konstituierte Ampelbündnis. Wobei nicht nur die SPD als Partei des bisherigen Vizekanzlers Olaf Scholz, sondern auch die anderen Parteien als Angehörige diverser Landesregierungen an diesem Politikversagen erheblichen Anteil hatten.

Das fatale Erbe der großen Koalition

Damit befindet sich die neue Koalition in der fatalen Lage, dass sie mit den bisherigen Maßnahmen nicht vorwärtskommt, die Pandemie aber weiter eskaliert, und sie deshalb einer fünften Welle des Virus mit dem Griff zur maximalen Maßnahme Einhalt zu gebieten versucht, nämlich durch die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Nachdem die Politik also mit dem harmlosen Zuckerbrot des bloßen Impfangebots radikal versagt hat – und dieses dann noch viel zu sehr abbaute –, versucht sie es nun mit der Peitsche.

Verschwörungsprotest Berlin 2021-04-21 10.jpg

Wo hohle Köpfe alles verpennen,  da müssen die Bürger-Innen Farbe bekennen

Das allerdings beinhaltet die Gefahr maximaler Polarisierung in einer ohnehin massiv gespaltenen Gesellschaft. Und zugleich ändert es nichts an der Tatsache, dass der Erfolg des staatlichen Handelns weiterhin vom Goodwill der Bevölkerung abhängt, also von ihrer Bereitschaft zur Mitarbeit, sprich zur Impfung. Denn während eines in jedem Fall ausgeschlossen sein soll, nämlich der mit physischer Gewalt durchgesetzte Impfzwang, ist noch gar nicht ausgemacht, wie eine solche Impfpflicht faktisch umgesetzt werden kann – zumal schon jetzt diejenigen, die geimpft und geboostert werden möchten, nicht hinreichend bedient werden können

Hier zeigt sich: Der Aggregatzustand des Politischen, das Machtverhältnis zwischen Staat und Gesellschaft, hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten radikal verändert. Während in den 1970er Jahren der konservative Staatsrechtler Ernst Forsthoff von der „Staatsbedürftigkeit der Gesellschaft“ sprach, weil die Gesellschaft, um zu funktionieren, längst auf ihre vor allem wohlfahrtsstaatlichen Institutionen strukturell angewiesen sei, hat die Coronakrise gezeigt, dass auch das Gegenteil der Fall ist: Es gibt nämlich eine existenzielle Gesellschaftsbedürftigkeit des Staates. Ohne das Mittun der Bevölkerung bei der Bekämpfung der Pandemie ist die Politik völlig aufgeschmissen.

Während ironischerweise gerade die neuesten Staatsfeinde, nämlich Corona-Leugner, Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker, die Allmacht des Staates behaupten – „hinter Corona steckt eine Macht, die alles steuert“ –, ist der Staat in der Coronakrise von echtem Durchregieren maximal entfernt. Faktisch haben sich die Machtverhältnisse also radikal verkehrt. Um, notgedrungen, das Unwort von Carl Schmitt zu bemühen: Souverän sind heute die Ungeimpften, denn sie entscheiden über den Ausnahmezustand in den Krankenhäusern. Und der Staat hechelt ihrem Unwillen zur Impfung hilflos hinterher, indem er nur noch die Verlegung der Kranken mit Bundeswehr-Hubschraubern und -Flugzeugen in die letzten freien Betten zu organisieren versucht.

Quelle        :          Blätter-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —       Protest von FridaysForFuture und Anderen, sowie Ankunft der Verhandlungsteilnehmenden an der Messe Berlin zum letzten Tag der Sondierungsgespräche für eine Ampelkoalition.

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Streit über EU-Taxonomie

Erstellt von Redaktion am 25. Dezember 2021

Kernkraft ist nachhaltig – nachhaltig unversicherbar

Kernkraftwerk Cruas

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Frankreich und diverse Staaten Osteuropas wollen Atomenergie für »nachhaltig« erklären lassen, Deutschland soll dafür womöglich ein Klimasiegel für Erdgas bekommen. Was soll das?

Man kann Atomkraft aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und dabei ergeben sich auch verblüffend unterschiedliche Bilder. Mal ist sie völlig sicher und harmlos. Und mal sind die Risiken so groß, dass es absolut unverantwortlich wäre, weiter Kernkraftwerke zu betreiben.

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KOLUMNE – MATERIE

Erstellt von Redaktion am 18. Dezember 2021

Macht kaputt, was euch kaputt macht?

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Eine Kolumne von Kersten Augustin

Darf man das Förderband eines Braunkohlebagger kaputtmachen? Darf man Maschinen sabotieren, die für die Erhitzung der Erde verantwortlich sind? Darüber diskutiert gerade die Klima­bewegung. Angestoßen hat die Debatte der Klimaaktivist Tadzio Müller. Er prophezeite in einem Interview im Spiegel, dass sich ein Teil der Klimabewegung radikalisieren werde. Und man hatte den Eindruck, dass er diese Entwicklung nicht ohne Sympathie betrachtet. Sein Schlagwort „grüne RAF“ sorgte für den wohl kalkulierten Aufschrei. So geht Pressearbeit.

Müllers möglicherweise selbst erfüllende Prophezeiung hat eine Kontroverse ausgelöst, denn seiner Analyse stimmen viele in der Klimabewegung zu: Der Koalitionsvertrag entspricht nicht dem 1,5-Grad-Ziel. Lautes Fluchen über die Ampel ändert daran nichts. Gleichzeitig werden die Freitagsdemos kleiner, und das liegt nicht nur an Corona. Was tun?

Vielleicht hilft ein Blick in die Bewegungsgeschichte: Als die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 den Atomkonsens verabschiedete, waren viele AktivistInnen unzufrieden. Trotzdem wurden die Proteste gegen Castortransporte und AKWs kleiner. Erst nach der Ankündigung der schwarz-gelben Bundesregierung, den Atomausstieg zu verzögern, erlebte die Bewegung einen Aufschwung – und sie wurde radikaler: Mehrere Tausend Menschen folgten dem Aufruf, Steine aus dem Gleisbett der Bahnstrecken zu graben, auf der Atommüll ins Wendland transportiert werden sollte.

Es war der Versuch, eine radikalere Form des Zivilen Ungehorsams zu etablieren – eine angekündigte Straftat für einen höheren Zweck. Aber war man damit erfolgreich? Diskursiv war die Aktion sicherlich ein Erfolg und verschob den Rahmen dessen, was verboten, aber legitim ist. Aber für den endgültigen Atomausstieg sorgte die Katastrophe von Fukushima, nicht die Radikalisierung der Bewegung.

Ähnliche Aktionsformen gibt es immer noch. Die Bewegung Ende Gelände ist älter als Fridays for Future. Aber man hat in den letzten Jahren nicht gesehen, dass Menschen in Massen von den Freitagsdemos in die Kohlegrube gerannt sind. Aktionen des zivilen Ungehorsams sind anspruchsvoll, weshalb nie mehr als ein paar Tausend engagierte, mehrheitlich junge Menschen mitmachen.

Quelle        :         TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Schaufelradbagger (hinten: Bagger 290) im Tagebau Hambach, Elsdorf, Rhein-Erft-Kreis, Nordrhein-Westfalen, Deutschland. Von enormer Größe zeigen sich die eingesetzten Großgeräte des Tagebaus Hambach. Aufgenommen wurde das Foto von der Aussichtsplattform unweit des Ortes Elsdorf.

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Ein Lob der Langsamkeit

Erstellt von Redaktion am 16. Dezember 2021

Tempo spart keine Fahrzeit

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer

Wer sich langsam in einer Kutsche bewegt – wird länger gesehen !!

Von Roland Stimpel

Warum wir mit Tempo 25 in der Stadt eher am Ziel sind – und sicherer, klimafreundlicher, entspannter und gesünder sowieso.

Entschleunigung klingt hübsch, aber romantisch-gestrig. Man genießt sie im Urlaub in gemütlichen Örtchen mit dem „Cittàslow“-Siegel. Aber im Alltag müssen wir immer schnellstmöglich irgendwohin. Langsamer würden wir unser Pensum gar nicht schaffen, glauben wir.

Aber das täuscht gewaltig: Tempo spart erstens keine Fahrzeit und bringt uns zweitens nicht an mehr Ziele. Das zeigt eine alle paar Jahre wiederholte Langzeitstudie mit wechselndem Titel; derzeit heißt sie „Mobilität in Deutschland“.

Zwar ist seit den 1970er Jahren unser Durchschnittstempo auf der Straße, dem Gleis und in der Luft um 43 Prozent gestiegen, aber die täglich zurückgelegten Kilometer haben sogar um 68 Prozent zugenommen. Also sind wir länger unterwegs, und das trotz der höheren Geschwindigkeit. Wir machen mehr Wege per Auto und nicht zu Fuß, mit der S-Bahn statt dem Bus, im Billigflieger statt im Nachtzug, aber wir kommen immer später an.

Gestiegen ist der Aufwand an Zeit, Geld, Energie und Nerven, sind Flächenfraß und Treibhausgas – aber nicht gestiegen ist verrückterweise der Ertrag. Laut der ersten Studie von 1976 erreichten die Menschen im Schnitt 3,1 Ziele pro Tag. Und nach der Explosion von Tempo und Kilometern waren es 2017 – seufz – genauso viele. Mit mehr Tempo kommen wir nicht öfter irgendwo an, sondern fahren wir bloß weiter weg.

Den Aufwand gigantisch erhöht, den Ertrag nicht im Geringsten gesteigert. Deutschlands Verkehrsminister mit ihren Multi-Milliarden-Etats sind nicht erst seit Andreas Scheuer (CSU) die miserabelsten Manager im Land.

Aber natürlich liegt es nicht nur an ihnen. Fast alle haben wir die fatale Neigung, mehr Tempo nicht in kürzere Fahrzeit umzumünzen, sondern in längere Wege. Von der Stadtwohnung ins Eigenheim im Grünen – auch weil die Straße vor der Wohnung so laut geworden ist. Als Berliner mit einem Job bei VW zweimal täglich 180 ICE-Kilometer, damit man nicht in Wolfsburg wohnen muss. Der VW-Konzern wirbt dafür auf einer eigenen Website „Pendeln zum Arbeitsplatz“.

Man könnte ja sagen: Tempo ist halb so schlimm, wenn nur die Verkehrsmittel stimmen. Aber jährlich zwei Erdumrundungen per VW-ICE haben mit Klimaschutz auch nichts mehr zu tun. Und es gibt tückische Rückwirkungen: Wird eine Stadtbahn unter die Straße verlegt und dabei beschleunigt, füllen oben zusätzliche Autos den gewonnenen Raum gleich wieder.

Und da die Leute vom Stadtrand jetzt unten fahren, gibt es oben mehr Raum für Autofahrer vom Dorf, die Trips in die Stadt machen. Alle sind schneller – und auf der Straße fahren sie längere Strecken.

Selbst gut gemeinte Radwege können zusätzlichen Autoverkehr provozieren. In den viel gelobten Niederlanden wurden sie konsequent abseits der Fahrbahnen gebaut; auch Mopeds mussten hier fahren. Die breiten Straßen wurden Zweirad-frei, das Autofahren damit attraktiver. Seit den 1990er Jahren stieg in den Niederlanden die Zahl der jährlichen Autokilometer dreißigmal mehr als die Zahl der Radkilometer – ein ökologisches Desaster.

Doch Deutschland lernt nicht daraus: Berlins Radplaner bei der Senatsfirma Infravelo propagieren breite Schnellpisten im Grünen und durch Parks, auf Kosten von Natur und Erholung – aber zur „Entlastung des Straßenverkehrs für die Kraftfahrzeug-Fahrenden“.

Tempo bringt uns nicht an mehr Orte, ist klimaschädlich, raumfressend, gefährlich und wegen seiner Kosten unsozial. Es kann und muss runter. Aber auf welches Niveau? Die Frage drängt vor allem in den Städten, wo Verkehr besonders dicht und bunt ist. Gesucht wird die optimale Geschwindigkeit auf Straßen fürs Gehen, Rad- und Autofahren.

Dieses bestmögliche Tempo soll uns mit wenig Zeitaufwand, sicher, angenehm und für die übrige Welt schonend ans Ziel bringen. Dazu soll es den Verkehr möglichst effizient, gleichmäßig und hemmungsfrei laufen lassen.

Fangen wir mit der Sicherheit auf Fahrbahnen an, die zu Fuß überquert oder per Rad befahren werden. Dummy-Tests und Studien zeigen: Werden Menschen frontal von Fahrzeugen gerammt, dann wird es schon bei Tempo 30 lebensgefährlich; ein Zehntel der Angefahrenen stirbt. Die Kurve geht danach steil hoch: Bei Fahrzeugtempo 50 kommen viermal so viele Gerammte um, bei 70 sterben fast alle.

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Ein guter Kompromiss zwischen Sicherheit und Beweglichkeit liegt also irgendwo unter 30 Stundenkilometern. Zumal bei dieser niedrigen Geschwindigkeit der Bremsweg nur wenige Meter lang ist, also viele Unfälle gar nicht mehr passieren.

Wir brauchen die Verkehrswende – als Entschleunigung

Dies rettet und bewahrt viel Lebenszeit. Die vom Unfall Verschonten bleiben gesund und glücklich, ihre Liebsten werden nicht zu Hinterbliebenen, und auch all jene Menschen, die den Unfällen hinterherräumen müssten, sparen viel Zeit – in Krankenhäusern und Gerichten, bei Versicherungen und Bestattern, in Werkstätten und Reha-Zentren.

Autobahnen sind alles andere als leistungsstark

Effizienter ist eine niedrige Geschwindigkeit auch. Ein gängiges Vorurteil heißt: Unter 30 Stundenkilometern schleicht alles und staut sich, auf der Autobahn brausen gleichzeitig Tausende zum Ziel. Aber das täuscht – die Autobahnen sind alles andere als leistungsstark. Denn je schneller gefahren wird, desto mehr muss der Sicherheitsabstand wachsen. Die Autoschlange besteht zum größten Teil aus schlechter Luft und braucht nicht weniger, sondern mehr Straßenraum.

Bei welchem Tempo und angemessenem Abstand am meisten Fahrzeuge in einer Stunde durchkommen, lässt sich genau berechnen. Von 0 bis 22,5 Stundenkilometer können umso mehr Autos passieren, je schneller sie sind.

Doch danach ist es genau anders herum: Je schneller die FahrerInnen sein wollen, umso langsamer geht es voran. Denn je höher die Geschwindigkeit wird, desto größer muss der Sicherheitsabstand sein, um im Notfall bremsen zu können. Das Ergebnis ist paradox: Ab Tempo 22,5 wird mehr Sicherheitsabstand nötig, als schnelleres Durchfahren Raum frei macht.

Quelle       :       TAZ-online        >>>>>       weiterlesen

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Oben     —   Besuch von Bundesinnenminister Horst Seehofer bei dem Ministerpräsidenten von Sachsen-AnhaltReiner Haseloff, am 29. November 2018 in MagdeburgStaatskanzlei des Landes.

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DER ROTE FADEN

Erstellt von Redaktion am 16. Dezember 2021

Klima und Windräder: Bepreistes Ja

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Durch die Woche mit Ariane Lemme

Beim Streit muss es nicht immer entweder oder sein. Ein bezahltes Entgegenkommen könnte Lösung sein bei diplomatischen Herausforderungen.

Guten Tag. Mein Name ist Ariane und ich bin harmoniesüchtig. Puh. Jetzt ist es raus. Für meine Karriere im Streitbusiness des taz-Meinungsressorts ist das natürlich ein peinliches Eingeständnis. Vielleicht meldet sich ja das Auswärtige Amt bei mir. In Krisen vermitteln kann ich ganz gut. Schon als Kind hab ich, wenn am Familientisch mal Stunk aufzog, mit stress­schweiß­nassen Händen, versucht, der einen Seite (Mama) die andere Seite (Papa) zu erklären.

Leider ist der beste Freund von allen genauso drauf wie ich. Streit bei uns heißt, dass einer zum anderen sagt: Du, darf ich dich darum bitten, mal deinen Kram da wegzuräumen? Im schlimmsten Fall ist einer mal beleidigt und fängt an zu weinen (ich) oder zu schweigen (er). Weil keiner von uns das lange aushält, ist der Kram, den wir am schnellsten wegräumen, der zwischen uns. Trotzdem ist das natürlich verheerend. Ich weiß, dass meine Sucht zerstörerisch ist.

Alle Paartherapeuten beten es rauf und runter: Sich ordentlich streiten zu können ist wichtig. Allerdings – das ist mir diese Woche im großen Wie-wird-die-neue-Regierung-Gesummse aufgefallen – ist Harmoniesucht viel verbreiteter, als ich dachte. Der häufigste Satz, den ich hörte, war: Wie harmonisch kann das werden in der Ampel. Wo wird’s knallen und wann? Und ich dachte, häh? Warum sollen die sich vertragen, ist doch kein Kaffeekränzchen. Die sollen Politik machen und da gehört Streit dazu.

Sie merken schon, wenn’s um andere geht, bin ich ganz schlau. Dabei bin ich vor allem neidisch auf alle, die sich selbstbewusst die Fetzen um die Ohren hauen, ob am Kabinettstisch oder auf Twitter. Vielleicht, dachte ich dann, ist das, was bei anderen so glamourös zornig aussieht, auch nur die Suche nach Zustimmung, Bestätigung, am Ende Liebe – zumindest für die eigenen Ideen vom Leben.

Das würde erklären, warum trotz Dauerstreits auf allen Kanälen und der angeblich kurz bevorstehenden Spaltung der Gesellschaft sich gefühlt wenig bewegt. Am ehesten vielleicht bald an der Front zwischen denen, die sich – aus mir immer schleierhafter werdenden Gründen – nicht impfen lassen und denen, die darüber immer verzweifelter werden – wenn es hoffentlich bald eine allgemeine Impfpflicht gibt.

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Kein Streit mit Gewinnern

Klar, das wäre echt mal kein durch demokratisch-konstruktiven Streit gewonnener Fortschritt, sondern durch regieren – aber es wäre ein Fortschritt, der Menschenleben rettet, und da gibt’s eigentlich wenig zu diskutieren. Die völlige Missachtung der Unversehrtheit anderer verdient weder Respekt noch Applaus. Wahrscheinlich ist echter Streit, also welcher, wo es nicht nur darum geht, sich bei der eigenen Peergroup zu profilieren, für die meisten Menschen schwer auszuhalten.

Weil er immer beide Seiten was kostet, keiner kommt als Gewinner raus. Die immer noch lachenden Gesichter von Putin, Xi Jinping und Konsorten zeigen auch, dass manche die von mir geschätzte Diplomatie auch einfach ignorieren können wie einen schlechten Geruch. Deshalb bin ich echt mal gespannt, was Baerbock als Außenministerin an „Dialog und Härte“ zu bieten hat.

Quelle       :       TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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Unten     —     Bild der Penouta-Höhe, die sich im nordwestlichen Teil der Gemeinde Boal (Asturien, Spanien) befindet. Wie Sie sehen können, gibt es ein paar Windkraftmühlen auf der Oberseite.

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Ufo im märkischen Sand

Erstellt von Redaktion am 7. Dezember 2021

Tesla Gigafactory bei Berlin

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Von Susanne Messmer

Bald könnten in der Tesla Gigafactory in Grünheide die ersten Autos vom Band rollen. Wie gefällt das den Leuten vor Ort? Ein Besuch.

Diesmal setzt sich Arne Christiani sogar auf einen Stuhl für das Gespräch mit der Presse. Der Bürgermeister der verschlafenen Gemeinde Grünheide südöstliche von Berlin wirkt ruhig, geordnet, konzentriert. Er springt nicht mehr bei jeder Gelegenheit ans Telefon, rennt beim Sprechen nicht mehr auf und ab. Die Tage, in denen Grünheide in Aufruhr war, in denen die Bür­ge­r*in­nen für oder gegen die Ansiedlung des amerikanischen Elektroautoherstellers Tesla auf die Straße gingen, sie scheinen endgültig vorbei.

Es ist ein grauer Tag Ende November, auch tagsüber muss man Licht anschalten im Rathaus. Die Erörterung von ungefähr 800 Einwendungen aus drei Beteiligungsverfahren ist gerade zu Ende gegangen – und Arne Christiani ist sichtbaƒr gelöst. „Die Genehmigung wird kommen“, glaubt er und grinst. „Noch im Dezember werden bei Tesla die ersten Autos vom Band rollen.“

Tatsächlich hat das Unternehmen begonnen, eine Belegschaft aufzubauen und laut Medienberichten erste Testkarossen zu produzieren. Tesla rechnet damit, so ein Pressesprecher gegenüber der taz, dass im Laufe des Jahres 2022 bis zu 12.000 Mit­ar­bei­te­r*in­nen in Grünheide angestellt sein werden. 500.000 Elektroautos für den europäischen Markt sollen dann jährlich hier produziert werden. Das heißt: Wenn die Fabrik in den nächsten Jahren weiter ausgebaut würde, könnten es sogar noch mehr werden.

Alle Sorgen sind null und nichtig

Das klingt viel, aber nicht zu viel in den Ohren von Arne Christiani. Für ihn sind die Kühe gut versorgt, die sich in den ersten Monaten nach der Entscheidung von Tesla für seine Gemeinde noch eher auf dem Eis befanden. Tesla kann kommen, alle Sorgen sind null und nichtig.

Jede Menge Autos und Lieferverkehr, die sich zu jedem Schichtwechsel durch die Straßen der verschlafenen Gemeinde quälen werden? Christiani sagt: Vor einer Woche hat Tesla eine eigene provisorische Autobahnabfahrt eröffnet. Am Bahnhof Fangschleuse, zwei Kilometer südlich vom Ortskern, fährt der Regionalexpress seit einem Jahr im Halbstundentakt. „Wir werden hier gar nicht viel von Tesla merken.“

Tesla baut auf Basis von inzwischen 19 Einzelgenehmigungen, also ohne endgültiges Go und auf eigenes Risiko in einem Wasserschutzgebiet, das hat viele Naturschützer auf den Plan gerufen. Herr Christiani ist zufrieden, denn Tesla hat den Wasserverbrauch um mehr als 30 Prozent gesenkt.

Und was ist mit dem Neubau, der Grünheide völlig umkrempeln könnte, den Wohnungen, Kitas und Schulen, den Firmen, die sich dank Tesla ansiedeln werden? Grünheide ist umgeben von Seen und Wäldern, viel davon steht unter Naturschutz. Im Moment hat die Gemeinde 9.000 Einwohner, mehr als 13.000 können es nicht werden, sagt Christiani. „Grünheide wird kein zweites Wolfsburg“, freut er sich ziemlich genau zwei Jahre nach der Nachricht, dass Tesla nach Grünheide kommt und ein halbes Jahr, nachdem die Tesla-Fabrik eigentlich schon hätte in Betrieb gehen sollen.

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Arne Christiani hat oft gehört, er habe Tesla den roten Teppich ausgerollt. In einer Talkshow hat er vor wenigen Wochen gesagt, er sei „nicht der größte Verfechter der Demokratie“, um sich gleich darauf dafür zu entschuldigen. Trotzdem ist das, was sich dieser Bürgermeister für Grünheide erhofft, echt. Für ihn wird Tesla möglich machen, dass junge Leute auch in der Region arbeiten können.

Aber gilt das tatsächlich für alle Menschen in Grünheide?

Drei Kilometer Luftlinie vom Rathaus in Grünheide entfernt steht Steffen Schorcht vor dem werdenden Werk von Tesla und holt sein Fernglas aus der Manteltasche.

Personenverkehr auf Luftkissen

Man sieht dieser gerade wohl berühmtesten Baustelle des Landes an, dass sie von einem Mann dirigiert wird, der es eilig hat. Elon Musk, das einprägsame Gesicht von Tesla, will die Welt vom Verbrennungsmotor befreien, Menschen auf dem Mars ansiedeln und den Personenverkehr auf Luftkissen verlegen, die in Röhren über 1.200 Kilometer pro Stunde schaffen. Im Februar 2020 rodete sein Unternehmen in Grünheide, wo heute riesige Hallen stehen, 92 Hektar Kiefernwald. Im Juni 2020 erfolgten die ersten Gründungs- und Fundamentarbeiten, fünf Monate später die Rodung von weiteren knapp 83 Hektar Wald, trotz Protesten.

Die Baustelle, vor der Schorcht nun steht und auf der angeblich rund um die Uhr bis zu 3.500 Menschen arbeiten, ist gewaltig. Schorcht betont, dass sie noch immer nicht genehmigt ist – und doch stehen da auf mehr als 420 Fußballfeldern große Hallen, der Rohbau eines Batteriewerkes, das 2022 in Betrieb gehen soll, Tanker, Laster, Krane. Ein Ufo im märkischen Sand, und das eine halbe Stunde entfernt vom Berliner Flughafen BER, der Jahrzehnte geplant und 14 Jahre lang gebaut wurde.

Wie in der Wüste von Australien

Von Anfang an kämpfte Schorcht, der einen Kilometer von der Baustelle entfernt wohnt, gegen ein solches Werk mitten im Wasserschutzgebiet. Noch immer fordert er mit der Bürgerinitiative Grünheide den Baustopp. Auch, als Tesla versprach, weniger Wasser zu verbrauchen, knickte er nicht ein. Brandenburg ist eine der trockensten Regionen Deutschlands, es gibt Prognosen, nach denen es hier 2050 aussehen wird wie in der Wüste von Australien. Selbst heute, wo nach knapp zwei Jahren Kampf für Wald, Artenschutz, Wasser und Luft viele Naturschützer müde geworden sind, wo sich kaum mehr einer auf Presseanfragen zurückmeldet: Schorcht ist da, wenn man Fragen hat.

Und er hat zahlreiche Antworten. Schorcht, ein freundlicher, aber bestimmter Mann mit leichtem Thüringer Akzent, berichtet, dass es Anfang November Starkregen gegeben hat. Die Feuerwehr und das THW mussten kommen, um Wasser abzupumpen. Nun weiß keiner ganz genau, was da im Grundwasser ankommen ist und weiter Richtung Brunnenanlage fließt.

Dann steigt Schorcht in sein Auto, er will noch etwas weiter südlich, zu einer Reihe zu diesen Brunnen, die 70.000 Menschen in der Region mit Wasser versorgen. Da kann er gut erklären, dass Grundwasserspiegel sinken, wo gebaut wird – und dass der Trichter zum Brunnen immer größer wird, wenn das der Fall ist. „Der Trinkwasserbedarf ist nicht gesichert, wenn das Werk noch größer wird und Ansiedlungen mit weiterem Wasserbedarf folgen“, sagt er.

Es geht weiter zu einem Ortsteil, wo einige Leute im Sommer kein Wasser mehr in ihren Hausbrunnen hatten. Vorbei an einem Wald, wo jetzt ein Teil der Eidechsen, Nattern und Ameisen vom Tesla-Gelände wohnen. Und dann steigt Schorcht an der Löcknitz aus, stapft entschlossen durch den Matsch, zeigt auf das klare Wasser des gewundenen Flusses.

Das Naturschutzgebiet Löcknitztal beginnt östlich von Grünheide. Hier brüten sogar seltene Fischadler. Die Löcknitz fließt in die Spree und die Spree fließt in Berlins größten See, den Müggelsee, weiß Schorcht. Und der ist als Reinwasserspeicher unentbehrlich für die Wasserversorgung der Hauptstadt. Unter anderem deshalb gibt es gerade viel Stunk um den Standort eines neuen Klärwerks für Tesla, denn auch in gereinigtem Wasser bleiben Spuren der Abwässer, besonders von nicht abbaubaren organischen Substanzen.

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Zweifel hegen, Fragen stellen

Schorcht hört nicht auf zu erklären, er fährt immer weiter. Doch eigentlich ist es gar nicht nur die Frage nach dem Wasser, die ihn so aufregt. Wie kann es sein, meint er, dass Land und Gemeinde hinter geschlossenen Türen mit Tesla verhandelt – und dass Viele in der Region die Neuigkeit aus der Zeitung erfahren haben? Tesla, weiß er, hat hier in Brandenburg die verlässlichen Mühlen der deutschen Bürokratie einfach übersprungen. Die Firma konnte sofort loslegen, von Null auf Hundert. Und trotzdem haben viele Menschen in Schorchts Umfeld nicht getan, was man in der Demokratie in solchen Fällen tun kann: Zweifel hegen, Fragen stellen, den Leuten auf die Finger sehen.

Dass da einfach so ein Elon Musk in den Medien laut lacht, wenn er nach dem Wasser gefragt wird, das ist Schorch unbegreiflich. Und noch unbegreiflicher ist es ihm, dass er trotzdem noch wie ein Popstar gefeiert wird. Schorcht war mal für die SPD, mal für die Linken in der Stadtverordnetenversammlung. Als sich am Anfang der Proteste auch Leute um die AfD herum zu den Demos kamen, hat er sich wie auch die BI Grünheide schnell distanziert.

Steffen Schorcht weiß genau, wie schlecht die Fabriken von Tesla in den USA oft bei Nachhaltigkeitsberichten abgeschnitten haben. „Das E-Auto ist nicht der Heilsbringer für die grüne Zukunft“, weiß er. Tatsächlich wird bei seiner Produktion nicht weniger C02 produziert. Und: „Da werden knallhart reine Kapitalinteressen durchgesetzt“.

Steffen Schorcht ist weiter davon entfernt denn je, die Politik und die Wirtschaft einfach machen zu lassen.

Aber sieht das die Mehrheit der Menschen in Grünheide ebenso? Hat sie dasselbe Standvermögen?

Arne Christiani meint, mindestens 80 Prozent seiner Gemeindemitglieder begrüßen die Ansiedlung von Tesla.

Ist das wirklich so?

Man muss zurück zum zugigen Marktplatz von Grünheide, um Näheres zu erfahren. Viele, die man dort auf dem rosa Betonpflaster oder unter den Arkaden, im Asia Bistro oder beim Feierabendeinkauf trifft, sagen: Tesla ist ein tolles Unternehmen.

Endlich ein Job nach der Ausbildung

„Vielleicht findet mein Sohn jetzt nach der Ausbildung einen Job in Grünheide“, sagt eine große, schlanke Frau um die Vierzig, die gerade in den Blumenladen will.

„Ich finde es toll, dass hier frischer Wind rein kommt“, sagt ein Teenager im schwarzen Dufflecoat, der mit ein paar Büchsen Cola aus dem Edeka schlurft, auch wenn es ihm damals leid getan habe um den Kiefernwald.

Quelle        :        TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Blick auf das Gelände der Tesla Gigafactory Berlin-Brandenburg

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2.) von Oben      —     Gelände der zukünftigen Fabrik von Tesla in Grünheide, am linken Bildrand der Berliner Ring, rechts das Gewerbegebiet Freienbrink

 Unten      —     Grünheide, im Hintergrund Baustelle von Tesla

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Klima contra Arbeit

Erstellt von Redaktion am 6. Dezember 2021

Wenn es um die Existenz von Unternehmen geht, zählen in den Arbeitnehmerverbänden moralische Bedenken wenig

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Von Thomas Gesterkamp

Klimapolitik kann Arbeitsplätze kosten. Aufgabe der Gewerkschaften ist, bei ökologischen Lösungskonzepten an die sozialen Folgen zu erinnern.

Die Entscheidung sei „politisch unklug, unüberlegt und populistisch“, wetterte Betriebsratschef Alois Schwarz 1992 in den Produktionshallen von Messerschmidt-Bölkow-Blohm. 8.000 hochqualifizierte Stellen sah der bayerische Metallgewerkschafter in Gefahr, als die Bundesregierung den Auftrag zum Bau des Kampffliegers Jäger 90 bei der Mutterfirma Deutsche Aerospace stornieren wollte. Nach dem Ende des Kalten Krieges schien Rüstungskonversion das Gebot der Stunde, zudem belastete die deutsche Vereinigung die öffentlichen Etats. Der massive Druck von Konzernleitung und Arbeitnehmerorganisationen hatte dennoch Erfolg. Das in Eurofighter umbenannte und gemeinsam mit Partnerländern in Serie gebaute Flugzeug kostete in den folgenden Jahrzehnten rund hundert Milliarden Euro.

Betriebsräte als Militärlobbyisten, weil ihnen die Angst vor Werksschließungen im Nacken sitzt: Dieses Muster wiederholte sich 2014. Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen befürwortete nach anfänglichem Zögern die Entwicklung bewaffneter Drohnen. Auf ihre Zusage reagierten neben Rüstungsmanagern auch Gewerkschafter begeistert: Das sichere Tausende von Jobs in der Branche, jubelte Bernhard Stiedl von der IG Metall Ingolstadt. Hauptsache Arbeitsplatz: Ist es den Interessenvertretungen egal, womit Beschäftigte ihr Geld verdienen? Wenn es um die Existenz von Unternehmen geht, zählen in den Arbeitnehmerverbänden moralische Bedenken relativ wenig. Das gilt für den Umgang mit Waffenherstellern und erst recht im Kampf gegen die Erderwärmung.

Die konservative Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie warnt regelmäßig vor einem frühen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung, den Kli­mak­ti­vis­t:in­nen eindringlich anmahnen. Auto-Betriebsräte versuchen das Verbot des Verbrennungsmotors auszubremsen, im ersten Corona-Lockdown verlangten sie wie in der Finanzkrise staatliche Abwrackprämien beim Kauf von Neuwagen. Als die schwarz-rote Koalition dies verweigerte und selbst die gewerkschaftsnahe Sozialdemokratie nicht mitzog, kamen scharfe Reaktionen aus der IG Metall und vom DGB-Bundesvorstand.

Unter den Metallern gibt es aber auch Gegenstimmen. Seit Jahren wird intern über die ökologische „Transformation“ diskutiert. Man will das Thema mit positiven Vorschlägen besetzen. Die Funktionäre hoffen dabei vor allem auf den Bau von Elektrofahrzeugen. Mobilitätskonzepte, bei denen nicht der private Besitz von Autos im Mittelpunkt steht, gehen den meisten allerdings zu weit. Denn eine fundamentale Verkehrswende auf der Basis der Sharing-Ökonomie und öffentlicher Transportmittel könnte zahlreiche Jobs in der deutschen Leitbranche kosten.

Der schwierige Balanceakt zwischen Arbeitsplatzinteressen und ethischen Grundsätzen ist eine historische Endlosschleife. Schon in den 1970er Jahren gingen Werftarbeiter für den Export von Unterseebooten in das von einer Militärdiktatur beherrschte Chile auf die Straße. Beschäftigte der Energiewirtschaft demonstrierten nicht gegen, sondern für den Bau von Atomkraftwerken.

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Doch blinde Flecken gibt es nicht nur auf der Seite der Arbeitnehmer, wie die Klimadebatte zeigt. Die Fridays-for-Future-Aktivist:innen, oft aufgewachsen in saturierten bürgerlichen Familien, sind nicht gerade für ihre sozialpolitische Sensibilität bekannt. Die eigene privilegierte Situation reflektieren sie meist wenig, die Perspektiven der Kumpel im rheinischen Revier oder in der Lausitz sind ihnen weitgehend gleichgültig.

Der Jenaer Soziologe Klaus Dörre fordert angesichts der ökonomisch-ökologischen „Zangenkrise“ einen Labour turn bei den Klimabewegten und einen Climate turn bei den Gewerkschaften. Ermutigt hat ihn die Stimmung im überfüllten Audimax der Universität Leipzig im Mai 2019, bei der Gründung der Students for Future. Auf die Frage, ob eine Nachhaltigkeitsrevolution innerhalb kapitalistischer Verhältnisse möglich sei, habe er vom Publikum ein vielstimmiges „Nein!“ zu hören bekommen. Und der Vorschlag, große Konzerne bei einer Blockadehaltung gegenüber Klimazielen zu sozialisieren, erhielt tosenden Applaus. Der Wissenschaftler propagiert seither den „Ökosozialismus“.

Quelle       :          TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben      —   Ein Bo-105 Hubschrauber des Philippine Army (PA) Aviation Hiraya Regiment während des Besuchs von Brigadegeneral Edgar Nigos in der Einheit

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Elektrifiziert das Land!

Erstellt von Redaktion am 5. Dezember 2021

Raus aus der Öl- und Gas Falle

Lage von Nord Stream

Von Claudia Kemfert

Der ungewöhnlich starke Preisanstieg bei Öl, Gas und Kohle in den vergangenen Wochen hat die Debatte um die Energiewende neu entfacht. Rasch kursierte das Wort „Energiepreiskrise“, tauchten verdrehte Logiken und Schuldzuschreibungen auf: Die Kritiker der Energiewende machen diese für die steigenden Preise verantwortlich und behaupten, eine Umstellung auf erneuerbare Energien sei unbezahlbar. Manche erklären den CO2-Preis zur Wurzel allen Übels und fordern inzwischen eine Rückkehr zur vermeintlich klimafreundlicheren und günstigeren Atomkraft. Dabei ist es genau umgekehrt: Die Erneuerbaren wirken preissenkend, und zwar sowohl an der Strombörse als auch bei Industrie und Verbraucher.

Dass die Energiewende nicht das Problem, sondern die Lösung ist, zeigt sich schon daran, dass all jene keine höheren Rechnungen erhalten werden, die in einem gut gedämmten Haus wohnen, mit Solarenergie Strom und Wärme erzeugen, „grüne“ Nah- oder Fernwärme nutzen oder mit dem Elektroauto unterwegs sind.

Und auch das Marktgeschehen spricht gegen die These, dass die erneuerbaren Energien und der Wandel zu größerer Energieeffizienz für die Kostensteigerungen verantwortlich sind. Vielmehr sind es vor allem die fossilen Energieträger, die die Preise derzeit explodieren lassen. Verantwortlich dafür ist die fehlgeleitete Energiepolitik der vergangenen Jahre und die gewaltige Marktmacht einzelner Akteure. Umso wichtiger aber ist es nun, den Moment der Krise als Chance für Veränderung zu begreifen. Denn ein gut gemachter Klimaschutz hat das Potential, die Energiepreise zu senken und am Ende gar das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, da in wichtige Zukunftsmärkte investiert wird. Dafür aber muss die Energiewende umgehend und mit voller Kraft erfolgen.

Die Ursachen des Preisanstiegs

Der aktuelle Preisanstieg hat drei zentrale Ursachen. Erstens haben die Corona-Lockerungen in diesem Jahr dazu geführt, dass die wiedererstarkende Wirtschaft weltweit mehr Öl nachfragte – was den Ölpreis in die Höhe treibt. Zweitens kann China neuerdings aufgrund strengerer Umweltauflagen im eigenen Land weniger Kohle fördern und muss diese daher aus anderen Staaten importieren. Das lässt auch den Preis für Kohle ansteigen. Beim Anstieg des Gaspreises spielt dagegen, drittens, Russland eine entscheidende Rolle. Statt der gestiegenen Nachfrage nachzukommen, hat Moskau seine Gasexporte gedrosselt. Dahinter steckt auch politisches Kalkül. Durch die kurzfristige Stimulation des Gasgeschäfts will der Kreml unter anderem die Fertigstellung der Erdgaspipeline Nord Stream 2 erzwingen, um so langfristig die eigene Marktmacht auf dem europäischen Kontinent zu sichern.

Dass die Bundesrepublik diesem Kalkül geradezu ausgeliefert ist, liegt auch an den Fehlern der Vergangenheit. So wurden zahlreiche Gasspeicherkapazitäten an Gazprom verkauft. Das russische Unternehmen kontrolliert derzeit etwa ein Drittel der Erdgasspeicher in Deutschland, den Niederlanden und Österreich.[1] Diese Gasspeicher wurden in den vergangenen Monaten auffällig stark geleert, was die Nachfrage und die Preisspirale hierzulande nun zusätzlich antreibt. In anderen Ländern, in denen Gazprom keine Gasspeicher besitzt, sind diese auf normalem Niveau gefüllt.[2]

Ein vorausschauender Aufbau nationaler Gasreserven hätte die aktuelle Krise verhindern und die hiesige Energieversorgung unabhängig von geopolitischen Strategien machen können. Seit langem weisen wir im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung darauf hin, dass es sinnvoll wäre, eine nationale und aktuell auch europäische Gasreserve aufzubauen, ähnlich der strategischen Ölreserve.[3] Allerdings lehnte die schwarz-rote Bundesregierung diese Forderung trotz einiger Vorschläge der SPD mit Verweis auf eine angeblich gesicherte Versorgung in diesem Winter ab.[4] Vor allem aber hätte ein konsequenter Ausbau der erneuerbaren Energien die Unabhängigkeit Deutschlands vom weltweiten Energiemarkt gestärkt. Die gegenwärtigen Preissteigerungen sollten daher als Treiber für einen langfristigen wie nachhaltigen Wandel gesehen werden. Die EU strebt dies bereits mit ihrem im Juli präsentierten Programm „Fit for 55“ an. Sie will die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent unter das Niveau von 1990 senken. Dem Kreml ist dieses Programm ein Dorn im Auge. Durch lobbymäßig geschickt in die öffentliche Debatte gestreute Ursache-Wirkung-Logikfehler verfolgt er derzeit das Ziel, die EU-Klimaschutzpolitik auszubremsen.

Die Atomkraft als Irrweg

Die Atomenergie, die neuerdings im Namen des Klimaschutzes wieder ins Feld geführt wird, bietet dagegen keinen Ausweg – weder aus der derzeitigen Energiekostenkrise noch aus der Klimakrise. Vor allem Frankreich drängt innerhalb der EU auf gemeinsame Investitionen in die Atomenergie. Doch deren erneuter Ausbau, der spätere Rückbau der Atomreaktoren und vor allem die anschließende jahrtausendelange Lagerung des radioaktiven Mülls belasten uns und die folgenden Generationen mit gewaltigen Kosten.[5]

Prof. Dr. Claudia Kemfert spricht bei Freidays For Future Demonstration (50708081303).jpg

Allein marktwissenschaftlich spricht wenig für den Ausbau der Kernenergie: In keinem Staat der Welt gelingt die wirtschaftliche Nutzung der Atomenergie ohne umfangreiche staatliche Investitionen. Ganz im Gegenteil erweist sich diese meist als Fass ohne Boden: In Finnland beispielsweise verdreifachten sich die Kosten während des Baus.[6] Vor allem aber bedarf es rund 15 Jahre, bis neue Atomkraftwerke geplant, gebaut und in Betrieb genommen werden. Die für eine Begrenzung der Erderhitzung notwendige schnelle Abkehr von fossilen Brennstoffen innerhalb der kommenden Jahre ist auf diese Weise nicht möglich.

Erneuerbare Energien sind im Gegensatz dazu zu einem Bruchteil jener Kosten zu haben. Sie vermeiden geopolitische Konflikte und stärken die Resilienz der Energieversorgung und der Wirtschaft insgesamt. Statt enorme Kosten und langjährige Bauzeiten in Kauf zu nehmen, sollte in saubere Energien und Energieeffizienz investiert werden. Zu Letzterem gehören auch die energetische Gebäudesanierung sowie das Vorantreiben der Verkehrswende.

All das zeigt: Die einzig richtige Antwort auf die fossile Energiekrise ist die beschleunigte Energiewende. Durch die Senkung fossiler Subventionen würden all diejenigen stärker belastet, die einen vergleichsweise großen CO2-Fußabdruck haben – und zu diesen zählen laut Oxfam vor allem die wohlhabenderen Teile der Bevölkerung.[7] Kluger Klimaschutz kann also durchaus mehr soziale Gerechtigkeit schaffen. Die CO2-Bepreisung, die ein wichtiges Instrument zur Erreichung der Klimaziele darstellt, weil sie die „Nebenkosten“ fossiler Energien durch die Klimawandelfolgen widerspiegelt, hat dagegen das Problem, dass die durch sie steigenden Preise Verbraucher*innen ungleich belasten. Während Gutverdienende diese leicht kompensieren können, bekommen Menschen mit niedrigen Einkommen die höheren Kosten im Alltag deutlich zu spüren. Eine Pro-Kopf-Rückerstattung der CO2-Bepreisung ist deshalb unabdingbar, um gerade einkommensschwächere Haushalte zu entlasten.[8]

Quelle         :       Blätter-online         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     — Lage von Nord Stream

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Unten        —   Prof. Dr. Claudia Kemfert von den Scientists For Future, Gutachterin beim IPCC und Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, spricht bei der #FightFor1Point5-Demonstration von FridaysForFuture zum fünften Jahrestag des Pariser Abkommens am Brandenburger Tor, Berlin, 11.12.20

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Der Pfad der Tugend

Erstellt von Redaktion am 5. Dezember 2021

Ampelpläne gegen die Klimakrise auf Kollisionskurs ?

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Von Bernhard Pötter

Bringt der Koalitionsvertrag Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad? Wir schaffen das, sagt die Ampelregierung in spe. Mogelpackung, sagen KritikerInnen.

Wenn bis zum nächsten Montag die 125.000 Parteimitglieder der Grünen entscheiden, ob sie den Koalitionsvertrag der Ampel annehmen, spielt eine Zahl eine zentrale Rolle: 1,5 Grad ­Celsius. Um nicht mehr als diesen Wert soll idealerweise die ­globale Temperatur bis zum Jahr 2100 steigen, und Deutschland soll dafür ­seinen Anteil leisten.

1. Warum ist die Zahl wichtig?

Weil die KoalitionärInnen und allen voran die Grünen selbst diesen Maßstab vorgeben: Die neue Ampelregierung werde ihre „Klima-, Energie- und Wirtschaftspolitik am 1,5-Grad-Pfad ausrichten“, heißt es im Koalitionsvertrag. Schließlich haben vor allem die Grünen im Wahlkampf betont: Diese Regierung sei die letzte, die die Klimakrise noch abwenden könne. Deshalb könnten sie nur mitmachen, wenn die „auf den 1,5-Grad-Pfad kommt“, hieß es vor Wahl und Koalitionsbildung.

2. Was ist das überhaupt, ein „1,5-Grad-Pfad“?

Vor allem ein semantischer Trick, den die Grünen vor einem Jahr für den Wahlkampf aus dem Hut zauberten. Er garantiert nicht die Einhaltung des Ziels oder auch nur den deutschen Anteil daran, was in vier Jahren ohnehin unmöglich ist. Aber der Begriff legt nahe, dass man alles tun werde, um den Spagat zu schaffen zwischen den Ansprüchen der Klimabewegung, das 1,5-Grad-Ziel langfristig zu halten und den Realitäten der Regierungsverantwortung, kurzfristig nicht reihenweise Betriebe und Kraftwerke zu schließen.

3. Wie rechnet sich die Ampel grün?

Für Robert Habeck, den designierten grünen Vizekanzler und Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, geht die Rechnung so: „Wir haben Maßnahmen beschlossen, die dazu führen werden, dass wir über den minus 65 Prozent Emissionen in 2030 liegen werden“, der Vertrag sei „nicht um Symbole, sondern um Maßnahmen“ herum entworfen. Die Grünen haben immer kritisiert, das Klimaziel der Großen Koalition (Klimaneutralität bis 2045, minus 65 Prozent Emissionen 2030 und 65 Prozent Anteil Ökostrom am Strombedarf) sei zu lasch, um langfristig die 1,5 Grad zu halten. Jetzt wollen sie keine neuen Ziele, sondern effektive Maßnahmen, die zu besseren Zielen führen: klimaneutral möglichst bereits vor 2045, 80 Prozent Ökostrom bis 2030, ein Kohleausstieg „idealerweise“ 2030, das faktische Aus für Verbrennungsmotoren und fossile Heizungen bis 2030/2025. So sollen die Ziele der Groko übertroffen werden – und das Land auf den Weg zu 1,5 Grad kommen. So argumentiert auch die SPD.

4. Was meint die Klima­bewegung?

Sie ist gespalten. Der BUND sieht den Vertrag bei den 1,5 Grad „mit großer Skepsis“, weil konkrete Ausbauziele für Erneuerbare fehlen und 2045 zu spät für die grüne Null sei. Die Umweltorganisation E3G meint, mit dem Vertrag „dürfte das 1,5-Grad-Ziel nicht zu erreichen sein“. Für die Stiftung Klimaneutralität sagt Rainer Baake, ehemals grüner Staatssekretär im Umwelt- und Wirtschaftsministerium und Architekt der Energiewende, die Maßnahmen seien „richtig und wichtig“, reichten aber nicht einmal für die gesetzlichen 2030er-Ziele. Für Fridays for Future ist die Vereinbarung eine Mogelpackung. „Die Ampel ist nicht auf dem 1,5-Grad-Pfad“, schimpft Sprecherin Carla Reemtsma, „dafür bräuchte es einen Gasausstieg bis 2035, ein Verbrennerende bis 2025, einen höheren CO2-Preis, eine komplett dekarbonisierte Wirtschaft bis 2035.“ Grundsätzlich fordert FFF von jeder Regierung ein CO2-Budget, das angibt, wie viel CO2 Deutschland in einer weltweiten Pro-Kopf-Rechnung noch zustehen würde. So hat es ein Beratungsgremium der Bundesregierung, der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), vorgeschlagen. Beim jetzigen Stand der Emissionen wäre dieses Budget etwa 2027 aufgebraucht.

FridaysForFuture protest Berlin 2021-10-22 demonstration 106.jpg

5. Was sagt die Wissenschaft?

Viele Thinktanks sind bislang zurückhaltend. Am Freitag legte das Consultingunternehmen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW Econ im Auftrag der Klima-Allianz, einem Bündnis von Umwelt- und Sozialverbänden, eine erste Analyse vor. Fazit: Mit einem ehrgeizigen „Klimasofortpaket“ könnte Deutschland seine Ziele aus dem Klimaschutzgesetz für 2030 schaffen. Aber: „Der Koalitionsvertrag enthält nicht ausreichend konkrete Maßnahmenpläne, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.“

Quelle     :        TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —  A photo of the intersection of Ayala Avenue and Buendia Avenue in Makati City, taken from somewhere up in Tower 1 of The Columns.

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Unten        —   Demonstration von FridaysForFuture im Rahmen des globalen Klimastreiks zu den Koalitionsverhandlungen im Rahmen der „Gerechtigkeit Jetzt“ Aktionswoche.

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Ein Whistleblower packt aus

Erstellt von Redaktion am 4. Dezember 2021

Bio ist gut, Kontrolle besser

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Von Jost Maurin

Was passiert eigentlich, wenn Ökobauern gegen Ökovorschriften verstoßen? Zu wenig, sagt Ex-Biokontrolleur Manfred Flegel.

er Bauer war sauer, denn Kontrolleur Manfred Flegel hatte ihn erwischt. Auf dem Hof in Niedersachsen mussten sich Flegel zufolge 48 Rinder nur 40 Fressplätze teilen. Obwohl der Bioverband des Betriebs einen Platz pro Tier verlangt, damit auch schwächere Rinder genügend Futter bekommen. Flegel meldete den Verstoß der Zentrale seines damaligen Arbeit­gebers, Deutschlands größter Biokontrollstelle Abcert. Die aber habe daraufhin weder dem Hof noch den Tieren das Siegel entzogen, ärgert sich Flegel. Der Landwirt verlor allerdings Zeit, denn Flegel schrieb nach eigenen Angaben in mühevoller Kleinarbeit die Identifizierungsnummern auf den Ohrmarken aller Tiere auf. Der Bauer sah sich auch zu langen Rechtfertigungsbriefen an Abcert genötigt, um schmerzhafte Sanktionen abzuwenden.

Deshalb rief der Betrieb laut Flegel einen Tag vor der nächsten regulären Kontrolle bei Abcert an. „Sie haben gesagt: ‚Den Flegel wollen wir nicht mehr haben. Da stimmt die Chemie wohl nicht.‘ Da haben sie dann jemand anderes hingeschickt“, erzählt der ehemalige Inspekteur, der von 2017 bis 2021 bei der Kontrollstelle gearbeitet hat. „Das finde ich schon ein bisschen schräg, dass der Betrieb sich nicht nur die Kontrollstelle aussuchen kann, sondern auch den Kontrolleur.“ An den zwei Tagen, die er für die dann abgesagte Kontrolle eingeplant hatte, habe er stattdessen Urlaub nehmen müssen. „Dann ist der Kontrolleur in der Regel bemüht, lieber nicht so kontrovers und so kritisch zu kontrollieren, damit er nicht ausgeladen wird“, sagt der 63-Jährige.

Abcerts Codenummer DE-ÖKO-006 steht auf vielen Biolebensmitteln. Die Aktiengesellschaft ist wie alle 19 von den Behörden zugelassenen Biokontrollstellen in Deutschland ein privates Unternehmen. Bezahlt werden sie von denjenigen, die sie kontrollieren sollen: den Bauern und Firmen, die mit dem Bio­siegel werben. Die Kunden dürfen ihre Kontrollstelle selbst auswählen – und auch wechseln. So können die Kontrollierten Druck auf die Inspekteure ausüben. „Abcert will keine Kunden verlieren“, sagt Flegel. Deshalb würden zu kritische Kontrolleure kaltgestellt, wenn sich die Betriebe beschweren. Außerdem bestrafe die Zentrale von den Kontrolleuren festgestellte Verstöße ­gegen das Biorecht oft zu lasch.

Kritisiert wird schon lange, dass es bei Biokontrolleuren einen Interessenkonflikt zwischen öffentlichem Auftrag und Gewinnstreben gebe und sie deshalb manchmal nicht so genau hinschauten – nachweisen ließ sich das allerdings bisher kaum. Flegel ist der erste Whistleblower, der öffentlich und mit vollem Namen konkrete Missstände in einer Biokontrollstelle enthüllt. Manfred Flegel ist der taz zudem seit Jahren bekannt.

Ein weiterer ehemaliger Abcert-Kontrolleur, der anonym bleiben möchte, hat gegenüber der taz bestätigt, dass die Inspektoren gewechselt werden, wenn die Betriebe sie ablehnen. „Ich hatte jemanden bei einem richtigen Anbaubetrug erwischt“, sagt der Kontrolleur. „Der hat mich vom Betrieb geschmissen, weil ich ihm wirklich auf die Füße getreten bin.“ Abcert habe dann statt ihm einen sehr jungen Inspekteur mit wenig Erfahrung beauftragt. „Der hat gesagt: ‚Da war nix, ich habe mich vertan.‘“ Der Ex-Kontrolleur ist bis heute vom Gegenteil überzeugt.

Der Abcert-Vorstandsvorsitzende Friedrich Lettenmeier bestätigt auf Anfrage der taz, dass die Kontrollstelle tatsächlich den Inspekteur austauscht, wenn der Betrieb darum bittet. „Die Norm DIN/ISO 17065 sieht dies so vor“, behauptet Lettenmeier. Doch der Abschnitt dieser Norm für Zertifizierungen, den Lettenmeier als Beleg mitschickt, verlangt lediglich, dass die Kontrollstelle den Inspekteur zur Offenlegung persönlicher Interessenkonflikte verpflichtet. Er fordert nicht, auf Wunsch des Betriebs hartnäckige Inspekteure auszutauschen.

Die Enthüllungen sind Sprengstoff für eine Branche, die maßgeblich vom Vertrauen der VerbraucherInnen abhängig ist. Denn viele zahlen den teils heftigen Aufpreis für Biolebensmittel, weil sie eben keine Pestizide im Essen haben wollen und etwas für die Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten sowie den Tierschutz tun wollen. Das soll die Ökoverordnung der Europäischen Union garantieren. Biobauern müssen demnach zum Beispiel auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und besonders umweltschädlichen Dünger verzichten. Sie sind auch dazu verpflichtet, ihren Tieren mehr Platz im Stall und Auslauf zu gewähren. Die Ökoverordnung schreibt daher vor, dass Kontrollstellen jeden Biobetrieb mindestens einmal im Jahr überprüfen müssen.

Doch wie zuverlässig schützen diese Kontrollen vor Betrug? Flegels Berichte lassen in dieser Hinsicht Zweifel aufkommen. Die Zentrale der Abcert habe eine lasche Haltung befördert, sagt er. Ein Vorgesetzter habe ihn einmal sogar gefragt, warum er „so misstrauisch“ sei, erzählt Flegel. „Ich habe ihm geantwortet: ‚Weil ich kein Pastor bin, sondern Kontrolleur.‘“ Friedrich Lettenmeier von Abcert schreibt dazu, keine der Führungskräfte, die er dazu habe befragen können, könne sich an ein derartiges Gespräch erinnern. Offen bleibt, welche Führungskräfte er gefragt hat.

Flegel ist Agraringenieur, er hat an der Pionier-Ökofakultät der Universität Kassel/Witzenhausen studiert und hat selbst einen Biobetrieb gehabt. Er arbeite im Ökolandbau aus Überzeugung, sagt er. Flegel weiß, welche Schäden Überdüngung und Pestizide der konventionellen Landwirtschaft in der Umwelt anrichten.

Er hält es für ein Problem, dass Biobetriebe „immer größer und profit­orientierter“ würden. Das seien oft diejenigen, die das System missbrauchen und Regeln umgingen. So wie ein für die Region sehr großes Agrarunternehmen aus Niedersachsen, das eine Biogasanlage und eine Rindermast betreibt. Alles konventionell. Biozertifiziert seien lediglich die Wiesen, denn dort würden ohnehin keine Pestizide ausgebracht, sagt Flegel. Dafür zahlt der Staat die vergleichsweise hohen Ökolandbau-Subventionen. Das geschnittene Gras landet dann aber genauso wie die Exkremente der Rinder in der konventionellen Biogasanlage, die Strom erzeugt. Übrig bleibt ein Substrat, das als Dünger auf dem Biogrünland entsorgt wird. Als aber im Winter der Gärbehälter der Anlage voll war, kippte der Betrieb laut Flegel mehr nährstoffhaltiges Substrat auf die Wiesen, als erlaubt war. „Sie mussten den Pott halt leeren, damit sie weiter Strom produzieren können“, erinnert sich der ehemalige Kontrolleur. „So haben sie die Flächen völlig überdüngt. Das läuft dann über Gräben und Nebenflüsse in die Elbe, denn so viel kann der Boden überhaupt nicht aufnehmen. Das sollte die Landwirtschaft nicht, und die Biolandwirtschaft erst recht nicht.“

Wegen Überdüngung habe der Betrieb schon mal eine Abmahnung bekommen. „Nach dem zweiten Verstoß hatte ich eigentlich damit gerechnet, dass der mit Pauken und Trompeten aus dem Kontrollverfahren fliegt“, so Flegel. Aber Abcert habe ihm nur eine weitere Abmahnung geschrieben. „Dann lernen die ja, dass sie eigentlich nichts beachten müssen.“ Lettenmeier bestreitet, dass der Betrieb das Biosiegel trotz zweier Abmahnungen wegen massiver Überdüngung bekommen hat. Doch biozertifiziert ist das Unternehmen bis heute, wie eine Abfrage auf der Internetseite von Abcert zeigt.

„Oft sind die Kontrolleure auch nicht kompetent genug für den Betriebszweig, den sie überprüfen sollen“, sagt der ehemalige Inspektor, der nicht mit Namen genannt werden möchte. „Die Abcert gewährt einem auch nicht genug Zeit, sich einzuarbeiten.“ Teils würden Uni-Absolventen ohne viel Praxis­erfahrung auf Kontrollen geschickt. Weil die Firma nicht genug zahle und der Umgang miteinander nicht gut sei, könne sie nicht genügend erfahrene Mitarbeiter rekrutieren. Abcert dagegen schreibt: „Aus- und Fortbildung des Personals ist auch ein Punkt der Überwachung durch Behörden.“ Die Biokontrollstellenverordnung verlange eine „mindestens einjährige einschlägige Berufserfahrung“.

Durch die Lappen gegangen ist Abcert auch der Fall des Bioschweine­halters aus dem Dorf Zargleben im niedersächsischen Wendland, der laut Staatsanwaltschaft seinen Tieren im Ökolandbau verbotene Medikamente und konventionelles Futter gegeben haben soll. Der Landwirt ist ein Pionier der Bioschweinefleischerzeugung und war mit jährlich rund 7.000 gemästeten Tieren ein wichtiger Player in der Branche. Allerdings verabreichte der Betrieb laut dem Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) Sauen Medikamente, die künstlich die Brunst auslösen. Dadurch warfen sie mehr oder minder gleichzeitig Ferkel, die Produktionsabläufe sowie die Liefermengen ließen sich besser planen. Solche extrem unnatürlichen Eingriffe untersagt die Ökoverordnung.

Doch das Laves hatte nach eigenen Angaben „keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten in dem betreffenden Betrieb durch Öko-Kontrollstellen erhalten“, obwohl es als Aufsichtsbehörde über die niedersächsische Biobranche als erste hätte eingeschaltet werden müssen. Dabei habe der Landwirt in den „Bestandsbüchern“ dokumentiert, dass er zu „Zeitpunkten vor den Kontrollen“ Sauen mit „nicht zulässigen Hormonen“ behandelt habe. Die Kontrollstelle habe laut ihrem Bericht an das Laves den Medikamenten­einsatz überprüft, aber: „Abweichungen wurden nicht vermerkt.“ Im Gegenteil: Abcert habe den Betrieb im Juli 2020 von der Risikoklasse III (hohes Risiko für Unregelmäßigkeiten) in die Kategorie II herabgestuft. Solche Betriebe werden meist seltener unangekündigt überprüft. „Unser Mitarbeiter hat die in der Kontrolle vorgelegten Unterlagen geprüft und bewertet. Daraus haben sich keine Hinweise auf Verstöße ergeben“, sagt Abcert-Chef Lettenmeier dazu. Allerdings gehört zu einer guten Kontrolle auch, durch Kombination verschiedener Informationen zu erkennen, wenn Unterlagen fehlen.

Quelle        :       TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —      Biologischer Anbau von gemischtem Gemüse auf einem Bio-Bauernhof in Capay, Kalifornien.

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Unten      —    Kastenstände mit Sauen in der Intensivtierhaltung

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Nachlese zur COP 25 :

Erstellt von Redaktion am 30. November 2021

Die Erfolge von Glasgow und ihre Maßstäbe

Armen Sarkissian nimmt an der Klimakonferenz der Vereinten Nationen 2021 teil (57).jpg

Der Knabe  sitzt aber gut im Futter – auch im Kopf ?

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Suitbert Cechura

Die Weltklimakonferenz COP 26 in Glasgow ging nach einer Verlängerung zu Ende, wobei das Echo sehr geteilt ist. Während die einen die Konferenz als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Verhinderung der Weltklimaerwärmung feiern, zeigen sich andere vom Ergebnis enttäuscht, was in der Äußerung von Greta Thunberg gipfelte: „Blah, blah, blah“. Dass die Urteile so unterschiedlich ausfallen, kann wohl kaum am Ergebnis der Konferenz selber liegen, sondern vielmehr an den unterschiedlichen Maßstäben, an denen es gemessen wird.

Der hoffnungsvolle Auftakt

Der Beginn der Konferenz wurde beherrscht vom Auftritt der politischen Größen der verschiedenen Staaten – angefangen vom Präsidenten der Vereinigten Staaten Joe Biden bis hin zur deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Allein ihr Erscheinen sollte die Wichtigkeit des Anliegens der Konferenz unterstreichen, und eine der Hauptmeldungen in den Medien war das Nichterscheinen von Chinas Präsident Xi Jinping und Russlands Präsident Wladimir Putin. Zwar waren sie per Videokonferenz präsent und hatten auf diese Weise CO–Emissionen vorbildlich gespart, dennoch galt ihr physisches Nichterscheinen als kritikabel – im Gegensatz zu den mit viel Energie-Aufwand (in eigenen Fliegern etc.) angereisten Kollegen.

Im Vordergrund der Konferenz standen zunächst die Absichtserklärungen der erschienenen Politiker wie z.B. die von Angela Merkel: „Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts, also am besten bis 2050, zu erreichen – dieses Ziel wurde genannt; und es ist auch dringend notwendig. Aber dafür werden erhebliche Investitionen gebraucht. Und das ist noch untertrieben, denn wir brauchen eine komplette Transformation unserer Art zu leben und zu arbeiten, der Energieerzeugung und der Mobilität. Das ist natürlich eine große Herausforderung.“ (https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/rede-von-bundeskanzlerin-merkel-zum-event-action-and-solidarity-the-critical-decade-im-rahmen-des-world-leaders )

Merkel betont wie viele andere auch das gemeinsame Ziel der Klimaneutralität und spricht dabei von der Änderung des Lebens von „uns allen“. Mit der Betonung der Gemeinsamkeit bezieht sich die Kanzlerin auf die gemeinsame Betroffenheit aller Staaten, die mit der Erderwärmung vor neue Kalkulationen gestellt werden. Die Betroffenheit fällt für die Staaten allerdings sehr unterschiedlich aus. Manche können durchaus auch Vorteile für sich durch die Erderwärmung entdecken, wenn das Nordpolarmeer eisfrei wird und sich somit neue Verkehrswege und neue Wirtschaftsräume erschließen lassen. Andrerseits ergeben sich aus diesem Umstand aber auch neue Gefahren, die es abzuwägen gilt. So folgen aus der Erderwärmung für die unterschiedlichen Staaten bei aller gemeinsamen Betroffenheit ganz unterschiedliche Konsequenzen und auch ganz neue wirtschaftliche Chancen, die oft aber auch von den Entscheidungen anderer Staaten abhängig sind. Deshalb setzen sie sich in Konferenzen in Verbindung, um für sich Gefahren und Chancen auszuloten.

Über diese Unterschiede setzt sich die Kanzlerin hinweg, wenn sie das gemeinsame Ziel und dessen Erreichen als Gemeinschaftsanliegen behandelt. Ganz so, als ob es sich um eine Sache handelte, die in gleicher Weise alle betrifft, eben unseren Lebensstil und unsere Art, zu konsumieren. Dabei ist Letzteres nur die abhängige Variable von Entscheidungen, die ganz andere Subjekte treffen (https://www.heise.de/tp/features/Der-Verbraucher-Koenig-Kunde-oder-der-Kaiser-ohne-Kleider-4928622.html).

Und wenn es wirklich ein Gemeinschaftsanliegen der Staatenwelt wäre, dann bräuchte es übrigens nicht die 26. Konferenz von Regierungsvertretern; denn was dann anstünde wäre eher ein technisches Problem. Das Stattfinden der vielen Konferenzen macht dagegen gleich augenscheinlich, dass es dieses Menschheitsanliegen gar nicht gibt. Es geht schließlich um Treffen von Staaten, die bei diesen Konferenzen ganz unterschiedliche Interessen verfolgen, und diese haben nichts mit der vorgestellten Einigkeit zu tun, dass es einfach darum ginge, die Welt vor dem Untergang zu bewahren.

Wenn die Kanzlerin von den „erheblichen Investitionen“ spricht, so steht im Hintergrund ja auch immer, dass diese sich irgendwie lohnen sollen. Es geht also bei diesen Konferenzen um den Streit, welche Schäden wer durch den Klimawandel zu erwarten hat und wer von einer Verhinderung der Erderwärmung wie profitieren kann. Es sind eben Veranstaltungen von Konkurrenten, die sich gegenseitig auf bestimmte Formen der Energiegewinnung und des Energieeinsatzes festlegen wollen und dabei in unterschiedlicher Weise von den unterschiedlichen Formen des Energiegebrauchs profitieren. Um diese Erträge streiten die Staaten. Schließlich hat die oft als Klimakanzlerin gelobte Frau Merkel sich in der Vergangenheit besondere Verdienste dadurch erworben, dass sie im Rahmen der EU Umweltauflagen für die Autoindustrie blockierte, die vor allem den deutschen Autoherstellern hätte schaden können.

Das Ergebnis einer solchen Konferenz kann daher auch nur in einer Vereinbarung bestehen, bei der sich die Staaten selber zu etwas verpflichten, von dem sie sich einen Nutzen versprechen. Es ist die Summe von Selbstverpflichtungen, die da zu Papier gebracht wird. Deren Erfüllung hängt somit auch von der Kalkulation derer ab, die die Selbstverpflichtung aussprechen.

Das Ergebnis

Als Resultat werden in der Öffentlichkeit mehrere Punkte hervorgehoben: „Das beginnt damit, dass die Regeln des Pariser Klimaabkommens nun endlich stehen. Wie konkret Fortschritte im Klimaschutz vergleichbar werden, wie die Staaten neue Pläne hinterlegen, wie sie miteinander kooperieren – all das hat die Konferenz in Glasgow klären können.“ (Michael Bauchmüller, SZ 15.11.21)

Offenbar braucht es Regeln für die Vergleichbarkeit von Klimaschutzmaßnahmen, weil es nicht einfach um deren Wirksamkeit geht, sondern weil die Staaten sich gegenseitig misstrauen, ob die anderen ihre abgegebenen Absichtserklärungen auch erfüllen. Dass die schon abgegebenen Erklärungen nicht ausreichen, um die Erderwärmung zu stoppen, davon gehen alle beteiligten Staaten offenbar aus. Also braucht es ständig neue Pläne, um zumindest den Schein aufrecht zu erhalten, dass die Erderwärmung in einem erträglichen Rahmen gehalten werden kann. Darin besteht also einer der Erfolge der Konferenz und macht damit gleich weitere Konferenzen notwendig.

Die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze weiß zudem einen weiteren Erfolg zu vermelden: „Diese Konferenz hat gezeigt, dass die Welt ein gemeinsames Ziel verfolgt, eine klimaneutrale Weltwirtschaft. Das fossile Zeitalter geht zu Ende, die Energiewende wird weltweit zum Leitbild.“ (https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/globaler-klimaschutz-1974042)

Zwar soll es schon vor Jahren in Paris ein gemeinsames Ziel gegeben haben. Erstaunlich also, dass das nun als Ergebnis von Glasgow gefeiert wird. Macht aber nichts. Mit der Behauptung, das fossile Zeitalter gehe zu Ende, lobt die Ministerin dreist die in der Abschlusserklärung festgehaltene Aussage, dass der Einsatz von Kohle, Gas und Öl reduziert werden soll: „Und dann ist da dieser eine Absatz, Nummer 36 von 97. Darin sollen die Staaten aufgefordert werden, schneller das Ende der Kohle einzuleiten, sich obendrein von ‚ineffizienten‘ Subventionen für fossile Energie zu verabschieden… Aus dem ‚Ausstieg‘ aus der Kohle wird eine ‚Verminderung‘, aus einem ‚phase-out‘ ein ‚phase-down‘.“ (SZ, 15.11.21)

Im Grunde fordern alle Staaten mit der Abschlusserklärung sich selber auf, den Einsatz von Kohle zu vermindern, was Deutschland ja auch betreibt, und zwar mit seinem Ausstieg bis 2038, also der damit gesicherten Verbrennung von dreckiger Braunkohle auf Jahre hin. Schließlich ist und bleibt die Braunkohle ein billiger nationaler Energieträger, den es solange zu nutzen gilt, bis sich günstigere Energiequellen ergeben.

Dass zudem „ineffiziente“ Subventionen für fossile Energie gestrichen werden sollen, ist fast schon ein Witz. Welcher Staat wendet denn ineffiziente Subventionen auf?

Deutschland hat doch seine Steinkohle lange Zeit deshalb subventioniert, weil es über eine nationale Energiequelle verfügen wollte.

Die Effizienz einer Subvention lässt sich eben sehr unterschiedlich bestimmen – je nach ökonomischer oder politischer Interessenlage. Eins kann man in jedem Fall festhalten: Die Effizienz von Subventionen bemisst sich nicht daran, was sie für den Klimaschutz leisten. Beispielhaft wären da die Subventionen für Elektroautos zu nennen, die den deutschen Autobauern ihren zukünftigen Erfolg, d.h. die Gewinne sichern sollen, wobei die Öko-Bilanz der Umstellung auf E-Mobilität eine höchst problematische Größe ist (https://www.heise.de/tp/features/Wenn-die-Verkehrswende-zur-Antriebswende-degradiert-wird-6217010.html).

Die Zusammenfassung formulierte der Präsident der Klimakonferenz, der Brite Alok Sharma: „Wir können nun mit Überzeugung sagen, wir haben die 1,5 Grad lebendig gehalten“. (SZ, 15.11.21) Auch so kann man ausdrücken, dass das 1,5-Grad-Ziel ein Ideal ist, in dessen Namen die Erderwärmung irgendwie in Grenzen gehalten werden soll, ohne das kapitalistische Wachstum zu gefährden. Insofern kommt es nicht unbedingt auf die genaue Zielerreichung an. Vielmehr können viele – und vor allem die entscheidenden kapitalistischen Länder – auch mit einer größeren Erwärmung leben und stellen sich bereits darauf ein. Schließlich gibt es viele Initiativen, um die erwarteten Schäden aufzufangen, zu begrenzen oder sich dagegen zu versichern, sowie den Streit darum, wer in Zukunft für die Schäden aufzukommen hat.

Die Zufriedenen

Zu denen, die das Ergebnis von Glasgow mit Zufriedenheit zur Kenntnis nehmen, gehören die Vertreter der zukünftigen Regierung in Deutschland: „FDP-Chef Cristian Lindner bewertete das Ergebnis vorsichtig optimistisch. `Glasgow ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, aber nicht das Ziel`.“ (SZ, 15.11.21) Auch der Vertreter der SPD stimmt dem zu: „Glasgow ist ein wichtiges Signal, aber die Arbeit beginnt erst,“ so der SPD-Vorsitzende Matthias Miersch. (SZ, 15.11.21) Vorsichtiger äußerte sich Grünen-Chefin Annalena Baerbock: „Die Klimakonferenz habe `die Heftigkeit der Klimabedrohung endlich anerkannt, aber noch lange nicht gebannt‘.“ (SZ, 15.11.21)

Eröffnungszeremonie des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs (51648256275).jpg

Manche „lahme Enten“ zeigen sich nur noch von der Seite

Einfach nur Zufriedenheit will niemand signalisieren, sondern alle sehen die Klimawende als eine Herausforderung, der sie sich zu stellen haben, die also noch nicht bewältigt ist: „Der gesellschaftliche Konflikt zwischen denen, die immer neue ehrgeizige Ziele fordern und denen, die die Energiewende blockieren, muss endlich produktiv gelöst werden… Das ist die Aufgabe einer Fortschrittskoalition“ (SZ, 15.11.21), weiß der SPD-Fraktionsvorsitzende Miersch zu vermelden. Er differenziert offenbar bei den Zielen in Sachen Energiewende nicht danach, was zur Vermeidung der Erderwärmung notwendig ist oder nicht, sondern danach, ob sie zu ehrgeizig sind oder nicht. Auch warum sich die Blockierer gegen Maßnahmen wenden, ist für ihn nicht weiter von Bedeutung. Zwischen welchen Positionen die neue Koalition also vermitteln will, bleibt damit offen, fällt damit ganz in ihre Entscheidungskompetenz.

Als zu ehrgeizig gelten natürlich Ziele, die sich nicht an den Notwendigkeiten des Geschäftemachens orientieren. Schließlich bilden Aufwendungen für Energie und neue Technologien Kosten, die sich lohnen, sprich Gewinne sichern sollen. Also haben sich Maßnahmen in Sachen Energiewende an diesem Maßstab zu bewähren. Dort, wo durch Einsatz neuer Technologien Vorteile zu erringen sind, treten diese Politiker als Parteigänger des Klimaschutzes auf; dort, wo sie geschäftliche Einschränkungen vermuten, betrachten sie die betreffenden Maßnahmen als zu ehrgeizig.

Den Maßstab formuliert FDP-Chef Lindner, nämlich „dass es ein hochwirksames Paket zum Klimaschutz geben wird, das zugleich die soziale Sensibilität achtet und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft langfristig stärkt“. (SZ, 15.11.21) Klimaschutz soll es also irgendwie geben. Das wird vielen Menschen einiges abverlangen, damit zusätzliche Kosten bescheren. Das wird die Politik im Blick haben, wenn sie sich darum kümmert, dass das Ganze der deutschen Wirtschaft nützt.

Und so mancher Journalist springt den Politikern auch gleich bei: „Enttäuscht müssen alle diejenigen sein, die einen Wundergipfel von einer Versammlung mit Vertretern aus 192 Ländern erwartet haben. Realisten verweisen auf den Druck, der durch Glasgow jetzt erstmals auf einen globalen Kohleausstieg besteht… Besonders wichtig: Durch preiswerte erneuerbare Energie wird Klimaschutz zum Geschäftsmodell. Investoren, Banken, Industriekonzerne begreifen das. Kapitalisten haben schon immer die Eigenschaft, geschmeidig zu sein. Das ist das wahre Erfolgsgeheimnis des Kapitalismus, auch des grünen Kapitalismus.“ (Franz Alt, telepolis, 16.11.21)

Das Erfolgsgeheimnis des Kapitalismus ist gerade in den umfangreichen Schäden an Mensch und Natur zu besichtigen, schließlich hat der geschmeidige Umgang mit Kosten für Abfallbeseitigung und Abgasbehandlung dazu geführt, dass die Welt so aussieht, wie sie aussieht. Dass hindert offenbar weder den Autor noch die Politik daran, gerade in den Verursachern der Klimakatastrophe die Retter zu entdecken: „Die Kanzlerin hob die CO2(Kohlendioxid)-Bepreisung als geeignetes und wirtschaftlich vernünftiges Instrument hervor, weltweit Industrie und Wirtschaft dazu zu bringen, die technologisch besten und effizientesten Wege zu finden, um Klimaneutralität zu erreichen.“ (https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/globaler-klimaschutz-1974042)

Effizienz in der Wirtschaft bemisst sich bekanntermaßen nicht an einem technologischen Kriterium, sondern daran, inwieweit die Technologie dazu beiträgt, aus einer vorgeschossenen Summe Geldes mehr Geld zu machen. Und das soll auch in Zukunft der Maßstab sein, an dem sich alles zu bewähren hat.

Die Kritiker

Noch jede Demonstration zur Klimapolitik drückt einen Zwiespalt aus. Auf die Straße gehen die Demonstranten, weil sie in der herrschenden Politik einen Mangel entdecken: So wie „die da oben“ Gesetze beschließen, zeichnet sich ab, dass die Erderwärmung munter weiter geht. Gleichzeitig setzen die Demonstranten aber alle Hoffnung darauf, dass die Politiker durch den massenhaften Protest dazu zu bewegen sind, doch noch Gesetze zu beschließen, die die Erderwärmung aufhalten.

Dabei wäre doch als Erstes, siehe oben, zu fragen, warum die Politiker nicht von sich aus in diesem Sinne aktiv werden. Wissenschaftliche Berechnungen und Gutachten gibt es zuhauf, an mangelndem Wissen kann es wohl nicht liegen. Deshalb hat das ständige Betonen der Demonstranten, dass sie die Wissenschaft auf ihrer Seite haben, etwas Gebetsmühlenartiges, das Beschwören einer großen Einigkeit. Schließlich sind ja nicht wenige der Gutachten von der Politik in Auftrag gegeben worden.

Wenn die Politiker dennoch zu anderen Ergebnissen gelangen, dann kann es nicht am fehlenden Wissen liegen, sondern dann geht es ihnen eben nicht einfach darum, wie die Klimaveränderung gebremst werden kann. Dem Klimaschutz will sich inzwischen zwar keine der Parteien mehr verschließen, aber alle verbinden ihr Bekenntnis zum Klimaschutz mit einem dicken „Aber“.

Woran es beim Klimaschutz hakt und warum er nicht so stattfinden kann, wie sich die Vertreter von Fridays for future das vorstellen, machen die Verantwortlichen vor allem an drei Punkten deutlich. Da ist zum einen das Ausland, das nicht richtig mitzieht, dann sind es die Arbeitsplätze, die man erhalten muss, und endlich noch die Verbraucher, die das alles nicht zahlen können. Diese Gründe gilt es zu würdigen, denn ganz von der Hand weisen wollen Klimaschützer diese Gründe ja nicht.

Um mit dem Letzten zu beginnen: Die Preise für Energie steigen und das ist auch beabsichtigt. Schließlich sollen die Verbraucher entweder weniger verbrauchen oder sich nach Alternativen umsehen. Als selbstverständlich unterstellt ist in dieser Argumentation, dass alles in dieser Gesellschaft einen Preis hat und somit Mittel des Geschäftes ist. Als solches soll auch der Klimaschutz fungieren.

Die Preise für Energie werden durch die CO2-Abgabe von der Politik erhöht und so sollen sich alternative Formen des Energieverbrauchs wie Verzicht auf Autofahren, Kauf von Elektro-Autos, neue Heizungen lohnen. Für diejenigen, die Hersteller oder Verkäufer von Elektro-Autos, neuen Heizungen oder Wärmedämmungen von Häusern sind, wird so eine lohnende Geschäftssphäre eröffnet und stabilisiert. Diejenigen, die nur mit den steigenden Energiekosten konfrontiert werden, müssen somit neu kalkulieren.

Für Unternehmen und Geschäftsbereiche, die nicht in neuen Umweltprodukten zu Hause sind, stellen die höheren Energiepreise höhere Kosten dar, die ihre Kalkulation belasten und die Rendite senken. Es sei denn, sie können die höheren Kosten ihren Kunden in Rechnung stellen und sich so schadlos halten.

Dann gibt es die Menschen, die nicht Besitzer eines Unternehmens sind, sondern nur über sich selbst als Arbeitskraft verfügen. Sie können ihre gesteigerten Kosten nicht einfach jemandem in Rechnung stellen, sind also mit der Notwendigkeit konfrontiert, sich einzuschränken oder sich mit anderen zusammenzuschließen, um für höhere Löhne zu kämpfen. Die Hoffnung richtet sich da bei vielen auf die Regierung, die die durch die höheren Kosten entstandenen Nöte abmildern soll.

Und das haben die Parteien der neuen Regierung ja auch versprochen. Eine Kompensation für die höheren Energiepreise soll es geben. Nur: Die beabsichtigte Wirkung in Sachen Klimaschutz, soll damit nicht konterkariert werden. Also ist klar, dass eine Kompensation nicht in vollem Umfang stattfinden wird. Wahrscheinlich wird es nur für sogenannte „Härtefälle“ Zahlungen geben. Wo die „Härte“ anfängt und in welchem Umfang ein Ausgleich stattfinden soll, ist eine andere Frage – Hartz IV lässt grüßen.

Konfrontiert werden Klimaschützer immer wieder mit dem Arbeitsplatzargument oder mit Demonstrationen organisiert von Gewerkschaften. Ein Argument, das die Kritiker trifft und an dem sie sich abarbeiten: „Derzeit geht man davon aus, dass die Kosten des Klimawandels bis zu achtmal höher liegen sollen, als bisher angenommen. Überschwemmungen und Stürme können das Wirtschaftswachstum für die betroffenen Staaten um ein Jahrzehnt oder länger dämpfen. Die Tötung von Menschen durch Unwetter führt zum Fehlen von Arbeitskräften. Die Zerstörung von Produktionsstätten führt zur Unmöglichkeit der Produktion. Die Folge sind Lieferengpässe. Beides schadet unserem Wohlstand nachhaltig – entweder am Produktionsstandort oder durch Behinderung der Produktion durch Versorgungsengpässe oder durch resultierende steigende Preise.“ (https://fridaysforfuture.de/schoene-reden/)

Mit der Kostenrechnung, die auf Seiten von Fridays-for-future aufgemacht wird, soll demonstriert werden, dass Klimaschutz auch ganz im Interesse derer ist, die die Klimakatastrophe verursacht haben. Dabei gehen allerdings die Rechnungsweisen etwas durcheinander.

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Wenn von unserem Wohlstand die Rede ist, der durch den Klimawandel gefährdet ist, dann irritiert den Schreiber offenbar nicht, dass es mit dem Wohlstand bei vielen Menschen in dieser Gesellschaft nicht weit her ist. Das Wirtschaftswachstum, um das sich da gesorgt wird, besteht in dem Wachstum des Reichtums derer, die als Private über Reichtum verfügen. Und das ist, wie man auch aus den offiziellen Armuts- und Reichtumsberichten weiß, eine sehr überschaubare Minderheit.

Der Tod von Menschen wird beklagt, nicht weil er sie die Existenz kostet, sondern weil sie für das Wirtschaftswachstum fehlen. Zu solchen Zynismen gelangt der Autor, weil er um jeden Preis die Vereinbarkeit von Klimaschutz und kapitalistischem Wachstum nachweisen will. Gegen diese Kalkulation will sich anscheinend niemand wenden, stattdessen richtet sich die Hoffnung immer auf die Vereinbarkeit von Gewinnen mit Klimaschutz und Sicherung des Lebensunterhalts der Beschäftigten. Die immer wieder stattfindenden wie drohenden Entlassungen sowie die Folgen dieser Produktion können diesen Glauben wohl nicht erschüttern.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt eine bekannte Redewendung. Aber man weiß auch: Du sollst Dir keine falschen Hoffnungen machen. Nur was bedeutet es, wenn an der Hoffnung festgehalten wird, ohne zu prüfen, ob sie begründet ist? Dass die Hoffnungen nicht aufgegeben werden, wo sich viele vom Ergebnis von Glasgow enttäuscht zeigen, machen ihre Kritiker deutlich: „Es gibt Momente, da führt die Verfolgung von Nachrichten und Talkshows zu einem großen Maß an Ohnmacht. Etwa, wenn ein Bundeskanzlerin am Ende ihrer Amtszeit auf der COP dazu aufruft, mehr für den Klimaschutz zu tun und sich von den Medien und Politiker*innen beklatschen lässt. Hatte sie nicht 16 Jahre Zeit um Klimaschutz zu machen? Was wurde in dieser Zeit getan? Beim Klimaschutzgesetz, so selbst das Bundesverfassungsgericht, jedenfalls nicht genug.“ (https://fridaysforfuture.de/schoene-reden/)

Die Frage aufzuwerfen, was die Kanzlerin in den 16 Regierungsjahren für Klimaschutz getan hat, ist vielversprechend. Aber dann muss man sich auch wirklich ansehen, was und wie sie den Klimaschutz betrieben hat. Schließlich gehörte dazu der Einsatz für die Autoindustrie und für den Weiterbetrieb der Braunkohlekraftwerke ebenso wie der Bau von Windrädern und die Förderung der Solarenergie.

Das würde dann nicht zum Abwägen von mehr oder weniger Engagement in Sachen Klimaschutz führen, sondern zu der Erkenntnis, nach welchen Maßstäben dieser erfolgt, und zwar im Inland wie im Ausland. Letzteres wird bei uns natürlich gerne an den Pranger gestellt. Dabei unterscheiden sich, siehe oben, die Kalkulationen der großen Wirtschaftsmächte gar nicht im Prinzip, höchstens in den Mitteln und den geopolitischen Bedingungen.

Es macht also einen entscheidenden Unterschied, ob man das 1,5-Grad-Ziel als ein Ideal betrachtet, in dessen Namen man kapitalistisches Wirtschaftswachstum mit den Folgen der Erderwärmung irgendwie zu vereinbaren versucht, oder ob man die 1,5 Grad als ein reelles Ziel versteht. In letzterem Fall müsste man eben zur Kenntnis nehmen, dass dies so von keinem der handelnden Politiker verfolgt wird.

Aus diesem – vernachlässigten – Unterschied, aus dem Desinteresse, den Motiven der mächtigen Macher auf den Grund zu gehen, und der Bereitschaft, die offizielle Klima-PR zu schlucken (https://www.heise.de/tp/features/CO2-Fussabdruck-Wie-ein-PR-Trick-von-den-Machern-des-Klimawandels-ablenkt-6152267.html), speisen sich dann immer wieder Hoffnungen – ebenso wie die unvermeidlichen Enttäuschungen, die auf dem Fuße folgen.

Zuerst erschienen bei Telepolis

Urheberecht
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Grafikquellen      :

Oben          —     Präsident Armen Sarkissian nahm an der 26. Konferenz der Vertragsparteien des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (COP26) in Glasgow teil.

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Die Krisen + ihre Experten

Erstellt von Redaktion am 28. November 2021

Die Corona Krise ist keine Klimakrise im Kleinen

File:Maskenpflicht Schild Hamburg Mönckebergstraße.png

Von  Caspar Hirschi

Die Klimabewegung propagiert ein Bild von wissenschaftlichen Experten, das an der Realität der Pandemie scheitert.

Alle glücklichen Zeiten gleichen einander. Jede Krise ist ein Unglück eigener Art. Wäre es anders, hätten moderne Gesellschaften schon längst Wege gefunden, um nicht mehr in Krisen hineinzugeraten. Stattdessen tun sie es immer wieder von Neuem. Eine Krisenerfahrung legt sich über die andere, und der Blick für ihre Besonderheiten wird eingetrübt.

Vergleiche mit vergangenen Krisen können durchaus hilfreich sein, um aktuelle Notlagen zu bewältigen. In der Finanzkrise diente die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre als Negativfolie für eine Interventionspolitik mit massiver Hebelwirkung, um die wirtschaftliche Abwärtsspirale frühzeitig aufzuhalten. Setzt man den Vergleich jedoch in der Gegenwart an und überträgt Kampfbegriffe einer chronischen Krise, deren Bewältigung noch in den Sternen steht, auf eine akute Krise völlig anderer Art, erweist man ihrer Analyse und Bekämpfung einen Bärendienst. Das ist uns in der Coronakrise passiert.

Die Klimakrise ist zum dominanten Deutungsrahmen für die Covid-19-Pandemie geworden. Es begann damit, dass die Gesellschaft bereits kurz nach dem Ausbruch der Seuche in Sehende und Geblendete aufgeteilt wurde. Man setzte den Klimaleugnern die „Coronaleugner“ oder „Covid-Idioten“ zur Seite. Die Vielfalt an Motiven, die Menschen zur Ablehnung der Eindämmungsmaßnahmen bewogen, reduzierte sich in vorauseilender Anwendung des schlimmstmöglichen Verdachts auf jenes der Realitätsverweigerung. Umso schwerer fiel es im Fortgang der Krise, Leute aus der Opposition gegen die Pandemiepolitik zurückzuholen. Wer sich zu Unrecht in eine Ecke gestellt fühlte, richtete es sich dort ein und radikalisierte sich weiter. Mit jeder Welle nahm die Polarisierung zu. Sah man in der Coronakrise eine Klimakrise im Kleinen, erschien die Polarisierung nicht als Folge der eigenen Parallelisierung, sondern bloß als weitere Parallele. Der Vergleich erhielt Züge einer Self-Fulfilling-Prophecy.

„Follow the Science“

Noch stärker schlug sich das Vorbild der Klimakrise in Erwartungen an eine politische Führungsrolle von Experten nieder. Die Klimawissenschaften sind ein Forschungsfeld, das seit mehr als einem halben Jahrhundert beackert wird und das vor mehr als drei Jahrzehnten eine institutionell gefestigte Form der wissenschaftlichen Politikberatung erhalten hat. Im Vergleich dazu wirkt die wissenschaftliche Forschung und Beratung zu Covid-19 wie ein behelfsmäßig aufgezogenes Feldlazarett. Es war denn auch kaum die institutionelle Organisation von Expertise in der Klimakrise, die in der Coronakrise als Vorbild diente, sondern vielmehr ihre mediale Inszenierung durch die Klimabewegung. Diese jedoch geht schon in der Klimapolitik an der Realität der wissenschaftlichen Politikberatung vorbei.

Der Weltklimarat (IPCC) verfasst seine Berichte nach dem Prinzip, „neutral, policy relevant, but not policy-prescriptive“ zu sein. Entsprechend stellt er keine Empfehlungen und schon gar keine Forderungen auf, was für konkrete Maßnahmen zu ergreifen sind. Allgemeine Ziele wie die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad werden in enger Zusammenarbeit und unter Federführung der internationalen Politik verabschiedet. Die Selbstbeschränkung des Weltklimarats hat ihr Fundament in den prognostischen Unsicherheiten und normativen Dilemmata, die mit den Zukunftsszenarien in seinen Berichten verbunden sind. Das Abwägen von Risiken, Setzen von Werteprioritäten und Fällen von Entscheiden ist Aufgabe der Politik, nicht der Wissenschaft.

Als nun aber die Klimabewegung den Klimanotstand ausrief und einen „System Change“ forderte, wies sie den Klimawissenschaften die weltweite Führungsrolle bei der politischen Bekämpfung der Erderwärmung zu. „Follow the Science“ und „Unite behind the Science“ avancierten zu Mobilisierungsparolen eines neuen Aktivismus, der ohne eigene Agenda auskam, in der Annahme, die Befunde und Modelle der Klimawissenschaften enthielten bereits das politische Programm. Da der Weltklimarat der Politik aber keine Vorschriften macht, läuft der Aufruf, der Wissenschaft zu folgen, ins Leere. Den offiziellen Klimaexperten wird eine Rolle zugedacht, die sie nicht einnehmen können. Anstatt auf den Widerspruch hinzuweisen, haben ihn manche Klimaforscher noch verschärft, indem sie in den Medien eine aktivistische Wende vollzogen, die mit ihrem institutionellen Auftrag kollidiert.

„Der“ Wissenschaft zu folgen, musste in der Coronakrise schon deshalb in die Irre führen, weil gar keine Instanz existiert, die den Erkenntnisstand der relevanten Forschungsgebiete aufbereitet und bekannt gibt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist nicht der IPCC, sie hätte wegen der akuten Zeitnot auch nie eine vergleichbare Rolle einnehmen können. Sobald die globale Dimension der Krise sichtbar wurde, entstand ein unkoordinierter Wettbewerb unter Forschenden um die Bereitstellung relevanter Expertise, ausgetragen auf Preprint-Servern und Twitter. Im Kampf um politische Aufmerksamkeit kamen dabei Mittel zum Einsatz, die der Weltklimarat systematisch ausschließt. Studienautoren machten sich zu Experten in eigener Sache, indem sie ihre provisorischen Forschungsbefunde gleich mit Empfehlungen oder Warnungen an die Politik versahen.

Hier Großbritannien …

So sorgten sie dafür, dass die politische Diskussion startete, bevor die wissenschaftliche Prüfung begonnen hatte. Für Regierungen und ihre Beratungsstäbe wurde die Situation noch unübersichtlicher und unsicherer, als sie ohnehin schon war. Medial sahen sie sich unter Druck gesetzt, „der“ Wissenschaft zu folgen, real waren sie mit einer Vielfalt an unbestätigten Expertenmeinungen konfrontiert. Die meisten Regierungen suchten ihre Rettung darin, jenen Expertenstimmen Gehör zu schenken, die zugleich wissenschaftliches Renommee ausstrahlten und ihren politischen Ansichten nahestanden, um diese dann in der Öffentlichkeit als „die“ Wissenschaft auszugeben.

Der britische Politologe Paul Cairney hat daher zu Recht betont: Wenn Politiker in der Coronakrise sagen, sie folgen der Wissenschaft, so meinen sie „unseren Wissenschaftlern“. Großbritannien ist dafür exemplarisch. Entgegen den Darstellungen in vielen Medien ließ sich die Tory-Regierung von Boris Johnson sehr wohl von wissenschaftlichem Rat leiten, als sie im März 2020 den ersten Lockdown hinauszögerte, bis es zu spät war, um das Gesundheitssystem vor Überlastung zu schützen. Die Regierung hörte auf die offizielle „Scientific Advisory Group for Emergencies“ (SAGE), in der anerkannte Spezialisten aus diversen Fachgebieten mitwirkten. Sie waren es, die dem Premierminister anfänglich, gestützt auf rationale Überlegungen und spärliche Befunde, empfahlen, keine harten Maßnahmen zu ergreifen.

… da Deutschland

Die Existenz eines offiziellen Expertengremiums für die Pandemiebekämpfung führte in England gerade nicht zur Fiktion einer Wissenschaft, die „mit einer Stimme spricht“, sondern zur Einsicht in den politisierten Charakter jeder Expertise. Schon im Mai 2020 erhielt SAGE mediale Konkurrenz in der Form von „Independent SAGE“. Präsidiert wurde die öffentlich beratende Expertenrunde vom ehemaligen Chief Scientific Adviser, Sir David Anthony King. Damit erhielt die Westminster-Demokratie mit ihrer Zweiteilung von Regierung und Opposition ein nahezu identisches Abbild in der Organisation von Expertise. Komplettiert wurde die politische Aufstellung der Wissenschaft durch eine kleine, aber feine Minderheit von „Corona Centrists“ wie François Balloux, der es wie kein anderer verstand, wissenschaftliche Kompetenz mit politischer Transparenz zu verbinden.

Quelle       :      Der Freitag-online          >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     — Es wurden in Hamburg zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie Bereiche mit einer Maskenpflicht erlassen. Dieses Schild weist auf die geltende Maskenpflicht in der Mönckebergstraße hin.

Author Kalle Schmitz     / Source    –    Own work
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.

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2.) von Oben       —           Waldbrand-Experiment

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Schlimmer geht’s immer

Erstellt von Redaktion am 28. November 2021

Corona-Drama in Deutschland

Aktion Volkssarg.jpg

So wurde es schon 1965 gesehen.

Von Kathrin Zinkant

Wöchentlich sterben Tausende an Covid, aber wirksame Coronamaßnahmen sind Fehlanzeige. Es wäre Zeit für eine politische Triage.

Es gibt Begriffe, die das Erregungslevel in der Pandemie verlässlich anheben. „Neue Mutante“ ist einer davon. Triage war in den vergangenen Tagen ein anderer. Triage heißt zu entscheiden, wer eine Chance auf Überleben durch medizinische Versorgung bekommt, wenn nicht mehr alle versorgt werden können. Vor dieser Entscheidung könnten tatsächlich bald viele Intensivmediziner stehen.

Und es gibt Stimmen, die sagen, man solle diese Entscheidung nicht mehr, wie vorgesehen, von den Erfolgsaussichten einer Behandlung abhängig machen, sondern vom Impfstatus. Sprich: Ein ungeimpfter 68-jähriger Covid-Patient würde nicht beatmet, weil er sich dem Gemeinschaftsschutz verweigert hat. Dafür bekäme die geimpfte 86-Jährige sein Bett.

So zumindest die Idee. Denkt man sie zu Ende, sollte sie dringend Angst machen in einem Land, in dem die Todesstrafe vor mehr als 70 Jahren abgeschafft wurde und in dem solche Überlegungen einer Lynchjustiz nahekommen. Es gibt bislang keine Impfpflicht. Niemand darf dafür bestraft werden, dass er sich nicht hat impfen lassen. Auch nicht auf der Intensivstation.

Vom „Brain Fuck“ profitiert das Virus

Noch hat Deutschland den Punkt aber nicht erreicht, an dem eine Triage nötig wäre. Es ist noch nicht so schlimm. Und auch das zweite Gruselszenario ist bisher nicht eingetreten: Die jüngste Variante, die in Südafrika auftauchte und mit ihren 50 Mutationen durchaus gefährlich erscheinen muss, hat sich noch nicht global verbreitet. For­sche­r:in­nen müssen erst klären, ob B.1.1.529 ansteckender, krankmachender ist als Delta. Bisher ist das offen. Es ist noch nicht so schlimm.

Aber dass es noch nicht so schlimm ist, weil es noch schlimmer geht, und dass man die Lage deshalb lieber noch ein bisschen beobachtet; bloß nicht bewegen, vielleicht wird es gar nicht schlimmer, sondern ist bald vorbei: Das ist der Brain Fuck, von dem das Virus profitiert. Das ist der Grund, warum wieder Tausende sterben, jede Woche. Das ist der Grund, warum man sich vor der Triage fürchten muss. Nicht Sars-CoV-2 und seine Varianten, sondern das Abwarten und Abwägen im Angesicht der Katastrophe haben verhindert, dass offenkundig notwendige Maßnahmen frühzeitig ergriffen wurden, inklusive der Pflicht, sich zu immunisieren.

2020-08-29 Corona-Demonstration Querdenken 10.jpg

Auf due Bäume ihr Affen, der Wald wird gefegt !

Fassungslose Bür­ge­r:in­nen fragen sich: Regiert überhaupt noch jemand?

Weil die Politik offenbar noch immer zitternd auf irgendein Wunder wartet, gibt es keine Impfpflicht und kein bundesweites 2G in allen öffentlichen Einrichtungen, einschließlich der Bahn. Es gibt angesichts von Rekord-Inzidenzen kein Veranstaltungsverbot, keine landesweiten Schließungen im Einzelhandel, es gibt keine allgemeinen Kontaktbeschränkungen für private Treffen, keine globale Homeoffice- und Maskenpflicht. All diese Maßnahmen könnten noch Leben retten, viele Leben. Sie könnten auch die Verbreitung einer neuen, vielleicht gefährlicheren Variante verhindern oder eindämmen – jetzt, da eine mögliche solche Mutante sich bereits ausbreitet.

Quelle        :     TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     — Protestaktion im Rahmen der Anti-Notstandskampagne zur Verhinderung der Notstandsgesetze. Die Aufnahme entstand 1965 in Oberursel.

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Asterix, Obelix und Idefix

Erstellt von Redaktion am 27. November 2021

Asterix, Obelix und Idefix auf Entdeckungsreise zum urzeitlichen
’Greif’ in den Permafrost

Obelix, Asterix, Tim und Struppi - panoramio.jpg

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Dr. Nikolaus Götz

Jetzt ist er auch in Deutschland zu haben, der 39te Asterix-Band aus der französischen Abenteuerserie der „unbesiegbaren Gallier“ mit dem Titel „Asterix und der Greif“ (1). Offensichtlich erfreut diese neue Bildergeschichte einer Reise ins unbekannten Land der „Barbaren“, dem ’Barbaricum’, mit den allseits bekannten, lustigen Comicsfiguren nicht nur die träumenden Kinder, sondern besonders auch die erwachsene, gebildete Leserschaft. Diese ausdrücklich der Jugend „à la jeunesse“ gewidmete, vordergründig naive Geschichte einer Entdeckungsreise der gallischen Helden Asterix und Obelix mit ihrem Hund Idefix ins weite östliche, winterlich-weiß zugeschneite Europa, bringt dem Leser den romanesken Blick des Autors Jean Yves Ferri auf die mythisch verklärte Entdeckung erster historischer Fossilienfunde aus der Millionen Jahre zurückliegenden vormenschlichen Urzeit durch den heute auf der Erde lebenden Menschen.

Der sogenannte ’Greif’ (lat. Gryphus), ein Urtier und gegenwärtig als ’Protoceratops’ rekonstruiert (2), liefert den Kern der aktuellen Asterix-Erzählung. Wieder einmal veranlasst ein fiktiver Eroberungszug oder eine Entdeckungsreise durch die antiken Römer die beiden ewig mutigen Helden Asterix und Obelix in den von ’Gallien’, dem heutigen Frankreich aus östlich gelegenen, zu jener Zeit noch völlig unbekannten, Teil Europas aufzubrechen. Dort, noch jenseits der Territorien von ’Germania magna’, wollen sie dem befreundeten Druiden ’Cékankondine’ (3) helfen, das „heilige Stammestier“ der dort ansässigen ’Sarmaten’ vor den besitzergreifenden Römern zu beschützen. Und so erreichen unsere Abenteurer in den unendlichen Weiten des eiskalten Nordens eine Permafrostregion, in der der Körper eines Urtieres die Zeiten überdauert hat, ungestört wohl seit Jahrtausenden auf dem Grunde eines zugefroren Sees liegend. Wie in den Erzählungen der ’alten Weisen’ (4) kund getan wurde, soll das Urvieh mit seinem geflügelten Unterkörper einem riesigen Löwen ähneln, wobei sein Kopf jedoch, wie der eines Adlers erscheint. Der Comicszeichner Didier Conrad hat sich bei seiner neuen zeichnerischen Darstellung dieses mythischen ’Greifes’ jedoch eher von einem gewaltigen ’Nashorn’ inspirieren lassen (5).

Die Erwartungshaltung des Lesers über das kommende Asterix-Abenteurer wird sofort auf der ersten Seite des Comics befriedigt. Der allererste Blick gilt dem schrecklichen ’Barbarenland’. In dem, den alten Römern noch unbekannten Land ’Barbaricum’, müssen deshalb wilde, unzivilisierte Völker wie die (frz.)’Bucinobante’, (dt.) Bucinobanten oder gar die (frz) „Atuatuque“, (dt.) die „Aduatuker“ ihr Unwesen treiben (6). Sodann mit dem dritten Bild verdeutlicht der Autor dem Leser die antike, zu jener Zeit weit verbreitete Vorstellung der Existenz von mystischen Zwitterwesen. Das Volk im Vielvölkerstaat des römischen Reiches ist durch die Beschäftigung mit jenen „mystischen Fabeltieren“ wie der Hydra, der Sphinx, der Harpyie oder den Chimären (7) abgelenkt. Nach diesem schnellen drei-Bilder-Einleitungs-Schritt beginnt ab Bild 4 die eigentliche neue Asterix-Geschichte mit Cäsar im klassischen Rom, wobei dieser absolut regierende Herrscher (?) sich in Rückbezug auf diese Fabelwesen ebenfalls als „heiliges Monster“ verklärt. Warum der deutsche Übersetzer den Eigenruf oder die ’Fama’ des römischen Autokraten in „echte Legende“ verändert hat (8) ist unverständlich.

Cäsar beauftragt nun seinen guten, folgsamen ’Geographen’ mit dem Namen ’Terrinconus’, was sofort lautlich als „terrain connu“ umzusetzen und mit „bekanntes Land“ zu übersetzen ist, eine Expedition in dieses unbekannte Land ’Barbaricum’ zu unternehmen und den Greif zu fangen. ’Terrinconus’ dieser also eigentlich unwissende Geograph, der ausdrücklich nur schon bekannte Länder kennt, beruft sich bei seiner Rede vor Cäsar als „Geograph“ auf ein Fachbuch eines anderen ’natürlich’ griechischen Gelehrten oder Fachwissenschaftler mit dem Namen „Trodéxès de Collagène“, in Französische transkribierbar als „trop d’excès de collagène“ was mit „zu viel Exzesse (über ein Mittelmaß hinaus/Ausschweifungen) mit Kollagen“ zu übersetzen wäre (9). Somit wird dieser ’Wissenschaftler’ eher als „trop pompé“ oder als „aufgeblasen“ dargestellt, ein Charakteristikum, das sich später im Verlauf der römischen Expedition als richtig herausstellen soll. Die geographische Karte des ’Barbaricum’ ist nämlich komplett ’weiß’ (10), also unbekannt, so wie das weite schneebedeckte Land, durch das die Expeditionsteilnehmer zu ziehen gedenken. Üblicherweise werden Wissenschaftler durch einen Verweis auf ihre Heimatstadt unterschieden. Der mit „Trodéxès de Collagène“ genannte Erstentdecker des Greifs wäre somit als altertümliche Fachschriftsteller griechischer Herkunft zu identifizieren. Der zusätzliche Hinweis ’Collagène’ zeigt jedoch keine Stadt an, sondern weist in Richtung des Berufes ’Arzt’, wobei dieser ’Mediziner’ in der deutschen Version denn als „Rigoros von Migraene“ benannt wird (11). Ob der Übersetzer bei seiner Arbeit von Migräne, also stechenden ’Kopfschmerzen’ geplagt wurde oder ob die Wahl seiner Namensgebung eine einfache Anspielung auf eine der bedeutendsten Städte des vorklassischen Griechenlands Mykene ist, wird rigoros also ’entschieden’ oder ’sehr streng’ vermutet.

Unserem ’Experten’ für außerrömische unbekannte Territorien, dem in der deutschen Asterix Fassung als ’Globulus’ bezeichnete Erdkundler, vertraut Cäsar unreflektiert, zumal dieser für die Beweisführung der Existenz des ’Greifen’, dem römischen Herrscher noch eine gefangengenommene ’Superblondine’ präsentieren kann. Und so kommt es, dass dieser ’Globulus’ mit der Führung einer Expedition ins Unbekannte beauftragt wird, wobei unser antiker, wohl bestimmt erste ’Globetrotter’ in der französischen Textfassung alles „überprüft hat“ und sich in der deutschen Version für die „Glaubwürdigkeit der Darstellung verbürgt“. Es kommt wie es kommen muss. Dass diese vom römischen Herrscher beauftragte Mission letztendlich scheitert, liegt also nicht am Staatenlenker Cäsar, sondern eher wieder an der Unfähigkeit seiner Mitarbeiter. Vornehmlich ist aber zu berücksichtigen, dass im ’Asterix’ noch unsere beiden Protagonisten, die unbesiegbaren Gallier Asterix und Obelix mitspielen. Diese verfügen, wie hinlänglich bekannt, über die „potion magique“, den Zaubertrank, weswegen die Pläne des Imperators Cäsar scheitern müssen. Dem armen Cäsar bleibt deshalb am Ende der Geschichte und sichtlich frustriert über die verschollene Expedition nichts anderes übrig, als auf „eine Giraffe“ als Ersatzbestie für den Greif zurückgreifen (12), um so sein Volk im Zirkus von Rom bei Laune zu halten.

Dass die Römer auf ihrer ewigen Jagd nach Gold, das sie beim Greif wie es die Legende erzählt, zu finden hofften, natürlich von Asterix, Obelix und Idefix vertrieben werden, war von vorneherein schon klar, ebenso wie die Tatsache, dass das ’heilige Urtier’ ungestört weiter in seinem Seegrab verbleiben kann. Und so endet auch diese 39te Geschichte des neuen Asterix-Bandes wie immer mit einem gewaltigen Fest im Dorf der Gallier. Während Idefix auf dem Schlussbild in den nächtlichen Sternenhimmel heult, der Barde ’Troubadix’ gefesselt am Boden liegt und Obelix kräftig in seine obligatorische Wildschweinkeule beißt, kann unser Held Asterix wie immer der fröhlich feiernden Dorfrunde von den vielen Erlebnissen berichten, von den weiten zugeschneiten „Steppen des Nordens, von den Jurten, von Hund und Wolf…“(13). Eine Fortsetzung der lustigen, sehr unterhaltsamen Asterix-Reihe folgt bestimmt…

Anmerkungen:

1 Französische Version: FERRI, Jean Yves (texte)/CONRAD, Didier (dessins): Asterix et le griffon, les éditons Albert René, Vanes 2021; die deutsche Version: FERRI, Jean Yves (Text)/CONRAD, Didier (Zeichnungen): Asterix und der Greif, Egmont Verlag /Berlin 2021; (Preis: 6,90,- und als Hartcover: 12,- Euro)

2 Vergleiche WIKIPEDIA: wikipedia.org/wiki/Greif; Das französische Wort ’griffon’ bezeichnet in seinem Primärsinn zunächst ein „Fabelwesen“ während der Sekundärsinn die Benennung eines „Raubvogels“ und der Tertiärsinn, der einer „Hunderasse“ ist. Der vierte Bedeutungssinn des Wortes ist ein „öffentlicher Brunnen; der Punkt, an dem das Wasser aus dem Boden quillt“. Siehe das Wort: GRIFFON in: Le Petit Robert, Dictionnaire alphabétique et analogique de la langue française, Paris 2019, S. 1188. In der deutschen Sprache versteht man primär unter dem ’Greif’ einen Raubvogel, womit der eigentliche französische Wortsinn im Deutschen nicht exakt wiedergegeben werden kann. Siehe die Bildrekonstruktion des Greifs auf Seite 40.

3 In der französischen Version lautet der Name des Druiden „Cékankondine“ Die lautliche Transkription des Namens führt zu: „C’est quand qu’on dine?“, was übersetzt heißt: „Wann essen wir zu Abend?“ (Seite 9 oder auch Seite 12). ’Geistliche’ waren oft für ihre Dickleibigkeit und Fresslust bekannt. In der deutschen Version wird der Name mit „Terrine“ also eine „Suppenschüssel“ (Seite 9 oder auch Seite 12) angegeben.

4. Im aktuellen Asterix berufen sich die Römer ’natürlich’ auf einen griechischen Autor, da die Griechen den Römern Vorbild in Literatur und Forschung waren. So wird die Forschungsfahrt eines griechischen „Reisenden“ im Asterix eigens mit zwei erklärenden Bildern eingeschoben (Siehe: Seite 44). Und es war deshalb der griechische Göttervater Zeus, der das ’amphibische Tier’ im See in den Schlaf versetzt hat, wobei dieses ’Monster’ einen Goldschatz bewachen würde, Anlass genug für einen römischen Raubzug. Der Autor des aktuellen Asterix wiederholt für sein Lesepublikum damit die markanten Punkte der mystischen ’Saga vom Greif’ (Siehe erneut: WIKIPEDIA: wikipedia.org/wiki/Greif).

5: Vergleiche: Sibirisches Nashorn: www.scinexx.de/news/geowissen/sibirisches-einhorn-lebte-laenger-als-gedacht/; siehe das Bild auf Seite 40

6 Die hier im Asterix gebrachte „unaussprechliche“ Wortartikulation der Benennung barbarischer Stämme ist nicht willkürlich, sondern geht in der Tat auf historische Vorlangen zurück, was das Hintergrundwissen der Asterix-Macher über die römische Epoche belegt, in der die Asterix-Bildergeschichte spielt. Die vom Legionär genannten „Bucinobanten“ waren ein alamannischer Stamm, der im Mündungsgebiet des Main, bei Mainz am Rhein siedelte (siehe: de.wikipedia.org/wiki/Bucinobanten) und die genannten Aduatuker oder Atuatuker waren ein links des Rheins im heutigen Belgien siedelnder Germanenstamm, der im Buch von Julius Cäsar ’Der Gallische Krieg’ erwähnt wird, nämlich die „Atuatuci“ (Caesar: De bello Gallico, Edit: Dr. Hans Fluck, Paderborn, Karte, S. 178-179; siehe hier auch: wikipedia.org/wiki/Adutuker). Der beabsichtigte Sprachwitz „des Fremdländischen“ im Asterix wird gewahrt, was in der zugehörigen Bildblase dem Leser erklärt wird.

7 Das dritte Bild auf der Seite vier der Asterixausgabe 39 bringt als Mischwesen die Hydra, eine vielköpfige ’Schlange’ (siehe: de.wikipedia.org/wiki/Hydra_(Mythologie)), die Sphinx, ein Löwe mit einem Menschenkopf (siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Sphinx_ägyptisch), die Harpyie, ein Vogel mit einem Frauenkopf (siehe: de.wikipedia.org/wiki/Harpyie_ (Mytho-logie) oder die Chimäre, ein Mischwesen, das hier im Asterix als Löwe mit einem Mufflonkopf im Rücken entworfen ist.

8 Siehe Asterix Nr. 39, jeweils Seite 4.

9 Mit dem Begriff ‘Collagène’ dt.: ’Kollagene’ bezeichnet man „eine Gruppe nur bei vielzelligen Tieren (einschließlich Menschen) vorkommender Strukturproteine (ein Faserbündel bildendes Eiweiß) hauptsächlich des Bindegewebes…“; siehe: wikipedia.org/wiki/Kollagene; Kollagene finden in der modernen Medizin Anwendung, beispielsweise bei der weiblichen Brustvergrößerung (siehe: beauty-schminktipps.de/brustvergroesserung-mit-kollagen).

10 Siehe Asterix Nr. 39, Seite 10

11 Siehe Asterix Nr. 39, deutsche Version, Seite 5

12 Siehe Asterix Nr. 39, Seite 48

13 ebda.: Schlussbild Seite 48

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Einflüsse aus Silicon Valley

Erstellt von Redaktion am 25. November 2021

Ist »Longtermism« die Rettung – oder eine Gefahr?

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Eine Kolumne von Christian Stöcker

Die Klimakrise zeigt, wie kurzsichtig die Menschheit handelt. Eine von Bitcoin-Milliardären und Leuten wie Elon Musk üppig finanzierte Denkschule will das ändern. Eine gute Sache? Nur auf den ersten Blick.

Das Seltsamste am TED-Vortrag des britischen Philosophen William MacAskill aus dem Jahr 2018 ist, dass die Klimakrise darin nur sehr am Rande vorkommt. Und das, obwohl MacAskill sich die Zukunft der Menschheit zum zentralen Thema gemacht hat.

In Jeans und T-Shirt spricht MacAskill gut zehn Minuten lang über »existenzielle Risiken« für die Menschheit und über die von ihm selbst und anderen populär gemachte Idee des »effektiven Altruismus«. Er arbeitet an einer Einrichtung namens »Global Priorities Institute«. Wenn man ihm aber zuhört, hat man nicht den Eindruck, dass die Klimakrise zu seinen zentralen Prioritäten gehört.

Einmal erwähnt der Philosoph zwar »die Möglichkeit extremer Klimaveränderungen«, aber in einer Reihe mit Biowaffen, außer Kontrolle geratener künstlicher Intelligenz und Geoengineering, also aktiven Eingriffen ins Erdsystem selbst. Mit anderen Worten: in einer Reihe mit derzeit eher hypothetischen Bedrohungen. Dann ergänzt er: »Ich sage nicht, dass eines dieser Risiken besonders wahrscheinlich ist«, und da runzelt man als über das Ausmaß und die Bedrohlichkeit der Klimakrise informierter Mensch dann doch die Stirn.

Sehr, sehr viel Geld ist im Spiel

Ein bekannter Fan und Förderer der neuen philosophischen Richtung, für die MacAskill steht, ist Skype-Mitgründer Jaan Tallinn. Und der scheint da ähnlich zu denken: Als CNBC ihn Ende 2020 fragte, was seiner Meinung nach die größten existenziellen Risiken für die Menschheit seien, zählte Tallinn synthetische Biologie, unkontrollierbare künstliche Intelligenz und als drittes »unbekannte Unbekannte« auf, also Risiken, von denen wir noch gar nicht wissen. Der Klimawandel dagegen sei »nicht existenziell«, so der Multimillionär, solange kein völlig unkontrollierbares Worst-Case-Szenario eintrete. Und das gilt noch immer als unwahrscheinlich. Globale Katastrophen und entsetzliches Leid aber als sehr wahrscheinlich, wenn die Menschheit nicht endlich handelt.

Nun werden Sie sich fragen, warum Sie sich für die Ansichten eines jungen britischen Philosophen und eines estnischen Techmillionärs interessieren sollten.

Weil MacAskill, gemeinsam mit anderen Philosophen wie dem vor allem für sein Buch »Superintelligence« bekannten Nick Bostrom oder dem Australier Toby Ord, für eine an der University of Oxford entstandene, vor allem im Silicon Valley sehr einflussreiche Denkschule steht. Ihre Protagonisten haben sie »Longtermism« getauft. Leute wie Tallinn setzen ihre gewaltigen Vermögen ein, um diese Denkschule und ihre Projekte zu finanzieren. Und die hat, wenn man ihre Gedanken zu Ende denkt, teils sehr beunruhigende Implikationen.

Immer die ferne Zukunft im Blick

Toby Ord hat den Begriff Longtermism einmal so definiert: »Die Ansicht, dass das wichtigste Kriterium für den Wert unseres heutigen Handelns ist, wie dieses Handeln die ferne Zukunft beeinflussen wird.« Es geht also darum, konstruktiv nach vorn zu denken, was könnte daran falsch sein?

Der Philosoph Phil Torres dagegen hat Longtermism in einem viel beachteten und diskutierten, durchaus polemischen Essay gerade als »üppig finanziert und zunehmend gefährlich« bezeichnet. Die Longermists seien technologiegläubig und, weil sie den Wert künftiger, noch ungelebter Leben ebenso hoch ansetzen wollten wie den heute lebender Menschen, teilweise zynisch und menschenverachtend. Longtermism sei eine »säkulare Religion«. Hat er recht?

46 Milliarden Dollar und unbescheiden benannte Institute

Longtermism ist eng verbunden mit MacAskills Idee vom »effektivem Altruismus«, und dieser wiederum ist, für ein philosophisches Konzept, unfassbar wirkmächtig. Ein Mitglied der Szene schätzt, dass derzeit 46 Milliarden Dollar bereitstehen, um in Projekte des »effektiven Altruismus« investiert zu werden. Dessen Grundidee ist so simpel wie sinnvoll: karitative Spenden so einzusetzen, dass sie messbare, möglichst positive Ergebnisse erzeugen. Wohltätigkeit plus wissenschaftliche Methode also.

Die Longtermism- und Effective-Altruism-Szene ist eng vernetzt. Man schreibt zusammen Bücher und trifft sich in unbescheiden benannten Institutionen wie dem Future of Humanity Institute, dem Future of Life Institute und dem Global Priorities Institute.

Topspender aus der Krypto-Szene

Zu den Topspendern gehören Silicon-Valley-Milliardäre wie der Facebook-Mitgründer Dustin Moskovitz und der Kryptowährungs-Unternehmer Sam Bankman-Fried. Aus der Krypto-Szene stammen auch viele andere Spender. Elon Musk wiederum spendete Geld für Nick Bostroms Future of Humanity Institute an der University of Oxford, an dem auch Ord arbeitet.

Quelle        :          Spiegel-online          >>>>>          weiterlesen

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COP26 – Was bleibt ?

Erstellt von Redaktion am 23. November 2021

Kontertext: Nur hohles Gebrabbel auf der Klimakonferenz

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Soviel politischer Schrott in einen Raum

Quelle      :        INFOsperber CH.

 Von  Ariane Tanner / 

 Verschiedene Medien versuchen Positives über die Klimakonferenz zu berichten. Das ist auch ein Anschreiben gegen die Untätigkeit.

An der Klimakonferenz in Glasgow, die am 12. November 2021 endete, soll ein Witz kursiert haben: Treffen sich die Erde und ein anderer Planet. Fragt der Planet die Erde: «Na, wie geht’s?» Die Erde seufzt tief und sagt: «Weisst du, nicht sonderlich gut, ich habe Homo sapiens.» – «Nicht so schlimm», sagt der andere Planet, «das geht vorüber.»

Das Deprimierendste an diesem Witz ist nicht seine in kosmischen Massstäben eh gültige Wahrheit, sondern sein Alter: circa 60 Jahre. Damals während der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre war er ja eventuell noch lustig. Es war die Zeit der aufkommenden Umweltbewegung am Ende der durch Nuklearenergie und Erdölförderung gepolsterten Boom-Jahre der Nachkriegszeit, als man auf die mit den Konsumgesellschaften parallel verlaufende Zerstörung der Natur aufmerksam machte.

Umwelterwachen und ungute Metaphern

1962 zeigte Rachel Carsons Buch «Silent Spring», wie Umweltgifte wie DDT nicht nur alles umbringen, was da kreucht und fleucht, sondern sich auch in der Nahrungskette ansammeln. Ebenso gelangten Luft, Wasser, Boden und Wald in den Fokus der Gesellschaftspolitik und Meldungen von Umweltschäden infolge industrieller und wirtschaftlicher Tätigkeiten häuften sich.

Gleichzeitig war die Weltbevölkerung – auch durch den medizinischen Fortschritt seit dem Zweiten Weltkrieg – im Steigen begriffen. Durch Publikationen wie die des Biologen Paul R. Ehrlich von 1968, «The Population Bomb», wurde die diskursive Verbindung zwischen Bevölkerungszuwachs und Umweltdegradation geläufig. So verglich beispielsweise der Journalist Gordon Rattray Taylor in seinem Buch «Das Selbstmordprogramm» die Menschheit mit einer Bakterienkultur in einem geschlossenen Behälter, die während ihrer ungebremsten Vermehrung an den eigenen Abfallprodukten ersticken müsse. Abhilfe schaffte, mit anderen Worten, nur das Verschwinden der Menschheit.

Die westliche Triage der 1960er Jahre

Problematisch an diesen Metaphern («Bevölkerungsbombe», «Bakterienkultur», «Krankheit Homo sapiens») ist der westliche Absender, der nur vorgibt, sich selbst mitzumeinen. Die stärksten Geburtenraten sind nach wie vor da, wo die Bildung am schlechtesten und die Lebenserwartung im Durchschnitt am geringsten ist. Gleichzeitig ist in diesen Regionen der Ressourcen- und Kalorienverbrauch pro Kopf am kleinsten.

Diese imperiale Verzerrung lässt sich besonders in einer malthusianisch eingefärbten Analyse von 1967 feststellen: Weil die Nahrungsmittelproduktion linear, hingegen das Bevölkerungswachstum exponentiell verlaufe, empfahlen die Autoren William und Paul Paddock, jetzt zu entscheiden, wer von den begrenzten Ressourcen wieviel erhalte. Sie drohten mit Hungersnöten und titelten: «Famine – 1975! America’s Decision. Who Will Survive?» Ihre Triage sah vor, dass es Entwicklungsländer gebe, bei denen sozusagen Hopfen und Malz verloren sei, weshalb man sie fallen lassen müsste, hingegen gäbe es Länder dazwischen, bei denen es sich lohne, in deren Überleben zu investieren. Selbstredend blieb in so einem kolonialistischen Selbstbild als geopolitische Richterin das eigene Recht auf (ressourcenintensives) Überleben unangetastet.

Verdrängungsleistung

Es ist schwer vorstellbar, dass man bei der 26. Klimakonferenz (COP26, Conference of the Parties), nachdem man seit 1972 internationale Umweltkonferenzen abhält, immer noch die alten Witze aufwärmt. Aber diese Tatsache verweist auf eine Kontinuität, die auch inhaltlich gesehen wird: «Sixty Years of Climate Change Warnings», übertitelte der Guardian im Juli 2021 einen Vorabdruck des neuen Buchs von Alice Bell. Bell zeigt minutiös auf, wie das Wissen um den Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Klimawandel 60 Jahre alt ist. In diesem Sinne ist das Wiedererzählen des Witzes sechs Jahrzehnte später die Bestätigung einer Verdrängungsleistung, der jedoch inzwischen jegliche humorige Komponente abhanden kam.

Dennoch entdeckt man in der deutschsprachigen Berichterstattung das Bemühen, diesen internationalen Institutionen mit Respekt zu begegnen und dem beharrlichen Treten an Ort positive Ergebnisse von COP26 abzuringen:

«Untrügliche Zeichen» und kritische Einordnungen

Es wird als Erfolg gesehen, dass es überhaupt immer wieder einen Versuch gibt, sich international zu treffen und um Wörter und Kommas zu streiten (Republik, 10.11.2021). Ohne diese Gelegenheit oder dieses Gefäss, so drängt sich der Umkehrschluss auf, würde erst recht gar nichts je passieren. Ebenfalls positiv zu erwähnen sei, so Martin Läubli im Tages-Anzeiger, dass die Klimaversprechen trotz ihrer Bescheidenheit ein «untrügliches Zeichen» seien, «dass der Trend hin zu einer postfossilen Gesellschaft nicht mehr umkehrbar ist». Er macht einerseits schon heute Bestrebungen in gewissen Bereichen der Wirtschaft und Industrie in diesem Sinne aus, und zweitens sieht er, dass Forschungsgelder und Förderung für nachhaltige Produkte zunehmend schneller flössen. In der Schlusserklärung der COP26, so berichtet SRF, ist auch der schrittweise Ausstieg aus der Kohlewirtschaft erwähnt, was von EU-Kommissar Frans Timmermans als «historisch» bezeichnet werde.

Natürlich liefert dieselbe Berichterstattung zu jeder dieser Errungenschaften eine relativierende Einordnung. In denselben Texten wird hervorgehoben, dass der Stopp der Abholzung de facto abermals verschoben wurde; dass mit diesen Klimaversprechen die Erderwärmung kaum bei 1,5 Grad zu begrenzen sei; dass der Kohleausstieg von einem absoluten zu einem graduellen Rückgang gewandelt wurde («phase-out» zu «phase-down»). Über Letzteres habe sich die vor Ort anwesende Schweizer Bundesrätin Simonetta Sommaruga sichtlich enttäuscht gezeigt; und derjenige, der die Abschlusserklärung vorlesen musste, kämpfte mit den Tränen.

Graphik des Ehrgeizes

Die Süddeutsche Zeitung wies darüber hinaus speziell darauf hin, dass «Xi Jinping aus China, 2020 immerhin Emittent fast eines Drittels der weltweiten CO₂-Emissionen, nicht anwesend war, genauso wenig wie Wladimir Putin (Russland, 4,5 Prozent) und Ebrahim Raisi (Iran, 2,1 Prozent)» (). Am gleichen Ort findet sich auch eine Graphik dazu, wer auf der Welt die ehrgeizigsten Klimaziele habe. Gambia liegt vorne. Hätte man, so der Artikel, die hochgesteckten Ziele wie Gambia, würde die globale Erwärmung im Jahr 2100 weniger als 1,5 Grad betragen. Mit den Schweizer «Klimazielen» jedoch zeigt die Karte bis Ende Jahrhundert eine Erwärmung von mehr als 3 Grad an.

Was von COP26 bleibt, ist noch nicht ganz abschliessend ausgemacht. Es ist aber schwer zu hoffen, dass es nicht jener Witz von der Begegnung zweier Planeten ist. Das Lachen darüber blieb einem schon lange im Halse stecken.

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Klimakonferenz von Glasgow

Erstellt von Redaktion am 21. November 2021

Was Deutschland besser machen muss

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Von Malte Kreutzfeldt und Bernhard Pötter

Die Beschlüsse der Klimakonferenz von Glasgow werden auch die künftige Politik in Berlin beeinflussen. Ein Überblick.

Kaum war die 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow (COP26) zu Ende gegangen, da wurden auch schon die Forderungen für die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP in Berlin laut: Die Beschlüsse müssten „Maßstab für die neue Bundesregierung sein“, hieß es von vielen Umweltorganisationen.

Diese Botschaft scheint bei den Ko­ali­tio­nä­r*in­nen in spe anzukommen. „Aus Glasgow kommt ein Aufbruchssignal“, sagt der FPD-Klimaexperte Lukas Köhler der taz. „Die Welt ist sich einig, wir sind nicht allein bei ehrgeizigem Klimaschutz.“ Wie ehrgeizig dieser in Deutschland ausfällt, ist offen. Allerdings erhöht Glasgow in vielen Fällen den Handlungsdruck – oft indirekt, teilweise aber auch direkt. Ein Überblick:

1. Muss früher kommen: Der Kohleausstieg

Zum ersten Mal hat die Klimakonferenz ausdrücklich gefordert, die CO2-intensive Kohlenutzung global herunterzufahren. Die Anti-Kohle-Al­lianz PPCA wurde größer. 45 Länder und viele Banken erklärten, die Kohlenutzung müsse in den 2030er Jahren für Industriestaaten und in den 2040er Jahren für alle anderen beendet werden.

Damit gerät die Ampel nicht direkt unter Druck. Selbst das alte Ausstiegsdatum 2038 ist von dieser Erklärung noch gedeckt; das Sondierungsergebnis, es „idealerweise“ schon bis 2030 zu schaffen, erst recht. Aber Druck macht die Abschlusserklärung der Konferenz, in der sich alle Staaten verpflichten, ihre bisherigen Pläne so zu verschärfen, dass diese möglichst mit dem 1,5-Grad-Ziel in Einklang stehen. Für Deutschland heißt das nach allen Expertisen: Ende der Kohlenutzung bis spätestens 2030.

Dafür müssen aber die Erneuerbaren viel schneller ausgebaut werden. Doch dazu wurde von der Konferenz kaum etwas festgelegt. „Ein großes Problem“ ist das aus Sicht von SPD-Klimapolitiker Matthias Miersch. „Der Ausbau der Erneuerbaren muss jetzt allergrößte Priorität haben.“ Die rechtlichen Grundlagen müssten so geändert werden, dass Erneuerbare bei Planung und Umsetzung „absoluten Vorrang“ haben, sagte Miersch der taz.

2. Müssen wohl beendet werden: Exportkredite für fossile Projekte

Konkrete Auswirkungen dürfte die Selbstverpflichtung haben, künftig keine fossilen Projekte im Ausland mehr mit öffentlichem Geld zu unterstützen. Diese haben 27 Länder unterschrieben, darunter mit etwas Verspätung auch Deutschland.

Die Selbstverpflichtung gilt erst ab Ende 2022. Sie lässt „begrenzte und klar definierte Ausnahmen zu“. Was das für laufende Anträge wie eine Exportkreditgarantie für das in Russland geplante Flüssiggas­terminal Arctic LNG heißt, lässt das Wirtschaftsministerium offen: „Um sicherzustellen, dass Projekte und die Projektfinanzierung im Einklang mit dem Ziel der Klima­neu­tra­li­tät sind, gilt es im weiteren Nachgang zu COP26 klar definierte Kriterien für bilaterale und multilaterale öffentliche Unterstützung zu definieren, die auch der Rolle von Erdgas als Brückentechnologie gerecht werden.“

Die Organisation Urgewald fordert aber, dass die neue Regierung den Beschluss ernst nimmt und auch keine neuen Gasprojekte mehr fördert. „Die Schlupflöcher, die der Text bietet, sollten keineswegs ausgenutzt werden“, sagt Sprecherin Regine Richter. Das könnte zumindest beim umstrittenen Arctic-LNG-Projekt gelingen: In Verhandlungskreisen wird damit gerechnet, dass es nicht mehr bewilligt wird, weil das Projekt mit dem 1,5-Grad-Ziel nicht vereinbar ist. „Anderenfalls hätte die neue Koalition gleich zu Beginn ihre Glaubwürdigkeit verspielt“, heißt es.

3. Hat immer weniger Freunde: Der Verbrennungsmotor

Keine direkten Auswirkungen hat Glasgow auf die deutsche Verkehrspolitik. Zwar haben dort 30 Staaten und 11 Autokonzerne erklärt, dass ab 2035 in Industriestaaten und ab 2040 im Rest der Welt nur noch „emissionsfreie“ Fahrzeuge zum Einsatz kommen sollen; diese Erklärung hat Deutschland aber nicht unterzeichnet.

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Wie er so geht und vor sich herschwebt. Wo geht es zum  nächste Kackstuhl ?

Denn die britische Regierung hatte den Text so formuliert, dass alle Verbrennungsmotoren ausgeschlossen sind, auch wenn sie mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden, die mittels Ökostrom hergestellt werden. Daran hängen aber die Hoffnungen des noch amtierenden CSU-Verkehrsministers Andreas Scheuer und der demnächst regierenden FDP. Aber in Glasgow wurde deutlich, dass außer Union und FDP nicht viele an synthetische Kraftstoffe im Pkw-Verkehr glauben, weil diese extrem teuer und ineffizient sind. Setzt die EU ihr geplantes „Fit for 55“-Paket durch, ist 2035 ohnehin Schluss mit neu zugelassenen Verbrennungsmotoren. Da kann sich die Ampel also raushalten, auf Brüssel verweisen und sich darum kümmern, für genug Lademöglichkeiten zu sorgen. Das, so heißt es, sei in den Koalitionsgesprächen kein Problem.

4. Werden wichtiger: globaler Emissionshandel und freiwillige Kooperationen

Quelle         :         TAZ-online        >>>>>        weiterlesen

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Atomstrom – Hintergründe

Erstellt von Redaktion am 19. November 2021

Das Märchen vom billigen französischen Atomstrom

Nuclear Power Plant Cattenom.jpg

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Axel Mayer

Vorwort / Eine Milliarde sind 1000 Millionen.

„Brot und Spiele“(Panem et circenses) waren die Durchsetzungsstrategien im römischen Reich, um die Macht zu erhalten. „Billiges Benzin, kostengünstiger Strom und Fußball“ sind in der Demokratie gerne propagierte Wahlkampfstrategien.

In Frankreich ist die Atomindustrie im Niedergang und der Atomkonzern EDF hoch verschuldet. Gleichzeitig verspricht Staatspräsident Macron wieder einmal billigen Atomstrom und will neue kleine AKW bauen lassen. Ein kleiner Teil der finanziellen Probleme der französischen Atomwirtschaft soll mit EU-Geldern gelöst werden.

Gerne wird in diesem Zusammenhang in Frankreich und auch in Deutschland das Märchen vom billigen französischen Atomstrom verbreitet und die Nutzung der Atomenergie als rettende Wunderwaffe im verloren gehenden Krieg gegen Natur und Umwelt gepriesen.

Der Strompreis in Frankreich ist allerdings nur scheinbar günstig…

Nach einem Bericht des obersten Rechnungshofes in Frankreich kosteten die Erforschung, Entwicklung sowie der Bau der französischen Kernkraftwerke insgesamt 188 Mrd. Euro. Da in Frankreich die „zivile“ und die militärische Nutzung der Atomkraft nicht zu trennen sind, liegt die Summe vermutlich wesentlich höher. Die Nachrüstung der überalterten französischen Reaktoren wird über 55 Milliarden kosten. Die Zeitschrift Liberation berichtet von Nachrüstkosten von fast 100 Milliarden bis zum Jahr 2030.

Laut einem Bericht des französischen Wirtschaftsministeriums hatte die halbstaatliche EDF Ende 2019 rund 41 Milliarden Euro Schulden und bis 2028 sollen es fast 57 Milliarden Euro (57.000.000.000) sein. Um innenpolitische Probleme zu verhindern, darf die EDF den Strompreis aus politischen Gründen nicht erhöhen. Die EDF-Verbindlichkeiten treiben Frankreichs Staatsverschuldung massiv in die Höhe. Die Menschen in Frankreich (und insbesondere deren Enkel) zahlen den scheinbar billigen, teuren Atomstrom mit der Steuer. In diesen Kosten ist weder der Abbau der AKWs noch eventuelle Kosten eines schweren Unfalls einberechnet. Ein schwerer Atomunfall hätte in Frankreich verheerende Folgen. Eine Regierungsstudie rechnet mit 430 Milliarden Euro Kosten.

In Frankreich betreibt die EDF 56 überalterte Reaktoren, die jetzt fast gleichzeitig alt und marode werden, hat aber fast keine Rücklagen für den Abriss gebildet. In Deutschland geht der Staat sehr optimistisch von 47 Milliarden Kosten für Abbruch und Endlagerung aus. Der Abbruch der großen Zahl an französischen AKWs könnte bei steigenden Kosten weit über 100 Milliarden Euro kosten, wenn bei der Sicherheit nicht gespart wird. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Atomwirtschaft den französischen Staat auch ohne jederzeit möglichen Atomunfall in den Ruin treibt.

An der französischen Atlantikküste in Flamanville wird seit dem Jahr 2007 ein „Europäischer Druckwasserreaktor“ (EPR) gebaut. Das Vorzeigeprojekt sollte ursprünglich 2012 zum Fixpreis von 3,2 Milliarden Euro fertiggestellt sein. Seitdem wurde der Betriebsbeginn immer wieder verschoben, der Rechnungshof beziffert die Kosten auf jetzt über 19 Milliarden Euro. Ob der EPR 2024 ans Netz gehen kann, ist fraglich. Wirtschaftlich arbeiten wird der Musterreaktor nie.

Fukushima I von Digital Globe.jpg

Der Schweizer Atom-Lobbyist und Axpo-Chef Christoph Brand lässt die Träume vom billigen Atomstrom aus neuen, kleinen AKW platzen. „Die Produktionskosten für den Strom, den neue Kernkraftwerke liefern, seien gegenwärtig etwa doppelt so hoch wie jene von größeren Wind- und Solaranlagen, so Brand. Egal, wie man die Risiken der Kernkraft einschätze, es sei schlicht nicht wirtschaftlich, auf neue AKW zu setzen.“ sagte er in der atomfreundlichen NZZ am 21.10.2021.

In Ländern mit einem funktionierenden Markt werden keine neuen AKWs gebaut. Im Zweifelsfall hilft immer auch ein Blick auf den langfristig massiv gesunkenen Aktienkurs der EDF, um die Marktchancen der von Staatspräsident Macron angekündigten, atomaren Renaissance zu bewerten.

„Brot und Spiele“ mit künstlich niedrig gehaltenen Atom-Strompreisen kann im Wahlkampf funktionieren.

Kostengünstiger, risikoloser Strom entsteht heute mit Fotovoltaik und Windenergie.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein.

Der Autor ist Vizepräsident im Trinationalen Atomschutzverband TRAS und war 30 Jahre lang BUND-Geschäftsführer in Freiburg

Urheberecht
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Grafikquellen      :

Oben          —   Kernkraftwerk in Cattenom, Frankreich

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Die Biodiversität mitdenken

Erstellt von Redaktion am 18. November 2021

SPD, Grünen und FDP, müssen den Fortschritt neu definieren

Von Ulrike Fokken

Die Ökosystemkrise ins Bewusstsein zu lassen, bedeutet für die Koalitionäre der SPD, Grünen und FDP, den Fortschritt neu zu definieren. D.ie Koalition muss Klimapolitik mit der Biodiversitätskrise verbinden, doch über Natur spricht niemand.

Zu gern wüsste man, ob sich die Koalitionäre was Schlaues ausdenken und Deutschland fit für den Klimawandel machen. Also nicht nur die erneuerbaren Energien ausbauen, wie es die Koalitionsverhandelnden haben durchblicken lassen, denn das reicht ja nicht aus. Herrgott noch mal, das wussten wir ja auch alle schon vor der Wahl, als der eine „Klimakanzler“ werden wollte und die andere eine „Klimaregierung“ versprach. Doch in den Koalitionsverhandlungen beklagen sich die Grünen, dass Klima eben nicht „Chefsache“ sein wird, sondern sie SPD und FDP jedes bisschen Klimaschutz abverhandeln müssen, als sei der Klimawandel ein linksalternatives Projekt.

Zwei Prozent des Landes soll mit Windenergieanlagen bebaut werden, von denen niemand sagen kann, wo diese rund 10.000 Quadratkilometer Landesfläche eigentlich herkommen sollen. Die Ankündigung ist weder innovativ noch überraschend, denn nach beschlossenem Atom- und Kohleausstieg lag der Umbau des Energiesystems in der Luft. Wir wissen also noch nicht, ob die zukünftigen Koalitionäre das offenkundig nicht mehr gut funktionierende Gesundheitssystem reformieren und für Heißzeiten und Pandemien wappnen. Ob sie das Verkehrssystem so umbauen, dass Elektroautos selbst in der Gegend herumfahren und Menschen dort einsammeln, wo sie sind. Ob sie also die Mobilität der Gesellschaft fördern und nicht den privaten Besitz PS-starker und teurer E-Autos. Ob sie Schulen und Hochschulen ausbauen, an denen junge Leute aus allen gesellschaftlichen Schichten und allen finanziellen Hintergründen Wissen erwerben und mehren, mit dem sie sich an den Klimawandel anpassen können.

Ach, die Liste all der systemrelevanten Felder ist lang, die die zukünftige Koalition klimawandeltauglich reformieren muss. Und sie muss die Klimapolitik mit dem noch viel größeren, lebenswichtigen, allumfassenden Thema verbinden, über das niemand spricht: mit dem Erhalt der biologischen Vielfalt. Auf die Biodiversitätskrise hat die Ampel keine Antworten. Sie beschäftigt sich gar nicht erst mit Natur und Ökosystemen, und dass diese unfassbare Realitätsverleugnung durch die Poren der Verhandlungsräume nach außen sickerte, zeugt von dem Maß des Entsetzens einiger Verhandler, die sie nun öffentlich machten. SPD und FDP begreifen kaum die Dimension des Klimawandels und der politischen Entscheidungen, die sie mit den Grünen fällen müssen. Die Krise der Ökosysteme sprengt die Vorstellungskraft aller drei Parteien.

File:Blumenwiese01.jpg

Beim Thema Natur geht es nicht mehr um den Schutz einer Orchideenwiese oder den Erhalt von 40 Quadratmeter Feuchtbiotop am Rande eines Gewerbegebiets, sondern es geht darum, eine politische Antwort auf den drohenden Zusammenbruch von Ökosystemen zu finden. Ökosysteme wie ein Wald oder ein Fluss sorgen für Trinkwasser und kühlende Luft, sie filtern Feinstaub, verarbeiten bis zu einem bestimmten Maß Chemikalien und anderen Dreck der menschlichen Lebensweise, beherbergen bestäubende Insekten, Pilze, Kleinstlebewesen, die die Bäume, Tiere, kurzum die Natur am Laufen halten. Ökosysteme versorgen uns mit den Ökosystemdienstleistungen, ohne die uns auch Elektroautos und grüner Strom nicht durch den Klimawandel helfen. Vielleicht bilden sich die Koalitionäre, die Beamten und die politischen Technokraten rund um die nächste Bundesregierung noch allesamt ein, dass Technik ausreicht, um die Klimakrise abzuwenden oder uns an die Erderwärmung anzupassen. Technik hilft nicht, um die Krise der biologischen Vielfalt zu mindern. Im Gegenteil. Ökosysteme wie ein natürlicher Wald mit lebenden, alten und toten Bäumen, ein frei fließender Fluss mit umspülten Ufern und Auen, ein Moor oder eine Magerwiese arbeiten dann am besten, wenn der Mensch sich raushält. Raushalten bedeutet aber auch: keine industrielle Nutzung, kein Infrastrukturprojekt.

Quelle       :           TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     — Die drei (wesentlichen) Ebenen der Biodiversität (Beispiel: Tropischer Regenwald Ecuadors)

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Unten        —      Blumenwiese bei El Colmenar, Cortes de la Frontera, Malaga, Spanien

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Zertifizierung-Nord Stream-2

Erstellt von Redaktion am 17. November 2021

Gazprom schaut in die Röhre

Nordstream.png

Von Hannes Koch

Die Bundesnetzagentur stoppt die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 aus formalen Gründen. Zudem klagt die Deutsche Umwelthilfe gegen das Projekt.

Die Gaspipeline Nord Stream 2 bleibt wohl noch länger verschlossen als angenommen. Am Dienstag erklärte die Bundesnetzagentur in Bonn, sie habe das Zertifizierungsverfahren für die beiden Rohrleitungen „vorläufig ausgesetzt“. Das ist ein formaler Schritt, der keine grundsätzliche Bedeutung für die Inbetriebnahme des umstrittenen Projekts haben muss. In jedem Fall aber führt er zu einer Verzögerung um mindestens einige Monate.

Wäre das Zertifizierungsverfahren ohne Komplikationen durchgelaufen, hätte der russische Konzern Gazprom im kommenden Frühjahr mit der Genehmigung rechnen können. Denn technisch sind die beiden Leitungen durch die Ostsee fertig, das Gas wartet in den Röhren, aber die Ventile sind noch zu.

Gazprom gehört die Projektgesellschaft Nord Stream 2. An der Finanzierung beteiligt sind die Energie-Unternehmen Uniper, Wintershall Dea (Deutschland), Engie (Frankreich), OMV (Österreich) und Shell (Niederlande). Diese sowie die russische und die deutsche Regierung haben das fast 10 Milliarden Euro teure Projekt gegen die EU, USA, Polen und die Ukrai­ne durchgedrückt. Umstritten ist die Pipeline unter anderem, weil sie die bisherigen Gas-Transitländer Ukraine und Polen umgeht und diese deshalb politischen Erpressungen aus Russland ausliefern könnte.

Dmitri Medwedew in Deutschland, November 2011-1.jpeg

Das Spalier der Deutschen Dumpfbacken

Um die Röhren in Betrieb nehmen zu können, fehlt noch die Zertifizierung als „unabhängiger Netzbetreiber“. Den Antrag darauf hat die Nord Stream 2 Aktiengesellschaft bei der Bundesnetzagentur gestellt, einer nachgeordneten Behörde des Bundeswirtschaftsministeriums.

Nord Stream AG sitzt außerhalb der EU

Allerdings sitzt die Nord Stream AG in Zug in der Schweiz, außerhalb der Europäischen Union. Das ist jetzt der wesentliche Grund für die Unterbrechung des Verfahrens. „Eine Zertifizierung eines Betreibers der Leitung Nord Stream 2 kommt nur dann in Betracht, wenn der Betreiber in einer Rechtsform nach deutschem Recht organisiert ist“, erklärte die Netzagentur.

Gazprom muss nun also eine deutsche Tochter gründen, die den Teil der Pipeline kontrolliert, der in deutschem Hoheitsgebiet verläuft. Das kann dauern. Man muss Personal einstellen und die „Vermögenswerte übertragen“, wie die Netzagentur mitteilte. Dann darf Nord Stream einen neuen Antrag stellen, und das Verfahren läuft weiter. Als „regulatorische Naivität“ bezeichnet Energiepolitiker Oliver Krischer (Grüne), dass Gazprom diese Probleme nicht vorhergesehen habe. Offenbar hat sich der Konzern schlecht auf das Zertifizierungsverfahren vorbereitet.

Die Zertifizierung stellt eine formale Hürde dar, die der Pipeline jedoch nicht grundsätzlich im Wege steht. Sie ist nötig, seit die EU-Gasrichtlinie erweitert wurde. Die französische Regierung lehnte Nord Stream 2 ab, die Bundesregierung befürwortete das Projekt. Als Kompromiss einigte man sich auf den zusätzlichen Verfahrensschritt. Im Prinzip ändert sich jedoch nichts, wenn die deutsche Nord-Stream-Gesellschaft als angeblich „unabhängiger Netzbetreiber“ 100 Kilometer Pipeline in deutschem Hoheitsgebiet besitzt. Gazprom kontrolliert nach wie vor das gesamte Unternehmen und bestimmt die Lieferpolitik.

Altmaier unterstützt das Projekt

Quelle       :         TAZ-online           >>>>>            weiterlesen

Entscheidung zu Nord Stream 2:Kleine Atempause

Akademik Cherskiy und Artemis-Offshore im Hafen von Mukran.jpg

Kommentar von Silke Mertins

Den Parteien der geplanten Ampelkoalition kommt die Verzögerung der Gastransporte durch Nord Stream 2 recht. Wenigstens an dieser Front ist Ruhe.

Die Entscheidung der Bundesnetzagentur zu Nord Stream 2 ist eine Formalie, doch das bedeutet nicht, dass sie keine politische Tragweite hat. Moskau wird die Verzögerung, die sich bis in den Frühsommer 2022 hinziehen könnte, auf jeden Fall als Affront verstehen. Erst jüngst verlangte die russische Seite, Nord Stream 2 müsse bis Anfang Januar im Betrieb sein. Alles andere sei inakzeptabel. Diese Äußerung als Bedrohung zu deuten, ist sicher nicht abwegig.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat ja recht mit ihrer Forderung, dass Europa sich nicht erpressbar machen darf. Doch der Umgang mit Nord Stream 2 und Wladimir Putin ist bei den Ampelparteien eine höchst umstrittene Frage. Die So­zi­al­de­mo­kra­t*in­nen würden jeden Konfrontationskurs mit Russland, der über das jetzige Sanktionsregime hinausgeht, gewissermaßen als Verrat an ihrer Lichtgestalt Willy Brandt empfinden, dem Erfinder der Entspannungspolitik.

File:Gerhard Schröder, der Basta-Kanzler.png

Ha – Ha – Ha – wir von der Gazprom schaffen auch das !

Die Grünen dagegen sind strikt gegen Nord Stream 2 und sehen Putins Russland als das, was es ist: eine Diktatur mit imperialistischem Gebaren. Die Null-Toleranz-Politik der Grünen indes ist in ihrer Haltung amerikafreundlicher als alles, was es bisher links der Mitte gegeben hat.

Quelle         :           TAZ-online          >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     — Karte der geplanten Nord Stream und der Verbindungsleitungen.

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2.) von Oben      —     Официальный визит в Германию. Дмитрий и Светлана Медведевы прибыли в Берлин.

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Glasgow – COP26:

Erstellt von Redaktion am 16. November 2021

Zwischen monumentalem Versagen und historischem Ereignis

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Eröffnungszeremonie des Gipfels der Staats- und Regierungschefs der Welt

Quelle:    Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Vielversprechend und eher aufgeplustert stand groß auf dem Rednerpult der COP26: GLASGOW BREAKTHROUGHS. Nach der Konferenz ist jedoch Ernüchterung angesagt, denn: „Kein Land mit dem Ziel der Klimaneutralität hat ausreichende, kurzfristige Programme zur Erreichung von net-zero aufgelegt“, so Dr. Niklas Höhne vom New Climate Institute. „Derzeit geht es mehr um Vision oder Phantasie. Aktionen dazu fehlen“. So die nüchterne Erkenntnis eines Wissenschaftlers.

Noch erstaunlicher sind die Ansichten von Politikern und Klima-Aktivisten. Während die Pazifik-Staaten bzw. -Inseln von einem monumantalen Versagen und die Klima-Aktivisten von „Blablabla“ sprechen, lobt eine deutsche Politikerin das Ergebnis als historisches Ereignis. Hier geht es nicht um richtig oder falsch, sondern um die Zerrissenheit der Weltgemeinschaft im Angesicht des drohenden Untergangs der Welt, in der wir leben. Eher zaghaft spricht die Süddeutsche Zeitung (15.11.21) von „Anlass zur Hoffnung“, führt aber gleichzeitig mehr Anlässe zum Zweifel bezüglich den Ergebnisse der COV26 an. Wie so oft muss man feststellen, dass Papier geduldig ist, zumal keinerlei Verbindlichkeit festgeschrieben ist. Wie so oft scheinen auch die Randereignisse möglicherweise wichtiger als die zentrale Veranstaltung. So z.B. die Absprache zwischen China und USA zur Zusammenarbeit in Sachen Klimakrise. So aber wird die weltweite Klimakrise zum politischen Gerangel zwischen den größten Verursachern eben dieser Krise aus völlig unterschiedlichen Gründen. Während die USA aus rein kapitalistischen Motiven im eignen Land ebenso wie in der Dritten Welt gnadenlos die Natur misshandelt hat, ist China geradezu gezwungen worden, die klassische Energieausbeute überproportional hochzufahren, um die Aufträge aus dem westlichen Ausland bedienen zu können. Umso erstaunlicher, dass China bereits weit vor der COB26 angekündigt hat, sich von kohlebezogenen Projekten im Ausland zurückzuziehen. Es darf aber nun wirklich nicht sein, dass der Klimawandel vom politischen und wirtschaftlichen Gerangel der beiden größten Wirtschaftsmächte abhängt.

Eröffnungszeremonie des Gipfels der Staats- und Regierungschefs (51648256275).jpg

Die Führer-Innen der Welt – verkaufen sich für Geld.
Seht den Pudding in der dritten Reihe!

Die Klimakrise verlangt Handeln, und zwar jetzt und weltweit. Was kurzfristig nicht passiert, kann später nicht nachgeholt werden. Und da sind vor allem die Industrieländer in der Pflicht, und da hilft eine Laudatio als „historisches Ereignis“ gar nicht. Nein, das gesamte kapitalistische System mit rücksichtsloser, weltweiter Ausbeute der Natur und fossiler Brennstoffe muss gestoppt werden, und zwar sofort. Die dafür notwendigen Veränderungen liegen allein in der Verantwortung der kapitalgetriebenen Industrie und Dienstleister. Insofern muss man wohl davon ausgehen, dass der Klimawandel nur dann gelingt, wenn die Klimakrise zum Geschäftsmodell mutiert. Sancta Absurditas!

Nüchtern muss man wohl davon ausgehen, dass COV26 wieder einmal ein monumentaler Versager war und historisch nur insofern, als immer wieder wohlgefällige Erklärungen abgegeben werden, die dann sehr schnell in Vegessenheit geraten. FFF hat recht, mit Blablabla werden unsere Jugend und deren Kinder in einer Welt leben müssen, die der von heute nur noch entfernt ähnelt.

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Oben          —      Eröffnungszeremonie des Gipfels der Staats- und Regierungschefs der Welt

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Heil oder Hybris

Erstellt von Redaktion am 16. November 2021

Mit Geoengineering gegen die Erderwärmung? 

Haze in Kuala Lumpur.jpg

Von Iris Hilbrich und Frank Adloff

Je weniger wir jetzt tun, desto unabwendbarer wird der Einsatz von Hochrisikotechnologien.

Im nächsten Jahrzehnt wird sich entscheiden, ob wir für das 21. Jahrhundert eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 oder 2 Grad erreichen werden. So spielt die Frage des Klimaschutzes eine besondere Rolle bei den laufenden Koalitionsverhandlungen. Dabei fällt ein entscheidender Punkt unter den Tisch:

CO2-Speicherung würde den Bedarf an fossilen Ressourcen erhöhen

Entweder sind wirklich radikale Klimamaßnahmen nötig oder aber technologische Eingriffe in das Erdsystem oder zumindest extrem teure Maßnahmen zur CO2-Speicherung, die bisher niemand wirklich will – mit Ausnahme der großen Global Players der fossilen Energieerzeugungsbranche und ihrer liberalkonservativen Partner in der Politik.

Technologien wie Geoengineering kommen mangels radikaler Klimaschutzprogramme durch die Hintertür in die politische Debatte und werden bald als absolute Notwendigkeit erscheinen. Beim Geoengineering oder auch Climate Engineering handelt es sich um großskalige technologische Eingriffe, die von natürlichen Formen der Aufforstung bis hin zu Science-Fiction-artigen Vorstellungen von Spiegeln im Weltall oder der Simulation von Vulkanausbrüchen reichen.

Grundsätzlich lassen sich Methoden zur Reduzierung der Sonneneinstrahlung von Methoden zur Reduzierung der CO2 Konzentration und marinen Formen des Geoengineerings unterscheiden. Die meisten dieser Technologien existieren bis dato nur in sehr kleinem Maßstab oder als Computer-Simulationen. Sie stehen also nur als Wette auf zukünftige technologische Innovationen zur Verfügung.

Paris ist ohne Technologie illusorisch

Zudem ist seit 2010 ein zwischenstaatliches De-facto-Moratorium für große Geoengineering-Experimente in Kraft. Die 193 Vertragsstaaten einigten sich damals im Rahmen der Biodiversitätskonvention auf das Vorsorgeprinzip, und demnach ist heute bereits die Erforschung von Geoengineering strengen globalen Regularien unterworfen. Die Debatte wird noch komplexer, wenn man sich die Modellrechnungen des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change) von 2018 genauer ansieht.

Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wird in nahezu allen Szenarien der internationalen Kli­ma­for­sche­r:in­nen eine zusätzliche Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre vorausgesetzt, da eine Reduzierung des Ausstoßes alleine nicht ausreichen würde, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, wenn denn der nötige soziale Wandel weiterhin schleppend verläuft. Übersetzt bedeutet das:

Es ist schon fünf nach zwölf. Ohne technologische Eingriffe werden wir es nicht schaffen, die katastrophalen Folgen des Klimawandels zu bekämpfen. Während weitgehend Konsens darüber besteht, dass die Manipulation der Sonneneinstrahlung keine gute Idee ist, stützen sich Wissenschaft und Politik vermehrt auf Technologien der unterirdischen CO2-Speicherung (CCS) oder der Bioenergiegewinnung mit CO2-Speicherung (BECCS).

Bioenergiegewinnung und CO2-Speicherung bedeutet, dass Pflanzen CO2 aufnehmen, diese dann zur Energiegewinnung verbrannt werden und das bei diesem Prozess entstehende Kohlenstoffdioxid eingefangen und gespeichert wird, bevor es wieder in die Atmosphäre gelangt. Die Parteien vertreten unterschiedliche Positionen zu möglichen großen technologischen Eingriffen in das Klima.

FPD setzt auf deutsche Innovation

Während die Linke Carbon-Capture- und Storage-Technologien dezidiert verbieten will, liebäugeln CDU und FDP mit „technologischem Fortschritt und Innovation“ zur Lösung der Klimakrise. Der Wahlkampf der Liberalen arbeitete sich dezidiert an dem Stichwort des,,German Engineered Klimaschutz“ ab. Die Hoffnung ist, dass die deutschen Ingenieure es schon richten werden mit dem Klimawandel. Die Grünen sind wiederum merkwürdig unklar in ihren Äußerungen.

Carbon sequestration-NL.svg

Ob nun Jamaika oder Ampel, die FDP wird mitregieren und die Erforschung und den Einsatz der Technologien mit Nachdruck auf die politische Agenda bringen. Am 18. Mai diesen Jahres haben Abgeordnete und die Bundestagsfraktion der FDP im Bundestag den Antrag,,Für echten Klimaschutz durch technologischen Fortschritt – CO2-Speicherung als Voraussetzung für Klimaneutralität ermöglichen“ eingebracht, der fünf Wochen später abgelehnt wurde.

Der Vorstoß der FDP deckt sich mit den Forderungen des Weltklimarats von 2018 nach negativen Emissionen. Was auf den ersten Blick wie eine vielversprechende Antwort oder sogar Rettung aus der Klimakrise erscheint, hält bei näherem Hinsehen kaum den Anforderungen an eine schnelle Interventionsmaßnahme stand. So weisen zivilgesellschaftliche Akteure wie die Heinrich-Böll-Stiftung, der Naturschutzbund (Nabu), Greenpeace – um nur einige wenige zu nennen – seit Jahren auf die mit Geoengineering verbundenen Risiken und Kosten hin.

Ganz abgesehen von der extremen Form des Solar Radiation Managements, die auch in wissenschaftlichen Fachkreisen nur mit Vorsicht formuliert wird, sind auch mit der Abscheidung und Speicherung von CO2 extreme Kosten und Risiken verbunden. Prominente Argumente gegen Carbon Capture and Storage zielen auf den gesteigerten Verbrauch an fossiler Energie ab, da die riesigen Anlagen Berechnungen zufolge zu einem Anstieg des fossilen Energiebedarfs um circa 40 Prozent beitragen würden.

CO2-Speicherung braucht Energie

Solange die Energieversorgung noch nicht komplett auf regenerative Energien umgestellt ist, würde der Einsatz von Carbon-Capture-Technologien den Bedarf an fossilen Ressourcen sogar erhöhen, da die riesigen Anlagen einen enormen Energiebedarf haben. Es muss also mehr Kohle abgebaut werden, um CO2 zu reduzieren. Das klingt paradox und sollte uns wirklich zum Nachdenken anregen, ob der Weg, den wir gerade gehen, nicht doch in eine absolut falsche Richtung führt.

Die Kostenfrage (circa 10 Milliarden Euro Anschubfinanzierung in der EU, laut einem Bericht von McKinsey aus dem Jahr 2008), aber auch die Frage nach geeigneten Endlagerstätten stellen ein weiteres Problem dar. Greenpeace kommt zu dem Schluss, dass die Gefahr eines Austritts an CO2 durch mangelnde Überwachung der Endlagerstätten oder ungeeignete Lagermöglichkeiten, eine ernstzunehmende Gefahr für die Bevölkerung darstelle.

Quelle        .        TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   Luftverschmutzung (Smog) durch Fahrzeuge ist eines der Umweltprobleme, die durch motorisierten Tansport verursacht werden; Es ist immer häufiger in großen Städten Asiens und Südostasiens. Foto aufgenommen am 10. August 2005 in Kuala Lumpur (Malaysia) mit einer Sony DSC-P43.

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Unten        — Schematic showing both terrestrial and geological sequestration of carbon dioxide emissions from a coal-fired plant. Rendering by LeJean Hardin and Jamie Payne. Source: http://www.ornl.gov/info/ornlreview/v33_2_00/research.htm

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Der Ofen geht aus

Erstellt von Redaktion am 14. November 2021

Kohleausstieg bei der Klimakonferenz

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Von Bernhard Pötter

Noch ist unklar, wie die Klimakonferenz in Glasgow endet. Sicher ist: Endlich stellt sich die Welt gegen die Kohle. Am Ort, wo alles begann.

Schräg fällt das Nachmittagslicht durch die Bleiglasfenster und lässt das Eichenparkett auf dem Boden warm leuchten. Zwischen den Glasvitrinen im Gilbert Scott Building an der Universität Glasgow bewegen sich vorsichtig ein paar Besucher und bewundern Fossilien, ausgestopfte Raubkatzen, gigantische Tausendfüßler oder das Skelett eines Fischsauriers.

Eine Treppe mit knarzenden Dielen führt auf die Galerie unter dem hohen Tonnengewölbe mit den gotischen Fenstern. Hier stehen Exponate aus den Anfängen der modernen Naturwissenschaft: Ein Instrument zur Messung von Flusspegeln oder die erste elektrische Pendeluhr. Und das erste Modell einer Dampfmaschine.

Pegelmesser und Pendeluhr haben das Leben vereinfacht. Aber besagte „Model Newcomen Steam Engine“ aus schwarzem Holz und zerbeultem Metall, gerade so groß wie ein hüfthohes Bücherregal, hat die Welt verändert wie kaum etwas anderes. Der Erfinder James Watt reparierte sie um 1760 hier an der Universität Glasgow und fing an, sie zu verbessern: mit seinen effizienten Maschinen wurde die Ausbeute der Kohlegruben deutlich größer.

Die Dampfmaschine trat in den folgenden Jahrzehnten als Pumpe, Schiffsantrieb und Kohlekraftwerk ihren Siegeszug durch die Welt an. Kohle hat mit ihr die Industrialisierung befeuert, erst in England, dann auf der ganzen Welt. Sie hat die Menschheit zur Herrscherin der Welt gemacht, unglaublichen Wohlstand geschaffen, aber ihre Abgase ruinieren inzwischen den Planeten. In diesen ehrwürdigen Hallen hat alles begonnen.

Eine Viertelstunde Fußweg den Hügel herunter soll es nun enden. Ganz ohne Magie. Auf der Bühne des nüchternen Kongresszentrums von Glasgow sitzt Alok Sharma, ehemals britischer Wirtschaftsminister und jetzt Präsident der Klimakonferenz COP26.

„Das Ende der Kohle ist in Sicht“

Er arbeitet Tag und Nacht für eine „historische Konferenz“, die auch dafür stehen soll, „die Kohle endgültig in die Geschichtsbücher zu verbannen“. Er sagt Dinge wie: „Das Ende der Kohle ist in Sicht, Kohle ist nicht mehr der König.“

Und er hat es geschafft, dass zumindest am letzten Tag der Konferenz im Entwurf der politischen Erklärung der Satz steht, die Konferenz „ruft dazu auf, den Ausstieg aus der Kohleverbrennung, bei der CO2 nicht abgetrennt und gespeichert wird, zu beschleunigen.“

Diesen Satz könnte man von einer Klimakonferenz erwarten. Aber auf den 25 Gipfeltreffen ist er bisher niemals offiziell festgehalten worden. Der Brennstoff, der allein ein Drittel aller CO2-Emissionen aus der globalen Energienutzung ausmacht, war lange zu wichtig, zu billig und zu bequem, als dass wirklich jemand auf ihn verzichten wollte. Die UN-Staaten beschlossen lieber, Milliarden für Windräder, neue Deiche oder Versicherungen gegen Stürme auszugeben als dem größten Klimakiller an den Kragen zu gehen.

In Glasgow hat sich das geändert. Es ist nicht nur die umstrittene politische Abschlusserklärung. Über die zwei Wochen haben sich viele Staaten immer wieder versprochen, die Kohleöfen möglichst schnell auszumachen: Die „Allianz jenseits der Kohle“ hat 28 neue Mitglieder vorgestellt, darunter Chile und Singapur. 23 Staaten haben eine Erklärung unterzeichnet, in den 2030ern (für reiche Länder) oder 2040ern (für alle anderen) auszusteigen, darunter die Kohle-Großmächte Polen, Indonesien, Korea und Vietnam.

Regierungen haben geschworen, keine öffentlichen Gelder mehr für Kraftwerke, Pipelines und Häfen für Kohle, Öl und Gas auszugeben und die frei werdenden knapp 18 Milliarden Dollar in Erneuerbare zu stecken. Etwa ein Dutzend Staaten hat sogar erklärt, keine neuen Öl- und Gasfelder mehr zu erschließen.

In Businessanzug und Krawatte

Der Niedergang der Kohle lasse sich auch gut an Zahlen ablesen, sagt Lorenzo Sani. „Über 90 Prozent aller neuen Kohlekraftwerke weltweit werden niemals profitabel arbeiten, wenn wir uns an die 1,5-Grenze halten wollen“, sagt er am Telefon. Sani ist Experte bei „Carbon Tracker“, einem Thinktank und Beratungsunternehmen spezialisiert auf die Kohlenstoffmärkte.

Er und seine Kollegen laufen in Businessanzug und Krawatte über die COP und in die Vorstandetagen von Investorenhäusern und Banken. Sie warnen die Leute mit dem Geld vor „gestrandeten Investments“, in denen sie ihr Kapital verlieren.

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Und sie haben Horrorzahlen für die Kohle parat: Weil es inzwischen fast überall billiger ist, Strom aus neuen Wind- und Solaranlagen zu beziehen als alte Kohlemeiler laufen zu lassen, weil die Luftverschmutzung Menschen tötet und Volkswirtschaften belastet und weil es immer mehr Gegenden mit CO2-Steuern gibt, wird kaum ein Kraftwerk über seine Lebensdauer von 40 Jahren sein Geld einspielen, „selbst unter der Annahme, dass wir keine ehrgeizige Klimapolitik nach dem Paris-Abkommen machen.“

Die „Carbon Tracker“-Daten zeigen noch mehr: Weltweit sind zwar offiziell noch etwa 600 neue Kraftwerke geplant, 80 Prozent davon in Asien, vor allem in China. Aber diese Liste schrumpft wie der Eispanzer von Grönland. Wenn trotzdem neue Kraftwerke entstehen, so der Analyst, geschehe das gegen die Logik des Marktes: Weil besonders in den Schwellenländern wie China oder Indien der Energiehunger weiter rasant zunimmt und Kohlekraft vertraut ist, wird diese Variante gewählt.

Erneuerbare mögen billiger sein – ihre dezentrale Planung und Netzanbindung ist aufwändiger. „Kohle funktioniert vor allem noch in regulierten Märkten ohne freien Wettbewerb“, sagt Sani. Das kann dann später sehr teuer werden: Bis zu 100 Milliarden Dollar an Wertverlust könnten die Kohlegesellschaften einfahren.

Mann in Marmor

Quelle        :          TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     — A coal dredge.

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Unten     —     Karikatur von Gerhard Mester zum Thema Energiespeicher und Konkurrenzbedingungen Erneuerbarer Energien.

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Schland in der Coronakrise

Erstellt von Redaktion am 13. November 2021

Dumm-Land wird allenfalls aus Schaden klug

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Wer spricht schon im Dumm-Haus ?

Von Uli Hannemann

Wir stecken mitten in einer Coronawelle: Die Betten auf den Intensivstationen sind voll, das Pflegepersonal überlastet. War da nicht was? Die Überforderung mit der Pandemie wird langsam zur traurigen Tradition.

Und jährlich hustet das Seuchen­tier. Der Radiowecker weckt uns im November 2021 mit dem altbekannten Pandemielied „I Got You Babe“, und wir erleben ein krasses Déjà-vu.

Die Ereignisse des Jahres 2020 wiederholen sich in Dauerschleife: Im Sommer ist alles gut, die Menschen bewegen sich froh im Freien, die Inzidenz ist niedrig, die Leute sterben wieder vermehrt an Drogen, Softeis und Badeunfällen; die Virologen erinnern daran, sich für den Herbst zu wappnen, die Politik macht Urlaub. Im Spätsommer und Frühherbst mahnen die Mediziner verstärkt, die Politik wiegelt ab. Im Spätherbst sagen die Fachleute: „Wir haben es ja gesagt“, die Politik fragt: „Was denn?“. Im Winter resigniert die Wissenschaft und die Politik gerät in Panik. Also „same procedure as last year, Miss Sophie?“. Anlass für eine Bestandsaufnahme: Was ist gleich, was ist ähnlich, was ist anders als vor einem Jahr?

Dank der Impfungen gibt es bislang weniger Tote und Schwer­erkrankte als 2020, doch die Intensivstationen laufen voll. Und die Lage in den Krankenhäusern droht noch weitaus angespannter zu werden, da viele Pflegekräfte mittlerweile frustriert gekündigt haben. So ist es nur eine Frage der Zeit, wann clevere Checker wieder Bilder von leeren Betten in leeren Krankenzimmern posten: Seht her, ihr Bürger, alles Lüge; es ist noch jede Menge Platz auf den Stationen.

Platz ja, aber kein Personal. Und wo kein Personal, da keine Behandlung. Ein Bett ist erst mal einfach nur ein Bett. In einem Bett kann man schlafen, lesen und fernsehen. Man kann darin krümeln, vögeln und vor allem sterben. Um darin gepflegt zu werden, bedarf es zusätzlicher Hilfe.

Die wird zurzeit allerdings oft nur mit Murren in Anspruch genommen. Wo im November ’20 dankbare Patienten um Luft rangen, konzentrieren sich laut Aussagen von Ärzten und Pflegekräften nun statistisch zwangsläufig die schwierigen Charaktere: die Renitenten, die Unkooperativen, die Zweifler, die Ungeimpften.

Die Lernfähigkeit eines toten Meerschweinchens

Einige sterben mit einem Fluch auf den Lippen – das ist so wenig Grund zum Spott, wie wenn sich jemand totgeraucht, totgesoffen oder aus eigenem Verschulden mit dem Auto um den Baum gewickelt hat, sondern tragisch, überflüssig und dumm zugleich. Aber man kann die Leute ja nicht ein Leben lang rund um die Uhr betreuen oder in Heime für schwer erziehbare Erwachsene stecken.

In Spanien, Portugal, Italien – überall da, wo es harte Lockdowns und viele Tote gab – wird sehr konsequent geimpft, was sich vorteilhaft auf die Fallzahlen auswirkt. Nicht so aber in Dummland. Dort hat man die Lernfähigkeit toter Meerschweinchen. Dummland hat im bisherigen Verlauf der Pandemie relativ viel Glück gehabt, das Präventionsparadox in Verbindung mit geringer Frustrationsresilienz gerade auch der weniger Betroffenen (Schauspielerinnen, Großschriftsteller) stellt dieses Glück nun erneut auf eine harte Probe.

Denn in Dummland wird man allenfalls aus Schaden klug (Erster Weltkrieg), und das sehr langsam (Zweiter Weltkrieg) oder leider oftmals überhaupt nicht (AfD, Corona). Die heiße Herdplatte weist bei uns schon abgegriffene Stellen auf, den vorigen Winter hat man schlicht vergessen.

Wie vor einem Jahr bollert der Sensenmann auch heuer besonders laut an die Türen der Pflege- und Seniorenheime und holt sich Ungeboosterte und Vorerkrankte, wo er im Vorjahr unter völlig Ungeschützten mähte. Gevatter Tod trägt bunte Crocs. Gerade in der Altenpflege beträgt die Impfquote unter den Beschäftigten oft nur um die fünfzig Prozent. Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats, freut sich dennoch, dass sich die Pflegenden „ihrer Verantwortung für die Patienten absolut im Klaren“ seien. Das ist ja schön, aber warum kommen sie dieser Verantwortung dann nicht nach?

Weil sie auf einmal entdeckt haben, was für wunderbar freie Menschen sie sind. Mit Grundrechten wird in diesem Land zwar traditionell gern nach Gutsherrenart verfahren, ob beim Thema Abtreibung, Staatsbürgerschaft, Asylrecht, Homo-Ehe oder Betäubungsmittel, doch daran hat sich stets nur eine Minderheit gestört. Plötzlich aber pochen alle auf ihr Recht zum Beispiel auf Nicht- und Fehlinformation, doch dahinter steckt lediglich verdruckster Trotz, der schnell dem üblichen Opportunismus Platz macht.

Dieses Jahr on top: die Grippe

Quelle          :       TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —        Olaf Scholz bei der SPD Regionalkonferenz zur Wahl des SPD-Vorsitzes am 10. September 2019 in Nieder-Olm.

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Unten       —     Moderne Karikatur.

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Glasgow verkauft die Natur

Erstellt von Redaktion am 11. November 2021

Wasser marsch für mehr Klimaschutz

Wer von den Politiker-Innen würde sich denn so weit in die Wildnis wagen, die haben doch schon Angst vom roten Teppich zu fallen.

Von Heike Holdinghausen und Bernhard Pötter

In Europa und Südasien wurden Moorböden großflächig trockengelegt – und so von Treibhausgas-Speichern zu Treibhausgas-Schleudern. Das lässt sich ändern.

Sogar Michelle Obama war schon da. „Die neue große Weltkarte mit den Moorgebieten der Erde hat auch die ehemalige US-First Lady interessiert“, sagt Franziska Tanneberger, Leiterin des Greifswald Moor Centrums. Vielleicht liegt es daran, dass sich die Ausstellungsflächen zu Feuchtgebieten – der Peatland Pavillon – auf dem Gelände der Klimakonferenz gleich neben dem US-Pavillon befinden. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Michelles Ehemann Barack Obama sich mehrfach auf der Konferenz für echten Klimaschutz starkgemacht hat. Und der funktioniert nur mit dem Schutz der Moore.

Moorböden bedecken rund vier Millionen Quadratkilometer der Erde, vor allem auf der Nordhalbkugel, in Kanada, Skandinavien, Schottland und Mitteleuropa; tropische Moore kommen im Kongo, in Uganda und Indonesien vor. Auch ganz im Süden, in Südafrika, Tasmanien und Feuerland gibt es Moore. „Viele Länder wissen gar nicht, dass sie Moorböden besitzen“, sagt Tanneberger, „wenn sie schon lange genutzt werden, dann erscheinen sie halt als Wiese oder Kartoffelacker“.

Rund drei der vier Millionen Quadratkilometer Moorfläche sind noch intakt; sie speichern Wasser, bieten Tieren und Pflanzen Lebensräume – und speichern enorme Mengen an Kohlenstoff. Rund 550 Gigatonnen binden sie global, 42 Prozent der an Land gebundenen Menge, und damit mehr als etwa die Wälder. In Deutschland liegen in den Moorböden 1.300 bis 2.400 Millionen Tonnen Kohlenstoff. Trocknen die Böden aus, setzen sie Treibhausgase frei. Weltweit gibt es zwei Re­gio­nen, in denen Moore großflächig trockengelegt und so vom Speicher zum Emittenten von Treibhausgasen wurden: Europa und Südostasien. Etwa in Indonesien sei dies als Problem erkannt, es werde gegen­gesteuert, so Moorexpertin Tanneberger. „In Europa reagieren wir ungenügend auf dieses Problem.“ Dabei müsse in allen Plänen zur Klimaneutralität die Wiedervernässung der Moore einberechnet werden – „sonst müssen wir Wälder aufforsten, um den CO2-Ausstoß der Moore zu kompensieren“.

In Deutschland sind fast alle Moore entwässert – nur 2 Prozent sind intakt, 4 Prozent schon wiedervernässt. Obwohl Moorböden nur wenige Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ausmachen, tragen sie zu 40 Prozent zu den Treibhausgas-Emissionen der Landwirtschaft bei. Hier könne man auf kleiner Fläche also viel erreichen, sagt Tanneberger.

Quelle       :         TAZ-online        >>>>>       weiterlesen

Der Klimagipfel – ein Fitnessstudio

Von Bernhard Pötter

Eigentlich sollte auf der Einladung zur Klimakonferenz ein Warnhinweis wie auf Zigarettenschachteln kleben: „COPs können Ihrer Gesundheit schaden!“ Wer teilnimmt, schläft nur ein paar Stunden, isst und trinkt tags zu wenig und abends zu viel, hetzt von einem Termin zum nächsten oder langweilt sich in der letzten Nacht zu Tode. Gefährlich ist auch der Frust, dass der Klimawandel immer weitermacht, was für unsere Gesundheit ja noch schlimmer ist als die Gummibär-und-Schokolade-Diät auf der Konferenz.

In Glasgow ist vieles anders. Aus der Angst vor einem Corona-Superspreader-Event werden hier Toiletten, Tische und Stände permanent abgewischt und desinfiziert, überall steht Handdesinfektionszeug. Wenn die Verhandlerkolonne so fleißig und effektiv wäre wie die Putzleute sind, wäre mir ums Klima nicht bange.

Bei allem Stress ist die COP aber eigentlich ein großes Fitnessstudio: Gegen das ungesunde Sitzen gibt es lange Schlangen am Eingang oder vor den Toiletten, wo der Bewegungsapparat gestärkt wird. Die Wege sind weit: vom Eingang bis zum Pressezentrum sicher ein knapper Kilometer. Und wir sind dauernd on the road: zu Pressekonferenzen, zu Gesprächen, Terminen, Treffen mit Informanten, zum Klo, einfach rumschlendernd.

Quelle         :         TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben          —     These illustrations show the floods that hit Germany in July 2021. Several European countries were hit by catastrophic floods in the summer of 2021, causing many deaths and considerable damage. The floods, which affected several river basins, first in the UK and then across northern and central Europe, were caused by unseasonably high levels of rainfall.

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2.) von Oben      —       Waldbrand-Experiment

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Klimagipfel in Glasgow

Erstellt von Redaktion am 10. November 2021

Mit Gewalt das Klima retten

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Wer das politische Pack wie Götter anbetet, hat aus den Religionen nichts gelernt.

Ein Schlagloch von Georg Diez

Was tun, wenn sich der friedliche Übergang zur postfossilen Welt als illusorisch entpuppt. Sollten nicht die, die die Natur zerstören, dafür bezahlen?

Wie hängen Hoffnung und Widerstand zusammen? Das habe ich mich gefragt, als ich die Berichte aus Glasgow von COP26 verfolgt habe. Wo sind hier Zeichen der Hoffnung? Und wenn sie enttäuscht werden, wenn nur weiter versprochen wird – gibt es, neben der Pflicht zur Hoffnung, von der Kant spricht, auch eine Pflicht zum Widerstand?

Es war Jamila Raqib, die mich hier auf die Spur brachte. Ich war mit ihr vor ein paar Tagen zum Interview verabredet. Sie ist die Direktorin der Albert Einstein Institution in Boston und Nachfolgerin des legendären Gründers Gene Sharp, der von Gandhi gelernt hatte, wie gewaltloser Widerstand geht.

„Die Zeit der Eskalation ist da“, sagte sie mit Blick auf den Klimawandel. Ich hatte das nicht erwartet. Natürlich gibt es schon länger Stimmen, die sagen, dass es nicht reicht, was Fridays for Future tun, demonstrieren, so wichtig das ist, Aufmerksamkeit schaffen, friedlich bleiben. Und auch Extinction Rebellion, die etwas weiter gehen in ihren Mitteln, haben sich von Gewalt im eigentlichen Sinn ferngehalten.

Ein Denker, der diese Frage – der Eskalation, des Widerstands, der Gewalt – schon seit einiger Zeit thematisiert, ist Andreas Malm, schwedischer Historiker und Autor eines Standardwerks über den „fossilen Kapitalismus“. Zuletzt veröffentlichte er in dichter Reihenfolge drei Bücher, die aufeinander aufbauend ein Konzept formulieren und die nächsten Schritte beschreiben, falls Veränderung, wie Greta Thunberg in Glasgow wieder sagte, nicht mit den gleichen Mitteln erwirkt werden kann und dem gleichen Denken, das die Probleme erst geschaffen hat.

Zeit für Widerstand

In „Klima/x“, „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt: Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen“ und „White Skin, Black Fuel: On the Danger of Fossil Fascism“ (gemeinsam mit dem Zetkin Collective) entwirft er das Programm eines „ökologischen Leninismus“, wie er es nennt, in Anlehnung an die Idee des Kriegskommunismus, mit dem Russland nach der Revolution und dem Ende des Ersten Weltkrieges radikal regiert wurde – durch Planwirtschaft und losgelöst von der Logik der Märkte.

Immer noch scheint es nicht angekommen zu sein, in was für ein Epochenereignis wir da längst hineinsteuern

Ich glaube, es ist gut, diese Gedanken ernst zu nehmen, die Verweise auf Faschismus, Krieg, Kommunismus, um die Dringlichkeit der Situation deutlich zu machen. Auch im umfassenden und konstruktiven Transformationskonzept des Green New Deal spielt die Referenz zum Zweiten Weltkrieg eine Rolle – damals konzipierte Roosevelt seinen New Deal und stellte die Wirtschaft radikal um, eine Art kapitalistische Planwirtschaft, wie sie auch heute von jungen Öko­no­m*in­nen vorgeschlagen wird.

Immer noch scheint es nicht angekommen zu sein, auch in der deutschen medialen Nichtbegleitung der Klimaverhandlungen von COP26 gerade in Glasgow, in was für ein Epochenereignis wir da längst hineinsteuern – und die Besprechung von Malms Werk durch den immer anregenden Historiker Adam Tooze in der London Review of Books sollte deshalb unbedingte Leseempfehlung sein, wie wir auf Twitter sagen, ein must read auch für die Ampel-Koalitionäre.

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Denn was genau, fragt Tooze, wäre etwa eine „sozialdemokratische Politik des Notstands“? Was also, außer dem üblichen Weiter-so und Wird-schon, kann die etablierte Politik anbieten? Wer den „ökologischen Leninismus“ zurückweist, so Tooze weiter, müsse selbst erklären, was die ­Logik des Handelns angesichts der Katastrophe ist. „Was sind die politischen Optionen, wenn wir allen Grund zur Annahme haben, dass wir nur noch sehr wenig Zeit haben?“

Freier Blick für neue Protestformen

Tooze, der das zentrale Buch über die Wirtschafts- und Finanzkrise geschrieben hat, ­„Crashed“, und gerade seine Bilanz der Corona-Weltwirtschaft veröffentlicht hat, „Shutdown“, weiß natürlich, dass es politische Optionen gibt, die einen friedlichen Übergang zur postfossilen und möglicherweise postkapitalistischen Welt ermöglichen – sein Anliegen, wie auch das von Malm, ist daher ein taktisches: Indem die Gewaltfrage gestellt wird, wird der Blick freier für die ­Widersprüche der gegenwärtigen Verhältnisse und auch Protestformen.

Quelle      :         TAZ-online           >>>>>          weiterlesen   

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Grafikquellen          :

Oben     —     Core G7 member leaders attending the 44th G7 Summit <a href=“https://en.wikipedia.org/wiki/44th_G7_summit“ rel=“nofollow“>en.wikipedia.org/wiki/44th_G7_summit</a> Left to right front row: Jean-Claude Juncker, Donald Tusk, Donald Trump, Justin Trudeau, and Angela Merkel. Back row: Theresa May, Emmanuel Macron, This caricature of Jean-Claude Juncker was adapted from a Creative Commons licensed photo from the <a href=“https://www.flickr.com/photos/eppofficial/12995014393/„>European People’s Party Flickr photostream</a>. This caricature of Donald Tusk is based on a Creative Commons licensed photo available from <a href=“http://commons.wikimedia.org/wiki/File:2014_-_Donald_Tusk_(1).jpg“ rel=“nofollow“>Wikimedia</a>. The body is adapted from a Creative Commons licensed photo from <a href=“https://www.flickr.com/photos/eastbookeu/6345196578/„>Anna Wozniak’s Flickr photostream</a>. The background is adapted from a Creative Commons licensed photo from <a href=“https://www.flickr.com/photos/primeministergr/5864372520/„>Antonis Samaras, Prime Minister of Greece’s Flickr photostream</a>. This caricature of Donald Trump was adapted from a photo in the public domain from <a href=“https://www.whitehouse.gov/people/donald-j-trump/“ rel=“nofollow“>the White House</a>. The body was adapted from a photo in the public domain from <a href=“https://www.army.mil/article/195774/medal_of_honor_awarded_to_capt_gary_m_rose_for_actions_in_laos“ rel=“nofollow“>the US Army</a>. This caricature of Justin Trudeau was adapted from a Creative Commons licensed photo href=“https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Trudeaujpg.jpg%22>available via Wikimedia. The body was adapted from a Creative Commons licensed photo from <a href=“https://www.flickr.com/photos/alexguibord/14578663236/„>Alex Guibord’s Flickr photostream</a>. The background was adapted from a Creative Commons licensed photo from <a href=“https://www.flickr.com/photos/neilghamilton/6854011317/„>Neil H’s Flickr photostream</a>. This caricature of Angela Merkel was adapted from a Creative Commons licensed photo by Dirk Vorderstraße <a href=“http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Angela_merkel_unna_2010.jpg“ rel=“nofollow“>available via Wikimedia</a>. The body is from a photo in the public domain <a href=“http://www.eucom.mil/article/24201/ila-2012-features-us-military-aircraft“ rel=“nofollow“>from the United States European Command</a>. This caricature of Theresa May was adapted from a Creative Commons licensed photo from <a href=“https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Theresa_May_(Sept_2017).jpg“ rel=“nofollow“>Wikimedia</a>. This caricature of Emmanuel Macron was adapted from a Creative Commons licensed photo from EU2017EE Estonian Presidency’s Flickr photostream: <a href=“https://www.flickr.com/photos/eu2017ee/36669381364/„>face</a> and <a href=“https://www.flickr.com/photos/eu2017ee/23522649118/„>body</a>. This caricature of Japanese Prime Minister Shinzo Abew as adapted from a photo in the public domain <a href=“http://en.wikipedia.org/wiki/File:Abe_Shinzo_2012_02.jpg“ rel=“nofollow“>available via Wikimedia</a>. This caricature of Giuseppe Conte was adapted from a photo released on Wikimedia for anyone to use for any purpose provided attribution is given to <a href=“https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Giuseppe_Conte_2.jpg“ rel=“nofollow“>Presidenza della Repubblica</a>.

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Unten      —     G20 summit policetroops

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Klimawandel und Ursachen

Erstellt von Redaktion am 9. November 2021

Schöner aussterben mit nachhaltigem Palmöl

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Lindner war angeblich auf Borneo. Reicht ein Name zum Nichtverstehen aus ? Oder hat er den roten Teppich der Fa. Nestle nie verlassen?

Von Kathrin Hartmann

Die halbe Erde unter Naturschutz zu stellen, Wälder aufzuforsten und Öko-Siegel zu verleihen – all das klingt erstmal wie eine gute Idee. Die Journalistin Kathrin Hartmann weiß, wo daran der Haken ist.

In nichts steht der Verlust der Artenvielfalt dem drohenden Klimakollaps nach. Dass über diese Krise nicht so viel gesprochen wird, mag daran liegen, dass das Fassungsvermögen für Krisenwahrnehmung bereits vollends ausgefüllt wird – aber die Folgen dieser Krise sind leider ebenso gravierend. Unsere Luft, unser Trinkwasser, unsere Gesundheit und die Erzeugung unserer Lebensmittel sind unmittelbar von einer intakten Natur abhängig. Doch sind nur noch drei Prozent der globalen Ökosysteme intakt. Mehr als zwei Drittel der Säugetiere, Vögel, Fische, Amphibien und Reptilien sind in den vergangenen 50 Jahren verschwunden. Von den heute bekannten acht Millionen Tier- und Pflanzenarten, die die Erde bevölkern, ist eine Million vom Aussterben bedroht.

Die Krise der Artenvielfalt und die Klimakrise verschärfen sich gegenseitig. Und sie haben noch etwas gemeinsam: Alle Wege, die bislang eingeschlagen wurden, um sie aufzuhalten, sind krachend gescheitert.

Gerade ist in der chinesischen Stadt Kunming die 15. Konferenz der Vereinten Nationen zur biologischen Vielfalt zu Ende gegangen. Auf mehr als nebulöse Absichtserklärungen haben sich die knapp 200 Vertragsstaaten nicht einigen können. Zwar wird im kommenden Frühjahr am selben Ort ein Rahmenabkommen zum Schutz der Artenvielfalt verabschiedet werden. Doch dieses wird weniger verbindlich sein als das Pariser Klimaschutzabkommen von 2015. Und so hat es das internationale Übereinkommen über biologische Vielfalt, die Convention on Biological Diversity (CBD), in den vergangenen 28 Jahren nicht geschafft, ihrem Anspruch gerecht zu werden. Die 1993 in Kraft getretene CBD wollte bis 2010 „den Verlust der biologischen Vielfalt signifikant verlangsamen“, erreichte dieses Ziel aber nicht. 2010 wurden in Japan die sogenannten Aichi-Ziele verabschiedet. Kein einziges dieser 20 Ziele zum Biodiversitätsschutz wurde wie vereinbart bis 2020 erreicht, mehr als die Hälfte wurde deutlich verfehlt. Auch die EU-Biodiversitätsziele 2020 sind gescheitert.

Zertifiziert kaputtmachen

All das ist nicht nur eine Folge davon, dass zu wenig oder nichts getan wird. Die Maßnahmen selbst sind das Problem: Sie sind darauf ausgerichtet, das System, das zur Zerstörung von Natur und Klima führt, zu erhalten. Dazu zählen etwa die privatwirtschaftlichen Zertifizierungssysteme für zerstörerische Rohstoffe. Mittlerweile gibt es für alle wald- und naturzerstörenden Rohstoffe wie Palmöl, Soja, Holz, Kakao und Kaffee, aber auch für Wild- und Zuchtfische sowie für Fleisch Nachhaltigkeitssiegel. Wenn große Konzerne, die besonders großen Schaden anrichten, dazu gebracht werden könnten, freiwillig bestimmte Umweltstandards einzuhalten, könnte die Zerstörung eingedämmt werden – das ist die Idee hinter der Zertifizierung.

Nach gut 30 Jahren ihrer Erprobung lässt sich sagen: Sie ist gescheitert. Das belegt die Studie „Destruction: Certified“, die Greenpeace im März vorlegte. Die NGO untersuchte darin neun große Zertifizierungssysteme, darunter den Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl, den Runden Tisch für verantwortungsbewusstes Soja und das Forest Stewardship Council. Keines dieser Systeme konnte den Verlust von Biodiversität aufhalten oder auch nur eindämmen. Nicht nur, weil die Standards zu schwach sind und zu schlecht kontrolliert – sondern weil keine einzige Initiative zum Ziel hat, den Verbrauch dieser landwirtschaftlichen Produkte zu reduzieren. Im Gegenteil setzen sie ausschließlich darauf, die Nachfrage nach zertifizierter Ware zu erhöhen. Konzerne, die auf krisensicheren Zugang zu steigenden Mengen dieser Rohstoffe angewiesen sind, sind Mitglieder dieser Initiativen – und darüber hinaus bilden sie auch die Mehrheit in den verantwortlichen Gremien.

So hat etwa der Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl 1.934 Vollmitglieder. Darunter sind 973 Konsumgüter- und Handelsunternehmen, 887 Palmölfirmen und 15 Banken – aber nur 50 NGOs. Im Vorstand sitzen Manager von Wilmar International oder Golden Agri-Resources, Firmen, denen NGOs seit Jahren illegale Abholzung, Umweltzerstörung, Waldbrände und Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. Sanktionen gibt es in solchen Initiativen so gut wie keine – man bestraft sich ja nicht selbst. So ist es nicht überraschend, dass der Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl (RSPO) in den 17 Jahren seit seiner Gründung die Zerstörung von Regenwald für Palmöl-Plantagen nicht eindämmen konnte. Diese hat laut Global Forest Watch seit der RSPO-Gründung im Gegenteil weiter zugenommen und lag 2015 mit 753.000 Hektar zerstörter Waldfläche ein Viertel höher als 2004.

Distrikt-Kunak Sabah Palmoil-Plantagen-01.jpg

Es mag absurd klingen, aber auch Klimaschutzmechanismen können den Verlust von Biodiversität beschleunigen. Zum Beispiel die sogenannten negativen Emissionen. Das sind Technologien, die der Atmosphäre CO₂ entziehen sollen, etwa durch Aufforstung oder Geo-Engineering. Der 1,5-Grad-Report des Weltklimarats (IPCC) zählt negative Emissionen zu den Instrumenten gegen die Klimakrise. Dazu zählt das Speichern von CO₂ mittels gigantischer Monokulturen zur Gewinnung von Bioenergie. Werden die Pflanzen dann verbrannt, sollen die Treibhausgase unterirdisch gespeichert werden. Drei von vier Modellpfaden im IPCC-Report enthalten dieses Instrument. Das ist höchst umstritten: Um das Paris-Ziel einzuhalten, müssten auf einem Drittel des weltweiten Ackerlandes Energiepflanzen wachsen. Phil Williamson von der University of East Anglia ist überzeugt, dass ein großflächiger Einsatz dieser Technologie mehr Arten zum Aussterben bringen würde als ein Temperaturanstieg von 2,8 Grad. Ähnlich problematisch sind große Aufforstungsprogramme zur Kompensation von CO₂.

Zu den größten globalen Programmen dieser Sparte gehört die Bonn Challenge, die 2011 von der Weltnaturschutzunion (IUCN), der Bundesregierung und der Global Partnership on Forest and Landscape Restoration initiiert wurde. 350 Millionen Hektar – eine Fläche von der Größe Deutschlands – will die Initiative mit Bäumen bepflanzen. 2019 belegte eine Studie des Londoner University College und der University of Edinburgh, dass beinahe die Hälfte der degradierten Flächen, die die teilnehmenden Länder wieder aufforsten wollen, mit industriellen Monokulturen bepflanzt werden sollen. Etwa mit Eukalyptus-Plantagen, die die Böden extrem austrocknen und so nicht nur Biodiversität schädigen, sondern die Gefahr von Waldbränden erhöhen.

Menschenleer, aber ölfördernd

Quelle          :        Der Freitag-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben     —     ölpalmen in malaysia

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Gab es mehr als Blablabla?

Erstellt von Redaktion am 6. November 2021

Von der Klimakonferenz in Glasgow

Von Bernhard Pötter und Malte Kreutzfeldt

Bei der Klimakonferenz in Glasgow ist nach einer Woche Halbzeit. Wie ist der Stand, wer führt und wo gab es Eigentore? Antworten auf die drängendsten Fragen.

Lovely weather here, my dear, isn’t it?

Der Himmel meint es bislang gut: Ein unschottisch blauer Himmel, Sonne, milde 9 Grad. Eine schöne Abwechslung zu den apokalyptischen Regenfällen kurz vor Beginn der Konferenz, die, wie die Wissenschaft sagt, gut ins Muster des Klimawandels passen. So blieben auch Hunderte von Teilnehmern trocken, die an den ersten Tagen teilweise eine Stunde in der Schlange stehen mussten, um überhaupt auf das Gelände zu kommen.

Was war der wichtigste Moment der ersten Woche?

Montagnachmittag gegen 17 Uhr: Der indische Ministerpräsident Narendra Modi legt den Klimaplan seines Landes vor. Indien will bis 2030 die Hälfte des Energiebedarfs mit Erneuerbaren decken und 2070 klimaneutral sein. Nicht wirklich ehrgeizig, aber ein großer Schritt für ein Schwellenland.

Wie sieht der Plan der britischen Konferenzleitung für den Erfolg aus?

Wenn man das wüsste. Eine Strategie aber ist deutlich: Boris Johnson hat es geschafft, über 120 Staats- und Regierungschefs nach Glasgow zu locken, indem er die Konferenz zur „letztbesten Chance“ für die Rettung der Welt erklärte – obwohl anders als 2015 in Paris keine großen Beschlüsse anstehen. Aber der Trubel und die Aufmerksamkeit machen den Ver­hand­le­r*in­nen Beine. Delegierte berichten davon, die erste Woche sei „unglaublich konstruktiv“ verlaufen. Was für eine COP aber erst mal nur bedeutet: Es gab keine bitteren Kämpfe um die Tagesordnung, und man hat sich darauf geeinigt, über welche Dokumente man sich streitet.

Warum hört man so viele positive Meldungen?

Das hat das Team um COP-Präsident Alok Sharma geschickt eingefädelt: Auf und nach dem Gipfel der Staatschefs gab es jeden Tag eine gute Nachricht. Am Dienstag verpflichten sich 100 Länder, den Ausstoß des Klimakillers Methan um 30 Prozent zu senken; gleichzeitig versprechen wichtige Länder wir Brasilien und Indonesien, bis 2030 die Entwaldung zu stoppen. Am Mittwoch sagt die Finanzindustrie zu, in Zukunft 40 Prozent der weltweiten Investments, also immerhin 130 Billionen Dollar, klimaneutral einzusetzen. Am Donnerstag präsentieren sich neue Allianzen zum weltweiten Kohleaussteig, zum Ende der Finanzierung Öl und Gas und Kohle im Ausland und zum Ende der Suche nach Öl und Gas.

Haben wir also Fortschritte zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze gemacht?

Nun ja. Kurz nach den Erklärungen liefen die Rechenmodelle der Ex­per­t*in­nen heiß. Ergebnis: Wenn alle Klimapläne der Länder, das neue Angebot von Indien und die Zusagen etwa zum Methan umgesetzt werden, landen wir bei 1,8 Grad. Immer noch nicht 1,5, aber „deutlich unter 2 Grad“, wie es das Pariser Abkommen fordert. Das Problem: Bisher sind das alles nur Pläne ohne konkrete Maßnahmen, Politiken, Finanzierungen. Und sie sind sehr langfristig. Was häufig fehlt, sind konkrete Schritte bis 2030. Wie groß diese Aufgabe ist, wurde am Donnerstag ebenfalls mal wieder klar: Die Wissenschaftsinitiative „Future Earth“ stellte ihre neuen Zahlen vor. Um demnach 1,5 Grad auch nur mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu erreichen, müssen die globalen Treibhausgasemissionen jedes Jahr um 5 Prozent sinken – für eine Zweidrittelchance müssen es schon 10 Prozent sein. Zum Vergleich: Bisher sind die Emissionen nur in großen Wirtschaftskrisen gefallen. Und selbst im Coronajahr 2020 waren es nur knapp 6 Prozent.

Wie groß ist der Druck der Protestbewegung?

Sitzen sonst in „Hohen Häusern“ – landen nun in Zeltgebäuden .

Auch wenn sie selbst schimpfen, sie hätten nicht genug Zugang zur Konferenz: Die Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen sind auf der Konferenz sehr präsent. Und zwar nicht nur durch eigene Veranstaltungen und Aktionen. Sondern auch, weil andere prominente Red­ne­r*in­nen ihre Argumente übernehmen. Boris Johnson zitierte zur Eröffnung Greta Thunbergs Aussage, dass die Konferenz mehr liefern müsse als „Blablabla“, UN-Generalsekretär António Guterres klingt mindestens so verzweifelt wie viele Indigenen­vertreter*innen. Und Prince William tritt immer klarer in die Fußstapfen seines umweltbewegten Vaters Prince Charles und tauscht sich in Glasgow mit der FFF-Frontfrau Luisa Neubauer aus, die er in die Jury seines neuen Umweltpreises berufen hat.

Ganz so harmonisch geht es außerhalb des Konferenzgeländes nicht zu: Am Samstag werden mehrere Zehntausend Menschen zu einer Demonstration erwartet, bei der für „System Change“ protestiert wird. Doch selbst dieser Slogan wurde auf der COP schon geklaut – anders als die Ak­ti­vis­t*in­nen meinte der britische Klimabotschafter Nigel Toppings damit allerdings nicht die Abschaffung des Kapitalismus, sondern nur seinen grünen Umbau. Aber immerhin besser als nichts.

Quelle        :    TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —       Das von Greta Thunberg vorgegebene Motto der Fridays-for-Future-Bewegung: „Basta Blah, Blah, Blah!“ (sinngemäß „Taten statt Geschwätz!“, Bild von einer Kundgebung zur Youth4Climate in Mailand Ende September 2021)

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NRW – Proteste gegen Kohle

Erstellt von Redaktion am 6. November 2021

Drosselung des Kohlekraftwerks Neurath!

Kraftwerk Neurath - Bestandskraftwerk 03.JPG

Ein Stinker der aus Neurath – RWE

Quelle:    Scharf  —  Links

Von „BockNeurath“

Die Kohlezufuhr zum Kraftwerk Neurath ist seit heute morgen, 7 Uhr, von Klimaaktivist:innen blockiert. Kurz nachdem die Aktivist:innen geräumt wurden, haben sich weitere Menschen auf den Schienen fest gekettet. Seit 10 Stunden konnte kein Kohlezug im Kraftwerk Neurath eintreffen, was zu einer Drosselung der Kraftwerksleistung geführt hat.

„RWE ist mitverantwortlich für die Zerstörung der Lebensgrundlage sehr vieler Menschen. Vor allem für Menschen, die seit vielen Jahrzehnten im Klammergriff des globalen Kolonialismus stecken. Die Ressourcen dieser Länder werden strukturell ausgebeutet und gewinnbringend in andere Länder transportiert. Das alles ist angetrieben durch den fossilen Kapitalismus“, sagt Nora Radwer, eine der Pressesprechenden der Aktionsgruppe „Block Neurath“.

Diese Aktion ist Teil der Aktionstage „Copy & Waste“, welche auf Kritik an den unzureichenden Maßnahmen der Conference of the Parties (COP) aufmerksam machen möchte. Die 26. Klimakonferenz, die zur Zeit in Schottland stattfindet, werde nicht die maßgeblichen Schritte unternehmen, um die Klimakatastrophe abzumildern. So lautet es auf der Internetseite der Aktionstage.

Kraftwerke RWE Neurath und Frimmersdorf. Vorne Neuenhausen und Gustorf - panoramio.jpg

Recht und Links ein Stinker – Nirgendwo ein Rotlichtblinker ?

Isabella Lehnfeld sagt dazu: „Eine radikale Kehrtwende ist notwendig, um Menschen vor Hunger und Armut und unsere Ökosysteme vor dem Kollaps zu schützen. Diesem Anspruch wird die COP in keinster Weise gerecht. Seit 26 Jahren verschlechtert sich die Lage! Viele der teilnehmenden Länder profitierten finanziell von den ausbeuterischen Praktiken des globalen Wirtschaftssystems. Mit der Drosselung des Kraftwerks tragen wir aktiv zur Minderung der Treibhausgasemissionen bei.“

Das Dorf Lützerath soll für den Tagebau Garzweiler und das Kraftwerk Neurath abgerissen werden. Der letzte Anwohner des Ortes, Eckhardt Heukamp, wird dadurch sein Zuhause verlieren. So wie ihm geht es vielen Menschen, die wegen der Ausbeutung natürlicher Ressourcen ihre Lebensgrundlage verlieren. Ein Protest Camp von Klimaakvist*innen befindet sich im Ort, um die Räumung zu verhindern.

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Oben     —     Power station Neurath, Germany. Existing station without new „BoA“ part

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Klimakriese-Versprechen

Erstellt von Redaktion am 5. November 2021

Aber kein Wort über den damit verbundenen Verzicht

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Quelle:    Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

197 Länder sind auf der Cop26 in Glasgow präsent, die meisten davon ohne konkrete Vorstellungen oder Mandat. Denn sie haben nicht die Mittel und Möglichkeiten, das wieder gut zu machen, was die wenigen, technisch hochgerüsteten und mit viel Kapital – und noch mehr Gier danach – ausgestatteten Länder und Industriegiganten auf unserem Planeten bereits zerstört haben und immer weiter so für den eigenen Profit unwiederbringlich zerstören wollen. Nach zwei Jahren Pandemie und all den Missständen, die durch sie aufgedeckt worden sind, ist offensichtlich, dass der Mensch mit all seinem Wissen und den belegten Erkenntnissen nicht in der Lage ist, Schaden für sich und die Welt abzuwenden oder zu vermeiden. Nur, das einzugestehen fällt allen schwer, insbesondere Politikern. Also werden Einsicht vorgegeben und große Versprechungeh gemacht, wohl aus der Vergangenheit wissend, dass diese nicht oder nur teilweise erfüllt werden. Vor allem schweigt man sich beharrlich über das Wie zur Erreichnung der effektheischend ausgerufenen Ziele aus. Typisch scheint da das Engagement von 100 Teilnehmerstaaten, die Vernichtung der Wälder bis 2030 einzustellen. Ausgerechnet der brasilianische Präsident Bolsonaro, seit dessen Amtszeit so viel Amazonaswald wie noch nie mit seiner Zustimmung und Unterstützung vernichtet wurde, erklärt in einer PK, dass es sich bei seiner Zustimmung um den ‚illegalen‘ Waldeinschlag handele. Aber eben diesen hatte er weitgehend legalisiert. Dabei ist Bolsonaro nur ein besonders makaberes Beispiel für die Diskrepanz zwischen Politik und Wirklichkeit. Nachtigall, ick hör dir trapsen!

Während die Versprechungen der Politiker trotz der dramatischen Klimasituation wohl eher nur als Absichtserklärungen verstanden werden dürfen, kommt es entscheiden darauf an, wie und ob sich die Bevölkerung auf die nachgewiesen katastrophale Klimasituation einzustellen bereit ist, ebenso wie auf die einschneideneden Verzichte, die zwangsläufig mit den notwendigen Maßnahmen zur Rettung unserer Welt verbunden sind. Bezeichnenderweise hört man dazu von der Politik und Industrie nichts. Dabei müssen wir ganz allgemein weg vom: ‚Consumo, ergo sum‘ (Ich vergrauche – ich leiste mir was -, also bin ich) hin bzw. zurück zum: ‚Cogito, ergo sum‘ (Ich denke, also bin ich). Was zunächst als rückschrittlich verworfen werden könnte, wird zur unabdingbaren Notwendigkeit, wenn wir langfristig auf dieser Erde überleben wollen. Wir müssen wieder viel mehr nachdenken darüber, was wir tun, ob und für wen es wichtig ist, welchen Schaden unser Handeln anrichtet. Da die alten, ach so gescheiten Menschen in Sachen Klimakrise offensichtlich versagt haben, kommt jetzt auf die jungen Menschen eine große und verantwortungsvolle Rolle zu. Selbst handeln, anpacken, den von Politik und Industrie sorgfältig verworrenen Gordischen Knoten einfach durchschlagen, die Politiker zu jenem Handeln zwingen, zu dem sie von den Wählern gewählt wurden. Radikal müssen die von der Industrie initiierten und finanzierten Programme und Aktivitäten ausgemustert werden. Vielleicht müssen wir sogar weg von unserem aktuellen Demokratiesystem hin zu einer direkten Demokratie, um des Volkes Stimme größeres Gehör zu verschaffen. Packen wir’s an!

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Oben     — Die Vertreter der Staaten am ersten Tag der Konferenz.

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Anonym im Namen der EU

Erstellt von Redaktion am 5. November 2021

Lobbyismus bei Impfstoffbeschaffung

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Von Maxence Peigné und  Harald Schumann

Die gemeinsame Beschaffung der EU-Staaten von Covid-19-Impfstoffen ist für Hersteller enorm lukrativ. Wer hat hier verhandelt?

Als die EU-Kommission die Aufgabe übernahm, im Namen der Union Impfstoffe gegen Covid-19 zu beschaffen, setzten die 27 Mitgliedsstaaten einen Lenkungsausschuss ein, der die Ausschreibungen überwachen sollte. Zugleich benannten sie ein siebenköpfiges Team, das die Verhandlungen mit der Industrie führen sollte. Dafür entsandten Frankreich, Spanien, Schweden, Deutschland, die Niederlande, Italien und Polen je eine_n VertreterIn.

Diese vereinbarten den Kauf von 4,6 Milliarden Dosen und sicherten so die Impfstoffversorgung für alle 448 Millionen EU-Bürger. Aber im Gegenzug beugten sie sich den Forderungen der Hersteller und gewährten den Pharmakonzernen Pfizer und Moderna große Gewinnspannen. Diese kassieren 19,50 beziehungsweise 22 Euro pro Impf­dosis. Dabei kostet die Produktion des modernen mRNA-Impfstoffs lediglich rund einen Euro pro Schuss, wie eine Studie des Imperial College London zeigt. Dazu kommen zwar die Entwicklungskosten. Aber auch die wurden zu großen Teilen aus den Staatskassen finanziert.

Doch obwohl so viele Milliarden Euro an Steuergeldern freihändig vergeben werden, sollen die EU-BürgerInnen nicht wissen, wer da in ihrem Namen verhandelt. Würden die Personen bekannt, könnten sie „unter Druck“ geraten, rechtfertigt die zuständige EU-Kommissarin Stella Kyriakides die Geheimhaltung. Und das könne „den Verhandlungsprozess und sein Ziel, Zugang zu einem sicheren und erschwinglichen Covid-19-Impfstoff zu erhalten, gefährden“, erklärte sie auf eine parlamentarische Anfrage.

Das will das EU-Parlament nicht akzeptieren und fordert explizit die Offenlegung sowohl der Namen der VerhandlungsführerInnen als auch der von ihnen vereinbarten Verträge. „Transparenz ist eine Grundvoraussetzung, um die Legitimität der gemeinsamen Beschaffung in der EU zu gewährleisten“, erklärte die konservative spanische Abgeordnete Dolors Mont­serrat, die den Parlamentsbericht verfasste.

Verbindungen zur Pharmabranche

„Die Öffentlichkeit hat das Recht zu wissen, wer im Namen der EU verhandelt“, sagt auch Olivier Hoedeman, Chef des Corporate Europe Observatory (CEO), einer Nichtregierungsorganisation, die den Einfluss der Industrie in Brüssel verfolgt. Nur mit Nennung der Verantwortlichen sei es möglich, „deren potenzielle Interessenkonflikte zu beurteilen.“ Das Journalistenteam Investigate Europe (IE) ist darum der Identität der geheimen Dealmaker nachgegangen.

Der schwedische Verhandlungsführer Richard Bergström war am leichtesten zu finden. Als Impfstoffkoordinator des Landes macht er keinen Hehl aus seiner Beteiligung am Verhandlungsteam der EU. Er ist der einzige der Beteiligten, der zunächst auf die Fragen von IE geantwortet hat. „Ich sehe keine Notwendigkeit für diese Geheimhaltung, weil meine Regierung der Meinung ist, dass es nicht geheim sein kann, dass ich diesen Job mache“, erklärte er schon im September.

Bergström hat aber nicht immer für die schwedische Regierung gearbeitet. Er verbrachte fast drei Jahrzehnte im privaten Pharmasektor, darunter fünf Jahre als Leiter des europäischen Lobbyverbandes Efpia. Befragt nach dieser Vita, wich er aus: „Das ist schon lange her. Die Ergebnisse haben bewiesen, dass wir ziemlich gute Verhandlungspartner waren, ich möchte nicht über mich selbst sprechen.“

Aber Bergström unterhält bis heute Verbindungen zur Pharmabranche. Nach seinen Angaben bei Linkedin ist er Senior Partner bei Hölzle Buri Partners Consulting (HBPC) und Geschäftsführer bei Bergström Consulting GmbH. HBPC unterstützt nach eigenen Angaben den US-Pharmaverband PhRMA. Zu dessen Mitgliedern gehören AstraZeneca, Johnson & Johnson, Pfizer und Sanofi – alles Unternehmen, die Impfstoffverträge mit der EU haben.

Einer der Geschäftsführer der Bergström Consulting wiederum ist Walter Peter Hölzle, Eigentümer von HBPC und ehemaliger Chef des Schweizer Pharmaverbandes Vips. HBPC und Bergström Consulting haben sogar die gleiche Adresse in Zug, Schweiz.

Darüber hinaus war Bergström bis vor Kurzem zuständig für die Kundenentwicklung bei PharmaCCX, das er 2016 mit begründet hat. Das Unternehmen entwickelt Lösungen, die „Geschäfte zwischen Kostenträgern und Pharmaunternehmen erleichtern“. Im Februar 2021, als er bereits EU-Verhandlungsführer war, erschien Berg­ström in einem Werbevideo mit Nathan Sigworth, seinem damaligen Partner bei PharmaCCX, und bekannte offen: „Ich war der Cheflobbyist für Pharma in Brüssel.“

Gleichwohl unterschrieb auch Bergström genau wie alle weiteren EU-Verhandlungsführer eine Erklärung, dass keine Interessenkonflikte bestehen. Wie das zu seinen Verbindungen zur Pharmaindustrie passt, kümmerte die EU-Kommission anscheinend nicht. Personen, die den Verhandlungen nahestehen, erklärten gegenüber IE, dass die EU-Beamten häufig auf Bergströms Fachwissen zurückgreifen. „Er war von Anfang an der fachkundigste Vertreter“, versichert einer der Insider.

Ein hochrangiger Gesundheitsbeamter aus einem nordischen Land meint sogar, er „verfüge über Kompetenzen, die bei Verhandlungen von großer Bedeutung sind. Er weiß, wie weit man gehen kann.“ Das überzeugt den Lobbyexperten Olivier Hoedeman von CEO nicht. Bergström habe „eindeutig Interessenkonflikte und hätte nie in das gemeinsame Verhandlungsteam aufgenommen werden dürfen“, kritisiert er. „Er ist ideologisch auf der Seite von Big Pharma und ihrem Modell der Monopolpatente.“

Die anderen EU-Regierungen wählten VertreterInnen ohne direkte Verbindung zur Pharmaindustrie. Die spanischen Behörden ernannten María Jesús Lamas zum Mitglied des Lenkungsausschusses und César Hernández García zum Mitglied des Verhandlungsteams. Beide stehen an der Spitze der spanischen Arzneimittelbehörde (AEMPS).

Deutschlands Gesundheitsministerium schweigt

Die niederländische Regierung wählte Roland Driece für beide Aufgaben aus. Er ist Direktor für internationale Angelegenheiten im niederländischen Gesundheitsministerium. In Italien bestätigte der Epidemiologe des Gesundheitsministeriums Giovanni Rezza, dass er dem Lenkungsausschuss angehört. Wer für das Land im Verhandlungsteam sitzt, mochte die italienische Regierung dagegen nicht sagen.

Quelle       :          TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     — First day of vaccination against Covid-19 in Spain. In the image, a woman receives her first dose in ‚Residencia Mixta‘ of Gijón (Asturias)

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Unten          —     2018

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Eine Patente Lösung ?

Erstellt von Redaktion am 4. November 2021

CO2-arme Technologie

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Von Krisha Kops

Die herrschende Patentlogik setzt klimaschädliche Anreize. Mit einem neuen globalen Fonds könnten alle Staaten in CO2-arme Technologie investieren.

Egal welchen Farbanstrich die neue Koalition erhalten wird, Klimapolitik wird eines ihrer Hauptanliegen sein. Und selbst wenn der eine Koalitionspartner dabei mehr auf Technologien setzen wird als der andere, werden die Klimaziele nicht ohne die nötigen Innovationen eingehalten werden können. In Deutschland nicht. Auf der Welt nicht.

Während Deutschland sich wie der Rest der Europäischen Union erhofft, dass Unternehmen durch Verteilung eines schrumpfenden Kontingents an CO2-Zertifikaten „einen Anreiz erhalten, in klimafreundliche Techniken zu investieren“, wird ein gewaltiges Problem übersehen: die Patentlogik. Insbesondere global ist dies problematisch. Und was hinsichtlich der Klimapolitik ein globales Problem ist, ist letztlich auch ein deutsches.

Nehmen wir zum Beispiel indische Kohlekraftwerke. Als bereits sogenannte superkritische Technologien auf dem Markt waren, benutzte Indien noch immer die ineffizienteren subkritischen. Als dann der Standard auf die noch saubereren ultra-superkritischen Technologien angehoben wurde, hinkte Indien mit den superkritischen hinterher. Dies bedeutete nicht nur eine weniger effektive Produktion, sondern bis zu 30 Prozent mehr CO2-Ausstoß.

Der Grund dafür war, dass die weiterentwickelteren Grenztechnologien mit Tausenden Patenten geschützt waren. Im Jahr 2009 zahlte etwa der chinesische Kohlekraftwerksbauer Harbin Electric 1,5 Millionen Dollar an Lizenzgebühren für jeden Kessel, der mit der patentierten Technologie von Mitsui Babcock hergestellt wurde.

Statt diese Ausgaben mit der dadurch ermöglichten effektiveren Produktion gegenzurechnen, entscheiden sich viele Anlagenbetreiber wie in Indien für ältere Technologien. Dies führte zu zusätzlichen 1,5 Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr und Anlage – in etwa so viel, wie eine Million Pendler in NRW mit täglich 40 Kilometer Durchschnittsstrecke pro Jahr erzeugen.

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Die Problematik liegt also darin, dass die 20-Jahre-Patente zwar Anreize zu Forschung geben, die Verbreitung der darauf basierenden Technologien aber durch gewaltige Aufpreise behindern. Deshalb kommen die besten grünen Technologien besonders dort nicht zum Einsatz, wo die meisten Wachstumsemissionen in den nächsten Jahren erzeugt werden: in Entwicklungsländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Die größten Anstrengungen zur Emissionsreduzierung werden dagegen in Ländern mit hohem Einkommen unternommen. Länder, in denen die Steuern und Marktpreise für Emissionen am höchsten sind. Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen?

Alle Patentrechte abzuschaffen, könnte insofern nachteilig sein, als damit auch die Forschungsanreize verschwänden. Vielmehr gilt es, die Anreize so zu setzen, dass neue grüne Technologien auch die ärmsten Gesellschaften erreichen und damit insgesamt zu mehr CO2-Einsparung, vielleicht sogar -Umwandlung führen. Ein Weg, dies zu erreichen, sind sogenannte Impact Funds, die beispielsweise auch im medizinischen Bereich vorgeschlagen werden.

Firmen, die ihre Technologien in einem entsprechenden Green Impact Fund for Technology (GIFT) anmelden, würden sich verpflichten, kostenlose Lizenzen für Herstellung, Verkauf und Nutzung anzubieten. Oder die Technologie zu (vielleicht auch unter) den variablen Kosten zu verkaufen.

Im Gegenzug würde man die Firmen an den jährlichen, für sechs Jahre geplanten Ausschüttungen des Funds beteiligen. Jede Jahresausschüttung würde unter den gemeldeten Erfindungen proportional zur mit ihnen jeweils im Vorjahr erzielten Emissionsminderung aufgeteilt.

Quelle         :          TAZ-online        >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    This map shows the mean surface air temperature (2 meters above the surface) over the Arctic in January, from NCEP/NCAR Reanalysis data from 1968 to 1996.

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Unten     —   KW Neurath von Osten – 180208

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Klimakrise – Die Lebenslüge:

Erstellt von Redaktion am 3. November 2021

„Nichts muss sich verändern“

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Von Pepe Egger

Harald Welzer ist sauer, dass die Ökonomie Kapitalismus nicht ohne Wachstum denken kann. Hier verschafft er sich Luft.

Harald Welzer sehe von Weitem aus „wie ein Tiroler Skilehrer“, hat die taz einmal geschrieben, und meinte: nicht professoral, wie man es bei seinen akademischen Titeln erwarten würde. Mag sein: Aber Welzer spricht auch nicht wie manch anderer Soziologieprofessor. Sein Standpunkt verschwindet nicht hinter abstrakten Begriffen, sondern kommt ganz direkt daher: Es ist Zeit für ein Umdenken, für ein Aufhören mit allem, was „schwachsinnig“ und schädlich ist, wenn die Menschheit überleben will. Und nein, angenehm wird das nicht, sagt Welzer. Wir sollten uns da nichts vormachen.

der Freitag: Herr Welzer, Sie haben ein Buch über das Aufhören geschrieben: ein Lob der Kulturtechnik des Aufhörens. Warum?

Weil wir als Gesellschaft mit Endlichkeitsproblemen zu tun haben, was nichts anderes heißt, als: Wir müssen aufhören. Der Klimawandel ist ein Endlichkeitsproblem. Wenn wir eine bestimmte ziemlich enge Spanne einer überlebenstauglichen Temperatur verlassen, dann kommt die menschliche Lebensform an ihr Ende. Artensterben ist ein Endlichkeitsproblem: Wir haben jetzt schon rund 70 Prozent der Insektenarten verloren, aber wenn wir bei 100 Prozent ankommen, ist Schluss mit den Nahrungsketten, den Bestäubungen und so weiter. Zugleich blendet aber unsere Kultur Endlichkeit systematisch aus. Wir haben kein Konzept von Endlichkeit, wir lernen nicht aufzuhören, sondern wir optimieren. Das plakativste Beispiel für das Optimieren ist die Ersetzung von fossilen Automotoren durch Elektromotoren: Wir haben offensichtlich ein Klima- und ein Verkehrsproblem, aber anstatt dass wir überlegen, welche Art der Fortbewegung wir eigentlich praktizieren möchte, machen wir mit denselben Autos weiter und optimieren nur den Antrieb.

Wir hören nicht auf, sondern rüsten um. Wir dekarbonisieren! Sie glauben nicht, dass das eine gute Idee ist?

An sich ist es eine gute Idee, wenn man ein Problem hat, das auf zu viel CO2-Emissionen zurückgeht, die CO2-Emissionen zu reduzieren, zweifellos. Aber das alleine wird überhaupt nicht ausreichen. Wir denken— das ist ja geradezu paradox —an eine Reduktion bei permanenter Steigerung. Wir sprechen zum Beispiel beim künftigen Stromverbrauch von einer Vervielfachung dessen, was heute produziert wird. Allein die Chemieindustrie wird, wenn sie denn elektrifiziert werden soll, so viel Strom verbrauchen, wie heute die ganze Bundesrepublik. Wenn wir ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozent haben und China von acht, dann heißt das, wir haben jedes Jahr zwei bis acht Prozent mehr Verbrauch von allem. Mehr Verbrauch von allem bedeutet: mehr Energie, um Rohstoffe aus dem Boden, dem Meer, den Wäldern zu holen. Mehr Energie für die Stoffumwandlung, um daraus Produkte zu machen. Mehr Energie, um das Zeug um den Globus zu transportieren. Mit dieser Logik des permanenten Immer mehr wird man Endlichkeitsprobleme nicht bewältigen können.

Ja, aber ist denn dieses permanente Immermehr nicht das Herz unseres Wirtschaftssystems, des Kapitalismus? Will sagen: Wenn wir damit aufhören wollen, müssten wir gleich auch mit dem Kapitalismus aufhören?

Wir haben doch gelernt, dass der Kapitalismus die geschmeidigste Wirtschaftsform von allen ist. Und wenn er etwas kann, dann ist es, sich an veränderte Umfeldbedingungen anzupassen. Mir ist das gar nicht einsehbar, warum eine hoch bezahlte Wissenschaft, die Ökonomik, nicht mehr zusammenbringt als eine Kapitalismustheorie, die darin besteht, dass der Kapitalismus funktioniert wie ein Fahrrad: Sobald ich aufhöre zu treten, kippt das Ding um. Das ist doch für Leute, die studiert und promoviert haben, sich habilitiert haben und auf Lehrstühlen sitzen, echt ein bisschen wenig. Zumal sie nun viele Jahrzehnte Zeit gehabt haben, sich Gedanken darüber zu machen, wie man eigentlich eine Wirtschaftsform entwickelt, die nicht monothematisch von Wachstum abhängig ist. Wir haben jetzt 200.000 Jahre Menschheitsgeschichte ohne Wachstum in dem heute definierten Sinne, und in der Zeit sind ziemlich viele Sachen gemacht und erfunden und verbessert worden, warum denn ausgerechnet in unserer Kultur nicht, warum ist unser ganzes Bestehen und Weiterexistieren von einem Parameter abhängig? Das will mir nicht recht einleuchten, zumal wenn der die Überlebensfähigkeit einschränkt, dieser Parameter.

Das leuchtet Ihnen nicht ein, trotzdem ist es so.

Was heißt, trotzdem ist es so? (lacht) Diese ganze Klamotte, die heute an den Universitäten gelehrt wird und von der die Standardökonomie lebt und sich gegenseitig Nobelpreise verleiht, ist doch historisch ein Produkt des Kalten Krieges: Das Wachstum-Konzept hat in der Systemkonkurrenz überhaupt erst Karriere gemacht! Weil man Maßzahlen brauchte, um zu zeigen, welches System das erfolgreichere und bessere ist. Klassische Ökonomen haben überhaupt nie von Wachstum geredet. Selbst Ludwig Erhard, der jeder sozialistischen Umtriebe unverdächtige ehemalige Wirtschaftsminister und Bundeskanzler, schreibt in seinem Buch „Wohlstand für alle”, dass die Ökonomen sich mittelfristig darüber Gedanken machen sollten, was nach dem Hyperwachstum kommt. Das schreibt er vor 60 Jahren, eingelöst wurde das aber nie.

Weil uns die nackte Angst befällt, wenn wir uns eine Wirtschaft vorstellen, die nicht wächst. Da kriegen wir Panik.

Ich nicht. Ich bin da ganz panikfrei.

Aber glauben Sie auch, dass es möglich ist, unsere Gesellschaft mit allem Lebenswichtigen zu versorgen, ohne dass die Standards jetzt um 50 Jahre zurückfallen, ohne eine Wirtschaftsweise, die immer weiter wachsen muss und wächst?

Ja, klar. Warum auch nicht?

Okay.

Im Grunde genommen handelt sich um eine Glaubensfrage. Ich kann den Glaubenssatz aufstellen: All das geht nur mit Wachstum. Aber dazu würde ich sagen: Historisch ging es auch anders. Außerdem: Wir sind doch alle so unfassbar innovativ. Unsere Gesellschaft ist anscheinend in jeder Hinsicht bereit, innovativ zu sein, aber nicht im wirtschaftlichen Denken. Das ist doch total abgefahren! Wenn die Finanzwirtschaft sich jetzt umstellt und Investitionen nur noch dort tätigt, wo nachhaltig gewirtschaftet wird, dann verändert sich etwas Grundsätzliches, auf der Ebene des Geldes, nicht des Denkens. Wenn die Gemeinwohl-Ökonomie von immer mehr Unternehmen praktiziert wird, dann wird nach anderen Kriterien bilanzieren als allein nach monetären, dann misst man: Wie ist die Gerechtigkeit den Mitarbeitern gegenüber, wie ist die Gerechtigkeit gegenüber der Umwelt? Wenn in der Produktion Umweltkosten endlich internalisiert werden, nicht mehr externalisiert, und so weiter, das sind alles Ansätze für eine Gesellschaftsentwicklung, die sich nicht allein am Wachstum orientiert. Mir geht das wirklich total auf den Senkel, dass eine moderne, sich selber Wissenschaftsgesellschaft bezeichnende Gesellschaft diesem Glauben huldigt, ohne ihn an relevanter Stelle infrage zu stellen. Das macht mich fertig als denkender Mensch.

Wahrscheinlich müssten wir in einer Wirtschaft, die vor allem auf Gemeinwohl-Ökonomie setzt, die auch die Kosten nicht abwälzt auf andere, sondern die Kosten einpreist, da müssten wir unsere Anforderungen runter schrauben. Glauben Sie nicht?

Ja, es könnte durchaus sein, dass man sich diesem furchtbaren, entsetzlichen, folterähnlichen Zwang unterwerfen muss, nicht mehr mit 650 PS und zweieinhalb Tonnen Gewicht einen Parkplatz in einem Parkhaus in der Innenstadt zu suchen. Das ist schon echt hart. Aber es könnte sein, dass man tatsächlich auf solche Dinge in Zukunft verzichten muss.

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Jetzt könnte man sagen, der Wachstumszwang betrifft nicht nur den Kapitalismus, sondern der kommt aus der Disposition des Menschen, zumindest seit er sesshaft geworden ist, Landwirtschaft betriebt etc. Diese Angst, dass wir uns gegen den kommenden Hunger schützen müssen, dass wir Dinge aufhäufen, weil wir nicht wissen, wie es nächstes Jahr ist, ob der Winter hart wird, das erschwert das Aufhören doch auch, von dem Sie sprechen?

(Lacht) Ich amüsiere mich nur gerade, weil ich, als ich das erste Buch von (Yuval) Harari gelesen habe, dachte: Vielleicht ist die Vorstellung, dass die Menschheitsentwicklung nach vorne geht, ja schon mit der neolithischen Revolution widerlegt worden. Vielleicht war die Jäger-Sammler-Nummer einfach eine intelligentere Lebensform, und das Verhängnis fing damit an, was Sie gerade beschrieben haben… Aber nun gut, daran können wir ja auch nichts mehr ändern.

Es gibt Leute, die sagen, damals wurde das Patriarchat erfunden und der Weizen und das Gluten begannen ihre unsägliche Vorherrschaft. Meine Frage ist ja eher …

Wahrscheinlich sind die Gehirne auch kleiner geworden.

… möglich. Aber wenn Sie sagen, wir müssen die Kulturtechnik des Aufhörens stärken, dann ist meine Frage: Erschwert nicht unsere Disposition, wie sie seit der Sesshaftwerdung ist, genau das?

Quelle         :         Der Freitag-online         >>>>>         weiterlesen

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Oben     — Harald Welzer at the See-Conference 2015 in the Schlachthof Wiesbaden

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Unten          —   Gruppenaufstellung für die Fotografen während der Mitgliedversammlung vom Freundeskreis Hannover im Kulturzentrum Pavillon am 9. März 2017 (von links): Der neu gewählte Vorstandsvorsitzende Matthias Görn, sein Amtsvorgänger Roger Cericius, die Geschäftsführerin Katharina Sterzer sowie der Gastredner Professor Harald Welzer, der für seine Vortrag zum Thema Offene Gesellschaft angereist war …

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Weltklimagipfel in Glasgow

Erstellt von Redaktion am 31. Oktober 2021

Vier weit verbreitete Irrtümer

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Außer Spesen für anwesende Idioten war nichts gewesen?

Von Susanne Schwarz

Die Fachbegriffe der Klimapolitik sind oft kryptisch, die Konflikte schwer überschaubar. Wir klären über die wichtigsten Fehleinschätzungen auf.

Irrtum 1: Klimagipfel geht um Klimaschutz

Klimaschutz ist Sinn und Zweck von Klimakonferenzen. So weit, so richtig. Aber das heißt nicht, dass die Zehntausenden Be­su­che­r:in­nen dieser Veranstaltungen darüber diskutieren, wo demnächst ein Windrad gebaut und ein Kohlekraftwerk abgestellt wird – dass es also im praktischen Sinn darum geht, wie die Emissionen rapide auf null kommen.

In diesem Jahr beginnt das wie üblich zweiwöchige Programm mit einem politischen Punkt: dem World Leaders Summit. Gleich am Montag und Dienstag reisen zahlreiche Staats­che­f:in­nen an, um die neuen Klimaziele ihrer Länder vorzustellen. Es ist ein bisschen wie die Stunde der Wahrheit für das Paris-Abkommen, das auf Freiwilligkeit aufbaut, also jedem Staat seinen Beitrag zum globalen Klimaschutz freistellt.

Im Konferenzjargon ist die Rede von NDCs, was für „na­tio­nally determined contributions“ steht. Diese nationalen Klimaziele müssen alle fünf Jahre aktualisiert werden. Das war gerade dran. Zur Debatte steht der Inhalt der präsentierten NDCs dann allerdings nicht. Dabei ist schon klar, dass sie gegenüber vorindustriellen Zeiten auf eine viel zu starke Erderhitzung von 2,7 Grad bis zum Jahr 2100 hinauslaufen.

Verhandelt wird hingegen an den letzten Fragen eines Regelwerks zum Paris-Abkommen. In diesem stehen zum Beispiel Vorgaben zur Transparenz: Welche Daten zu Wirtschaft und Emis­sio­nen müssen Länder in welcher Form erheben und offenlegen? Welche Informationen müssen die NDCs enthalten? Die große offene Frage geistert unter dem Schlagwort „Article 6“ durch die Klimawelt. Es geht dabei um Regeln für den Handel mit Klimaschutz, den der Artikel 6 des Paris-Abkommens grundsätzlich erlaubt. Sprich: Ein Land darf prinzi­piell in einem anderen Land Klimaschutz finanzieren und sich den Effekt selbst anrechnen. Im Idealfall würden reiche Länder das in Betracht ziehen, wenn ihnen zu Hause wirklich nichts mehr zum Verbessern einfällt – und in armen Ländern würden sie so das Geld für teure Maßnahmen bereitstellen, die dort sonst nicht stattfinden können.

Dieses Prinzip ärgert viele Klimaschützer:innen, denn sie bezweifeln, dass es je zu diesem Idealfall käme. Stattdessen befürchten sie, dass sich Regierungen sich ihre Klimabilanzen mit Handelsspielchen schön rechnen wollen. Es gibt auch durchaus Länder, die offen Interesse an Schlupflöchern bekunden: Brasilien will beispielsweise Doppelzählungen erlauben. Beide beteiligten Länder könnten sich den gekauften Klimaschutzerfolg dann anrechnen. Mit dieser Forderung steht das Land zwar allein da, es gibt aber weitere Verwässerungsvorschläge, die auf mehr Unterstützung rechnen können. Und: Bei den Klimaverhandlungen muss alles einstimmig beschlossen werden. Das führt dazu, dass auch ein einzelnes Land den Prozess blockieren kann.

Irrtum 2: Seit Paris gilt das 1,5-Grad-Ziel

Jedes Zehntelgrad zählt: Ob die Erde sich gegenüber vorindustriellen Zeiten um 1,5 oder um 2 Grad aufheizt, macht einen großen Unterschied. Es ist mehr und heftigeres Extremwetter zu erwarten, es drohen mehr Hungersnöte, mehr tödliche Hitzewellen, und es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wichtige Elemente des Erdsystems unwiederbringlich zusammenbrechen. Auch im Paris-Abkommen steht es deshalb drin. Oder? Ja und nein.

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Tatsächlich gibt es in dem Dokument die Formulierung, man werde Anstrengungen unternehmen, die Erderhitzung bei 1,5 Grad zu stoppen. Hauptziel ist aber das schon länger anerkannte 2-Grad-Ziel oder, wenn man es genau nimmt: das Ziel, die Erderhitzung bei „deutlich unter“ 2 Grad zu stoppen.

Während sich die 1,5 Grad im öffentlichen Diskurs schnell verbreitet haben, sind etliche Regierungen auf der Weltklimakonferenz sehr darauf bedacht, dass das nicht zum internationalen Standard wird. Auf der COP24 im polnischen Katowice blockierten die Ölländer USA, Russland, Kuwait und Saudi-Arabien die Verhandlungen, um durchzusetzen, dass der Sonderbericht des Weltklimarats zum 1,5-Grad-Ziel im Beschluss der Konferenz nur „zur Kenntnis genommen“ statt „begrüßt“ wird.

Irrtum 3: Ist doch klar, wo es hingehen muss!

Quelle        :         TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Oben     — Die Vertreter der Staaten am ersten Tag der Konferenz.

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Unten     —   A photograph of the Arctic ice

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Eine Flucht nach vorn

Erstellt von Redaktion am 28. Oktober 2021

Wer will es hier verstehen – Internationale Klimapolitik

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Von Anna-Katharina Hornidge und Steffen Bauer

Die Erwartungen an die UN-Klimakonferenz sind hoch. Wie schafft es die Weltgemeinschaft, vor die Kaskade sich verstärkender Krisen zu kommen?

Sechs Jahre nach Abschluss des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2015 steigen die globalen Treibhausgasemissionen weiter an, allein im Jahr 2018 auf 55 Gigatonnen. Zwar stagnieren die Emissionen der OECD-Staaten inzwischen, sie bleiben aber pro Kopf weit höher als im Rest der Welt. Gleichzeitig steigen die Emissionen der Entwicklungs- und Schwellenländer weiter an, auf gegenwärtig bereits rund zwei Drittel der jährlichen globalen Treibhausgasemissionen. Ohne drastisches Gegensteuern laufen wir auf eine globale Erwärmung von mehr als 3 Grad zu. Damit gefährden wir Wohlstand und Entwicklungschancen weltweit, mit dramatischem Verlust von Biodiversität und Lebensräumen.

Wir stehen vor einer Zerreißprobe innerhalb und zwischen Gesellschaften, die nicht zuletzt Demokratie, Frieden und Menschenrechte gefährdet. Die Covid-19-Pandemie hat diese Risikokaskade weiter verstärkt. Zudem verzögert sie in vielen Ländern eine ambitionierte Klimapolitik.

Die UN-Klimakonferenz COP 26, die vom 31. Oktober bis zum 12. November im schottischen Glasgow tagt, soll Abhilfe schaffen. Sie muss zeigen, dass die internationale Klimapolitik handlungs- und funktionsfähig ist. Die Erwartungen an die britische COP-Präsidentschaft sind hoch. Es müssen in Glasgow Lösungen gefunden werden – insbesondere hinsichtlich der „Marktmechanismen“ wie dem internationalen Handel mit Emissionszertifikaten.

Covid-19-bedingte Hygiene- und Einreiseregeln sowie die damit verbundenen Extrakosten erschweren jedoch die Beteiligung vieler Vertreterinnen gerade aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Können diese vor Ort nicht angemessen ihre Interessen vertreten, wird eine Einigung in politischen Streitfragen kaum möglich sein.

Wie also schaffen wir es als Weltgemeinschaft, vor die Welle zu kommen, vor die Kaskade sich verstärkender Krisen? Wie kann eine Flucht nach vorn aussehen, die in allen Teilen der Welt als gerecht empfunden würde?

Die entsprechenden Leitlinien finden sich in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für Nachhaltige Entwicklung und dem Pariser Klimaabkommen. Nachhaltige globale Entwicklung wird unerreichbar bleiben, wenn die globale Erwärmung 2 Grad überschreitet. Und während die Industrieländer als historische Hauptverursacher des Klimawandels hierfür unbestreitbar eine besondere Verantwortung tragen, sind die Hauptemittenten heute global gesehen die großen Schwellen- und Entwicklungsländer. Ihnen fällt die Rolle der zentralen Game Changer im Kampf gegen den Klimawandel zu. Um diese zu füllen, benötigen sie jedoch die entsprechende internationale Unterstützung. Die Covid-19-Wiederaufbauprogramme müssen eine global gerecht verteilte, auf Kohleemissionen verzichtende Modernisierung unserer Wirtschafts- und Sozialsysteme vorantreiben.

Die Covid-19-Finanzspritzen müssen für Dekarbonisierung in allen Wirtschaftsbereichen eingesetzt werden

Europa und insbesondere Deutschland fällt hierbei eine ressourcenstark und verlässlich indirekt führende Rolle zu, die es Vertragsstaaten aller Ländergruppen ermöglicht, ambitionierte nationale Klimaziele zu formulieren und umzusetzen. Im Zentrum steht dabei die Dekarbonisierung der Wirtschaftssysteme mit besonderem Fokus auf Energieerzeugung, Industrie, Land- und Forstwirtschaft, Wassernutzung und Fischerei, sowie der Ausbau sozialer Sicherungs- und Gesundheitssysteme für gesellschaftliche Akzeptanz und Krisentauglichkeit. Zudem müssen rasante Urbanisierungsprozesse insbesondere in Afrika, Asien und Lateinamerika klimagerecht gestaltet, Ökosysteme, Demokratien, Frieden und Menschenrechte geschützt werden.

Die transformativen Hebel liegen in der Ausgestaltung des globalen Finanzsystems und in einer Regierungsführung, die Rechtssicherheit und Menschenrechte garantiert. „Sustainable finance“-Instrumente wie die CO2-Bepreisung oder der von der EU-Kommission vorgeschlagene Grenzausgleichsmechanismus CBAM müssen weiterentwickelt werden.

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Oben     —   KW Neurath von Osten – 180208

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Unten     —       Logos internationaler Klimaschutzkonferenzen

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Elektro – Fahrzeuge

Erstellt von Redaktion am 26. Oktober 2021

Die Ampel ist gut für Tesla

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Von Ferdinand Dudenhöffer

Rot-Grün-Gelb deutet auf eine Richtungsänderung: weg von Plug-In-Hybriden – hin zur staatlichen Subventionierung vollelektrischer Fahrzeuge.

Bei den Ampel-und den kommenden Koalitionsgesprächen wird auch über die Autoindustrie zwischen Grünen, FDP und SPD gesprochen. Mit dem Verzicht auf ein Tempolimit haben die Grünen wichtige Zugeständnisse gemacht. Auch deshalb könnten weniger populäre Subventionen schnell auf die Agenda kommen. Ausgemachtes Thema bei der FDP ist, mit Preis- und ordnungspolitischen Maßnahmen die CO2-Wende im Automarkt zu erreichen. Damit werden Subventionen, wie die heutigen staatlichen Umweltprämien beim Elektroautokauf von bis zu 6.000 Euro, diskutiert. Für eine schwarze Haushalts-Null kann man nicht beliebig weiter subventionieren.

Auf Gegenliebe bei den Grünen stößt dabei mit Sicherheit die Streichung der Umweltprämie für die wenig geliebten Plug-In-Hybride (PHEV). Eine gelb-grüne Streichung der PHEV-Subventionen macht weiter deutlich, dass das alte Merkel-Modell, einfach weiter und für jeden ein bisschen, nicht mehr Leitlinie ist. Die Streichung der PHEV-Umweltprämie ist zusätzlich ein Symbol, das der Bevölkerung nach all den Berichten zur Pseudo-Umweltverträglichkeit der Plug-Ins gut vermittelbar ist. Damit sollte auch in den SPD-Gesprächen das Ende der PHEV-Förderung nicht auf allzu große Gegenwehr stoßen.

Bei einer potenziellen Streichung handelt es sich nicht um „Peanuts“. So wurden nach unserer Schätzung knapp eine Milliarde Euro in den ersten neun Monaten des Jahres benötigt, um den Autokäufern den Erwerb von 241.064 Plug-In-Hybriden zu versüßen. Übers Gesamtjahr 2021 belastet die Plug-In-Prämie den Staatshaushalt mit deutlich mehr als einer Milliarde Euro.

Wer wäre nun Gewinner und Verlierer bei einer solchen Streichung? Auf Grundlage der Pkw-Verkäufe der ersten neun Monate des Jahres haben wir die PHEV-Anteile der einzelnen Herstellergruppen im deutschen Automarkt ermittelt. Der klassische PHEV-Anbieter im deutschen Automarkt ist Volvo. Bei 100 Volvo-Neuwagen sind 42 davon Plug-In-Hybride. Die kleine Schwester Pole­star hat die PHEV-Anteile bei der Gruppe Volvo-Pole­star leicht auf 40,1 Prozent gedrückt. An zweiter Stelle stehen die Japaner mit Mitsubishi mit 26,8 Prozent und Mercedes-Smart mit 24,6 Prozent PHEV-Anteil. Auch hier hilft die kleine Schwester Smart, den Anteil zu drücken. Zusammengefasst: Die deutschen Autobauer sowie Volvo, Mitsubishi, Jaguar Landrover profitieren überproportional von der Plug-In-Prämie. Ein Streichen der Prämie würde diese Autobauer stärker treffen, da die Fahrzeuge Preisvorteile verlieren. Damit gerät auch das Erreichen der CO2-Grenzwerte in Gefahr. Eine weitere teure Angelegenheit. Im Gegenzug müssten daher die vollelektrischen Autos stärker im Vertrieb angeschoben werden.

Electric vans owned by the University of Warwick.jpg

Bleibt die Frage nach den Gewinnern, wenn PHEV-Modelle nicht mehr gefördert werden. Vollelektrische Fahrzeuge würden bei Wegfall der Prämien wettbewerbsfähiger. An den Daten für die ersten neun Monate im Markt Deutschland ist erkennbar, dass alle, die heute hohe vollelektrische Bauteile haben, ihre BEV-Verkäufe und damit auch ihre Gesamtverkäufe zusätzlich steigern können. Damit sind sie die Gewinner.

Die Ampel macht Tesla zum größten Sieger auf dem deutschen Automarkt und danach mit großem Abstand Hyundai-Kia, Renault-Dacia, Porsche, Nissan, VW und Mercedes-Smart. Auf der Verliererseite stehen Honda, der Stellantis-Konzern, Skoda, BMW-Mini, Mazda, Volvo-Polestar, Audi, Seat, Jaguar-Landrover, Ford und Toyota-Lexus.

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Oben     —         Pickman Vehicles and a Site Solar Generator at their Soft Launch Zion National park. Model Names (Front to back): Passenger, XR, Classic, Site Solar Powered Generatorr

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Vollgas statt Tempolimit

Erstellt von Redaktion am 24. Oktober 2021

Die Klimadebatte bewegt sich auf Vorschulniveau.

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Von Bernhard Pötter

Die Ampelkoalition braucht eine ganz neue Klimapolitik. Sie muss Chefsache mit Vetomacht sein – und sehr detailliert.

Eines der zentralen Probleme der deutschen Klimapolitik ließ sich am Dienstag dieser Woche kurz vor Mitternacht im ZDF begutachten. In der Talkshow von Markus Lanz saß rund um den grünen Co-Chef Robert Habeck eine qualifizierte Runde aus Politik und Journalismus, um gepflegt über die Ampelverhandlungen zu diskutieren. Aber sobald es um Klimaschutz ging, konzentrierten sich die Fragen des Moderators auf Nebensächlichkeiten: Fleisch essen. Inlandsflüge. Und immer wieder: Tempolimit auf der Autobahn.

Das wird es nicht geben. Die Grünen haben in den Sondierungen der FDP nachgegeben. Tempo 130 wäre vernünftig und wünschenswert. Deutschland würde damit endlich in den Kreis der verkehrspolitisch zivilisierten Länder aufsteigen. Und doch ist das grüne Nachgeben ein kluger strategischer Zug. Denn mit ihm wird eine ideologisch verzerrte Scheindebatte beendet: Verbotspartei gegen „Freie Fahrt für freie Bürger“. Tempo 130 würde auf den Autobahnen Leben retten, auf jeden Fall. Aber eine Maßnahme, die im besten Fall zwei von 800 Millionen Tonnen CO2 einspart, ist kein Lackmustest für gute oder schlechte Klimapolitik.

Genau so aber schien es bei Lanz. So wogte der Vorwurf „Verrat“ hin und her, alte und neue grüne Versprechen wurden hervorgekramt. Die Debatte bildete damit das tiefergelegte Niveau des Wahlkampfs beim Thema Klimaschutz ab: kleingekocht auf empörungsgerechte Häppchen und den FDP-Vorwurf an die Grünen, eine „Bullerbü“-Idylle mit Lastenrädern zu propagieren.

Aus dieser Debatte auf Vorschulniveau müssen die VerhandlerInnen, die die nächste Regierung des mächtigsten EU-Staates bilden wollen, schnell aussteigen. Und Kompromisse bei den wirklich wichtigen Fragen finden, um der gigantischen Herausforderung zu begegnen, die ein klimaneutrales Deutschland in nur noch 24 Jahren bedeutet. Im Sondierungspapier haben SPD (Mindestlohn, Rente) und FDP (Schwarze Null, keine Steuererhöhungen) ihre Pflöcke eingeschlagen. Die Klimaschutzideen der Grünen (Solardächer, Kohleausstieg) klingen wolkiger mit „sollen“ und „wollen“. Das ist zum Teil den komplexen Themen geschuldet, zum Teil aber wohl auch einem „Klimakanzler“ in spe Olaf Scholz, der klare Aussagen zu dem Thema scheut.

Genau die muss es aber in einem Koalitionsvertrag geben, wenn die Ampel irgendwie Ernst machen will mit dem großen Versprechen, dieses Land klimaneutral neu aufzustellen. Im Schlafwagen kommt man nicht zur „grünen Null“. Dafür müssen die VerhandlerInnen an vielen kleinen Rädchen im Maschinenraum der deutschen und europäischen Volkswirtschaft drehen.

Diese Liste ist lang und längst nicht abgeschlossen. Erste Erkenntnis: Es gibt keinen Masterplan, der jetzt schon für alle Probleme und Widerstände eine Lösung hat. Aber eine Strategie muss klare Leitplanken bieten, worauf sich BürgerInnen und Unternehmen langfristig einzustellen haben.

Zum Beispiel – auf einen steigenden CO2-Preis im nationalen Emissionshandel. Dieses zentrale Thema wurde absurderweise im Wahlkampf ebenso ausgeklammert wie im Sondierungspapier der Ampel. Dabei ist klar: Die Preise müssen steigen, um die höheren Klimaziele zu erreichen, wie es die grüne Kandidatin Annalena Baerbock schon im Frühjahr gefordert hat – und dafür von Olaf Scholz als unsozial hingestellt wurde. Jetzt muss die Ampel – mitten in einer Debatte um steigende Energiepreise – hier Klarheit schaffen oder andere Maßnahmen wie Verbote finden, um die CO2-Einsparungen zu schaffen. Gar nicht so einfach, Baerbock nachträglich recht zu geben, ohne Scholz nachträglich bloßzustellen.

Fast noch wichtiger ist es, einen praktikablen Weg zu finden, diese Einnahmen transparent an die BürgerInnen zurückzugeben – und Klimaschutz damit sozial gerecht zu machen. Denn vor allem die ärmere Bevölkerung, die weniger heizt, konsumiert und Auto fährt als die Reichen, muss trotz höherer Preise entlastet werden. Das ist technisch und datenschutzrechtlich nicht einfach, aber machbar. Und es zahlt sich für alle aus: Denn ein jährlicher Scheck zu Weihnachten über 50 bis 70 Euro pro Kopf ist eine viel bessere Werbung für die Energiewende als die Senkung der Strompreise, die niemand wirklich bemerkt. Vor einer Woche wurde zum Beispiel die EEG-Umlage auf den Strompreis fast halbiert. Jubelschreie der VerbraucherInnen waren nicht zu hören.

Der zentrale Punkt ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. Ihn wollen alle, aber der Teufel steckt im Detail. Die neue Koalition muss Flächen bereitstellen und Kommunen besser finanziell beteiligen, Verfahren beschleunigen, aber ohne kurzen Prozess mit berechtigten Ängsten und Artenschutz zu machen. Viele Konzepte für diese kleinen, aber entscheidenden Veränderungen liegen in den Schubladen, etwa der „Stiftung Klimaneutralität“ des grünen Ex-Staatssekretärs Rainer Baake. Man muss aber den Mut haben, sie rauszuholen.

Was bislang völlig fehlt, ist der Blick nach Brüssel. Effektiver Klimaschutz muss klare Vorstellungen für die Zukunft des EU-Emissionshandels entwickeln und die EU-Kommission beim Klimaschutzpaket „Fit for 55“ unterstützen. Dieser Umweg über Brüssel wird zu Hause vieles erleichtern. Anders als viele glauben, entscheidet sich weder der Kohleausstieg „idealerweise bis 2030“ noch das Aus für den Verbrennungsmotor 2035 in Berlin. Diese Entscheidung geben EU-Regeln für den Emissionshandel und die Flottengrenzwerte für CO2 vor.

Zu Hause wiederum hat eine rot-grün-gelbe Koalition eine große Chance: Klimapolitik als Sozialthema zu definieren. Höhere CO2-Kosten müssen in Zukunft zwischen Mieter und Vermieter gerecht geteilt werden, ein Energiegeld und Hilfen zum Energiesparen greifen den Ärmeren unter die Arme. Dazu muss eine große Anstrengung kommen, um HandwerkerInnen zu finden und auszubilden, die Gebäude dämmen und nachhaltige Heizungen bauen. Ein besseres Programm für all die Schlagworte wie Beschäftigung, Wachstum, Mittelstandsförderung und Innovation werden SPD, FDP und Grüne kaum finden.

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Oben     —   GT3 RS.

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Bavaria Nuklearia :

Erstellt von Redaktion am 22. Oktober 2021

Atom – Propaganda in BR – „Beta Stories“

Operation Upshot-Knothole - Badger 001.jpg

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Hannes Sies

Besonders dümmliche Propaganda liefert mal wieder der Bayrische Rundfunk (BR). In seiner Doku-Reihe „Beta Stories“ erklärt er, (Untertitel) „Wie Kernkraft in Zukunft doch wieder eine Option wird“. Wie? Durch AKW der „Vierten Generation“, bekanntlich das letzte Aufgebot, der „nukleare Volkssturm“ der Atomindustrie. Dabei wird tendenziös verzerrtweggelassen und schöngelogen, schlimmer als bei ARD & ZDF. „Atomkraft Ja bitte?“

Der BR setzt sein Framing: „Wir haben ein Problem: Zuwenig von den Erneuerbaren. Gleichzeitig steigen wir aus Kohle und Atomkraft aus.“ Dazu dreht sich traurig ein Windrad und schöne AKW-Kühltürme werden gesprengt -sublime Botschaft: Welch eine Verschwendung!

Der Ausstieg aus der Atomenergie sei seit Fukuchima eine beschlossene Sache… Der Freistaatsender BR kommt zu seiner Kernbotschaft: „Oder doch nicht? Eine Demo in Landshut. FÜR Atomkraft! Für eine neue Generation von Kernkraftwerken, der sogenannten Generation Vier!“

Unsere ATOM-JA-BITTE-Fahne flattert uns voran

Dazu Bilder von einer friedlich-fröhlichen Demonstration, falls man die maximal ein bis zwei Dutzend Leute so nennen möchte, auf einem Dorfplatz unter flatternden Fahnen. Die zeigen ein Logo in Bajuwarisch-Blau mit grinsendem Atomkern (Schriftzug: „NUCLEAR POWER? YES PLEASE“), statt der lachenden roten Sonne der Atomgegner, die man hier nicht sieht. Überhaupt sieht man weder Gegendemonstranten noch Polizei auf dieser seltsamen „Demo“.

Was machen die BR-Journalisten? Recherchieren sie knallhart nach, ob sich da eine PR-Truppe der Atomindustrie präsentiert? Ob das klägliche Spektakel mit schmierigem Geld aus der Porto-Kasse der Atommafia finanziert wurde? Nicht ganz. Die BR-Filmer benehmen sich vielmehr als wären sie das bezahlte Kamerateam der Atomfreunde. Der BR adelt den offenbar einzigen Redner dieser „Demo“ zum Hauptexperten seiner „Beta Story“ über Atomkraft. Einer „Beta Story“ die weder Alpha-, noch Gamma- noch Beta-Strahlung erwähnen wird, geschweige denn die Krebserkrankungen, Erbschäden und Missbildungen, die Radioaktivität verursacht. Atommüll in Uranmunition? Störfälle bei der Wiederaufarbeitung? Für Generationen verseuchte Landstriche, Kinder-Leukämie, Schilddrüsenkrebs durch radioaktives Jod? So was müssen „mir in Bayern“ doch nicht wissen, der BR ist Hort der Atom-Euphorie. Verpflichtung zu vollständiger, unabhängiger Information? Ah, geh!

Der aufhaltsame Auftstieg des Atommafioso Ui?

Wer finanziert die Pro-Atom-Demo? Die CSU? Die Atommafia? Eine professionelle Astroturf-Agentur in deren Auftrag? Das erfahren wir nicht, denn die BR-Doku will nicht hinterfragen, sie will glauben -dem Redner der Atomfans. Der seriöse Mittfünfziger trägt ein Shirt mit Atomkern-Logo und Aufschrift „Nuklearia“ und textet wie ein Werbe-Fuzzi in die BR-Kamera:

„Kernenergie der Generation Vier, das ist eine ganz neue Art von Kernreaktoren! Und ich denke, das wird viele Menschen davon überzeugen, der Kernenergie eine neue Chance zu geben!“

Schnitt. Ein Labor, klein und beschaulich wie ein Handwerksbetrieb, drei grauhaarige Männer arbeiten emsig an geheimnisvollen Apparaturen, der BR dazu:

„Auf der ganzen Welt tüfteln Forscher an neuen Konzepten der Generation Vier. Wie gut sind die Ideen?“ Schnitt. Imposante Reaktorkuppeln rauschen auf uns zu, in unscharfen Schwarzweiß-Retro-Bildern wie bei einer NS-Wochenschau, der BR:

„In den 50er- und 60er-Jahren war Kernenergie DER STAR. Der erste Reaktor überhaupt: In Garching bei München! Bei Kahl in Unterfranken geht das erste Kernkraftwerk ans Netz!“

-Sublime Propaganda-Botschaft: Atom! Was für eine tolle Sache! Und mir in Bayern ganz vorne mit dabei!-

Schnitt. Verrauschter O-Ton Otto Hahn, gekennzeichnet als „Entdecker der Atomspaltung und Nobelpreisträger“, steht mit prächtiger Medaille an goldener Kette, Rednerpult vor großem Auditorium und schwadroniert:

„Dann müssen wir uns fragen, bei der Verknappung der Energieträger Öl und Kohle,

ist es nicht doch ein Segen, dass es gelang, den Atomen ihr Geheimnis zu entreißen und sie nutzbar zu machen?“

Atom-Probleme? So gut wie gelöst!

Soweit die ersten anderthalb Minuten Pro-Atom-Jubel dieser beta-stories-Doku. Doch nun, mault die BR-Sprechrin, sitze die Atomenergie irgendwie „auf der Anklagebank“. Punkt 1. Auch Uran-Brennstoffe seien irgendwann erschöpft, 2. Das Endlagerproblem, 3. der Betrieb der AKWs sei gefährlich, wie man in Tschernobyl und Fukuchima leider zugeben musste. Ein paar verschwommene Bilder von Fukuchima, dann ist der Ausgewogenheit nach BR-Manier genüge getan.

Fukushima I by Digital Globe crop.jpg

Schnitt. Blaue Fahne flattert im Wind, Lettern um fröhlich grinsenden Atomkern: „ATOMKRAFT? JA BITTE“, die BR-Sprecherin jauchzt, nach sagenhaften 45 Sekunden genölter Kritik, nun wieder optimistisch:

„Die Demonstranten sehen das anders! Eine neue Generation von Reaktoren entschärft für sie alle Anklagepunkte!“ Wieder der auf seriös gestylte Nuklearia-Atomfan vom Anfang (diesmal vor AKW-Kulisse, der Mann kommt rum mit seinem BR-Filmteam) im Werbefuzzi-Tonfall in die Kamera:

„Generation Vier ist nachhaltig weil sie die Uran-Brennstoffe praktisch ins Unendliche hinaus verlängert. Sie löst das Atommüll-Problem, weil der Atommüll dann kein Müll mehr ist, sondern Brennstoff. Und sie sollen noch sicherer sein als es die Reaktoren der Generation 2 und 3, die wir heute in Betrieb haben, schon sind.“ Schnitt. Flatternde Fahne, grinsender Atomkern: „NUCLEAR POWER? YES PLEASE“. Na bitte, alle Probleme der Atomnutzung gelöst in unter drei Minuten! So leicht kann man es sich machen. Selbst die ARTE-ZDF-Doku „Uran und Mensch“, die als Quasi-Werbefilm der australischen Uran-Industrie daher kam, hatte mehr zu bieten.

Brennstäbe liegen wie in einer heißen Badewanne

Der erbärmlich Rest der 20-Min-Doku vertieft die vollmundigen Werbe-Versprechungen der Atomindustrie, meist im „Sendung-mit-der-Maus“-Stil. Die Brennstäbe liegen „wie in einer heißen Badewanne“, da fehlt nur noch ein kühles Bier. Und eine Partie Billard im Dorfkrug, an denen zeigt der BR die Kernspaltung.

Das Kühlmittel Wasser werde künftig durch flüssiges Natrium, geschmolzenes Blei, Helium oder ein Gemisch von Uransalzen ersetzt. Eines harmloser als das andere. Natrium sei zwar hochexplosiv und im Wasser hochätzend (BR: Seht nur, wie es zischt!), aber die Russen haben das auch in den Griff gekriegt, so später der BR-Nuklearia-Experte, da gabs nur „geringe Sachschäden“.

Im Hochtemperaturreaktor kann es angeblich keine Kernschmelze mehr geben, weil die Brennelemente Kugeln sind. Da muss man nichts abschalten zum Wechseln der Brennstäbe, man tut die Kugeln oben rein „und unten rollen sie wieder raus“. Einzige „böse Überraschung“: Teile des Testreaktors Jülich waren radioaktiv belastet, der Rückbau war teuer. Da muss man doch mal einen Kritiker zu Wort kommen lassen, Hr.Pistner vom Öko-Institut warnt vor Störfällen und Graphitbrand. Wird aber immer schnell widerlegt, der hat ja keine Ahnung, wie er da unseriös vor Fotos von der Fußballmanschaft seines Sprösslings in seiner Wohnstube hockt.

Plutonium ist in Bayern völlig ungefährlich

In Reaktoren, so erfahren wir, gibt’s schnelle Neutronen, die erzeugen sogar Plutonium! BR: „Das ist, wie auch Uran, spaltbar. Zusätzlicher Brennstoff wird hergestellt, erbrütet.“ (Die Billardkugeln kullern lustig herum) Unser Nuklearia-Atomfan ist begeistert: Da entsteht immer neuer Brennstoff! Plutonium? Ist das nicht ein irgendwie gefährlicher Stoff? Hochgiftig? Hochradioaktiv für Jahrtausende? Tödlich schon bei winzigen Stäubchen in der Lunge? Und ein Bierkrugvoll reicht für eine Atombombe? Ach was! Alles irrelevant für BR-Journalisten.

Der Schnelle Brüter in Kalkar war ein Natrium-gekühlter Reaktor, aber „in Deutschland gab es keine Zukunft für ihn -in anderen Ländern schon, etwa in Russland. Stop hier -freie Fahrt dort.“

Außerdem gibt’s neben Natrium ja noch Blei („Wir kennen das vom Bleigießen“) oder Helium -das ist toll, das brennt nämlich nicht! Wir sehen das am Luftballon (bei Wasserstoff macht es Peng, bei Helium nicht). Und Atommüll bleibt ja auch nicht übrig, hurra! Der miesepetrige Kritiker vom Ök-Institut hat zwar was zu meckern: Da blieben noch Reststoffe, ein Endlager bleibe nötig. Doch Herr Nuklearia weiß es besser: Alles Unsinn, „Experten“ sagen das Gegenteil. Kernschmelze? Ach was, da nehmen wir einfach verflüssigte Uransalze als Brennstoff, das ist ja schon geschmolzen, Kernschmelze also nicht möglich. Der Fußballfan-Öko-Institut-Kritiker zweifelt zwar, ob Materialien existieren, die solchen Schmelzen standhalten, aber was weiß der schon! Die Pro-Atom-Gegenexperten sehen viele Chancen und „Die Generation Vier wird kommen!“.

Atom-Minister Franz-Josef Strauss, Starfighter und Bilderberger

Tiefverwurzelt in bajuwarischer Scholle und katholischem Glauben, so kennen wir den kryptototalitären Freistaats-Sender BR. So hinterließ ihn der CSU-Heilige Franz-Josef Strauss, der skandalerprobte Landesfürst, Bundesminister und Möchtegern-Kanzler, der mit seiner Starfighter-Affäre 1976 sogar die jährliche Bilderberg-Geheimkonferenz unserer transatlantischen Plutokraten-Elite auseinander scheuchte. In den angeblichen Spitzentechnologie-Kampfjets starben mehr Piloten bei Absturz in Friedenszeiten als die Bundeswehr in 20 Jahren Afghanistan-Krieg an Soldaten verlor. Atom-Minister Strauss hatte sich einst die nukleare Bewaffnung Westdeutschlands abschminken müssen, aber durch sogenannte „friedliche Nutzung“ lässt sich die Option auf die deutsche Atombombe immerhin aufrecht erhalten. Der BR ist dieser Linie treu ergeben, in seinen „Beta Stories“ von Reaktoren der „Vierten Generation“, dem nuklearen Volkssturm der Atomindustrie. Unsere Öffentlich-Rechtlichen erweisen sich trotz aller Kritik, sogar von Rechts, als erneut als Anstalten für die Bedürfnisse von MilitärIndustrie und Machteliten.

ARD-Mediathek Beta-Stories: Atomkraft Ja bitte? „Wie Kernkraft in Zukunft doch wieder eine Option wird“ 6.10.2021, im Infotext immerhin wird die ideologische Position der Atomkonzerne vom BR ins Konjunktiv gesetzt. „BR Fernsehen: Diese Doku zeigt, wie eine neue Art von Atomreaktoren die Kernkraft wieder zu einer Option für unsere Stromversorgung machen könnte. Video verfügbar bis 5.10.2026“

Siehe auch:

Hinter einer Nebelwand aus Propaganda: Frieder Wagner – Uranmunition

http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27716

Uranmunition: Die Grünen gehen in Deckung, die Linke kämpft

http://www.scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=78466&cHash=d03b938747

Atom-PR-Doku „Uran und Mensch“

http://www.scharf-links.de/42.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=78447&cHash=f168d5c482

Frieder Wagner: Todesstaub made in USA -Uranmunition verseucht die Welt

http://www.scharf-links.de/45.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=78389&cHash=a990574f56

Urheberecht
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Grafikquellen      :

Oben          —     The BADGER explosion on April 18, 1953, as part of Operation Upshot-Knothole, at the Nevada Test Site.

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Akzeptanz von Klimapolitik

Erstellt von Redaktion am 21. Oktober 2021

Im Interesse der Lobbyisten

FridaysForFuture protest Berlin 2021-09-24 24.jpg

Von Malte Heynen

Die Bevölkerung ist in der Klimafrage viel weiter als oft behauptet. Tatsächlich sind es Lobbygruppen, die konsequenten Klimaschutz verhindern.

Man hört die These ständig: Die Rettung des Klimas sei leider nicht durchsetzbar. Die Wäh­le­r*in­nen würden Klimaschutz nur in homöopathischen Dosen akzeptieren. Die Politik ist demnach einsichtig, die Bevölkerung aber leider unwillig. Manchmal hört man sogar eine absurde Zuspitzung dieser These: Klimaschutz lasse sich nur in einer Diktatur durchsetzen. Doch die These ist doppelt falsch.

Die Bevölkerung ist erstens beim Klimaschutz weiter als die Politik. In Umfragen fordert eine klare Mehrheit mehr Tempo. Zweitens ist es scheinheilig, wenn Bundesregierung und Landesregierungen behaupten, sie würden nichts gegen den Willen der Bevölkerung beschließen. Tatsächlich hört die Politik oft mehr auf mächtige Lobbys als auf die Bürgerinnen und Bürger – auch beim Klima.

Die Umfragen zeigten einen eindeutigen Trend; bei der Wahlentscheidung beispielsweise lag die Sorge um das Klima auf Platz eins: In einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen nannten 46 Prozent der Befragten den Klimaschutz als das wichtigste Problem. Mit großem Abstand folgten Corona und die Rente. Kein Wunder, dass sich sogar Olaf Scholz, der einen konsequenten Klimaschutz vehement blockiert hatte, im Wahlkampf plötzlich als entschlossener Klimaschützer inszenierte – als Bundeskanzler werde er im ersten Jahr für Tempo sorgen, versprach er. Er hat erkannt, dass er seinen Wahlerfolg nicht mit zu viel Klimaschutz gefährdet, sondern mit zu wenig.

Bereits vor zwei Jahren war eine Mehrheit von 86 Prozent bereit, für Klimaschutz den eigenen Konsum deutlich einzuschränken. Diese Mehrheit gab es also schon, bevor in Deutschland fast 200 Menschen bei der Flutkatastrophe gestorben sind und in Griechenland eine Waldfläche von der Größe des Bodensees verbrannte. Die klaren Mehrheiten sind besonders erstaunlich, weil Medien bis heute nicht deutlich genug machen, wie brenzlig die Lage ist.

Ein Flug, billiger als eine Bahnfahrt

Zu Recht hat die Coronakrise für mehrere Monate die Schlagzeilen beherrscht. Genauso sollte es längst bei der Klimakrise sein. Das ist fatal, denn Information bewirkt etwas. Ein Beispiel: Vor einigen Wochen haben sich beim „Bürgerrat Klima“ 160 Deutsche über Klimaschutz informiert. Sie waren per Losverfahren aus der Gesamtbevölkerung ausgewählt worden. Die 160 kamen am Ende zu dem Schluss, dass die Maßnahmen der Bundesregierung bei Weitem nicht ausreichen. Die Bür­ge­r*in­nen befürworteten mit klaren Mehrheiten viel entschiedenere Aktionen.

FridaysForFuture protest Berlin 2021-09-24 bicycle demonstration from Willy-Brandt-Haus 02.jpg

Oft wird eingewendet: Warum setzen die Menschen Klimaschutz nicht einfach selbst um? Zeigen nicht die freien Entscheidungen der Einzelnen, dass sie nicht zu großen Verhaltensänderungen bereit sind? Nein, denn wir sind zum einen nicht frei in unseren Entscheidungen. Das derzeitige Wirtschaftssystem zwingt uns umweltschädliches Verhalten geradezu auf. Ein Flug ist oft billiger als eine Bahnfahrt, eine neue Waschmaschine kostet weniger als die Reparatur der alten.

Zum anderen sind viele Menschen erst dann bereit, etwas für die Gemeinschaft zu tun, wenn alle anderen mitmachen. Genau deshalb kommt auch keine Regierung auf die Idee, bloß höflich darum zu bitten, dass alle ihre Steuern zahlen, bei Rot nicht über die Ampel fahren oder sich an das Strafgesetzbuch halten. Wenn ein Verhalten für Einzelne Vorteile bringt, aber für die Gemeinschaft Nachteile, ist klar, dass es klare Regeln braucht, um schädlichen Egoismus einzudämmen.

Solche Regeln zu erlassen, ist der zentrale Auftrag jeder demokratischen Regierung. Das Grundgesetz formuliert es wundervoll: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt.“ Klimaschädliches Verhalten verletzt massiv die Rechte anderer, vor allem die der Jüngeren. Doch die Bundesregierung hat das erst dann berücksichtigt, als sie vom Bundesverfassungsgericht dazu gezwungen wurde. Die bisherige Klimapolitik handelt also keineswegs im Interesse der Bevölkerung, sondern im Interesse mächtiger Lobbygruppen.

Nebelkerzen der Lobbygruppen

Quelle        :      TAZ-online        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —    FridaysForFuture protest Berlin 2021-09-24

Unten      —     Fahrradzubringer zur Großdemonstration von FridaysForFuture vom Willy-Brandt-Haus nach Schöneberg und von dort zum Platz der Republik.

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Ein — Exempel Haiti :

Erstellt von Redaktion am 19. Oktober 2021

Das Scheitern des humanitären Interventionismus

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von Katja Maurer

Wir erleben gerade eine welthistorische Zäsur. Das Ende des internationalen Afghanistan-Einsatzes stellt viele Vorstellungen des westlichen Weltverständnisses in Frage. Wenn sich heute die Menschenrechte und der Westen als zwei verschiedene Dinge erweisen und wir vor der Erkenntnis stehen, dass Menschenrechte nicht von außen oktroyiert und als Nebenprodukt einer Intervention, die eigentlich andere Ziele verfolgt, eingeführt werden können, dann müssen wir unseren Begriff der Menschenrechte „entwestlichen“ und dekolonisieren. Das ist ein guter Anlass, noch einmal mit anderen Augen auf Haiti zu schauen. Denn das Land ist nicht nur ein Ort exemplarischer westlicher humanitärer Interventionen, die angesichts der jüngsten Entwicklung genauso vor dem Scheitern stehen wie der „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan. Haiti birgt auch ein welthistorisches Ereignis, das die Moderne mit ihren Ideen der Emanzipation und Aufklärung erst zu einer universellen Möglichkeit machte: Die haitianische Revolution, die 1791 als Sklavenaufstand in der französischen Kolonie Saint-Domingue begann und 1804 mit der Abschaffung der Sklaverei und der Gründung des Staates Haiti endete – des ersten unabhängigen, durch ehemalige Sklaven geformten Staates Lateinamerikas. Wenn wir die Menschenrechte als einen Vorschlag verstehen, die Welt im Ganzen zu ändern, dann müssen wir die haitianische Revolution – neben der Französischen und amerikanischen Revolution – als eigenes drittes, die Moderne bedingendes Ereignis in ihr Recht setzen und in die kollektive Weltgeschichte einschreiben.

Genau das Gegenteil aber geschieht gegenwärtig in der medialen Berichterstattung: Hier gilt Haiti als aufgegebener Fall. Das Land, das sich eine Insel mit der Dominikanische Republik, dem Urlaubsparadies der globalen Mittelschichten teilt, ist nur noch für Katastrophenmeldungen gut. Nach dem verheerenden Erdbeben von 2010, bei dem mehrere hunderttausend Menschen (die Zahlen schwanken zwischen 200 000 und 300 000) ums Leben kamen, gab es noch drei Anlässe zur Berichterstattung in den Medien des globalen Nordens: der verheerende Hurrikan „Matthew“ 2016, die bis heute nicht aufgeklärte Ermordung des haitianischen Präsidenten Jovenel Moïse Anfang Juli 2021 und das Erdbeben im August 2021 im Süden Haitis, bei dem über 2000 Menschen ums Leben kamen, mehrere tausend verwundet und 50 000 Häuser zerstört wurden. Dass heute von der Karibikinsel fast ausschließlich berichtet wird, wenn sich eine Katastrophe ereignet, ist kein Zufall, sondern die ständige Überschreibung der haitianischen Revolution als eines Weltereignisses.

Ein Präsidentenmord unter den Augen der internationalen Gemeinschaft

Wie sehr dabei der westlich-koloniale Blick die Berichterstattung über Haiti prägt, zeigt sich exemplarisch an einem aufwändig recherchierten Artikel des „Spiegel“ über den Mord an Präsident Jovenel Moïse.[1] Dabei ist nicht so sehr interessant, was das Nachrichtenmagazin erzählt: nämlich das auf die Spitze getriebene übliche Klischee von korrupten Politikern und Gangstern in Haiti. Interessant ist eher, was nicht erzählt wird: jeder Kontext, der diese Geschichte über Haiti hinaus hätte erklären können. Man hätte erzählen können, ja müssen, dass dieses für die Haitianer schockierende Ereignis nicht nur unter den Augen der internationalen Gemeinschaft stattfand, sondern für diese auch absehbar war. Denn Haiti ist finanziell vollkommen von der sogenannten Core Group abhängig, die sich infolge des Erdbebens von 2010 gebildet hat und seither die Geschicke des Landes lenkt. Sie besteht aus den USA, Kanada, der UNO, der EU, Frankreich sowie nicht zuletzt Deutschland. Sie entscheidet, ob, wann und wie viele Mittel die haitianische Regierung erhält und wer nach einer Tat wie der Ermordung des Präsidenten, den sie bis zum Schluss gegen die gesamte politische und zivilgesellschaftliche Opposition in Haiti unterstützte, Interimspräsident wird.[2] Damit ist die Core Group zur entscheidenden Größe in der haitianischen Politik geworden. Nichts in Haiti lässt sich nur aus dem Land heraus erklären, wenn Verwaltung und Macht quasi in ihrer Hand liegen.

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Das zeigt sich besonders, seit Haiti von einer großen Aufstandswelle erfasst wurde, die 2018 begann und bis in die Diaspora reicht. Bei Demonstrationen und Streiks, auf Barrikaden, ja sogar in Gottesdiensten in den wichtigsten Kirchen des Landes forderten die Menschen seither die Absetzung von Präsident Moïse wegen nachgewiesener Korruptionsvorwürfe. Einzig die in Haiti operierenden Gangs und die Core Group hielten an ihm fest. Selbst als Moïse ab Februar 2021 nur noch per Dekret und ohne Parlament regierte, änderte die internationale Gemeinschaft ihren Kurs nicht. Moïse, der mittlerweile die Gangs aus den Elendsvierteln mit Waffen und Munition versorgt hatte, um politische Gegner stillzustellen, galt in den Augen der Biden-Administration vielmehr als die einzig mögliche Option, um Haiti zu „stabilisieren“. Doch von Stabilität kann keine Rede sein: Seit 2018 haben in Haiti 13 Massaker stattgefunden, wurden wichtige Oppositionelle und Journalisten ermordet. Im Bericht des haitianischen Menschenrechtsnetzwerkes Réseau National de Défense des Droits Humains (RNDDH)[3] ist gar von der „Gangsterisierung des Landes“ die Rede, die unter seiner Präsidentschaft stattgefunden habe.

Das Erdbeben von 2021 oder Déjà-vu eines ausgelieferten Landes

Auch die Bilder vom Erdbeben, das sich kurze Zeit später im August 2021 in dem Inselstaat ereignete und weltweit eine Welle von Mitleid hervorrief – man könnte fast von einem globalen Reflex sprechen –, bedienten das Narrativ vom armen, hilflosen Haiti. Die hohe Zahl an Toten und Verletzten, die vielen Obdachlosen sind tatsächlich erschütternd. Das gilt umso mehr, weil sie zeigen, dass sich nach dem verheerenden Erdbeben von 2010 offenkundig nichts geändert hat. Nach wie vor fehlt in Haiti – das zwar auf derselben tektonischen Plattenverschiebung liegt wie Japan, aber anders als dieses 200 Jahre von Erdbeben verschon blieb – das generationenübergreifende Wissen über Methoden und Notwendigkeit von Präventionsmaßnahmen. Trotz der milliardenschweren humanitären Hilfe, die in der Folge des Bebens von 2010 ins Land floss, sind das Land und die Menschen solchen Naturkatastrophen weiterhin hilflos ausgeliefert. Das jüngste Erdbeben, dem laut Seismologen weitere folgen werden, ereignete sich in einer ländlich geprägten Region, weshalb über 2000 Tote eine vergleichsweise hohe Zahl ist. Wie viele Menschen wirklich ums Leben gekommen sind, wird man jedoch nie erfahren. Denn Geburtenregister funktionieren wie alle Institutionen in Haiti nicht gut und der verfrühte Tod, den der Philosoph Achille Mbembe als eine Form der „Nekropolitik“[4] bezeichnet, ist ein ständiger Begleiter des haitianischen Lebens. Haiti gehört zu den Ländern mit der niedrigsten Lebenserwartung überhaupt. Dass die Dörfer der Bergregionen, in denen viele Menschen ums Leben kamen, nach dem Erdbeben völlig abgeschnitten waren, hat wiederum mit der verflochtenen Weltgeschichte zu tun: Denn Haitis gebirgige Landschaft, die sich von der Karibikküste aus in Landesinnere entfaltet, ist fast komplett entwaldet. Die Bäume verließen das Land schon Ende des 19. Jahrhunderts: Sie wurden gefällt, um die Schulden zurückzuzahlen, die Haiti gleich nach der Unabhängigkeit zur Entschädigung der Kolonisten aufgebürdet worden waren. Wenn die Hurrikan-Saison beginnt, verwandeln sich in diesen entwaldeten Regionen ansonsten passierbare ausgetrocknete Flussbetten in gurgelnde Ströme, die alles mit sich reißen, was ihnen in den Weg kommt. Dass das Land derart verletzlich gegenüber natürlichen Katastrophen ist, liegt zwar auch an den klimatisch-geographischen Bedingungen der Tropeninsel. Doch es ist vor allem der Klimawandel, der seine Wirkung in Haiti auf besonders fatale Weise entfaltet. Tropenstürme haben zugenommen, sind heftiger und unberechenbarer geworden. Und obwohl das Land an der ökologischen Krise kaum einen Anteil hat, zählt es zu den fünf Ländern der Welt, die dem Klimawandel am heftigsten ausgesetzt sind.[5]

Warum aber hilft die Hilfe nicht, die dem Land nicht erst seit dem Beben von 2010 zuteil wird?

Haiti ist seit 1990 Gegenstand internationaler Hilfsbemühungen. Damals wurde der erste frei gewählte Präsident Jean-Bertrand Aristide von Anhängern des Duvalier-Regimes, das fast 50 Jahre lang die Menschen grausam unterdrückt hatte, weggeputscht. Aristide floh in die USA, die in der Folge die Zusammenarbeit mit den Putschisten boykottierten. Die anschließende humanitäre Krise wurde durch die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen aufgefangen, darunter viele christlich-missionarische Organisationen aus den USA. Seither gilt das Land als Republik der NGOs, der Nichtregierungsorganisationen.

Weltrekord im Scheitern

Als Aristide mit Hilfe des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton vier Jahre später nach Haiti zurückkehrte, traf er nicht nur auf ein von Hilfsorganisationen auf gut verkäufliche Spendenprojekte – gerne solche, die sich um das Wohl der Kinder kümmern – zugerichtetes Land, sondern musste eine bedingungslose Marktöffnung für landwirtschaftliche Produkte durchsetzen. Die Folgen für die einheimische Ökonomie waren fatal: Die das Land versorgende Reisproduktion brach zusammen, Bauern verarmten und mussten in die Stadt ziehen. Der Ballungsraum von Port-au-Prince, das unter Duvalier 700 000 Einwohner hatte, wuchs mit den Bidonvilles, den Elendsvierteln, auf heute 2,3 Millionen Menschen an. 2004 wurde ebenjener Aristide, der sich mittlerweile vom Befreiungstheologen zum Autokraten gewandelt hatte, von Frankreich und den USA abgesetzt. Der Anlass allerdings war seine – erfolglose – Forderung nach Rückzahlung der illegitimen Schulden, die Haiti von 1826 bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als Entschädigung für die im Zuge der Revolution von weißen Siedlern enteigneten Plantagen an internationale Banken zahlen musste.[6]

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Mit der Absetzung Aristides begann der bisher längste Einsatz von UN-Interventionstruppen, der MINUSTAH. Er dauerte bis 2017, kostete täglich eine Million US-Dollar und markierte den Beginn eines regelrechten humanitären Interventionismus. Ricardo Seitenfus, brasilianischer Völkerrechtler und von 2010 bis zu seiner Absetzung 2011 Chef der Mission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Haiti, schrieb in der haitianischen Tageszeitung „Le Nouvellist“: „30 Jahre, zehn internationale Missionen und 30 Mrd. Dollar später hält Haiti den Weltrekord im Scheitern.“[7] Sich diesen gescheiterten humanitären Interventionismus etwas genauer anzuschauen, ist auch ein Unterfangen, das westliche Weltverständnis zu dekolonisieren.

Quelle         :       Blätter-online          >>>>>         weiterlesen

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Gebrauch von Uranmunition

Erstellt von Redaktion am 17. Oktober 2021

Die Grünen gehen in Deckung, die Linke kämpft

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Quelle:    Scharf  —  Links

Von Hannes Sies

Recherchiert man politische Aktivitäten zu Uranmunition nach, stößt man auf ein weiteres verheerendes Versagen der Öko-Partei „Die Grünen“: Sie haben das Thema der LINKEN überlassen. Warum? Weil die Medien nicht berichten und man daher auf die Schnelle keine Wählerstimmen abgreifen kann.

Grüne Uranmunition-Kritiker wurden innerparteilich abgemeiert, unter Verweis auf Mogel-Studien der USA-gesteuerten IAEO (wie bei Bundesregierungen Schröder & Merkel): Bei der grünen Bundestagsfraktion findet man nur zwei Treffer zu „Uranmunition“, einmal eine Feigenblatt-Nennung im Nebensatz, das zweite ein mickriger Feigenblatt-Absatz in einer allgemeinen Abrüstungsbroschüre weit hinten versteckt. Bei der LINKEN im Bundestag finden sich dagegen 20 Treffer und was für welche: Aktiver Kampf gegen Uranwaffen und für die Rechte der Opfer, zuletzt eine scharfe parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung, die sich natürlich -wie die Grünen Parteibonzen gegenüber ihrer Basis- in ihrer Antwort unter Verweis auf die USA-IAEO-Abwiegel-Propaganda herausredet. Die gesundheitsschädliche Wirkung sei nicht geklärt. Frieder Wagner widerlegte diese Atom-Propaganda in Buch und Film, der Medienmainstream blockiert ihn und legt stattdessen tendenziöse Pro-Uran-Propaganda ins Programm.

Wenigstens die LINKE kämpft im Bundestag gegen Uranmunition, bringt Merkels Bundesregierung in Bedrängnis -leider unbeachtet von den meisten Medien. Wer engagiert sich für Opfer der Uranwaffen? Die Linke:

„Der Tod des Bundeswehr-Hauptgefreite André Horn geht möglicherweise auf eine Kontamination zurück, die er sich im Kosovo zugezogen hat. Dort hat die NATO Uran-Munition im großen Stil eingesetzt. Der Vater des verstorbenen drängt auf eine Exhumierung, um Klarheit über die Todesursache seines Sohns zu bekommen.“ Linke im Bundestag

DIE LINKE: Kleine Anfrage – Drucksache Nr. 19/16786

„Uranmunition stellt eine erhebliche Gefährdung für Mensch, Natur und Umwelt dar. Die Bundesregierung zeigt bisher keinen politischen Willen, eine internationale Ächtung dieser Waffen voranzubringen. Die vorliegende Anfrage verlangt von der Bundesregierung, hierzu öffentlich Stellung zu beziehen. Zusätzlich wird die Nutzung von Uranmunition durch deutsche bzw. ausländische Streitkräfte sowie durch die Rüstungsindustrie auf bundesdeutschem Territorium abgefragt.“

Uranmunition: Geißel der Menschheit

Uranmunitions-Kritiker dokumentieren: „Etwa 20 Staaten haben extrem wirksame panzer- und bunkerbrechende Uranmunition in ihren Beständen, die auch als DU-Munition bezeichnet wird. Uranmunition ist ein Abfallprodukt der Atomindustrie, das bei der Gewinnung von waffenfähigem Uran und bei der Herstellung von Brennstäben für Atomkraftwerke entsteht.

Diese Munition wurde und wird in Kriegsgebieten eingesetzt. Beim Aufprall der Geschosse auf gepanzerte Oberflächen kommt es zu einer explosionsartigen Zersplitterung der Munition mit hohen Temperaturen, wodurch ein radioaktiver Staub entsteht. Dieser führt zu epidemisch auftretenden Missbildungen bei Neugeborenen und einer hohen Rate an Krebserkrankungen, wie Leukämie.

Es gilt als erwiesen, dass Uranmunition von den USA und Großbritannien im Golf-Krieg 1991, in Bosnien, Serbien und dem Kosovo und später auch in Afghanistan und wieder im Irakkrieg 2003 massenhaft eingesetzt wurde. Über den Einsatz von Uranmunition in anderen Krisengebieten, wie beispielsweise Libyen lässt sich spekulieren.

Deutschland hat bereits während des 2. Weltkriegs in Berlin, Oranienburg und anderen Orten maßgeblich zur Entwicklung dieser Munition beigetragen. Die deutschen Firmen Rheinmetall und MBB in den 70er Jahren und danach das Raumfahrt- und Rüstungsunternehmen EADS haben uranhaltige Munition in Deutschland jahrelang entwickelt und getestet.

Alle verantwortungsbewussten friedenspolitisch-aktiven Menschen müssen auf die Ächtung und das Verbot dieser völkerrechtswidrigen Munition hinarbeiten, die wahllos und unverhältnismäßig sowohl ZivilistInnen als auch SoldatInnen schädigt und tötet und Lebensräume auf der Erde für unabsehbare Zeiträume unbewohnbar macht.“ http://www.uranmunition.org/das-problem/

Recherche

https://www.gruene-bundestag.de/suche?tx_solr%5Bq%5D=uranmunition

2 treffer: „Uranmunition“ nur als Feigenblatt-Nennung im Nebensatz oder weit hinten versteckt

https://www.linksfraktion.de/suche/suchergebnisse/?tx_solr%5Bpage%5D=2&tx_solr%5Bq%5D=uranmunition

20 treffer: Aktiver Kampf gegen Uranwaffen und für die Rechte der Opfer

siehe auch Broschüre URANMUNITION Die nukleare Kette

https://issuu.com/ippnw/docs/ippnw_uranmunition_web/1?e=6380971/6786907

Urheberecht
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Medizin, Physik und Chemie

Erstellt von Redaktion am 8. Oktober 2021

Nobelpreise für Klima, Turbo-Chemie und Rezeptoren

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Dieses Mal nicht – vielleicht nach dem Einfrieren ?

Von Manfred Ronzheimer und Kathrin Burger

In den naturwissenschaftlichen Sparten bleiben die Männer unter sich. Unter den 7 ausgewählten Preisträgern ist auch diesmal keine Frau.

Chemie: Frühe Warnung vorm Klimawandel

Der Kampf gegen den Klimawandel basiert auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen. Mit dieser Begründung wurde der Physik-Nobelpreis 2021 vergeben, wenige Wochen vor der wichtigen Weltklimakonferenz in Glasgow. Die Auszeichnung ging an drei Forscher, die mit ihren Rechenmethoden Ordnung in das vermeintliche Chaos der Klimadaten brachten und damit auch den menschlichen Einfluss auf die Erderwärmung belegen konnten. Unter ihnen der deutsche Klimaforscher Klaus Hasselmann.

Der weltweit renommierteste Wissenschaftspreis wurde zur einen Hälfte Hasselmann und dem US-amerikanischen Meteorologen Syukuro Manabe zuerkannt; die andere Hälfte ging an den Italiener ­Giorgio Parisi. Alle drei lieferten „bahnbrechende Beiträge zu unserem Verständnis komplexer physikalischer Systeme“, so die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften.

Der heute 89-jährige Hasselmann hatte in Hamburg und Göttingen Physik und Mathematik studiert und lehrte nach seiner Promotion in Deutschland und den USA. 1975 übernahm er die Leitung des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg und später des Deutschen Klimarechenzen­trums. Auch an der Gründung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) war er beteiligt, das ihn jetzt zu der „fantastischen Anerkennung“ seiner Forschungsarbeiten beglückwünschte.

Hasselmann entwickelte einen Ansatz der Klimamodellierung im Rechner, der Wetter und Klima verband und so erklären konnte, warum Klimamodelle trotz der scheinbar chaotischen Natur des Wetters verlässlich sein können. Auf Grundlage seiner Forschung warnte Hasselmann schon früh vor den gefährlichen Folgen eines menschengemachten Klimawandels. „In 30 bis 100 Jahren, je nachdem, wie viel fossiles Brennmaterial wir verbrauchen, wird auf uns eine ganz erhebliche Klimaänderung zukommen“, äußerte er sich 1988 in einem Zeitungsinterview.

Syukuro Manabe wurde 1931 in Japan geboren und ging 1958 in die USA, wo er zuletzt an der Princeton Universität forschte. Seine Pionierarbeit bestand für das Nobel-Komitee darin, dass er nachweisen konnte, wie ein erhöhter Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre zu einem Anstieg der Temperaturen an der Erdoberfläche führt. In den 1960er-Jahren legten Manabes Arbeiten den Grundstein für die Entwicklung von Klimamodellen, die auch Hasselmann benutzte. Unter anderem untersuchte der Meteorologe als Erster die Wechselwirkung zwischen Strahlungsbilanz und dem vertikalem Transport von Luftmassen.

Auch an der Gründung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) war Klaus Hasselmann er beteiligt

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Der dritte Preisträger, der Physiker Giorgio Parisi, wurde 1948 in Rom geboren und forscht an der dortigen Universität La Sapienza. Sein Schwerpunkt ist die Untersuchung versteckter Muster in scheinbar ungeordneten Systemen und deren mathematischer Beschreibung. Dazu zählt etwa wie sich Eisenatome in einem Netzwerk aus Kupferatomen verhalten. Seine Entdeckungen, urteilte das Nobel-Komitee, „ermöglichen das Verständnis und die Beschreibung vieler verschiedener und scheinbar völlig zufälliger Materialien und Phänomene, nicht nur in der Physik, sondern auch in anderen, sehr verschiedenen Bereichen, wie Mathematik, Biologie, Neurowissenschaften und maschinelles Lernen“.

„Ich bin noch ganz überrascht. Ich will gar nicht aufwachen, für mich ist das ein schöner Traum“, sagte Hasselmann in einer ersten Reaktion. Es sei ihm wichtig, „dass meine Forschung zeigt, dass Menschen das Klima tatsächlich beeinflusst haben“. Sein Hamburger Institut empfing den früheren Direktor Dienstag mit Standing Ovations. Für die Max-Planck-Gesellschaft, Deutschlands führender Einrichtung für Grundlagenforschung, war es der zweite Physik-Nobelpreis in Serie. Letztes Jahr war der Münchner Astrophysiker Reinhard Genzel ausgezeichnet worden. (Manfred Ronzheimer)

Medizin: Mit Chili und Minze zum Nobelpreis

Schon seit über hundert Jahren ist bekannt, dass Sinnesempfindungen wie Kälte, Hitze, Schmerz oder Berührung von der Haut über diverse Rezeptoren und Nervenleitungen erkannt und ans Gehirn geleitet werden. Unklar war bislang allerdings, wie genau Temperatur und Druck oder leichte Berührungen zu elektrischen Impulsen werden. Dieses Geheimnis haben die Forscher David Julius von der University of California in San Francisco sowie Ardem Patapoutian vom Scripps Research Institute in La Jolla gelüftet. Darum hat das Nobelkomitee sie dieses Jahr mit dem renommierten Medizin-Nobelpreis bedacht.

Die Beobachtung, dass der Chilischoten-Inhaltsstoff Capsaicin in den Mundschleimhäuten aber auch auf der Haut durch Chemiker Benjamin Listseine Schärfe einen ähnlichen Schmerz auslöst wie Hitze, brachte David Julius auf eine Fährte. Um den zuständigen Rezeptor aufzuspüren, erstellte das Forscherteam um Julius eine Liste der Gene, die bei Nagetieren aktiv werden, wenn diese auf äußere Reize reagieren. Hatten die Wissenschaftler ein solches Gen aufgespürt, testeten sie es im Erbgut von kultivierten Zellen und unter Beigabe von Capsaicin. Es dauerte viele Forscherjahre bis endlich eines der Gene auf den Chili-Stoff reagierte.

Julius hat das Gen entschlüsselt und gezeigt, dass es für einen zuvor unbekannten Kanal in der Zellmembran codiert, den Ionenkanal nannte er TRPV1. Dieser Kanal öffnet sich, wenn Capsaicin an das Rezeptormolekül andockt. Das Gleichgewicht der Ionen innerhalb und außerhalb der Zelle kommt dadurch aus der Balance – der elektrische Nervenreiz wird ausgelöst. Die Forscher setzten den Rezeptor dann auch Hitze aus. Dabei zeigte sich, dass sich der Rezeptorkanal ab Temperaturen von 40 Grad ebenfalls öffnet und die gleiche Kaskade vonstatten geht. Hitze und Schmerz lösen also nicht nur subjektiv ein ganz ähnliches Empfinden aus, auch der physiologische Mechanismus beider Sinnesarten ist identisch. Die englische Bezeichnung „hot“ für Scharfes wie auch Heißes kommChemiker Benjamin Listt also nicht von ungefähr.

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Beschreibung Prof. Dr. Klaus Hasselmann
Max-Planck-Institut für Meteorologie Hamburg (MPIfM HH)
Nobelpreisträger für Physik 2021
Quelle Pressestelle des Max-Planck-Instituts für Meteorologie Hamburg
Urheber bzw.
Nutzungsrechtinhaber
s. Quelle
Datum 6. Oktober 2021
Genehmigung vorläufig freigegeben durch Fr. Dr. Anette Kirk (Leiterin der Pressestelle des MPIfM HH)

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Gespaltene Klimabilanz

Erstellt von Redaktion am 7. Oktober 2021

Ohne ein Stopp der Ölförderung verliert Schottland sein grünes Image

Von Paul Hockenos

Schottlands Strom ist zu fast 100 Prozent öko, aber seine Ölexporte sind CO2-Schleudern. Die Regionalregierung hat eine unklare Meinung dazu.

Ende August stellte Schottlands „First Minister“ Nicola Sturgeon ihre neue Regionalregierung mit einem breiten Lächeln vor – und ließ sie als Führungsfigur eines ebenso selbstsicheren wie umweltbewussten Landes erscheinen. Denn zu ihrem Kabinett gehören nun auch zwei Mitglieder der grünen Partei. ­Sturgeons nationalistische Scottish National Party (SNP) drängt ebenso wie die Grünen auf ein neues Referendum für die Unabhängigkeit der 5,5 Millionen Schot­t:in­nen vom Vereinigten Königreich.

Ganz offensichtlich ist Schottland – das die Bewahrung seiner Natur und Umwelt zum wesentlichen Teil seiner Identität gemacht hat – ein Fremdkörper in einem von den Konservativen regierten Vereinigten Königreich. Der Wunsch nach Unabhängigkeit erscheint da nur logisch. Und es ist das erste Mal in der Geschichte, dass Mitglieder der Grünen Regierungsämter im Königreich übernehmen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ihre Politik in Schottland Zulauf hat. Schließlich spielt dort die starke und lukrative eigene Öl- und Gasindustrie eine zentrale Rolle – und ist sogar einer der Gründe für das Unabhängigkeitsstreben des Landes.

Aber Schottland wandelt sich. Die Beteiligung der Grünen an der Regionalregierung, die mehr eine Kooperation als eine echte Koalition ist, war eine Folge der Wahlen im Frühjahr 2021, bei der die SNP die absolute Mehrheit um einen Sitz verfehlte. Sie verschafft dem Land neues Prestige, denn es hat trotz seines Ölreichtums einiges im Kampf gegen den Klimawandel vorzuweisen. Schottland deckt 97 Prozent seines Strombedarfs mit erneuerbaren Energien, vor allem mit Wind- und Wasserkraft. Seine starken Stürme und die bewegte See haben Schottland zum Labor für neue grüne Technologien gemacht, darunter Gezeiten-, Wellen- und schwimmende Windkraftwerke. Schottland hat sich ambitionierte Klimaziele gesetzt und sich gesetzlich verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu werden.

Die speziell auf die beiden neuen grünen Regierungsmitglieder zugeschnittenen Portfolios sind wie gemacht für diese Zeiten einer planetarischen Klimakrise. Lorna Slater, Co-Vorsitzende der schottischen Grünen, wird Ministerin für grüne Aus- und Fortbildung, Kreislaufwirtschaft und Biodiversität, während Patrick Harvie das Ministerium für klimaneutrale Gebäude, nichtfossilen Transport und Verkehr und Mie­te­r:in­nen­rech­te leitet. Dazu gibt es einen Minister der SNP für eine sozial gerechte Transformation zur Klimaneutralität. Das Kooperationsabkommen zwischen SNP und den Grünen sieht vor, Energiegewinnung aus dem Meer und durch Offshore-Windkraft auszubauen und mindestens zwei Milliarden Euro in nichtfossile Heiztechnik und Energieeffizienz zu investieren. Doch Schottlands grünes Image bleibt ein Trugbild, falls es der neuen Regierung nicht gelingt, ein Ende der Öl- und Gasförderung herbeizuführen. Und das wäre für Schottland ein gewaltiger Schritt. Seit fünfzig Jahren haben die Exporte des Nordsee-Öls Beschäftigung gesichert und Steuern in den britischen Staatshaushalt gespült. Zugleich haben sie alle Befürchtungen zerstreut, das „arme“ Schottland könnte seine Ausgaben nicht finanzieren, sollte es das Vereinigte Königreich verlassen. Dies hat überhaupt erst das Erstarken der Unabhängigkeitsbemühungen ermöglicht. Die SNP spricht vor ihren An­hän­ge­r:in­nen stets nur von „unserem Öl“.

Die Emissionen, die durch Schottlands petrochemische Exporte freigesetzt werden, hinterlassen einen gigantischen CO2-Fußabdruck. Die Öl- und Gasförderung hat sich zwar seit den 1990er Jahren deutlich verringert, doch die Menge entsprach 2019 immer noch 562 Millionen Barrel, deren Verbrennung das Sechsfache der in Schottland selbst entstandenen CO2-Emissionen erzeugte. Der Verkaufserlös von etwa 26 Milliarden Euro deckt ein Zehntel des schottischen Bruttoinlandsprodukts. Komplizierter wird es dadurch, dass die schottische Regierung gar keine Befugnisse über die Energiepolitik hat – die Abwicklung der Öl- und Gasförderung kann nur das britische Parlament beschließen. Aber Schottland könnte London ein starkes Signal senden, keine Kohlenwasserstoffe mehr aus der Nordsee zu fördern, und es gäbe damit einen Grund mehr, für die Unabhängigkeit zu streiten.

Quelle       :        TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Wer bremst, verliert

Erstellt von Redaktion am 2. Oktober 2021

Der ganze Planet Erde in der Klimakrise ?

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Eine Kolumne von Christian Stöcker

Sah man sich den Bundestagswahlkampf im deutschen Fernsehen an, musste man den Eindruck gewinnen, Klimaschutz sei furchtbar teuer. Dabei zeigen diverse aktuelle Studien Erfreuliches: Das Gegenteil ist richtig.

In jedem der drei Trielle zur Bundestagswahl wurde, in unterschiedlichen Formulierungen, immer wieder die gleiche, leider ausgesprochen dumme Frage gestellt. In Kurzform lautet sie etwa so: Das wird doch alles wahnsinnig teuer mit dem Klimaschutz, oder? Die Moderatoren verbissen sich regelrecht in dieses Thema, forderten Bekenntnisse, Beichten, Offenlegung des Schrecklichen, das uns angeblich droht, wenn wir endlich Ernst machen mit der Umstellung unserer Energieversorgung.

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Außenpolitische Leerstelle

Erstellt von Redaktion am 1. Oktober 2021

Eine Neujustierung der Außenpolitik ist nötig und könnte Teil einer sozial-liberal-ökologischen Erneuerung sein

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Außenpolitik ? Da war ich doch überall – aber meine Nazi-o-nalistische Staatsräson wollte doch niemand.

Von Florian Ranft

Sicherheitspolitik und Europa spielten im Wahlkampf kaum eine Rolle – mal wieder. Dabei geht bei Digitalisierung und Klima ohne Brüssel nicht viel.

Außenpolitische Themen haben im zurückliegenden Wahlkampf praktisch nicht stattgefunden. Dabei hat es in der deutschen Politik und Öffentlichkeit ein eklatantes Missverhältnis zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung gegeben – wieder einmal, möchte man sagen. Schon im Wahlkampf 2017 überwog in Politik und Medien die Binnensicht auf die drängenden Fragen der Zeit. Themen wie Europa oder Sicherheitspolitik tauchten nur in Fußnoten auf. Das Besondere war diesmal, dass dies angesichts eines beachtlichen internationalen Interesses an der Wahl in Deutschland geschah. Es empfiehlt sich ein Blick in die Kommentare der interna­tio­nalen Presse, um zu begreifen, welche Bedeutung dieser Wahl zugeschrieben wird. In Paris, Washington, Moskau und Peking fragt man sich, wohin das Land und Europa nach der Ära Merkel international hinsteuern werden.

Ja, mit Außenpolitik sind offenbar keine Wahlen zu gewinnen, und bei Themen wie etwa der Flüchtlingskrise beschäftigen sich im Wahlkampf 2017 Politik und Öffentlichkeit zu sehr mit den Folgen und zu wenig mit den Ursachen. Jedoch war dieses Wahlkampfjahr nicht arm an außenpolitischen Ereignissen – und somit an Vorlagen für Debatten. Der Truppenabzug aus Afghanistan, die Instabilität Malis oder der U-Boot-Deal mit Australien waren Schlagzeilen, zu denen eine breite öffentliche Debatte über die Positionen der Parteien gerechtfertigt gewesen wäre. Auch EU-Themen wie der Schutz des Rechtsstaats in Polen und Ungarn, Europas „Green New Deal“ oder Stabilisierungsmaßnahmen der Eurozone, landläufig „gemeinsame Schulden“ genannt, hätten eine inhaltliche Auseinandersetzung verdient. Die Tagespolitik böte in Wahlzeiten einen Anstoß für grundsätzliche Debatten über die Positionen der Parteien: Wie halten sie es mit internationalen Bündnissen und Organisationen und gemeinsamen Werten in Europa und der Welt? Aber eine tiefgreifende Debatte hat gefehlt.

Die Gründe dafür sind zweierlei. Erstens lässt sich aus deutscher und europäischer Perspektive der Eindruck gewinnen, dass sich die Welt mit der Abwahl Trumps in eine scheinbar neue internationale Übersichtlichkeit gefügt hat. Vorbei ist – vorerst – eine Zeit der US-amerikanischen Willkür, in der einer der wichtigsten Verbündeten die eigenen Partner in Europa und Nato auf internationalem Parkett düpiert und für unantastbar gehaltene internationale Normen missachtet hat. Mit US-Präsident Biden ist in internationalen Fragen wieder mehr Verlass auf die Vereinigten Staaten, so die geläufige Meinung. Das Fahrwasser in der internationalen Politik scheint somit ruhiger geworden zu sein. Zudem verbinden Deutschland und Europa mit der Biden-Regierung ein gemeinsames Wertefundament, das Bekenntnis zu internationalen Organisationen und die Betonung der Gestaltungskraft von Diplomatie. Scheinbar – da war ja noch ein überhasteter und mit den engsten Bündnispartnern nicht abgestimmter Abzug aus Kabul. Vergessen wird zugleich auch, dass Deutschland und die EU im Systemwettbewerb zwischen den USA und China Zaungast sind. Dies verdeutlicht das ohne Wissen der Nato-Partner ausgehandelte U-Boot-Abkommen zwischen Australien, Großbritannien und den USA. Frankreich wurde in letzter Minute ausgebootet.

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„Ich“ war die (F) Kühlerfigur und nicht Macron – darum verließ ich das Schiff vor ihn!

Für Australien und die USA geht es im Kern um sicherheitspolitische und nicht wirtschaftliche Interessen. Ziel ist es, Chinas militärischen Einfluss im Indopazifik in Schach zu halten. Im Zweifel werden auch zukünftig sicherheitspolitische Überlegungen in Asien Vorrang gegenüber europäischen Bündnispartnern haben.

Zweitens sind seit Beginn der Coronapandemie die sozioökonomischen Herausforderungen und die Handlungsfähigkeit des Staates stärker ins Zentrum des Bewusstseins der Öffentlichkeit gerückt. Bei der Frage nach den wichtigsten Problemen des Landes hat sich die Bedeutung von Themen wie Terrorismus oder Einwanderung laut dem Eurobarometer im Zeitraum von Herbst 2019 bis Frühjahr 2021 etwa halbiert. Das spiegelte sich in Teilen im Wahlkampf wider. Olaf Scholz etwa trat zwar mit einem Themendreiklang aus „Zukunft. Respekt. Europa.“ an – substanzielle Debatten und Reden zur Europapolitik hat man jedoch in seinem Wahlkampf vermisst. Doch gerade bei den wichtigsten Zukunftsfeldern Digitalisierung und Klima geht ohne Brüssel nicht viel.

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Oben     —       Core G7 member leaders attending the 44th G7 Summit <a href=“https://en.wikipedia.org/wiki/44th_G7_summit“ rel=“nofollow“>en.wikipedia.org/wiki/44th_G7_summit</a> Left to right front row: Jean-Claude Juncker, Donald Tusk, Donald Trump, Justin Trudeau, and Angela Merkel. Back row: Theresa May, Emmanuel Macron, This caricature of Jean-Claude Juncker was adapted from a Creative Commons licensed photo from the <a href=“https://www.flickr.com/photos/eppofficial/12995014393/„>European People’s Party Flickr photostream</a>. This caricature of Donald Tusk is based on a Creative Commons licensed photo available from <a href=“http://commons.wikimedia.org/wiki/File:2014_-_Donald_Tusk_(1).jpg“ rel=“nofollow“>Wikimedia</a>. The body is adapted from a Creative Commons licensed photo from <a href=“https://www.flickr.com/photos/eastbookeu/6345196578/„>Anna Wozniak’s Flickr photostream</a>. The background is adapted from a Creative Commons licensed photo from <a href=“https://www.flickr.com/photos/primeministergr/5864372520/„>Antonis Samaras, Prime Minister of Greece’s Flickr photostream</a>. This caricature of Donald Trump was adapted from a photo in the public domain from <a href=“https://www.whitehouse.gov/people/donald-j-trump/“ rel=“nofollow“>the White House</a>. The body was adapted from a photo in the public domain from <a href=“https://www.army.mil/article/195774/medal_of_honor_awarded_to_capt_gary_m_rose_for_actions_in_laos“ rel=“nofollow“>the US Army</a>. This caricature of Justin Trudeau was adapted from a Creative Commons licensed photo href=“https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Trudeaujpg.jpg%22>available via Wikimedia. The body was adapted from a Creative Commons licensed photo from <a href=“https://www.flickr.com/photos/alexguibord/14578663236/„>Alex Guibord’s Flickr photostream</a>. The background was adapted from a Creative Commons licensed photo from <a href=“https://www.flickr.com/photos/neilghamilton/6854011317/„>Neil H’s Flickr photostream</a>. This caricature of Angela Merkel was adapted from a Creative Commons licensed photo by Dirk Vorderstraße <a href=“http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Angela_merkel_unna_2010.jpg“ rel=“nofollow“>available via Wikimedia</a>. The body is from a photo in the public domain <a href=“http://www.eucom.mil/article/24201/ila-2012-features-us-military-aircraft“ rel=“nofollow“>from the United States European Command</a>. This caricature of Theresa May was adapted from a Creative Commons licensed photo from <a href=“https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Theresa_May_(Sept_2017).jpg“ rel=“nofollow“>Wikimedia</a>. This caricature of Emmanuel Macron was adapted from a Creative Commons licensed photo from EU2017EE Estonian Presidency’s Flickr photostream: <a href=“https://www.flickr.com/photos/eu2017ee/36669381364/„>face</a> and <a href=“https://www.flickr.com/photos/eu2017ee/23522649118/„>body</a>. This caricature of Japanese Prime Minister Shinzo Abew as adapted from a photo in the public domain <a href=“http://en.wikipedia.org/wiki/File:Abe_Shinzo_2012_02.jpg“ rel=“nofollow“>available via Wikimedia</a>. This caricature of Giuseppe Conte was adapted from a photo released on Wikimedia for anyone to use for any purpose provided attribution is given to <a href=“https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Giuseppe_Conte_2.jpg“ rel=“nofollow“>Presidenza della Repubblica</a>.

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