Von der Stasi zu den Nazis?
Erstellt von DL-Redaktion am 2. Juli 2023
„Das waren die 90er Jahre, ja?“
Aus Wernigerode von Aron Boks
Kurz nach der Wende war Werningerode eine rechtsextreme Hochburg. Unser Autor wurde dort 1997 geboren und wusste lange nichts über diese Zeit. Eine Spurensuche zu den Punks und Nazis von einst.
Als meine Mutter im Frühjahr 2022 ihren 50. Geburtstag feiert, sehen wir uns gemeinsam mit meinem Vater in ihrem Haus in Wernigerode alte Fotos an. Ich entdecke eines, von dem ich zunächst glaube, dass ich darauf zu sehen bin. Doch es ist mein Vater, Anfang der 90er Jahre. Schließlich entwickelt sich daraus ein Gespräch über den 20. Geburtstag meiner Mutter. Es war der 25. April 1992. Ein Tag, an dem eine ganze Horde Neonazis nach einem Rechtsrockkonzert durch die Stadt stürmte, erzählen meine Eltern nebenbei. Meine Mutter feierte währenddessen mit ihren Schulfreund:innen etwas abseits der Stadt.
„Ich weiß gar nicht, warum ich nicht bei deiner Party war …“, sagt mein Vater, während er die weiteren Fotos durchsieht.
„Weil ich dich nicht eingeladen habe“, antwortet meine Mutter.
„Das stimmt doch gar nicht.“
„Doch!“
„Neonazis in Wernigerode?“, frage ich, um das wirklich Erstaunliche hier zu klären.
Eigentlich sollte ich nicht überrascht sein. Dass es im Osten Deutschlands haufenweise Rechtsextreme gab und gibt, ist nun wirklich nichts Neues. Gerade in den neunziger Jahren. Genauso wenig verblüffend ist es, dass sich damals überall Linksautonome als politisches Gegengewicht mobilisierten. Aber in Wernigerode? Dieser heute so biederen Fachwerkstadt, die, seit ich denken kann, vor allem von Tourist:innen und Rentner:innen bevölkert ist?
„Aron, früher war hier jeden Tag 1. Mai“, sagt mein Vater aufgeregt und erzählt von rechten Jugendlichen mit Baseballschlägern, von Linken, die diese bekämpften und in einem besetzten Haus lebten – dem Schlachthof, den es heute nicht mehr gibt.
Warum wusste ich so gar nichts davon?
Der Geschichtsunterricht meiner Schulzeit endete mit dem Mauerfall und Bildern von Menschen, die mit Deutschlandfahnen durch DDR-Städte liefen. Danach war Schluss. Kein Wort über Neonazis im wiedervereinigten Deutschland. Ich will mehr über die Rechtsextremen in Wernigerode und dieses gut 30 Jahre zurückliegende Neonazikonzert wissen.
Alles geht auf einen Mann und Veranstalter zurück, der nach dem Konzert häufiger Gast der Stadt sein wird: Thorsten Heise. Ein immer noch aktiver militanter Neonazi, Veranstalter von Rechtsrockkonzerten in Thüringen und Freund von Björn Höcke. Damals ist Heise 23 Jahre alt und einer der Köpfe der 1995 verbotenen rechtsextremen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP). So erzählt es mir Rechtsextremismusexperte David Begrich.
Über 600 Neonazis aus unterschiedlichen Städten folgen an diesem Tag seiner Einladung. Sie treffen sich im Gasthof Salzbergtal, grölen Songzeilen der Bands Tonstörung („Blut muss fließen knüppeldick“) und Kraftschlag („Scheiß Punks“). Und laufen, angestachelt durch Musik und Alkohol, auf den Schlachthof zu. Sie wollen ihn stürmen. Doch um das besetzte Haus hat sich eine Polizeikette gebildet, die die Nazis abhält.
Dieses Konzert ist nicht irgendein Konzert. Vielmehr ist es der Beginn einer Zeit, in der Wernigerode zu einer Hochburg der FAP wird, wie der Soziologe und Publizist Eberhard Seidel 1995 in „Stinos, Glatzen und Trinker: Jugend auf der Suche nach neuen Normen und Umgangsformen“ schreibt. Allein im Jahr 1992 werden mehr als zehn Anschläge auf Asylbewerber:innen im Umkreis der Stadt verübt.
Mein Vater, damals gelegentlich Besucher des besetzten Hauses, versucht Kontakte für mich herzustellen. Er verließ Wernigerode nach dem Abitur im Jahr 1990, wie auch meine Mutter, kehrte jedoch Anfang der 2000er mit der Familie – mit mir – zurück. Er lebt bis heute dort, während ich seit 2016 in Berlin lebe. Erst seit Kurzem erforsche ich, wie so viele Nachwendekinder, welche Rolle der Osten in meinem Leben spielt. Meist beschränkt sich das auf die DDR-Zeit. Von der Zeit danach habe ich kaum eine Vorstellung. Meine Eltern können dazu nichts sagen, sie waren in den Neunzigern nicht vor Ort. Klar, da sind Bücher, die ich gelesen habe, „Wir waren wie Brüder“ von Daniel Schulz oder „Aus unseren Feuern“ von Domenico Müllensiefen. Doch Wernigerode kommt darin nicht vor. Die meisten Zeitzeug:innen aber leben ja noch hier. Ich will mit ihnen sprechen. Wie fühlte es sich an, in diesem komplett umgekrempelten Land erwachsen zu werden? Was hat im Osten vor und während meiner Kindheit stattgefunden? Wie konnte es zu den Gewaltexzessen kommen?
Über die Linksautonomen finde ich recht schnell heraus, wer früher zu den Neonazis der Stadt gehörte. Ich rufe diese an. Es fühlt sich komisch an, bei ehemaligen Neonazis anzurufen. Die meisten seien „selbstverständlich“ auf dem Konzert gewesen, könnten aber nicht darüber reden, sagen sie mir. Nicht einmal anonymisiert.
Irgendwann schickt mir mein Vater eine Nummer aus seiner Kontaktliste: Maik – einer der Urbesetzer des Schlachthofs. Er sei nicht nur bereit zu sprechen, sondern habe darüber hinaus auch Kalle zu sich eingeladen, um mir etwas über die Zeit vor 30 Jahren zu berichten. Der große Vorteil: Kalle und er seien heute gute Bekannte, damals aber sei Kalle bei den Rechten gewesen. Beide heißen in Wirklichkeit anders, sie wollen nicht mit ihrem Namen genannt werden. Auch alle anderen Personen wollen nur mit mir sprechen, wenn sie in dieser Geschichte anonym bleiben. Ich willige trotzdem ein. Vieles, was sie mir erzählen, lässt sich durch das Stadtarchiv, durch Zeitungsberichte oder Ausgaben des Antifaschistischen Infoblatts prüfen. Andere Darstellungen bleiben Behauptung – vollständig verifizieren kann ich sie nicht.
An Maiks Haustür hängt heute ein Schild, auf dem eine Persiflage der Antifa-Flagge zu sehen ist. „Prokrastinistische Aktion“, steht darauf. Als ich klingele, öffnet mir ein drahtiger Mann mit langem braunem Haar und Trainingsanzug. Hinter ihm steht eine weitere Person, die sich nicht als Kalle, sondern Anja vorstellt – eine mittelgroße Frau mit blonden Locken. Maik hatte auch sie eingeladen. Vor 30 Jahren war auch sie Stammgast im besetzten Haus. Wer nicht da ist: Kalle. „Er musste absagen, sein Sohn ist krank“, sagt Maik.
Maik arbeitet seit einiger Zeit im Tourismusbereich. Anja ist Sozialpädagogin. Beide sind Anfang 50. Es riecht nach Räucherstäbchen, überall im Haus stehen Buddhafiguren. „Meinen Baseballschläger habe ich noch“, erzählt er, als wir über die Kämpfe zwischen Punks und Nazis sprechen.
Wir reden über das Konzert.
„Wir waren gewohnt, dass Nazis in der Stadt waren. Aber so viele auf einem Haufen wie an dem Tag hatten wir noch nicht gesehen.“ – „Ich weiß noch, was für eine scheiß Angst ich damals hatte“, sagt Anja leise.
Als ich ins Behördenarchiv schaue, sehe ich, dass Faschismusbekämpfung schon damals nicht zu den Stärken der Regierung Sachsen-Anhalts gehörte. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten Gerd Schuster von der PDS im September 1992, ob der Regierung erstens klar wäre, dass die FAP gerade dabei wäre, ein echtes neonazistisches Zentrum in Wernigerode aufzubauen, was man zweitens jetzt tun müsste und ob es drittens noch weitere Problemherde dieser Art gäbe, erklärte die Landesregierung zu Punkt eins, nichts zu wissen, verwies zu Punkt zwei auf Punkt eins und erklärte überdies, keine Ahnung von weiteren Neonazizentren zu haben.
Aber als das Konzert im April 1992 stattfindet, hat die Polizei wohl eine Vorahnung. Jedenfalls will sie die Neonazis vom Schlachthof fernhalten. „In dem Moment haben wir uns gut mit den Cops verstanden. ‚Wenn ihr uns schützt, benehmen wir uns natürlich‘, haben wir ihnen gesagt“, erklärt Maik. Und weiter: „Wir haben auch mal als Erste zugeschlagen, klar. Wenn du immer wieder von Faschos angegriffen wirst, dann wirst du irgendwann aggressiv.“
„Krass, dass sich dieses Links-gegen-rechts überhaupt wieder beruhigt hatte“, sagt Anja.
Aber wie kam es dazu?
Irgendwann wären eben alle älter geworden. Irgendwann hätte es Technopartys im Schlachthof gegeben, irgendwann hätten alle Ecstasy entdeckt, und irgendwann hätten die Neonazis unter diesen Umständen gern mit den Linksautonomen gefeiert.
„Wie bitte?“, frage ich.
„Nur wenn die Rechten friedlich waren, durften sie auch mitfeiern“, sagt Maik.
Bis zu ihrem Verbot 1995 kann die FAP in Wernigerode weiter Fuß fassen. Durch die Partei radikalisieren sich viele Jugendliche. Die Stadt immerhin merkt, dass sie etwas tun muss. Die „Lösung“: Sie gibt den linksautonomen Hausbesetzer:innen feste Wohnungen. Und den Rechtsextremen einen Jugendclub zum Musikmachen und als Freizeittreff: den Harzblick. Vielerorts wird die sogenannte akzeptierende Jugendarbeit praktiziert – dieses Modell war schon für die Sozialarbeit mit Suchtmittelabhängigen anerkannt, in den Neunzigern wird es im Osten auch bei Rechtsextremen angewendet. Manche Kids kommen erst in den Jugendtreffs in Berührung mit der Naziszene.
Auch in München wurde marschiert !
Der Schlachthof fungiert nur noch als linkes Veranstaltungszentrum. 1994 zünden Neonazis das Gebäude an, es brennt nieder. Es ist niemand im Haus, Verletzte gibt es nicht. Die Täter bezeichnen es als Racheakt an den Linken.
Über meinen Vater lerne ich auch Fabian kennen. Fabian lebt bis 1994 in Wernigerode, ehe er zum Studium nach Berlin geht. Wir treffen uns in einer Kneipe in Leipzig, wo Fabian heute lebt. Er trägt ein Jackett, sein Haar ist adrett kurz geschnitten und gegelt. Damals habe er zerfranstes Haar gehabt, Jeansjacke getragen, einen Aufnäher mit durchgestrichenem Hakenkreuz darauf. Am Tag des Konzerts im Salzbergtal ist er 16 Jahre alt. Eigentlich will er an dem Tag ein anderes Konzert – das eines Schulchors – besuchen. „Als die Faschos mich an dem Tag entdeckt haben, habe ich den schnellsten Sprint meines Lebens hingelegt“, sagt er. „Wir waren nur blasse, dünne Gymnasiasten. Ich bin aber irgendwann nur noch mit meiner Schreckschusspistole und einem Butterflymesser aus dem Haus gegangen.“ Am Tag des Konzerts hätten die Nazis ihn überfallen. „Als ich dann Anzeige bei der Polizei gestellt habe, hat mich der Polizist, der die Anzeige aufnahm, angeschaut und fast väterlich zu mir gesagt, dass ich mich doch besser unauffälliger kleiden solle; so sei es doch kein Wunder, dass so etwas passiere.“ Fabian erzählt von der Überforderung der Erwachsenen damals. Die Ausschreitungen „der Jugend“ bekommen sie zwar mit, doch sie können sich kaum in deren Lebenswelten hineinversetzen.
„Insgesamt war das einfach auch die Folge eines gewaltigen Staatsversagens“, sagt er, als wir die Kneipe verlassen.
In der Zeit, als Fabian und ich uns zum ersten Mal treffen, erscheinen kurz nacheinander drei Bücher zu den sogenannten Baseballschlägerjahren, darunter jene von Schulz und Müllensiefen. Schon zwei Jahre zuvor zeigt die Journalistin und Soziologin Katharina Warda in ihrem Essay „Der Ort, aus dem ich komme, heißt Dunkeldeutschland“ auf, wie es war, als Schwarze Person in der ostdeutschen Provinz groß zu werden. Sie wurde 1985 in Wernigerode geboren, sie war früher Punk. Mir erzählt sie, wie sie so gut wie keinen Schutzraum gehabt und sich jeden Tag potenziell in Lebensgefahr gebracht hätte, sobald sie das Haus verlassen hätte. Als Ecstasy angeblich die Baseballschlägerjahre beendet haben soll, lebte sie nicht mehr in Wernigerode. „Die Neonazis können einfach über all das sprechen, weil sie keine großen Konsequenzen zu befürchten haben“, sagt sie mir am Telefon. Und: Wer nicht entschlossen und dezidiert aussteige, sei für sie auch „nicht richtig raus“.
Ende 2019 kursiert der Hashtag #baseballschlägerjahre erstmals im Netz. Zahlreiche Erfahrungsberichte folgen, in denen über rechten Terror im Osten berichtet wird. Für mich bleibt die Gewalt immer noch schwer zu greifen. Ihre Selbstverständlichkeit, ihre Allgegenwart. Wieso manifestierte sich der Hass in kleinen, scheinbar idyllischen Städten wie Wernigerode, wo jede:r jede:n kennt? Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, wie ein paar Leute, die ihr ganzes Leben in der gleichen kleinen Stadt verbringen, sich auf einmal dazu entscheiden, jene Menschen, mit denen sie noch ein paar Jahre zuvor die Schulbank gedrückt haben, zu verprügeln.
Hakenkreuzflaggen und Bomberjacke
Sommer 2023, die Recherche zieht sich. Ich rufe Kalle wieder an. Wieder vereinbaren wir ein Treffen. Und wieder sagt er kurzfristig ab. Maik ist nicht erstaunt, als ich ihm davon erzähle. Er schlägt mir jemand anderen vor, mit dem ich mich treffen könne: Sven. Der war damals bei den Faschos, dann regelmäßiger Gast auf Technopartys.
Ich treffe Sven in seinem Haus in Wernigerode, auch Maik ist dabei. Sven ist spindeldürr, trägt ein weißes-T-Shirt, Shorts und Badelatschen. An seinen Wänden hängen Sauerteigrezepte, Sinnsprüche wie: „Alles ist verbunden. Trage die Botschaft weiter“, und wieder stehen Buddhafiguren rum.
Sven ist 13, als er beim Salzbergtal sein erstes „Glatzenkonzert“ besucht. Wie es dann weiterging? „Ziemlich wild“, sagt er, sieht zu Maik. Beide beginnen zu lachen. Sven war immer dabei, wenn es zu Schlägereien zwischen links und rechts in der Stadt kam, aber eher in der zweiten Reihe. Auch habe er keine echte Faschoideologie verfolgt – dass ihm in der DDR nicht alles über den Zweiten Weltkrieg erzählt wurde, dass sein Opa der liebste Mensch war und so weiter, das habe er schon geglaubt. Sven rasiert sich zu dieser Zeit den Kopf, hat Hakenkreuzflaggen und Bomberjacken im Kinderzimmer. Mehr als Provokation, wie er sagt. Mir fällt es schwer, das zu glauben. Aber seinen Nazilifestyle beschreibt Sven ausführlich und genau. Natürlich habe er auch den Hitlergruß gemacht, der habe dazugehört. „Die Polizei hier in Wernigerode war aber von allem überfordert“, sagt Sven. Maik nickt: „Ja, das haben wir alle ausgenutzt. Auch wenn wir uns von unserer Seite so einen politischen Anstrich gaben, ging es da auch um das Adrenalin – das war schon’ne geile Droge“, sagt er. Die beiden lachen. Ich konfrontiere sie mit den rassistischen, gewaltgeilen Texten, die da auf den Konzerten gesungen wurden. „Man ist da irgendwie reingerutscht. Das darfst du nicht so engstirnig sehen. Du hattest hier nur die Wahl, links oder rechts zu sein, wenn du irgendwie anders sein wolltest.“
„Wieso wolltest du anders sein?“
„Na, das will doch jeder, oder nicht?“, sagt er, sieht mich an und beginnt zu grinsen. „Oder willst du so der grobe Durchschnitt sein?“
Sven hatte damals noch ein anderes soziales Umfeld als die Rechtsextremen. „Zum Glück!“, sagt er heute. Er sei nur bei den „gemäßigteren“ Rechten im Jugendclub Center gewesen.
Immer wieder beginne ich einen Satz, bringe ihn nicht zu Ende, entschuldige mich für die Fragen, bevor ich sie überhaupt stelle. Dann frage ich ihn, ob er auch Ausländer:innen gejagt habe. Er schüttelt den Kopf. So sei es nur bei den „richtigen Faschos“ zugegangen.
Ich weiß nicht, was die Unterscheidung zwischen „richtigem Fascho“ und „gemäßigt“ überhaupt bedeuten soll. Und vor allem, wieso man als Jugendlicher mit den Neonazis rumhängen wollte, von denen jeder wusste, dass sie herumzogen und Menschen verdroschen, weil sie anders aussahen.
Eine Spiegel-TV-Reportage aus dem Jahr 1993, die über die ständigen Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten in Wernigerode berichtet, zeigt einen speziellen Fall. Ein Mann, völlig normal und unauffällig gekleidet, läuft durch die nächtliche Stadt und berichtet davon, wie er von zwei Faschohorden angegriffen wurde. Der Moderator sagt, ein Verbot des Sonderparteitags der FAP durch das Ordnungsamt sei der Grund für die Krawalle gewesen. Ein Video wird eingeblendet: Die Faschos stürmen auf den Typen los, schlagen und treten auf ihn ein, brechen ihm den Schädel. Einfach so.
Einen Tag später klingelt mein Handy. Es ist Kalle. Sven hat ihm von unserem Treffen erzählt. Will er doch reden?
Noch am gleichen Tag fahre ich nach Wernigerode und stehe vor Kalles Wohnung in der Innenstadt. Er wartet vor seiner Tür. Scheiße, denke ich. Da steht dieser Schrank mit Glatze, voll tätowiertem Kopf und einem bulligen Kampfhund. Kalle winkt mich fröhlich heran. „Lass uns vielleicht doch lieber zu mir zum Reden gehen, was?“
Kalle sagt, er sei Oi!-Skin geblieben, das sei ein Lifestyle, und er schäme sich auch nicht dafür. Heute besuche er Hardcore- und eben Oi!-Punk-Konzerte. Unpolitisch, sagt er. Aber wenn jemand „Nazis raus!“ rufe, gehe ihm das auch auf die Nerven. „Aus beiden Richtungen“ möge er keine Phrasen. Wählen gehe er nicht, sei er nie, werde er auch nie, sagt er. Er werde sich nie einem System anpassen. Was ihm wichtig ist zu sagen: Diese ganze Faschoideologie liege hinter ihm, er habe sich davon gelöst. Meine Recherchen ergeben, dass Kalle bis in die nuller Jahre noch mit Nazis zu tun hatte, danach aber nicht mehr.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquelle :
Oben — Menschenmengen auf der Berliner Mauer Ende 1989 nach dem historischen Mauerfall. Im Hintergrund das Brandenburger Tor, Symbol der Wiedervereinigung Deutschlands
Neonazi-Demonstration am 2. April 2005 in München
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