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Übergriff auf Abgeordnete:

Erstellt von DL-Redaktion am 3. Juni 2023

Nancy Faeser muss Verhalten der Behörden scharf verurteilen

Sie hat doch nicht einmal die Polizeiführung vor ihrer Frankfurter Haustür unter Kontrolle !

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von  :    DIE LINKEN  Vorsitzenden der Partei, Janine Wissler und Martin Schirdewan stellen sich an die Seite von Jule Nagel (MdL Sachsen) und erklären :

Auf der gestrigen Jugend- und Kinderdemonstration in Leipzig, die anlässlich des internationalen Weltkindertages unter dem Motto »Kämpfe verbinden – für ein besseres Morgen.« lief, wurde ohne nachvollziehbaren Grund die Landtagsabgeordnete und Anmelderin Jule Nagel brutal von der Polizei abgeführt und kam in ein vorübergehendes Gewahrsam.

»In sächsischen Behörden scheint gerade einiges aus den Fugen zu geraten. Das Demonstrationsrecht, das Kernbestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist, muss auch für sächsische Behörden gelten und als hohes Gut geschützt werden.

Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass eine Anmelderin einer Demonstration zum Kindertag, die dazu noch parlamentarische Immunität besitzt, wie eine Straftäterin im Polizeigriff abgeführt und dann die Identität festgestellt wird.

Dieses Vorgehen wirft erneut kein gutes Licht auf den Umgang mit dem Demonstrationsrecht in Sachsen.

Wir erwarten eine genaue Aufarbeitung vonseiten des sächsischen Innenministers Armin Schuster und eine Entschuldigung sowohl von der sächsischen Einsatzleitung, als auch der Berliner Einsatzleitung, die den Übergriff gegen Jule Nagel in Amtshilfe umgesetzt hat.

Nach den hitzigen Debatten der letzten Tage um Repression und Demonstrationsfreiheit müssen sich die Verantwortlichen, die an der verbalen Eskalationsschraube ordentlich gedreht hat, endlich wieder einnorden. Innenministerin Nancy Faeser und Justizminister Marco Buschmann sollten nun ein klares Zeichen Richtung Sachsen und Berlin senden und die Missachtung der demokratischen Grundrechte vonseiten der Behörden scharf verurteilen.

Die gestrige Attacke auf die Anmelderin ist kein guter Vorbote auf die kommenden Tage, dass in Leipzig mit Augenmaß und nötiger Professionalität agiert wird. Das Recht auf Demonstrationsfreiheit ist ein hohes Gut in unserer Gesellschaft und sollte auf geachtet und geschützt werden. Demonstrationsverbote schaden der Demokratie.«

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Oben       —       Konstituierende Sitzung des Hessischen Landtages am 18. Januar 2019 in Wiesbaden.

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Vom Prozess gegen Lina E.

Erstellt von DL-Redaktion am 29. Mai 2023

Hieß Antifa für sie Angriff?

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Aus Dresden von Konrad Litschko

Der Leipziger Autonomen Lina E. und drei Mitangeklagten werden Angriffe auf Neonazis vorgeworfen, nun soll das Urteil fallen. Es drohen harte Strafen.

m vergangenen Mittwoch ergreift Lina E. doch noch einmal das Wort. Fast den gesamten Prozess hatte die 28-jährige Studentin geschwiegen. Nun fragt Richter Hans Schlüter-Staats reihum, ob sie oder ihre drei Mitangeklagten zum Prozessende noch letzte Worte sprechen wollen. Alle verneinen – außer Lina E.

„Ich werde nichts zu den Vorwürfen sagen“, beginnt die Frau mit dem Dutt und dem grauen Pullover. Aber sie wolle sich bedanken. Bei ihren Eltern, ihren „starken Omis“, ihren Anwälten und ihren Freunden, die ihr in der Haft schrieben, sie besuchten, „unermüdlich“ den Prozess begleiteten.

Sie liest die Worte aus einem blauen Hefter ab, ihre Stimme stockt. „Mein letztes Wort in diesem Prozess soll ‚Danke‘ sein.“ Dann schweigt Lina E. wieder. Und unter den Zuhörenden im Saal bricht Applaus aus. Der Richter kann ihn nur mühsam beenden.

Einmal noch wird Lina E. nun das Hochsicherheitsgebäude des Oberlandesgerichts Dresden betreten, hinter Sicherheitsglas, begleitet von Justizwachleuten – am kommenden Mittwoch. So wie 98 Prozesstage zuvor. Und wieder werden im Publikum ihre Mutter und Un­ter­stüt­ze­r:in­nen sitzen. Und diesmal dürfte es noch lauter werden. Dann, wenn das Gericht sein Urteil gegen sie und die anderen drei sprechen wird. Es wird wohl keine Freisprüche geben.

Seit September 2021 wird in Dresden gegen Lina E. und die drei Mitangeklagten verhandelt – drei junge Autonome aus Berlin und Leipzig, Jannis R., Lennart A. und Philipp M., alle drei bisher auf freiem Fuß. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen die Bildung einer kriminellen Vereinigung und sechs schwere Angriffe auf Rechtsextreme auf, verübt zwischen 2018 und 2020 in Leipzig, Wurzen und Eisenach.

Lina E. sei die „Rädelsführerin“ gewesen. Schon vor zweieinhalb Jahren wurde sie in ihrer Wohnung in Leipzig-Connewitz verhaftet, sitzt seitdem in der JVA Chemnitz in U-Haft – wo auch die NSU-Terroristin Beate Zschäpe einsitzt.

Es gibt derzeit keinen anderen Prozess in Deutschland, der politisch so aufgeladen ist. Es sind die schwersten Vorwürfe gegen die linksradikale Szene seit Jahren. Lina E. und die drei Mitangeklagten schweigen dazu bis heute. Die Bundesanwaltschaft wirft dem Quartett „potenziell lebensgefährliche Gewalt“ vor, fordert bis zu acht Jahre Haft. Die Verteidiger sehen dagegen eine „politische Justiz“ und einen „unbedingten Verfolgungseifer“, sie wollen weitgehend Freisprüche.

Und die linksradikale Szene ruft für den Samstag nach der Urteilsverkündung zu einem „Tag X“ und einer Großdemonstration nach Leipzig und in andere Städte, um ihre Wut über die erwarteten Haftstrafen auf die Straßen zu tragen. Für sie ist Lina E. längst eine Symbolfigur, der Slogan „Free Lina“ omnipräsent.

Die Staatsmacht lässt keinen Zweifel daran, wie ernst sie dieses Verfahren nimmt. Bereits Ende 2019 gründete das sächsische LKA eine „Soko LinX“, um nach Angriffen und Brandanschlägen der autonomen Szene endlich Täter zu ermitteln. Die Verhaftung von Lina E. ein Jahr später war ihr größter Erfolg, den Fall übernahm die Bundesanwaltschaft. Mit einem Helikopter wurde die Studentin zum Haftrichter nach Karlsruhe geflogen. Es folgten weitere Durchsuchungen, inzwischen rechnet die Bundesanwaltschaft rund 15 Beschuldigte der Gruppe um Lina E. zu.

In Dresden wird wie in einem Terrorprozess verhandelt: mit Polizeischutz, peniblen Besucherkontrollen, Hubschrauber über dem Gebäude, maskierten Polizeizeugen. Die Richter und die Oberstaatsanwältin sollen unter Polizeischutz stehen. Von einem „polizeilichen Popanz“ spricht die Verteidigung.

Im Saal wurde nun seit anderthalb Jahren über Indizien gerungen – die attackierten Rechtsextremen und Zeugen konnten bis zum Schluss die vermummten Angreifer nicht identifizieren. Aber Lina E. war im Dezember 2019 nach einem Angriff auf den rechts­extre­men Kampfsportler und Kneipenwirt Leon R. in Eisenach in einem Fluchtauto gefasst worden, zusammen mit Lennart A. Es war der VW Golf ihrer Mutter, die Kennzeichen lagen noch auf der Rückbank. Ein zweites Fluchtauto wurde später in Hessen gestoppt.

Zuvor schon war in Leipzig der frühere NPD-Mann Enrico B. niedergeschlagen worden, ebenso wie der Kanalarbeiter Tobias N., der eine rechtsextreme Mütze trug. In Wurzen traf es den Rechtsextremen Cedric S. und später eine sechsköpfige Neonazigruppe, die von einem Aufmarsch in Dresden zurückkehrte. In Eisenach wurde gleich zweimal der Szenekader Leon R. attackiert. Nur einen Tag vor dem zweiten Angriff war Lina E. in einem Baumarkt erwischt worden, wie sie zwei Hämmer klaute. Die Rechtsextremen wurden teils mit Hämmern und Schlagstöcken angegriffen, erlitten Platzwunden und Knochenbrüche. Tobias N. musste eine Metallplatte ins Gesicht eingesetzt werden.

Oberstaatsanwältin Alexandra Geilhorn sprach im Prozess von „massiver Gewalt“ und einem „außergewöhnlichen Maß an krimineller Energie“. Lina E. sei mit ihrem seit drei Jahren untergetauchten Verlobten Johann G. die „treibende Kraft“ der Gruppe gewesen, bei jeder Tat dabei. Sie habe Opfer mit ausgewählt, Fluchtautos gestellt, Kommandos gegeben. Auch die drei Mitangeklagten hätten sich an einzelnen Übergriffen und der kriminellen Vereinigung beteiligt.

Es sind Vorwürfe, die Lina E. und den Mitangeklagten die härtesten Strafen seit Jahren gegen Linksradikale einbringen könnten. 2009 war die „militante gruppe“ (mg) für Brandanschläge zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Nun sollen es nach Willen der Bundesanwaltschaft weit mehr werden.

Lina E. verfolgte den Prozess gelassen, zumindest äußerlich. Auch am vergangenen Mittwoch kommt sie morgens lächelnd in den Saal, winkt ihrer Mutter zu, verteilt Luftküsse. Die Un­ter­stüt­ze­r:in­nen im Saal begrüßten sie schon zu Prozessbeginn mit stehendem Applaus, bis heute erheben sie sich, wenn sie den Raum betritt, klopfen anerkennend auf Stühle, wenn die Ver­tei­di­ge­r:in­nen die Anklage oder das Gericht kritisieren – bis Richter Schlüter-Staats sie zur Ruhe ruft. Während der Verhandlung hört Lina E. aufmerksam zu, ab und an macht sie sich mit Bleistift Notizen.

Nur einmal hatte sich Lina E. zuvor zu Wort gemeldet. Im Oktober 2022, Prozesstag 72, schilderte sie ihren Lebenslauf. Ihre Jugend in Kassel, die Mutter Erzieherin, der Vater Oberstudienrat. Ihr Wunsch, Sozialpädagogin zu werden, ihre Arbeit mit beeinträchtigten Kindern, das Studium der Erziehungswissenschaften in Halle. Ihre Bachelorarbeit schrieb sie zum Umgang mit Rechtsextremen in der Jugendarbeit, am Beispiel des NSU in Jena-Winzerla. Über ein Buch zum NSU sei sie auf das Thema „akzeptierende Jugendarbeit“ gestoßen, erklärte Lina E. den Richtern.

Was sie nicht sagte: Dass der NSU 2006 auch in ihrer Heimatstadt Kassel mordete, ein Verfassungsschützer war mit am Tatort. Fünf Jahre später flog die Terrorserie auf. Sie soll Lina E. laut Bekannten politisiert haben.

Bisher hat sie keine Vorstrafen. In der Haft arbeite sie nun als Tischlerin, erzählte Lina E. den Richtern. Ihr Anwalt ergänzte später, wie sie dort mit einer Rheumaerkrankung kämpfe. Vom Bild der militanten Autonomen war in diesem Moment nichts zu erkennen.

Oberstaatsanwältin Alexandra Geilhorn aber verwies im Prozess auf die Festnahme von Lina E. nach dem Eisenacher Überfall – und auf ihr konspiratives Verhalten. In ihrer Wohnung fanden Ermittler einen gefälschten Ausweis, Perücken und elf Handys, die meisten davon in einem Stoffbeutel an der Wohnzimmertür. In einer Box auf einem Leipziger Dachboden, den Ermittler für das Depot der Gruppe halten, entdeckten sie Hämmer, Schlagstöcke und weitere Handys – und DNA-Spuren von Lina E. und anderen Beschuldigten.

Immer wieder verwies die Oberstaatsanwältin auf Lina E.s Partner Johann G., von dem sich am Eisenacher Tatort Blutspritzer fanden und der auch bei anderen Taten dabei gewesen sein soll. Die Verteidiger wiesen brüsk zurück, dass dann immer auch Lina E. dabei gewesen sei. Das sei eine haltlose „Bonnie-&-Clyde-Logik“.

Zwar wollen einige Zeugen unter den vermummten Angreifern eine Frau ausgemacht haben. Lina E. identifizieren konnte aber niemand. Der Eisenacher Leon R. meinte, sie nachträglich an der Stimme erkannt zu haben. Aber auch das blieb fraglich. So blieben die zentralen Fragen: Sitzen hier die Richtigen auf der Anklagebank? Waren sie an allen Taten beteiligt? Gab es tatsächlich eine feste Gruppe?

Gerade die Aussagen Leon R.s sind mit Vorsicht zu genießen: Im April 2022 wurde er selbst mit drei Gesinnungskameraden festgenommen, ebenfalls im Auftrag der Bundesanwaltschaft. Der Vorwurf auch hier: Bildung einer kriminellen Vereinigung. Leon R.s Eisenacher Kampfsporttruppe „Knockout51“ verübte in der Region schon seit Jahren Gewalttaten, wollte einen „Nazikiez“ errichten. Vermeintlich Linke und Polizisten wurden attackiert, nach den Angriffen auf sich soll Leon R. auch die Tötung von Linksextremen als Ziel ausgegeben haben. Als ein Eisenacher Zeuge über Knockout51 im Lina-E.-Prozess aussagte, wurde ihm später von Leon R.s Bekanntem die Nase gebrochen.

Auch ein zweiter angegriffener Rechtsextremer – der Leipziger Enrico B. – wurde zwischenzeitlich von der Bundesanwaltschaft festgenommen, auch hier unter dem Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Der Leipziger Cedric S. wiederum hatte sich 2016 an einem Überfall von 250 Rechtsextremen auf den Leipziger Alternativstadtteil Connewitz beteiligt.

Wiederholt beklagten die Verteidiger im Prozess, dass die Bundesanwaltschaft diese rechtsextreme Gewalt ausblende. „Der gesellschaftliche Kontext wird von der Bundesanwaltschaft vollständig negiert“, schimpfte Lina E.s Verteidiger Ulrich von Klinggräff. Das antifaschistische Motiv könne man daher ja auch strafmildernd sehen.

Stattdessen habe die Bundesanwaltschaft mit „unfassbarer Einseitigkeit“ ermittelt und nur Belastendes zusammengetragen, so von Klinggräff. „Im Zweifel gegen die Anklagten.“ Die geforderten Haftstrafen seien „maßlos“. Das harte Vorgehen gegen Lina E. stehe in Kontrast mit milden Urteilen gegen Rechts­ex­tre­me. Das stimmt in vielen Fällen – allerdings wurde im gleichen Gerichtssaal auch die rechtsextreme Gruppe „Freital“ als Terrorgruppe zu Haftstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt.

Die Verteidigung kritisierte, dass die Bundesanwaltschaft den gesellschaftlichen Kontext ausblende – die rechtsextreme Gewalt

Monatelang rang der Prozess mit Indizien. Über eine DNA-Spur auf einer Plastiktüte, die in Teilen zu Lina E. passt und sich am Tatort beim einstigen NPD-Mann Enrico B. fand. Sachverständige waren sich über die Aussagekraft uneins, die Bundesanwaltschaft hält sie für verwertbar, die Verteidigung nicht.

Oder über Fotos vom Fußballplatz von Cedric S., die auf einer Kamera von Li­na E. gefunden wurden. Unklar, so die Verteidigung, ob diese wirklich die 28-Jährige gemacht hatte. Über Videoaufnahmen aus einer Regionalbahn vor dem Angriff auf die Neonazis in Wurzen, die Lina E. zeigen sollen. Aber beweisen sie auch eine Ausspähung? Über ein abgehörtes Gespräch, in dem Johann G. über den Angriff auf den Kanalarbeiter Tobias N. sagt, „das waren wir“. Auch das halten die Verteidiger für mehrdeutig: Das „Wir“ könne etwa auch „die Connewitzer“ bedeuten.

Zudem konnten zwei Mitangeklagte Alibis präsentieren. Mittels Handydaten konnte Jannis R. nachweisen, dass er beim ersten Eisenacher Angriff in Leipzig war. Philipp M. konnte auf gleichem Weg nachweisen, dass er sich damals in einer Berliner Kneipe befand. Seine Verteidiger warfen der Bundesanwaltschaft vor, das gewusst und in der Anklage bewusst vorenthalten zu haben. Diese Alibis gestand die Bundesanwaltschaft ein – sonst aber blieb sie bei ihrer Anklage, forderte auch für die Mitangeklagten bis zu knapp vier Jahre Haft.

Oberstaatsanwältin Geilhorn räumte ein, dass es „keine Smoking Gun“ gebe, keinen eindeutigen Beweis. Zusammengenommen würden alle Indizien aber das Bild der kriminellen Vereinigung bestätigen und Lina E. und die anderen überführen. Sie berief sich auch auf einen Kronzeugen: Johannes D.

Der 30-Jährige gehörte zur weiteren Gruppe um Lina E, bis ihn die Szene im Herbst 2021 als „Vergewaltiger“ öffentlich verstieß und er sein Schweigen brach. Im Juli 2022 saß Johannes D. dann im Gerichtssaal, großgewachsen, im blauen Hemd, streng abgeschirmt von sechs Personenschützern. Zuvor hatte er elf Tage lang beim sächsischen LKA ausgesagt – ein Jackpot für die Behörden. Nun belastete er auch vor Gericht Lina E. und ihren Partner Jo­hann G. Diese hätten die Gruppe zusammengehalten, Trainings und Leute für Angriffe organisiert. Aus einem „flexiblen Geflecht“ von Autonomen aus mehreren Städten sei dafür rekrutiert worden, immer wieder nannte D. Namen. Ziel sei es gewesen, die Neo­nazis „psychisch zu brechen“. Er selbst räumte ein, beim zweiten Angriff in Eisenach dabei gewesen zu sein, als Späher. Nur: Den eigentlichen Angriff bekam er nicht mit – und auch keine andere der angeklagten Taten.

Die Verteidiger warfen dem Kronzeugen deshalb reine Spekulationen vor. Eine Frau im Publikum rief ihm zu: „Du hast uns alle verraten! Du wirst einsam sterben, Johannes!“ Lina E. und die Mitangeklagten verfolgten D.s Aussagen kommentarlos, zunächst. Dann wollte ein Mitangeklagter zu einer gemeinsamen Erklärung ansetzen, wurde aber von Richter Schlüter-Staats unterbrochen – er dulde keine politischen Erklärungen. Der Text wurde daraufhin im Internet veröffentlicht. Zu Johannes D. gebe es „viel zu sagen“, heißt es darin. Man wolle aber lieber „über die gesellschaftliche Realität rechter Gewalt sprechen, die antifaschistisches Engagement notwendig macht“. Rechter Terror, AfD-Wahlerfolge, rechts­offene Coronaproteste, Neonazi-Übergriffe, „nicht zuletzt in Eisenach“. Dagegen hätten „alle Formen antifaschistischer Arbeit ihre Berechtigung“.

Quelle       :          TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Oben     —   Ständehaus, Sitz des OLG Dresden

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Sicherheit geht vor Freiheit

Erstellt von DL-Redaktion am 14. Dezember 2022

Ukraine-Krieg spaltet Ostdeutschland

Solange die Deutschen Bürger-innen mit Stolz auf ehemalige Raubritter blicken müssen, wird  kein Deutsches Wesen genesen!

Von Michael Bartsch

Der Ukrainekrieg spaltet die ostdeutsche Gesellschaft. Warum so viele „Ossis“ am Bild von der Sowjetunion als Friedensgarant festhalten.

Es sind nicht nur die Bundesbürger westlich von Harz und Thüringer Wald, die mal wieder irritiert auf den unberechenbaren Osten schauen. Auch die „Ossis“ selbst kennen einander nicht mehr. Grund sind die Einstellungen zum russischen Krieg gegen die Ukraine.

Es geht ein Riss durch Freundes- und Kollegenkreise, durch Familien und Institutionen. Es ist die dritte Spaltungswelle in den vergangenen zehn Jahren. Erst war da das Einsickern neurechter Ideologien in die Mitte der Gesellschaft, dann kam der Corona- und Impfkrieg. Und nun ist es der richtige Krieg.

Meine Friseurin, die seinerzeit im Salon der SED-Bezirksleitung führenden Genossen den Kopf wusch, beruft sich auf Kunden als Quellen, wenn sie über angebliche ukrainische Luxusflüchtlinge auf vierteljährlichem Heimaturlaub herzieht. Der Friseurin gilt der ukrainische Präsident Selenski als „der größte Verbrecher – ein Schauspieler“.

Ein Dresdner Theaterkritiker bezeichnet Putin als „sich einst durch Dresden saufenden KGB-Tölpel und heutigen Möchtegern-Zar“. In seiner Münchhausen-Adaption am Dresdner Staatsschauspiel lässt Rainald Grebe eine Schauspielerin von einer seit zehn Jahren getroffenen Familienvereinbarung berichten: „Über das und das wird nicht gesprochen – sonst kracht’s!“ „Unser Freundeskreis ist an der Russlandfrage völlig zerbrochen“, bedauern Günter Kern und Frau Eva in Kamenz, Bruder des weltbekannten Malers Georg Baselitz und durch Lukas Rietzschels „Raumfahrer“ zu einer Romanfigur geworden.

Man braucht sich nicht vorzumachen, da stünde eine rebellische kleine Minderheit gegen eine vermeintlich tragende große Mehrheit. In ganz Deutschland und Europa stehen sich Kräfte gegenüber, die entweder die Ukraine massiv unterstützen – oder aber einen Diktatfrieden um jeden Preis wünschen, wenn dadurch nur wieder Gas in die Kammer käme und die Brötchen billiger würden.

Der Hälfte gehen Sanktionen gegen das Kremlregime zu weit

Und doch bestehen nach wie vor signifikante Unterschiede im Verhalten des ost- und westdeutschen Bevölkerungsdurchschnitts. Ein Drittel der Ostdeutschen sieht in Putin bis heute keine Gefahr, im Westen empfindet nur ein Fünftel so.

Aufschluss bringt die Rubrik „MDR fragt“ des Mitteldeutschen Rundfunks mit jeweils um die 30.000 Teilnehmern. Der Hälfte von ihnen gehen Sanktionen und Maßnahmen gegen das Kremlregime zu weit. Sieben von zehn Ostdeutschen fühlen sich in der Einschätzung russischer Politik kompetenter als die „Wessis“. Folglich konstatieren fast zwei Drittel aktuell eine Vertiefung der Ost-West-Spaltung.

Aber warum – 32 Jahre nach der formalen Vereinigung? Verlässliche Ursachenforschung zu diesem anhaltenden Teilungsphänomen gibt es nach wie vor nicht. Es lässt sich nur mit der fortwirkenden Prägung durch die Jahre bis 1989 erklären, einer Prägung, die das wiedervereinigte Deutschland auch in drei Jahrzehnten nicht aufzuheben vermocht hat.

Für diese Annahme spricht die Generationenspaltung der Ostdeutschen selbst. Hartnäckige Putin-Versteher, die trotz eines offenkundigen Eroberungs- und Vernichtungskriegs immer noch russische Sicherheitsinteressen „ins Feld führen“, haben in aller Regel mindestens die 40, meist die 50 überschritten. Das DDR-Fähnchen eines Demonstranten auf dem Dresdner Theaterplatz liefert den Schlüssel für Erklärungen.

Solche Demos richten sich nur vordergründig gegen die Preisexplosion. Wer hier steht, sucht in manischem Eifer nach allem, was das Moskauer Verbrecherregime irgendwie entlasten könnte. Und grundsätzlich sind immer die zweifellos auch nicht gerade harmlosen US-Amerikaner an jeder Eskalation der Gewalt in der Welt schuld.

Man darf es sich aber nicht zu einfach machen: Hier stehen nicht unbedingt dieselben, die seit Jahren gegen alles, was irgendwie von oben kommt, auf die Straße gehen. Es gibt sehr wohl militante Impfgegner aus dem Vorjahr, die gar keine Lust haben, gemeinsam mit Schwenkern von Russlandflaggen gesehen zu werden.

Kalter Krieg als Zeichen der Stabilität

Und doch: Wer Ost zulande nicht gegen alles ist, wird verdächtigt, für etwas zu sein, mithin mit „denen da oben“ zu kollaborieren – eine subtile Kontinuität aus Zeiten des SED-Regimes.

Im Rückblick erscheint vielen sogar der Kalte Krieg, das Gleichgewicht des Schreckens, als Zeit der Stabilität. Als der eine Pol dieser Abschreckung garantierte die Sowjetunion den Frieden und damit den bescheidenen Fortschritt in der DDR.

Posthum erst wird klar, dass es nicht nur Propaganda war, wenn der FDJ-Chef Egon Krenz 1974 rief: „Alles, was wir sind, sind wir durch sie (die Sowjetunion)!“ Die heute noch lebende DDR-Generation hat die Rote Armee nicht mehr als brutale Besatzungsmacht wie bei dem Aufstand von 1953 kennengelernt. Ausgewählte, wie die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, studierten in der Sowjetunion, Kinder- und Jugendorganisationen veranstalteten Freundschaftstreffen.

Halb ironisch, halb schulterklopfend sprach man vom „Großen Bruder“. In der ARD-Filmproduktion über Russland und die Ostdeutschen bestätigt ein damaliger hoher NVA-Offizier die anerzogene Liebe zur Sowjetunion. „Amerika ist mein Feindbild“, sagt er. Auf Demoplakaten 2022 steht: „Besatzungsmacht USA“.

Quelle       :          TAZ-online           >>>>>         weiterlesen

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Oben      —       25.06.2006 01067 Dresden-Altstadt, Theaterplatz (GMP: 51.053852,13.735897): Sempergalerie (1847-54) des Zwingers und davor auf dem Platz das Reiterstandbild von König Johann von Sachsen (1889 von J. Schilling). [DSCN10473. TIF]20060625090DR.JPG(c)Blobelt

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Rechtsterrorismus ?

Erstellt von DL-Redaktion am 14. Oktober 2022

GBA: Festnahme eines mutmaßlichen Mitglieds einer terroristischen
Vereinigung

Von Jimmy Bulamik

Karlsruhe (ots) – Die Bundesanwaltschaft hat heute (13. Oktober 2022) auf Grundlage eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 10. Oktober 2022 die deutsche Staatsangehörige Elisabeth R. im Landkreis Mittelsachsen durch Beamte des mit den Ermittlungen beauftragten Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz mit Unterstützung sächsischer Polizeikräfte festnehmen lassen. Zudem erfolgten Durchsuchungsmaßnahmen bei der Beschuldigten sowie einer nicht beschuldigten Person.

Die Beschuldigte ist dringend verdächtig, sich als Rädelsführerin an einer terroristischen Vereinigung beteiligt zu haben (§ 129a Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 StGB). Daneben wird ihr die mittäterschaftliche Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund zur Last gelegt (§ 83 Abs. 1, § 25 Abs. 2 StGB).

Dem Verfahren liegen im Wesentlichen folgende Vorwürfe zugrunde:

Elisabeth R. verfolgt eine Ideologie, nach der die auf dem Grundgesetz beruhende staatliche Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland keine Geltung beanspruchen könne. Vielmehr existiere das Deutsche Reich auf Grundlage der Verfassung von 1871 weiter. Deshalb sei die Bundesrepublik Deutschland mittels einer „konstituierenden Versammlung“ in ein autoritär geprägtes Regierungssystem zu überführen.

Spätestens im Januar 2022 schloss sich die Beschuldigte zur Verwirklichung dieser Bestrebungen einer Gruppierung an, der zumindest auch die gesondert Verfolgten Thomas O., Sven B., Michael H. und Thomas K. angehörten (vgl. dazu Pressemitteilung Nr. 31 vom 26. April 2022). Diese Gruppierung hatte es sich zum Ziel gesetzt, in Deutschland bürgerkriegsähnliche Zustände auszulösen und damit letztlich den Sturz der Bundesregierung und der parlamentarischen Demokratie herbeizuführen. Hierzu war geplant, einen bundesweiten „Black Out“ durch Beschädigung oder Zerstörung von Einrichtungen  zur Stromversorgung herbeizuführen. Überdies sollte der amtierende Bundesminister für Gesundheit, Prof. Dr. Karl Lauterbach, gegebenenfalls unter Tötung seiner Personenschützer, gewaltsam entführt werden.

Die Vereinigung untergliederte sich in einen operativen „militärischen“ und einen „administrativen“ Zweig. Elisabeth R. war im administrativen Teil aktiv. Dort nahm sie eine übergeordnete Stellung ein und machte Vorgaben, um die Pläne der Gruppierung voranzutreiben und zu koordinieren. Sie war in Bemühungen insbesondere von Thomas O. und Sven B. eingebunden, Waffen und Sprengstoff für die Vereinigung zu beschaffen. Wiederholt forderte sie zudem eine rasche Umsetzung des Vorhabens ein und äußerte diesbezüglich konkrete Terminvorstellungen. Zugleich war die Beschuldigte mit der Rekrutierung geeigneter gleichgesinnter Personen befasst und führte auch selbst Gespräche für die Anwerbung potentieller Vereinigungsmitglieder. Darüber hinaus verfasste sie diverse Schriftstücke, die bei den geplanten Aktionen Verwendung finden sollten.

Die Beschuldigte wird im Laufe des heutigen Tages (13. Oktober 2022) dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt, der ihr den Haftbefehl eröffnen und über den Vollzug der Untersuchungshaft entscheiden wird.

Rückfragen bitte an:

Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA)
Dr. Ines Peterson
Staatsanwältin beim BGH
Brauerstr. 30
76135 Karlsruhe
Telefon: 0721 8191-4100
Fax: 0721 8191-8492
E-Mail: presse@generalbundesanwalt.de
www.generalbundesanwalt.de/

Weiteres Material: presseportal.de/blaulicht/pm/14981/5343532
OTS: Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA)

Impressum
news aktuell GmbH, Sitz: Mittelweg 144, 20148 Hamburg
Telefon: +49 (0)40 4113 32850, Telefax: +49 (0)40 4113 32855,
E-Mail: info@newsaktuell.de, Web: www.newsaktuell.de
Registergericht: Hamburg, Registernummer: HRB 127245
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer gemäß § 27 a Umsatzsteuergesetz: DE815240626
Vertretungsberechtigte Personen: Frank Rumpf (Geschäftsführer), Edith Stier-Thompson (Geschäftsführerin)

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Oben     —     die Feuersbrannenwohnung des Nationalsozialistischen Untergrunds in Zwickau

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Feuer Sachsen+Brandenburg

Erstellt von DL-Redaktion am 28. Juli 2022

Deutschland wird zum Waldbrandland

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Die Bürger werden von der Politik Verraten und für Dumm verkauft

Eine Kolumne von Sascha Lobo

Große Brände werden in Zeiten der Klimakrise zur neuen Normalität. Dagegen müssen wir als Gesellschaft eine Feuerkultur entwickeln – und wir brauchen eine politische Antwort.

Auf einer Aussichtsplattform auf einem Berg stehe ich. Mein Blick wandert den Hang herab über den verkohlten Boden. Er ist von verbrannten Vegetationsresten bedeckt. Langsam hebe ich den Blick, sehe verbrannte Bäume. Leichte Irritation, dass an manchen noch Blätter hängen. Doch auch die sehen verbrannt aus.

Mein Blick schweift langsam weiter, ich erkenne, dass Rauchschwaden in der Luft hängen, was ich schon zuvor anhand des Geruchs erahnte. Immer höher schaue ich, und es entfaltet sich eine Höllenlandschaft. Es wirkt nicht real, eher wie eine gigantische Katastrophenfilmkulisse. Vernebelt vom Rauch verbrannter Bäume, Pflanzen, Tiere reiht sich Hügelkette an Hügelkette hintereinander, jede einzelne ist bewaldet, oder treffender: war bewaldet.

Denn die Bäume sind allesamt verbrannt. Da ist einfach nichts mehr, nichts außer Baumskeletten und Rauch in der Luft. Anders als frischer Brandrauch schmerzt er jetzt nicht mehr in Nase und Rachen, rund zehn Tage, nachdem die letzten größeren Feuer erloschen sind. Aber ich nehme eine Art olfaktorisches Echo der beißenden Schwaden wahr, meine Nase erinnert sich an den aggressiven Rauch eines noch brennenden Feuers einige Tage zuvor.

Mein Blick führt in die Ferne, ein, zwei, drei, vier, fünf Reihen von Hügeln, alles verbrannt. Bis zum Horizont lässt sich kein Flecken ausmachen, wo die Feuer nicht gewütet hätten. Es fühlt sich an, als sei hier zwar eine besonders eintönige Form der Apokalypse geschehen, aber doch eine Apokalypse. Ich habe diese Momente auf einem kurzen Video festgehalten; es gibt einen ungefähren Eindruck.

Deutschland steuert auf ein Brandrekordjahr zu

Die Szene ist Anfang 2020 in Australien aufgenommen, als ich zu den damaligen Jahrhundertbränden reiste, die wir – eine Pandemie und einen europäischen Angriffskrieg später – am anderen Ende der Welt praktisch vergessen haben. Meine Reise hatte damals den Grund, dass mich solche Großbrände faszinieren, ein Satz, der zugegebenermaßen klingt wie »ich höre gern Musik«. Aber das, was ich dort beobachten konnte, und auch die Gespräche mit Betroffenen helfen mir, die derzeitigen Brände besser einzusortieren.

Der Grund, weshalb ich meine australischen Recherchen aufschreibe, gehört zu den unterschätzten Konsequenzen der Klimakatastrophe: Deutschland wird jetzt zum Waldbrandland. Das sagt Waldbrandexperte Somidh Saha vom Karlsruher Institut für Technologie . Diese Einschätzung folgt dem Forschungsprojekt »Pyrophob« , das in Brandenburg untersucht, wie sich »Wälder gegen Brände und Klimawandel wappnen« können. Dabei geht es auch darum, wie sich Wälder nach einem Waldbrand erholen können, hier hat die Forschung allerdings einen Rückschlag erlitten – denn ein großer Teil der Forschungsfläche ist kürzlich erneut verbrannt .

Ganz Europa brennt derzeit, Deutschland steuert auf ein Brandrekordjahr zu. Australien ist nach Meinung von Fachleuten schon sehr lange ein Wald- oder Buschbrandland. Ein deutlicher Hinweis ist einerseits die uralte, kluge Brandkultur der indigenen Bevölkerung. Und andererseits gibt es in Australien viele pyrophile Pflanzen wie etwa Banksien . Das sind Bäume, die Feuer für die Vermehrung gut gebrauchen können. Die äußere Schicht ihrer Zapfen verbrennt, darunter aber ist ein Stoff, der das Innere mit den Samen vor der Hitze schützt.

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Nach dem Feuer öffnen sich die Samenkapseln, oft beim ersten Regen, der auf den verbrannten Zapfen trifft. Weil Australien schon so lange Waldbrandland ist, kann man die dortigen Erkenntnisse nur in Teilen auf Deutschland übertragen. Aber manches kann man eben doch lernen.

Die Überromantisierung der Natur

Die vielleicht wichtigste Lehre ist, dass die Überromantisierung der Natur, die in Städten noch stärker wirkt als auf dem Land, völlig fehl am Platz ist. In Australien hat die aus Europa mitgebrachte weiße, rassistische Arroganz lange Jahre dazu geführt, dass die alte Feuerkultur der Aborigines verachtet wurde . Sie wurde ersetzt durch die Bekämpfung des Feuers ohne jede Differenzierung, weil in den weißen Köpfen Feuer etwas ausnahmslos Böses, Schlechtes, Bedrohliches war.

Brandbekämpfungsstrategien in Australien eine Rolle gespielt. Dabei ist die gezielte Zerstörung der Natur ein wichtiger Teil des langfristigen Schutzes. Regelmäßige, kontrollierte und zu bestimmten Zeiten absichtlich gelegte Brände verhindern, dass zu viel brennbares Unterholz entsteht.

Die Überromantisierung der Natur und speziell des Waldes ist auch eine urdeutsche Haltung, sie geht leider oft einher mit dem völligen Ignorieren der Regeln eines Ökosystems und wird ergänzt durch ökonomische Gier und Kurzsicht. Aus diesen Gründen wurde über Jahrzehnte in einigen Teilen Deutschlands eine Art monokultureller Blitzwald etwa aus Kiefern geschaffen, der besonders schnell wächst . Aber eben auch besonders heftig brennt und darüber hinaus noch anfälliger ist für Schädlinge.

Quelle      :          Spiegel-online           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Beispielfoto  –  Northwest Crown Fire Experiment, Nordwest-Territorien, Kanada

(Foto mit Genehmigung des USDA Forest Service verwendet.) – Bunk S: Welt in Flammen. PLoS Biol 2/2/2004: e54. doi:10.1371/journal.pbio.0020054.g001

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Unten      —       Sascha Lobo; 10 Jahre Wikipedia; Party am 15.01.2011 in Berlin.

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Meuthen zum Zentrum

Erstellt von DL-Redaktion am 12. Juni 2022

Meuthen erhört das Geläut der Glocken

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Von Sabine am Orde

Der ehemalige AfD-Chef Meuthen sucht sein Glück in einer katholischen Splitterpartei, die sich rühmt, sechsmal den Reichskanzler gestellt zu haben.

Jörg Meuthen will es schlauer anstellen als seine beiden Vorgänger:innen, ein bisschen zumindest. Bernd Lucke und Frauke Petry, beide geschasste AfD-Vorsitzende wie Meuthen auch, traten aus der Partei aus und versuchten dann, neue zu gründen und mit diesen an den AfD-Erfolg anzuschließen. Das scheiterte bekanntlich. Meuthen tritt nun, wie er am Freitagvormittag mitteilte, in eine bestehende Partei ein. Das Zentrum allerdings ist auch nichts anderes als eine Splitterpartei mit 500 Mitgliedern, wenn auch eine mit sehr langer Tradition.

Bei der Pressekonferenz in Berlin betonte der Schatzmeister des Zentrums, Hans-Joachim Woitzik, denn auch, seine Partei sei älter als die SPD. Und: „Im Kaiserreich und auch in der Weimarer Republik stellte das Zentrum sechsmal den Reichskanzler.“ Seit Mitte der 50er Jahre aber ist die Partei des politischen Katholizismus vollständig unbedeutend.

Noch vor wenigen Jahren war die Partei bestenfalls mit radikalen Anti-Abtreibungskampagnen samt Flyern mit zerstückelten Föten aufgefallen. Diese Ansicht teile man nicht mehr, sagte Parteichef Christian Otte. „Wir haben kein Problem mit der aktuellen Gesetzeslage.“ Generell habe sich die Partei seitdem modernisiert. Im Januar war bereits der ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Uwe Witt zum Zentrum gewechselt. Mit Meuthens Eintritt stellt die Partei nun auch einen Abgeordneten im Europäischen Parlament.

Meuthen selbst gab sich am Freitag alle Mühe, den Eindruck vom Tisch zu wischen, der Eintritt ins Zentrum sei eine Verzweiflungstat. Er betonte, die Partei sei „eine politische Heimat, wie ich sie immer gesucht habe“. Die Partei stehe für das, was in der deutschen Politik derzeit fehle – „wertebasierte, aber unideologische bürgerliche Vernunft“. Sie habe aus zwei Gründen Potential: Weil der vermeintliche Links-Kurs der CDU auch unter ihrem neuen Vorsitzenden anhalte und weil die AfD im Niedergang sei.

Eine AfD 2.0 soll es nicht geben, laut Meuthen

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Ohne CDU – keine AfD

Bei der Landtagswahl in NRW, wo die Wahlbeteiligung auf 55 Prozent gesunken sei, sei die Repräsentationslücke sehr deutlich geworden. Schon bei der Landtagswahl in Niedersachsen im September wolle man ein Zeichen setzen. Für radikales oder extremistisches Gedankengut habe es im Zentrum noch nie einen Platz gegeben, betonte Meuthen. „Das Zentrum wird definitiv nicht zu einem Sammelbecken ehemaliger AfD-Mitglieder werden. Eine AfD 2.0 wird es mit mir nicht geben.“

Quelle      :          TAZ-online       >>>>>        weiterlesen

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Oben      —   Wahlnacht Sachsen 2019: Jörg Meuthen (AfD)

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Linke-mehr Pellmann wagen

Erstellt von DL-Redaktion am 16. Oktober 2021

Linke müssen zeigen wie Sozialismus im Kleinen funktioniert

Von Anna Lehmann und Rieke Wiemann

Beinahe wäre die Linkspartei aus dem Bundestag geflogen. Auch dank Sören Pellmanns Direktmandat in Leipzig kam es nicht dazu. Was lässt sich aus seinem Erfolg für die Linke lernen?

Der Mann, der der Linken den Arsch gerettet hat, kommt als letzter zur Fraktionssitzung. Aktentasche in der Hand, graues Hemd, Brille, leicht nach vorn geneigt. Eine Haltung, die große Menschen einnehmen, wenn sie versuchen, nicht aus der Menge herauszuragen.

Sören Pellmann ist seit 2017 für die Linke im Bundestag. Bislang ein typischer Hinterbänkler, sagen Fraktionskollegen, einer der wenig sagte, kaum auffiel. Das hat sich mit der letzten Bundestagswahl über Nacht geändert. „Sören, unser Held“ begrüßen ihn die Ge­nos­s:in­nen zur ersten Sitzung der Fraktion Anfang Oktober. Dass sie sich an jenem Dienstag unter der Reichstagskuppel treffen, dass es sie als Fraktion überhaupt noch gibt, das verdanken sie auch Sören Pellmann.

Der 44-Jährige hat eines von drei Direktmandaten für die Linke gewonnen. Wenn eine Partei in drei Wahlkreisen die Mehrheit der Erststimmen bekommt, dann darf sie Mitglieder gemäß ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag entsenden, auch wenn dieses Ergebnis unter 5 Prozent liegt. So wie es der Linkspartei am 26. September passiert ist.

Nur noch 4,9 Prozent der Wäh­le­r:in­nen stimmten bei der Bundestagswahl für die Linke. Ein Absturz um fast 5 Prozentpunkte. Seitdem steht die Partei unter Schock. Dass die Linke in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin wohl mitregieren kann, ändert nichts am bundesweiten Problem: Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird es existenzbedrohend. Und bei der Frage, wie sich die Linke von dieser Niederlage erholt, wie sie sich bundesweit wieder aufrappeln kann, da schauen jetzt viele auf Sören Pellmann. „Ich bin bereit, mehr Verantwortung in der Fraktion zu übernehmen“, sagt er.

Kann dieser Mann die Linke retten? Und wenn ja, wie lautet die Formel?

Altes Rathaus Leipzig 2013.jpg

Einen ersten Hinweis liefern drei Fotos an der Wand seines Berliner Bundestagsbüros: Sie zeigen das Leipziger Rathaus, das Verwaltungsgericht und den „Uniriesen“, ein Hochhaus, das einst die Universität und nun den MDR beherbergt. Sören Pellmann ist Leipziger, dort geboren und geblieben. „Für die Leute vor Ort da zu sein, das war ein wesentlicher Grund, warum wir es geschafft haben, das Mandat zu verteidigen“, sagt er.

Zu Besuch in einem Wahlkreis, zu dem ganz unterschiedliche Stadtteile gehören, darunter auch Grünau, wo die SED einst für 85.000 Menschen Plattenbauwohnungen errichten ließ. Hier wuchs Sören Pellmann mit seinen zwei Schwestern auf. Heute leben noch 44.000 Menschen in den Plattenbauten.

Viele Leipziger kennen noch Sörens Vater Dietmar Pellmann, der die Leipziger PDS nach der Wende prägte. So wie jene ältere Dame, die in Grünau mit ihrem Hund spazieren geht. Sie sei froh, dass Pellmann junior sein Mandat verteidigen konnte. „Ich kannte seinen Vater sehr gut“, sagt die 68-Jährige, die seit 1980 in Grünau wohnt. „Sören ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Er interessiert sich für die Wünsche der Bürger.“ Auch außerhalb des Wahlkampfes sei er oft im Viertel zu sehen, sagt sie. „Vor seinem Wahlkreisbüro veranstaltet er Events für Kinder, mal wird eine Suppe gekocht, mal werden Luftballons verteilt.“

Nicht nur Grünau, auch das ländlich geprägte Liebertwolkwitz gehört zu Pellmanns Wahlkreis, hier hat er nicht punkten können, 25 Prozent stimmten für den AfD-Kandidaten. Das alternative Connewitz ist dagegen eine Hochburg der Linken, 42 Prozent der Wäh­le­r:in­nen gaben Pellmann hier ihre Stimme. Eine Mutter, die mit ihren Kindern auf einer Brache nahe dem Connewitzer Kreuz spielt, hat Pellmann aus Überzeugung gewählt, wie sie sagt. „Er war der einzige Kandidat, der während des Wahlkampfes präsent war in Connewitz, ich habe ihn häufig vorm Rewe gesehen.“ Ihre Haare hat sie feuerrot gefärbt. Die Linke, sagt sie, gehöre in den Bundestag, denn es sei die Partei, die sich am ehesten für soziale Gerechtigkeit einsetze. Ein Mann mit abrasierten Haaren sagt über Pellmann: „Obwohl er im Bundestag sitzt, ist er ein cooler Lokalpolitiker. Ich habe mich mit ihm im Juli über eine Stunde beim Schönauer Parkfest unterhalten, er ist sehr angenehm.“

Beim Gespräch in seinem Bundestagsbüro erzählt Pellmann, sein Vater habe ihm eigentlich abgeraten, Berufspolitiker zu werden. Er solle sich nicht von der Politik abhängig machen, sich ein zweites berufliches Standbein suchen. Bis zum Einzug in den Bundestag arbeitete Sören Pellmann als Lehrer. Pellmann senior unterstützte den Sohn im Wahlkampf 2017, dessen Einzug in den Bundestag erlebte er nicht mehr, er starb wenige Monate vor der Bundestagswahl.

Kaum jemand hatte 2017 damit gerechnet, dass Pellmann junior das Direktmandat gewinnen würde. Er habe auch sofort begonnen, für seine Wiederwahl zu kämpfen, sagt Sören Pellmann. Und zwar vor Ort in Leipzig. Er blieb für die Linke Mitglied im Stadtrat, der im Rathaus tagt. Er ist dort Frak­tionsvorsitzender und Mitglied in 13 Gremien, vom Sozialausschuss über den Kleingartenbeirat bis zum Aufsichtsrat Städtisches Bestattungswesen Leipzig GmbH.

Die Linke setzt sich in Leipzig für Schulstandorte ein, für abgesenkte Haltestellen, für stabile Fahrpreise und Fahrradwege auf der Karl-Liebknecht-Straße. In seinen zwei Bürgerbüros in der Südvorstadt und in Grünau bietet Pellmann jede Woche Beratungen für Erwerbslose an. Pellmann, der Kümmerer. Diesen Spruch ließ er auch so auf seine Wahlplakate drucken.

Da wundert es nicht, dass Pellmann im Bundestag eher unauffällig blieb. Er wohnt in Leipzig, pendelt in den Sitzungswochen nach Berlin. Was in seiner Fraktion zuweilen belächelt wurde. Als er sich 2019 als stellvertretender Fraktionsvorsitzender bewarb, habe er von einigen Ge­nos­s:in­nen gehört, er habe durch sein kommunalpolitisches Engagement doch gar nicht die Zeit dafür, erzählt er. Gewählt wurde er nicht. Zwei Leute hätten sich inzwischen bei ihm entschuldigt.

Man könnte also sagen: It’s the Kommunalpolitik, stupid. Wenn die Linke bundespolitisch erfolgreich sein will, muss sie beweisen, dass der Sozialismus auch im Kleinen funktioniert.

Das war jedenfalls das Erfolgsrezept der PDS, die sich im Osten als Kümmerpartei profilierte. „Die PDS hat Probleme vom Kopf auf die Füße gestellt“, sagt der sächsische Landesvorsitzende Stefan Hartmann. Das müsse man sich bewahren. „Insofern brauchen wir mehr Pellmänner.“ Aber dass die Linke sich nicht dauerhaft auf populäre Direktkandidaten stützen kann, das weiß auch Hartmann. Die Linke brauche auch eine programmatische Erneuerung. „Kümmern allein reicht nicht mehr.“

Heißt: Neben dem Einsatz für Radwege und Schulstandorte muss die Linkspartei auch einige große Fragen für sich klären: Wie sieht eine Friedenspolitik aus, die nicht allein darauf setzt, dass Deutschland sich aus Konflikten raushält? Wie eine Reform der EU, die mehr ist als Dauerkritik am neoliberalen Status quo? Wie eine Einwanderungpolitik, die nicht pauschal offene Grenzen postuliert? Und wie gelingt eine Klimawende, die sozial gerecht ist? Diese Debatten werden der Partei Schmerzen bereiten. Und es wird nicht nur um Positionen, sondern auch um Posten und Personen gehen.

Die derzeit prominenteste Persönlichkeit, die die Linke hat, ist Sahra Wagenknecht. Sie ist auch die, die am stärksten polarisiert. Im Gegensatz zum Rest der Partei ist sie dauerpräsent in der Öffentlichkeit. Wagenknecht hat auf viele dieser großen Fragen bereits Antworten gefunden. Und diese fallen oft etwas anders aus, als auf Parteitagen von der Mehrheit der Ge­nos­s:in­nen beschlossen. Beim Thema EU zog Wagenknecht einst auch den Austritt aus dem Euro in Betracht, Zuwanderung in den Arbeitsmarkt sieht sie kritisch und die Klimapolitik nicht als Kernthema der Linken. In ihrem aktuellen Buch „Die Selbstgerechten“ teilt sie gegen jene aus, die die Klimakrise und Identitätsdebatten über „wirkliche“, über soziale Probleme stellen. Aktuell trenden ihre impfskeptischen Beiträge in sozialen Medien.

Viele Ge­nos­s:in­nen kriegen mittlerweile Herzrasen, wenn sie den Namen Wagenknecht hören. In Gesprächen hört man immer wieder, sie möge die Partei verlassen. „Wagenknecht lebt davon, der Linken zu schaden, es wäre besser für alle, wenn sie ginge“, sagt ein Vorstandsmitglied. Namentlich will die Person nicht genannt werden. Noch nicht.

Auch Sören Pellmann ist Teil dieses Konflikts. Er gehöre klar zum Wagenknecht-Lager und habe stets Partei für sie ergriffen, heißt es, wenn man in der Fraktion herumfragt. Dass er 2019 die Wahl zum Fraktionsvize verloren hat, mag wohl vor allem daran gelegen haben, dass ihn das Wagenknecht-Lager nominierte, weniger an ihm als Person oder seinem kommunalpolitischen Engagement. Nach diesem Muster verläuft die Meinungsbildung in der Bundestagsfraktion, aber auch in der Partei seit Jahren: Entscheidend ist weniger, welche Position jemand vertritt, sondern welches Lager.

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Oben     —    Antikapitalistische Parole auf einer Black-Lives-Matter-Demo im Rahmen der Proteste infolge des Todes von George Floyd in Minneapolis

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KOLUMNE * ERNSTHAFT?

Erstellt von DL-Redaktion am 2. Oktober 2021

Von den eigenen Leuten bestraft

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Kam es nicht immer schon einem Bumerang gleich, mit seinen Fingern auf Andere zu zeigen? Hatte er nicht viele Jahre Zeit, das gleiche mit Merkel zu machen ? Mut zeigt sich in der Politik immer erst dann, wenn maßgebliche Personen ausgestiegen sind ?

Von Ulrike Winkelmann

Der (Noch-)Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, hat etwas Wichtiges gewagt und gesagt. Aber mit der Anerkennung für politischen Mut ist es so eine Sache.

Woran bemisst sich Mut? Daran, dass ein Scheitern möglich ist. Woran bemisst sich politischer Mut? Daran, dass ein öffentliches Scheitern möglich ist – meistens mündet es in Amtsverlust. Der ist dann nur noch Ausdruck dessen, was vorher läuft: Wie sich Verbündete plötzlich abwenden. Wie den Zeitungen – natürlich vertraulich – erzählt wird, wie komisch der Kandidat sich schon länger gebärdete. Wie Leute, die eben noch die Förderung des Kandidaten genossen, erstaunlich fix andere politische Sponsoren finden.

Mut in der Politik ist, auch das Gewebe von Bestätigung, Hoffnung und Loyalität zu riskieren, das den politischen Status neben dem Titel auskleidet. Womit wir bei Marco Wanderwitz wären, (Noch-)Ostbeauftragter der Bundesregierung. Der war auch sächsischer CDU-Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl und bekommt von der Sachsen-CDU nun die Schuld für ihr jammervolles Ergebnis übergeholfen, weil er im Wahlkampf gesagt hat, viele AfD-Wähler seien für die Demokratie verloren, weil „diktatursozialisiert“.

Damit hat er allerdings nicht nur die AfD-Wählerschaft, sondern auch recht viele CDU-WählerInnen beleidigt. Das jedenfalls meint unter anderen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Angeblich war der immer ganz dicke mit Wanderwitz, doch diese Woche soll Kretschmer persönlich verhindert haben, dass Wanderwitz Chef der neuen CDU-Sachsen-Gruppe im Bundestag wird. Was sich jetzt nach nicht viel anhört – aber es könnte sein, dass die CDU demnächst kaum mehr höhere Ämter zu vergeben hat als „Landesgruppenchef im Bundestag“.

Ulrike Winkelmann - Zukunft des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks (34715387826).jpg

Zugegeben: Wanderwitz’Einlassungen waren in der Vergangenheit nicht immer so, dass wir sie in der taz beklatscht hätten – ich erinnere an „höhere Krankenkassenbeiträge für Übergewichtige“. Aber der Grund, warum Sie den Namen jetzt häufiger in der taz gelesen haben, ist, dass Wanderwitz aktuell vielen aus dem Nicht-CDU-Lager Respekt abnötigt.

Der CDU-Mann kämpft ganz offen, also mit harten Vorwürfen, gegen die AfD – und gegen die selbstbezügliche unsinnschleudernde Verachtung aller demokratischen Maßstäbe so vieler Wählerinnen und Wähler im Osten. Es gehe um die Demokratie als Ganzes, sagt er. Schon ausweislich der Hasskampagne der AfD gegen ihn braucht es dafür tatsächlich Mut.

Quelle         :     TAZ          >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —         Marco Wanderwitz (CDU), MdB

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Unten       —       Ulrike Winkelmann. Foto: SeeSaw /Sophia Lukasch www.seewsaw-foto.com Veranstaltung „Öffentlich-rechtliche Medien im (digitalen) Wandel“ der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin

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Generation Hoyerswerda

Erstellt von DL-Redaktion am 16. September 2021

Vor dreißig Jahren begann eine Phase rassistischer Pogrome.

Von David Begrich

Rohe Gewalt ist inzwischen weniger geworden – nicht aber die Demütigungen im Alltag. Die Schläger von damals sind heute Familienväter, Unternehmer für die rechte Szene oder AfD-Wähler.

Sie stammen aus einer anderen Zeit, die unscharfen Farbfernsehbilder des September 1991 aus Hoyerswerda. Sie zeigen Szenen, in denen Neonazis und Bür­ge­r*in­nen über eine Woche lang vormalige DDR-Ver­trags­ar­bei­te­r*in­nen und Asyl­be­wer­be­r*in­nen jagen, ihre Behausungen in Brand zu stecken versuchen und sie zu terrorisieren. Vor laufender Kamera artikulieren die Akteure dieser Gewalt ungefiltert ihren rassistischen Hass, gepaart mit nationalistischem Dünkel. Die Polizei war in Hoyerswerda über Tage nicht in der Lage, die rechte Gewalt wirkungsvoll zu beenden. Ein Handlungsmuster, welches sich in den Jahrzehnten danach vielfach wiederholt.

Die tagelange rassistische Massengewalt von Hoyerswerda 1991 ist eine der Urszenen der „Baseballschlägerjahre“, jener Zeit der 1990er und 2000er Jahre, in denen rechte Jugendliche, normale Bür­ge­r*in­nen und organisierte Neonazis eine nahezu grenzenlose rassistische Gewalt ausübten; über lange Zeit weitgehend ohne Gefahr strafrechtlicher Sanktionen. Mehr noch: Die Mehrheitsgesellschaft sah zu, nein, sie sah weg, wenn Neonazis mit und ohne Anlass auf alle einprügelten, die sie für undeutsch ansahen. Jene, die diese Gewalt thematisierten, sich wehrten, gerieten und geraten nicht selten selbst unter sozialen Druck oder unter Linksextremismus-Verdacht. Bis heute geben Polizisten manchmal den potenziellen Opfern rechter und rassistischer Gewalt den gut gemeinten Ratschlag, sich im Angesicht der Bedrohung durch rechts motivierte Gewalttäter unsichtbar zu machen, nicht aufzufallen oder besser ganz aus dem Ort zu verschwinden.

Die Tage rassistischer Gewalt von Hoyerswerda prägten eine ganze Generation rechtsextremer Gewalttäter – politisch und aktionistisch. Es war die Zeit, in der die späteren NSU-Ter­ro­ris­t*in­nen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in einer rechten Jugendbewegung sozialisiert wurden, aus der sie den Schluss zogen, zum geplanten Terror gegen Mi­gran­t*in­nen überzugehen. Die Generation Hoyerswerda hat aus den 1990er Jahren gelernt, dass in der Gesellschaft der Wille, die Bereitschaft zur Konsequenz und die dauerhafte Aufmerksamkeit die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus zu führen, immer dann erlahmen, wenn scheinbar gerade nichts passiert – will heißen, es kein rassistischer Angriff in die überregionalen Medien schafft. Wer aber wissen will, was wirklich vor sich geht, lese die Meldungen und Chroniken der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt.

Was in Hoyerswerda im September 1991 geschah, war kein einmaliger Vorgang. Es war eine Blaupause für die rassistische Gewalt, die von Rostock-Lichtenhagen 1992 bis Heidenau 2015 po­grom­artige Züge trug. Vorbei? Lange her? Sicher, Verhältnisse wie in den 1990er Jahren, in denen Neonazis ganze ostdeutsche Kleinstädte zur No-go-Area für ihre erklärten Feinde machten, sind vorbei. Das hat verschiedene Gründe: Abwanderung, der demografische Wandel, der Wegfall des jugendkulturellen Bewegungsimpulses der extremen Rechten und nicht zuletzt die mutige und kräftezehrende Arbeit von An­ti­fa­schis­t*in­nen und Zivilgesellschaft.

Das, was das Wesen der „Baseballschlägerjahre“ ausmachte – die sichtbare, schiere Omnipräsenz rechtsextremer Gewalt und Dominanz in Ostdeutschland –, mag vorbei sein. Nicht vorbei aber ist die Gewalt, die Diskriminierung und die oft subtile Demütigung, die von Neonazis und rechten Wutbürgern ausgeht. In den westdeutschen Me­tro­polen, auch in Leipzig, Jena und Potsdam kann dem, wer will, aus dem Weg gehen. In Chemnitz, Köthen und Pasewalk ist das schwieriger. Die Schläger von damals sind nicht verschwunden. Sie sind heute Familienväter, Unternehmer für die rechte Bewegung oder AfD-Wähler. Wer sich ein Bild vom Ausmaß der Normalisierung der extremen Rechten in Ostdeutschland machen will, sehe sich Wahlkampfveranstaltungen der AfD auf den Marktplätzen an. Das sind keine Massen­events. Aber dort stehen rechte Wutbürger, Neonazis und normale Leute, die glauben, ihre Meinungsfreiheit sei in Gefahr, einträchtig neben­ein­an­der und lassen sich von AfD-Po­li­ti­ke­r*in­nen einreden, sie lebten in einer DDR 2.0.

Quelle        :          TAZ-online           >>>>>           weiterlesen

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Grafikquelle :

Oben      —       Eine für das 19. Jahrhundert typische systematische Einteilung der Menschen in Rassen (nach Karl Ernst von Baer, 1862)

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»Hängt die Grünen«-Plakate

Erstellt von DL-Redaktion am 11. September 2021

Nun wird also doch ermittelt. Na bravo

Wahlplakat der Grünen in Plauen 20190828 046.jpg

Ein Gastbeitrag von Thomas Fischer

Eine sächsische Staatsanwaltschaft ergeht sich in der Textauslegung eines ziemlich eindeutigen Aufrufs. Nun hat deren Vorgesetzter eingegriffen und ein Verfahren angeordnet. Ein Skandal? Oder juristische Routine?

Zum Anlass

Das Sächsische Staatsministerium der Justiz hat, wie man lesen durfte, »einen Bericht zur rechtlichen Bewertung bei der Generalstaatsanwaltschaft angefordert«. Das ist interessant, aber auch etwas verwirrend. Im zuständigen Fachministerium ist, so sollte man meinen, in aller Regel genügend Sachverstand versammelt, um rechtliche Bewertungen des Weltgeschehens selbst vorzunehmen. Das bedeutet nicht, dass nicht gelegentlich ein externes Gutachten Licht in ein rechtliches Dunkelfeld tragen könnte. Aber das heißt dann nicht »Bericht«.

Klar: »Hängt die Grünen« bedeutet nicht, dass man grüne Plakate aufhängen möge, auf denen »Hängt die Grünen!« geschrieben steht, sondern dass man »die Grünen« aufhängen, das heißt: Menschen umbringen und ermorden solle, die als »die Grünen« bezeichnet werden. Nun soll eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Zwickau sich und uns gefragt haben, wer das denn wohl eigentlich sein solle. Sie war dabei, entgegen anderslautenden Vermutungen, nicht auf der Suche nach grünen Männchen, sondern irrte zwischen Politikern, Wählern, Mitgliedern und Sympathisanten umher, war also auslegungstechnisch immerhin auf einer heißen Spur, die direkt zur Partei »Bündnis90/Die Grünen« führt. Treffer!
Nächste Frage: Was könnte das Aufhängen solcher Plakate »sein«? Diese Frage versteht jeder Staatsanwalt, denn es handelt sich um die zentrale Frage der Strafrechtswelt und bedeutet: Ist irgendein Straftatbestand verwirklicht? Ab dem ersten Semester kennt jeder Jurastudent das Rätsel unter Namen Fallfrage: »Haben sich die Beteiligten strafbar gemacht«?

§ 183a StGB passt schon mal nicht, wie wir eingangs gesehen haben. In Betracht kommen noch: § 111 (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten; den Älteren noch bekannt aus dem Fall »Startbahn West«), § 241 (»Bedrohung mit einem Verbrechen«) sowie § 130 (»Volksverhetzung«). Ziemlich entfernt grüßen noch § 30 (»Versuchte Anstiftung zu einem Verbrechen«) und höchstvorsorglich § 240 (»Nötigung«). Bei § 111 und § 241, auch bei § 30, bräuchte man, wie die Staatsanwaltschaft richtig erkannt hat, eine »hinreichende Konkretisierung«. Es langt also jedenfalls nicht, ohne Weiteres zu sagen: »Begeht Straftaten!« Könnte aber im Einzelfall sein; die Grenzen sind wie meist fließend. »Plündert!« reicht aus, wenn es der schwarze Block im Schanzenviertel ruft, nicht aber, wenn es eine Kundin in den Regalschluchten des Lidl murmelt.

Sagen wir probeweise mal: Volksverhetzung. Eine Variante: Aufrufen zu Gewaltmaßnahmen gegen eine Gruppe der Bevölkerung oder gegen einzelne Personen wegen deren Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (§ 130 Abs. 1 Nr. 1). Was eine »Gruppe der Bevölkerung« in diesem Sinn ist, darüber gibt es unzählige Gerichtsurteile, Fachaufsätze und Meinungen. Die AfD hat vor einiger Zeit beantragt, gleich das ganze deutsche Volk als »Gruppe der Bevölkerung« anzusehen. Das sollte die Abermillionen von Undeutschen in den Knast bringen, von denen die AfD umzingelt ist und die dauernd zu Willkürmaßnahmen gegen die armen Deutschen aufrufen, und war deshalb ein wenig übers Ziel hinausgeschossen, denn § 130 StGB hat natürlich vor allem einen Schutz von Minderheiten im Auge hat und soll verhindern, dass zwischen einzelnen Teilen und Gruppen der Bevölkerung hassgeprägte, gewaltsame Konfrontationen provoziert werden. Die Vorschrift soll den »Öffentlichen Frieden« schützen, womit nicht ein Gefühl der Feierabend-Zufriedenheit gemeint ist, sondern das von Angst und Gewalt freie soziale Zusammenleben.

Sind nun »die Grünen« eine »Gruppe der Bevölkerung«? Die Staatsanwaltschaft Zwickau meinte im ersten und zweiten Anlauf: nein, denn vielleicht seien ja auch die (unbekannten) Wähler oder die »Sympathisanten« der Partei gemeint. Von so viel rechtsstaatlicher Differenzierung und Vorsicht ist die Auslegungskunst von Staatsanwaltschaften nicht immer geprägt. Wie es halt so geht im Recht: Manche sagen so, manchen sagen anders. »Soldaten der Bundeswehr« wurden als Gruppe angesehen, auch »Katholiken«, »Richter und Staatsanwälte« oder »Behinderte«. Abgelehnt wurde das Merkmal zum Beispiel bei »Antifa-Brut« oder »Schalke-Fans«. An die Bezeichnung »Die Grünen« kann man natürlich mit staunenden Kinderaugen herangehen und sagen: Damit sind vielleicht alle Veganer der Welt gemeint, oder alle, die in ihrer Jugend einmal erwogen haben, einen grünen Stadtrat zu wählen. Man könnte allerdings auch sagen: In einem öffentlichen Bundestagswahlkampf sind mit einer ausreichend hohen Wahrscheinlichkeit und Bestimmbarkeit diejenigen Politiker gemeint, die für die genannte Partei kandidieren und/oder politische Ämter innehaben.

Zum Jagen tragen

Ich werde dazu jetzt keine gutachterliche Meinung vertreten. Die Lebenswirklichkeit auf tatsächliche Anhaltspunkte für verfolgbare Straftaten zu prüfen, ist das Amt der Staatsanwaltschaft (§ 152 Abs. 2 StPO). Sie muss, so sagt es § 160 Abs. 1 StPO, »den Sachverhalt erforschen, sobald sie von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält«. Strafverfolgung findet also, jedenfalls in aller Regel, nicht nur »auf Antrag« und erst recht nicht nach dem Lustprinzip statt, sondern von Amts wegen und nach Regeln: Legalität.

Quelle         :       Spiegel-online        >>>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Wahlplakat der Grünen in Plauen.

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Unten      —        Thomas Fischer auf der re:publica 2016
Ot – Eigenes Werk
Thomas Fischer (Jurist)
CC-BY-SA 4.0
File:Thomas Fischer-Jurist-rebuliva16.JPG
Erstellt: 4. Mai 2016

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Starker Staat als Fallobst ?

Erstellt von DL-Redaktion am 5. September 2021

Der starke Staat gegen Lina E.

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Von Konrad Litschko

Es wird der bedeutendste Prozess gegen eine autonome Gruppe seit Jahren: Ab Mittwoch stehen die Leipzigerin Lina E. und drei Mitangeklagte in Dresden vor Gericht. Die Vorwürfe sind gewaltig – die Solidarität der linken Szene ist es auch.

Es ist eine Verfolgungsjagd, die sich der silberne VW Golf in der Nacht zum 14.Dezember 2019 mit der Polizei liefert. Mehrere Einsatzwagen jagen in Eisenach dem Fahrzeug mit den gestohlenen Kennzeichen hinterher, Richtung Autobahn. Noch im Stadtgebiet stoppen es die Beamten schließlich. Auf einem der Sitze: Lina E. Und auf der Rückbank noch die Originalkennzeichen des Golfs, zugelassen auf E.s Mutter.

Kurz zuvor, gegen 3.15 Uhr, sollen acht Vermummte in Eisenach dem Neonazi Leon R. aufgelauert haben, nachdem der von seiner Szenekneipe Bull’s Eye von drei Bekannten nach Hause gefahren wurde. Laut den Ermittlern hält Leon R. die Angreifer mit einem Messer und Pfefferspray auf Abstand. Die attackieren daraufhin seine Begleiter in deren Auto, zertrümmern mit Stangen und einem Hammer die Scheiben, prügeln auf die Insassen ein. Dann rasen sie in zwei Autos davon, einer davon ist der VW Golf. Der zweite Wagen schafft es bis ins nahe Hessen, dann wird auch er gestoppt.

Es ist diese Nacht, in der die Polizei plötzlich eine Spur hat. Seit Monaten kommt es in Leipzig zu Angriffen auf Rechtsextreme, Polizeireviere oder Baustellen von Neubauprojekten. Eine eigens vom LKA Sachsen gegründete Soko Linx ermittelt dazu – ohne Erfolg. Nun aber wird in Eisenach die Gruppe aus Leipziger und Berliner Autonomen gefasst, unter ihnen Lina E. Und die Ermittler stellen fest: Die Studentin wurde erst einen Tag zuvor in einem Leipziger Baumarkt erwischt, als sie versuchte, zwei Hämmer zu klauen.

Für die Soko Linx geht die Arbeit nun richtig los. Am Ende wird die Bundesanwaltschaft den Fall übernehmen und Lina E. sechs schwere Angriffe auf Rechtsextreme vorwerfen sowie die Bildung einer kriminellen Ver­einigung, der sie als „Kommandogeberin“ vorgestanden haben soll. Am 5. November 2020 wird Lina E. unter großem Medienrummel festgenommen. Mit einem Helikopter wird sie zum Haftrichter nach Karlsruhe geflogen, ihr Bild landet in den Boule­vardmedien.

Ab Mittwoch nun wird Lina E. vor dem Oberlandesgericht Dresden stehen, zusammen mit drei Mitangeklagten. Getragen von einer „militanten linksextremistischen Ideologie“ hätten sie als kriminelle Vereinigung ab August 2018 das Ziel gehabt, Rechtsextreme „planvoll anzugreifen“, heißt es in der Anklage. Die insgesamt 13 Opfer hätten dabei teils lebensbedrohliche Verletzungen erlitten. Drei von ihnen werden als Nebenkläger mit im Saal sitzen.

Der Prozess ist schon jetzt politisch aufgeladen. Es ist lange her, dass die Bundesanwaltschaft so gegen Autonome durchgreift, zuletzt klagte sie 2008 die „militante gruppe“ aus Berlin an. In jüngster Zeit warnten die Sicherheitsbehörden nun erneut vor einer Radikalisierung der linken Szene, vor einer Abkoppelung klandestiner Gruppen – die vermeintliche Gruppe um Lina E. dient ihnen als Beleg.

Auf der anderen Seite organisiert die linke Szene eine Solidaritätskampagne für Lina E. und die anderen, wie es sie ebenfalls lange nicht gab. „Free Lina“ hieß es auf Demonstrationen, Graffitis oder Stoffbeuteln. Auch zu Prozessbeginn soll es eine Kundgebung vor dem Gericht geben.

Lina E. wird dann das erste Mal nach ihrer Verhaftung in die Öffentlichkeit treten. Inhaftiert ist sie in der JVA Chemnitz, wo auch Beate Zschäpe einsitzt. Zu den Vorwürfen hat sich die 26-Jährige bisher nicht geäußert. Und sie wird es laut ihren Anwälten auch im Prozess vorerst nicht tun.

Doch die Vorwürfe sind massiv. Schon Anfang August 2018 soll Lina E. den Wurzener Neonazi Cedric S. ausgespäht haben, der sich 2016 an einem Überfall von 250 Rechtsextremen auf den Leipziger Alternativstadtteil Connewitz beteiligte. Aus einem Auto heraus soll die Studentin Fotos vom Fußballplatz gemacht haben, auf dem S. trainierte. Mehrere Monate später überfielen fünf Vermummte den Rechtsextremen, schlugen auf ihn ein, auch mit einem Schlagstock. Er soll mehrere Risswunden am Kopf und Knochenbrüche erlitten haben.

Dann soll Lina E. noch beteiligt gewesen sein an einem Angriff auf einen früheren NPD-Mann und einen Kanalarbeiter, der eine Mütze mit rechtsextremem Logo trug.

Im Oktober 2019 folgte dann der erste Angriff auf Leon R. und sein „Bull’s Eye“ in Eisenach. Bis zu 15 Vermummte sollen nach Mitternacht das Lokal gestürmt und auf die Anwesenden eingeprügelt haben, auch mit Schlagstöcken. Lina E. habe wieder mit Pfefferspray gesprüht und Kommandos gegeben. Zwei Monate später erfolgte dann der zweite Überfall auf Leon R. – bei dem die Polizei das Auto mit Lina E. stoppte.

Dennoch soll sie sich im Februar 2020 an einem weiteren Angriff auf eine sechsköpfige Gruppe Neonazis beteiligt haben, die sich auf dem Heimweg von einem Szeneaufmarsch in Dresden befand. Lina E. habe sie in der Regionalbahn beobachtet und deren Standort an ihre Mittäter durchtelefoniert. Die seien mit E.s Auto nach Wurzen gefahren und hätten dort den Neonazis aufgelauert und sie verprügelt. Im Juni 2020 sollen die Autonomen dann die Wohnung des Leipziger Neonazis Brian E. ausgespäht haben, Lina E. habe dabei eine rote Perücke getragen. Den Angriff aber verhinderte die Polizei, die Gruppe wurde da längst observiert. Lina E. wurde kurz darauf das erste Mal festgenommen, fünf Tage später aber wieder entlassen – bis zur erneuten Festnahme im November.

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Die Frage ist nun: Lassen sich all diese Taten wirklich Lina E. zuschreiben?

Ihre Anwälte bestreiten das. „Die Beweise sind teils sehr, sehr dünn“, sagt einer von ihnen, Ulrich von Klinggräff. „Vieles sind einfach Ketten von Mutmaßungen.“ Dass die Bundesanwaltschaft den Fall übernommen habe und so hoch hänge, sei „völlig überzogen“. „Hier findet eine beispiellose Vorverurteilung statt.“ Tatsächlich ist das Vorstrafenregister von Lina E. bisher leer. Aufgewachsen in Kassel, machte sie dort ihr Abitur. Sie studierte Erziehungswissenschaft in Halle, zog 2018 nach Connewitz, schrieb ihre Bachelorarbeit zum Umgang mit Rechtsextremen in der Jugendarbeit, am Beispiel des Jenaer NSU-Trios. Dann begann sie ein Masterstudium, ging regelmäßig klettern, hielt engen Kontakt zu ihrer Familie.

Beschreiben bekannte Lina E., lässt sich das Bild kaum mit den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft in Einklang bringen. Lebensfroh und offen sei sie gewesen, habe die Fantasyreihe „Herr der Ringe“ gemocht und Sozialarbeiterin werden wollen, werden Freunde in der Leipziger Volkszeitung oder Zeit zitiert. Und ja, sie sei auf Demos gegangen, der NSU-Mord in Kassel habe sie wohl politisiert. Aber radikale Töne und brutale Übergriffe? Nichts davon habe man bemerkt.

Quelle       :     TAZ-online        >>>>>       weiterlesen

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Oben     —   Acte XIV des gilets jaunes à Paris. Dispersion de la manifestation esplanade des Invalides.

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Alltag für Jour­na­lis­t-In­nen

Erstellt von DL-Redaktion am 31. Juli 2021

Schon bist du beim Verfassungsschutz

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Sitzen die Staats-Schwachköpfe schon in den Bäumen ?

Von Jessica Ramczik

Tim Mönch ist professioneller Fotojournalist. Sächsische Staatsschützer sammeln trotzdem Daten über ihn – weil sie ihn als Linksextremisten sehen.

Am 14. Dezember 2019 tut Tim Mönch das, was Fotojournalisten tun. Mönch, dessen Fotos bereits in der taz, im Spiegel und beim ARD-Magazin „Monitor“ gezeigt wurden, fotografiert einen rechten „Zeitzeugenvortrag“ im sächsischen Leubsdorf. Das Foto des anwesenden Chemnitzer Stadtrats Robert Andres (ProChemnitz) veröffentlicht er auf seinem Twitter-Profil. Andres ist als Stadtrat eine Person des öffentlichen Lebens. Eine Veröffentlichung also rechtlich zulässig.

Dass Mönch in Leubsdorf als Journalist tätig war, will die Behörde nicht anerkennen. Grund für die Speicherung seiner Personendaten soll vielmehr sein, dass Mönch 2015 und 2016 an Demonstrationen teilgenommen habe, die „jeweils einen links­extremis­ti­schen Charakter aufwiesen“

Geregelt wird dies in Paragraf 23 des Kunsturhebergesetzes. Demnach dürfen Personen der Zeitgeschichte, so auch Politiker, fotografiert und diese Bilder veröffentlicht werden. „Ich bin mit der Veröffentlichung also völlig im Rechtsrahmen dessen geblieben, was ich als Journalist darf. Auch habe ich keine Fotos anderer Teilnehmer veröffentlicht“, sagt Mönch der taz.

Auch vor Ort sei alles regulär abgelaufen, sagt Mönch. „Ich war als Journalist zu allen Zeiten erkennbar. Die Beamten haben meinen Presseausweis kontrolliert.“ Trotzdem speichert der sächsische Verfassungsschutz diese journalistische Tätigkeit in seinen Akten, welche der taz vorliegen. Dort steht auch, dass Mönch einige Jahre zuvor linke Demos besucht habe.

Das Speichern der Daten von Berufsgeheimnisträgern ist rechtlich nicht zulässig, zudem genießen Jour­na­lis­t*in­nen auch durch die verfassungsrechtlich garantierte Pressefreiheit besonderen Schutz.

Als Extremist unterwegs

Dass Mönch jedoch in Leubsdorf als Journalist tätig war, will die Behörde nicht anerkennen. Grund für die Speicherung soll vielmehr sein, dass Mönch in den Jahren 2015 und 2016 an einer Demonstration teilgenommen habe, die „jeweils einen linksextremistischen Charakter aufwiesen“, wie es in der Antwort des sächsischen Verfassungsschutzes an Mönchs Anwältin heißt. Mithin verstoße die Datenspeicherung auch nicht gegen geltendes Recht, da Mönch auch beim Fotografieren der Teil­neh­me­r*in­nen des „Zeitzeugenvortrages“ als Linksextremist gehandelt habe.

Mönch erfährt davon erst, als er beim sächsischen Datenschutzbeauftragten ein Auskunftsgesuch darüber stellt, was die Behörde über ihn gespeichert hat.

Mönch beantragt schließlich mit Hilfe seiner Anwältin, dass diese Daten gelöscht werden. Der Verfassungsschutz gibt dem statt. Dass Mönchs Daten rechtswidrig gespeichert wurden, will der Verfassungsschutz dagegen nicht anerkennen: „Die Art von Recherchetätigkeit über den politische Gegner stellt eine typische Handlungsweise von Linksextremisten“, heißt es in einem Schreiben des sächsischen Verfassungsschutzes an Mönchs Anwältin. Eine Datenspeicherung sei damit rechtmäßig.

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Mit irre Potentaten – war schon immer beschwerlich zu Spaaßen

Der Verfassungsschutz teilt Mönchs Anwältin Kristin Pietrzyk lediglich mit, dass die Daten nicht mehr benötigt würden. Mönch widerspricht diesem Vorgehen, auch wegen fragwürdiger Quellen. Denn dass Mönch überhaupt beim Fotografieren als Linksextremist gehandelt habe, begründet der Verfassungsschutz mit der Nennung Mönchs in einem Artikel auf der rechtsextremen Webseite „Einprozent“.

Von Rechten diktiert

„Zugespitzt bedeutet dies, dass das Landesamt bei der Prüfung, ob Datenspeicherungen erfolgen dürfen, keine eigene Prüfung vorgenommen, sondern sie sich von Rechtsextremisten hat diktieren lassen“, heißt es im Widerspruchsschreiben von Anwältin Pietrzyk.

Der Verfassungsschutz weist dies in einem weiteren Schreiben zurück, Mönch sei bereits vor jenen Ereignissen erfasst worden. Auf Nachfrage der taz zu diesem Fall entgegnet eine Sprecherin der Behörde, dass sie aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Angaben zu Einzelpersonen machen werde.

Quelle          :          TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben     —WDR-Dreharbeiten zu Tatort Köln „Wacht am Rhein“ Foto: Fotojournalisten bei der Arbeit.

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„Exotisch“ im Zoo Leipzig

Erstellt von DL-Redaktion am 29. Juni 2021

Das schwere Erbe des Kolonialismus

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Aus Leipzig Alexandra Ketterer, Marie Zinkann und Abb-Kathrin Leclere

Im Zoo Leipzig wurden einst Schwarze in „Völkerschauen“ ausgestellt. Initiativen kritisieren, der Zoo halte an rassistischen Praktiken fest.

Es sind rund 150 Personen, die sich Ende Februar vor dem Leipziger Zoo versammeln. Es ist kalt, Regen prasselt auf die Protestierenden und ihre Banner, hinter ihnen ragen die vergitterten Tore des Zoos empor. „Dafür solltet ihr euch schämen“, ruft eine Sprecherin der Kundgebung, die anlässlich des Black History Month stattfindet. Gemeint ist die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte des Zoos.

„Es ist grotesk, dass sich der Zoo Leipzig noch immer kolonialer Sprache und Stereotypen bedient und seine Verbindung zum Kolonialismus immer noch verneint“, schallt es aus den Boxen, die neben dem Ernst-Pinkert-Haus aufgestellt wurden. Eine kleine Plakette erinnert an den Gründer des Zoos, der dort mit seiner Familie wohnte. Dass Ernst Pinkert im Zoo auch Menschen zur Schau stellte, steht da nicht.

In den Jahren 1876 bis 1931 fanden im Leipziger Zoo 42 sogenannte Völkerschauen statt, bei denen mehr als 750 Schwarze Menschen und Menschen of Color (BIPoC) zur Schau gestellt und ausgebeutet wurden.

Der Zoo weist den Vorwurf der fehlenden Aufarbeitung von sich. Auf Anfrage teilt er mit, dass Menschenschauen aus heutiger Sicht ohne Frage abzulehnen seien, kulturelle Einrichtungen aber „im Spiegel ihrer Zeit“ stünden: Damals seien die Bewertungsmaßstäbe andere gewesen.Die Frage ist nur:

Kanwal Sethi kritisiert, dass der Zoo sich einer Aufarbeitung verweigere

Lamin Touré hat da Zweifel. Der Musiker und Musikpädagoge aus Guinea, der eigentlich anders heißt, beteiligte sich im Februar ebenfalls an der Kundgebung vor dem Zoo. Als er vor drei Jahren nach Leipzig kam, vermittelte ihm ein Freund einen Auftritt im Zoo.

Touré spielt bei der Abendveranstaltung „Hakuna Matata“, die der Zoo auf seiner Webseite als „exotischen Streifzug durch die Savanne Afrikas“ bezeichnet. Das Publikum erlebe dort, oder beim „Grillabenteuer im Urwalddorf“, eine „Dschungelatmosphäre“. Das Essen, pauschal als „afrikanische Küche“, bezeichnet, liefert der Konzern Marché Mövenpick.

Die ausschließlich Schwarzen Künst­le­r*in­nen stehen an diesen Abenden einem weißen Publikum gegenüber, das über 100 Euro für eine Karte zahlt. Lamin Touré musste sich vor der Show im Keller umziehen und dort essen. „Das ist respektlos und diskriminierend“, sagt der Musiker, seine Stimme bebt.

Und immer wieder muss Touré auf seine Gage warten, bekam mal 50 Euro, mal 80 Euro für drei bis fünf Stunden Arbeit, die er bei einem Manager der Mu­si­ke­r*in­nen in dessen Wohnung abholen musste. Wer für die unregelmäßige Bezahlung verantwortlich ist – Zoo oder Manager – ist unkar. Der Manager will Fragen der taz dazu nicht beantworten. Der Zoo gibt an, die Künst­le­r*in­nen würden vertraglich engagiert und nach diesen Verträgen bezahlt.

Profit auf dem Rücken schwarzer Menschen

Lamin Touré jedenfalls arbeitet mittlerweile nicht mehr für den Zoo. Für ihn sind die „exotischen Abendveranstaltungen“ ein neues Gesicht des Kolonialismus. Er lacht bitter: „Hakuna Matata heißt: Nicht so viel nachdenken! Das finde ich ironisch, weil die sich offenbar nicht viel dabei gedacht haben.“

Das netzaktivistische Kollektiv „Wir müssten mal reden“ kritisiert, dass sich der Zoo auch abseits der Veranstaltungen kolonialrassistischer Stereotype bedient. So stünden neben Tiergehegen Informationstafeln über BIPoC, die Begriffe wie „Indianer“ oder „Pygmäen“ enthalten. Kolumbus werde als Entdecker romantisiert. Auch die Initiative Leipzig Postkolonial resümiert, der Zoo mache „auf dem Rücken von Schwarzen Menschen Profit“. Die Gruppe will das koloniale Erbe Leipzigs sowie postkoloniale Perspektiven durch Bildungsarbeit sichtbar machen.

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Der Zoo weist die Vorwürfe zurück. „In den vergangenen zwanzig Jahren haben wir unsere Geschichte sehr intensiv aufgearbeitet und veröffentlicht“, sagte Zoodirektor Jörg Junhold in einem Interview der Leipziger Volkszeitung. „Der Historiker Mustafa Haikal hat in unserem Auftrag die Völkerschauen und die Person Ernst Pinkert intensiv und quellenkritisch ausgeleuchtet und eingeordnet.“ Die Ergebnisse finden sich auf der Internetseite des Zoos.

Der Zoo stimmt den Ak­ti­vis­t*in­nen allerdings zu, dass noch „eine öffentliche Diskussion und eine nachhaltige Wissensvermittlung stattfinden“ sollte.

„Exotische Abende“ gibt es auch in anderen Zoos

Doch wie soll diese gestaltet werden? Der Migrantenbeirat der Stadt Leipzig hatte Zoodirektor Junhold schon im September 2020 zum Gespräch geladen. „Leider war aber ein sachliches Gespräch nicht möglich“, beklagt der Vorsitzende des Migrantenbeirats, Kanwal Sethi.

Auch er sieht die bisherige Aufarbeitung des Zoos als regelrechte Verweigerung, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Theaterregisseurin und Kulturwissenschaftlerin Simone Dede Ayivi kommentiert die Argumentation des Zoos mit: „Zurück auf die Schulbank.“

Der Zoo Leipzig ist jedoch keine Ausnahme. Vor der Pandemie bot auch der Zoopark Erfurt solche Abendveranstaltungen an, wie die Initiative Decolonize Erfurt kritisiert. Ein Sprecher der Stadt Erfurt bewertet die „Tropennächte“ mit „orientalischen“ Tänzen als „spielerischen Umgang mit Klischees, mehr nicht“.

In Augsburg wurde noch im Jahr 2005 ein „African Village“ aufgebaut, in dem Schwarze Menschen etwa als „Korbflechter“ „afrikanische Kultur“ vermitteln sollten. Und Mövenpick verkauft in sechs deutschen Zoos „exotisches“ Essen, im Restaurant Amazonica oder der Africambo Lodge.

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Oben     —     Haupteingangstor zum Zoo, Gründer-Garten im Zoo von Leipzig

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Am eckigen Tisch

Erstellt von DL-Redaktion am 27. April 2021

Demokratiearbeit in Sachsen

Ein Artikel von Mina Brucht

In Plauen beendet die CDU mit Stimmen von AfD und „Der III. Weg“ die Arbeit eines Demokratiebündnisses. Das Bündnis macht nun ohne die CDU weiter.

m Sommer 2018 saß man noch zusammen an einem Tisch. Damals trafen sich Po­li­ti­ke­r:in­nen und Bür­ge­r:in­nen auf dem Plauener Altmarkt vor dem Rathaus mit dem Renaissancegiebel von 1382, dem Wahrzeichen der Stadt. Der „Runde Tisch für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage im Vogtlandkreis“ hat zum „Speed-Dating“ bei einem sogenannten Abendessen der Begegnung geladen. Die Idee: zehn Tische, zwischen denen neun Po­li­ti­ke­r:in­nen hin- und herwechseln. Die SPD ist beteiligt, ebenso die Linken und die Grünen, für die Ulrike Liebscher damals als Mitorganisatorin eingespannt war. Und auch Jörg Schmidt, CDU-Fraktionschef im Plauener Stadtrat, folgte der Einladung des Runden Tischs.

Bierbänke auf dem Kopfsteinpflaster schaffen einen provisorischen Begegnungsort, kleine Blumengestecke liegen auf den Tischen. Es gibt Bratwurst oder Roster, wie man im sächsischen Vogtland sagt, dazu Kartoffelsalat und Bier. Man plaudert, stößt an, lacht und diskutiert.

Heute, knapp drei Jahre später, sitzen Grüne und CDU nicht mehr gemeinsam an einem Tisch. Liebscher sagt, sie habe manchmal das Gefühl, „das Böse schlechthin“ zu sein. Schmidt sagt, für ihn sei „eine rote Linie“ überschritten.

Drei Wochen zuvor, im März 2021, reichte die CDU einen Antrag im Stadtrat ein. Unter der Überschrift „Demokratie stärken“ zielte das Papier darauf ab, die bislang für die Arbeit des Runden Tischs vergebenen 8.000 Euro einzustellen und die Fördersumme neu auszuschreiben. Der Antrag bekam eine Mehrheit – mit Stimmen von CDU, AfD und der Neonazi-Partei Der III. Weg. In verschiedenen Medien hieß es, die Plauener CDU habe mit Stimmen von Rechtsextremen ein Demokratie-Bündnis gekippt.

Der Tisch, ein informelles Bündnis

Der Runde Tisch wurde 2012 ins Leben gerufen. Ein informelles Bündnis aus Zivilgesellschaft, Politik und Kirche, „um sich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und gegen totalitäre und menschenverachtende Bestrebungen aller Art einzusetzen“, wie es im „Grundkonsens“ heißt. Konkret ging es darum, den zunehmenden neonazistischen Bestrebungen in der Stadt etwas entgegenzusetzen. Der Pfarrer Hans-Jörg Rummel übernimmt damals die Rolle als Moderator und Sprecher, Ulrike Liebscher wird Koordinatorin.

Liebscher, im geringelten Longsleeve und Jeans, ist eine lockere Frau, sie gestikuliert viel, spricht im freundlichen schwäbischen Dialekt. Zum Interview hat sie Muffins mitgebracht. Sie zählt sich zur „Generation Fischer“. Grün gewählt habe sie schon immer, erzählt sie, aber aktiv sei sie erst geworden, als sie aus dem baden-württembergischen Tübingen in ein Dorf bei Plauen zog. Es war zur Zeit der Bundestagswahl 2005 und im ganzen Dorf hätten nur Wahlplakate der NPD gehangen. Für Liebscher die Initialzündung. Sie und ihr Mann treten bei den Grünen ein – heute ist sie Kreisvorsitzende, ihr Mann Landtagsabgeordneter.

Jörg Schmidt ist auf eine andere Art freundlich. Höflich, aber bestimmt. In seinem Büro in der Plauener Altstadt steht das Grundgesetz im Regal, an der Wand hängt ein Ausschnitt der deutschen Nationalhymne. Er trägt Hemd, Sakko und glänzend polierte Schuhe. Schmidt spricht deutlich und laut, unterbricht man ihn mit einer Frage, redet er noch lauter weiter. Sich selbst bezeichnet er als wertkonservativ, christlich und bodenständig. „Und weltoffen“, sagt er. Konservativ, das bedeute für ihn Geradlinigkeit und Disziplin, aber eben auch ein „gesunder demokratischer Patriotismus“.

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Liebscher und Schmidt repräsentieren sehr unterschiedliche Formen von Politik. Dennoch sitzen beide eine Zeit lang gemeinsam am Runden Tisch, um die rechten Bestrebungen zu bekämpfen.

Die Arbeit des Bündnisses läuft gut, 8.000 Euro von der Stadt und 12.000 Euro vom Kreis ermöglichen breite Aktivitäten. Die bereitgestellten Gelder sind aus Fördertöpfen, die eine demokratische Teilhabe in der Region ermöglich sollen. Bundesweit sind solche Förderungen nicht unüblich, meist werden sie in den Haushaltsbeschlüssen der Stadt- oder Kreisräte beschlossen.

Demokratische Teilhabe

Liebscher selbst ist mit 16 Stunden in der Woche angestellt, verdient dabei knapp 500 Euro, der Rest geht für Raum- und Materialkosten drauf. Sie organisieren Demokratiefeste, Veranstaltungen zu Sinti und Roma, eine Ausstellung zu Anne Frank, einen Podcast zu Erfahrungen mit Alltagsrassismus oder das Speeddating mit Politiker:innen. Wenn in der Region ein Naziaufmarsch ist, organisiert der Runde Tisch Gegenproteste.

Doch es kommt zu Konflikten innerhalb des Bündnisses. Liebscher wird vorgeworfen, den Runden Tisch für grüne Politik zu missbrauchen. Nach einer Veranstaltung des Queeren Netzwerk Sachsen ärgert sich die CDU über das „Gender-Thema“. Auch eine Veranstaltung gegen die Novellierung des sächsischen Polizeigesetzes geht laut Schmidt „am Ziel des Runden Tischs vorbei“.

Im Mai 2019 wählt Plauen seinen Stadtrat neu. Erstmals gewinnt mit Tony Gentsch ein Mitglied der neonazistischen Partei Der III. Weg dort einen Sitz. Gentsch und seine Kameraden gehören zu einer der rechtsextremsten Gruppen, die derzeit in Deutschland zu finden ist und sind die aktivste rechtsextreme Parteistruktur in Sachsen. Im sächsischen Verfassungsschutzbericht von 2019 heißt es „Ideologisch orientiert sich die Partei am historischen Nationalsozialismus“. Sie arbeite auf den „Tag X“ hin und wolle diesen „nicht erhoffen, sondern erkämpfen“.

Als soziale Einrichtung getarnt

Insbesondere in Plauen breiten sich Neonazis vom III. Weg aus.

Im Stadtteil Haselbrunn haben sie bereits zwei Häuser als „Stützpunkt“ etabliert, wie die Partei ihre Büros nennt. Von hier aus wirken sie ins Viertel: mit sogenannter Nachbarschaftshilfe für Deutsche, Hausaufgabenbetreuung, Suppenküche, Selbstverteidigungs- und Kampfsportkursen, einer Kleiderkammer. Die Partei organisiert Wanderungen, einen Jugendtag, verteilt Schreibmaterial zum Schulanfang. Und inszeniert sich dabei als soziale Einrichtung, ihre Akteure geben sich als soziale Nationalisten. Oder andersherum: Es sind handfeste Nationalsozialisten, die hier in Plauen-Haselbrunn den Stadtteil einnehmen.

Auch die taz wird bei ihrer Recherche vor dem Haus des III. Wegs bedroht, bedrängt und verfolgt. Ein Mann nähert sich den Reporter:innen, drängt sie vom Weg, verfolgt sie bis zum Auto. Man solle sich „verpissen“ – dabei unterscheiden sich die Fotos, die die taz vor Ort macht, nicht von denen, die bereits im Internet zu sehen sind.

Später erscheint auf der Homepage der Partei ein Artikel, in dem spekuliert wird, ob „linksextreme Späher“ den sogenannten Stützpunkt auskundschaften. Liebscher wird darin namentlich erwähnt, auch das ortsfremde Auto und Nummernschild werden registriert und im Text genannt. Im Ort erzählt man sich danach, die Kameraden des III. Weges würden eine „linksterroristische Gefahr“ vermuten.

Ein Penis provoziert

2019 ist nicht nur in Plauen, sondern in ganz Sachsen Wahlkampf. Die Landtagswahl steht an. Die Satirepartei „Die Partei“ wirbt mit einem provokanten Wahlplakat: Ein nackter Mann mit dem Gesicht des CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer liegt auf einer Wolke, im Hintergrund ein hölzernes Kreuz. Der überkarikierte Penis des Mannes schlängelt sich um das Kreuz herum. Darunter ein Slogan mit CDU-Logo: „Aus langer Tradition.“

Das Plakat ist ein Skandal, über Sachsen hinaus. Für die CDU ist es ein Affront. Für andere Satire.

Ulrike Liebscher sitzt in diesem Wahlkampfsommer abends vor ihrem Computer, es muss so gegen zwanzig Uhr gewesen sein, erinnert sie sich heute. Liebscher sieht das Plakat auf Facebook, teilt es auf ihrem privaten Account, mehr aus Versehen als aus Überlegung, sagt sie heute. Und löst damit für die kleine Stadt im Vogtland eine folgenreiche Affäre aus.

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Wenn sie das Plakat beschreibt, wiegt sie ihren Kopf hin und her, es ist ihr sichtlich unangenehm. Ein Skandal? Nein, das sei es nicht gewesen, sagt sie. Sie nennt es „meinen Fauxpas“. Die Katholikin Liebscher findet das Plakat nur bedingt witzig. Es sei eben Satire, sagt sie, und die dürfe bekanntlich alles. Am liebsten würde sie das Thema vergessen.

Am Morgen, nachdem sie das Plakat auf Facebook teilte, so erzählt es Liebscher, „ging der Bohei los“. Die lokale CDU ist empört, spricht von Ehr- und Religionsverletzung, von fehlendem Respekt – immerhin ist Liebscher zu diesem Zeitpunkt die Koordinatorin des Runden Tischs und bei der Kirche angestellt. Von dieser erhält Liebscher eine Abmahnung, die CDU fordert ein klärendes Gespräch, Liebscher entschuldigt sich, die Sache – so erzählen Liebscher und der CDU-Vorsitzende Schmidt beide – sei damit eigentlich erledigt gewesen. Dennoch zieht sich die CDU kurze Zeit später aus dem Bündnis des Runden Tischs zurück.

Fragt man Jörg Schmidt, warum, dann sagt er, das Poster habe das Fass nur zum Überlaufen gebracht. Nach einer Respektlosigkeit wie dieser sei es schwierig, vertrauensvoll miteinander zu arbeiten. Aber hatten man sich nicht geeinigt, dass die Sache nach der Entschuldigung aus der Welt war?

Das Hufeisenmodell

Demokratiearbeit kann insbesondere in lokalen Strukturen zu Konflikten führen. Wer in starren Kategorien denkt, tut sich besonders schwer. So auch die sächsische CDU, die im Kampf gegen den Rechtsextremismus stets auch auf eine vermeintlich drohende Gefahr durch Linksextremismus verweist und sich dabei an einem Demokratiemodell orientiert, das in der Politikwissenschaft schon lange umstritten ist – das sogenannte Hufeisenmodell.

Quelle        TAZ         >>>>>        weiterlesen

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Oben         —     Stadtansicht von 2004 (vom Rathausturm)

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DIE * WOCHE

Erstellt von DL-Redaktion am 26. April 2021

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Kolumne von Friedrich Küppersbusch

Kretschmer, Musk und Schalke: „Unterwegs“ – Kretschmer reist nach Russland und telefoniert mit Putin, Elon Musk schickt vier Astronauten ins All – und Schalke muss in die zweite Liga.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Union für offene Feldschlacht scharf kritisiert.

Und was wird besser in dieser?

Grüne für Hinterzimmer­deals bejubelt.

Ironie ist ganz schwierig, bekommen Jour­na­lis­t:in­nen beigebracht. Sollte dieser Merksatz angesichts von #allesdichtmachen künftig auch Teil der Schauspielausbildung werden?

Dazu ist alles gesagt, nur noch nicht von allen. (Karl Valentin). Gern noch mal so: Wenn der Milchbauer sein Vieh jahrelang um 6 Uhr melkt und dann wegen Krankheit ausfällt, stehen die um sieben Uhr schmerzprallen Euter im Stall und muhen die Bude nieder. Das kann man sich auf dem Video anschauen. Satire geht dahin, wo es wehtut – zum Beispiel auch den Satirikern. Was ich der stattfindekranken Selbsthilfegruppe wirklich übel nehme: Jetzt ist man versucht, die 2 Milliarden Euro Künstlerhilfen des Bundes plus die Stipendienprogramme der Länder zu loben zum Schutz vor dem weit streuenden Schrotschuss der Aktion. Schöner wäre, gemeinsam mindestens Lufthansa-Ausmaße zu fordern.

Apropos Ironie: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer ist vergangenen Mittwoch nach Moskau gereist, um die Ausstellung „Träume von Freiheit“ zu eröffnen und um mit Putin zu sprechen – am Telefon. Ihre Meinung: Wie viel Witz verträgt ein politisches Mandat?

Ortsgespräch! Der Sparfuchs! Ein Festival der Ambivalenz: Mit Russlandbesuchen kann Kretschmer beim sächsischen Wahlvolk punkten – ein Hand­shake mit dem Nawalnyschinder Putin hätte ihn bundesweit blamiert. Es ist klug, prorussische Stimmungen nicht der AfD zu überlassen – und tückisch, den peinlichen Schwager Urban vom „Flügel“ mitzuschleppen. Kretschmer als Enkel Brandts, die Grünen stramm auf Helmut-Schmidt-Linie: Das gibt ein Hallo in Walhalla.

Am Freitag sind vier Astronauten mit SpaceX, dem Transportmittel des Raumfahrtunternehmens von Elon Musk, zur Internationalen Raumstation ISS aufgebrochen. Wird der Weltraum jetzt bald Privateigentum?

Nietzsche kichert: Der Ubermensch. Musk ist ein Cowboy, um den herum ein tragbares Tal der Gesetzlosen entsteht. Nimmt man das maximal­staatliche chinesische Weltraumprogramm ins Bild, ergibt sich ein Showdown: Nationalstaat gegen Globalkapitalismus. Musk kann also so entfesselt agieren wie man gerade Angst vor China hat.

Ulrike B., die Leiterin des Bremer Bamf, soll 10.000 Euro Strafe zahlen. Ist das ein gerechtes Ende einer ungerechten Geschichte?

Quelle         :           TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Oben     —    Bearbeitung durch User:Denis_Apel – Lizenz “Creative Commons“ „Namensnennung – Weitergabeter gleichen Bedingungen“

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Unten         —      Via –   Wikimedia Commons  Twitter    GRÜNE Mittelsachsen

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Gerichtlicher Erfolg für –

Erstellt von DL-Redaktion am 9. April 2021

— Grund- und Freiheitsrechte —
38 Jahre rechtswidrige Überwachung darf nicht ohne politische und rechtliche Konsequenzen für den „Verfassungsschutz“ bleiben!

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Dr. Rolf Gössner

Begründung des Revisionsurteils des Bundesverwaltungsgerichts (Leipzig) in der Verwaltungsstreitsache

Dr. Rolf Gössner . /. Bundesamt für Verfassungsschutz liegt inzwischen vor (BVerwG 6 C 11.18 vom 14.12.2020; https://www.bverwg.de/141220U6C11.18.0)

Nach 38jähriger „Verfassungsschutz“-Überwachung und 15jähriger Verfahrensdauer endlich ein rechts­kräftiger Abschluss: Der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) hat am 14.12.2020 die Revision der beklagten Bundesrepublik Deutschland im Rechtsstreit Dr. Gössner gegen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in vollem Umfang als unbegründet zurückgewiesen (s. unsere Pressemitteilung vom 17.12.2020). Nach 3 Monaten liegt nun die 37seitige Urteilsbegründung vor, deren Kernaussagen im Folgenden vorgestellt werden sollen, um daraus in Anschluss rechtspolitische Forderungen abzuleiten.

Mit diesem Urteil hat das BVerwG die Sach- und Verfahrensrügen zurückgewiesen, die das beklagte BfV in seiner Revision gegen das Berufungsurteil des Oberwaltungsgerichts NRW (2018) erhoben hatte (u.a. wegen angeblich zu enger Interpretation seiner geheimdienstlichen Befugnisse sowie wegen „aktenwidriger“ und „willkürlicher“ Beweiswürdigung). Damit hat das BVerwG die Urteile der beiden Vorinstanzen bestätigt und rechtskräftig klargestellt:

1. Der Anwalt, Publizist und Bürgerrechtler Rolf Gössner stand zu Unrecht unter jahrzehntelanger Be­obachtung des BfV, das nicht berechtigt war, über ihn eine Personenakte zu führen (die über 2.000 Seiten umfasst und deren Inhalt bis heute aus Gründen des „Staatswohls“ und des „Quellenschutzes“ überwiegend geheim gehalten wird).

2. Der Kläger vertrat in seinen staats- und gesellschaftskritischen Schriften, Reden und Diskussionen zu keiner Zeit verfassungsfeindliche Ansichten, noch verfolgte er solche Ziele oder übte entsprechende Aktivitäten aus. Damit widerspricht das BVerwG den verleumderischen Behauptungen des „Verfassungsschutzes“, der den Kläger bis zuletzt wegen seiner Schriften, Reden und beruflichen Kontakte gleichsam zum Verfassungs- und Staatsfeind erklärt hatte.

3. Die auf „tatsächliche Anhaltspunkte“ für eine „nachdrücklichen Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen“ gegründete jahrzehntelange Beobachtung von Gössner war, so das BVerwG wörtlich, „in handgreiflicher Weise unangemessen“.

4. Somit steht endgültig fest: Das BfV verstieß jahrzehntelang gegen die Grundrechte des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung, Mei­nungsfreiheit, Presse- und Berufsfreiheit, und das Bundesinnenministerium, das die Dienst- und Fachaufsicht hat, ließ das BfV gewähren.

5. Die damit verbundenen lang andauernden und schweren Grundrechtseingriffe haben, so das BVerwG wörtlich, „ein nach wie vor beachtliches, ein Rehabilitationsinteresse des Klägers ohne Weiteres begründendes Gewicht“ (RN 14). Mit diesem Urteil ist Rolf Gössner endlich rechtskräftig rehabilitiert.

Doch die rechtliche Rehabilitierung kann angesichts dieses skandalösen Überwachungsfalls nicht alles gewesen sein. Soweit ersichtlich ist ein so lang währender Grundrechtebruch gegenüber einem Bürger dieses Landes bislang keinem staatlichen Sicherheitsorgan höchstrichterlich bescheinigt worden. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei dem Beobachteten um einen zweifachen Träger von Berufsgeheimnissen handelt – Berufsgeheimnisse als Rechtsanwalt und Publizist, die unter den Bedingungen gezielter staatlicher Be­obach­tung praktisch über Jahrzehnte hinweg nicht zu gewährleisten waren. Die verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnisse zwischen Anwalt und Mandan­t:in­nen sowie zwi­schen Journalist und Informant:innen sind dadurch nachhaltig erschüttert.

Der Kläger Dr. Rolf Gössner, Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte, sieht in den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts und der Vorinstanzen einen „gerichtlichen Sieg über geheimdienstliche Gesinnungskontrolle, Verleumdungen und Willkür sowie über antidemokratische Denk-, Interpretations- und Handlungsmuster eines staatlichen Sicherheitsorgans. Das sind klare Entscheidungen zugunsten der Meinungs-, Presse- und Berufsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung. Nun müssen aus diesem Geheimdienstskandal auch dringend rechtspolitische Konsequenzen gezogen werden.“

Problematische Auslegung im Urteil und politisch-rechtliche Konsequenzen

1. Bei aller positiven Einschätzung dieses Urteils hält die Klägerseite eine Gesetzesauslegung des BVerwGs dennoch in einzelnen wesentlichen Punkten für äußerst problematisch: So die Auslegung des Tatbestands einer „nachdrücklichen Unterstützung verfassungsfeindlicher Personenzusammenschlüsse“ durch außenstehende Einzelpersonen, die selbst keine verfassungsfeindlichen Ziele verfolgen. Danach darf der Inlandsgeheimdienst im Rahmen seiner „Vorfeldaufklärung“ auch solche Personen gezielt be­obachten, die – so wörtlich – „bei objektiver Betrachtung, ohne dies zu erkennen, einen Beitrag zu den verfassungsfeindlichen Bestrebungen eines Personenzusammenschlusses leisten“ (RN 32). Mit der Beobachtung solcher Personen versucht der Verfassungsschutz an weitere Informationen über besagte Gruppen zu gelangen.

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Der Tatbestand des „nachdrücklichen Unterstützens“ ist nach dieser Auslegung schon dann erfüllt, wenn etwa durch einen Vortrag eines Außenstehenden in einer Veranstaltung einer als „verfassungsfeindlich“ geltenden Organisation oder durch Artikel und Interviews eines Außenstehenden in einem Presseorgan einer solchen Vereinigung diese „aus objektiver Sicht“ aufgewertet wird. Und zwar unabhängig davon, ob die betroffene Person dies beabsichtigt oder nicht; und auch unabhängig davon, ob sie dort etwa ausschließlich bürgerrechtliche, humanitäre und verfassungskonforme Ziele vertritt, wie dies beim Kläger der Fall war. Subjektive Merkmale, also die Intentionen der betreffenden Person, sollen, so das BVerwG entgegen der Auffassung der Vorinstanz, im Regelfall nicht vor Erfassung schützen (RN 32; immer noch beibehaltene Rechtsprechung des BVerwG).

Mit dieser Auslegung ist der Kreis der von geheimdienstlicher Ausforschung betroffenen Einzelpersonen, die keinem als verfassungsfeindlich deklarierten Personenzusammenschluss (Organisation, Verein, Partei, Presseorgan) zugehören, rechtlich und praktisch kaum noch eingrenzbar – mit schwerwiegenden Folgen für deren Grund- und Freiheitsrechte. Nur wenn im konkreten Einzelfall – eventuell erst nach Jahren – das BfV selbst ein Missverhältnis zwischen Beobachtungsinteresse und Erkenntnisgewinn einerseits und Schwere des Grundrechtseingriffs andererseits feststellt, erst dann muss die Beobachtung von Personen beendet werden, die auch nach Auffassung des BfV selbst keine verfassungsfeindlichen Positionen vertreten.

Im vorliegenden seltenen Einzelfall hat das Bundesverwaltungsgericht den „Verfassungsschutz“ in seine Schranken verwiesen. Dagegen hat sich das BfV bis zuletzt gewehrt. Was nur bedeutet: In allen anderen, nicht gerichtlich entschiedenen Fällen wird verfahren wie bisher.

2. Aus dem beispiellosen Fiasko einer geradezu kafkaesken Überwachungsgeschichte mit Auswirkungen auch auf Mandatsverhältnisse und publizistische Quellen bzw. Informanten müssen endlich überfällige politische, behördliche und gesetzgeberische Konsequenzen gezogen werden für Praxis und Kontrolle der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern – anstatt sie mit immer neuen Befugnissen auszustatten und sie fortwährend finanziell und apparativ aufzurüsten:

·   Dieser Überwachungsfall zeigt in aller Deutlichkeit, dass die gezielte Beobachtung nicht organisierter und unabhängiger Personen mit Kontakten zu als „verfassungsfeindlich“ eingestuften Gruppierungen Standard ist – auch dann, wenn diese Personen selbst verfassungskonforme und bürgerrechtliche Ziele verfolgen. Deshalb muss dem unter 1. aufgezeigten Unterstützungskonstrukt endlich ein gesetzlicher Riegel vorgeschoben werden. Eine offene und liberale Demokratie lebt von Kritik und kontroverser politischer Diskussion auch und gerade mit Andersdenkenden. Es ist Gift für eine demokratische Gesellschaft, wenn solches unter geheimdienstliche Be­obachtung und Kuratel gestellt wird.

·   Dieser Fall belegt erneut, dass es sich beim „Verfassungsschutz“ um eine im Kern ideologische, immer noch vom Kalten Krieg geprägte Institution handelt, die Gesinnungsschnüffelei weit im Vorfeld eines möglichen Verdachts oder einer denkbaren Gefahr betreibt –ohne rechtlich wirksame Hürden, denn „tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen“ reichen aus. Die Eingriffsschwellen sind deshalb dringend zu erhöhen – und zwar von der Gesinnungsebene auf die Ebene einer gewissen Handlungsintensität und Gewaltorientierung. Nur so kann einer ausufernden Gesinnungsschnüffelei Einhalt geboten werden.

·   Der Schutz von Berufsgeheimnisträger:innen wie Anwält:in­nen und Journalist:innen, Abgeordneten und Ärzt:innen muss weit wirksamer ausgestaltet werden, um berufliche Vertrauensverhältnisse besser schützen zu können.

·   Das Gleiche gilt für die Kontrolle des „Verfassungsschutzes“, die (nicht nur) im vorliegenden Fall offensichtlich total und systembedingt versagt hat bzw. nicht existent ist. Nur ein weitgehend unbeschränktes Auskunftsrecht der Bürger und Bürgerinnen schafft die Voraussetzungen für eine funktionierende Kontrolle durch die Gerichte, die über den spektakulären Einzelfall hinausgeht.

·   Die parlamentarischen Kontrollgremien dürfen nicht durch unsinnige Geheimhaltungs­pflichten zur Wirkungslosigkeit verdammt werden.

Das sind nur einige Beispiele für notwendige Veränderungen – jedenfalls solange sich der demokratische Rechtsstaat zu seinem Schutz solche Geheimdienste leistet, die mangels Transparenz und Kontrollierbarkeit selbst demokratieunverträglich sind. Nach einem solchen Fiasko und nach den zahlreichen Skandalen kann nicht alles einfach so weitergehen wie bisher – auch wenn die Bundesregierungen und ihre Innenminister genau diesen Anschein erwecken. Deshalb:

3. Einrichtung einer Task Force aus Angehörigen der Dienste, Datenschutzbeauftragten und sachkundigen Bürger:innen aus Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen. Deren Aufgabe müsste sein, die millionenschweren geheimdienstlichen Datenbestände einer systematischen Überprüfung zu unterziehen: Welche personenbezogenen Daten hätte der „Verfassungsschutz“ überhaupt nicht erfassen und speichern dürfen und welche Daten müsste er zumindest jetzt unverzüglich löschen. Eine bereits 2013 in Niedersachsen eingesetzte Task Force dieser Art hatte zu dem Ergebnis geführt, dass 40 Prozent der gespeicherten Datensätze von Anfang an rechtswidrig bzw. schon längst nicht mehr für die Aufgabenerfüllung des Dienstes erforderlich waren. Ähnliches ist auch beim BfV und den Verfassungsschutzbehörden der Länder zu erwarten.

4. Ein Fall für den Bundesrechnungshof: Wir halten es im Übrigen für unabdingbar, dass der Bundesrechnungshof im vorliegenden Fall Gelegenheit erhält, die überschlägig sicher fünf- oder eher sechsstelligen Kosten einer zwei Jahrzehnte währenden Ausforschung und den anschließenden enormen admini­strativen und juristischen Aufwand bei der 15jährigen Verteidigung dieser Praktiken durch alle Instanzen hindurch auch einer Überprüfung hinsichtlich der finanziellen Kosten zu unterziehen. Als Bevollmächtigter von Rolf Gössner habe ich das BfV aufgefordert, die über ihn angefertigten Akten und Dateien nach diesem rechtskräftigen Urteil u.a. deshalb (noch) nicht zu vernichten, sondern diese außerhalb des operativen Bereichs aufzubewahren. Wir wollen weitere Überprüfungen durch den Bundesrechnungshof ermöglichen.

Rechtsanwalt Dr. Udo Kauß, Prozessvertreter von Rolf Gössner und Vorsitzender der Humanistischen Union Baden-Württemberg: „Nicht nur die ohnehin kaum in Geld aufzuwiegenden „Kosten“ dieser skandalösen Langzeitüberwachung für den Betroffenen und sein gesamtes Studenten- und Arbeitsleben sowie für den demokratischen Rechtsstaat sind unter die Lupe zu nehmen, sondern auch die ernormen finanziellen Kosten zu Lasten der Steuerzahler. Dieser Geheimdienst verschwendet nicht nur öffentliche Gelder! Er ist eine einzige Verschwendung.“

  • Es folgen im Anhang weitere Feststellungen aus der Urteilsbegründung des BVerwG – siehe Anhang.

Das Revisionsurteil ist einsehbar über das Portal des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig (Direktlink): https://www.bverwg.de/141220U6C11.18.0 Im Anhang finden sich nochmals Hintergrund-Infor­ma­tionen zur gesamten Überwachungs- und Verfahrensgeschichte. Daraus kann gerne zitiert wer­den. Vollständiger oder teilweiser Abdruck bitte nur nach Rücksprache.

Urheberrecht
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Grafikquellen       :

Oben         —   Sitz des Bundesverwaltungsgerichtes im Reichsgerichtsgebäude in Leipzig (Blickrichtung Westen)

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Unten      — Rolf Gössner auf der Demonstration „Freiheit statt Angst“ 2009

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Protest und Urteil

Erstellt von DL-Redaktion am 28. März 2021

Fall Faisal Jahangir

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Von 

Der Fall von Faisal Jahangir bewegt die Politik: Er ist in Meißen verheiratet, hat einen Job. Trotzdem soll er abgeschoben werden.

ieser Freitagvormittag Mitte März ist bitter für Frank Richter, DDR-Bürgerrechtler und SPD-Politiker. Richter steht vor dem Abschiebegefängnis von Dresden. Gemeinsam mit einem Bekannten, einem Seelsorger, will er Faisal Jahangir besuchen, einen abgelehnten Asylbewerber aus Pakistan. Jeden Moment könnte Jahangir abgeholt und in einen Flieger in seine Heimat gesetzt werden. Es wäre das Ende eines Kampfes, den Richter seit Wochen kämpft: dafür, dass Faisal Jahangir bleiben darf. Jetzt, hier vor der Haftanstalt, sieht es aber so aus, als sei der Kampf verloren.

Jahangir hat Geburtstag an diesem Tag, er wird 41. Was bringt man einem mit, der hinter Gittern sitzt? Richter zieht ein Kruzifix aus seiner Tasche. „Das hat meine Großmutter von der Flucht aus Oberschlesien mitgenommen“, sagt er. „Ich mag den Faisal, ich schenke dem von mir aus fast alles.“

Frank Richter ist als früherer Chef der Landeszentrale für politische Bildung bekannt. Und als katholischer Priester, der er einst war. Dass er sich jetzt für Faisal Jahangir einsetzt, sagt Richter, habe einen einfachen Grund: Dessen geplante Abschiebung sei „skandalös“. Binnen kürzester Zeit hat Richter all seine Kontakte aktiviert, in der sächsischen Politik, in der Kirche, sogar beim katholischen Bischof hat er Alarm geschlagen: „Religiös verfolgter Christ soll nach Pakistan abgeschoben werden“, das schrieb er in einer Mitteilung.

Auf den ersten Blick scheint Jahangirs Geschichte ein Musterbeispiel deutscher Abschiebehärte zu sein: Ein Mann, der seit Jahren in Meißen eine neue Heimat gefunden hat und Arbeit, der verheiratet ist mit einer Deutschen, integriert wirkt und glücklich.

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Vielleicht lässt eine „lame Duck“ den IMI über das Wasser Reiten ?

Auf den zweiten Blick steht diese Geschichte aber auch dafür, wie kompliziert es in Deutschland noch immer ist mit der Frage, welche Asylbewerber eigentlich bleiben können. Bleiben dürfen. Abschiebungen finden regelmäßig statt, nicht selten ähneln sich die Schwierigkeiten. Und immer wieder hört man die Fragen: Trifft es die Falschen? Trifft es besonders häufig diejenigen, die schon gut integriert sind? Diejenigen, welche die Polizei bei der Arbeit oder zu Hause antrifft, die nicht untertauchen?

Immer wieder gibt es dann Debatten um einzelne Fälle. Doch so viel Aufmerksamkeit wie für Faisal Jahangir? Der Abschiebehäftling ist in den vergangenen Wochen zu einem Mann geworden, der die höchsten Kreise der Politik des Freistaats Sachsen beschäftigt. Die Aufregung betrifft etwas Grundsätzliches: Ist das, was hier geschieht, gerecht?

Frank Richter fragt ihn: Hast du Angst? – „Sehr viel Angst“, antwortet er

Faisal Jahangir ist 2008 nach Deutschland gekommen, zuerst nach Dortmund, später nach Sachsen. Frank Richter kennt ihn aus Meißen, der Stadt, in der er für das Amt des Oberbürgermeisters kandidiert hat, in der er als Landtagsabgeordneter der SPD ein Bürgerbüro betreibt. Jahangir und seine Frau Carmen Bittner, eine Meißnerin, seien regelmäßig zum Plaudern bei ihm vorbeigekommen. Richter beschreibt Faisal Jahangir als gut integriert, gläubig, in Pakistan katholisch getauft. Dort sei er gemobbt worden wegen seiner Religion. In Deutschland hat Jahangir ein soziales Umfeld und einen festen Job in der Küche eines Landgasthofs. „Was braucht es denn mehr?“, fragt Richter. Auch der katholische Bischof Heinrich Timmerevers setzt sich für Jahangir ein.

„Kein Täuschungsmanöver“

Die andere Seite ist: Die Anerkennungsquoten für pakistanische Asylbewerber in Deutschland sind niedrig. Faisal Jahangir hangelt sich seit Jahren von Duldung zu Duldung. Würde Jahangir nach Pakistan ausreisen, dort ein Visum beantragen, statt als Flüchtling zu kommen – dann könnte er eventuell zurückkehren. So argumentieren die Behörden. Sie glauben ihm nicht, dass er in seinem Heimatland religiös verfolgt wird. Und sie werfen ihm vor: Er habe mit Angaben zu seiner Identität die Ämter getäuscht. Man wirft ihm auch vor, auf Dokumenten verschiedene Nachnamen angegeben zu haben. Aber Frank Richter hält das für „eine Verwechslung, nicht für ein Täuschungsmanöver“. Faisal sei Legastheniker und mit der Bürokratie überfordert, sagt er.

Auf dem Gefängnishof, an besagtem Märztag: Hochsicherheitsbedingungen. Die Anlage ist mit hohen Zäunen, mehreren Toren und Stacheldraht abgeschirmt. Frank Richter und der Seelsorger treffen einen weiteren Kirchenmann, der gerade vom Besuch bei Jahangir gekommen ist. Richter zeigt sein Geschenk, das Kreuz. Ob er das überhaupt überreichen, mit ins Gefängnis nehme dürfe, überlegen sie. Vermutlich zu spitz. Der Kirchenmann zieht ein weiches Holzkreuz hervor, das kann man in zwei Teile zerlegen. „Hier, das ist besser. Ein Teil für Faisal, das andere geben wir seiner Frau.“

Wachen bringen die Besucher, auch die Reporterin der ZEIT, zu einem kargen, abgeriegelten Raum, nur Tisch und Stühle stehen darin.

Dort sitzt Faisal Jahangir.

Niedergeschlagen sieht er aus, unruhig. Als er seinen Besuch sieht, kommen ihm die Tränen. Und er erzählt. Vor allem: von seiner Festnahme vor einigen Tagen. Er sei mit seiner Frau in der Meißner Ausländerbehörde gewesen, sagt er. Eigentlich hätten sie dort eine weitere Duldung abholen wollen. „Aber neben der Tür des Büros standen zwei Polizisten, die haben meine Hände gefesselt und mich mitgenommen“, sagt er.

Fragt man Faisal Jahangir nach dem Vorwurf, den die Behörden ihm machen, vor allem nach den unterschiedlichen Namen, die er verwendet hat, sagt er: Er werde missverstanden. Auf seinem Asylantrag steht der Nachname „Khokhar“. Es sei der Name seines Vaters, sagt Faisal, in seinem Land sei es üblich, auch diesen zu benutzen. Auf anderen Dokumenten habe er später Jahangir angegeben, einen Namen, der ebenfalls zu seinem Familiennamen gehöre. „Täuschen wollte ich niemanden.“

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Frank Richter nickt. „Das mit den Namen scheint mir einleuchtend. Das ist doch in eurer Sprache anders als bei uns. Im Russischen gibt es so etwas auch.“

Faisal Jahangirs Frau hat ihm einen Koffer ins Gefängnis gebracht, mit ein bisschen Kleidung und Medikamenten, denn er leidet an Asthma. Frank Richter fragt ihn: „Hast du Angst?“ – „Sehr viel Angst“, sagt Jahangir. Als die Besucher die Haftanstalt wieder verlassen, geht schon ein Gerücht um: In den nächsten Tagen werde von Leipzig aus ein Abschiebeflug nach Pakistan starten.

Quelle        :           Zeit-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben      —         Pirnaische Vorstadt

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Bürgerräte in Deutschland

Erstellt von DL-Redaktion am 22. Februar 2021

Retten sie die Demokratie?

Solange die Parteien nicht aufgelöst sind, werden auch Bürgerräte das System nicht verändern können, da die Intelligenz – Bolzen aus den Clans nicht auf sie hören werden. Diese könnten ja auch jetzt die Gesetze beschließen, machen es aber nicht, da es ihnen an Lebenserfahrung und Fachwissen fehlt. Dieses müssen sie sich erst teuer bei den Lobby – Experten erkaufen.

Von Hannes Koch

160 ausgeloste Bür­ge­r:in­nen diskutieren über Deutschlands Rolle in der Welt. Ein Experiment zwischen hitzigen Debatten und Einigungsversuchen.

Der Briefumschlag sieht aus wie Werbung, die Postkarte darin erweckt den Eindruck einer Unterschriftensammlung. Die Freiburger Politikstudentin Charlotte Felthöfer ist unsicher. Von der Organisation, die das Schreiben verschickt hat, hat sie noch nie etwas gehört.

Doch im Umschlag findet sie auch eine Einladung mit der Unterschrift von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Felthöfer recherchiert, ist begeistert und meldet sich bereits am nächsten Tag zu der in der Einladung genannten Bürgerversammlung an. Denn „die Demokratie braucht eine Ergänzung“, davon ist sie überzeugt.

Der Schülerin Maya Loewe, 17 Jahre alt, geht es ähnlich. Nach einigem Überlegen nimmt auch sie die Einladung zu der Versammlung an. „Die Politik hört teilweise nicht auf die Leute“, sagt sie, und hofft, dass eine solche Zusammenkunft stärker auf die Ansichten der Bevölkerung aufmerksam macht.

Felthöfer und Loewe gehören zu den rund 160 Bürger:innen, die Ende 2020 aus den Einwohnermelderegistern der Bundesrepublik ausgelost wurden, um in mehreren Sitzungen vom 13. Januar bis zum 20. Februar über „Deutschlands Rolle in der Welt“ zu debattieren – und um am Ende eine Empfehlung dazu an den Bundestag zu formulieren.

An diesem Wochenende kommt der Bürgerrat zu seinem Abschlusstreffen zusammen und beendet damit ein erstaunliches Experiment zur Renovierung der parlamentarischen Demokratie. Ein Experiment, das an die Wurzeln der Demokratie in der griechischen Antike erinnert. Vor über 2.000 Jahren kamen die freien, männlichen Bürger Athens regelmäßig auf einem großen Platz – der Agora – zusammen, um über anstehende politische Entscheidungen zu debattieren und abzustimmen.

Jetzt hat auch der Bundestag zu einer kleinen Volksversammlung zusammengerufen. Denn viele Abgeordnete merken gerade, wie stark der Boden unter ihren Füßen in Bewegung geraten ist: durch den Aufstieg des Rechtspopulismus, den Sturm auf das Kapitol in Washington und andere Krisensymptome, die die parlamentarische Demokratie nicht mehr so gefestigt aussehen lassen, wie sie noch vor einigen Jahren wirkte.

Vielleicht kann so ein Bürgerrat ja dazu beitragen, das wacklige Fundament wieder zu stabilisieren?

Die Teil­neh­me­r:in­nen des Bürgerrats begegnen sich während der zahlreichen Sitzungen nicht persönlich, sondern in riesigen Onlinekonferenzen mit über 200 Menschen, darunter etliche Tech­ni­ke­r:in­nen und drei Moderator:innen. Bür­ger­rä­t:in­nen sitzen zu Hause, der Computerbildschirm ist in viele Fensterchen unterteilt, in denen man die Diskutierenden im Kleinstformat sieht. Dennoch transportieren die Ausschnitte individuelle Eindrücke.

Mit großer Nerdbrille, fetten Kopfhörern und Kinnbart sitzt da ein Youngster vor seinem zerwühlten Bett. Eine andere Bürgerrätin präsentiert sich vor einer Wand mit Fahrradersatzteilen. Alpenkulissen, Ölgemälde und Bücherregale liefern weiter Hinweise darauf, wie die Menschen leben – oder wahrgenommen werden möchten.

Gesteuert werden die Sitzungen vom Alexanderplatz in Berlin aus. Hier, am Tresen des Clubs ASeven, holten sich die Gäste vor Corona ihr Bier. Nun sind die Barhocker zusammengeschoben, die Tische in den Ecken gestapelt, um Platz zu machen für ein Studio mit Kameras, Beleuchtung und Übertragungstechnik. Die drei Mo­de­ra­to­r:in­nen begrüßen die Teilnehmer:innen, leiten die Diskussionen und holen Ex­per­t:in­nen von außen dazu, die den Bürgerrat mit Fachinformationen versorgen sollen.

Um die Studiobühne herum sitzt ein Dutzend Tech­ni­ke­r:in­nen vor Bildschirmen und Mischpulten, um die aufwendige Konferenzsoftware am Laufen zu halten.

Ein Megathema ist das, Deutschlands Rolle in der Welt. Es in den Griff zu bekommen setzt Kenntnisse der Geschichte seit dem Mittelalter und der politischen Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg voraus. Der britische Historiker Timothy Garton Ash ist an einem Samstag Mitte Januar dazu eingeladen, die Basis zu legen. Ein entscheidender Punkt seiner Analyse: Deutschland sei die „Zentralmacht Europas“, was bei den Nachbarn eine „Furcht vor Dominanz“ auslöse.

„Deutschland ist stärker als alle anderen, aber nicht stark genug“, um Hegemonie auszuüben, sagt Garton Ash. Er empfiehlt der Bundesrepublik eine Rolle als „Mittelfeldspieler Europas“. Das Land solle Regisseur, Koordinator, aber nicht Stürmer sein. Es solle sich verhalten wie Bastian Schweinsteiger auf dem Fußballplatz. Dieser Rat ist auch deshalb wertvoll, weil er Binnen- und Außensicht kombiniert.

Doch er passt nicht so recht zu den Vorstellungen, mit denen manche Bür­ger­rä­t:in­nen in die Diskussion gehen. Anfangs wünscht sich Maya ­Loewe, dass Deutschland als Vorbild handele, etwa in der Klima-, Umwelt- und Flüchtlingspolitik. Auch Charlotte Felthöfer plädiert für eine Vorbildfunktion: „Indem wir außenpolitisch mehr Verantwortung für die Klimagerechtigkeit übernehmen.“

Von allen geteilt wird so ein moralischer Optimismus aber nicht. Als die Teil­neh­me­r:in­nen die Rolle Deutschlands skizzieren sollen, stellt ein Bürgerrat aus Hessen das Land als Verkäufer dar, der alle möglichen Produkte feilbietet, ein Gesetzbuch unterm Arm trägt und mit erhobenem Zeigefinger droht.

Mehrheitlich allerdings gehen die Mitmachenden in die Richtung, die Garton Ash vorgeschlagen hat. Und am Ende des zweiten Tages sind Rollen­zuschreibungen wie „Vermittler“, „Mittelfeldspieler“ und „Partner“ die häufigsten Begriffe – wobei auch die Rolle des Vorreiters einige Unterstützung findet.

Der zeitliche Aufwand des Verfahrens ist enorm. Etwa 50 Stunden nehmen die ehrenamtlichen Be­ra­te­r:in­nen an den Onlinesitzungen teil – umgerechnet mehr als sechs normale Arbeitstage. In Charlotte Felthöfers Zeitplan passt das eigentlich nicht. Sie steht vor ihrer Masterprüfung, schreibt gerade eine Klausur nach der nächsten.

Auch Maya Loewe hat ohne den Bürgerrat mehr als genug zu tun. Bei ihr kommt bald das Abitur. Trotzdem nehmen sich die beiden Frauen wochenlang mittwochs und samstags Zeit, um an den Plenumsveranstaltungen teilzunehmen.

Zudem machen sie in einem von fünf als „Reisegruppen“ bezeichneten Fachausschüssen mit, die sich noch näher mit „Nachhaltiger Entwicklung“, „Wirtschaft und Handel“, „Europa“, „Frieden und Sicherheit“ sowie „Demokratie und Rechtsstaat“ befassen.

Ausgewählt wurden die Teil­neh­me­r:in­nen durch eine computergesteuerte „Zufallsstichprobe“ aus Gemeinden in ganz Deutschland. Die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen schrieben knapp 4.400 Bür­ge­r:in­nen an, die durch Wohnort, Alter, Geschlecht, Herkunft und Bildungsstand einen einigermaßen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung bilden. Einige Hundert sagten zu – gut 160 nehmen schließlich teil.

Quelle       :       TAZ         >>>>>          weiterlesen

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40 Jahre Verfassungsschutz

Erstellt von DL-Redaktion am 18. Dezember 2020

Skandal rechtskräftig beendet

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Quelle:    Scharf  —  Links

Von Dr. Rolf Gössner

Nach 15 Jahren endlich Rechtssicherheit im Rechtsstreit  Dr. Rolf Gössner . /. Bundesamt für Verfassungsschutz

Nach vier Jahrzehnten geheimdienstlicher Überwachung und insgesamt 15 Jahren Verfahrensdauer hat das Bundesverwaltungsgericht Leipzig am 14. Dezember 2020 die Revision der beklagten Bundesrepublik Deutschland zurückgewiesen (BVerwG 6 C 11.18).

Mit dieser Entscheidung bestätigt das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW aus dem Jahr 2018 in vollem Umfang. Auch wenn die schriftlichen Urteilsgründe noch nicht vorliegen, so lässt sich jetzt schon sagen: Damit bleibt es auch in dritter und letzter Instanz dabei, dass die 38 Jahre währende geheimdienstliche Überwachung und Ausforschung des Rechtsanwalts, Publizisten und Bürgerrechtlers Rolf Gössner durch das beklagte Bundesamt für Verfassungsschutz unverhältnismäßig und grundrechtswidrig war.

Mit diesem höchstrichterlichen Urteil ist Rolf Gössner, den der Bundesinlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ zum „Staats- und Verfassungsfeind“ erklärt hatte, endlich rechtskräftig rehabilitiert. Damit haben die Bundesregierung mit ihrem zuständigen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sowie alle weiteren 13 seit 1970 verantwortlichen Bundesinnenminister und 12 Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz eine schwere und blamable Niederlage erlitten in diesem skandalösen Überwachungsfall.

Tatsächlich ist ein so lang währender Grundrechtsbruch gegenüber einem Bürger dieses Landes bislang keinem anderen staatlichen Sicherheitsorgan höchstrichterlich bescheinigt worden. Aus diesem beispiellosen Fiasko einer geradezu kafkaesken Überwachungsgeschichte müssen dringend überfällige politische, behördliche und gesetzgeberische Konsequenzen gezogen werden.

Rolf Gössner sieht in den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts und der Vorinstanzen einen „gerichtlichen Sieg über geheimdienstliche Verleumdungen und Willkür sowie über antidemokratische Denk-, Interpretations- und Handlungsmuster eines staatlichen Sicherheitsorgans. Das ist eine klare Entscheidung zugunsten der Meinungs-, Presse- und Berufsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung.“

Rechtsanwalt Dr. Udo Kauß und Prozessvertreter von Rolf Gössner: „Nun hat das Bundesverwaltungsgericht die Urteile der Vorinstanzen bestätigt. Dagegen hat sich der ‚Verfassungsschutz‘ 15 Jahre erbittert gewehrt. Jetzt ist es höchste Zeit, dass hieraus Konsequenzen gezogen werden. Gesinnungsschnüffelei und Gesinnungskontrolle durch den ‚Verfassungsschutz‘ sind durch klare gesetzliche Vorschriften zu unterbinden. Das gilt nicht nur zum Schutze von (u.a. anwaltlichen) Berufsgeheimnissen, die unter Überwachungsbedingungen nicht mehr zu gewährleisten sind, sondern gegenüber Jedermann.“

Werner Koep-Kerstin, Bundesvorsitzender der HUMANISTISCHEN UNION erklärt: „Die vorliegenden Entscheidungen sind Meilensteine im Kampf gegen einen übergriffigen Geheimdienst. Als Bürgerrechtsvereinigung werden wir darüber wachen, dass sich an diese grundlegenden Urteile eine unverzügliche Änderung der bisherigen Beobachtungspraxis der Geheimdienste anschließt. Ein Weiter-so darf es nicht geben.“  

File:Bundesverwaltungsgericht, Leipzig.jpg

Hintergrund (Kurzversion):

Dr. Rolf Gössner ist seit 1970 vier Jahrzehnte lang ununterbrochen vom Bundesamt für Verfassungsschutz geheimdienstlich beobachtet und ausgeforscht worden – schon als Jurastudent, später als Gerichtsreferendar und seitdem ein Arbeitsleben lang in allen seinen beruflichen und ehrenamtlichen Funktionen als Publizist, Rechts­anwalt, parlamentarischer Berater, später auch als Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und seit 2007 zudem als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen. Es dürfte die längste Dauerbeobachtung einer unabhängigen, parteilosen Einzelperson durch den Inlandsgeheimdienst sein, die bislang dokumentiert werden konnte.

Zur Last gelegt werden ihm berufliche und ehrenamtliche Kontakte zu angeblich „linksextremi­stischen“ und „linksextremistisch beeinflussten“ Gruppen und Veranstaltern, bei denen er referierte und diskutierte, aber auch zu bestimmten Presseorganen, in denen er – neben vielen anderen Medien – veröffentlichte, denen er Interviews gab oder in denen über seine Aktivitäten berichtet wurde. Mit seinen Kontakten, publizistischen Beiträgen und Vorträgen soll er, so die Unterstellung, besagte – nicht verbotene, aber als „linksextremistisch“ geltende – Gruppen und Organe „nachdrücklich unterstützt“ haben; er soll sie – so wörtlich – als „prominenter Jurist“ aufgewertet und gesellschaftsfähig gemacht haben. Aus vollkommen legalen und legitimen Berufskontakten hat der „Verfassungsschutz“ (VS) so eine Art von ‚Kontaktschuld’ konstruiert.

Im Laufe des 15jährigen Klageverfahrens schob der VS dann neue Vorwürfe gegen Gössner nach – Vorwürfe, die zuvor keinerlei Rolle gespielt hatten, die nachträglich die unglaubliche Überwachungsgeschichte zusätzlich rechtfertigen sollten: Jetzt zog der VS auch seine Schriften in Misskredit und setzte Gössner‘s inhaltlich begründete Kritik an bundesdeutscher Sicherheits- und Antiterrorpolitik und an den Sicherheitsorganen einem Extremismusverdacht aus.

Die Geschichte hat über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung besonders auch für andere Publizisten, Anwälte und Menschenrechtler: Denn Berufsgeheimnisse wie Man­datsgeheimnis und Informantenschutz sind unter den Bedingungen geheimdienstlicher Überwachung nicht zu gewährleisten. Die verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnisse zwischen Anwalt und Mandant sowie zwi­schen Journalist und Informant waren erschüttert, die Berufsfreiheit und berufliche Praxis damit mehr als beeinträchtigt.

Im Anhang finden sich ausführliche Hintergrund-Informationen zur Überwachungs- und Verfahrensgeschichte. Daraus kann gerne zitiert werden. Vollständiger oder teilweise Abdruck nach Rücksprache.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.

Grafikquellen     ;

Oben     —     Rolf Gössner auf der Demonstration „Freiheit statt Angst“ 2009

Author Florian Koppe
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Unten         —     Sitzungssaal des Bundesverwaltungsgerichts

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Prioritätsstufe: „Araber“

Erstellt von DL-Redaktion am 18. November 2020

Razzia nach Raub im Grünen Gewölbe

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Kommentar vom Gareth Joswig (talk of the town)

1.638 Polizist:innen machen in Berlin Razzien wegen ein paar geklauter Klunker. Mehr muss man über die Prioritäten der Exekutive nicht wissen.

Polizei und Staatsanwaltschaft haben am Dienstagmorgen mal wieder klar gezeigt, wo ihre Prioritäten liegen. Während bei Querdenken-Demos regelmäßig die Straße für Neonazis und Ver­schwö­rungsideolog:innen freigegeben wird und selbst der Reichstag nur von drei Polizisten bewacht wird, kommen bei Razzien im sogenannten Clanmilieu an einem Dienstagmorgen in Berlin mal eben 1.638 Polizist:innen aus acht Bundesländern zum Einsatz. In Worten: eintausendsechshundertachtundreißig Polizist:innen, um 18 Wohnungen, Autos und Garagen zu durchsuchen. Antiterroreinheiten von SEK bis GSG 9 dürfen natürlich nicht fehlen.

Und das von Corona gebeutelte Neukölln wird halb abgesperrt, Menschenansammlungen sind vorprogrammiert. In ganz Berlin soll es den Tag lang zu Verkehrseinschränkungen kommen. Kreisende Hubschrauber weckten Anwohner:innen.

Boulevardmedien, die ihre rassistischen Diskurse um das Thema „arabische Großfamilie“ fortschreiben, berichten wie immer von vorderster Front und mit internen Details: Von drei Festgenommenen aus dem „arabischstämmigen Clan-Milieu“ wird geschrieben, vom Hauptverdächtigen Wissam R. – natürlich mit Klarnamen und Bild.

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Warum sollte man auf journalistische Sorgfaltspflicht achten, wenn selbst Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) bei „den Clans“ rechtsstaatliche Grundsätze wie die Unschuldsvermutung aufgibt und sich auf Twitter so zitieren lässt: „Wir sind froh, dass die Aufklärung des Kunstraubs geglückt ist.“ Aha, mit der Festnahme von drei Personen ist der Raub aus dem Dresdner Grünen Gewölbe also schon aufgeklärt. Dann können wir uns das Gerichtsverfahren ja gleich sparen. Danke, Herr Geisel. Ach, aber ihr habt noch nicht einmal die Beute gefunden? Okay, cool.

Richtige und falsche Deutsche

Hey, und wenn wir schon dabei sind: Können wir den Tatverdächtigen nicht auch noch die deutsche Nationalität absprechen? Klar, dachte sich die Berliner Zeitung, als sie schrieb: „Drei Tatverdächtige mit deutschem Pass verhaftet.“ Dieses rechte Framing ist ein Erfolg der AfD, die seit Jahren von sogenannten Passdeutschen spricht und damit, ähnlich wie mit dem Begriff „biodeutsch“ suggeriert, dass es richtige und falsche Deutsche gebe.

Kurzum: Für die Clans packen wir notfalls auch die Stammbaumforschung und den Ariernachweis wieder aus, wenn es nur unsere Vorurteile bestätigt und eine Person den falschen Nachnamen trägt. Und kulten aber gleichzeitig Hollywoodfilme mit George Clooney ab, bei denen die frechen Ganoven einen genialen Coup landen.

Überhaupt: Wer vermisst schon die paar hässlichen feudalen Klunker, die ohnehin seit Jahren besser eingeschmolzen worden wären, um in Dresden wichtigere Bereiche wie etwa Demokratieförderung zu finanzieren?

Quelle       :         TAZ-online       >>>>>         weiterlesen

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Oben      —       11.07.2008 01067 Dresden-Altstadt: Residenzschloß Dresden. Im Westlfügel befindet sich die Kunstsammlung „Grünes Gewölbe“ (GMP: 51.052612,13.736283). [DSCN33415.JPG]20080711030DR.JPG(c)Blobelt

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Die Linke in Sachsen

Erstellt von DL-Redaktion am 18. Oktober 2020

Parteitag im Saal und auf dem Sofa

Hätte Karl Marx je unter das Sofa der Linken geguckt ? Die Linke ist nie anders gewesen als alle anderen Parteien auch. Es war schon zu WASG-Zeiten üblich das Grüppchen ihre Favoriten präsentierten, wobei Vorschlägen von Außen Grundsätzlich beiseite  gemobbt wurden. Wahlbesprechungsversammlungen in den Ländern folgen immer den Clan Familien ! Das ganze zog sich bis zu den Bundesparteitagen.

Von Hendrik Lasch

Sachsens Linke berät über Folgen von Corona für Politik / Paukenschlag bei Verfahren für Listenaufstellung

Die fünfte Rednerin sorgte für eine Premiere. Mit Natalie Prautsch sprach eine angehende Ergotherapeutin in der Generaldebatte des Landesparteitags der sächsischen Linken. Sie stand indes nicht wie ihre vier Vorredner am Pult im Saal der Festhalle Plauen, sondern saß in ihrem Wohnzimmer; digitale Technik machte es möglich. Nur die eventuelle Überschreitung der Redezeit, erklärte Tagungsleiterin Claudia Jobst vorab, müsse man analog mit einer kleinen Glocke signalisieren – während es im Saal dafür eine Ampel gibt.

Das Plauener Treffen war für die Linke insgesamt eine Premiere: Es handelte sich nach ihren Angaben um den ersten »Hybridparteitag«. Anders als bei einem Konvent der Bundesgrünen im Mai, der komplett digital abgehalten worden war, hatten die Genossen nun die Möglichkeit, selbst anzureisen oder sich per Videokonferenz zuzuschalten. Das nutzten immerhin 89 Delegierte; im Saal saßen mit gehörigem Abstand 68 Teilnehmer. Den virtuellen Konferenzraum organisierte die Partei; für den »stabilen Internetzugang« und die Stromversorgung seien die Nutzer selbst verantwortlich, hieß es in den Regularien. Abstimmungen fanden ebenfalls elektronisch statt, was nach anfänglichen Schwierigkeiten gut funktionierte. Da es sich ausschließlich um Sachthemen und nicht um Personalwahlen handle, sei diese Vorgehensweise möglich, sagte Landesgeschäftsführerin Janina Pfau. Zwar fiel auf, dass sich »Sofadelegierte« weit seltener zu Wort meldeten als Saaldelegierte. Dennoch bewährte sich das Format. Man taste sich »vorsichtig an das heran, was neue Normalität wird«, sagte Bodo Ramelow, der Thüringer Regierungschef, als körperlich anwesender Gastredner.

Ich bin Sachse – ich will wachsen !

Das experimentelle Format war der Corona-Pandemie geschuldet, die den Parteitag auch inhaltlich dominierte. Der Leitantrag setzte sich mit den Folgen der Krise für die Politik im Land auseinander. Landeschef Stefan Hartmann rechnet mit den »härtesten Verteilungskämpfen der letzten 30 Jahre«. In diesen müsse die Linke die Interessen derjenigen Menschen vertreten, die »nicht aus riesigen Vermögen ihr Leben bestreiten«. Man müsse verhindern, dass »die Kosten der Krise auf die Beschäftigten und Armen abgewälzt werden«, sagte auch Co-Landesvorsitzende Susanne Schaper – die freilich betonte, dass die Krise nicht nur Gefahren berge, sondern auch Chancen. Viele bisher im herrschenden Politikverständnis als unumstößlich geltenden Maßgaben seien »in kürzester Zeit geändert« worden. Es zeige sich, dass »der Kapitalismus mitnichten alternativlos oder ›das Ende der Geschichte‹« sein müsse. Die Linke müsse dieses »Änderungspotenzial« nutzen.

Quelle         :      ND         >>>>>        weiterlesen

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Oben      —          Karl Marx monument („Nischel“)

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DER ROTE FADEN

Erstellt von DL-Redaktion am 14. Oktober 2020

Statt zu meckern, lieber in den Abgrund gucken

Roter Faden Hannover rote Zusatzmarkierung.jpg

Durch die Woche von Ariane Lemme

Manchmal wundere ich mich. Zu unkontrovers hieß es gestern über die neue Literaturnobelpreisträgerin Louise Glück. Ganz so, als sei’s recht gewesen, als letztes Jahr der sehr kontroverse Peter Handke gewonnen hat. Gut, da gab’s immerhin wochenlang Feuilletonstreit und Popcorn gratis, und hochpolitisch war’s obendrein.

Aber woher zum Teufel kommt eigentlich diese Annahme, dass Kunst politisch sein soll? Das geht für mich immer an jedem echten Verständnis vom Sinn und Zweck der Kunst vorbei. Streiten und kämpfen für eine bessere Welt sollte man unbedingt – auf der Straße, nicht auf der Leinwand. Auch wenn – das will ich ja auch nicht leugnen – viele Künstler es geschafft haben, beides sehr kunstvoll zu verbinden. Zugegeben, es ist also nicht ganz leicht, beides immer zu trennen.

Aber die Essenz, die Vollendung aller Kunst ist doch immer, wenn jemand über Milieus und unterschiedliche Lebenserfahrungen hinaus es schafft, etwas zu sagen, was alle Menschen gleichermaßen berühren kann. Weil er oder sie einen Funken dessen gefunden und geschliffen hat, was alle Menschen verbindet. Ehrlich gesagt kenne ich die Gedichte von Louise Glück nicht, bis auf ein paar, die ich seit gestern gelesen hab. Aber die Themen, die sie bearbeitet – Verrat, Verlust, Sterblichkeit – scheinen mir doch geeignet, ein paar dieser Funken zu bergen.

Vielleicht also – steile These – war die Entscheidung des Nobelkomitees keine konfliktscheue, sondern eine, die darauf abzielte, in einem Jahr, in dem alles auseinanderzufliegen zu scheint, in dem Kontroversen und gesellschaftliche Spaltung einfach the new normal sind, den Blick auf das zu lenken, was alle verbindet: die Angst vorm Sterben, die Angst, zurückgelassen, allein zu sein, die Angst, zu lieben und verletzt zu werden, und – damit verbunden – immer die Bereitschaft, zu betrügen. Sorry, viel komplexer ist der Mensch nicht, auch wenn infame Ungleichheit und brutale Unterdrückung ihm ganz unterschiedliche – manchmal keine – Möglichkeiten geben, zu leben und damit auch, mit dieser Angst umzugehen.

Klar, auch Louise Glück wird die US-Amerikaner nicht gegen Trump vereinen oder den Rassismus zähmen. Aber politischen Frieden stiften ist halt auch nicht die Aufgabe von Kunst, sondern, der Name verrät’s bereits, der Politik. Alles was Kunst kann und soll, ist ein bisschen tiefer unter die Laken der Diskurse und Debatten zu gucken. Im besten Fall bis runter auf den nackten Grund der Existenz. Was die Leser und Betrachter dann damit machen, ist ihre Sache.

Schöner Nebeneffekt: Oft erreicht man mit einem gemeinsamen Blick in den Abgrund mehr Verständnis bei den Menschen als mit ganz viel mit geschwungenem Zaunpfahl vorgetragener politischer Haltung.

HalleSynagoge 02.JPG

Vielleicht aber auch nicht, denn es gibt ja wahnsinnig viel gute Kunst auf dem Markt, und trotzdem jährt sich heute – nur so als bitteres Beispiel – das Attentat von Halle.

Dieser grässliche Tag, an dem zwei Menschen ermordet wurden, zynischerweise auch noch an Jom Kippur, dem – einzigartiges und wunderschönes Judentum – Tag der Versöhnung, ist natürlich nur eine Erinnerung von vielen daran, dass es mit ein bisschen „Erkenne im anderen dich selbst“ nicht getan ist.

Quelle         :       TAZ         >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben      —          Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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Unten     —      Synagoge in Halle (Saale), Jüdischer Friedhof, Humboldtstraße

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Forum für einen Faschisten

Erstellt von DL-Redaktion am 26. August 2020

Björn Höcke im Sommerinterview

Von Andreas Speit

Der MDR lädt den AfD-Politiker Höcke zum Sommerinterview. Was zeigt das? Die fehlende Lernfähigkeit im Sender.

Die rechtsextremen Positionen Björn Höckes zeigen Wis­sen­schaftler:innen schon seit Jahren auf. Im September 2019 ließ das Verwaltungsgericht Meiningen die Bezeichnung „Faschist“ für den Thüringischen AfD-Landtagsfraktions- und Landesvorsitzenden im Rahmen der Meinungsfreiheit zu. Im März 2020 sah das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Höcke eine der „rechtsextremen Führungspersonen“ im ehemaligen „Flügel“.

Keine dieser Bewertungen konnte den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) mit seiner Intendantin Karola Wille beeindrucken. Am Dienstag um 11 Uhr lud der Sender den Rechtsextremisten zum „Sommerinterview“, das live über Youtube und Facebook verfolgt werden konnte. In der gut eine halbe Stunde langen Sendung fragte Lars Sänger durchaus nach.

Der Journalist wollte von Höcke wissen: Ob er sich im Bundesvorstand der Partei vor der Verantwortung drücke, da er nicht kandidiert hatte. Ob der „Flügel“ wirklich aufgelöst sei. Ob es nicht unpassend sei, zu einer Querdenker-Demo aufzurufen wenn NPD und Der Dritte Weg mitaufriefen. Ob er unter einem Pseudonym für rechtsextreme Zeitungen geschrieben habe oder ob ihn die AfD noch lange halten könne?

Fragen, die Höcke nicht verlegen machten, zum Teil weil er sie schlicht nicht beantwortete. In weißem Hemd und blauer Hose antwortete er meist gelassen, betonte, dass der Landesverband durch seine Politik die AfD-Bundespolitik vorantreibe. Erklärte, dass die „Gesinnungsgemeinschaft“ des Flügels keine Organisation sei, aber die Personen noch immer in der Partei seien – sowie dass bei Demonstrationen alle sich gemein machen könnten, nur bei Verstoß gegen Auflagen könne eingeschritten werden.

2019-10-27 Wahlabend Thüringen by Sandro Halank–18.jpg

Kritik im Vorfeld der Sendung

Bei dem Gespräch aus dem Foyer des Funkhauses in Erfurt gerieten Sänger und Höcke nur aneinander, wenn Sänger nachfasste oder Höcke ausholen wollte. Bei Fragen zu Parteikonflikten wiegelte Höcke ab, Parteien seien eben leider Parteien. Nicht die AfD-Querelen seien das Problem in Deutschland, sondern die „Gott-Kanzlerin Merkel“, die auch mit der Rückabwicklung der Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten der Demokratie schweren Schaden zugefügt habe.

Bei fast jeder Frage zur AfD oder zur Causa Andreas Kalbitz erklärte Höcke, dass die AfD aus der Selbstbeschäftigung herausfinden müsse. Um erst auf Nachfrage zu betonen, dass der Rauswurf von Kalbitz, seines engen Mitstreiters, ein Fehler sei und die Parteibasis die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen würde.

Quelle       :        TAZ       >>>>>       weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben          —      MDR headquarters in Leipzig

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Unten     —         Election night Thuringia 2019: Björn Höcke (AfD)

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Geflüchtete in Sachsen

Erstellt von DL-Redaktion am 9. August 2020

Charmeoffensive in Freiberg

Altstadt von Freiberg.jpg

Ein Artikel von Sabine Seifert

Vor fünf Jahren nahmen Bewohner*innen der sächsischen Kreisstadt ankommende Geflüchtete mit Flaschenwürfen in Empfang. Wie ist die Stimmung heute?

Wer in Freiberg lebt, kennt sich – vom Grüßen, Sehen, manchmal auch vom Wegsehen. Sich aus dem Weg zu gehen, ist schwierig in dieser 41.000-Einwohner-Stadt, die nicht ganz klein ist, aber auch nicht groß, sondern irgendwas in der Mitte, aber sie liegt ja auch in der Mitte von Sachsen, zwischen Dresden und Chemnitz, von daher passt das. Durch die gepflegte Altstadt mit Wallanlagen und Schloss schlängeln sich mittelalterliche Gassen, über den Obermarkt wacht Otto der Reiche in Bronze, über den Untermarkt der Dom mit seiner wertvollen Silbermannorgel.

Amir Nikou ist einer der 80 Sängerinnen und Sänger des Domchors. Der ausgebildete Tenor ist 41 Jahre alt und stammt aus dem Iran. Er wirkt wie einer, der auf der Straße nicht wegsieht, sondern grüßt, und wenn er erzählt, was er alles so macht, strahlt seine Stimme sogar durchs Telefon: Er ist Mitbegründer der Bürgerbühne, singt zusätzlich zum Domchor im Gemeindechor Petri-Johannis, ist Dolmetscher für Geflüchtete und Asylbewerber und Teil der Kampagne #gesichtzeigen, mit der hundert Freiberger und Freibergerinnen für eine tolerante weltoffene Stadt werben.

Amir Nikou ist eins der wenigen Gesichter mit Migrationshintergrund. Er sagt: „Ich versuche, ein Vorbild zu sein.“ Denn Freiberg ist nicht ganz so weltoffen, wie es gerne wäre.

er in Freiberg lebt, kennt sich – vom Grüßen, Sehen, manchmal auch vom Wegsehen. Sich aus dem Weg zu gehen, ist schwierig in dieser 41.000-Einwohner-Stadt, die nicht ganz klein ist, aber auch nicht groß, sondern irgendwas in der Mitte, aber sie liegt ja auch in der Mitte von Sachsen, zwischen Dresden und Chemnitz, von daher passt das. Durch die gepflegte Altstadt mit Wallanlagen und Schloss schlängeln sich mittelalterliche Gassen, über den Obermarkt wacht Otto der Reiche in Bronze, über den Untermarkt der Dom mit seiner wertvollen Silbermannorgel.

Amir Nikou ist einer der 80 Sängerinnen und Sänger des Domchors. Der ausgebildete Tenor ist 41 Jahre alt und stammt aus dem Iran. Er wirkt wie einer, der auf der Straße nicht wegsieht, sondern grüßt, und wenn er erzählt, was er alles so macht, strahlt seine Stimme sogar durchs Telefon: Er ist Mitbegründer der Bürgerbühne, singt zusätzlich zum Domchor im Gemeindechor Petri-Johannis, ist Dolmetscher für Geflüchtete und Asylbewerber und Teil der Kampagne #gesichtzeigen, mit der hundert Freiberger und Freibergerinnen für eine tolerante weltoffene Stadt werben.

Amir Nikou ist eins der wenigen Gesichter mit Migrationshintergrund. Er sagt: „Ich versuche, ein Vorbild zu sein.“ Denn Freiberg ist nicht ganz so weltoffen, wie es gerne wäre.

Offizielle Bilanz: mehrere leicht verletzte Beamte, verschiedene Strafanzeigen – und ein großer Imageschaden für die Stadt. Der sächsische Justizminister wird ein Jahr später auf Anfrage der Grünen erklären, politisch motivierte Kriminalität habe es bei den Ausschreitungen nur in einem Fall gegeben, nämlich einen Hitlergruß.

Freiberg, Obermarkt, Westseite-20150729-003.jpg

Zum Zeitpunkt der Ausschreitungen wohnt Amir Nikou schon eineinhalb Jahre in Freiberg. Er fährt zufällig mit dem Rad am Bahnhof vorbei, wo einige Freunde aus der iranischen Gemeinde beim Unterstützerkomitee mitdemonstrieren. Sie fordern ihn auf, sich ihnen anzuschließen, aber er lehnt ab. Er habe gesagt: „Das ist euer Land“, erzählt er, nicht weil er sich Deutschland nicht verbunden fühlt, sondern weil er damals noch keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. „Ich fand, dass ich kein Recht dazu habe.“

Im Jahr 2012 hatte Nikou den Iran verlassen, um in Italien Gesang zu studieren. Während er in seiner Heimat als Christ zu einer verfolgten Minderheit gehört, die ihren Glauben nur im Geheimen praktizieren kann, entdeckt er in Italien, was es heißt, seine Religion offen ausleben zu können. Doch genau das wird schließlich zum Problem. Freunde warnen ihn vor einer Rückkehr, sein Studium kann er nicht fortsetzen, weil ihm die Papiere fehlen, er hängt in der Luft.

Er verbringt ein paar Monate bei Freunden in Hamburg, währenddessen werden Bekannte im Iran verhaftet, weil sie Christen sind. Nach sieben Monaten gibt er die Hoffnung auf, zurückkehren zu können, und entscheidet sich, einen Asylantrag zu stellen. Nach drei Wochen im Asylbewerberheim in Chemnitz landet er am 21. März 2014 in Freiberg.

Seither bereichert er das kulturelle Leben der Stadt. Er spielte schon den „Luther aus Teheran“, sang Schuberts „Winterreise“ und wird als nächstes Humboldt verkörpern. Obwohl er sein Studium nicht beenden konnte, wirkt er zufrieden. Seit einem Jahr macht Nikou eine Ausbildung zum Erzieher, auch dort kann er seine musischen Talente einbringen. „Ich versuche, positiv zu sein.“ Integration vormachen, vorleben, verkörpern.

Ja, es gebe „Unfreundlichkeit“ in Freiberg, formuliert er vorsichtig. Aber er habe vor allem Freundlichkeit und Unterstützung erfahren. Als ihm kurzfristig eine Abschiebung drohte, halfen ihm Menschen aus der Kirchengemeinde, jetzt will er etwas zurückgeben.

Ob er sich in Freiberg voll integriert fühlt? „Ich habe mich nie verletzen lassen“, sagt Nikou, „ich war immer selbstbewusst in mir.“ Vielleicht rührt diese innere Ruhe aus seinem Glauben. Vielleicht geht es aber auch gar nicht anders, wenn man in einer Stadt lebt, in einem Land, in dem viele Menschen gegen einen sind, weil man nicht von hier kommt, vielleicht sogar eine andere Hautfarbe hat. Ist Amir Nikous unerschütterlicher Optimismus, sein positives Denken seine Überlebensstrategie?

Bei den Kommunalwahlen 2019 wurde die AfD stärkste Kraft im Freiberger Stadtrat, gefolgt von der CDU und den Freien Wählern. Der parteilose Oberbürgermeister Sven Krüger regiert mit den Stimmen eines inoffiziellen Rechtsbündnisses, das neben der FDP und den Freien Wählern von einer CDU mitgetragen wird, die rechter ist als die CDU Sachsens. In den „Freiberger Thesen“ hatte der CDU-Ortsverband Ende 2017 die Bundeskanzlerin für ihre Asylpolitik kritisiert und sie sowie Generalsekretär Tauber zum Rücktritt aufgefordert. Der CDU-Ortsvorsitzende Holger Reuter schloss damals in einem MDR-Interview eine Koalition mit der AfD nicht aus.

Ebenfalls 2017 hatte OB Krüger publikumswirksam eine Rechnung über 736.200 Euro ans Bundeskanzleramt geschickt – so viel habe die Stadt die Integration der 1.700 anerkannten Geflüchteten und Asylbewerber im Jahr 2016 gekostet. Im Jahr 2018 verließ er seine Partei, die SPD, und verkündete via Facebook, er empfinde angesichts der Politik der Großen Koalition ein „Fremdschämen“. Im selben Jahr versuchte er, eine Zuzugssperre für Geflüchtete und Asylsuchende beim Landkreis zu erwirken – und scheiterte.

Zu verdanken ist das auch der Rechtsaufsichtsbeschwerde, die Jana Pinka erfolgreich bei der Landesdirektion einlegte. „Mein Lebenswerk“, sagt die Stadt- und Kreisrätin der Linken mit leichter Ironie und echtem Stolz, während sie im Café Momo einen frisch gebrühten orientalischen Mokka trinkt. „Der Antrag kam, als gar kein Zuzug mehr stattfand.“

„Die CDU ist verantwortlich, dass die AfD so erstarkt ist“

Bis 2019 saß die 56-Jährige für die Linke im sächsischen Landtag. Sie ist herzlich, direkt und der Typ hartnäckige Abgeordnete, „ich war schon immer die Querdenkerin“. Pinka hat zahlreiche Anfragen im Landtag gestellt, Beschwerden eingereicht zu dem, was auf die Ereignisse 2015 folgte. Beschimpfungen auf der Straße, Anfeindungen in den sozialen Netzwerken – sie ist froh, dass sie jetzt „wieder zum Fußvolk“ gehört. Es ist ruhiger geworden für sie.

„Die CDU ist dafür verantwortlich, dass die AfD so erstarkt ist“, sagt Pinka. „Jetzt sind sie die Getriebenen.“ Getrieben wie auch OB Krüger, von dem sie sagt, „er sollte ein bisschen mehr Rückgrat zeigen“. Sie klingt fast mitleidig. „Er war 2015 noch nicht lange im Amt und sicherlich von der Situation etwas überfordert.“ Doch das ist fünf Jahre her – seine Haltung hat sich eher versteift.

Muaiad Ibrahim, ein alter Bekannter von Pinka, kommt im lachsfarbenem Hemd auf einen Kaffee vorbei, er hat Urlaub. Der promovierte Jurist aus Syrien koordinierte 2015 in der Gesellschaft für Strukturentwicklung und Qualifizierung (GSQ) die Unterbringung der ankommenden Geflüchteten für den Landkreis Mittelsachsen. „Ich war froh, dass ich helfen konnte, den Neuankömmlingen die deutsche Kultur und ihre Werte entgegenzubringen“, sagt er. „In den Ämtern hier gibt es kaum Leute mit Migrationshintergrund.“

Freiberg Stadtmauer am Gelben Löwenturm.JPG

Heute arbeitet Ibrahim als Koordinator des Bunten Hauses, eines Mehrgenerationentreffs. Dort bieten sie Tandemsprachkurse, Volkstanzkurse, Nähkurse für Geflüchtete an. „Basisarbeit“, sagt Ibrahim. „Und die braucht wirklich Zeit.“ Er rechnet mit mindestens einer Generation, die älteste seiner vier Töchter hat gerade Abitur gemacht. Bei seiner Arbeit für die GSQ agierte er oft als Vermittler zwischen den Kulturen: „Wenn ich auf die Menschen zugehe, kann ich Ängste abbauen. Es stimmt nicht, dass alle Leute Ausländer hassen. Aber es gibt viel Propaganda.“

Ibrahims Job bei der GSQ endete im Jahr 2017. Im Februar 2016 begleitete er in einem Bus Geflüchtete nach Clausnitz, der von rechten Demonstrant*innen blockiert und attackiert wurde. „Es war schrecklich“, sagt Ibrahim, aber: „Dies war Clausnitz und nicht Freiberg.“ Ähnlich wie Amir Nikou sieht er sich dem Positiven und der Integration „von beiden Seiten“ verpflichtet. „Wenn wir über die Deutschen reden, dann dürfen wir sie auf keinen Fall als rechtes Pack darstellen“, sagt er. „Das entspricht nicht der Wahrheit. Mein Dank an dieser Stelle gebührt den vielen Ehrenamtlern aus Freiberg, die unsere Arbeit erleichtern. Schreiben Sie das!“

An Freibergs Stadtmauer hängt eine Aufschrift aus dem Jahr 1554: „Das Heil der Stadt ist die Eintracht der Bürger.“ Darunter gibt ein moderner Durchbruch den Blick auf ein innerstädtisches Parkhaus frei.

Außerhalb der Stadtmauer, in der Johannisvorstadt, eine Viertelstunde Gehzeit vom Zentrum entfernt, liegt das Gemeindehaus St. Johannis. Es ist Wohnort und Wirkungsstätte von Pfarrer Michael Stahl. Ein klassischer 20er-Jahre-Bau, in dessen Garten zu DDR-Zeiten ein Glockenturm gebaut wurde. Die Gemeinde führt das Sankt im Namen, weil das Gelände früher zu einem katholischen Stift gehörte. Der Gemeindesaal, von hundert auf zehn Stühle reduziert, wird gerade für das Seniorentreffen am Nachmittag hergerichtet. Licht fällt rechts und links durch moderne bleiverglaste Oberlichtfenster. Über der Eingangstür versteckt sich die silberne Orgel.

Quelle       :         TAZ       >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben       —         Blick auf die Altstadt Freibergs / Sachsen

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2.) von Oben         —      Freiberg, Obermarkt, Westseite

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Unten    —   Teil der Stadtmauer am Gelben Löwenturm (Schillerstraße) in Freiberg

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Eine Blamage für alle?

Erstellt von DL-Redaktion am 30. Juni 2020

Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts in Sachen linksunten veröffentlicht

Quelle       :        untergrund-blättle CH.

Ein Interview von Peter Nowak mit der PolitikwissenschaftlerIn und RechtstheoretikerIn Dr. Detlef Georgia Schulze.

Frage: Das Bundesverwaltungsgericht hat kürzlich die Begründung seines im Januar mündlich verkündeten Urteils in Sachen des Vereins bzw. der internet-Plattform linksunten veröffentlicht.1 – Wie bewerten Sie das Urteil?

Schulze: Das Urteil ist eine Blamage. Eine Blamage für die KlägerInnen. Eine Blamage für die Beklagte Bundesrepublik Deutschland – und nicht zuletzt auch eine Blamage für das Gericht selbst und die Medien, die 2017 über das Verbot berichteten.

Frage: Können Sie das genauer erklären?

Schulze: Fangen wir vielleicht mit der Blamage für die Bundesrepublik bzw. deren Innenministeriums an. Das Ministerium tönte am 25.08.2017: „Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat heute die linksextremistische Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘ […] verboten und aufgelöst.“2

Im Urteil des Bundesverwaltungsverwaltungsgericht steht nun: „Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation […].“3

Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgericht zu urteilen, war die damalige Presseerklärung also reines Maulheldentum: Das BMI brüstete sich mit dem einen Verbot, das – falls wir dem Bundesverwaltungsgericht glauben können – gar nicht verfügt wurde.

Frage: Warum ist Unterschied wichtig?

Schulze: Die Existenz eines bestimmten Mediums hängt nicht von der Existenz eines bestimmten Herausgebers oder einer bestimmten Verlegerin ab. Gräfin Dönhoff kann sterben, und Die Zeit trotzdem weiter erscheinen; die Süddeutsche Zeitungs-GmbH könnte Pleite gehen und z.B. die Handelsblatt-Gruppe den Zeitungstitel Süddeutsche Zeitung aus der Konkursmasse kaufen – und dann könnte die Süddeutsche Zeitung (auch ohne Süddeutsche Zeitungs-GmbH) weiter erscheinen.

Ganz entsprechend können (und dürfen) sich im Falle eines ‚blossen‘ Verbotes des hinter linksunten „stehenden Personenzusammenschlusses“, neue Personen finden, die eine internet-Zeitung dieses Namens herausgeben/moderieren und die Technik stemmen.

Frage: Jetzt verstehe ich, womit sich Thomas de Maizière blamiert hat, vielen Dank. – Und womit hat sich das Gericht blamiert?

Schulze: Das Gericht hat sich deshalb blamiert, weil das Gericht nach § 86 Verwaltungsgerichtsordnung „den Sachverhalt von Amts wegen“ zu erforschen hat4; nicht aber ist es Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt so zu verdrehen, dass der Beklagten – hier dem Staat – eine Prozessniederlage erspart wird.

Frage: Sie meinen also, wenn das BVerwG das linksunten-Verbot nicht nur als Vereins-, sondern auch als Mediumsverbot verstanden hätte, dann hätte das BVerwG das Verbot insoweit als es das Medium beträfe, aufgehoben?

Schulze: Ja, scheint mir, dass das das Gericht deshalb die eingangs zitierte Unterscheidung trifft; aber ich kann natürlich nicht in die Köpfe der RichterInnen schauen. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass ein Verbot des künftigen Erscheinens des Mediums – auch dann, wenn es von neuen Leuten herausgeben wird – hätte aufgehoben werden müssen. Denn für ein solch umfassendes Verbot ist keinerlei Rechtsgrundlage ersichtlich; und auch das BMI nannte in seiner Verbotsverfügung keine Rechtsgrundlage für ein Medienverbot.

Frage: Sie sagten, „falls wir dem Bundesverwaltungsgericht glauben können“ – war die Presseerklärung des BMI tatsächlich reines Maulheldentum? Was stand in der Verbotsverfügung?

Schulze: In der Verbotsverfügung stand mehrerlei – vor allem stand zweierlei in der Verfügung: 1.: „Der Verein ‚linksunten.indymedia‘ ist verboten und wird aufgelöst.“ 2. „Es ist verboten, die unter der URL https://linksunten.indymedia.org sowie die im Tor-Netzwerk unter der Adresse http://fhcnogcfx4zcq2e7.onion abrufbare Internetseite des Vereins, einschliesslich deren Bereitstellung und Hosting, zu betreiben und weiter zu verwenden.“

Es wurde also – nach dem tatsächlichen Wortlaut der Verfügung – nicht nur dem Verein, sondern schlechthin verboten, „die unter der URL https://linksunten.indymedia.org […] abrufbare Internetseite des Vereins […] zu betreiben und weiter zu verwenden“.

Das ist ein signifikanter Unterschied bspw. gegenüber dem am 27. Januar 1983 verfügten Verbot der linken, türkischen Gruppe DevSol. In dieser Verbotsverfügung hiess es – akkurat –: „Der ‚Devrimci Sol (Revolutionäre Linke)‘ einschliesslich ihrer Teilorganisationen ‚HALK DER (Volksvereine)‘ ist jede Tätigkeit, insbesondere die Herstellung und der Vertrieb von Druckerzeugnissen sowie die Bildung von Ersatzorganisationen untersagt.“5

Auf den Unterschied zwischen „Druckschriften“ und „internet-Zeitung“ kommt es insoweit nicht an; entscheidend ist, dass damals ausschliesslich dem verbotenen Verein die publizistische Betätigung, aber nicht der Allgemeinheit verboten wurde, eine Zeitung mit dem Namen herauszugeben, den die Zeitung von DevSol bis dahin hatte.

Frage: Warum meinen Sie, hat das BMI 2017 in der linksunten-Verbotsverfügung anders formuliert?

Schulze: Die harmloseste Erklärung wäre: Es war reine Schlamperei des oder der inzwischen ins Amt gekommenen Sachbearbeiters oder Sachbearbeiterin der linksunten-Verbotsverfügung. Allerdings hätte er/sie ja einfach mal in die alten Verbotsverfügungen seiner oder ihrer VorgängerInnen nachschauen können…

Frage: Sie vermuten also einen anderen Grund?

Schulze: Kann tatsächlich sein, dass es nur eine Formulierungslaxheit war; aber es liegt auch eine andere Vermutung nicht fern: Es ist durchaus plausibel anzunehmen, dass mit dem Maulheldentum des BMI die Szene der AutorInnen und LeserInnen von linksunten eingeschüchtert werden sollte. Es wäre ja eine völliger Lachnummer gewesen, wenn damals in der Presseerklärung gestanden hätte: „Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat heute den BetreiberInnenkreis der linksextremistischen Internetplattform‚linksunten.indymedia‘ […] verboten und aufgelöst. Gleichzeitig gestand er aber zu, dass das BMI nicht befugt ist, anderen Leuten den Betrieb einer vergleichbaren ‚Open-Posting‘-Plattform – sogar gleichen Namens – zu verbieten.“

Frage: Kann die Webadresse linksunten.indymedia.org also ab sofort wieder genutzt und die internet-Zeitung ab sofort in der alten Weise wieder erscheinen?

Schulze: Naja, ganz so einfach ist es schon nicht. – Wie immer gibt es ein paar Schwierigkeiten:

1. Die alte Adresse – also die Subdomain linksunten.indymedia.org – kann natürlich praktisch und rechtlich nur genutzt werden, wenn der oder die InhaberIn der Haupt-Domain indymedia.org damit einverstanden sind.

2. Es müssten sich Leute finden, die es tun; das heisst: die Zeit und Lust haben, Artikel und Kommentare zu moderieren und die technische Fähigkeit, sicherzustellen, dass die Seite wieder anonym genutzt werden kann. – Diesbezüglich bin ich sehr skeptisch; in der Szene scheint linksunten ja inzwischen ein toter Hund zu sein: Kurz nach dem Verbot hätten sich vielleicht noch Leute gefunden; aber damals waren fast alle von dem Maulheldentum des BMI eingeschüchtert. Inzwischen scheint sich die Szene mit einer Welt ohne linksunten arrangiert zu haben.

3. Es ist zwar – wie gesagt – Dritten (d.h.: anderen als dem verbotenen Verein) nicht verboten, die alte URL wieder zu nutzen und wieder eine internet-Zeitung (eine „Internetplattform“) gleich Namens zu betreiben; aber es ist mit Repressionsrisiken verbunden.

Frage: Welche Repressionsrisiken gibt es?

Schulze: Riskant wäre bspw., haargenau das gleiche oder ein damit zu verwechselndes Logo verwenden6. Auch diesbezüglich wäre zwar juristisch noch zu diskutieren: Symbolisierte das in der Verbotsverfügung abgedruckte bekannte Logo die HerausgeberInnen-Struktur, also den sog. „Verein“, oder vielmehr das Medium? War das Logo also das Symbol (das „Kennzeichen“) des verbotenen „Vereins“ oder vielmehr das Symbol (in der Sprache des BMI: das „Kennzeichen“) der nicht-verbotenen internet-Zeitung linksunten? Hatte der „Verein“ überhaupt ein „Kennzeichen“?

Das Symbol der nicht-verbotenen internet-Zeitung linksunten darf – mangels Verbotes – verwendet werden; das etwaige „Kennzeichen“ des verbotenen „Vereins“ darf dagegen nicht verwendet werden.

Zweite Frage: Sind Dateien – hier eine Bilddatei – eigentlich „Kennzeichen“? (Ein Auto-Kennzeichen oder, meinetwegen, eine KPD-Fahne haben ja schon eine etwas andere Konsistenz als ein .jpg-Datei…)

Aber nehmen wir mal ruhig an, die Verwendung der auch in der Verbotsverfügung verwandten Bilddatei sei verboten. Dann wäre die Frage: Wäre ein Logo, bei dem die einzelnen Buchstaben, die in dem alten Logo rot waren, statt dessen – regenbogen-ähnlich – unterschiedliche Farben hätten, noch mit der alten Logo zu verwechseln? Würde der Unterschied zwischen einfarbig-rot und Regenbogen allen Leuten auf den ersten Blick auffallen? – Auch wenn das kommunistische bzw. ArbeiterInnenbewegungs-Rot schon ganz schick war, wäre es ja – auch unabhängig von der staatlichen Repression – nicht schlecht im Sinne von Intersektionalität und queer theory das Logo künftig in Regenbogenfarben zu gestalten…

Frage: Sie sprechen so, als ob Sie konkrete Pläne haben… – haben Sie?

Schulze: Sagen wir mal so: Ich habe 1. nicht das technischen Wissen, das nötig wäre, und ich habe keine grosse Lust auf Streitereien, welche Kommentare und Artikel (noch) okay sind und welche – ganz unabhängig von Repressionsrisiken – wegen inner-linker Differenzen ‚versteckt‘ werden.

Aber ja, wenn sich genug Leute mit den verschiedenen nötigen Kompetenzen finden würden und in der Lage wären, sich auf ein gemeinsames politisches Konzept zu einigen, würde ich mich – wegen der guten linken Sache und da Pressefreiheit nur wirksam verteidigt werden kann, indem sie wahrgenommen wird – verpflichtet fühlen, den kleinen Beitrag, den ich leisten könnte, beizutragen.

Frage: Kommen wir zurück zu den Repressionsrisiken. – Sie meinen also: Die Farben des Logos ändern – und schon könnte linksunten wieder wie früher erscheinen?! – Dann wäre das Verbot ja tatsächlich, wie Sie sagten, eine Lachnummer und die Presseerklärung des BMI Maulheldentum gewesen…

Schulze: Es gibt nicht nur das Repressionsrisiko wegen des Logos.7 Es ist ausserdem verboten, den alten „Verein“ fortzuführen und/oder zu unterstützen. Den alten Verein gibt es ja aber jedenfalls nicht mehr; der kann also nicht mehr fortgeführt oder unterstützt werden.

Es bliebe also noch die Frage, ob eine solche neue HerausgeberInnen-/BetreiberInnen-Struktur eine „Ersatzorganisation“ im Sinne des Vereinsgesetzes wäre.

Frage: Und – wäre es eine?

Schulze: Käme darauf an…

Frage: Worauf käme es an?

Schulze: Z.B., wenn die neue Struktur, sich alle Texte der alten HerausgeberInnen-Struktur inhaltlich zu eigen machen würde, dann würde es sich sicherlich um eine „Ersatzorganisation“ handeln.

Frage: Gibt es bestimmte Texte der alten HerausgeberInnen-Struktur, die problematisch wären?

Schulze: Ja, es waren ja bestimmte Formulierungen, die das BMI veranlasste (oder zumindest als Vorwand nahm), der alten Struktur das Genick zu brechen. Es waren kokette Formulierungen wie, ‚Wir wollten gar nicht wissen, wer all die schönen Anschlagserklärungen geschrieben hat.“

Der Satz liesse sich m.E. auch ohne „all die schönen“ schreiben, ohne dass ich mir politisch viel vergeben würde.

Frage: Andere Leute würden sich ohne „all die schönen“ ja vielleicht schon etwas vergeben. Empfehlen Sie der Szene also Opportunismus / kleinbeizugeben, damit linksunten wieder erscheinen kann? – Und falls ja, welchen Wert hätte ein solches opportunistisch glatt geschliffenes linksunten für die Szene noch?

Schulze: Ob es Opportunismus wäre, würde davon abhängen, was für Leuten den neuen HerausgeberInnen-Kreis bilden würde. Mein politischer Vorschlag und juristischer Rat würde lauten, den HerausgeberInnen-Kreis links-pluralistisch zusammensetzen – auch, was die Militanzfrage anbelangt – und dann zu erklären: „Einige von uns finden tatsächlich alle Anschlagserklärungen schön, so lange sie von Linken sind; auf der linken Seite kann es – verbal und bei der Aktion – gar nicht laut genug Knallen und Krachen. Und andere von uns haben einen etwas kühler, rationaler-kalkulierendes Verhältnis zu revolutionärer Gewalt und zumal zu Gewalt, die sie gar nicht für sonderlich revolutionär halten. Aber wir sind uns alle einig, dass Medien das Recht haben und das Recht haben sollen, Anschlagserklärungen zu veröffentlichen und die LeserInnen das Recht haben, sich authentisch über Anschlagserklärungen zu informieren – und dass wir unser Recht ausüben werden und unsere LeserInnen ermöglichen werden, ihr Recht auszuüben.“

Frage: Würden eine solche Vorgehensweise das BMI bzw. die Berliner Staatsanwalt nicht trotzdem strafrechtlich relevant finden?

Schulze: Das werden wir sehen. – Das linksunten-Verbot war bei Weitem nicht der erste repressive Angriff auf linke Zeitschriften, DruckerInnen und sogar Bücher. – Das wird dann juristisch und politisch auszukämpfen sein; juristisch gegebenenfalls bis zum Europäischen Gerichtshof in Strassburg.

Frage: Kommen da nicht, bei wöchentlich oder sogar täglich erscheinenden Anschlagserklärungen, schnell jede Menge Kosten für Gerichtsverfahren und vielleicht auch Strafen zusammen?

Schulze: Viele dieser früheren Angriffe endeten dann ja doch recht glimpflich: Erst wurde mit grossem Trara Razzien durchgeführt und am Ende wurde die strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt. Ähnlich wie das 2017er-Maulheldentum des BMI: ‚Wir haben eine internet-Plattform verboten.‘ 2020 das BVerwG so: ‚Es wurde doch keine internet-Plattform verboten. – Wer käme denn auf so etwas?‘

Frage: Es gab aber auch Verfahren, die weniger glimpflich ausgingen.

Schulze: Ja, Garantien gibt es nie. Das muss halt – wie gesagt – juristisch und politisch ausgefochten werden. Jedenfalls muss, so meine Überzeugung, die linke und auch liberale Position lauten: Es ist zwar illegal, Anschläge zu machen; es empfiehlt sich daher nicht, sich dabei erwischen zu lassen. Deshalb ist es auch nicht sinnvoll, Anschlagserklärungen mit Personalausweisnummer und Adresse zu unterschreiben.

Aber zu erläutern, warum ein bestimmter Anschlag begangen wurde, ist als solches nicht illegal; und erst recht ist es nicht illegal, solche – von Dritten verfasste – Erläuterungen zu veröffentlichten.

Frage: Sie sprachen anfangs davon, dass sich auch die KlägerInnen und die Medien blamiert hätten – inwiefern?

Schulze: Soweit ich das gesichtet habe, hatten damals alle Medien die Formulierungen aus der BMI-Presseerklärungen übernommen, dass das BMI eine internet-Plattform verboten habe. Aber kein Medium kam damals auf die naheliegende Frage, wie es denn möglich sein soll, dass das BMI auf der Grundlage einer Norm, die Vereinsverbote regelt, eine internet-Plattform verbietet.8

Ich hatte damals schon und auch später mehrfach versucht, Medien auf diesen Widerspruch bzw. auf den Unterschied zwischen Medien und deren HerausgeberInnen aufmerksam zu machen. Das stiess aber nicht auf Interesse… Schön, dass immerhin das Bundesverwaltungsgericht diesen Unterschied verstanden hat.

Frage: Heisst das: Sie sind mit dem Urteil zufrieden? Ist die Welt wieder in Ordnung?

Schulze: Nein, das Verbot der alten HerausgeberInnen-Struktur gibt es ja tatsächlich; und dessen Rechtmässigkeit hat das BVerwG nicht überprüft; aber es hat trotzdem bestand – dies liegt allerdings gleichermassen in der Verantwortung des BVerwG wie der KlägerInnen.

Frage: Sind wir damit bei der Blamage der KlägerInnen angekommen?

Schulze: Ja. Die KlägerInnen hatten als Einzelpersonen, denen die Verbotsverfügung zugestellt wurde, und nicht als Verein, der sich gegen sein Verbot wehrt, geklagt.

Das mag daran liegen, dass das BMI die Verbotsverfügung ‚den Falschen‘ (also Leuten, die gar nicht zum „Verein“ gehörten) zugestellt hat; es kann aber auch daran liegen, dass die KlägerInnen aus straf- und zivilrechtlichen Erwägungen9 nicht zugeben wollten, überhaupt zur HerausgeberInnen-Struktur von linksunten gehört zu haben.

Frage: Ist das nicht verständlich?

Schulze: Ja, verständlich. Aber damit waren mindestens zwei Probleme verbunden:

1. Damit war eine offensive Prozessführung (nach dem Motto: „Ja, wir waren es – und wir verteidigen unserer Recht auf Pressefreiheit.“), die wahrscheinlich auch der politischen Kampagne gegen das Verbot mehr drive gegeben hätte, verunmöglicht.

2. Die AnwältInnen der KlägerInnen wussten ganz genau und haben es sicherlich auch ihren MandantInnen erklärt: Nicht als Kollektiv (Personenzusammenschluss – ob nun „Verein“ oder nicht) zu klagen, beinhaltet nach der Rechtsprechung des BVerwG – je nach konkreter Konstellation – die Konsequenz, dass das BVerwG die Klage entweder als unzulässig verwirft oder aber jedenfalls nicht im vollen, sondern nur sehr begrenzten Umfang überprüft.

Ob das BVerwG in einer solchen Konstellation nur begrenzt prüft oder die Klage für unzulässig erklärt, hängt davon ab, ob das Gericht die KlägerInnen für Mitglieder der verbotenen Struktur hält oder nicht. – Nicht-Mitglieder sollen keinen Anspruch auf Überprüfung von Vereinsverboten haben.

Das heisst: Die KlägerInnen hatten sich in die schizophrene Situation manövriert, dass ihre Klage nur dann zu einer zumindest teilweisen Überprüfung des Verbotes führen wird, wenn das BVerwG annimmt, sie seien Mitglieder der verbotenen Struktur gewesen. Genau dies wollten sie ja nun aber – aus den oben genannten Gründen – partout jedenfalls nicht selbst sagen.

Frage: Wie ging dieses Drama aus?

Schulze: Das Gericht hat die Klage für zulässig erklärt; geht also davon aus, dass die KlägerInnen zur verbotenen Struktur gehörten.10 (Hätte das Gericht die Klage für unzulässig erklärt, dann würde das Urteil den ganzen Abschnitt II. zur Begründerheit oder – nach Ansicht des Gerichts vielmehr: – Unbegründetheit der Klage nicht enthalten.) Überprüft wurde nur, ob das Verbotsobjekt tatsächlich ein „Verein“ im Sinne des weiten (öffentlich-rechtlichen) Vereinsbegriff11 des Vereinsgesetzes war. Diese Frage hat das BVerwG bejaht.

Hätte das BVerwG das Verbotsobjekt dagegen als lockere, nicht-vereinsförmige Struktur angesehen, dann wäre das Verbot aufgehoben worden, da das BMI nur befugt ist, Vereine, aber nicht völlig diffuse, instabile und unstrukturierte Personenzusammenhänge zu verbieten (gelten dem Gesetzgeber als nicht ‚gefährlich‘ genug).

Dagegen hat das BVerwG im vorliegenden Fall nicht geprüft, ob die Verbotsgründe vorlagen, also ob das Verbot juristisch zurecht erfolgt ist; das hätte das BVerwG nur dann gemacht, wenn der Verein selbst geklagt hätte.

Frage: Und worin liegt nun die Blamage für die KlägerInnen?

Schulze: Darin, dass die KlägerInnen – wegen ihrer selbstwidersprüchlichen – Prozessstrategie nun einerseits vom Gericht genau das aufs Brot geschmiert bekommen, was sie partout nicht drauf haben wollten – nämlich, Mitglieder der verbotenen Struktur gewesen zu sein; aber trotzdem nicht nur keine Aufhebung des Strukturverbotes, sondern nicht einmal eine Überprüfung des Vorliegens der Verbotsgründe erreicht zu haben. – Um eine solche Überprüfung zu erreichen, hätten sie – nach der Rechtsprechung des BVerwG – als Kollektiv (und nicht als Individuen, die gerade bestreiten (oder jedenfalls nicht zugeben), zum Kollektiv gehört zu haben) klagen müssen.

Frage: Inwiefern war die Prozessstrategie der KlägerInnen Ihres Erachtens selbst-widersprüchlich? Hätte sich diese Blamage vermeiden lassen?

Schulze: Selbst-widersprüchlich war die Strategie aus folgendem Grund: Wenn die KlägerInnen bestreiten, zur verbotenen Struktur gehört zu haben, wäre es nach der Rechtsprechung des BVerwG konsequent, auf eine Klage gegen das Verbot zu verzichten; und statt dessen – bei Interesse – eine Feststellungsklage mit dem Ziel zu erheben, dass das Gericht feststellt, die klagenden Person sei zu Unrecht in der Verbotsverfügung genannt. (Grund für die gesetzliche Regelung: Warum sollte eine Person, die gar nicht Mitglied war, das Recht, haben, die Rechtmässigkeit eines Verbotes überprüfen zu lassen? Es geht sie doch nichts an; sie hat in der Regel keinen Schaden von dem Vereinsverbot12.)

Eine inhaltliche Überprüfung der Verbotsgründe hätte sich definitiv erreichen lassen, wenn die KlägerInnen mutig gewesen und als Kollektiv geklagt hätten. Wie diese Überprüfung durch das BVerwG dann allerdings ausgegangen wäre, ist eine offene Frage (Hätte das BVerwG das Vorliegen der Verbotsgründe bejaht oder verneint?)

Eine weitere Möglichkeit wäre gewesen, die bisherigen Rechtsprechung des BVerwG zur Klagebefugnis und zum Prüfungsumfang anzugreifen.

Frage: Mit welchem Argument hätten Sie das BVerwG davon überzeugen wollten, dass seine bisher Rechtsprechung zu dieser Frage unzutreffend war?

Schulze: Das Bundesverwaltungsgericht behauptet in langjähriger Rechtsprechung – diesmal wie folgt formuliert: „Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zur Anfechtung des Verbots einer Vereinigung regelmässig nur die verbotene Vereinigung befugt, nicht hingegen ein Mitglied. Die Verbotsverfügung betrifft nicht die individuelle Rechtsstellung natürlicher Personen, sondern die Rechtsstellung der verbotenen Vereinigung als einer Gesamtheit von Personen. Sofern das Vereinsverbot Rechte verletzt, können dies nur Rechte der verbotenen organisierten Personengesamtheit sein.“13 Das ist ganz offensichtlicher Unsinn. Denn Artikel 9 Absatz 1 Grundgesetz lautet: „Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.“ – Wenn nun das Bundesinnenministerium (oder ein Landesinnenministerium) verfügt, dass ein bestimmter Verein verboten sei und aufgelöst werde, dann wird damit in nichts anderes als eben dieses Recht derjenigen Deutschen, die den fraglichen Verein gebildet hatten, eingegriffen – und dies nun nicht mehr dürfen.

Die bundesverwaltungsgerichtliche Absorption der individuellen Vereinigungsfreiheit in die kollektive hat nichts mit den individuellen politischen Freiheitsrechten einer liberalen, bürgerlichen Verfassung zu tun (mit Kommunismus natürlich erst recht nicht), sondern ist verzopfte, deutsche Gemeinschaftstümelei, sozusagen: ‚Das Mitglied ist nichts; der Verein ist alles.‘

Das BVerwG behauptet: „Das Vereinsverbot beschränkt das in Art. 9 Abs. 1 GG verankerte kollektive Recht auf Fortbestand der Vereinigung“14. In Artikel 9 Absatz 1 Grundgesetz steht aber überhaupt nichts von „kollektive[s] Recht auf Fortbestand der Vereinigung“; dort steht vielmehr das gerade Zitierte; es ist dort die Rede von einem Recht aller „Deutschen“15 (also: natürlichen Personen!) und nichts von einem „Recht auf Fortbestand der Vereinigung“ (Vereinigung = juristische Person).

Es sind also diese Individuen (= Mitglieder) in deren Recht aus Artikel 9 Absatz 1 Grundgesetz eingegriffen wird; folglich sind – anders als das BVerwG meint – sehr wohl Mitglieder befugt gegen das Verbot zu klagen. – Es sollte auch vom Bundesverwaltungsgericht erwartet werden können, dass es die Normen (im vorliegenden Fall Artikel 9 Grundgesetz), die es beansprucht, auszulegen, zumindest erst einmal liest und zur Kenntnis nimmt.

Frage: Und was erwarten Sie, nach dieser Urteilsschelte, von den anstehenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht? Die KlägerInnen haben ja Verfassungsbeschwerde erhoben, und sie selbst hatten – mit anderer juristischer Argumentation – (nämlich als ehemalige LeserIn und AutorIn von linksunten) schon vor einiger Zeit Verfassungsbeschwerde erhoben…

Schulze: In diesen beiden Verfahren wird es unter anderem darauf ankommen, das Bundesverfassungsgericht davon zu überzeugen, den gemeinschaftstümelnden Zopf des Bundesverwaltungsgerichts abzuschneiden. Gelingt das nicht, dann wird auch das Bundesverfassungsgericht das Vorliegen der Verbotsgründe nicht überprüfen, denn

• ich war ja eh bloss gelegentliche Autorin und Leserin, hatte aber mit der herausgeberischen Struktur nichts zu tun, sondern hatte nur deren Service genossen,

und

• die anderen VerfassungsbeschwerdeführerInnen hatten vielleicht mit der herausgeberischen Struktur zu tun haben, aber nicht als herausgeberische Struktur geklagt und können deshalb auch nicht – nachträglich – ihre Verfassungsbeschwerde als herausgeberische Struktur erheben, sondern – wie gehabt – nur als Individuen.

Frage: Und wovon muss das Bundesverfassungsgericht ausserdem noch überzeugt werden?

Schulze: Dazu können wir bei Gelegenheit gerne noch einmal ein genauso langes Interview machen; das lässt sich leider nicht noch kurz als Antwort auf die Schlussfrage erklären.

Interview von Peter Nowak

Fussnoten:

1 https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0. – Das Urteil wird im folgenden nach den sog. Textziffern (Tz.) bzw. Randnummern am linken Rand des Textes zitiert.

2 https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html – Hervorhebung hinzugefügt.

3 Tz. 33 – Hervorhebung hinzugefügt.

4 § 86 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 Verwaltungsgerichtsordnung: „Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; […].“

5 zitiert nach Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.10.1988 zum Aktenzeichen: 1 A 14.83 (https://research.wolterskluwer-online.de/document/584a78bd-99f0-4755-8830-2690de2d0e16), Textziffer 1.

6 Vgl. § 9 Absatz 1 und 2 Vereinsgesetz: „(1) Kennzeichen des verbotenen Vereins dürfen für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots nicht mehr
1. öffentlich, in einer Versammlung oder
2. in Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen, die verbreitet werden oder zur Verbreitung bestimmt sind, verwendet werden. Ausgenommen ist eine Verwendung von Kennzeichen im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke.
(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grussformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__9.html)

7 Siehe dazu § 20 Vereinsgesetz (http://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__20.html): „Wer im räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit
1. den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot oder entgegen einer vollziehbaren Feststellung, dass er Ersatzorganisation eines verbotenen Vereins ist, aufrechterhält oder sich in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,
2. den organisatorischen Zusammenhalt einer Partei oder eines Vereins entgegen einer vollziehbaren Feststellung, dass sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei sind (§ 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes), aufrechterhält oder sich in einer solchen Partei oder in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,
3. den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereines oder einer Partei der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Art oder deren weitere Betätigung unterstützt,
4. einem vollziehbaren Verbot nach § 14 Abs. 3 Satz 1 oder § 18 Satz 2 zuwiderhandelt oder
5. Kennzeichen einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Vereine oder Parteien oder eines von einem Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 betroffenen Vereins während der Vollziehbarkeit des Verbots oder der Feststellung verbreitet oder öffentlich oder in einer Versammlung verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 84, 85, 86a oder den §§ 129 bis 129b des Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht ist. In den Fällen der Nummer 5 gilt § 9 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 oder 3 entsprechend.“ (Ist das Vereinsverbot nicht nur vollziehbar, sondern bestandskräftig [d.h.: nach Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Rechtsweges oder wurde der Rechtsweg gar nicht bestritten], dann ist der Strafrahmen höher; dann gelten die entsprechenden Vorschriften im Strafgesetzbuch [http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/BJNR001270871.html#BJNR001270871BJNG003702307].)

8 internet-Plattformen sind Medien, aber keine Vereine. Medien können von Vereinen herausgegeben werden; aber Medien ihrerseits sind keine Vereine.

9 Bestimmte Formulierungen deren AnwältInnen in der mündlichen Verhandlungen, die im Januar in Leipzig stattfand, deuteten darauf hin.

10 Tz. 10: „Die zulässige Klage (1.) ist unbegründet, weil die angefochtene Verbotsverfügung die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (2.).“
Tz. 14: „Die Klägerin ist gemäss § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt.“
Tz. 17: „Die Verbotsbehörde hat es nicht in der Hand, durch die Zuschreibung einer Mitgliedschaft in der Verbotsverfügung ein Klagerecht zu verleihen. Vielmehr müssen auch solche Personen, die in der Verbotsverfügung als Mitglied aufgeführt werden oder denen sie ausgehändigt wird, sich auf eine Verletzung in eigenen Rechten berufen können. Diese Voraussetzungen erachtet der Senat nur dann als gegeben, wenn eine Person geltend macht, dem als Verein verbotenen Personenzusammenschluss anzugehören und durch das Verbot gehindert zu werden, ihre bisherige Betätigung im Rahmen des vom Verbot aufgelösten Zusammenschlusses auch in Zukunft fortsetzen zu können.“

Ergo:

Die vorliegende Klage ist zulässig, da die Klägerin [*] (u.a.) klagebefugt ist. Klagebefugt sind aber nicht schon diejenigen, denen das Ministerium eine Mitgliedschaft zuschreibt, sondern diejenigen, die selbst geltend machen, zu dem verbotenen „Personenzusammenschluss“ gehört zu haben.

Das heisst: Das Gericht ist nicht (nur) – wie bereits anhand der mündlichen Verhandlung im Januar zu erwarten war – seinerseits, davon überzeugt, dass die KlägerInnen zum fraglichen „Personenzusammenschluss“ gehörten, sondern ist auch noch der Ansicht, dass

++ die Klägerin geltend macht (!) hat, dem als Verein verbotenen Personenzusammenschluss anzugehören (/ angehört zu haben?).

Gerade das, bezüglich dessen sich die AnwältInnen in Leipzig (und vermutlich auch die KlägerInnen selbst) zierten, nämlich: ‚zuzugeben‘ / geltend zu machen, dass die KlägerInnen Teil des in Rede stehenden „Personenzusammenschluss[es]“ gewesen seien, unterstellt ihnen das Gericht nun sehr wohl gemacht zu haben. – Die ganze – m.E. juristisch und politisch falsche (!) [**] – Ziererei hat also nicht das Allergeringste gebracht…
[*] Das veröffentlichte Urteile betrifft grammatisch nur eine der klagenden Personen, lautet aber bei den anderen klagenden Personen (in geschlechtlich angepasster Form) sicherlich entsprechend.

[**] Ausser, selbstverständlich: die VerbotsadressatInnen wären tatsächlich nicht die früheren BetreiberInnen gewesen. Dann würden sich allerdings zwei Fragen stellen: In welchem Erdloch sind die früheren tatsächlichen BetreiberInnen von linksunten verschwunden? Und: Warum haben sie sich durch die Verbotsverfügung ins Erdloch jagen lassen – wenn dem BMI doch gar nicht gelungen ist, sie zu identifizieren?

11 § 2 Absatz 1 Vereinsgesetz (http://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html): „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“

12 Anders allerdings im Fall der herausgeberischen Struktur von linksunten; durch deren Verbot haben auch die LeserInnen und AutorInnen einen Schaden. Denn es ist ihnen dadurch das von ihnen genutzt Medium verloren gegangen – es sei denn es würde nun doch neugeschaffen.

13 Tz. 15.

14 Tz. 18.

15 Das Recht von Menschen, die keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, Vereine zu bilden, ist in der BRD kein verfassungsrechtliches Grundrecht, sondern bloss ein einfachgesetzliches Recht aus § 1 Vereinsgesetz (http://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__1.html): „Die Bildung von Vereinen ist frei (Vereinsfreiheit).“ – Also: schlechthin „frei“ (also, anders als das Grundrecht: ohne Einschränkungen auf einen bestimmten Personenkreis), aber eben auch nur einfach-gesetzlich (und folglich – anders als das verfassungsrechtliche, sog. „Deutschen-Grundrecht“ – durch die folgenden Paragraphen des Vereinsgesetzes – das heisst: ebenfalls einfach-gesetzlich – beliebig einschränkbar).

Detlef Georgia Schulze hat u.a. veröffentlicht: ‚Removing some rubbish’. Radikale Philosophie und die
Konstituierung einer Wissenschaft vom Juridischen – und zwar in: Urs Lindner / Jörg Nowak / Pia Paust-Lassen (Hg.), Philosophieren unter anderen. Beiträge zum Palaver der Menschheit. Frieder Otto Wolf zum 65. Geburtstag, Verlag Westfälisches Dampfboot: Münster, 2008 (ISBN 978-3-89691 -752-2), 332 – 352; bei Telepolis erschien das ebenfalls von Peter Nowak geführte Interview: Katalonien: „Emphatische Demokratie“ und das Gewicht von Verfassungen. Gespräch mit der Politikwissenschaftlerin Detlef Georgia Schulze über Realismus im Streit zwischen der Zentralregierung in Madrid und dem katalanischen „Volk“, in: Telepolis vom 25. Oktober 2017; https://www.heise.de/tp/features/Katalonien-Emphatische-Demokratie-und-das-Gewicht-von-Verfassungen-3871045.html.

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Grafikquellen      :

Oben      —        Sitz des Bundesverwaltungsgerichtes im Reichsgerichtsgebäude in Leipzig (Blickrichtung Westen)

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Unten     —     Sitzungssaal des Bundesverwaltungsgerichts

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„Mama, es reicht!“

Erstellt von DL-Redaktion am 17. Juni 2020

Rechtsruck und Familie

Von Sabine am Orde und Tom Vesterhold

Seine Mutter schickt ihm rassistische Whatsapp-Nachrichten, seit Jahren hetzt sie gegen Einwanderer. Wie soll Tom Vesterhold damit umgehen?

Ein Montag, viele Wochen bevor das Coronavirus das Land lahmlegt. Noch ist es ein guter Tag. Tom Vesterhold sitzt an seinem Schreibtisch in der taz-Redaktion, durch die Scheiben scheint die Sonne. Vesterhold, der in Wirklichkeit anders heißt, hat ein schönes Wochenende mit seiner Frau und den beiden Kindern verbracht, jetzt redigiert er einen Text, an dem es nicht viel zu tun gibt. Dann macht es „ping“, das Handy zeigt eine neue WhatsApp-Nachricht an. Von „Mama“, ist auf dem Gerät zu lesen. Vesterhold zuckt zusammen.

Es ist ein Video des Bloggers Peter Weber. „Mir langen die deutschen Straftäter, ich brauche da nicht noch jemand, der bei uns Schutz sucht, und wir müssen vor denen Schutz suchen“, sagt der graumelierte Bauunternehmer aus der Nähe von Nürnberg. Er hält einen angeblichen Leistungsbescheid in die Kamera: eine Flüchtlingsfamilie mit sieben Kindern, „die noch nie in das System eingezahlt hat“. Sie bekomme monatlich 3.916,83 Euro netto, sagt Weber und grient. Dazu kämen noch Krankenversicherung und Miete.

„Wie soll ich das meinen Mitarbeitern vermitteln?“, fragt Weber. Die würden trotz harter Arbeit viel weniger bekommen. Er halte „diese Toleranz für krankhaft“. Und: „Wenn mich dann jemand als Rassist oder ausländerfeindlich bezeichnet, dann muss ich sagen: Damit kann ich gut leben.“ Tom Vesterholds Mutter hat nur den Link zu dem Film geschickt, ohne Kommentar.

Schon wieder, denkt ihr Sohn. Der Vorwurf, die deutschen Behörden zahlten Flüchtlingen mehr als Hartz-IV-Empfängern, ist uralt und voller Fehler, wenn nicht faustdicker Lügen. Vesterhold schaut sich die Facebook-Seite des Bauunternehmers an: 110.000 Follower haben den Post gesehen. Wie kann es sein, dass nun auch er seine Zeit mit dieser Hetze verbringen muss, fragt sich Tom Vesterhold. Dass seine Mutter – und so viele andere – das alles nicht nur glauben, sondern auch noch weiterverbreiten?

Er ruft eine Kollegin an, die hauptsächlich über Rechtspopulismus schreibt: Was macht man mit solchen Posts? Wie reagiert man darauf, wenn man sie von der eigenen Mutter bekommt? Wie ändert man das?

Gemeinsam entscheiden sie sich für ein Experiment. Vesterhold sucht sich Hilfe in der Auseinandersetzung mit seiner Mutter, die Kollegin begleitet ihn dabei. So entsteht dieser Text, eine Mischung aus journalistischer Beobachtung und den Schilderungen und Gedanken Vesterholds. Weil diese sehr persönlich sind, bleibt sein echter Name anonym, genau wie der seiner Mutter. So soll die Familie geschützt werden.

Es ist ja nicht das erste Mal, dass Margarete Vesterhold ihrem Sohn Nachrichten zukommen lässt, die direkt von der AfD stammen könnten. Seit mindestens drei Jahren geht das so. Mal ist es ein Post über libanesische Familienclans, mal ein Video über den angeblichen „Selbstmord Europas“ durch zu viele Einwanderer oder eine Meldung von einer „Gruppe der informierten Bürger“: „Ungarischer Geheimdienst: Tausende Migranten bereiten Bürgerkrieg in Deutschland vor.“

Dazwischen schickt Margarete Vesterhold ihrem Sohn, Fotos der Enkel oder Tierbilder, um sie den Kindern zu zeigen. Dann kommt wieder ein Fake-Zitat von Aydan Özoğuz (SPD), der ehemaligen Migrationsbeauftragten der Bundesregierung: „Dass Asylbewerber kriminell werden, das ist einzig und allein die Schuld der Deutschen, weil deren Spendenbereitschaft sehr zu wünschen übrig lässt.“ Oder ein angeblicher Spruch von Sieglinde Frieß, einer grünen Bundestagsabgeordneten: „Ich wollte, dass Frankreich bis zur Elbe reicht und Polen direkt an Frankreich grenzt.“

Gibt sie den Hass an die Enkel weiter?

Ist doch alles Quatsch, Mama, könnte ich sagen. Fake News, Mama, rassistischer Quark. Es ist doch anders, als es diese Posts vermitteln wollen, alles gut gegangen bei dir – und auch in Deutschland. Jemand versucht, dich zu manipulieren. Du bist jetzt 72 Jahre alt – und es geht dir und uns verdammt gut, trotz angeblicher „Flüchtlingsschwemme“ oder „Asylantenhorden“. Diese Menschen fliehen vor Krieg und Verfolgung, Terror und bitterster Armut nach Europa, Mama. Viele haben ein Recht auf Asyl. All das könnte ich sagen. Will ich aber nicht mehr.

File:Keine AFD V1.svg

„Das kannst du doch nicht einfach so durchgehen lassen“, sagt Vesterholds Frau, wenn so eine Nachricht kommt. „Du musst mit ihr reden! Das geht so nicht.“ Sie sorgt sich, dass Margarete Vesterhold zur AfD abdriftet. Und was, wenn sie den ganzen Hass und die Verachtung an die Enkelkinder weitergibt?

Was weiß ich, was Aydan Özoğuz wirklich gesagt hat? Und was Sieglinde Frieß? Ich habe anderes zu tun, als diese absurden Pöbeleien zu widerlegen. Und ich habe Mama schon so oft gesagt, dass sie mich mit dem rechten Murks nicht behelligen soll. Wir haben uns schon so oft über Ausländer oder Flüchtlinge gezofft. Über ihr Menschenbild. Ihre sinnlose Angst vor dem Fremden. Knallharte Streite – und total sinnlose dazu. Die Frau ist unbelehrbar. Ich will das nicht schon wieder. Und ich habe auch Angst vor dem Krach. Das bringt doch nix. Die ändert sich eh nicht mehr.

Widerspricht Vesterhold, ist der Streit da. Ohne dass seine Mutter einen Millimeter von ihrem Standpunkt abrückt. Am Ende bleibt nichts als Geschrei. Wenn er sich nicht zu den „Nazi-Parolen“ – so nennt es Vesterholds Frau – äußert, ist Ruhe. Deshalb hat er zuletzt immer weniger dazu gesagt. Die Parolen seiner Mutter ärgerten ihn dann zwar, verhallten aber im Nichts.

Sag ich was oder gehe ich darüber hinweg? Ist das eine Meinung, die mir nicht gefällt, die ich aber aushalten muss?

Die Vesterholds sind mit diesem Konflikt nicht allein. Ein rassistischer Spruch von Opa beim Spaziergang, ein homophober Witz bei Mutters Geburtstag, das gehört in vielen Familien zum Alltag. Und dazu die Fragen mancher Angehörigen: Sag ich was oder gehe ich darüber hinweg? Ist das noch eine Meinung, die mir nicht gefällt, die ich aber aushalten muss? Oder muss ich jetzt widersprechen – und die Stimmung killen?

In den vergangenen Jahren hat sich der gesellschaftliche Diskurs verändert. Oft schleichend, manchmal aber auch mit einem Paukenschlag. Einer davon war Thilo Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“, der vor zehn Jahren auf den Markt kam. Schnell wurde die muslimfeindliche Schrift zu einem der meistverkauften Sachbücher der bundesdeutschen Geschichte. Dinge, die hierzulande im öffentlichen Diskurs marginalisiert schienen, sind nach und nach wieder offen sagbar geworden. Und laut. Rassistische, antisemitische Einlassungen, homophobe und sexistische Sprüche, menschenfeindliche Äußerungen.

Die AfD hat eifrig daran mitgewirkt – und spaltet die Gesellschaft weiter. Der Riss geht durch viele Familien. Das hat selbst Alexander Gauland, Fraktionschef der AfD im Bundestag, zu spüren bekommen. In einem Interview berichtete er vor einigen Monaten, ein Teil der Familie habe mit ihm gebrochen. „Fast die ganze Verwandtschaft meiner Frau lehnt die AfD vollständig ab. Das Haus wird nicht mehr betreten.“

Den klaren Bruch kann man im Fall von Gaulands Verwandtschaft für die richtige Konsequenz halten. Aber Margarete Vesterhold ist nicht Alexander Gauland. Sie ist noch nicht einmal in der AfD, auch wenn die Sprüche dazu passen würden. Und Tom Vesterhold will keinen Bruch mit seiner Mutter, schon wegen seiner Kinder nicht, denen er die Oma nicht nehmen will.

Als Vesterhold nach Unterstützung sucht, stößt er auf den Verein „Kleiner Fünf“. Dessen Ziel: Menschen zu motivieren, gegen Rechtspopulismus aktiv zu werden, die Sprachlosigkeit zu überwinden. Das Konzept von „Kleiner Fünf“, gerade für den privaten Bereich, heißt „radikale Höflichkeit“. Es ist der Versuch, mit Familie und FreundInnen im Austausch zu bleiben – auch über heikle Themen. Klar zu sprechen, aber so, dass man sich nachher noch in die Augen schauen kann. Könnte passen, denkt Vesterhold.

Doch es braucht noch einige weitere rechtspopulistische Nachrichten seiner Mutter, bis er per Mail bei dem Verein um einen Termin bittet.

Wenig später sitzt er in einer ehemaligen Fabrik­etage in Berlin-Kreuzberg, zweiter Hinterhof, erster Stock. Ein weiß getünchter, karger Besprechungsraum in einem Co-Working-Space. Hier hat sich „Kleiner Fünf“ eingemietet. Auf dem Tisch stehen Kaffee und Wasser. Gegenüber von Vesterhold haben zwei TeamerInnen des Vereins Platz genommen.

„Wichtig ist: Es gibt nicht die eine Strategie“, sagt Philipp Steffan, Anfang 30, wuschelige Kurzhaarfrisur und Dreitagebart. „Wir wollen herausfinden, was dir wichtig ist. Wo sind deine Grenzen, die überschritten werden? Und dann überlegen wir gemeinsam, wie man vorgehen kann.“

„Kleiner Fünf“ ist ein spendenfinanzierter Verein, zu dem sich vor vier Jahren einige AktivistInnen, die meisten von ihnen in den Zwanzigern, zusammengetan haben, um gegen Rechtspopulismus vorzugehen. Sie waren geschockt darüber, wie AfD- oder Pegida-Parolen den gesellschaftlichen Diskurs zunehmend bestimmten – und fühlten sich machtlos. „Unsere Erfahrung war, dass wir mit unserer Sprache und unseren Handlungen nicht weiterkamen“, sagt Paulina Fröhlich, die neben Steffan sitzt. „Wir merkten: Wir brauchen eine Kommunikation, die nicht an der Oberfläche bleibt, die uns tiefer trägt. Sonst bleibt es bei Schlagabtauschen, die nichts ändern.“

Das ursprüngliche Ziel steckt im Namen des Vereins: Die AktivistInnen wollten die AfD bei der Bundestagswahl 2017 unter fünf Prozent halten – und damit aus dem Bundestag heraus. Das ist gescheitert. Doch „Kleiner Fünf“ entschied, weiterzumachen, unter anderem mit Workshops zur radikalen Höflichkeit. Hauptsächlich, so Fröhlich, stelle der Verein Tipps für Menschen bereit, deren GesprächspartnerInnen kein verfestigtes rechtes Weltbild haben. Sondern bei denen eine Chance auf Gemeinsamkeiten, Ruhe und Respekt besteht.

Sie wollen verhindern, dass sich alle in ihre Blasen zurückziehen, ihre Ansichten nicht mehr in Frage stellen. Denn das führe zu immer radikaleren Meinungen, Gespräche mit Andersdenkenden würden immer schwieriger. Das schade nicht nur Familien und Freundeskreisen, sondern auch der Demokratie. So steht es in einem kleinen Buch mit dem Titel „Sag was!“, das der Verein herausgeben hat. Einzelberatung bietet das Team normalerweise nicht an, die Gespräche mit dem Journalisten Vesterhold sind eine Ausnahme – weil daraus dieser Text entstehen soll.

„Wir haben uns schon immer viel gestritten, erbittert gestritten“, erzählt Vesterhold jetzt. „Über Geld, über meine Frauen, meine Jobs, über viel Fundamentales.“ Auch früher, als er noch ein Teenager war, ging es schon um „Ausländer“, die seine Mutter auch gern „Asylanten“, „Schwatte“ oder „N…“ nennt. Es gab jahrelange Kontaktsperren zwischen Mutter und Sohn. Vieles änderte sich, als die Enkel kamen. Sie sind jetzt vier und sechs. Die Kinder, sagt Vesterhold, seien für ihn die Chance für einen Neuanfang mit seiner Mutter gewesen.

Sie kümmert sich toll um sie, nimmt sie auch mal eine ganze Woche zu sich – und wir können freimachen. Das ist eine Hilfe, die ich ihr hoch anrechne, das hat viel dazu beigetragen, sie wieder mehr schätzen zu lernen. Wir hatten ja Jahrzehnte nur Dauerkrach. Soll ich das alles aufs Spiel setzen, damit sie mir keinen rechten Kram mehr schickt? Da schweige ich lieber.

File:Pegida-Demonstration 16. Dezember 2018 (3).jpg

Das dachte ich lange. Mama sollte Oma sein. Mich in Ruhe lassen. Und gut. Bekehren kann ich sie sowieso nicht. Eine Mutter, die keine rechten Parolen schwingt, würde alles natürlich viel einfacher machen, unser Verhältnis noch mehr entspannen. Ich wage aber gar nicht, mir eine tolerante Mutter zu wünschen. Das ist, so viel ist nach all dem Geschrei klar, völlig ausgeschlossen.

Die Mutter radikalisiert sich

Mit dem Flüchtlingssommer 2015 aber wurden die Konflikte zwischen Mutter und Sohn schlimmer. Schon wenn sie ihn bei einem Besuch mit dem Auto vom Bahnhof abholte, ging es los. Spätestens, wenn sie sich auf ihrer Terrasse zum Kuchen hinsetzten, krachte es.

„Diese Araber wollten mich vom Bürgersteig auf die Straße drängen“, habe seine Mutter mal erzählt, sie sei voll mit Wut gewesen, erzählt Vesterhold bei „Kleiner Fünf“. „Die hatten so hässliche Gesichter und rochen fies.“ – „Aber Mama, vielleicht haben sie dich einfach nicht gesehen.“ – „Die wollen hier die Chefs werden, die passen einfach nicht hierhin.“ Das habe er so nicht stehenlassen können: „Wir gifteten uns an.“ Irgendwann wollte sie mitbekommen haben, dass in Sichtweite ihres Hauses im Fränkischen Flüchtlinge untergebracht werden sollten. „Ich geb mir die Kugel“, schimpfte sie.

Margarete Vesterhold hat nach Volksschulabschluss und Hotelfachlehre in gutbürgerlichen Restaurants gekellnert, die sie gemeinsam mit Vesterholds Vater, einem Koch, betrieb. Dann machte sie den Realschulabschluss per Telekolleg nach. Und sattelte eine Ausbildung drauf: Die letzten drei Jahrzehnte bis zur Rente arbeitete sie als Steuerfachgehilfin. Heute besitzt sie zwei Häuser in einer kleinen Stadt in der Nähe einer fränkischen Großstadt.

Es ist eine klassisch westdeutsche Aufstiegsstory der 70er, 80er, 90er. Wohlstand und Maloche, sie hat es geschafft. Ihre ­Mutter starb früh, die Stiefmutter war gar nicht nett zu ihr, die Trennung von meinem Vater Anfang der nuller Jahre hat Mama bis heute nicht richtig verwunden. Das waren die Tiefschläge. Aber sonst? Finanziell hat sie ausgesorgt. Mamas große Erzählung: „Ich hatte nichts. Deine Oma hat uns nur Plastikschüsseln zur Hochzeit geschenkt, darin habe ich dich gebadet.“ Und: „Ich wollte immer, dass du es mal besser hast als ich.“

Quelle       :         TAZ         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben        —        Neonazi-Demonstration am 2. April 2005 in München

2.) von Oben     —        Keine Alternative für Deutschland. Aufkleber gegen die Partei Alternative für Deutschland, in SVG Format.

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Author Weeping Angel

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Unten       —           PEGIDA „Weihnachtssingen“ in Dresden am 16.12.2018 auf dem Theaterplatz. Transparent „Dresdner Christen grüßen die PEGIDA“

Author Derbrauni

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Unterm Gras die Knochen

Erstellt von DL-Redaktion am 2. Mai 2020

Der Krieg war vorüber, das Schweigen setzte ein.

Von Manja Präkels

Eltern und Kinder misstrauten einander wie Fremde. Wieder jagten die Jungs mit den Hakenkreuzen Menschen. Nichts war vorbei. Mit der Mauer brach die Welt

Die Schriftstellerin Manja Präkels, 1974 in Brandenburg geboren, erlebt den Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg in der DDR. Sie erinnert sich an unerlaubte Fragen an den Großvater, KZ-Witze und an sehr viel Stille.

er Krieg schmeckte nach dem abgeknabberten Ende meines Bleistifts. Dafür gab es Stubenarrest, weil man die Dinge achten soll. Auch den Bleistift. Kauend hatte ich im Geschichtsunterricht hinten links in der letzten Reihe gesessen und mich in der Betrachtung des Zeitstrahls verloren. Urgesellschaft. Sklavenhaltergesellschaft. Schritt für Schritt ins Paradies. Das Vorwärtskommen schmerzhaft. Verlustreich. Im Kampf. Im Krieg. Draußen, auf dem Schulhof, quälte sich ein älterer Jahrgang Runde um Runde durch die Sommerhitze immer um den Fahnenmast herum. Man konnte gar nicht hinschauen, so schwitzten sie unter ihren Gasmasken. Würden wir alle für immer Soldaten sein?

Opa war desertiert. Entkommen. Mit Glück. Er wusste genau, wo er die anderen zum letzten Mal gesehen hatte. Halbwüchsige Hitlerfans, wie er einer gewesen war. Beim „Volkssturm“. Viele Jahre lang fuhr er immer wieder hin. Immer am selben Tag. Zu der Scheune, in der sie dem Todesmarsch begegnet waren, den ausgemergelten, erniedrigten Frauen. Zu der Scheune, in der er damals einem lebensentscheidenden Impuls gefolgt war. Jedes Mal hatte er gehofft, jemanden zu treffen. Vergeblich.

Einmal habe ich ihn direkt gefragt, am Kaffeetisch, an meinem Geburtstag: „Opa, wo bist du eigentlich im Krieg gewesen?“ Starres Entsetzen bei Eltern, Onkels, Tanten. Wie konnte ich bloß! Opa aber schaute nur kurz auf und redete los. Wollte gar nicht mehr aufhören. Nichts war für ihn vorbei. Gar nichts. So wenig wie für mich. In den Kinderzimmern der Nachbarschaft flimmerten wieder die alten Wochenschauen. Freundinnen verliebten sich in Jungs mit Hakenkreuz-Tattoos, die nachts Menschen durch die Innenstadt jagten, tagsüber auf die Gräber der Sowjetsoldaten pissten. Ich fragte mich, wer wir geworden waren. Warum?

Eine frühe Erinnerung: Reifen auf Asphalt. Fahrräder über Fahrräder und doch keine Friedensfahrt. Ich sitze vorn, im Kinderkorb. Mit Übersicht. Die Mutter steuert uns durch die Menge der Werktätigen, die aus allen Teilen der Stadt zur Arbeit strömen. Der helle Klang der Klingeln, die kurz anschlagen, wo immer eine Unebenheit die Straße prägt, dazwischen Raucherhusten, leise Grüße. Ich friere. Das liegt daran, dass ich noch gar nicht wach bin.

Dann Salutschüsse. Alle Räder stehen still. Tauben steigen in den blauen Himmel. Wir sind eine Demonstration. Wir alle, auch die Kinder. Hoch die rote Fahne. Es muss ein erster Mai sein. Kampftag. Aber gegen wen? Mutter steht jetzt ganz vorn in ihrer Uniform. Unter der Fahne. Ich kann sie nicht erreichen. Sie ist jemand anderes, sieht mich nicht. Nur den Himmel und die Fahnen, und ob auch alle Kinder tun, was sie von ihnen verlangt. Ich gehöre nicht dazu. Noch nicht.

Meine Kindheit war wie Erde in Mund, Ohren und Nase. Eine Welt aus Geheimnissen von Erwachsenen. Eine Welt, in der du nichts verstehst, dein Wort nichts gilt. Eine Welt, in der Höllengestalten wie Jummiohr den Weg wiesen. Jummiohr, der aus dem Krieg, von dem alle so laut schwiegen, dass er stets allgegenwärtig blieb, mit einem Ohr weniger zurückgekehrt war. Starr nicht hin, Kind. Das war der Krieg. Und die Sowjetsoldaten hatten im Wald ihre eigene Stadt. Wegen des Krieges. Manchmal konnten wir Schüsse hören. Furcht spüren. Halt den Mund Kind, das verstehst du nicht.

Omi ist das piepegal, ob einer versteht. Sie erzählt gern Geschichten. Ich mag es, mich zu gruseln. Und ihr Vorrat scheint unerschöpflich zu sein. Wenn sie von früher spricht, ist es immer Winter. Immer Krieg. Und sie weint dabei, sagt „Russen“ und meint Sowjetsoldaten. Ihre Freundin wollte danach nicht mehr leben. Nach den Russen. Aber das verstehe ich ja noch nicht. Sagt sie und redet weiter. Nächste Geschichte: In den Trümmern, die sich bis zum Himmel türmten, wurden junge Rotarmisten in Fallen gelockt, und am nächsten Tag gab es endlich wieder Fleisch. Verstehe ich auch nicht. Nächste Geschichte. Erzähl noch mal die mit dem erfrorenen Pferd.

„Ihre Freundin wollte danach nicht mehr leben. Nach den Russen. Aber das verstehe ich ja noch nicht, sagt sie“

Ein greller Erinnerungsfetzen: Am Ehrenfriedhof, dicht bei den Gräbern, hocke ich und halte nach einem bekannten Gesicht Ausschau. Nach jemandem zum Spielen. Ich stochere mit einem Stöckchen im Gras, stoße auf etwas Helles, Ungewöhnliches. Als ich die obere Schicht durchstoße, schlägt mir ein so übler Gestank entgegen, dass ich mich fast übergeben muss. Mit zugehaltener Nase inspiziere ich die Stelle erneut. Tausende kleiner Maden wimmeln in alle Richtungen durchs Gras. Mein Schreien weckt die Hunde aus dem Mittagsschlaf. Ihr lautes Gebell begleitet meine Gewissheit, einen der Toten ausgegraben zu haben.

Später, auf dem Schulhof: KZ-Witze. Das Lager Ravensbrück liegt ganz in der Nähe. Man fährt nur hin, wenn man muss. Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann? Kein Kinderspiel. Sie jagen wieder. Aufgehetzte Schreie fordern, „die Kohlen“ in den Fluss zu werfen. Ich ducke mich. Wie alle anderen. Und kann es nicht vergessen. Vergessen. Vererbt sich das? Die allermeisten können es doch sehr gut. Erinnern sich weder an die Angstschreie noch an das, was zuvor oder später geschah.

Die aber, die sich erinnern können, die treffen sich. Auf den Bahnhöfen Osteuropas. In Antiquariaten. Auf Flohmärkten. Sie durchstreifen Gassen und Markthallen, vertrauten Gerüchen hinterherjagend. Fahren Jahr für Jahr an den alten Ort und hoffen, es kommt einer zurück. So wie Opa.

Es sind die Sonntage, die bleiben. Wenn die Arbeit ruhte, die Mutter mich nicht vor Sonnenaufgang weckte und durch die Kälte zum Kindergarten fuhr, wo gegessen wurde, was auf den Tisch kam. Die Tage, an denen Vater den Gemüseladen geschlossen halten und einfach liegen bleiben konnte. Meine älteren Cousins reparieren mit ernsten Mienen ein Moped im Hof. Und ich bin frei. Darf alleine raus, denn der Hund ist ja bei mir. Menschen lächeln über Fensterbänke hinweg. Es fährt kein Auto. Nur das Pferdegespann des alten Fuhrunternehmers, der niemals frei hat, erschüttert die Ruhe mit Hufgeklapper. Im Rotdorn piepen Vögel. Die Angler am Fluss lassen mich bei sich sitzen. Aber nur, wenn der Hund still ist. Ein Militärkonvoi der Roten Armee überquert die Brücke, unter der wir sitzen. Der Beton vibriert. Verächtliches Ausspucken. Geballte Fäuste. Der Hund will nach Hause. Zu Oma.

Mit dem Schulbeginn kam die Pflicht. Kam der Zeitstrahl. Aufgaben pflasterten den Weg in eine glorreiche Zukunft, die man sich als Kind höchstens als fernen Planeten vorstellen kann. Wir marschierten über frisch abgeerntete Rübenfelder, warfen Handgranaten im Sportunterricht und sangen Lieder, die ein Morgen beschworen, an das kein Erwachsener mehr glaubte. Bis auf die Musiklehrerin vielleicht. Und die Mutter natürlich. Die Tränen der alten Kommunisten in den Klubs der Volkssolidarität galten ihren Erinnerungen und Träumen aus anderen Zeiten, die wir singend beflügelten: „O lasset uns im Leben bleiben, weil jeden Tag ein Tag beginnt. O wollt sie nicht zu früh vertreiben, alle, die lebendig sind.“

Datei:Druck-Schwerin-im-Herbst-1989-Volker-Jennerjahn.jpg

Wenn sie von Lagern und Widerstand erzählten, konnten wir den Krieg fühlen. Den Stacheldraht. Die Angst. Manchmal spielten wir ihn auch nach. An den Gepettos. Einem alten Ehepaar, das aufgrund des fremd klingenden Namens, seiner ärmlichen Behausung und des zurückgezogenen Lebens die missbilligende Neugier der Provinzbewohner auf sich zog, sodass wir Kinder straffrei unsere makabren Späße mit ihnen treiben konnten. Kleine Vollstrecker. Wir warfen Steine auf die hölzernen Fensterläden. Wenn der Alte dann, vor Empörung und Angst zitternd, hinaustrat, lachten wir. Gemein und skrupellos. Am Abendbrottisch wurde uns meist verziehen. Wer war nicht mit solchen Scherzen aufgewachsen? Als gelte es, eine Grundhärte zu erlernen. Mitgefühl zu verlieren.

Manöver Schneeflocke. Ein Gewaltmarsch, sagen sie. Der Wind dringt durch alle Kleidungsschichten. Es fällt schwer, den Kompass zu halten. Wir kriechen durch das Dickicht. Klettern auf Bäume. Bestimmen Pflanzen und folgen einer Spur. Wir sind die Guten, klar. Der Feind sind die anderen. Die, die nicht wir sind. Bevor die verkochten Erbsen mit Schwung in der Schüssel landen, muss gesungen werden. Laut und siegesgewiss.

Quelle       :         TAZ          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben      —     Professor Ernst Schmitz im März 1949 bei der Besichtigung von Ausrüstungsgegenständen

2.) von Oben       —        Schulanfang in der DDR, 1980

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Unten    —        Friedliche Demonstration in Schwerin am 23. Oktober 1989

Urheber Jennus

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Die aktivistische Generation

Erstellt von DL-Redaktion am 28. Januar 2020

Der AfD das Konservative klauen ?

File:Keine AFD V1.svg

Von Stefan Kleie

Die aktivistische Generation besinnt sich auf Werte der alten Mittelschicht. Dazu gehört Verzicht, Verantwortung und Gemeinwohlorientierung.

Ein grauer Dresdner Novemberabend: „Was ist konservativ?“ lautete der Titel einer Podiumsdiskussion, ausgerichtet von der ultrarechten, in Gründung befindlichen Spengler-Stiftung. Beteiligt waren drei führende, allesamt männliche AfD-Politiker, ergänzt um den bundesweit bekannten neurechten Verleger Götz Kubi­tschek. Auch der Moderator und Cellist Matthias Moosdorf ist seit 2016 Mitglied der Blauen.

Seit der Ankündigung dieser Veranstaltung auf Kubitscheks Webseite sezession.de, die sich als „bedeutendste rechtsintellektuelle Zeitschrift in Deutschland“ versteht, war ich elektrisiert; hin- und hergerissen zwischen Neugier und Wut. Wütend war ich, weil sich die Herren einen besonders symbolträchtigen Ort ausgesucht hatten, der klischeehaft der Vorstellung eines bürgerlichen Salons entspricht: den Festsaal des Dresdner Pianosalons im rekonstruierten Coselpalais, vis à vis der Frauenkirche.

Die selbstbewusste Neue Rechte hatte damit neben Straßen und Plätzen (Pegida) auch die prachtvollen Paläste der Barockstadt erobert; rund 150 Gäste sind zudem für derartige Veranstaltungen eine ganze Menge. Aber besonders ungehalten war ich, weil mir eben ein Begriff geklaut wurde, der mir nicht gleichgültig ist. Ja, ich bin ein Konservativer – dazu gleich mehr! Die Veranstaltung verlief ohne große Aufreger.

Klar, diese fünf Politprofis auf dem Podium sind auch gebildete Intellektuelle, die durchaus anregend und eloquent einen Abend durchplaudern können. Im Kern war der Ertrag aber ziemlich mager und vorhersehbar. Wenn man sich am homogenen Nationalstaat des 19. Jahrhunderts orientiert und ansonsten überall Verschwörungen und Dekadenzphänomene – vom charakterlichen Elitenversagen bis zum „Bevölkerungsaustausch“ – wittert, ist ein radikaler Kulturpessimismus die logische Konsequenz.

Der Protest der Antifa fiel kläglich aus. Am Schluss hörte man ein paar dünne „Nazischweine“-Rufe, doch privater Sicherheitsdienst und Polizei hatten die Lage zu meiner Erleichterung fest im Griff. Seltsam, wie sich die Blickrichtung verschiebt, wenn man selbst Teil einer solchen Veranstaltung ist; niemand hat schließlich Lust, zwischen die Fronten zu geraten. Kubitschek lieferte im Nachgang seine eigene Deutung der Ereignisse:

AfD-Politiker diskutieren: „Was ist konservativ?“

Bert Kirsten, der Inhaber des Pianosalons sah sich demnach „Droh- und Protestschreiben der Antifa“ ausgesetzt. Das ist sicher übertrieben. Wir sind schließlich in Dresden, nicht in Kreuzberg oder Connewitz. Mir schreibt Kirsten lediglich von „Belästigungen“ seiner Mitarbeiter; tatsächlich haben sich wohl auch einige seiner eigenen Kunden im Vorfeld kritisch über die Zusammensetzung der Runde geäußert. Natürlich erkenne ich die rechte Skandalisierungsabsicht, die gleich vom „linken Meinungsterror“ schwadroniert

Ich bin aber kein investigativer Journalist, der „rechte Netzwerke“ aufdeckt. Mir liegt vielmehr daran, dass ein charismatischer Macher wie Kirsten nicht aus Solidarität mit den angeblich Geächteten ins rechte Lager überläuft. Sein Engagement für die Meinungsfreiheit ist ehrlich, der Rest ist Privatsache. „Was ist konservativ?“ Die Frage ist damit keineswegs erledigt. Im Gegenteil: Sie beginnt jetzt erst richtig spannend zu werden! Zunächst versetzt die Soziologie den Konservativen einen ziemlichen Dämpfer.

Bei Andreas Reckwitz von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) findet sich die Vorstellung der Konkurrenz zwischen einer alten traditionellen und einer neuen Mittelschicht. Letztere wird gern als kosmopolitisch und urban, als akademisch gebildet und innovativ beschrieben; sie wählt natürlich grün. Bei der alten oder traditionellen Mittelschicht gibt es dagegen eine höfliche Umschreibung für kleinbürgerliches Spießertum. Zwar ist auch sie fleißig, doch fehlt ihr das innovative Potenzial, um im globalen Wandel zu bestehen.

Ihre Werte sind einerseits traditionell, andererseits konsumistisch. Da in der Gesellschaft ein traditionelles Wertefundament zunehmend infrage gestellt wird, neigt sie zu irrationaler Elitenkritik und zum Rechtspopulismus. Angehörige der traditionellen Mittelschicht wohnen am Rande der Metropolen oder in Kleinstädten und fahren Diesel. Das Problem: Ich finde mich in diesem schematischen Dualismus nicht wieder, halte ihn sogar für falsch.

PEGIDA DEMO DRESDEN 5 JAN 2015 16082840268.jpg

Berliner Hipster etwa zählen ganz sicher zur ersten Gruppe, und kommen trotzdem äußerst homogen rüber. Ihr Weltbild ist genauso vorhersehbar und statisch wie das eines Pegidisten – selbst ihre privaten Hobbys kennt man im Grunde schon vorher (bei Männern im Zweifel was mit Craft Beer). Wäre es da intellektuell nicht viel herausfordernder, die beiden Gegensätze in einer Synthese zu versöhnen? Arbeitstitel: Aufgeklärter Konservatismus. Historisch waren Aufklärung und Konservatismus seit jeher Gegner.

Da der Konservatismus eine Reaktion auf die Aufklärung war, konnte er sich kritisch an ihr abarbeiten. Schon um 1790 erkannten Intellektuelle wie Edmund Burke die Tendenz der auf der Aufklärung basierenden Französischen Revolution, in radikale Ideologie und Terror umzuschlagen – die „Dialektik der Aufklärung“ steht also auch in einer konservativen Traditionslinie.

Kritik hilft dem Konservatismus aus seiner Statik

Quelle        :           TAZ           >>>>>            weiterlesen

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Grafikqiellen          :

Oben                     —       Keine Alternative für Deutschland. Aufkleber gegen die Partei Alternative für Deutschland, in SVG Format.

Source Own work
Author Weeping Angel

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Unten          —            The Demo there with 30,000 demonstrators. They use flags from the last soccer World cup of Germany. They demonstrate since many years. The difference is only that they have chosen the name PEGIDA. This image was originally posted to Flickr by blu-news.org at https://www.flickr.com/photos/95213174@N08/16082840268. It was reviewed on 23 January 2015 by FlickreviewR and was confirmed to be licensed under the terms of the cc-by-sa-2.0. Main theme is to criticize the state called „BRD“ (Federal Republic of Germany), Götz Kubitschek (front right).

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Grüne Justiz in Sachsen

Erstellt von DL-Redaktion am 20. Januar 2020

„Ich warne vor einer Wortwahl in Superlativen“

Katja Meier Mai 2016.jpg

Sachsens Justizministerin Katja Meier über Terror

Im Interview mit Konrad Litschko

Die neue grüne Justizministerin Katja Meier über die Silvesternacht in Connewitz und die Wortwahl ihres Koalitionspartners CDU.

taz: Frau Meier, nach der Connewitzer Silvesternacht wird über das Agieren der Polizei und linke Gewalt diskutiert, einige sprechen von linkem Terror. Sie auch?

Katja Meier: Es gab Vorfälle in den letzten Monaten, bei denen man genau hinsehen muss: das Anzünden von Baukränen in Leipzig, der Angriff auf eine Immobilienmaklerin und jetzt die Silvesternacht in Connewitz. Klar ist: Gewalt ist in einem Rechtsstaat durch nichts zu rechtfertigen. Das gilt für den Rechtsextremismus, der das gravierendste Problem in Sachsen ist. Aber das gilt auch für den gewalttätigen Linksextremismus. Wir müssen auf derartige Herausforderungen klar, aber besonnen reagieren. Als Justizministerin warne ich vor einer Wortwahl in Superlativen und davor, vorschnell einen Begriff wie Terrorismus in den Mund zu nehmen.

CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer wählt einen anderen Weg. Er sprach direkt nach Silvesternacht von linkem Terror.

Das ist die Wortwahl von Herrn Kretschmer. Ich bin da zurückhaltender. Einen Rechtsstaat sollte es auszeichnen, dass er mit Klarheit, aber auch mit Besonnenheit agiert. Ich sehe meine Rolle als Justizministerin darin, nicht vorschnell mit Pauken und Trompeten aufzutreten, sondern dafür einzustehen, dass sich auch bei schwierigen Ereignissen die Werte unseres Rechtsstaats behaupten.

Sie sind erst seit Dezember im Amt, als erste Frau in dieser Position in Sachsen, als Teil der neuen Koalition aus CDU, SPD und Grünen. Nun fällt die Silvesternacht auch in Ihre Verantwortung, weil die Justiz diese gerade aufarbeitet. Haben Sie schon ein Bild, was wirklich vorgefallen ist?

Ich war nicht vor Ort und das Geschehen wird aktuell durch die Ermittlungsbehörden aufgearbeitet. Wo es Angriffe auf Polizisten gab, sind diese klar zu verurteilen und zu ahnden. Auf der anderen Seite habe ich aber auch mit Leipzigern gesprochen, die schon sehr lange in der Stadt leben, dort viele, auch unruhige Silvesternächte erlebt haben und sich fragen, warum es diesmal anders als in vergangenen Jahren nicht gelungen ist, die Lage weitgehend zu deeskalieren.

Anwohner berichteten auch von einem anderen Polizeivorgehen: mit Hubschraubern, Personenkontrollen und sehr rabiatem Auftreten in der Nacht.

Auch das gilt es selbstverständlich aufzuarbeiten. Es ist in einem demokratischen Rechtsstaat natürlich legitim, auch polizeiliches Handeln zu hinterfragen. Die Polizei beweist ja regelmäßig, dass sie auch anders kann. Bei uns in Dresden gibt es beispielsweise die Bunte Republik Neustadt, ein Straßenfest, bei dem nachts Zehntausende auf der Straße feiern. Hier ist die Polizei präsent, hält sich aber zurück und setzt auf Kommunikation. Vielleicht könnte man auch zu Silvester in Connewitz ein Straßenfest organisieren, um die Situation zu entschärfen. Das muss aber zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort entschieden werden.

Die Polizei stand auch in der Kritik, weil sie anfangs von einer Not-OP eines verletzten Beamten sprach, die es so nicht gab. Das wirkte wie eine Dramatisierung.

Das fällt in die Zuständigkeit des Innenministers. Wir haben darüber gesprochen. Insgesamt hätte ich mir eine sorgsamere Kommunikation gewünscht.

Warum häufen sich als links eingestufte Straftaten in Leipzig gerade? Was ist da los?

Die Hintergründe der Taten werden noch ermittelt. Wir sehen nicht nur, aber gerade auch in Leipzig eine zunehmende politische Auseinandersetzung um wichtige gesellschaftliche Fragen. Dazu gehören zweifelsohne die steigenden Mieten und Verdrängungseffekte, die in Leipzig ein großes Thema sind. Es gibt genügend Wege, sich demokratisch gegen derartige Entwicklungen einzusetzen. Wer aber Gewalt gegen Personen anwendet oder Baukräne anzündet, setzt auf die völlig falschen Mittel und begeht Straftaten. Hier müssen Polizei und Justiz klare Kante zeigen.

Nach der Silvesternacht gab es Festnahmen, Haftbefehle und bereits eine Verurteilung in einem beschleunigten Verfahren. Anwälte von Festgenommenen klagen, es werde ein „Exempel“ an ihren Mandanten statuiert. Überzieht die Justiz?

Ich werde als Justizministerin nicht einzelne Urteile bewerten. Wir haben eine unabhängige Justiz und das ist auch gut so.

Ihr CDU-Vorgänger Sebastian Gemkow berief mitten in den Koalitionsverhandlungen zusammen mit CDU-Innenminister Wöller eigens eine „S­o­ko Linx“ aus. Ein richtiger Schritt?

Ob man Sonderkommissionen braucht, sollte der fachlichen Expertise der Ermittlungsbehörden obliegen. Aber natürlich ist so etwas vor allem eine Frage der Kommunikation. Man kann das auch mit weniger Tamtam einrichten. Das meine ich, wenn ich von mehr Besonnenheit spreche, die es braucht. Für das Miteinander war es nicht förderlich, dass wir Grüne damals nicht eingebunden wurden.

Werden Sie denn die Soko Linx weiter unterstützen?

Mein Ministerium unterstützt alles, was hilft, um Straftaten aufzuklären und verhältnismäßig ist.

In die Connewitz-Diskussion gerieten Sie auch persönlich. Plötzlich tauchte ein Liedtext Ihrer Punkband aus Zwickauer Jugendtagen auf, in dem es hieß: „Advent, Advent, ein Bulle brennt.“ Die AfD forderte Ihren Rücktritt.

Quelle           :           TAZ          >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben       —         Katja Meier

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Connewitz – nach Silvester

Erstellt von DL-Redaktion am 16. Januar 2020

Ein Kiez unter Beobachtung

Von  Heike Ellersiek

Der Kampf um Connewitz war von Beginn an einer um Freiräume. Mit denen könnte es nach der Silvesternacht endgültig vorbei sein, fürchten einige.

Wer in diesen Tagen durch Connewitz streift, findet als Spur der Silvesternacht eine zerbrochene Rotkäppchenflasche. Das Bild aus der Silvesternacht war ein anderes: Man hätte meinen können, Connewitz stünde unter der Fuchtel eines wild gewordenen, linksradikalen Mobs.

Aber da: Auf dem kargen Sportplatz direkt am Connewitzer Kreuz prangt der Schriftzug „No Cops“. Die Stadt lässt das Graffito immer wieder entfernen, Sprayer sprühen es innerhalb weniger Stunden neu auf. Wenn das den Kontrollverlust im Kiez symbolisiert, gibt es wohl kein ernsthaftes Problem. Aber Probleme gibt es.

Der Rechtsanwalt und Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek ist ein routinierter Guide im Viertel: Vom Connewitzer Kreuz führt er in diesen Tagen Journalisten auf Autonomen-Safari in die Wolfgang-Heinze-Straße nach Süden. Kasek zeigt auf Neubauten, wo Wohnungen ab 13 Euro den Quadratmeter vermietet werden sollen, absurde Preise für die ostdeutsche Stadt.

Er zeigt auf Baulücken, wo Eigentumswohnungen entstehen sollen. Auf alteingesessene Kneipen, die fast auf den Tag genau vor vier Jahren von einer Horde aus 250 Neonazis angegriffen wurden.

Das Vertrauen in die Polizei: nicht sehr groß

Der Connewitzer Jens Keil betreibt seit 1997 den „Goldfisch“, eine der Kneipen, die am 11. Januar 2016 demoliert wurden. Die Erinnerung an den Abend ist bei Keil noch lebendig: „Wir haben die schon von Weitem auf der Straße gehört, ein wahnsinniger Lärm“, erzählt er an einem seiner Kneipentische. „Wir haben von innen die Tür zugehalten, die Scheiben gingen natürlich trotzdem zu Bruch.“ Pyrotechnik flog in die Kneipe, Panik und Chaos überall.

Am Ende war es wohl der mangelnden Ortskenntnis der Nazis geschuldet, dass sie zufällig genau neben der unauffälligen Polizeiwache marodierten. Viele empfinden die Wache eher als Provokation gegen links, sie wird regelmäßig mit Farbbomben oder Teer beworfen. Die Polizei setzte die Nazis damals fest.

Die Verfahren sind bis heute nicht abgeschlossen, Keil wurde zu über 50 Prozessen vorgeladen, sagt er. Sein Vertrauen in die Polizei ist nicht sehr groß: Zu Silvester werde er schon mal gebeten, die Kneipe geschlossen zu halten – warum, weiß er nicht. „Die Meinung über die Polizei ist hier eh nicht die beste“, sagt er. „Es wird hier ordentlich patrouilliert, das ist einfach nicht verhältnismäßig.“ Es gebe in Connewitz nicht mehr Auffälligkeiten als anderswo.

2016-12-16 Juliane Nagel (Landtagsprojekt Sachsen) by Sandro Halank.jpg

Die Polizeistatistik von 2018 zeigt: In Connewitz ist die Kriminalität gesunken. Das mit Abstand häufigste Delikt waren 769 Diebstähle, vor allem wurden Fahrräder geklaut. Darauf folgen 587 erfasste Sachbeschädigungen, davon 360 Graffiti. Und, ja, von den 517 Vorfällen „politisch motivierter Kriminalität“ wurden 109 in Connewitz begangen – allerdings fallen darunter eben auch Graffiti wie „ACAB“. Auf Karten, die Kriminalitätsschwerpunkte in der Stadt markieren, sind Teile des Zentrums tiefrot – Connewitz ist zartgelb.

Immer im Fokus

Viele Bewohner sehen ihren Stadtteil stigmatisiert – nicht erst seit Silvester. Baukräne im östlichen Reudnitz brennen Anfang Oktober, im Fokus sofort: Connewitz. Eine Immobilienmaklerin wird in ihrer Wohnung überfallen, angeblich mit den Worten: Grüße aus Connewitz. Acht Tage nach Silvester wird ein Straßenkünstler ohne festen Wohnsitz verurteilt, nicht mal das Gericht glaubt an ein politisches Motiv, aber im Fokus: Linksautonome aus Connewitz.

Beim Spaziergang durch das Viertel zeigt Anwalt Kasek auf Plakate, mit denen die Wände gepflastert sind. Sie rufen zum Zusammenhalt auf und dazu, sich wegen Repressionen in der Silvesternacht an die „Rote Hilfe“ zu wenden. An einem Zaun hängt ein Banner, auf dem steht: „Solidarität den Inhaftierten #3112 #0101“.

„Das ist auch Connewitz“, sagt Kasek. „Wenn so was passiert, wächst der Stadtteil zusammen.“ Kasek vertritt drei der Inhaftierten der Silvesternacht, keiner von ihnen ist vorbestraft. Einer seiner Mandanten, dem ein Flaschenwurf am Neujahrsmorgen vorgeworfen wird, hat 37 Stunden in einer Zelle gesessen – ohne Gelegenheit, sich die Hände zu waschen oder die Kontaktlinsen herauszunehmen.

Der 20-Jährige will nie wieder am Kreuz Silvester feiern: „Ich bin da nicht wegen Krawalltourismus hingegangen, sondern weil man da immer Freunde trifft, die man länger nicht gesehen hat. Und dann saß ich unschuldig in ’ner Zelle.“ Sein Handy und ein Dutzend weitere Handys hat die Polizei wegen Mordermittlungen beschlagnahmt – obwohl nicht mal die Polizei ihm vorwirft, er habe etwas mit dem bewusstlosen Polizisten zu tun.

Eskalation mit Ansage

Quelle        :      TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen         :

Oben          —        Am Connewitzer Kreuz

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Unten      —       Juliane Nagel (Die Linke)

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Links, linker, gelinkt

Erstellt von DL-Redaktion am 11. Januar 2020

Wie reagiert die Szene?

Aus Leipzig Konrad Litschko und Sarah Ulrich

Nicht erst seit der Silvesternacht in Connewitz steht Leipzigs linke Szene unter Beschuss: Sachsens Ministerpräsident spricht von linkem Terror, der Bürgermeister sieht eine RAF heraufziehen.

m Donnerstagmorgen stehen in Leipzig wieder Linke auf der Straße. Bei einer Kundgebung vor dem Amtsgericht, hissen sie Banner, es geht um Connewitz. Diesmal aber um eine Nacht aus dem Januar 2016, als etwa 250 Neonazis im Stadtteil randalierten. Noch immer laufen dazu Prozesse. Linke kritisieren nun die schleppende Aufklärung.

Der Protest bleibt klein und unspektakulär. Der Polizei ist er nicht mal eine Meldung wert. Leipziger Protestalltag – eigentlich. Wäre nicht die Silvesternacht in Connewitz gewesen.

Denn seitdem ist wieder eine Debatte über linke Gewalt in Leipzig entbrannt. Polizisten wurden in der Nacht angegriffen. Aber auch die Beamten gingen rabiat vor, fuhren schon am frühen Abend Personenkontrollen und Greiftrupps auf und kreisten mit Helikoptern über den Stadtteil. Am Ende gab es Bewusstlose auf beiden Seiten. Den Angriff auf einen Polizisten wertet die Staatsanwaltschaft als versuchten Mord. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verurteilte die Tat „aufs Schärfste“, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) spricht von „linkem Terror“.

Mit falsche Informationen jonglieren

Dabei sind noch viele Fragen offen. Und gerade erst musste die Polizei nach einer taz-Recherche zurücknehmen, dass der verletzte Polizist ­notoperiert wurde. Auch ein brennender Einkaufswagen wurde nicht, wie behauptet, in die Reihen der Beamten geschoben. Und ein „geplanter Angriff“, von dem Leipzigs Polizeipräsident Torsten Schultze sprach, ist bisher nicht belegt.

Dennoch ist nun ein Bild in der Welt: die Leipziger Autonomen, so militant wie nirgends. Und Connewitz: Brutstätte des Linksterrors.

File:Police brutality at Nigerian Embassy protest.jpg

Wolfgang Sterz kann darüber nur den Kopf schütteln. „Die Connewitzer Autonomen gibt es in der Form schon seit Jahren nicht mehr. Das ist ein Mythos.“ Der Mittdreißiger ist selbst seit über einem Jahrzehnt in Connewitz politisch aktiv, seinen richtigen Namen will er nicht nennen. Sterz sagt, militante Autonome gebe es im Viertel kaum noch. Viele hätten es satt, damit immer wieder in Verbindung gebracht zu werden. „Der überwiegende Anteil der Leute hat seine Steinewerfer-Jahre hinter sich gelassen.“

Viele teilen seine Meinung. Wo immer man sich derzeit in der linken Szene Leipzigs umhört, stößt man auf Verbitterung. Wie viele Protestaktionen habe man zuletzt organisiert, gegen die laufende Gentrifizierung in der Stadt, gegen Rechtsextreme oder die Asylpolitik? Und nun, obwohl nicht mal klar sei, was wirklich in der Silvesternacht geschah, werde nur wieder über Gewalt geredet.

Die Stadt- und Landesspitze hält aber genau das für notwendig. Die Polizei verweist auf 350 Straftaten, die 2019 in Leipzig als linksmotiviert eingestuft wurden. Polizeiautos wurden angegriffen oder Baustellenfahrzeuge; in Bekenner­schreiben wurde gegen die „Bullenschweine“ und „staatlichen Terror“ geholzt. Im Oktober brannten drei Baukräne. Wenig später wurde eine Immobilienmaklerin in ihrer Wohnung zusammengeschlagen, angeblich mit den Worten „Grüße aus Connewitz“. Schon da sagte Leipzigs Bürgermeister Burkhard Jung (SPD), er fühle sich an die Anfänge der RAF erinnert. Und Polizei und Staatsanwaltschaft gründeten eine „Soko Linx“, lobten 100.000 Euro für Hinweise aus, eine Rekordprämie.

Ein Blick auf die Zahlen zeigt indes: Die autonome Szene Leipzigs ist gar nicht so groß. 250 Leute rechnet der Verfassungsschutz ihr zu. In Hamburg dagegen 750 Personen, in Berlin 640. In der Hauptstadt wurden 2019 allein im ersten Halbjahr 786 linke Delikte gezählt.

Augenzeugenvideos bieten ein anderes Bild

In Leipzig wird nun aber auch die Silvesternacht als linke Straftat gezählt. Ein Augenzeugenvideo, das die taz veröffentlichte, zeigt dort viele Feiernde auf der Straße – aber auch einige Vermummte. Sie sind es, die drei Polizisten angreifen, als diese einen Mann festnehmen wollen. Ein Mann tritt auch noch gegen den Kopf eines Beamten, als dieser unbehelmt auf dem Boden liegt. Wer die Angreifer sind, ist bis heute unbekannt. Die Polizei konnte sie bisher nicht ermitteln. Ein Zeugenaufruf blieb ohne Resonanz.

In einem Schreiben auf dem linken Onlineportal Indymedia wurden die Angriffe danach begrüßt: „Wir fordern, dass sich die Bullen aus Connewitz verpissen!“. Die Autor:innen sind indes unklar – auf Indymedia kann jede:r anonym schreiben.

Ricarda, die ihren Nachnamen nicht nennen will, wertet die Silvesternacht nicht als politische Aktion. „Die Nacht wird von außen jetzt als Linksterrorismus gelabelt, obwohl niemand von den Leuten das selbst dort gesagt hat.“ Die Ereignisse seien eine Reaktion auf die Polizeipräsenz gewesen, nicht aber eine geplante, politische Aktion – und „schon gar nicht eine der gesamten Leipziger Linken“.

Connewitzer Kreuz.jpg

Ricarda ist seit vielen Jahren in Leipzig zu stadtpolitischen und feministischen Themen aktiv, auch in Connewitz. Solche Themen seien die Schwerpunkte der Szene, die sich als linksradikal versteht, sagt die junge Frau, „und nicht, als Black Block durch die Straße zu laufen“.

Henning Behrends sieht das ähnlich. Auch er versteht sich als linksradikal. In Connewitz wohnt er nicht, sondern im Leipziger Westen. Wer Leipzig kennt, weiß, dass Connewitz schon lange nicht mehr alleiniger Hotspot der linken Szene ist. Behrends ist als Stadtteilorganizer gegen Verdrängung aktiv, bei Demonstrationen gegen Rassismus oder als Aktivist bei Klimaprotesten wie Ende Gelände.

Die Gewaltdebatte sei müßig, ein „undifferenzierter Angriff“, sagt Behrends. „Es gibt nicht die eine Szene, es gibt ganz viele ganz unterschiedlich Aktive.“ Die Szenen kenne sich untereinander vielfach nicht. Das Meiste geschehe kleinteilig, als Stadtteilgruppe, Fahrradselbsthilfewerkstatt, Lesekreis, Hausprojekt. „Ich kann mir bei 95 Prozent dessen, was die linksradikale Szene hier macht, nicht vorstellen, dass Leute das wirklich schlecht finden.“ Sicher sei Militanz ein Baustein für manche. Aber nur einer von vielen.

Quelle           :      TAZ         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben       —           Via –   Wikimedia Commons  Twitter    GRÜNE Mittelsachsen

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2.) von Oben     —            Police brutalize protester at rally against „embassy hearings“ in front of Nigerian Embassy, Berlin

Source http://asylstrikeberlin.files.wordpress.com/2012/10/polizeigewalt.jpg
Author Berlin Refugee Strike
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Unten          —            Connewitzer Kreuz (Kopie von 1994, Anfertigung Markus Gläser, Original im Stadtgeschichtlichen Museum)

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Stadtgespräch aus Leipzig

Erstellt von DL-Redaktion am 8. Januar 2020

Die Bösen sind immer die Linken

File:Volkspolizei at the official opening of the Brandenburg Gate.jpg

Hier hatten sie das Volk noch hinter sich – Heute treiben sie „ihr“ Volk vor sich her ?

Von Katharina Schipkowski

Hier spricht die Polizei. Polizeiberichte über Leipzig-Connewitz. Lebensbedrohliche Gewaltszenarien und hinterhältige Angriffe: Wenn die Polizei über ihre Arbeit berichtet, wird es schnell fantasievoll.

Was haben Eisenspeere mit einem Angriff auf die Hamburger Davidwache, einem unter Strom gesetzten Türknauf und einer lebensrettenden Notoperation gemeinsam? Klingt nach einem etwas bemühten Witz, ist es aber nicht. Denn die Antwort lautet: Sie alle wurden von der Polizei erfunden, um eine Erzählung zu verbreiten, in der linke Aktivist*innen oder Demonstrant*innen Polizeieinheiten in bürgerkriegsartige Kämpfe verwickeln. So auch jüngst in Leipzig-Connewitz.

Was anfangs schockierend klang – einem Polizisten wurde von linken Krawallos so zugesetzt, dass er notoperiert werden musste –, entpuppte sich als Fake News. Und zwar nicht, weil die Polizei ihre Falschmeldung von alleine korrigierte, sondern weil Journalist*innen die Angaben überprüft haben (was schließlich ihre Aufgabe ist), auch mithilfe eines Privat-Videos. Die Polizei hat daraufhin eingeräumt, was nicht mehr zu leugnen war – allerdings nicht auf eine besonders erwachsene oder professionelle Art.

Das hätte ungefähr so klingen können: „Im Eifer des Gefechts ist uns ein bedauerlicher Fehler in der Kommunikation unterlaufen. Die Verletzung des Beamten ist weniger schlimm, als wir es anfangs dargestellt hatten. Er musste nicht notoperiert, sondern lediglich am Ohr genäht werden.“ Stattdessen versucht der Leipziger Polizeipräsident Torsten Schultze noch den Fehler zu vertuschen. „Eine Not-OP im engeren Sinn lag nicht vor“, räumte er ein, und es wäre besser gewesen, „von einem dringlich erforderlichen Eingriff zu sprechen – was aber noch immer eine Not-OP im weiteren Sinn ist.“ Ähm, sorry, aber nein.

Auch die anfängliche Behauptung Schultzes, der Angriff auf die Polizisten sei „von Unmenschen“ „geplant und organisiert“ gewesen, stellte sich als falsch heraus. Aber anstatt sich für die Wortwahl und die Falschbehauptungen zu entschuldigen, schoss der sächsische Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar am 3. Januar den Vogel ab. Er sagte zur Leipziger Volkszeitung: „Die Polizei wird nie Falschmeldungen verbreiten.“

Leipzig - Goerdelerring + WaWe 10 01 ies.jpg

Wäre vielleicht auch als U-Boot in die Gesellschaft einzusetzen ?

Das ist eine ziemlich dreiste Aussage. Natürlich kann schon mal niemand in die Zukunft gucken, aber geschenkt. Die Aussage ist auch deshalb extrem ärgerlich, weil die Polizei im Ranking der Verbreitung von Falschmeldungen sehr weit vorne liegt.

Beweise? Indizien? Irgendwas?

Eine kleine Gedächtnisstütze: Als die Hamburger Polizei 2014 mehrere Innenstadtviertel zum Gefahrengebiet erklärte, reagierte sie damit auf einen Angriff von 40 Autonomen auf die Davidwache auf St. Pauli. Nur dass es den nie gab. Ähnlich war es beim G20-Einsatz im Schanzenviertel, wo die Polizei stundenlang abwesend war und das später mit Sorge vor einem Hinterhalt rechtfertigte. Linke hätten sich mit Eisenspeeren bewaffnet. Beweise? Indizien? Irgendwas? Legte die Polizei nie vor, Eisenspeere hat es aller Wahrscheinlichkeit nach nie gegeben.

Quelle           :     TAZ            >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben          —           Volkspolizisten vor der Öffnung des Brandenburger Tores am 22. Dezember 1989.

Source DefenseImagery.mil DF-ST-91-03528 / DoD photo, ID: DFST9103528
Author SSGT F. Lee Corkran

This image is a work of a U.S. military or Department of Defense employee, taken or made as part of that person’s official duties. As a work of the U.S. federal government, the image is in the public domain in the United States.

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Unten           —       Wasserwerfer 10000 am Goerdelerring in Leipzig

  • CC BY-SA 3.0view terms
  • File:Leipzig – Goerdelerring + WaWe 10 01 ies.jpg

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Tanz mit dem Faschismus

Erstellt von DL-Redaktion am 3. Januar 2020

Schön bei der Leine halten – noch

File:Demonstration Chemnitz 2018-08-27.jpg

Quelle         :        untergrund-blättle CH.

Herausgegeben von einem Kollektiv antifaschistischer Gruppen.

Seit der letzten grossen Wirtschaftskrise vollzieht sich in vielen Ländern der Welt ein Rechtsruck. Im Windschatten dieser Entwicklung konnte auch die militante Rechte erstarken. In Deutschland äussert sich diese Entwicklung beispielsweise in den unzähligen Angriffen auf Geflüchtete und deren Unterkünfte. Zwar erübrigte sich deren Zweck mit dem Schliessen der europäischen Aussengrenzen und ihre Zahl nahm wieder ab, doch die BrandstifterInnen sind immer noch da. [1]

Weniger offensichtlich bildeten sich mit dem Aufschwung der rechten Bewegung immer mehr bewaffnete faschistische Gruppen. Wie viele es mittlerweile sind, kann wohl ausser dem Verfassungsschutz niemand sagen. Doch die Anzahl der Gruppierungen, welche in den letzten zwei Jahren aufgedeckt wurden, gibt zumindest einen verschwommenen Einblick. Der Mord an Walter Lübcke [2] und die Aufdeckung der Organisation „Nordkreuz“ [3] dürften den meisten noch am besten im Gedächtnis sein. Aber auch das Waffenlager in Hannover [4], der geplante Aufstand der Gruppe „Revolution Chemnitz“ [5] oder die Gruppe „Nordadler“ [6] sind ebenfalls Beispiele dieser Entwicklung.

Um die eigentliche Frage zu beantworten, muss allerdings auch ein Blick auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung geworfen werden. Die letzte grosse Wirtschaftskrise im Jahr 2007 brachte die kapitalistische Akkumulation weltweit ins Wanken. Im Vergleich zu den südeuropäischen Ländern waren die Auswirkungen der Krise in Deutschland verhältnismässig gering. In den südeuropäischen Ländern formierte sich ein massiver Widerstand innerhalb der Bevölkerung. Und auch wenn in diesem Fall alles wieder in systemkonforme Bahnen gelenkt worden konnte, zeigte die kämpferische Bewegung in Griechenland, wie schnell sich in Krisenzeiten Dynamiken entwickeln können.

Die Methoden zur Krisenbewältigung, welche den Laden beim letzten Mal gerade noch zusammen gehalten hatten, sind für die nächste Krise keine Option mehr. Die Auswirkungen der Krise wurden vor allem auf der Grundlage einer massiven Ausweitung der öffentlichen Verschuldung bekämpft. Die Zentralbanken setzten den Leitzins auf Null und kauften Staatsanleihen im Wert von mehreren Billionen Euro. Das Zinsniveau ist immer noch auf einem historischen Tief und die Staatsverschuldungen sind hoch. Damit verengen sich die ökonomischen Spielräume für die Lösung der nächsten zu erwartenden Krise. Darüber hinaus ist die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa immer noch exorbitant hoch und viele Länder wie zum Beispiel Frankreich befinden sich in tiefen politischen Krisen.

Der nächste Crash wird kommen und er wird auch in Deutschland einschlagen. Durch die starke Exportorientierung ist das deutsche Kapital besonders abhängig von der Lage der Weltwirtschaft. Und so werden bereits jetzt Vorbereitungen für die nächste Krise getroffen. Durch die neuen Polizeiaufgabengesetze (PAG) werden die Befugnisse der Sicherheitsbehörden erweitert und der Überwachungsstaat ausgebaut. Auch die Umgehung demokratischer Mitbestimmung mittels der EU und die Einschränkung des Streikrechts zeigen, dass die herrschende Klasse auf den autoritären Staat setzt, um auch die nächste Krise zu überstehen.

Der diskrete Charme des Faschismus

Doch warum arbeitet die Bourgeoisie nicht gleich auf den Aufbau einer faschistischen Diktatur hin? Die Interessen des Kapitals gegen revoltierende Lohnabhängige lassen sich in der Krise doch wohl kaum besser durchsetzen als durch fanatische FaschistInnen. Doch genau darin liegt auch das Risiko für die Bourgeoisie. Sie muss hierbei einen Teil ihrer Macht an die FaschistInnen abgeben. Und dies ist für sie mit einigen Risiken verbunden.

Solange es den gemeinsamen Gegner – die organisierte ArbeiterInnenbewegung – gibt, können Widersprüche innerhalb der faschistischen Bewegung oder zwischen Kapital und faschistischer Bewegung überdeckt werden. Doch auch historisch war die erste Zeit nach der kompletten Zerschlagung der Arbeiterbewegung (ab Mitte 1933) in Deutschland durch Richtungskämpfe innerhalb der NSDAP-Elite geprägt. Die Politik der FaschistInnen war in weiten Teilen deckungsgleich mit den Interessen des Kapitals, trotzdem kam es immer wieder zu Konflikten. Sollten diese einmal zu gross werden, lässt sich eine parlamentarische Regierung letztlich deutlich leichter absetzen als eine faschistische Diktatur.

Und die FaschistInnen sind keineswegs blosse BefehlsempfängerInnen der herrschenden Klasse. Vereinfacht gesagt kann ihre Politik auch im Chaos und in der totalen Niederlage enden. Der unglaubliche Aufwand mit welchem die physische Vernichtung der JüdInnen betrieben wurde, war nicht unbedingt im Sinne der herrschenden Klasse. Im Gegenteil: Die Fokussierung der faschistischen Führung auf ihren antisemitischen Wahn mitten im zweiten Weltkrieg trieben Teile der herrschenden Klasse in eine oppositionelle Haltung zum NS-Regime, die bis hin zur Vorbereitung zum Tyrannenmord reichte.

Mögen die Gewinnaussichten noch so traumhaft sein, wenn die Überreste des Sozialstaats und der Gewerkschaften beseitigt sind, ist die herrschende Klasse langfristig doch darauf angewiesen, auf ein stabiles politisches System bauen zu können. Aus diesem Grund ist der Faschismus für die Bourgeoisie immer der letzte Notnagel in einer ansonsten ausweglosen Situation. Solange weniger risikoreiche Herrschaftsmöglichkeiten eine Option sind, wird sie auch auf diese setzen.

Für die heutige Lage schliessen wir daraus, dass der bürgerliche Parlamentarismus mit seinen Volksparteien zwar angezählt sein mag, aber immer noch funktioniert. Offensichtlich arbeitnehmerInnenfeindliche Politik wie die Hartz-Reformen oder die oben aufgezählten Entwicklungen lassen sich ohne grossen Widerstand durchsetzen. Die faschistische Bewegung wird deshalb nur von kleinen Teilen des Kapitals unterstützt. Konsequent bekämpft wird sie natürlich nicht, weil die grundlegenden Pfeiler des Kapitalismus durch die FaschistInnen niemals angetastet werden.

Schön bei der Leine halten – noch

Auf der Agenda der FaschistInnen steht zurzeit vor allem eins: Rache an den „Schuldigen“ der „Flüchtlingskrise“. In ihrem Weltbild kommen Geflüchtete nicht nach Europa, weil sie vor Krieg, Hunger und Armut flüchten, sondern aufgrund eines angeblichen Plans zum grossen „Bevölkerungstausch“. Demnach würden die Eliten der bürgerlichen Politik daran arbeiten, durch gezielte Zuwanderung die europäischen Völker unter Druck zu setzen, um willige ArbeitssklavInnen zu erhalten. Der Linken wird vorgeworfen die passende Hegemonie dazu herzustellen. Und so stehen neben Linken eben auch eine ganze Reihe bürgerlicher PolitikerInnen auf den Todeslisten der Nazis. Der Mord an Walter Lübcke und die Mordversuche an Andreas Hollstein [7] und Henriette Reker [8] zeigen diese Tendenz des Rechtsterrorismus. Die Verselbständigung der faschistischen Ideologie wird hier deutlich. Denn zumindest solange die bürgerliche Demokratie noch im Sinne der Herrschenden funktioniert, hat das Kapital kein Interesse an Angriffen auf politische MandatsträgerInnen. Aus diesem Grund werden die putschistischen Kräfte innerhalb der militanten Rechten eingebremst.

Mehr wird im staatlichen Kampf gegen rechten Terror aber auch nicht passieren. Solange FaschistInnen ihre Angriffe auf Linke und vermeintliche AusländerInnen beschränken, bleibt die Praxis von Polizei und Verfassungsschutz die gleiche wie schon vor der Selbstenttarnung des NSU. Die unzähligen ungeklärten Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte und linke Hausprojekte, sowie Übergriffe auf MigrantInnen sprechen für sich.

WirSindMehr Chemnitz Demonstration 2018.jpg

Ein Beispiel hierfür ist die Gruppe „Revolution Chemnitz“. Die Mitglieder waren schon jahrelang in verschiedenen rechtsradikalen Strukturen in Sachsen aktiv. Mindestens vier hatten bereits in der Gruppe „Sturm 34“ Erfahrung in Hetzjagden, Waffenbeschaffung und dem Aufbau terroristischer Organisationen gesammelt. Die Gruppe wurde 2006 unter Beteiligung eines Geheimdienstspitzels gegründet und wütete zwei Jahre lang in Sachsen. Obwohl mehrere Opfer lebensgefährliche Verletzungen davon trugen, musste niemand mit schweren Strafen rechnen. Christian Keilberg, der sowohl bei „Sturm 34“, als auch später bei „Revolution Chemnitz“ Führungsrollen übernahm, hatte seit 2006 zudem regelmässig Kontakt zum Verfassungsschutz.

Auch als „Revolution Chemnitz“ konnte die Gruppe unbehelligt Menschenjagden auf MigrantInnen veranstalten. Sie beteiligten sich unter anderem an den Ausschreitungen in Chemnitz im August 2018 und patrouillierten als „Bürgerwehr“ durch die Stadt. Erst aber, als sie mit konkreten Vorbereitungen für einen Putsch begannen, wurden sie von den Behörden als ernstzunehmende Bedrohung wahrgenommen. Im Oktober 2018 wurde die Gruppe schliesslich verhaftet. Diesmal waren aber nicht MigrantInnen das Ziel, sondern die Feierlichkeiten zur Wiedervereinigung in Berlin. Die FaschistInnen hofften durch den Terroranschlag einen Bürgerkrieg auszulösen und infolgedessen die Regierung zu stürzen.

Natürlich bekommen Polizei, Geheimdienst und Staatsanwaltschaften keine Anweisungen des Kapitals, ob und wann sie eine faschistische Terrorgruppe hochnehmen sollen. Dass die Polizeibehörden aber auf dem rechten Auge blind sind, ist kein Zufall. Zum einen legt das die Geschichte dieser Behörden nahe. Das Bundeskriminalamt (BKA) wies bei seiner Gründung genauso wie die Justiz oder der Verfassungsschutz eine grosse personelle und strukturelle Kontinuität zur Zeit des Faschismus auf. Aufgebaut wurde es von ehemaligen SS-Angehörigen. Diese Leute wurden in erster Linie für diese Aufgaben ausgewählt, weil sie stramme AntikommunistInnen waren und sind. Und zum anderen ist das aber auch die logische Folge einer ihrer grundlegenden Aufgaben innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, dem Schutz der herrschenden Eigentumsverhältnisse.

Der Umgang des Staates mit faschistischen Strukturen hängt aber noch von mehreren Faktoren ab. Wie gut ist die Organisation mit Spitzeln durchsetzt? Hat sie internationale Kontakte? Welche Aktionen plant sie im Einzelnen und wie konkret sind ihre Pläne? Für uns ist wichtig festzuhalten, dass dieser Staat niemals grundsätzlich gegen die faschistische Bewegung vorgehen wird. Einzelne Verhaftungen oder Verbote ändern daran nichts.

Auszug aus der Broschüre „Staat und Nazis Hand in Hand? Einschätzung zur Aktualität der faschistischen Gefahr in Deutschland“, herausgegeben von einem Kollektiv antifaschistischer Gruppen. Beteiligt sind die Antifaschistische Aktion Karlsruhe, Antifaschistischer Aufbau München, Antifaschistische Aktion (Aufbau) Stuttgart, Antifaschistische Aktion (Aufbau) Tübingen, Antifaschistische Aktion (Aufbau) Mannheim und Antifaschistische Aktion [o] Villingen-Schwenningen.

Fussnoten:

[1] Die Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte stiegen ab 2015 stark an. Für 2016 verzeichnet die gemeinsame Chronik der Amadeu Antonio Stiftung und Pro Asyl einen Höchstwert von 3.768 Angriffen. Danach sank die Zahl wieder von 2.285 in 2017 auf 1.434 in 2018. Für 2019 sind zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes 37 Übergriffe dokumentiert. Die Dunkelziffer liegt vermutlich für alle Jahre deutlich über den angegebenen Zahlen.

[2] Walter Lübcke war ein hessischer CDU-Politiker und bis zu seinem Tod Regierungspräsident im Regierungsbezirk Kassel. Durch Aussagen gegen Pegida-Anhänger erlangte er grössere Bekanntheit. Am 02. Juni 2019 wurde er mutmasslich durch den Faschisten Stephan Ernst getötet.

[3] Nordkreuz war zusammen mit Südkreuz und Westkreuz Teil des faschistischen Hannibal-Netzwerks. Im Rahmen der Ermittlungen gegen den faschistischen Oberleutnant der Bundeswehr Franco Albrecht im Sommer 2017 wurde die Struktur aufgedeckt.

[4] Im April 2019 wurden bei einem Faschisten in Hannover 51 Waffen, Munition, rund 100.000€ Bargeld sowie Nazi-Orden gefunden.

[5] Die faschistische Gruppe „Revolution Chemnitz“ wurde im Herbst 2018 festgenommen, nachdem bekannt geworden war, dass sie sich um halbautomatische Schusswaffen bemüht hatten. Sie waren schon in der Vergangenheit an faschistischen Attacken beteiligt und sollen für den 03. Oktober einen Angriff auf die „Einheitsfeierlichkeiten“ geplant haben.

[6] Bei der Gruppe „Nordadler“ fanden im April 2018 Hausdurchsuchungen statt. Sie hatten Listen mit persönlichen Daten von AntifaschistInnen sowie PolitikerInnen angelegt und sich in Chats über Waffen und mögliche Anschlagsziele ausgetauscht.

[7] Andreas Hollstein ist Mitglied der CDU und Bürgermeister der westfälischen Stadt Altena. Am 27. November 2017 stach ihm ein Mann mit einem Messer in den Hals und verletzte in gefährlich. Sein Motiv war die Politik gegenüber Geflüchteten des CDU-Mannes. Sie war ihm zu „liberal“.

[8] Henriette Reker ist parteilose Oberbürgermeisterin von Köln. Am Tag vor ihrer Wahl wurde sie bei einem Wahlkampftermin mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt. Auch hier wurde die Politik gegenüber Geflüchteten als Motiv angegeben. Der Täter war ein früheres Mitglied der ehemaligen faschistischen Partei FAP.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Creative Commons Lizenz (CC).

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Grafikquellen         :

Oben      —        Demonstranten auf der von Pro Chemnitz angemeldeten Demonstration am 27.08.2018 in Chemnitz mit Flaggen und Transparent.

Author Lord van Tasm

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Unten        —         WirSindMehr Chemnitz Demonstration 2018

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Eskalation mit Ansage

Erstellt von DL-Redaktion am 3. Januar 2020

Connewitzer Kreuz.jpg

Connewitzer Kreuz

Aus Leipzig und Berlin:  Alko Kempen und Konrad Litschko

In Leipzig werden PolizistInnen angegriffen – und eine neue Debatte über linke Gewalt entbrennt. Einiges bleibt widersprüchlich.

Am Donnerstagmittag schaltet sich dann Bundesinnenminister Horst Seehofer in die Connewitz-Debatte ein. „Den brutalen Angriff auf Polizeibeamte in der Neujahrsnacht verurteile ich auf das Schärfste“, erklärt der CSU-Mann. „Diese Tat zeigt: Menschenverachtende Gewalt geht auch von Linksextremisten aus.“ Die Gesellschaft müsse „geschlossen“ hinter den PolizistInnen stehen.

Da also hat die Silvesternacht in Leipzig-Connewitz die Bundespolitik erreicht. Schon zuvor hatte Leipzigs Bürgermeister Burkhard Jung (SPD) von einem „heftigen kriminellen Gewaltausbruch“ gesprochen. Und Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) kritisierte „bewusste und gezielte Angriffe auf Menschenleben“. Was war passiert?

Das freilich wurde auch am Donnerstag nicht gänzlich klar. Noch in der Silvesternacht hatte die Leipziger Polizei eine erste Darstellung veröffentlicht. Demnach hatten sich um Mitternacht mehr als 1.000 Menschen am Connewitzer Kreuz, einer zentralen Kreuzung des Stadtteils, versammelt. Gegen 0.15 Uhr seien dann PolizistInnen „massiv mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern angegriffen“ worden. Einige Angreifer hätten versucht einen brennenden Einkaufwagen „mitten in eine Einheit der Bereitschaftspolizei zu schieben“. Dabei sei ein 38-jähriger Beamter so schwer verletzt worden, dass er das Bewusstsein verlor und im Krankenhaus „notoperiert“ werden musste.

Am Donnerstagnachmittag legte das sächsische LKA mit einer Mitteilung nach, mit mehr Details – und teils Abschwächungen. Demnach sei der brennende Einkaufswagen nur noch „in Richtung“ der Polizeibeamten geschoben worden. Beim Versuch, einen der Täter festzunehmen, seien drei Polizisten durch etwa 20 bis 30 teils vermummte Personen angegriffen worden. Die Täter hätten den Beamten die Helme von den Köpfen gerissen, diese zu Fall gebracht und „wirkten massiv auf sie ein“. Von einer Notoperation des schwer verletzten Beamten ist hier nun keine Rede mehr, sondern von einer stationären Krankenhausaufnahme. Auch die anderen beiden Beamten seien „nicht unerheblich verletzt worden“.

Und die Ermittler hängen den Fall hoch. Wurde wegen des Angriffs auf den 38-Jährigen zunächst wegen versuchten Totschlags ermittelt, wurde dies noch am Mittwochabend auf versuchten Mord hochgestuft. Und die politische Debatte nahm ihren Lauf.

Zwei Versionen: Wer hat recht?

Dabei schildern mehrere Augenzeugen die Vorgänge etwas anders. Demnach sei der als Polizeiauto dekorierte Einkaufswagen angezündet und rund 30 Meter von den Polizeieinheiten entfernt auf der Kreuzung abgestellt worden. Dies zeigen auch Fotos und Videos, die der taz vorliegen. Wenig später sei die Polizei aus einer kleinen Gruppe heraus mit Böllern beworfen worden. Als daraufhin PolizistInnen in die Menge stürmten, folgte die Situation, in der der Beamte angegriffen und verletzt wurde. Die Augenzeugen berichten, sie hätten gesehen, dass der Polizist seinen Helm noch trug, als er von Kollegen weggetragen wurde.

Auch blieb unklar, auf welche Weise und wie schwer verletzt der Beamte wurde. Ab Mittwochabend schrieben zahlreiche Medien unter Berufung auf Polizeikreise von einer schweren Ohrverletzung und weiteren Kopfverletzungen. “Leipziger Polizist fast das Ohr weggesprengt“, schlagzeilte Focus Online.

In Krankenhauskreisen zeigte sich man sich verwundert über diese Darstellung und die Polizeimeldung von einer „Notoperation“. Von dort erfuhr die taz, dass es einen Eingriff an der Ohrmuschel des Beamten unter lokaler Betäubung gegeben habe. Der Mann sollte demnach am Donnerstag oder Freitag wieder entlassen werden. Lebensgefahr oder drohender Gehörverlust hätten nicht bestanden.

„Rabiates Vorgehen“ der Polizei

Auch die Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel, die ihr Büro direkt am Connewitzer Kreuz hat und dort Silvester verbrachte, hat Fragen. Sie habe sowohl Angriffe auf Polizisten als auch „rabiates Vorgehen“ der Polizei erlebt, sagt sie der taz. Immer wieder seien Polizeigruppen in Menschentrauben gelaufen, hätten dabei Personen umgerannt und verletzt. Daraufhin sei die Polizei beworfen worden.

2016-12-16 Juliane Nagel (Landtagsprojekt Sachsen) by Sandro Halank.jpg

Nagel spricht von einer „Eskalationsspirale“, die „durch eine waghalsige Einsatzstrategie befeuert wurde“. Anders als in den Vorjahren habe die Polizei nicht auf Deeskalation gesetzt. „Der Polizeipräsident trägt hier klar Verantwortung.“

Jener Polizeichef, Torsten Schultze, hatte zuvor klare Worte verloren. „Polizeibeamte sind Menschen. Es ist erschreckend, wie skrupellos Personen in der Silvesternacht am Connewitzer Kreuz durch offensichtlich organisierte Angriffe schwerste Verletzungen von Menschen verursachen. Es gibt keine rechtsfreien Räume.“ Bemerkenswert: Schultze benannte in seiner Mitteilung auch einen Kritiker, den linken Aktivisten Marco Bras dos Santos, namentlich. Dass dieser via Twitter die Angriffe rechtfertige, sei „erschreckend“.

All dies wirkt wie eine Eskalation mit Ansage. Schon seit Wochen verüben mutmaßlich Autonome in Leipzig Straftaten: Sie zündeten Baukräne an, attackierten Polizisten, griffen im November auch eine Immobilienmaklerin an. Polizeichef Schultze, seit Jahresbeginn 2019 im Amt, setzte wiederum auf eine harte Linie gegen die Szene. Und im Dezember richtete das LKA eigens eine „Soko Linx“ ein, um linke Straftäter aufzuspüren. Sie ermittelt nun auch zur Silvesternacht.

Schatten des Wahlkampfs

Quelle         :        TAZ          >>>>>        weiterlesen

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Die Debatte Debatte um die Gewalt an Silvester in Connewitz

Beide Seiten kritisieren

File:Police brutality at Nigerian Embassy protest.jpg

Prügeln bis der Arut kommt ?

Kommentar von Tobias Schulze

Wer nach den Silvester-Ausschreitungen von Leipzig-Connewitz eine differenzierte Debatte führen möchte, braucht ein dickes Fell.

Auf Twitter kassieren User, die die Polizeistrategie hinterfragen, Beleidigungen und Drohungen. Der Polizeipräsident persönlich bezeichnet Kritik an seinen Leuten in einer Pressemitteilung als „erschreckend“. Teile der CDU werfen insbesondere der Linkspartei vor, sie verharmlose und dulde Gewalt. Ein mehrdimensionaler Blick auf die Ereignisse von Connewitz? Scheint derzeit so akzeptiert wie eine Mitgliedschaft in der RAF.

Dabei ist es kognitiv eigentlich gar nicht so schwer, sowohl die gewaltaffinen Randalierer als auch die staatlichen Gegenmaßnahmen zu kritisieren. Dass in Leipzig Teile der linksextremen Szene auf Gewalt an Silvester hinfiebern, ist zu verurteilen. Es greifen in diesem Fall noch nicht mal die gängigen linksextremen Rechtfertigungsmuster für politische Gewalt – sei es das der Notwehr oder das des Generierens von Aufmerksamkeit. Aus dem Spek­trum der demokratischen Parteien heraus gibt es schon gar keine Unterstützung für die Täter.

Quelle          :      TAZ          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben           —         Connewitzer Kreuz (Kopie von 1994, Anfertigung Markus Gläser, Original im Stadtgeschichtlichen Museum)

paternité partage à l’identique Ce fichier est disponible selon les termes de la licence Creative Commons Attribution – Partage dans les Mêmes Conditions 3.0 (non transposée).
Attribution: Martin Geisler

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2.) von Oben      —      Juliane Nagel (Die Linke)

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36. Chaos Communication C.

Erstellt von DL-Redaktion am 26. Dezember 2019

Programm-Empfehlungen aus der Redaktion

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Quelle        :      Netzpolit8ik ORG.

Von  

Zwischen den Jahren findet der 36. Congress des Chaos Computer Clubs statt. Wir haben uns durch das Programm gearbeitet und ein paar Vorträge zusammengestellt, die in den Themenbereich von netzpolitik.org fallen. Als kleine Orientierungshilfe für Anwesende und Zuhausegebliebene.

Alle Jahre wieder steht Ende Dezember nicht nur das Weihnachtsfest sondern auch der Chaos Communication Congress bevor. Unter dem Motto „Resource Exhaustion“ werden sich zwischen den Jahren wieder mehrere Tausend Hacker:innen in Leipzig versammeln. Das Programm ist wieder sehr umfangreich und vielseitig und deshalb haben wir hier ein paar Empfehlungen zusammengestellt, die das Zurechtfinden im Programm erleichtern.

Diese Liste ist nicht vollständig und wir legen jeder und jedem ans Herz, sich den Fahrplan selbst genau anzusehen. Neben den Vorträgen gibt es auch zahlreiche Workshops, Kunstinstallationen und andere Veranstaltungen auf dem Messegelände. Wir haben die Talks unter Beteiligung unserer Redakteur:innen in einem anderen Artikel gesondert aufgelistet, der am 26. Dezember erscheint.

Wer nicht in Leipzig sein kann, kann alle hier gelisteten Vorträge im Livestream oder später als Video gucken.

Freitag, Tag 1

Am ersten Tag präsentieren Kai Biermann und Martin Haase ihre Auswertung der Sprache im Bundestag. Für ihren Vortrag “Vom Ich zum Wir – Gesellschaftlicher Wandel in den Reden im Bundestag“ um 14:10 nutzen sie das Tool von Zeit Online zur Auswertung der Plenarprotokolle des Bundestages.

Die Qual der Wahl gibt es um 23:30. Arne Vogelsang spricht über die gamingbasierte Strategien der radikalen Rechten mit Beispielen aus Deutschland und den USA. Titel: “Let’s play Infokrieg – wie die radikale Rechte (ihre) Politik gamifiziert“. Außerdem präsentiert Gabriella „Biella“ Coleman das Projekt Hack_Curio. Die Gruppe sammelt Videos von und über Hacker:innen. “Decoding the Cultures of Hacking One Video at a Time“.

Samstag, Tag 2

Um 14:10 geben Patrick „packi“ Stählin, Kire und Hakuna MaMate einen Jahresrückblick auf die Netzpolitik in der Schweiz: “Netzpolitik zwischen Bodensee und Matterhorn – E-ID, E-Voting, Netzsperren und andere netzpolitische Schauplätze“. Um 17:10 spricht Elisabeth Niekrenz über “Die Zukunft grenzüberschreitenden Datenzugriffs und politischer Verfolgung“ auf Basis des Cloud-Acts in den USA und der e-Evidence-Verordnung der EU.

Um 19:10 erläutert Ross Anderson die EU-Richtlinie, die Konsument:innen das Recht auf langfristige Softwareaktualisierungen gibt. Der Vortrag, der sich mit dem Nachhaltigkeitsaspekt davon beschäftigt, heißt “The sustainability of safety, security and privacy“. Um 20:50 geht es um “The Case Against Wikileaks: a direct threat to our community“. Renata Avila, Naomi Auerfeld und Angela Richter erklären die rechtlichen und politischen Probleme der Vorwürfe gegen Assange und WikiLeaks.

Zum Abschied des 2. Tages geben Laura Pöhler und Johnny Parks einen Rückblick auf die Debatte um Polizeigesetze und einen Ausblick auf die nächsten nötigen Schritte. Ihr Vortrag heißt “It’s alive! – Nach den Protesten gegen die Polizeigesetze ist vor den Protesten gegen die autoritäre Wende“

Sonntag, Tag 3

Eine Einordnung zur Frage des Einflusses des Internets auf die Gesellschaft nimmt Michael Kreil um 11:30 vor. Im Vortrag “Vom Menschen radikalisiert: Über Rassismus im Internet“ wird er außerdem Vorschläge machen, um das Phänomen des Rechtsrucks besser zu verstehen.

Um 16:10 sprechen Ulf Buermeyer und Thorsten Schröder über die Klage mehrerer Organisationen gegen ein Unternehmen aus der Überwachungsindustrie: „Rechtsbrüche beim Export von Überwachungssoftware“. Zur gleichen Uhrzeit widmen sich Florina Speth und Simon Hegelich in einem dialogischen Gespräch wichtigen Fragen im Spektrum von Künstliche Intelligenz und Kunst. Ihr Vortrag heißt “Mensch – Kunst – Maschine: Mit künstlicher Intelligenz zu neuer Kunst zum kybernetischen Verstand“.

Edward Snowden und der Menschenrechtsanwalt Robert Tibbo geben um 17:30 ein Update zur Situation des Whistleblowers und der Flüchtlinge, die ihn auf seiner Flucht unterstützt haben: “Human Rights at a Global Crossroads – Whistleblowers and the Cases of The Snowden Refugees and Edward Snowden“. Am Abend, um 22:50, sprechen Chloé Berthélémy und Thoas Lohninger von der Bürgerrechtsorganisation EDRi über “Content take-downs: Who cleans the internet? – EU Plans to swipe our freedom of expression under the carpet“. Und Thomas Lohninger bleibt gleich auf der Bühne, um um 23:50 über “5G and Net Neutrality – Status of the Net Neutrality Reform in Europe“ zu referieren.

Montag, Tag 4

Zur Mittagszeit um halb eins reden Walter Hözendorfer und Bijan Moini über die Fluggastdatenspeicherung der EU. Sie erläutern, wie die Daten verarbeitet werden und haben eine klare Forderung schon im Titel: „#NoPNR – Let’s kill the next Data Retention Law“.

Und zum Abschluss – zumindest was unsere Empfehlungen angeht – wird der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber ab 13:50 über „Weichenstellungen – In welcher digitalen Welt werden wir leben?“ sprechen.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

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Dorf Mühlrose geht unter

Erstellt von DL-Redaktion am 28. November 2019

Mühlrose soll der Braunkohle weichen

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Aus Mühlrose und Schleife Sabine Seifert

Mühlrose, ganz im Osten der Republik gelegen, soll weg, der Braunkohle wegen. Else und Günter Zech wollen nicht fort. Bei den Noacks war der Umzugs­wagen schon da. Wie sich eine Dorfgemeinschaft schon vor dem Verschwinden auflöst.

as Dorf hat eine Straße, die hinein- und wieder hinausführt: in die selbe Richtung, aus der man gekommen ist. Wer in die andere Richtung fährt, landet nach wenigen Metern im Tagebaugebiet Nochten, wo die Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG) möglichst lange Braunkohle zu fördern hofft. Auch die 150 Millionen Tonnen, die unter Mühlrose liegen sollen, will sie noch erschließen. Es könnte das letzte Dorf der Lausitz sein, das den Kohlebaggern weichen muss.

Seit sechs Jahrzehnten knabbert die Kohle an Mühlrose. Das Dorf ist ein Sonderfall. Denn noch steht nicht fest, ob die Kohle überhaupt gebraucht wird und ob abgebaggert werden darf. Dennoch wurde im Frühjahr diesen Jahres ein Umsiedlungsvertrag für die Einwohner unterzeichnet. Ein Großteil möchte umsiedeln. Aber längst nicht alle. Die Dorfgemeinschaft ist gespalten, der Dorffrieden dahin. Die einen kämpfen für ihren Wegzug, die anderen für ihren Verbleib. Die einen sind lauter, die anderen hartnäckig. „Die Seele des Ortes geht verloren“, sagt die Pfarrerin.

200 Einwohner zählt Mühlrose heute, im ostsächsischen Landkreis Görlitz gelegen. Ein hübsches Dorf, umgebaute Drei- oder Viertseithöfe, die typisch sind für das einst sorbische Siedlungsgebiet. Landwirtschaft wird hier schon lange nicht mehr betrieben. „Wo ich geboren bin, das ist schon weggebaggert“, sagt Else Zech. Die 80-Jährige lebt heute nur ein paar Dorfstraßen weiter. Es ist das Elternhaus ihres Mannes Günter, in dem das Paar mit seinem erwachsenen Enkel unter einem Dach lebt.

Günter Zech, der am Silvestertag 81 Jahre alt werden wird, ist in diesem Haus geboren. Er hat ein gelbes X darauf angebracht, ein öffentliches Bekenntnis, dass seine Bewohner bleiben wollen, wie zu hören ist. Nur zwei Häuser im Ort zeigen dieses X, obwohl es acht Höfe sein sollen, die nicht umsiedeln wollen. Zech schätzt die Zahl der Bleibewilligen, der Verunsicherten und Zögernden auf insgesamt 20. „Die Leute sind verängstigt“, sagt er. „Viele trauen sich nicht, die Goschen aufzumachen.“ Im Fall einer späteren Enteignung könnten sie ja schlechter wegkommen. Davor hat er keine Angst – „die wollen doch was von mir“. Kaum einer im Dorf, der nicht jemanden in der Familie hat, der bei der LEAG arbeitet oder gearbeitet hat.

Günter Zech war nie im Tagebau, er fuhr Lastwagen, schon zu DDR-Zeiten. Else Zech hat als Verkäuferin gearbeitet. „Wir haben alles ertragen“, sagt sie. „Dreißig Jahre Kohledreck. Damals konnte man keine Wäsche aufhängen.“ Denn damals führte die Kohleverladebahn noch direkt am Dorf vorbei. Schmutz und Lärm stellen heute kein Problem mehr da, sagen die beiden. Günter und Else Zech, er in blauer Arbeitshose, sie im türkisfarbenen Haushaltskittel, haben im Vorraum des Hauses Platz genommen. Ein Wintergarten ohne Grün, hinter ihnen der orange Heizkessel, auf dem Tisch lehnt eine gerahmte Luftaufnahme von Mühlrose.

Er: „Niemand hat uns gefragt: Und wer will bleiben? Man hat uns mundtot gemacht.“ Sie: „Wir sind nicht einmal zum Reden gekommen.“ Er: „Ich habe nichts dagegen, wenn die, die wegziehen wollen, wegziehen. Dann kommt endlich wieder Ruhe ins Dorf. Aber warum soll man das hier aufgeben?“ Sie: „Wir waren nicht einmal im Urlaub, wir haben alles ins Haus gesteckt. Jetzt sind wir über 80 und haben nie die Welt gesehen.“

Es gibt Fotos vom Mühlroser Gasthof „Zur Erholung“, der nur noch zu besonderen Gelegenheiten öffnet. Der 28. März 2019 war so ein Tag, der Vorstandsvorsitzende der LEAG war da, die Bürgermeister von Trebendorf und Schleife kamen, sogar Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU. Der Umsiedlungsvertrag für Mühlrose wurde unterzeichnet, der Energiekonzern kommt für die Neuansiedlung der Haushalte im Nachbarort Schleife auf, wo am Ortsrand ein Areal für etwa 40 Grundstücke der Neu-Mühlroser erschlossen wird. Auch Einzelumsiedlungen oder ein Umzug in Mietwohnungen werden finanziert, ebenso wie die Umsetzung von Kriegerdenkmal, Glockenturm und Friedhof.

„Wer wohin kommt, das ist alles schon geregelt“, erklärt Enrico Kliemann. Der 44-Jährige ist kommissarischer Ortsvorsteher von Mühlrose, das seit 1999 zur Gemeinde Trebendorf gehört, und er ist Mitglied im Beirat für die Umsiedlung. Kliemann hat einen Raum im Vereinshaus aufgeschlossen, an den Wänden Skizzen von Neu-Mühlrose. Die Bestandsaufnahmen seien fast abgeschlossen. „Wie man’s hat, kriegt man’s wieder.“ Aus Alt wird Neu. Aus einem historischen Dorf eine Neubausiedlung auf dem flachen Acker.

Wie erklärt sich Kliemann, dass von ihm geschätzte 90 Prozent aus Mühlrose wegwollen, wo noch nichts endgültig klar ist? Jahrelang sei nichts investiert worden, sagt Kliemann, nicht bei der Stromversorgung, nicht beim Abwasser, und auch das Internet stagniert bei 2G. Manche Häuser im Dorf hätten Risse wegen der Grundwasserabsenkung durch den Tagebau. „Und selbst wenn das Sonderfeld nicht mehr genehmigt wird, ist Mühlrose von drei Seiten umschlossen.“

Unsicherheit und Verzögerung hätten vielen zugesetzt, da Mühlrose vor ein paar Jahren schon einmal umgesiedelt werden sollte. Damals kam der bereits ausgehandelte Vertrag nicht zustande, weil der schwedische Energiekonzern Vattenfall aus dem Energiegeschäft in der Lausitz ausstieg. Die Mühlroser hatten lange Zeit, sich an den Gedanken eines Umzugs zu gewöhnen. Und mancher mag auch geglaubt haben, dass er materiell etwas hinzugewinnt. Oder sich um Altlasten nicht mehr kümmern muss. „Neue Chancen“, formuliert Kliemann neutral, „die sich woanders auftun.“

Dataja:Mühlrose Tagebau Nochten Kraftwerk Boxberg 2008-05-11.jpg

Waldemar Locke ist der Mann, der am 28. März seine Unterschrift unter den Umsiedlungsvertrag gesetzt hat. Schweren Herzens, das ist selbst am Telefon noch zu hören. Ein Treffen klappt nicht, der Bürgermeister von Trebendorf und Mühlrose, 57 Jahre alt, CDU-Mitglied und seit zwei Jahren im Amt, ist unter der Woche berufstätig. Bei der LEAG. „Es handelt sich um einen rein privatrechtlichen Vertrag“, erklärt er. „Wer umsiedeln will, kann umsiedeln. Wer bleiben will, kann bleiben.“ Fünf Parteien sollen den Vertrag bisher unterschrieben haben. Was passiert mit deren Häusern? Die, so hatte es Kliemann erklärt, sollen bald abgerissen werden. Das Dorf würde also in sich zusammenfallen. Ein Tod auf Raten.

Der Bürgermeister hat Verständnis dafür, dass die Älteren im Dorf nicht entwurzelt werden wollen. „Günter Zech spricht für sich“, sagt er anerkennend, „nicht für das ganze Dorf. Ich akzeptiere nicht, wenn man sagt: Alle wollen umsiedeln. Jeder soll für sich sprechen.“ Locke sagt, seine Unterschrift unter den Vertrag habe er gesetzt, damit die Umzugswilligen „ihre Ruhe haben“.

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Grafikquellen           :

Unten         —          Blick auf den Tagebau Nochten vom Aussichtsturm bei Weißwasser.

Author Julian Nyča      /       Source       :  Own work
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Unten     —        Mühlrose in Sachsen: Blick vom Schutzdamm über einen ausgekohlten Bereich des Tagebaus Nochten zum Kraftwerk Boxberg mit dem Neubaublock R (links), dem Werk 4 (900 MW), dem Werk 3 in der Mitte (2×500 MW) und dem still gelegten alten Kraftwerksteilen (rechts).

žórło Swójske dźěło
awtor René Mettke
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CDU und die Frauenquote

Erstellt von DL-Redaktion am 25. November 2019

Dröhnendes Schweigen

2018-12-07 Annegret Kramp-Karrenbauer CDU Pateitag in Hamburg-2568.jpg

Vom schrumpfeb der  Personen in der Verantwortung

Aus Leipzig von Anja Maier

Mit ihrem Antrag für eine Quote wollte die Frauen-Union als Tiger die CDU antreiben. Sie landet als Bettvorleger. Was ist da passiert?

Am Samstagmorgen ist Kristy Augustin spät dran. „Das Taxi kam nicht“, sagt sie und eilt auf ihren schwarzen Highheels Richtung Sitzungssaal in der Leipziger Messe. Dort sitzen die Brandenburger Delegierten. Augustin ist eine unter fünf Frauen und zwölf Männern. Dieses Geschlechterverhältnis umreißt recht anschaulich ein Problem der gesamten CDU, mit dem sich der 32. Bundesparteitag in Leipzig an diesem Wochenende befassen muss: dem Frauenanteil in der Partei und deren Zugang zur Macht.

Kristy Augustin, 40 Jahre und gerade wiedergewählte Landtagsabgeordnete, ist Landesvorsitzende der Frauen-Union, sie will eine Lösung. Der Parteitag aber wird die Frage erneut vertagen. Auch weil die Frauen so nett sein werden und der direkten Debatte ausweichen. Warum? Dazu später. Aber noch ist es Samstagmorgen, noch hat Kristy Augustin, die CDU-Familienpolitikerin aus dem Oderbruch kurz vor Polen, es eilig. Noch sagt sie: „Wir brauchen hier auf dem Parteitag eine deutliche Botschaft. Die Frauen-Union muss hier zeigen, was sie will.“

Was will sie denn, die Frauen-Union mit ihren 150.000 Mitgliedern? Kurz gesagt: endlich neue Regeln, um mehr Frauen an die Schaltstellen der Politik zu bringen und so die gesamte Partei anschlussfähiger, attraktiver für Wählerinnen zu machen, für die Chancengleichheit nicht nur eine Floskel ist. Anderen ist das egal oder sie sind strikt gegen Quoten – überraschenderweise nicht nur die Männer, sondern auch der Parteinachwuchs. Sie finden, die Frauen sollten einfach mitmachen, dann würde sich das Problem schon von selbst erledigen.

Es ist das alte Henne-Ei-Problem: Erfüllt die CDU ihre selbst gesetzte, eigentlich verpflichtende 30-Prozent-Quote nicht, gerade weil oder eben obwohl Frauen fehlen, die bereit sind, mitzutun, Verantwortung zu übernehmen? Die Frauen-Union findet, erst müssten die Strukturen geschaffen werden. Ihre KritikerInnen meinen, die Partei sei offen für jeden und jede. Kristy Augustin sagt es so: „Wir sind eine Volkspartei, also brauchen wir auch eine Repräsentanz von Frauen.“

Radikale Töne für eine konservative Partei

An diesem Samstag soll der Parteitag deshalb über einen mit viel Aufmerksamkeit bedachten Antrag der Frauen-Union im Bereich Struktur- und Satzungsfragen abstimmen. Auf Seite 166 des 363 dicken Buches findet sich Antrag C63: „Mehr Frauen in der CDU, in Ämtern und Mandaten“. Der Ton des Textes klingt für diese immer noch große bürgerliche Partei erstaunlich genervt. Die CDU, steht da, habe frauenpolitisch „ein Umsetzungs- und Durchsetzungsproblem“. Allen sei das bewusst, über verbindliche Zielvorgaben für mehr Frauen in Ämtern und Mandaten werde seit anno 1985 diskutiert. Gefasste Beschlüsse wie das 30-Prozent-Quorum würden nicht umgesetzt, sondern – im Gegenteil – permanent unterlaufen. Fraktionen der CDU in Kommunen, Kreistagen und Ländern zählten regelmäßig zu denen mit dem geringsten Frauenanteil.

So weit die Problembeschreibung. Nun zu den Lösungsvorschlägen. Das Quorum, fordern die Frauen, müsse endlich verbindlich werden. Wahllisten sollen künftig nach dem Reißverschlussprinzip besetzt werden. Dies müsse „mindestens für die Anzahl der Kandidatinnen und Kandidaten gelten“, wie es der Zahl der Abgeordneten entspricht. Das hieße: Parität. Und: Über den parteiinternen Finanzausgleich sollen außerdem Verbände belohnt werden, die das Paritätsprinzip tatsächlich durchsetzen. „Das Ziel ist die Erhöhung des Frauenanteils in der Mitgliedschaft, in allen Funktionen und auf allen Ebenen bis hin zur hälftigen Teilhabe.“ Das klingt nach Revolution, jedenfalls für eine konservative Partei. Doch noch bevor es an die Debatte über den Antrag geht, gilt als ausgemacht, dass der Parteitag nicht darüber abstimmen wird.

„Wir brauchen hier eine deutliche Botschaft. Die Frauen-Union muss hier zeigen, was sie will“

Denn die Antragskommission hat einen Kompromiss gefunden: Der Vorschlag der Frauen wird in eine – noch zu bildende – Struktur- und Satzungskommission verwiesen. Annette Widmann-Mauz, die Vorsitzende der Frauen-Union und Staatsministerin für Integration im Kanzleramt, sagte vor dem Parteitag der taz: „Wir ­geben unsere Ziele nicht auf. Es gibt unterschiedliche Wege, aber es muss klar sein: Beim Parteitag 2020, da wird die CDU sich entscheiden müssen.“

Dahinter steht auch die Einsicht, dass die Frauen in der Union ihrer Spitzenfrau Annegret Kramp-Karrenbauer in schwierigen Zeiten nicht auch noch eine Geschlechterdebatte ans Bein binden wollen. Ein Thema, bei dem es um verbriefte, nicht nur freundlicherweise zugestandene Beteiligung für Frauen geht, kommt in Zeiten der aufgebrachten Jungs nicht gut an. Die Truppen gegen Kramp-Karrenbauer werden für alle sichtbar von Männern angeführt; sie heißen Friedrich Merz, Tilman Kuban, Carsten Linnemann. Eine Fokussierung auf ihr Geschlecht, gar eine gönnerhafte Erzählung kann Annegret Kramp-Karrenbauer in Leipzig gar nicht gebrauchen. Die Abstimmung darüber würden ihre Gegner sie mit Freuden verlieren sehen. Ob sie eine Frau ist, soll dabei keine Rolle spielen.

Die Pointe: Dass sie eine ist, wird gerade von ihren Kritikern gern als Beweis dafür hergenommen, dass bei der CDU alle was werden können. Merkel, Kramp-Karrenbauer, von der Leyen – da sehe man es doch. Wozu also noch Quoten, die hier gern „Verbote“ genannt werden. Gemeint sind damit Verbote für Männer. Man kann das als typische CDU-Haltung verstehen, die Frauenfrage in diese extra zu bildende Strukturkommission zu verweisen. Intern strittige Themen werden nicht gern öffentlich debattiert – in der Hoffnung, dass man auf diese Weise einen Kompromiss finden möge, dem die Mehrheit zustimmen kann. Das Problem: Eine Quote für Frauen kann kein Kompromiss sein. Entweder es gibt sie oder eben nicht. Insofern ist nur zu verständlich, dass die ohnehin nur 26 Prozent der Mitgliedschaft ausmachenden Frauen die Faxen dicke haben und eine Entscheidung erzwingen wollen. Und wenn sie das schon nicht hinkriegen – diesmal nicht –, dann wollen sie wenigstens für Öffentlichkeit sorgen. Und Öffentlichkeit bedeutet bei der CDU: Streit. Unangenehm. Kristy Augustin sagt: „Jetzt wollen wir mal sehen.“

Wiebke Winter belässt es bei „Ich will #MehrMädels“

Extra zur Abstimmung ist Wiebke Winter nach Leipzig gereist. Winter ist 23 Jahre alt und seit diesem Jahr Vorsitzende der Jungen Union in Bremen. Sie ist eine Gegnerin der Frauenquote. Ihre Überzeugung: „Wir brauchen keinen Kampf der Geschlechter, sondern ein Miteinander.“ Winter ist außerdem für eine gewisse Leichtigkeit bei diesem hart umkämpften Thema, das in CDU und CSU gern als zweit- bis drittrangig beiseite gewischt wird. Im Oktober, beim Deutschlandtag der Jungen Union in Saarbrücken, haben Wiebke Winter und andere junge Frauen Sticker verteilt: „Ich will #MehrMädels (in der JU)“. „Das klingt nicht so aggressiv und verbissen, ist aber eine klare Message“, sagt Winter.

Überhaupt findet sie, dass jedeR was werden kann in der Union, egal welchen Geschlechts. Wenn ältere Frauen in der Partei ihr erzählen, auch für sie werde es einen Punkt geben, an dem sie in der Partei als Frau nicht weiterkommt, ist sie leicht genervt. „Meine Generation ist anders. Es ist nicht alles perfekt, aber schon deutlich besser als für die Frauen damals.“

Jetzt steht sie am Rande des Plenums, den Schal hat sie locker um den Blusenkragen geschlungen, am linken Arm trägt sie eine Handtasche. Sie ist bereit zur Auseinandersetzung. Mit anderen Aktiven der Jungen Union hat sie schon besprochen, wer für den Parteinachwuchs ans Rednerpult gehen soll, wenn die Frauen-Union ihre Plädoyers für ihren weitreichenden Antrag hält. Wiebke Winter rechnet mit mehreren Wortwechseln in der Sache.

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Grafikqiellen       :

Oben        —       Annegret Kramp-Karrenbauer: 31 Parteitag der CDU Deutschlands in Hamburg, Messe Hamburg

Annegret Kramp-Karrenbauer: 31 Parteitag der CDU Deutschlands in Hamburg, Messe Hamburg

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Unten        —       Diana Kinnert, 2019

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Abbruch oder Aufbruch

Erstellt von DL-Redaktion am 19. November 2019

Zwischen Abbruch und Aufbruch

DIE LINKE Bundesparteitag 10-11 Mai 2014 -118.jpg

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von René Lindenau

An einem trüben Novemberwochenende (15.-17.11 2019) traf sich die sächsische LINKE in Dresden zu ihrer 2. Tagung des 15. Parteitages. Neben Trauerarbeit nach den aus Sicht der Partei dramatisch verlustreichen Landtagswahlen,vom 1. September, war ein neuer Landesvorstand, im Besonderen, ein neuer Vorsitz zu wählen. Bei allem stand Fehlerdiskussion, Ursachenforschung für die Wahlniederlagen des Jahres 2019 (Europa, Kommunal, Land) auf dem Programm, ohne jedoch auch den Blick nach vorn nicht zu vergessen.

Als „Ausländer“, der eigentlich im brandenburgischen Landesverband organisiert und angesichts eines nicht besseren Wahlergebnisses, immerhin verlor Rot-Rot die Regierungsmehrheit, genug eigene Sorgen hätte, zog es es mich wenigstens für einen Tag in die sächsische Hauptstadt. Aber was soll man machen: Wenn man sich persönlich mit einigen sächsischen Genossen verbunden fühlt und damit auch diesem Landesverband als Ganzes. Ohne Zweifel, trotz allem bleibt die sächsische LINKE ein ganz wichtiger Teil der Bundespartei. Auch wenn sie der Wähler jetzt geschrumpft hat, die Bedeutung der sächsischen LINKEN ist geblieben, ihre Verantwortung ist eher gestiegen. Jetzt erst Recht! Sachsen´s LINKE muss der Leuchtturm in Dunkel-Sachsen sein!

„Leuchtturm Wärter“ haben die Delegierten an diesem Wochenende gewählt.Wie gut und effizient ihre Strahlkraft in Partei und Gesellschaft sind, wir werden sehen; Stefan Hartmann und Susanne Scharper. Geben wir ihnen und der neuen genossenschaftlichen Führung eine Chance! Aber hatten die, die Genossen Feiks und Dudzak als (im doppelten Sinne?) abgetretene Landesvorsitzende und nicht wiedergewählte Landesgeschäftsführer? Will sagen, mir tut es persönlich um beide Genossen leid. Nichts (!) gegen ihre Nachfolger, im Gegenteil, ihnen sei im Interesse der Partei aller nur denkbarer Erfolg gewünscht. Mussten Feiks und Dudzak als Sündenböcke für die Wählereinbußen herhalten? Sündenböcke sollten jedoch lieber im bezahlten Fußball verortet bleiben, aber nicht in einer linken Partei mit solidarischen Antlitz – zumal ihr Spitzenkandidat Rico Gebhardt als Fraktionsvorsitzender weiter machen kann… Fragen auf Fragen.

Fragen zu stellen, Antworten zu suchen, was denn nun zu den Einbrüchen in der linken Wählerschaft führte und wie es weiter gehen soll, dazu hatten die Delegierten schon am ersten Tagungstag bis gegen 22 Uhr Zeit. Aber sie nutzten sie nicht! Über eine Stunde Redezeit; des Austausches, der Suche nach Antworten und neuen Wegen wurde verschenkt. Ich erlebte das jüngst auch auf einem Bundesparteitag. Aber die „Kaffee-Sachsen“ hätte ich für redseliger gehalten – insbesondere im Angesicht zwischen Abbruch und Aufbruch, habe ich da mehr erwartet: Wo sind die Ursachen für die Niederlagen, wie kommen wir da wieder raus? Wie gehen wir mit den Niederlagen um, lernen daraus und organisieren uns neue Erfolge? Alles schon klar? Vielmehr begann und endete die Debattenzeit mit einem Missbrauch. Eröffnet wurde mit NATO Manövern und Bedrohungen Richtung Russland statt diese nicht unwichtigen Gedanken in der üblichen Antragsdebatte einzubringen sowie ein verspätetes Parteilehrjahr, wo uns der Referent mit unbestritten den nach wie vor richtigen und wichtigen marxschen ökonomischen Grundrissen u.a. kam. Der aktuellen Situation in Sachsen und der Tagesordnung des Parteitages wurden diese Beiträge jedenfalls nicht gerecht.

Wenn man mich als brandenburgischen Zaungast nach möglichen Gründen für die krachende landtägliche Wahlniederlage befragt, meine ich, wesentlich Schuld trug das – plakative – Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus. Nichts dagegen, deshalb ist man schließlich in dieser Partei. Aber in einem Landtagswahlkampf, auf Wahlplakate? Überfordern wir da nicht viele Bürger, einschließlich des alten und neuen CDU Ministerpräsidenten, Michael Kretschmar , wenn er geradezu reflexartig ablehnend oder einfach nur unwissend, nicht vom real existierenden gescheiterten DDR Sozialismus für den die SED stand, und einem demokratischen Sozialismus, für den ihre Nachfolgepartei, DIE LINKE heute kämpft, zu unterscheiden weiß. Die Idee des Sozialismus, wie auch immer sie in ihrer Geschichte bisher daher kam, ist nach der verheerenden Niederlage der Wendejahre von 1989/91 bis heute diskreditiert. Linke, sozialistische Ideen haben es bis in die Gegenwart schwer, öffentliche Räume zu erobern, geschweige denn Diskurs bestimmend in Prozesse einzugreifen und entsprechende Entwicklungen voranzutreiben. Die Linke als Partei und Bewegung ist halt immer noch in der gesellschaftlichen Defensive. Wo Veränderungen gelingen sind sie nur kleinteilig und gehen manchem nicht weit genug. Wenn Erfolge gelingen, Dinge schon längst von der Partei aufgeschrieben oder umgesetzt wurden und eigene Genossen nichts davon wissen – dann wird es ganz böse.In einem Landtagswahlkampf erwartet der Bürger zuerst Antworten auf landespolitische Fragestellungen. Dann hätte Sachsens LINKE möglicherweise mehr gepunktet. Programmatische Zielvorgaben einer Partei gehören meines Erachtens nicht in so einen Wahlkampf, auch nicht auf Plakate.

In einer Zeit, da die linksseitig ohnehin nie einfache sächsische Großwetterlage noch komplizierter geworden ist, hat der Dresdner Parteitag das Feld neu bestellt. Nun gilt es für den neuen Landesvorstand gemeinsam mit der geschwächten Landtagsfraktion neu zu säen und zu ernten. Sachsen ist ein zu schönes und ein politisch zu wichtiges Land, als dass es den schwarzen und blau – braunen Block allein überlassen werden darf. Dazu bedarf es einer starken LINKEN, die sich nicht nur in Mandatszahlen ausdrückt. Darüber hinausgehende Bündnisse in alle gesellschaftlich relevanten demokratischen Kräfte der Zivilgesellschaft werden in dieser Situation von noch größerer Bedeutung sein. Im Übrigen wäre das doch ein Weg, um verlorenes Terrain zurück zu erobern. Oder?

Cottbus, den 18.11. 2019  René Lindenau

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Grafikquelle       :          Bundesparteitag DIE LINKE Mai 2014 in Berlin, Velodrom:

Autor      —      Blömke/Kosinsky/Tschöpe

  • CC BY-SA 3.0 deview terms
  • File:DIE LINKE Bundesparteitag 10-11 Mai 2014 -118.jpg
  • Created: 2014-05-21 17:36:47

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Demokratieförderung Bund

Erstellt von DL-Redaktion am 17. November 2019

Geld allein macht nicht glücklich

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Von Pia Stendera und Simon Schramm

Wie wir zusamenleben möchten, muss in einer Demokratie immer wieder aufs Neue ausgehandelt werden. Deshalb investiert der Staat viel Geld in Großprogramme zur Demokratieförderung. Was können diese überhaupt leisten?

Demokratie, die Herrschaft des Volkes, bedeutet in Deutschland für die meisten Volljährigen, regelmäßig frei und geheim ihre Re­prä­sen­tan­t*in­nen wählen zu können. Gerade Jüngere halten das für selbstverständlich, sie kennen kein anderes politisches System. Und Demokratie bedeutet, die eigene Meinung frei äußern zu dürfen, auch wenn einige dabei gern weiter gehen würden, als es das Grundgesetz erlaubt. Doch demokratisches Leben ist noch viel mehr als wählen gehen und Meinungsfreiheit.

Wie wir zusammenleben möchten, muss in einer Demokratie immer wieder aufs Neue ausgehandelt werden. Und manchmal braucht es eine Erinnerung, wie sehr wir von unserem politischen System profitieren. Es braucht Überzeugungsarbeit – ob im Betrieb oder in der Kneipe. Um diese Arbeit zu fördern, hat der Staat 2001 beschlossen, Geld zu verteilen. Zusammengefasst hat er das mit dem Begriff Demokratieförderung.

Was heißt das? Konkret geht es um Fördergroßprogramme des Familienministeriums, wobei Geld an Organisationen und Bür­ge­r*in­nen verteilt wird, die sich um die Demokratie kümmern. Unterstützt werden zum Beispiel Bildungsprojekte für Schü­le­r*in­nen, Schulungen für Leh­re­r*in­nen, Projekte zur präventiven Extremismusbekämpfung, aber auch Aus­stei­ge­r*in­nen­pro­gram­me für Ex­tre­mis­t*in­nen.

In den vergangenen 20 Jahren hat die Regierung konstant immer mehr Geld dafür bereitgestellt, Kritik gab es trotzdem. Das Problem: Bisher liefen diese Großprogramme maximal fünf Jahre. Somit waren auch die Förderungen der Projekte immer begrenzt, ihre weitere Existenz stets bedroht. Nun wird mit „Demokratie leben“ zum ersten Mal ein solches Großprogramm verlängert.

Natürlich kann ein Förder-programm nicht alles heilen, was falsch läuft

„Weil Demokratieförderung Planungssicherheit braucht“, begründete Familienministerin Franziska Giffey (SPD) diese Entscheidung. Mit dem Jahr 2020 beginnt dann der zweite Förderzeitraum. Jährlich sollen bis 2024 115,5 Millionen Euro in demokratiefördernde Projekte fließen. Die Entfristung allein schafft aber keine Planungssicherheit.

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Die Kritik an Großprogrammen zur Demokratieförderung ist so alt wie die Programme selbst. Jedes Mal, wenn diese Programme auslaufen, sagen Ver­tre­te­r*in­nen bisher geförderter Projekte, dass das Geld nicht reicht. Mit „Demokratie leben“ wurden aber allein 2019 115 Millionen Euro verteilt. Das ist mehr als in jedem vergleichbaren Programm in Europa.

Viel Unmut gab es wegen der neuen Verteilung der Fördergelder. Besonders ein offener Brief an das Familienministerium sorgte für Aufsehen. Der Brief wurde von Joseph Blank und Martin Nanzig von der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik initiiert und von 315 Organisationen und Personen unterzeichnet. Wo genau ist das Problem?

Quelle         :     TAZ         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben         —          Unteilbar Dresden 2019

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Stadtgespräch aus Zwickau

Erstellt von DL-Redaktion am 5. November 2019

Gedenken der NSU-Opfer in Zwickau – Nichts ist klar

Von Konrad Litschko

Vor acht Jahren flog der NSU auf. Das Erinnern an die zehn Mordopfer in Zwickau zeigt, wie wenig aufgearbeitet die Terrorserie ist.

In Zwickau stehen seit diesem Wochenende zehn Gedenkbäume im Schwanenteichpark. An Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter. Den zehn Mordopfern des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, erschossen zwischen 2000 und 2007. Es ist ein Zeichen, dass Zwickau diese Menschen nicht vergessen will. Menschen, die starben, auch weil sich die NSU-Rechtsterroristen jahrelang unerkannt in Zwickau aufhalten konnten. Es ist ein überfälliges Zeichen.

Denn es ist inzwischen genau acht Jahre her, dass die Rechtsterrorserie aufflog – als sich in Eisenach Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem gescheiterten Bankraub erschossen und Beate Zschäpe in Zwickau den letzten Unterschlupf in die Luft jagte. Am Montag besuchte deshalb Bundeskanzlerin Angela Merkel die Zwickauer Gedenkbäume und legte Blumen ab. „Wir werden alles tun, damit sich so etwas nicht wiederholt“, sagte Merkel. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer geißelte die „furchtbare, menschenverachtende Ideologie“ des Rechtsextremismus. Auch dies: ein deutliches Zeichen, klare Worte.

Nur leider ist bei der NSU-Aufarbeitung, acht Jahre „danach“, nur wenig so klar. Und die Gedenkbäume in Zwickau legen dies schonungslos offen.

Es ist bereits vielsagend, dass die Stadt so viele Jahre brauchte, um diese Bäume aufzustellen. Lange wurde das Thema NSU in der Stadt nicht angefasst. Die CDU warnte vor einem Stigma für Zwickau, die AfD unterschrieb bis zuletzt ein Memorandum zum NSU-Opfergedenken nicht. Als BürgerInnen 2016 Gedenkbänke aufstellten, wurden diese sofort zerstört. Gleiches geschah vor wenigen Wochen mit einem ersten gepflanzten Baum für Enver Şimşek. Die Stadt wiederum befragte die Opferangehörigen erst gar nicht, was sie von der Pflanzaktion halten, lud sie auch nicht zur Gedenkfeier ein. Gamze Kubaşık, Tochter des Dortmunder NSU-Opfers Mehmet Kubaşık, spricht von einer „Unverschämtheit“.

Zwickau, Hauptmarkt 13-004.jpg

Als die Bäume nun am Sonntag eingeweiht wurden, waren die zehn Opfernamen auf den Gedenkplatten nur „eingedeutscht“ geschrieben. Auch legte die AfD nun doch einen Kranz nieder. Einige TeilnehmerInnen empfanden dies als Provokation: von einer Partei, die Rassismus befeuert und deren Vertreter den NSU-Prozess einst als „Schauprozess“ verunglimpfte. Eine Frau schnitt das AfD-Band ab, die Polizei nahm sie vorübergehend fest und löste so einen Tumult aus. Ein NSU-Opfergedenken, das die Opfer brüskiert: Es ist ein Sinnbild.

Abgeschreckt fühlt sich keiner

Denn es ist ja nicht nur Zwickau. Auch in Thüringen wurde vor Jahren schon eine NSU-Mahnstätte beschlossen, es gibt sie bis heute nicht. Gleiches in Köln. Und auch in Kassel, Heilbronn, Nürnberg oder Rostock wurden Gedenkplatten an die Opfer zerstört. Es ist also schon zu viel, unschuldig Ermordeten zu gedenken. Das ist infam.

Quelle        :    TAZ           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquelle          :

Oben          —          Die letzte Wohnung des NSU-Trios in Zwickau wurde von Beate Zschäpe im November 2011 zur Verdeckung zerstört

  • CC BY-SA 2.5Hinweise zur Weiternutzung
  • File:Nationalsozialistischer Untergrund – Explosion in Zwickau 2011 3 (aka).jpg
  • Erstellt: ‎16‎. ‎November‎ ‎2011

 

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Unten        —        Zwickau, Hauptmarkt 13

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Wahlnachlese im Osten

Erstellt von DL-Redaktion am 16. September 2019

Von der AfD überholt –
Warum die Linke im Osten abstürzt

File:Andre Hahn und Klaus Tischendorf - by Die Linke Sachsen.jpg

Von Theresa Martus

Einst war sie Volkspartei, jetzt reicht es gerade für 10 Prozent – die Linke ist im Osten tief gefallen. Ein Ortsbesuch in Sachsen.

So richtig weiß Michael Bagusat-Sehrt immer noch nicht, was da eigentlich passiert ist. Wenn man den Direktkandidaten der Linken im Wahlkreis Nordsachsen 3 fragt, warum seine Partei bei der Landtagswahl so ins Bodenlose gestürzt , so weit hinter den Umfragen zurückgeblieben ist, zieht er an seiner E-Zigarette, bevor er antwortet. Das Gerät blubbert leise, Bagusat-Sehrt atmet lange aus. „Rational“, sagt er dann, „ist der Ausgang der Wahl für mich nicht zu erklären.“

 Die Stimmung vor der Wahl? Gut. Die Leute? Offen für die Themen seiner Partei. Der Wahlkampf – der „geilste Wahlkampf meines Lebens“. Was etwas heißt, denn Bagusat-Sehrt macht seit gut 20 Jahren Wahlkämpfe. „Ich hätte am Sonntag noch Stein und Bein geschworen, wir schaffen 16, 18, 20 Prozent.“

Es kam anders. Die Linke, mehr als 15 Jahre stärkste Oppositionspartei im Freistaat, stürzte ab auf Platz drei, ganze 17 Prozentpunkte hinter der neuen stärksten Oppositionspartei – der AfD.

Der Sachse als Mensch zweiter Klasse?

Nirgends verlor die Partei so viel wie hier in Arzberg, am nördlichen Rand Sachsens. Rund eine Stunde ist es von hier mit dem Auto nach Leipzig, nach Dresden noch etwas länger. Nach Torgau, in den nächsten Ort mit Bahnhof, braucht man 15 Minuten – mit dem Auto, denn ohne kommt man hier weder hin noch weg. Eine Grundschule gibt es, eine Kirche und einen Lebensmittelladen. „‚Abgehängt‘ ist ein blödes Wort, aber es trifft genau zu“, sagt Bagusat-Sehrt. „Man ist Mensch zweiter Klasse, weil man im Osten wohnt.“

Vor Arzberg.JPG

Die Stimme derer, die das so empfinden, das war lange die Linke, vor dem Zusammenschluss mit der WASG die PDS. Nach der Wende war die Partei Ansprechpartner und Anker für viele, die in der Flut der Veränderungen unterzugehen drohten. Mitglieder halfen beim Ausfüllen von Formularen und Anträgen, die Parteispitze kämpfte für bessere Renten im Osten und gegen Hartz IV.

Der Dank waren spektakuläre Erfolge. In Sachsen holte die Partei regelmäßig ein Viertel der Stimmen. In anderen Bundesländern im Osten schaffte die Partei es sogar in die Regierung, in Thüringen regiert derzeit mit Bodo Ramelow ein linker Ministerpräsident. Die Linken, einmal angetreten als größtmöglicher Schrecken der Regierenden, gehören längst selbst zum Establishment.

Quelle           :    Berliner-Morgenpost          >>>>>           weiterlesen

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 Grafikquellen          :

Oben     —      André Hahn und Klaus Tischendorf

Source André Hahn und Klaus Tischendorf
Author dielinke_sachsen
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Unten      —        Arzberg    /   Gemeinde im Landkreis Nordsachsen, Sachsen,

Straße von Südost

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DIE LINKE – nach der Wahl

Erstellt von DL-Redaktion am 11. September 2019

Systemkritik mit einer Utopie

2018-06-09 Bundesparteitag Die Linke 2018 in Leipzig by Sandro Halank–142.jpg

Von Andreas Fritsche

Volkswirt Martin Günther analysiert Wahldebakel seiner Linkspartei und macht Vorschläge.

Diana Golze und Anja Mayer, die Doppelspitze der brandenburgischen Linkspartei, wollen in nächster Zeit durch das Bundesland reisen und mit ihren Genossen das Debakel bei der Landtagswahl gründlich analysieren, um Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Währenddessen hat nun als erstes Mitglied des Landesvorstands Martin Günther bereits Thesen und Vorschläge als Diskussionsangebot schriftlich vorgelegt.

Die LINKE war am 1. September von 18,6 auf 10,7 Prozent abgestürzt. »Bitter« nennt Günther das. »Eine endgültige Antwort, was im Wahlkampf passiert ist und was in den Jahren davor, was zu diesem Ergebnis geführt hat, ist schwer und zwangsläufig immer unvollständig«, weiß er. Der 37-Jährige erhebt mit seinem vierseitigen Papier ausdrücklich nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und behauptet auch nicht, die Wahrheit gepachtet zu haben.

Als Ausgangspunkt seiner Analyse nimmt er das Wählerstromkonto. 11 000 Wähler hat die LINKE von der SPD abgezogen, ihrerseits aber 30 000 Wähler an die SPD abgegeben, unter dem Strich also 19 000 Wähler an die Sozialdemokraten verloren. Nicht nur Günther glaubt, dass viele Brandenburger an dieser Stelle taktisch gewählt haben, weil sie wollten, dass die AfD nicht stärkste Kraft wird. Das LINKE sei in der rot-roten Koalition »nicht deutlich genug erkennbar gewesen«, stellt Günther fest. Schließlich hatte eine Umfrage ergeben, dass 70 Prozent der Brandenburger nicht sagen konnten, was die LINKE in der Regierung eigentlich bewirkt habe. »Da wir im Kern sozialdemokratische Politik gemacht haben, wählten die Leute das Original«, glaubt Günther. Er schlussfolgert: »Wir müssen unser eigenständiges Profil schärfen und in Abgrenzung zur SPD auch herausstellen.«

Von der Angst vor dem Klimawandel profitierten die Grünen. An sie verlor die LINKE 13 000 Wähler, während sie umgekehrt nur 1000 Wähler gewinnen konnte. »Unser spezifischer Ansatz«, beim Klimaschutz die soziale Frage zu beachten, sei bisher weder bekannt, noch werde er hinreichend widerspruchsfrei kommuniziert. Auch müsse die LINKE verlorenes Vertrauen als Bürgerrechtspartei zurückgewinnen. Die LINKE hatte einen Entwurf von Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) in Verhandlungen erheblich abgemildert, aber letztendlich einer Fassung zugestimmt, die immer noch eine Verschärfung des Polizeigesetzes bedeutete.

An die AfD verlor die LINKE zuletzt noch einmal 12 000 Wähler und hat ihr umgekehrt nur 1000 Wähler entzogen. Günther erkennt, dass ein Teil dieser Wähler schon immer rassistische Ansichten hegte. Die könne man allenfalls zurückholen, wenn ihnen andere Themen wieder wichtiger werden. »Eine Anbiederung an die AfD stärkt nur das Original«, sagt der Volkswirt. »Da brauchen wir weiterhin klare Kante.« Über die sozialpolitischen Positionen der AfD aufzuklären, sei zwar nötig, werde aber nur begrenzt dazu führen, Wähler zur Abkehr von der AfD zu bewegen.

An die Freien Wähler verlor die LINKE 5000 Wähler, ohne dieser Partei selbst Anhänger abzunehmen. Für Günther sind die hier verlorenen Wähler Menschen mit einem mittleren Einkommen, die gleichwohl existenzielle Probleme fürchten. Denn als Altanschließer sollten sie viele Tausend Euro für die Kanalisation bezahlen oder eine vergleichbar hohe Summe als Anlieger für den Straßenbau. Die LINKE hatte sich vor der Landtagswahl 2009 vergeblich für die Altanschließer eingesetzt, aber nichts erreicht. Das war verständlich. Als Opposition konnte sie ihre Stichtagsregelung, die das Problem erledigt hätte, nicht durchsetzen. Doch auch als Regierungspartei hat die LINKE die Hoffnungen der Altanschließer dann enttäuscht. Sie konnte den Koalitionspartner SPD nicht umstimmen. Günther schreibt, die soziale Frage stelle sich auch für die Mittelschicht. Hier müsse sich die LINKE darum kümmern, dass soziale Härten vermieden werden.

Quelle       :     ND         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben       —          Bundesparteitag Die Linke 2018 in Leipzig

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Über den Osten sprechen

Erstellt von DL-Redaktion am 9. September 2019

Wege aus der Desaster-Rhetorik

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Von Andreas Willisch

Was hilft denn nun gegen rechts? „Sachlichkeit“, heißt es häufig. Aber reden wir eigentlich sachlich über den Osten des Landes?

In Sachsen und Brandenburg wurde letzten Sonntag gewählt. Obwohl sehr viele Menschen – vielleicht zum ersten Mal in dieser Breite und Buntheit – für die Demokratie in Ostdeutschland gekämpft haben, haben die extremen Rechten ihre Stärke gezeigt. Eine bunte, junge, engagierte Zivilgesellschaft hat sich gewehrt, aber fürs Erste nicht gewonnen. Dafür kommen neue Stimmen und ein neuer Ton in die Debatten im und über den Osten.

Seit Jahrzehnten spielt sich der Diskurs in den immer gleichen Defizitschleifen ab: Die Wirtschaft, ja, die Menschen der DDR waren so marode, dass mit ihnen der Aufbau einer sozialen Marktwirtschaft und demokratischer Strukturen nicht als Nachbau der westdeutschen Verhältnisse gelingen konnte. Als offenbar wurde, dass diese Kopie misslingen würde, hauten die Ostler massenweise in den Westen ab, und die Frauen unter ihnen stellten das Kinderkriegen ein. Daher leben, so eine Meldung von vor dem Sommer, heute im Osten so wenige Menschen wie 1905. Die bleiben mussten, drängten der Mehrheit im neuen Deutschland ihre Thematik der abgehängten Regionen auf: Sie neigen autoritär-populistischen Gestalten zu und sind voll Rachegelüsten gegenüber der Mehrheit. Das ist in etwa die rhetorische Schleife seit 20, 25 Jahren.

Was hilft denn nun gegen rechts? „Sachlichkeit“, heißt es häufig. Aber wird eigentlich sachlich über Ostdeutschland gesprochen? Ich war zwei Tage vor den Wahlen in Demmin. Zwei mecklenburg-vorpommersche Staatssekretäre hatten zur Sommertour geladen. Die Leute vom T30 – einem Kultur-, Kunst- und Demokratieladen schräg gegenüber dem AfD-Büro – sollten besucht werden. Sie hatten zur Vorbereitung andere Vereine und Menschen mit Ideen für ihre Stadt gebeten, Zukunftsprojekte zu erarbeiten, die in großer Runde mit der Politik diskutiert werden könnten. Heraus kamen 15 Vorschläge, wie das Leben in Demmin angenehmer gemacht werden könnte. Doch die Diskussion drohte im Würgegriff der Demografie zu ersticken: Tags zuvor waren die neuesten Prognosen bekannt geworden, wonach Demmin in 20 oder 30 Jahren noch einmal stark schrumpfen würde.

So geht die „sachliche Debatte“ seit Jahren: Engagement läuft ins Leere, weil wir in Zukunft weniger werden. Aber wer sagt eigentlich, dass Gesellschaften sich so entwickeln müssen, dass überall gleich viele Menschen leben? Können nicht auch kleinere Dörfer und Städte in dünn besiedelten Regionen ein gutes Leben führen? Ist nicht die Art und Weise, wie die Leute zusammenleben, wie sie Gesellschaft an jedem Ort selber machen, wesentlicher als die Anzahl der Bewohner?

Falsche neoliberale Politik

Hinter der demografischen Desaster-Rhetorik verbirgt sich etwas viel Entscheidenderes: Irgendwie sind die Menschen, die da weggehen oder nicht hingehen, die älter werden und erst recht die Frauen, die keine oder nicht genügend Kinder kriegen, schuld, dass es dem Ort und der Region schlechtgeht. Für die verantwortliche Politik ist das bequem, enthebt es sie doch scheinbar der Aufgabe, dafür politische Entscheidungen zu treffen und am Ende womöglich für eine Region, in der sich die Leute so sehr selbst schädigen, mehr statt weniger Geld auszugeben.

Ein Blick in die Berichte zum Stand der deutschen Vereinigung der Bundesregierung belegt das. Im ersten rot-grünen Bericht von 1999 steht, dass die Politik der schnellen Treuhand-Privatisierung mit ihren Fehleinschätzungen den Zusammenbruch der Industrie zur Folge hatte. 2007 liest sich das ganz anders. Da wird der demografische Wandel dafür verantwortlich gemacht, dass der Osten weiter zurückbleibt. An die Stelle falscher neoliberaler Politik tritt eine ganz und gar unpolitische Sicht auf die Gesellschaft: Wo Menschen weniger und älter werden, ist staatliche Politik außen vor. Der Staat kann nur noch die Schrumpfung moderieren und hier und da ein Mehrgenerationenhaus einweihen. Diese Lesart dominiert seitdem als „sachliche Expertensicht“.

Auch die Autoritätshörigkeitsscheife beherrscht seit vielen Jahren die Talkshows, Kommentare und Berichte zu Ostdeutschland. Erst der Typ mit der nassen Hose, später die NPD-Kader, die von der Straße in die Parlamente drängten. Die Alternative für Deutschland ist da allerdings von einer anderen Qualität. Sie bietet eine Projektionsfläche für alles Misslungene und Ungerechte.

Eine Art Lumpenproletariat

Lange konnten die in den Parlamenten vertretenen Parteien gut damit leben, dass ein Teil ihrer Wählerschaft keineswegs ihren Werten anhing, solange er ihnen die Mehrheit brachte. Unter denen, die freundlich als Protestwähler gezählt werden, befindet sich schon seit 1990 eine Art Lumpenproletariat, Gabriel hat es mal Mob genannt, das so lange willkommen war, wie es auf die Verheißungen der blühenden Landschaften hereinfiel und die bittere Medizin, dass aus der DDR ohnehin nichts zu retten gewesen wäre, brav geschluckt hat. Das sind die gleichen Leute, die aus dem emanzipativen Ruf „Wir sind das Volk!“ die Konsumformel „Wir sind ein Volk!“ gemacht und damit eine gesellschaftliche Revolution gekapert haben.

Jetzt wenden sich viele, ironischerweise wieder mit der Emanzipationsformel „Wir sind das Volk!“ von den Parteien ab, deren Werte sie zwar nicht vertreten, die ihnen aber Unterschlupf geboten haben. Mehr noch, sie wenden sich vom parlamentarischen System ab und bekämpfen es. Nun ist die Not groß – so groß, dass selbst die ehemalige Protest- und Staatspartei koalitionsfähig wird, auf jeden Fall dazugehört zur Demokratie.

Quelle       :        TAZ         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben          —         Deutsch: Wahlplakat der AfD zur Bundestagswahl 2017 „Neue Deutsche? Machen wir selber.“ Aufgenommen am 22.09.2017 in München, S-Bahnhof Heimeranplatz.

Izvor Vlastito djelo postavljača
Autor Valodnieks
w:hr:Creative Commons
imenovanje autora dijeli pod istim uvjetima
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Unten       —     Via –   Wikimedia Commons  Twitter    GRÜNE Mittelsachsen

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AKL in der Linken

Erstellt von DL-Redaktion am 8. September 2019

Ausgang der Landtagswahlen in Sachsen-Brandenburg
SOFORT UMSCHALTEN! VERÄNDERUNG BEGINNT MIT OPPOSITION!

Andre Hahn, August 2009 - by Die Linke Sachsen.jpg

Quelle     :      AKL    in der Linken

Stellungnahme der Antikapitalistischen Linken

Die Erfolge der LINKEN weder auf dem Altar der Regierungsbeteiligung mit SPD und GRÜNEN opfern, noch die Illusion schüren, die AfD-Wähler*innen wären einfach zurückzugewinnen.

Wie schon nach den EU-Wahlen vom Mai dieses Jahres sind sich fast alle Beobachter*innen in und außerhalb der LINKEN darüber einig, was die Ursachen für den heftigen Absturz der LINKEN bei den Wahlen in Ostdeutschland sind. Sie hat ihre politische und immer mehr auch organisatorische Identität verloren. Warum das geschehen ist und wie die Entwicklung gestoppt und umgedreht werden kann, dazu sollte die Debatte geführt werden und nicht über einzelne Fragen des Personals.

1.

Die Wahlen zu den Landtagen in Brandenburg und Sachsen haben den Parteien der Koalition in Berlin eine schallende Ohrfeige verpasst. 30 Jahre nach der Wiedereingliederung der DDR in die kapitalistische Wirtschaftsordnung Gesamtdeutschlands haben die damaligen Verkünder der „blühenden Landschaften“ ein weiteres Mal erheblich an Legitimation verloren. Sowohl die CDU als auch die SPD müssen die „schlechtesten“ und „historisch niedrigsten“ Wahlergebnisse hinnehmen. Die Koalition, die sich selbst „groß“ nennt, ist zu einem Minderheitenprojekt geschrumpft, nicht nur in der Ausrichtung ihrer Politik auf die Interessen einer gesellschaftlichen Minderheit (das war schon immer so), sondern jetzt auch – wie schon auf Bundesebene und in den meisten anderen Ländern – in den Abstimmungsergebnissen bei allgemeinen Parlamentswahlen.

Trotz einer deutlichen Steigerung der Wahlbeteiligung um etwa fünfzehn Prozentpunkte konnten SPD und CDU diesen historischen Absturz nicht verhindern. Aber auch bei dieser Wahl hat ein gutes Drittel der Wahlberechtigten nicht von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht. In Sachsen 12 Prozent und in Brandenburg gut 5 Prozent der abgegebenen Stimmen wurden durch die undemokratische Fünf-Prozentklausel zu Nullstimmen entwertet.

Die Partei der Profis und Marktradikalen, die FDP, konnte an absoluten Stimmen zwar zulegen, verpasste aber in beiden Wahlen den Einzug in den Landtag.

2.

Die GRÜNEN konnten ihre Erfolge der letzten Wahlen auch in Sachsen und Brandenburg fortsetzen, aber deutlich weniger als erwartet und von den Meinungsforschungsinstituten noch am Vorabend vorhergesagt. Die Demoskopie gehört generell zu den Verlierer*innen dieser Wahl: Auch die besser als erwarteten Ergebnisse der CDU in Sachsen und der SPD in Brandenburg wurden trotz aller Anstrengungen der Meinungsforschungsinstitute nicht vorhergesagt. Zum Glück müssen sie keinen Schadensersatz zahlen, aber soviel Differenz zwischen Vorhersage und Endergebnis war selten.

Die GRÜNEN haben auch bei diesen Wahlen einen „optimistischen“ Wahlkampf mit ihnen als Retterin des Kapitalismus und als Partei gegen den Klimawandel organisiert. Sie wurden als wenig abgenutzte, bürgerliche Alternative zu CDU und SPD, aber auch zu den gruseligen Rechten angesehen. Links sind diese GRÜNEN nicht. Sie haben keinen Hehl daraus gemacht, dass sie auch mit der CDU koalieren würden, wenn es genügend Pöstchen gibt.

Flag of Die Linke

3.

Absolute Wahlgewinnerin beider Wahlen ist die Alternative für Deutschland (AfD). Fast 300.000 Stimmen in Brandenburg und fast 600.000 in Sachsen stimmten für die AfD. Die AfD wird in beiden Landesverbänden von ihrem rechten Flügel bestimmt, so dass anzunehmen ist, dass der sogenannte „Flügel“, die völkisch-nationalistische Gruppierung in der AfD, großen Auftrieb erhalten wird. Die AfD konnte sämtliche andere Rechtsparteien pulverisieren, die entweder gar nicht mehr antraten oder marginale Stimmenergebnisse erzielten. Der AfD gelang es in Sachsen auch, fast so viele Direktmandate zu gewinnen, dass die vom Verfassungsgericht verfügte Deckelung auf 30 Listenplätze ausgeglichen werden konnte. Jetzt verfügt die AfD in Sachsen über 38, in Brandenburg über 23 gut bezahlte Abgeordnetenmandate.

Die AfD hat im Wahlkampf und bei der Aufstellung ihres Personals bewusst Grenzen zu faschistischen Positionen überschritten. Alle ihre Flügel sind sich aber einig, ihr Projekt einer breiten nationalistischen und rassistischen Mobilisierung der Bevölkerung zielstrebig weiter zu verfolgen, kombiniert mit einer Selbstdarstellung als Partei der Ostdeutschen und der kleinen Leute.

Weder das neoliberale und sozialdarwinistische Programm, noch die Auswahl der Kandidat*innen entsprechen dieser Selbstdarstellung, aber das wurde der AfD abgenommen. Ohne die demoskopischen Erhebungen überzubewerten, ist festzustellen, dass mehrere Untersuchungen und Umfragen noch einmal bestätigten, dass die AfD nicht die Partei der Ausgegrenzten und Armen ist, obwohl sie sich als diese ausgibt.

Sie ist eine Partei der Mitte, allerdings geprägt von Abstiegsängsten und Fixierung auf eine Politik des starken Staates. Gut Dreiviertel der AfD-Anhänger*innen bekennen laut dieser Umfragen, dass sie die AfD nicht trotz, sondern wegen und in Kenntnis ihres rassistischen Programms und Weltbildes wählen würden. Eine Protestwahl von „besorgten Bürger*innen“, die „ernst genommen“ und „zurückgeholt“ werden müssen, ist das nicht oder nicht mehr vorrangig. Hier verfestigt sich ein Rechtspol in der Gesellschaft, der nur durch den Aufbau eines starken Linkspols und realer Verankerung in Stadtteilen, Betrieben, Schulen durch die organisierte Linke zurückgedrängt werden kann und nicht einfach durch ein vermehrtes Aufgreifen der sozialen Frage in Worten.

Der AfD ist es gelungen, bei diesem Ergebnis verwundert das nicht, den anderen Parteien die Themen und die Wahlkampfstrategie aufzudrängen. Alle Parteien haben – quasi als Gegenseite dieser Medaille – brav beteuert, dass sie niemals mit der AfD gemeinsame politische Geschäfte erledigen würden. Das ist auf kommunaler Ebene schon lange Geschichte, und auch in diesem Wahlkampf und in den ersten Stunden nach Verkündung des Ergebnisses erklingen schon vermehrt Stimmen, man müsse die AfD „entzaubern“ und sie „in die Verantwortung zwingen“.

4.

Sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen ist nur eine Regierungsbildung mit mindestens drei Parteien möglich – sofern die Unvereinbarkeit mit der AfD so bleibt wie verkündet. Wir machen keine Prognose, wie lange es dauert, bis insbesondere die CDU in dieser Frage zu schwanken beginnt, aber das wird so kommen.

Bisher sind in Brandenburg deshalb nur Bündnisse aus SPD, GRÜNEN und LINKE oder SPD, CDU und GRÜNEN und in Sachsen nur ein Bündnis aus CDU, GRÜNEN und SPD möglich. Es werden in jedem Fall keine linken Regierungen, sondern Regierungen des Weiter-So und der Krisenverwaltung sein. Speziell in Sachsen könnte auch die in Deutschland so verhasste Minderheitsregierung (wie schon einmal in Sachsen-Anhalt) ins Gespräch kommen.

5.

Absolute Wahlverliererin ist die LINKE. Sie hat in Brandenburg 50.000 Stimmen (minus 10,7 Prozentpunkte) und in Sachsen 85.000 Stimmen (minus 8,5 Prozentpunkte) verloren. 224.000 Menschen in Sachsen und 136.000 in Brandenburg gaben der LINKEN noch ihre Stimme. In den letzten 15 Jahren hat die LINKE (PDS) damit Zweidrittel ihrer Stimmenanteile verloren. Parallel zu dieser Wahlentwicklung hat die LINKE in den Ostländern kontinuierlich Mitgliederbestände und Parteistrukturen abgebaut.

Es gibt wie immer zahlreiche Gründe für diesen Absturz, auch aktuelle. Der parteiinterne Streit um das beide Landtags-Wahlkämpfe bestimmende Thema Flüchtlingspolitik hat die LINKE als unklare und in einer Schlüsselfrage zerstrittene Partei vorgeführt. Die Querelen um die bekannteste Führungsfigur der LINKEN, Sahra Wagenknecht, und ihre verbalen und mit dem „Aufstehen“-Projekt auch organisatorischen Attacken gegen die LINKE, blieben auch in Brandenburg und Sachsen nicht verborgen, auch wenn die Bedeutung dieser Vorgänge in den Debatten in der LINKEN gerne und viel übertrieben wird. Die schlechte Performance der LINKEN in der EU-Wahl als unentschiedene Partei, hat fast schon einen Trend zur Wahlniederlage vorgeprägt.

Der Hauptgrund für den Absturz der LINKEN ist aber hausgemacht und in Politik und Auftreten der Partei speziell in den Ostbundesländern seit Anbeginn schon angelegt.

Die LINKE in Sachsen hat sich über Jahrzehnte – schon als PDS in den neunziger Jahren – nur als politische Kraft in Abhängigkeit von anderen dargestellt. Sie wollte die Regierung in der Opposition spielen und nichts sonst. Selbst die frustrierenden Wahldebakel mit einer Orientierung auf Regierungsbeteiligung und Rot-Rot-Grün haben die LINKE-Sachsen nicht aufgeweckt. Ein Aufbau der Partei außerhalb solcher Wahlkämpfe mit Regierungsoption fand nicht statt, sondern wurde auf kommunaler Ebene in verschiedener Intensität noch vorangetrieben. Die LINKE als Appendix von anderen Kräften – das kann nicht gut gehen, selbst dann nicht, wenn nur pragmatische und „realpolitische“ Ziele verfolgt werden – und schon gar nicht, wenn eine wirkliche linke Partei mit einer antikapitalistischen Perspektive und Strukturen der aktiven Selbstermächtigung das Ziel ist. Seit Jahren wird dieser entpolitisierende Kurs von denselben Spitzenleuten in der Partei verfolgt, mit immer weniger Elan und Erfolg. Da ist es schon Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet dieser Landesverband der LINKEN den Ehrenpreis erhält, als erster Landesverband im aktuellen Wahlkampf ein Plakat geklebt zu haben, auf dem der Sozialismus als Ziel verkündet wird. Nicht wenige haben das dann auch als Selbstveräppelung angesehen.

In Brandenburg hat die LINKE ein ähnliches Trauerergebnis, aber auf anderen Wegen erzielt. Dort ist sie Regierungspartei und macht alle Fehler, die bei einer linken Regierungsbeteiligung gemacht werden können. Sie beteiligt sich nicht nur an einer fehlerhaften Politik – insbesondere zu den Themen Schuldenbremse, Verfassungsschutz, Polizeigesetz und Braunkohletagebau – sondern sie übernimmt, zuweilen in vorauseilendem Gehorsam die Verantwortung für diese Politik. Es sind die LINKEN, die als erstes Scheiße für Gold erklären, ohne damit die Verantwortung der größeren SPD für die Regierungspolitik damit zu relativieren.

Statt öffentlicher Aufklärung und Mobilisierung verschanzte sich die SPD-LINKEN-Regierung in Potsdam in fast klandestiner Krisenverwaltung. Das war keine linke Regierung und noch nicht einmal eine irgendwie „offene“ Regierung, die gegebenenfalls sogar zufällig Möglichkeiten für wirkliche linke Politik eröffnet hätte.

Wie zum Hohn hat die LINKE dann einen Wahlkampf einer Opposition in der Regierung geführt. In bester Tradition der SPD wurde das ein Wahlkampf gegen sich selbst.

6.

Aus diesem selbst verursachten Dilemma kann die LINKE auch nur selbst wieder herausfinden. Die Menschen, die heute nicht mehr wählen und insbesondere der LINKEN, wie sie ist, den Rücken kehren, können politisch gewonnen und mobilisiert werden.

Dazu muss aber sofort Schluss gemacht werden mit der Orientierung auf Regierungsbündnisse mit SPD und GRÜNEN. Wir beziehen dabei ausdrücklich auch Thüringen mit ein, wo im Oktober gewählt wird.

Eine umfassende Orientierung auf eine Politik der Opposition im Land muss sofort begonnen werden. Wir müssen die Partei der Jugend werden, die Partei des entschlossensten Widerstandes gegen die AfD und den rechten Spuk; die Partei der Klimaproteste; die Partei der radikalen Arbeitszeitverkürzung, der Rentenreform und der ausreichenden Löhne; die Partei des Kampfes gegen die innere Aufrüstung durch Polizei, Verfassungsschutz und Überwachungsbehörden und der äußeren Aufrüstung mit noch mehr Rüstung, Bundeswehr und Kriegseinsätzen; die Partei der internationalen Solidarität.

Die Strukturen der Partei insbesondere in der Fläche müssen schrittweise wiederaufgebaut und darüber hinaus ansprechende Formate für neue Mitglieder in Form von Betriebsgruppen, Schulgruppen und Aktionsgruppen geschaffen werden.

Die LINKE muss außerdem und vor allem begreifen, dass angeblich „realpolitische“ Handwerkelei im vorgegebenen Rahmen keine ausreichende linke Perspektive bietet. Die „neuen Ideen“, die jetzt überall in den Zeitungsartikeln als bei der LINKEN fehlend ausgerufen werden, sind in unseren programmatischen Grundlagen durchaus vorhanden. Ein flottes Update in Richtung einer sozialistischen Aktivist*innenpartei, die in allen wichtigen sozialen und ökologischen Fragen besser aufgestellt ist, könnte aber nicht schaden. Wenn unsere zerfledderten Ostverbände, sich aufraffen würden, in dieser Hinsicht eine neue Vorreiterrolle zu übernehmen, und mit ihnen alle unter ähnlichen Krisen leidende Teile der Partei, dann ist die linke Welt schneller wieder in Ordnung als die jetzige Katerstimmung vermuten lässt.

akl - Antikapitalistische Linke

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Oben          —        André Hahn

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Die linke Krise

Erstellt von DL-Redaktion am 7. September 2019

Wie soll es weitergehen?

Bodo Ramelow, Kerstin Kaiser, André Hahn und Lothar Bisky.jpg

Aus Dresden und Erfurt Anna Lehmann

Die Linkspartei ist in Brandenburg und Sachsen auf das Ergebnis von 1990 zurückgefallen. Mit dem Ende als Ostpartei steht auch ihre Existenz als bundesweite Kraft auf dem Spiel. Wie soll es weitergehen?

erena Meiwald wird in den nächsten Tagen die Plakate abnehmen und ihr Büro im Sächsischen Landtag ausräumen. Und sich nach einem neuen Job umschauen. Der Landessportbund hat Interesse signalisiert. „Irgendwas wird sich schon finden“, sagt sie am Telefon.

Meiwald, 53 Jahre alt, saß zehn Jahre für die sächsische Linke im Dresdner Landtag. Seit Sonntag ist die einstige sportpolitische Sprecherin raus. Ihr Listenplatz 19 galt eigentlich als sicher: Die Umfragen sagten der Linken Ergebnisse um die 15 Prozent voraus. Doch am Sonntag wählten nur knapp über 10 Prozent der WählerInnen Meiwalds Partei.

Sie sei immer noch durch den Wind, erzählt Meiwald am Mittwoch. Das Wahlergebnis traf sie unvorbereitet. „Das ist jetzt nicht euer Ernst!“, habe sie gedacht, als die ersten Prognosen kamen. In Brandenburg, wo ebenfalls ein neuer Landtag gewählt wurde, das gleiche Debakel. 133.000 Zweitstimmen hat die Partei in beiden Ländern im Vergleich zu 2014 verloren. In den Landtagen ist sie jetzt nahezu halbiert.

Bei der Wahlparty der Linken in Dresden ist am späten Sonntagabend nur noch Frustsaufen angesagt. „Schreibst du mal’ne Pressemitteilung. Ich kann das nicht mehr“, sagt ein Genosse zum anderen. Am Montag steht immer noch keine Pressemitteilung im Netz. Wie soll man in Worte fassen, was viele GenossInnen nicht begreifen?

Die ostdeutsche Linke, die in den 90ern als PDS im Osten zur Volkspartei aufstieg, ist zurück auf dem Stand von 1990.

Man sucht nach Gründen: Der Wahlkampf sei geprägt gewesen von der Auseinandersetzung zwischen AfD und CDU. Leute, die eigentlich Linke wählen wollten, seien zur CDU gegangen, um zu verhindern, dass die AfD stärkste Kraft wird. Als Erklärung reicht das kaum aus. Die Linke hat an alle Parteien verloren – an AfD und CDU, aber auch an Grüne und SPD. Sogar an die FDP.

Die Wählerinnen im Osten waren immer eine Bank für die Partei, die vor 12 Jahren aus der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) im Westen und der PDS im Osten hervorging. In der Parteizentrale in Berlin gilt die Faustformel: Um 7 bis 8 Prozent bei Bundestagswahlen zu erreichen, muss die Linke im Osten etwa 20 Prozent einfahren. Doch nach dieser Formel käme die Partei derzeit nicht einmal über die 5-Prozent-Hürde.

Die Wahlen in Sachsen und Brandenburg besiegeln nicht nur das Ende der einstigen Ostpartei. Sie stürzen die Linke auch als Gesamtpartei in eine existenzielle Krise.

Der Niedergang im Osten zeichnete sich seit Längerem ab. Als sich der Bundestag 2017 konstituierte, hatte die Fraktion erstmals deutlich mehr Abgeordnete aus den alten als aus den neuen Ländern. Die taz fuhr damals nach Dippoldiswalde, in das Büro von Meiwalds Kreisverband. Damals schilderten die Mitarbeiter, wie es ist, wenn die Zahl der Mitglieder, die sich ins Jenseits verabschieden, schneller steigt als die Zahl der Neu­eintritte: dass man kaum noch jemanden finde, der als Abgeordnete für den Kreistag kandidiert; dass die Beitragseinnahmen sinken und man daher Mitgliedern zu runden Geburtstagen nur noch Glückwunschkarten statt Blumen schicke. Heute, nur zwei Jahre später, wird das Dippoldiswalder Büro wohl über kurz oder lang geschlossen.

Seit Montag sucht die Linke fieberhaft nach einem Weg aus der Krise. Im Osten denken nicht wenige, dass die Ursachen dafür auch in der Vereinigung von WASG und PDS liegen. Diese sei auf Kosten des Ostens gegangen.

Hahn Wahlkampfauftakt, August 2009 - by Die Linke Sachsen.jpg

So sieht es auch die Brandenburger Linke-Vorsitzende Anja Mayer. Unterschiede seien damals zu wenig anerkannt worden, sagt sie. Mayer wuchs in Rothenburg ob der Tauber auf und lebt seit 2015 in Potsdam. Viele halten sie für eine Urbrandenburgerin, vielleicht weil sie als Arbeiterkind so bodenständig tickt. „Wir haben viel Zeit für Debatten aufgewandt, die nichts mehr mit den Leuten zu tun hatten“, sagt Mayer. Wie lange habe man sich etwa über die Frage gestritten, ob es im Programm nun „Freiheit und Sozialismus“ oder „Freiheit durch Sozialismus“ heißen müsse.

Der Rentnerin, die von 850 Euro leben muss, ist es wahrscheinlich völlig schnuppe, dass sich „Freiheit und Sozialismus“ durchsetzte. Die fragte Mayer im Wahlkampf eher, warum die Linke in Brandenburg noch immer nicht die Renten erhöht habe, obwohl sie doch seit zehn Jahren regiere. „Dass das auf Bundesebene geregelt werde, lassen die Menschen als Antwort nicht gelten.“

Quelle         :       TAZ         >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben        —       German Left Party politicians Bodo Ramelow, Kerstin Kaiser, André Hahn, and Lothar Bisky in Dresden

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Unten      —         Dr. André Hahn bei Wahlkampfauftakt der sächsischen LINKEN

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Sieben grüne Gebote

Erstellt von DL-Redaktion am 6. September 2019

Wahlen in Brandenburg und Sachsen

File:Grüne protests against nuclear energy.jpg

Von Georg Löwisch

Die Grünen haben in Sachsen und Brandenburg glamouröse Prozentzahlen verpasst. Aber entscheidender ist, was sie daraus machen.

Zum grünen Höhenflug hat der Brandenburger Spitzenkandidat Benjamin Raschke vor drei Wochen einen im Rückblick klugen Satz gesagt: „Wir bleiben auf dem Teppich, auch wenn der Teppich fliegt.“ Tatsächlich ist es nämlich so, dass der Teppich nicht dort gelandet ist, wo es sich die Partei gewünscht hätte. Jedenfalls nicht, wenn man sich an die Äußerung von Raschkes Brandenburger Mitstreiterin Ursula Nonnenmacher erinnert, die sich ein wenig verfrüht als Ministerpräsidentin empfahl. Jetzt sind es in Brandenburg bloß 10,8 Prozent geworden und in Sachsen 8,6 Prozent: eher ein Höhenflügchen.

So schnell und hoch hinaus geht es eben nicht. Den Aufstieg einer Partei muss man sich eher wie eine Treppe vorstellen, die man Stufe für Stufe nehmen muss. Die Grünen sollten mal durchatmen und überlegen, wo sie stehen. Seit Annalena Baerbock und Robert Habeck die Partei führen, haben sie in Bayern, Hessen, Bremen und bei der Europawahl Stimmen hinzugewonnen. Die vielen Mandate in den Parlamenten haben die Gestaltungsmacht der Partei nur sehr begrenzt erweitert, denn sie regieren ebendort, wo sie schon vorher regierten.

Nun aber kommen zwei Länder dazu, in denen die Grünen gute Chancen haben zu regieren. In Brandenburg sind Rot-Rot-Grün und Rot-Schwarz-Grün die möglichen Koalitionen, daneben gibt es noch eine Option mit SPD, CDU und Freien Wählern und – sehr unwahrscheinlich – eine SPD-geführte Regierung mit CDU und Linkspartei. In Sachsen geht sogar nur eine schwarz-grün-rote Keniakoalition, weil Ministerpräsident Michael Kretschmer für seine CDU eine Zusammenarbeit mit der Linken oder der AfD ausgeschlossen hat

Der Erfolg einer Partei bemisst sich nicht in reiner Zustimmung, sondern daran, ob sie diese in Gestaltungsmacht umsetzen kann. Die Frage ist nicht, wie glamourös die Prozentzahlen der Grünen sind. Die Frage ist, was sie daraus machen. Sieben Punkte sind wichtig:

Erstens: Die Grünen müssen verinnerlichen, dass sie es nun sind, die den Staat verteidigen. Die Partei hat eine staatskritische Tradition, von der sie sich den scharfen Blick auf die Bürgerrechte unbedingt erhalten muss. Aber aus ihrer Geschichte heraus pflegt sie auch gern bequeme Feindbilder. Gerade in Sachsen ist es in fast drei Jahrzehnten CDU-Regierung von Biedenkopf und seinen Nachfolgern zum Selbstverständnis der Grünen geworden, sich als Rebellen wider die Staatsmacht zu sehen. Der wackere Underdog, moralisch stets im Recht – das ist auch von Brandenburg bis Bayern immer noch eine klare, einfache Rolle vieler Grünen.

Erst langsam vollzieht sich der Rollenwechsel, und der Partei dämmert, was auf dem Spiel steht. In diesem Jahr ging eine Grüne einen wichtigen Schritt in dieser Beziehung: In Görlitz steckte Franziska Schubert bei der Oberbürgermeisterwahl zugunsten des CDU-Kandidaten zurück, um den AfD-Bewerber zu stoppen. Das war richtig. Jetzt muss den Grünen klar sein, dass es um das Grundgerüst der Republik geht: Scheitert Kretschmer, scheitern wir.

Zweitens: Die Grünen dürfen sich nicht abspeisen lassen. Sie können selbstbewusst übers Regieren verhandeln. Michael Kretschmer ist jetzt belastbar. Sein Vorgänger Stanislaw Tillich trat zurück, nachdem die sächsische CDU bei der Bundestagswahl auf 26,9 Prozent gefallen war. Dagegen sind die 32,1 Prozent von diesem Sonntag stattlich. Der Erfolg – im Übrigen auch in seinem Görlitzer Wahlkreis – festigt Kretschmers Position gegenüber den Rechtskonservativen in seinem Landesverband, die durchaus mit der AfD was versuchen würden. Wäre der Ministerpräsident geschwächt, würden sie sich womöglich durchsetzen.

Chance, nicht Notgemeinschaft

Dann gibt es noch etwas, das sich die Grünen von der CDU teuer abkaufen lassen können: Strategisch bietet eine Regierung mit den Grünen der Union nämlich die Chance, sich zu modernisieren und in den Großstädten den Anschluss zu finden. Das gilt genauso für die unfassbar müde brandenburgische SPD von Dietmar Woidke, die neidisch auf die Grünen-Erfolge im Berliner Speckgürtel blickt. Wenn die Ministerpräsidenten klug sind und ihre Partner der anderen Parteien auch, dann begreifen sie ihr Bündnis nicht als Notgemeinschaft, sondern als Chance.

File:Heuschrecke, Großes Heupferd.JPG

Die Heuschrecke hat ihre Farbe nicht gewechselt

Drittens: Die Grünen müssen Themen dazugewinnen. Die Wahlen in Brandenburg und Sachsen spitzen das Problem zu, dass der Partei im Klimaschutz sehr viel zugetraut wird – aber nicht in Ressorts wie Verkehr oder Landwirtschaft, die doch für die Bewältigung der Klimakrise wichtig sind. Während nach einer Befragung der Forschungsgruppe Wahlen 39 Prozent der Sachsen die Grünen für kompetent im Klimaschutz halten, sagen das zum Beispiel nur 4 Prozent für den Bereich Infrastruktur.

Quelle         :         TAZ        >>>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben      —          Bündnis 90/Die Grünen protest against nuclear energy near nuclear waste disposal centre Gorleben in northern Germany

Source Politprominenz
Author Paula Schramm
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Unten       —         Grünes Heupferd, Tettigonia viridissima, Weibchen

Author Joachim K. Löckener

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Die Linke nach den Wahlen

Erstellt von DL-Redaktion am 3. September 2019

Ein Burgfrieden bis Ende Oktober

File:Hahn Wahlkampfauftakt, August 2009 - by Die Linke Sachsen.jpg

Von Anna Lehmann und Martin Reeh

Nach dem desaströsen Wahlergebnis brechen die Flügelkämpfe wieder auf. Nach der Thüringen-Wahl könnte es richtig losgehen.

Anfangs, als die Fotografen in der Bundespressekonferenz ihre Aufnahmen machten, blickten alle noch betont freundlich. Später war dem linken Spitzenpersonal aus Sachsen und Brandenburg die Ratlosigkeit deutlich anzusehen. Sachsens Landeschefin Anja Feiks schaute in die Luft, Spitzenkandidat Rico Gebhardt ausdruckslos vor sich hin, die Brandenburger Spitzenkandidatin Kathrin Dannenberg wirkte übermüdet. In Sachsen und Brandenburg hat die Linke jeweils etwas über zehn Prozent erhalten, das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte.

„Das war kein schöner Abend“, sagte Parteichef Bernd Riexinger. Das Ergebnis sei nicht einfach zu analysieren: „Wir hatten Wählerwanderungen in verschiedenste Bereiche.“ Die Linke müsse im Osten „neue Wählerschichten gewinnen“, schon weil sie jetzt nur bei den über 70-Jährigen überdurchschnittlich abschneide. Der Vorstand habe am Montag „gründlich und solidarisch“ debattiert. Jetzt müsse die Partei nach vorne blicken, nach Thüringen, wo Ende Oktober gewählt wird: „Wir hoffen, dort vom Ministerpräsidentenbonus profitieren zu können.“

In der Linken brach nach dem Ergebnis der alte Richtungsstreit wieder aus: Noch-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, die ihren Rücktritt für den Herbst angekündigt hatte, schrieb auf Facebook: „Wenn wir als grün­liberale Lifestyle-Partei wahrgenommen werden, wenn Menschen das Gefühl bekommen, dass wir auf sie herabsehen, ist es nur normal, dass sie sich von uns abwenden.“

De Masi vergleicht Partei mit Titanic

Ihr Vize Fabio De Masi, der dem Wagenknecht-Lager zugerechnet wird, twitterte: „Als die ‚Titanic‘ den Eisberg rammte, wurde auf dem Oberdeck weiter getanzt, während im Maschinenraum und bei den einfachen Passagieren bereits das Wasser stieg. Am Ende sank das ganze Schiff. Kann auch für Parteiführungen lehrreich sein!“

Die Linke Weltpremiere Der junge Karl Marx Berlinale 2017.jpg

Auf zum großen Ball – „De Masi“ war  nicht mit eingeladen  ?

Auf Twitter löste er damit eine Debatte aus, an der sich auch andere Spitzenpolitiker der Linken beteiligten. Das Erstaunliche daran: Vertreter verschiedener Flügel forderten eine Neuaufstellung, wenn auch erst nach der Thüringen-Wahl Ende Oktober.

So schrieb der Berliner Staatssekretär Alexander Fischer: „Schräges Bild. Aber ich bin unbedingt dafür, dass nach der Thüringenwahl alles auf den Prüfstand kommt, die Strategie, das Personal (zum „Oberdeck gehört auch die Bundestagsfraktion).“ Die Fraktionsspitze muss im Herbst neu gewählt werden, die Parteispitze regulär erst im nächsten Sommer.

Quelle       :          TAZ      >>>>>         weiterlesen

Linken-Parteichef über die Wahlschlappe

„Eine schwierige Phase“

DIE LINKE Bundesparteitag 10-11 Mai 2014 -110.jpg

Das Interview führte Patricia Hecht

Wie kam es zu dem Misserfolg im Osten für die Linke? Bernd Riexinger will neue WählerInnen suchen und setzt trotz allem auf die Wahl in Thüringen.

taz: Herr Riexinger, die Linkspartei hat in Sachsen und Brandenburg die schlechtesten Ergebnisse ihrer Geschichte erzielt. Ist sie als Ostpartei Geschichte?

Bernd Riexinger: Wir werden uns nicht mit diesem Ergebnis abfinden, wir haben in Thüringen Chancen, den Ministerpräsidenten zu verteidigen. Aber wir müssen realisieren, dass wir dringend neue Wählergruppen dazugewinnen müssen.

Weil Sie viele im Osten an die AfD verloren haben?

Das Wahlergebnis zeigt leider, dass wir in alle Richtungen verloren haben. Wir haben in Brandenburg deutlich mehr an die Grünen und die SPD als an die AfD verloren, in Sachsen an die CDU, an die AfD und an die Grünen. Das Bild ist bunt.

Trotzdem hat die AfD Ergebnisse, von denen Sie nur träumen können.

Mit der Wahl der AfD wollten die Leute den etablierten Parteien einen mitgeben. Zudem hat die AfD für sie eine Funktion: Manche wollen tatsächlich weniger Ausländer oder einen autoritären, nationalistischen Staat.

Wo sehen Sie die Gründe für Ihr eigenes Scheitern?

Wir sind zum einen taktischem Wählen zum Opfer gefallen. Diejenigen, die die AfD als stärkste Partei verhindern wollten, haben CDU oder SPD gewählt.

Damit schieben Sie die Verantwortung weg von der Linkspartei hin zu den WählerInnen.

Quelle       :         TAZ           >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben         —         Dr. André Hahn bei Wahlkampfauftakt der sächsischen LINKEN

Author dielinke_sachsen

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2. von Oben     —      Zwei Welten auf einen Foto

Vertreter der Partei Die Linke bei der Weltpremiere von Der junge Karl Marx bei der Berlinale 2017: v.l.n.r. Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Katja Kipping, Petra Pau und Kristian Ronneburg

Unten     —       Bundesparteitag DIE LINKE Mai 2014 in Berlin, Velodrom: Bernd Riexinger

Autor     —       Blömke/Kosinsky/Tschöpe

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Linke Wahlschlappe Osten

Erstellt von DL-Redaktion am 2. September 2019

Die Linke jetzt auch im Osten auf Westniveau

File:Hahn Wahlkampfauftakt, August 2009 - by Die Linke Sachsen.jpg

Das waren wohl Sätze mit XX

Von

Der große Verlierer bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg ist die Linke. Die Genossen sind im Osten nur noch eine Kleinpartei unter vielen – und damit mittendrin in der Identitätskrise.

Es ist ein großer Tag für die Genossen. Mehr als 23 Prozent in Sachsen, in Brandenburg sind es sogar 28 Prozent. Die Zahlen untermauern eindrucksvoll das Selbstverständnis. Im Osten wählt man links, im Osten ist man Volkspartei. Es ist der 19. September 2004.

In den 15 Jahren seither hat sich viel getan. Die Partei von damals heißt nicht mehr PDS, sondern Linke. Und von einem Sonderstatus in den neuen Bundesländern, das ist spätestens seit diesem Sonntag klar, kann kaum mehr eine Rede sein.

Die Linke ist im Osten abgestürzt. Schon bei der Bundestagswahl 2017 holten die Linken hier nur noch 17,3 Prozent – weit weniger als bei den vorangegangenen Abstimmungen. In Brandenburg und Sachsen kommen sie jetzt nur noch auf gut 10 Prozent. Die Genossen erreichen inzwischen Westniveau. Istzustand: eine kleine Partei von vielen. Eine Katastrophe für die Linken.

„Beispielloses Desaster“

Entsprechend groß ist der Schock. Dietmar Bartsch, Fraktionschef im Bundestag, meldet sich am Wahlabend via Twitter zu Wort. Seine Partei erlebe „ein beispielloses Desaster“. Außenpolitiker Stefan Liebich nennt das Ergebnis „eine schallende Ohrfeige“. Und die Parteilinke Sevim Dagdelen sieht die Genossen gar in einer „existenziellen Krise“.

Tatsächlich geht es längst um die Identität der Partei. Als Rechtsnachfolgerin der SED war es der PDS nach der Wende gelungen, enttäuschte Ostdeutsche hinter sich zu versammeln. In den neuen Bundesländern war die Partei bestens organisiert, hier traten die Genossen als Kümmerer auf und boten zugleich eine Projektionsfläche für Protest – egal ob man gerade selbst regierte oder nicht. Die Linke, das war eben die Partei des Ostens.

Doch diese Bindungskräfte sind schwach geworden. Stattdessen rächt sich nun offenbar, dass die Linken in den vergangenen Jahren eine Frage nie ausdiskutiert haben: Was ist die Partei eigentlich?

Anlaufstelle für die Wut der Abgehängten? Linksliberale Kraft? Pragmatische Regierungspartei? Sammelbecken für radikale Aktivisten? In der Partei tummeln sich inzwischen derart viele Grüppchen und Plattformen mit teilweise stark unterschiedlichen Kursvorstellungen zu Europa, in der Außenpolitik, in Demokratiefragen, dass man leicht den Überblick verlieren kann.

Quelle       :     Spiegel-online        >>>>>        weiterlesen

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Grafikquelle      :      Dr. André Hahn bei Wahlkampfauftakt der sächsischen LINKEN

Author dielinke_sachsen

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Mehrheit-Rechtspopulisten?

Erstellt von DL-Redaktion am 30. August 2019

Sachsen: CDU als Steigbügelhalter der AfD

File:AfD - Wahlplakat zur Europawahl 2019.jpg

Quelle        :       untergrund:blättle ch.

Von  Lena Spix / lcm

Sachsen. Allein das Wort löst bei vielen spätestens seit Chemnitz im August 2018 durch rechte Massendemonstrationen und Angriffe von Nazis ein Schaudern aus.

Das Bundesland ist als rechte Hochburg bekannt, rechte Angriffe und Naziansammlungen auf der Strasse gibt es nahezu alltäglich. Diese sächsischen Verhältnisse spiegeln sich auch in den Wahlprognosen für die kommende Landtagswahl am 1. September wieder. Mittlerweile gehen zwar einige Prognosen davon aus, dass die CDU mit etwa 30% mehr Stimmen als die AfD (24 %) gewinnen wird, wer allerdings glaubt, eine regierende CDU schützt vor dem Einfluss der Rechtspopulisten, liegt grundlegend falsch.

Das Vorhandensein rechter Einstellungen, Strukturen und demenstprechender Übergriffe ist natürlich kein auf Sachsen zu begrenzendes Phänomen. Deutschlandweit erstarken die Faschisten, wobei die Bundestagswahl 2017 zeigte, dass im Osten sehr viel mehr AfD gewählt wird als im Westen. Aber selbst für Ost-Verhältnisse stach die AfD mit 27% in Sachsen deutlich heraus. In keinem anderen Bundesland konnte die rassistische, neoliberale Partei so viele Stimmen erzielen.

Über die Gründe, warum der Osten generell eher rechts wählt, gibt es unterschiedliche Theorien. Übersehen werden kann aber nicht, dass dieses Gefälle etwas mit Vergangenheit und Gegenwart der Ost-West-Beziehungen zu tun hat. Vierzig Jahre unterschiedliche politische Systeme, eine Mauer und damit unterschiedlicher Zugang zu Ressourcen trennten die Bevölkerung beider Seiten voneinander. Nach Mauerfall und Wiedervereinigung gibt es zwar keine Mauer mehr aus Stein und Beton. Durch eine viel höhere Prekarisierung im Osten, welche sich zum Beispiel in niedrigeren Löhnen ausdrückt, und den deutlichen Unterschieden in Bundeswahlergebnissen zwischen Ost und West, scheint auch heute noch eine unsichtbare Mauer geblieben zu sein. Ob die Ossis sich abgehängt und alleine gelassen fühlen?

Wenn dem so wäre, könnte man hoffen, dass aufgrund der erhöhten Prekarisierung in Ostdeutschland ein verstärktes Klassenbewusstsein entsteht und gemeinsam versucht wird, nach oben zu treten. Dem scheint aber nicht so. Eher wird Flüchtlingen, als aus Ausländer gelesenen Menschen und Migrant*innen die Schuld an allem Übel gegeben. Die Frustration und die Wut der sächsischen Bevölkerung scheint sich wie in Chemnitz 2018 auf der Strasse oder bei den Bundestagswahlen mit einer Stimme für die AfD zu entladen.

In Zeiten, in denen die Unterschiede zwischen arm und reich gravierender werden, es aber gleichzeitig an Klassenbewusstsein fehlt, kassiert die AfD die Wahlstimmen. Verantwortlich ist dafür eben jene Regierungspartei, welche man nun wiederwählen soll, um angeblich die AfD zu schwächen: die CDU.

Diese regiert seit 30 Jahren in Sachsen. Die Folgen ihrer Herrschaft: im Vergleich zu anderen Bundesländern (Bayern mal ausgenommen) ist Sachsen Vorläufer für rechte autoritäre Entwicklungen. Das zeigen jüngste Ereignisse wie das verschärfte Polizeigesetz, die Schaffung eines eigenen Abschiebeknastes, Rechtsbeschneidungen für Geflüchtete, Repression gegen Linke oder auch ganz konkret die von krasser Bullengewalt begleitete Abschiebung am 09.07.2019 in Leipzig.

Obwohl die sächsische Polizei schon vor der neuen Gesetzeslage massive Befugnisse hatte, werden ihr mit den aktiuellen Verschärfung noch mehr Mittel in die Hand gegeben, Menschen zu kriminalisieren und gegen sie vorzugehen. Sondereinheiten der Polizei werden aufgerüstet, Videoüberwachung mit Gesichtserkennung ausgeweitet, massive Eingriffe in das Leben polizeilich ernannter Gefährder*innen werden möglich. Sachsen hat unter der CDU/SPD-Legislatur einen eigenen Abschiebeknast errichtet, womit sie dem Ruf der Strasse von Pegida und AfD, welche mehr Abschiebungen und die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl fordern, gefolgt sind.

Indem z.B. die Aufenthaltsdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen auf bis zu 2 Jahren erhöht wurde, wurden die Rechte von Geflüchteten massiv beschnitten. Es gab auch immer wieder Beispiele rechter Beamt*innen (sowohl Cops als auch Staatsbeamt*innen, z.B. im Justizvollzug), wobei sich die CDU immer wieder vor den Apparat stellte und ihn vor Kritik schützte. Linke werden mit Repression überzogen oder, wie in der Nacht vom 09.07-10.07.19, von den Cops zuerst bewusstlos geschlagen und dann einfach liegen gelassen. Um den Verfassungsschutz (VS) im Nacken zu haben reicht es in Sachsen schon, Lieder zu singen, die dem Freistaat nicht in den Sinn passen. So sind linke Bands mit zunehmender Repression konfrontiert, welche u.a. auf dem Bericht des VS-Sachsen fusst.

Sachsen unter schwarz-rot steuert jetzt schon einen autoritären rechten Kurs an, indem die Bevölkerung seit Jahren gegen Geflüchtete, Migrant*innen, Schwarze, als Ausländer gelesene Personen und Linke aufgehetzt und gleichzeitig der Polizeistaat ausgebaut wird. Wenn die AfD bei der Landtagswahl Erfolge erzielt, liegt das deswegen vor allem an der CDU. Unter ihrer Herrschaft wird das Land jetzt schon rechtskonservativ regiert, womit der Weg für die AfD geebnet wurde.

Eine Mehrheit für die Rechtspopulisten würde bedeuten, dass die AfD den Anspruch auf die Regierungsbildung und auf den Ministerpräsidenten reklamieren kann. Das ist aber derzeitig nicht abzusehen. Dahingegen steigen die Chancen für schwarz-blau, wenn die CDU stärkste Kraft wird.

Auch, wenn hochrangige CDU-Politiker*innen derzeit immer wieder betonen, dass eine Koalition mit der AfD für sie nicht in Frage käme, spricht ihre Politik in der Vergangenheit andere Worte. Aber auch unabhängig davon, ob die AfD Koalitionschancen hat, wäre eine hohe Anzahl an Sitzen der Partei im Landtag gefährlich.

Das zeigten schon die Ergebnisse der Kommunalwahlen im Mai 2019. Die AfD war neben der CDU meist zweitstärkste Partei, wenn nicht sogar, wie im Landkreis Bautzen und Görlitz, die stärkste. In den Stadt/Gemeinderäten und Kreistagen gibt es dementsprechend starke rechte Blöcke, welche u.a. über Jugend- und Kulturförderung, über Unterstützung von Geflüchteten oder Gleichstellung entscheiden. Das rechte Klima wird sich beim Erstarken der AfD weiter verhärten. Mit 25 % der Stimmen im Landtag kann die AfD ausserdem Untersuchungsausschüsse einsetzen und Organklagen anstrengen. Wie jetzt schon würde die CDU die Stichworte der AfD weiter aufnehmen und politisch umsetzen. Mit einfachen Worten: das Klima in Sachsen ist jetzt schon düster, die Zeiten nach der Wahl werden vermutlich noch bitterer werden. Wenn Sachsen eines zeigt, dann, dass rechte Verhältnisse nicht durch Parlamentarismus bekämpft werden können, im Gegenteil. Diese Regierung hat den Weg für die extreme Rechte frei gemacht.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Creative Commons Lizenz (CC).

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Grafikquellen     :

Oben     —         Wahlplakat der Partei Alternative für Deutschland (AfD) zur Europawahl 2019, aus der AfD-Serie Aus Europas Geschichte lernen, beschmiert von politischen Gegnern. Als Grundlage diente Pieter Bruegels Der Turmbau zu Babel, (Rotterdamer Variante). Gesehen in der Seestraße/Berlin-Wedding

Author Mutter Erde

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Unten          —         Via –   Wikimedia Commons  Twitter    GRÜNE Mittelsachsen

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Sachsentour mit Kipping

Erstellt von DL-Redaktion am 25. August 2019

Wenn man Zitronen reibt, darf man auch mal zuspitzen

DIE LINKE auf der Internationalen Grünen Woche 2012 (6764495511).jpg

Der Chefkoch in Aktion

Von Kersten Augustin und Paul Wrusch (Gespräch)

Die Linken-Chefin Katja Kipping kocht für die taz-WG in Dresden – Kippings Heimatort. Sie verrät ihre Lieblingsorte in Sachsen, welche Musik sie wann hört und woher die Wut vieler Sachsen kommt.

Dresden ist die letzte Station unserer Reise. Wir treffen uns in der taz-WG im Stadtteil Plauen. Pünktlich um 17 Uhr kommt Katja Kipping an. Wir haben sie zum Sachsen-Dinner in ihrer Heimatstadt eingeladen. Das Menü hat sie selbst vorgeschlagen: Griechischer Salat, Mohn-Zitronen-Pasta mit viel Parmesan, sächsische Eierkuchen nach dem Rezept ihrer Großmutter. Kipping hat uns eine Einkaufsliste geschickt. Nach einem kurzen Hallo legt sie gleich mit los. Sucht Brettchen und Messer in der ihr fremden Küche zusammen. „Wer will Zwiebeln schneiden?“ Ihr Pressesprecher opfert sich. Weitere Aufgaben werden verteilt. Direkt Weißweinschorle? „Erst mal Wasser bitte. Ich muss noch in den Flow kommen beim Kochen.“

taz am wochenende: Frau Kipping, warum haben Sie dieses Rezept ausgewählt?

Katja Kipping: Ich wollte etwas kochen, das ich gut kann. Die Zitronen-Mohn-Pasta kommt aus meinem Dresdner Freundeskreis. Mittlerweile hat es zwar alle irgendwie nach Berlin verschlagen, wir treffen uns aber regelmäßig zum Mädelsabend. Dass der Salat rot-rot-grün ist, ist eher Zufall. Mir schmeckt er, und er hat etwas heimeliges. Als ich klein war, gab es oft Tomate mit Ziegenkäse.

Und die Eierkuchen kommen von der Großmutter.

Ja, die war sehr sparsam, hat gegorene Milch statt Buttermilch verwendet. Ich nehme Buttermilch oder Kefir. Nach dem Abi war ich im Freiwilligendienst in Gatschina bei Sankt Petersburg. Dort gab es oft Bliny, die russische Variante. Auch sehr lecker.

Wie oft kommen Sie dazu, zu kochen?

Wenn es gut läuft, habe ich jedes zweite Wochenende frei. Dann kochen wir. Und wenn ich schreibe, ein Buch oder eine Flugschrift, dann mache ich Homeoffice und koche in der Mittagspause für mich, während nebenbei Serien laufen:. „Haus des Geldes“, „Good Girls“, „Big Bang Theory“…

Das Essen wirkt auf uns gerade nicht besonders sächsisch. Sie sind Vegetarierin, was isst man da in Sachsen?

Kartoffeln mit Kräuterquark und Leinöl? Ich esse ja Fisch, das ist eigentlich Tierrassismus. Als wir als Jugendliche beim Wahlkampf übers Land gefahren sind, haben die Genossen in den Kleinstädten uns gerne mit Bratwurst empfangen, aber viele von uns waren Vegetarier.

DIE LINKE Bundesparteitag 10. Mai 2014-53.jpg

Kipping hat auch beim Kochen kein Problem damit, Anweisungen zu geben. Manchmal klingt sie wie eine Fernsehköchin: „Bitte in sehr kleine Würfel, dann entfaltet sich das Aroma besser.“ Nach 30 Minuten zieht sie ihr langärmliges Shirt aus, wirft es aufs Sofa und widmet sich den Zitronen, die sie mit einem kleinen Löffel auspresst. Schnell bindet sie sich ein Küchenhandtuch vor die Hose.

Jetzt muss ich auch mal was fragen: Was haben Sie denn so erlebt auf Ihrer Tour durch Sachsen?

Wir waren beeindruckt von den jungen Aktiven und den alten Bürgerrechtlern, die in Plauen zusammen an einem Tisch sitzen.

Wenn du gegen Nazis bist in Plauen, das ist echt kein einfaches Leben. Ich war letztens zu Besuch dort, da kam ein Bürgerrechtler auf mich zu. Der wusste schon, was ihn in der Vergangenheit von uns getrennt hat – aber auch, warum er jetzt mit der Linken zusammenarbeitet.

Was uns auch aufgefallen ist: Wir waren sehr beeindruckt, wie schön saniert die Städte waren …

… die Marktplätze, klar, da hat sich viel getan.

Aber nur weil die Straßen schön sind, gibt es nicht unbedingt einen Bus, der darauf fährt.

Je idyllischer die Landschaft, umso schlechter die Stimmung, hat eine Genossin vor Kurzem gesagt. Man kann mit dem Abgehängtsein unterschiedlich umgehen. Ich war letztens in einem Dorf in Brandenburg, da wohnen keine 100 Einwohner. Einer hat da gerade in einer Trafostation die kleinste Galerie der Welt gebaut und lädt zu Vernissagen ein … Will mal jemand den Salat verkosten, die wirklich wichtigen Dinge hier!

Schmeckt sehr gut.

Und jetzt: Food-Fotografie. Kipping posiert mit dem fertigen Salat. „Machen wir mal Pause für Instagram und Twitter, räumen den Tisch ab und trinken Alkohol, oder?“, sagt sie und lässt sich dann die erste Weißweinschorle einschenken.

Wir haben für das Essen 15 Euro pro Person ausgegeben, inklusive Weißwein. Ist das viel?

Klar, für jemanden, der auf Hartz IV angewiesen ist, ist das knapp. Paprika ist teuer, Parmesan auch, der Mohn geht. Gut, ihr habt euch für Wein entschieden, der teuer ist. Ich habe mit Leuten zusammengewohnt, die waren auf Hartz IV angewiesen und haben trotzdem im Bioladen eingekauft, weil ihnen gesundes Essen wichtig war. Wir kämpfen ja dafür, dass sich jeder gutes Essen leisten kann. Teilen wir uns eigentlich rein in den Einkauf?

Der geht auf uns. Wie war das früher in Ihrer WG?

Da hatte jeder für seinen Alltag seines eingekauft, und wir konnten uns beim Essen der anderen bedienen. Oft gab es nur eine Butterdose im Kühlschrank. Und wenn die Butter alle war, hat irgendjemand neue gekauft. In meiner alten Studi-WG in Dresden waren wir zu fünft. Ich habe immer mit Leuten zusammengewohnt, bei denen ich wusste: Wenn ich Party mache, steht das am nächsten Tag nicht in der Presse.

Sie wohnen jetzt mit Ihrer Familie in Berlin, hatten bis vor Kurzem aber noch ein WG-Zimmer hier.

Ja, aber der Vermieter hat Ärger gemacht bei Untervermietung, so mussten wir die WG kündigen, als Mitbewohnerinnen mit ihrer Familie zusammenzogen. Als ich auszog, stand ich auf der Straße und habe auf meinem Handy „Those were the days, my friend“ abgespielt.

Sie haben mal gesagt: Am liebsten würden Sie Ihren Lebensmittelpunkt in Dresden haben.

Ja. Wenn ich auf den Elbwiesen bin oder mit dem Fahrrad durch Dresden fahre, denke ich: So was hat Berlin nicht. Aber hier gibt es auch Pro­ble­me, zum Beispiel einige Schulleitungen, die Pegida nahestehen.

Es scheint auch noch Menschen zu geben – welche mit einen Rührlöffel arbeiten können und wollen ?

Aber eine Studie hat gerade gezeigt, dass das Bildungssystem in Sachsen das beste in Deutschland ist.

Die kam von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, dem Zentralorgan des Kapitals … Wenn man Zitronen reibt, darf man auch mal zuspitzen.

Dann spitzen Sie doch mal zu: Wie sind die Sachsen?

Ganz einfach: So verschieden wie die Bayern.

Aber es gibt auch Vorurteile, die stimmen.

Wenn Dresdner jemanden treffen, der nicht aus ihrer Stadt kommt, dann fragen die nicht offen: „Wie findest du Dresden?“, sondern: „Schön in Dresden, ne?“ In einem Theaterstück von Volker Lösch sagt der Bürgerchor über Dresden: „Selbst die Ruinen sind hier schöner.“ Das trifft den Stolz der Dresdne­r*in­nen auf ihre Stadt.

So schauts aus in Silwingen ?

Der sächsische Dialekt gilt aber als nicht so schön.

Da machen sich ja gerne alle drüber lustig. Letzten Montag wurde ich gleich auf den neuen „Tatort“ aus Dresden angesprochen: „Die Schauspieler machen einen auf sächsisch, können aber nicht mal den Dialekt.“

Haben Sie sich den sächsischen Dia­lekt abtrainiert?

Nein, nur so klassische Aussprache­fehler.

„So, wollen wir jetzt schon Salat essen? Oder zusammen mit dem Hauptgang?“, fragt Kipping. Uneinigkeit in der Küche. „Wir können ein Los ziehen oder gute Argumente austauschen.“ Die Politikerin ist stets um Ausgleich bemüht. Ergebnis, leichte Mehrheit für: jetzt essen. Kipping verteilt Salat in tiefe Teller und Schüsseln.

Wollen wir Musik hören? Roland Kaiser mit „Schachmatt“, dazu haben Sie früher auf Wahlkampftour durch Sachsen auf dem VW-Bulli getanzt.

Wir haben eher Rosenstolz gehört. Aber wollen wir nicht lieber Keimzeit hören?

Warum Keimzeit?

Ich war ein Fan. Als Jugendliche bin ich mal mit einer Freundin getrampt, mit dem Diktiergerät der Schülerzeitung im Gepäck, um mit der Band zu sprechen.

Sie waren früher viel mit dem Bulli in Sachsen unterwegs. Wo ist es am schönsten?

Ich mag besonders Oybin und Jonsdorf, bei Zittau. Da war ich als Kind sehr oft wandern. Und dort, wo früher Kohleabbau war, sind heute tolle Seen.

Als Jugendliche waren Sie im Umweltzentrum „Brennnessel“ aktiv. Hätten Sie auch bei den Grünen landen können?

Nein, wer damals links war, der ist zur PDS gegangen. Die führende Kraft für eine ökologische Verkehrspolitik in Dresden war und ist meine Partei.

Sie stiegen schnell auf, wurden mit 21 jüngste Landtagsabgeordnete in Sachsen und wurden häufig als Jeanne d’Arc der Linken bezeichnet, als „jung und schön und klug“.

Und heute nur noch klug? Die Artikel von damals sagen weniger über mich als über das Bild von Frauen in der Politik. Das würde heute kaum mehr funktionieren, da hat es einen Fortschritt gegeben. Auch wenn der Hass gegen Frauen auch ein Teil des Erfolgs der Rechten ist.

Fast zwei Stunden sitzen wir in der Küche in Dresden-Plauen. Zeit für eine Raucherpause. Kipping raucht nur vor und nach Talkshows, „ein Ritual“, sagt sie, und in Gesellschaft zum Wein. Sie kommt mit runter, lässt sich eine Zigarette drehen. Zurück in der Küche stürmt sie sofort wieder an den Herd, sucht Töpfe für die Nudeln, eine Pfanne für die Soße, kämpft mit dem Herd. Kipping brät die Zwiebeln an und gibt Mohn und Zitronenschale dazu, dann kommt Sojasahne darauf. „Oh, die Sauce ist ganz schön suppig.“ Jetzt muss sie zum ersten Mal improvisieren. „Habt ihr noch Frischkäse im Kühlschrank. Bei euch ist niemand Veganer, oder?“

Was sollen wir jetzt hören? Doch mal Roland Kaiser?

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Oben       —     Unter dem Motto »Was is(s)t gesund?« präsentiert sich die Bundestagsfraktion vom 20. bis 29. Januar auf der weltgrößten Messe für Ernährung und Landwirtschaft am Berliner Funkturm.

  • CC BY-SA 3.0 deview terms
  • File:DIE LINKE Bundesparteitag 10. Mai 2014-53.jpg
  • Created: 2014-05-10 14:40:39

 

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3.) von Oben    —      Der Rechte Flügel ? Blogsport  / Ein ganzes Leben wie Göttin und Gott in Frankreich  – andere Arbeiten lassen !

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Unten       —      Fischbüfett

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Nach dem Totschlag-Urteil

Erstellt von DL-Redaktion am 23. August 2019

Keine Ruhe für Chemnitz

Von Konrad Litschko

Trotz dünner Beweislage wird der Angeklagte zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Die Verteidiger kritisieren die sächsische Justiz scharf.

Am Mittag unternimmt Alaa S. einen letzten Versuch. Er bricht sein Schweigen. „Ich kann nur hoffen, dass hier die Wahrheit ans Licht gebracht wird“, sagt der junge Syrer in den letzten Worten vor dem Urteil. „Ich hoffe auf ein gerechtes Urteil.“ Er wolle nicht „das zweite Opfer des eigentlichen Täters sein müssen“. Das erste Opfer, das sei Daniel H. gewesen. Das zweite Opfer aber, das drohe nun er zu werden.

Alaa S. hatte es schon vor den Ermittlern beteuert, bevor er seitdem schwieg: Er sei unschuldig, der falsche Angeklagte. Auch am Donnerstag kommt der 24-Jährige selbstbewusst ins Gericht; hellbeiges Jackett, weißes Hemd, die Haare sorgsam gegelt, der Bart gestutzt. Er wirkt angespannt, aber Alaa S. versteckt sein Gesicht nicht vor den Kameras, er tat es nie in diesem Prozess. Auch das soll wohl das Bild vermitteln: Hier steht ein Unschuldiger.

Aber das Chemnitzer Landgericht kommt an diesem Nachmittag zu einem anderen Schluss: Alaa S. sei sehr wohl schuldig, mit einem Komplizen Ende August 2018 in Chemnitz den 35-jährigen Daniel H. erstochen zu haben. Einem weiteren Mann, Dimitri M., habe er mit dem Messer in den Rücken gestochen. Ein gemeinschaftlicher Totschlag und eine gefährliche Körperverletzung – neuneinhalb Jahre Haft. „Es gibt keinen Zweifel an der Schuld des Angeklagten“, sagt Richterin Simone Herberger.

Das, was hier vor Gericht verhandelt wurde, war Auslöser für Vorgänge, die vor fast genau einem Jahr über Wochen die ganze Republik aufwühlten. In der Nacht auf den 26. August klang in Chemnitz das Stadtfest aus – am Ende lag ein Mensch tot auf dem Bürgersteig: Daniel H., 35 Jahre, Tischler, gebürtiger Chemnitzer. Getötet mit fünf Messerstichen. Die Tatverdächtigen: zwei Geflüchtete. Einer von ihnen ist Alaa S.

Richterbund verwahrt sich gegen Einflussnahme

Was nun in Chemnitz einsetzte, war eine beispiellose Welle an rechten Demonstrationen. Neonazis aus der ganzen Republik reisten an, die AfD auch. Hitlergrüße wurden gezeigt, Migranten wurden attackiert, auch ein jüdisches und persisches Restaurant. Ein Ausnahmezustand, der eine Debatte entfachte, die Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen sein Amt kostete und für schärfere Abschiebegesetze sorgte.

Seit März nun wurde vor dem Landgericht über die Tat verhandelt, mit der alles begann. Aus Sicherheitsgründen wurde nicht in Chemnitz verhandelt, sondern in Dresden, in einem Hochsicherheitssaal am Stadtrand – die Verteidiger wollten überhaupt nicht in Sachsen verhandeln. Noch vor Prozessbeginn sagte die Chemnitzer SPD-Bürgermeisterin Barbara Ludwig der taz, sie hoffe auf eine Verurteilung, damit die Angehörigen „Ruhe finden“. Ein Freispruch wäre „schwierig“ für Chemnitz. Der Richterbund verwahrte sich gegen eine Einflussnahme auf die Justiz. Die Verteidiger wiederum forderten gleich zu Prozessstart, die Richter müssten offenlegen, ob sie nicht selbst rechtes Gedankengut teilten – man wisse ja nie in Sachsen. Die Anträge scheiterten. Aber all das legte offen, wie viel Druck auf diesem Verfahren lastete.

Aus Sicht des Gerichts war Daniel H. in der August-Nacht mit Freunden unterwegs, dann traf er gegen 3 Uhr auf den Iraker Farhad R. Der sei vorher schon als aggressiv aufgefallen, nun soll er Daniel H. nach einer „Karte“ gefragt haben, offenbar um damit Kokain zu schnupfen. H. habe ihn abgewiesen, es kam zum Handgemenge. Nun sei auch Alaa S. aus einem nahe gelegenen Döner-Imbiss herausgestürmt, ist Richterin Herberger überzeugt. Er habe kurz mit Farhad R. gesprochen, dann sei er mit einem Messer auf den Chemnitzer losgegangen. Ein Stich traf dessen Herz, einer die Lunge. Daniel H. starb noch vor Ort.

Das Problem nur: Farhad R. ist bis heute flüchtig. Und gegen Alaa S. blieb die Beweislage bis zum Schluss dünn. DNA-Spuren von ihm am Tatmesser oder der Kleidung von Daniel H. gab es nicht. Im Grunde fußte die Anklage auf den Aussagen eines Verkäufers aus dem Döner-Imbiss, der gesehen haben will, wie Alaa S. Stichbewegungen gegen Daniel H. ausführte. Vor Gericht äußerte sich der Mann indes nicht mehr so deutlich, sprach nun von Schlagbewegungen. Auch andere Zeugen berichteten nur, dass Alaa S. im Getümmel dabei gewesen sei. Aber Messerstiche von ihm? Das konnte niemand so direkt sagen.

Die Anklage ergehe sich in „Missinterpretationen“

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Oben      —          Karl Marx monument („Nischel“)

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Sachsen einmal ganz anders

Erstellt von DL-Redaktion am 22. August 2019

Der eigene Weg

Von Sabine Seifert

Nebelschütz, sagt der Dorf­-Bürgermeister, war früher ganz besonders hässlich. Wie es eine Gemeinde geschafft hat, zum Vorzeigeort zu werden.

Es ist Hochsommer, und kein Nebel wird heute den kleinen Ort in der Hügellandschaft zwischen den Feldern verschwinden lassen. Weiß-orange gestrichen, strahlt die barocke Kirche am Hang in der Morgensonne, vergoldete Kruzifixe auf steinernen Säulen stehen an der Dorfstraße.

Nebelschütz (Njebjelčicy) in der Oberlausitz, Sachsen, zwischen Kamenz und Bautzen gelegen, ist sorbisches Siedlungsgebiet und schwer katholisch. In den fast 30 Jahren seit der Wende hat der Ort der Abwanderung und dem wirtschaftlichen Niedergang getrotzt. Hier gibt es solidarische Landwirtschaft, Ökokonto, Hofladen, eine Sozialwerkstatt, einen ökologischen Baustoffhof, drei Biobauern.

Ein Modell- oder Museumsdorf ist Nebelschütz aber auch wieder nicht. Kein Ort, in den am Wochenende die Städter einfallen, keine hippen Cafés, keine Wochenendhäuser, sondern stille Provinz, wo die Pilger auf dem sächsischen Teil des Jakobsweg in der Wanderherberge absteigen.

Wer hier eine Wohnung mieten oder Land erwerben will, kommt auf eine Warteliste. Wer hier mobil telefonieren will, verflucht das Funkloch. Die ehemalige Gastwirtschaft des Ortes ist eine Pension und öffnet ihren Festsaal nur für gebuchte Festivitäten. Es ist verdammt ruhig in Nebelschütz. Seit den neunziger Jahren leben wieder zwei Storchenpaare im Ort.

Keine Idylle, aber ein Dorf mit Zukunft

Nebelschütz ist keine Idylle, aber ein Ort mit Zukunft. Schon früh hat die Gemeinde den Ankauf von Grund- und Flurstücken betrieben. Veranstaltet Pflanzentauschbörsen, treibt den ökologischen Umbau des Dorfes voran. Was hat Nebelschütz, was andere Dörfer nicht haben? Gibt es ein Erfolgkonzept? „Man braucht nicht unbedingt viel Geld“, sagt Thomas Zschornak, Bürgermeister des Orts. „Man muss kreativ sein.“ Vieles sei bei ihm „Bauchgefühl“ gewesen. Wichtig ist ihm: „Wir hatten Beratung.“

Zschornak trägt großen Anteil daran, dass die Gemeinde Nebelschütz heute wieder ein „enkeltauglicher“ Ort ist, wie er es nennt. „Wir waren zu DDR-Zeiten wirklich ein hässliches Dorf“, sagt er. „Die Lebensqualität war katastrophal: Es gab nicht eine gute Straße, keine Wasserleitung, überall Baustellen.“ Rundherum LPGs.

Daraus sind heute Agrargroßbetriebe geworden. Auf etwa 1:10 schätzt Zschornak das Verhältnis von ökologischer und industrieller Landwirtschaft. Das soll sich ändern, die Gemeinde verpachtet gezielt Land an Biobauern. Ihre Höfe befinden sich nicht in Nebelschütz selbst, sondern in einem Nachbardorf, das zur Gemeinde gehört. Die besteht insgesamt aus fünf Dörfern, 1.200 Menschen leben hier. In Nebelschütz selbst sind es 420.

„Das Wichtigste ist, Eigenverantwortung zu übernehmen“, sagt Zschornak. Das Wort fällt oft im Gespräch. „Und man braucht Zeit. Das muss von unten wachsen. Deswegen kommt der Strukturwandel jetzt für viele zu schnell.“ In Nebelschütz wächst es von unten seit 1990, seither ist Zschornak hier nämlich Bürgermeister. Heute ist der Diplomverwaltungswirt 55 Jahre alt, mittelgroß, die grauen Haare trägt er kurz. Noch zu DDR-Zeiten gründete Zschornak eine Bürgerinitiative, die sich gegen die Berieselung der Felder mit Gülle und gegen Massentierhaltung aussprach. Mit Protesten gegen eine Mülldeponie ging es – erfolgreich – nach der Wende weiter.

„Ich musste mich immer einmischen“, sagt Zschornak. Zunächst mischte er mit im Neuen Forum Bautzen, damals im März 1990. Bei den ersten freien Wahlen in der Noch-DDR kandidierte er als Gemeinderat und wurde daraufhin prompt zum Bürgermeister gewählt. Nun ist er in seiner fünften Amtszeit, drei Jahre bleiben noch, danach will er nicht mehr antreten.

Thomas Zschornak ist CDU-Mitglied, auch das seit fast 30 Jahren. „Damals war ich von der CDU überzeugt“, sagt er. Es klingt, als wäre er heute nicht mehr so ganz überzeugt. „Der Staat entfernt sich mehr und mehr von den Bürgern und den Dörfern“, sagt er. Zschornak hat seine Aktivitäten vom Kreistag auf den Serbskij Sejm verlagert, das sorbische Parlament, das sich im November 2018 in Nebelschütz gegründet hat. Dessen 24 Abgeordnete hoffen auf mehr öffentliche Wahrnehmung, Mitsprache und Autonomie zum Beispiel im Bildungswesen. Und manche träumen von einer Minderheitenpartei, die, ähnlich wie die dänische in Schleswig-Holstein, von der Aufhebung der Fünf-Prozent-Klausel profitieren könnte.

Auch Zschornak switcht, wenn er in Nebelschütz unterwegs ist, selbstverständlich zwischen dem Deutschen und dem Sorbischen hin und her, einer westslawischen Sprache, die noch etwa 20.000 Menschen aktiv beherrschen. Die Kindertagesstätte ist deutsch-sorbisch, das Projekt einer freien Schule ist in Planung. Doch nur eine alte Nebelschützerin trägt noch Tracht, erzählt Zschornak.

Ein „steinreicher“ Ort

Die Besucherin aus Berlin holt der Bürgermeister im fünf Kilometer entfernten Kamenz am Bahnhof ab. Noch bevor es in den Ort geht, biegt Zschornaks Wagen zum Miltitzer Steinbruch ab – hier wurde bis zum Jahr 2000 Granit abgebaut. Nach der Schließung erwarb die Gemeinde den Steinbruch, die Grube lief im Lauf der Zeit mit Wasser voll, inzwischen ist der See 19 Meter tief. „Wir sind steinreich“, scherzt Zschornak und zeigt auf kleine und große Skulpturen aus Granit, Holz und Metall, die den See und seine Umgebung säumen.

Quelle        :       TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben        —          Nebelschütz, Luftaufnahme (2017)

Unten       —   Nebelschütz – Hauptstraße und Pfarrkirche

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Anti-Atom-Sommercamp 19

Erstellt von DL-Redaktion am 8. August 2019

Atomare Propaganda wird das Problem des Klimawandels nicht lösen

Aktionstag des Internationalen AntiAtomSommercamp in Döbeln.

Aktionstag des Internationalen Anti-Atom-Sommercamp in Döbeln. / zVg

Quelle        :   untergrund-blättle ch.

Von pm

Internationales Anti-Atom-Sommercamp 2019. Während die Augen der Welt auf die Klimakrise gerichtet sind, versucht die Atomindustrie, den Menschen zu vermitteln, dass sie die beste Lösung dafür hat.

Als Reaktion auf diese Art von Propaganda und anderen Mythen über Atomenergie wird in Döbeln, Mittelsachsen, das Internationale Anti-Atom-Sommercamp 2019 organisiert. Die Veranstaltung, die vom 12.-18. August stattfindet, versammelt Aktivist*innen und Organisator*innen aus der ganzen Welt.

Das Gathering, das von Aktivist*innen aus acht Ländern in Europa, Asien und Nordamerika organisiert wird, die über die die internationale Plattform Nuclear Heritage Network verbunden sind, bietet für die Teilnehmenden eine großartige Gelegenheit, an Vorträgen, Workshops und Diskussionen zur Atomenergie teilzunehmen.

Renommierte Expert*innen auf diesem Gebiet werden Themen vorstellen wie: Atomkraft und Klimawandel, die Auswirkungen von Fukushima und Tschernobyl, gesundheitliche Auswirkungen von radioaktiver Emissionen, Atommüll und Probleme mit Leckagen, Uranabbau und viele andere.

Die Teilnehmenden werden auch ihre Erfahrungen untereinander austauschen und über irreführende Informationen über Atomkraftinvestitionen der Regierungen und die Verfolgung von Anti-Atom-Initiativen sprechen. Das Problem ist besonders drastisch in Ländern mit Demokratiedefiziten. Das Camp bietet eine seltene Gelegenheit, direkt mit politischen Aktivist*innen und Expert*innen aus vielen Ländern zu sprechen.

Alle, die interessiert sind an dieser außergewöhnlichen internationalen Anti-Atom-Veranstaltung teilzunehmen, sollten sich via E-Mail an camp2019@nuclear-heritage.net anmelden. Informationen über das Programm und die Zusammensetzung der Teilnehmenden sind auf der Website des Camps zu finden: http://camp2019.nuclearheritage.net

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Creative Commons Lizenz (CC)

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Grafikquelle      :

untergrundblättle — Bild: Aktionstag des Internationalen Anti-Atom-Sommercamp in Döbeln. / zVg

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Schweinefleisch ab 16 Uhr

Erstellt von DL-Redaktion am 25. Juli 2019

Ortstermin in Leipziger Kita

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Non Linda Peikert

Eine Kita in der Leipziger Südvorstadt gerät durch einen „Bild“-Titel in die Schlagzeilen. Alles wegen ein paar Gummibärchen und Landtagswahlen.

Beim Essen geht es nicht um die reine Nahrungsaufnahme, Essen ist Ausdruck des eigenen Lifestyles oder politisches Statement: Leute essen vegetarisch, vegan, paleo, glutenfrei oder eben Schweineschnitzel. Auch der Verzicht auf gewisse Lebensmittel aus religiösen Gründen ist verbreitet. Wenn es in Kitas ausschließlich Leberwurstschnittchen gibt, können manche Kinder nur trockenes Brot essen.

Deshalb hatten zwei Kitas in der Leipziger Südvorstadt angekündigt, Schweinefleisch aus Rücksicht auf zwei muslimische Kinder vom Speiseplan zu streichen. Nachdem Bild daraus eine Seite-eins-Story machte, wurde die Kita am Dienstag belagert, die Polizei platzierte eine Streife, um aufgewiegelte Schweinefleischverteidiger auf Abstand zu halten.

Im Netz wurde das Thema wie gern im Sommer heiß diskutiert, am Dienstag war Schweinefleisch Hashtag-Trend bei Twitter. CSU-Politiker Alexander Dobrindt etwa twitterte: „Wer Gummibärchen als Integrationshindernis sieht, dem ist der kulturelle Kompass verrutscht.“ Das klingt, als dürften die Kinder nie wieder Gummibärchen essen. Dabei geht es lediglich um die Stunden, die sie in der Kita verbringen. Die Mutter eines Kita­kindes in Bringhektik bringt es an diesem Mittwochmorgen auf den Punkt: „Unser Kind isst gerne Fleisch und Gummibärchen, aber das kann auch nach 16 Uhr gegessen werden.“

Vom gestrigen Trubel ist nichts übriggeblieben, Teile der Elternschaft sind vom Interesse der Öffentlichkeit auch durchaus genervt, andere sehen Potenzial in der Debatte: „Der Diskurs wirft Fragen auf: Wie viel Fleischkonsum muss vor dem ökologischen Hintergrund überhaupt sein?“, fragt eine andere Mutter, die ihr Kind gerade abgegeben hat und schnell aufs Fahrrad steigt.

French and German Gummy bears.JPG

Die Leipziger Südvorstadt ist ein hippes Viertel. Einige der Eltern fänden den Verzicht auf Schweinefleisch im Grundsatz richtig, sagt die Mutter. Vor allem sei es wichtig, keine Kinder auszuschließen.Die Wissenschaft hat sie da auf ihrer Seite: Das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Bochum empfiehlt drei bis vier fleisch- oder wursthaltige Mahlzeiten für Kinder pro Woche.

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Oben      —      Karl-Heine-Str. 95, Leipzig, LIS Early Childhood Centre/Photo: Peter Usbeck

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In Sachsen unter Leuten

Erstellt von DL-Redaktion am 24. Juli 2019

Juliane Nagel ist für Rechte und Sachsens CDU ein rotes Tuch

2016-12-16 Juliane Nagel (Landtagsprojekt Sachsen) by Sandro Halank.jpg

Der sichtbare Unterschied zwischen weglaufen ins Saarland und Verantwortung übernehmnen ?

Von Linda Peiker

Seit 2014 gibt es einen dunkelroten Fleck in der schwarzen Politiklandschaft Sachsens: Das Direktmandat für den Wahlkreis Leipzig-Connewitz konnte die Kandidatin der Linkspartei, ­Juliane Nagel, gewinnen. Bei der Kommunalwahl im Mai bekam sie in Leipzig mit großem Abstand das beste Ergebnis aller zur Kommunalwahl angetretenen 649 Kandidaten.

Für die CDU gilt sie als Anführerin der Autonomen, der CDUler Robert Clemen, dem sie 2014 den Landtags-Wahlkreis abgeknöpft hatte, nannte sie nur „Chaos-Jule“ und fürchtete, sie könne die Leipziger Stadtteile Connewitz und Südvorstadt zur „Autonomenrepublik umgestalten“.

„Ist diese Frau wirklich so gefährlich?“. bangte daraufhin die Zeit und „Who’s afraid of Jule Nagel?“, dichtete der Bayrische Rundfunk.

Bislang ist der Umbau zur Autonomenrepublik nicht sonderlich weit vorangeschritten, allerdings gehört ziviler Ungehorsam, wie etwa Sitzblockaden, zu Nagels Stil, Politik zu machen. So versucht sie etwa die Märsche des Leipziger Pegida-Ablegers Legida zu verhindern. Und auch als Anfang Juli in Leipzig Hunderte Menschen die Abschiebung eines kurdischen Syrers verhindert wollten und die Polizei mit Gewalt gegen sie vorging, war Nagel am Start. „Abschiebungen sind die eigentliche Gewalt!“, twitterte sie.

Als Anfang Mai die Nazipartei Dritter Weg in Plauen marschierte, war Nagel vor Ort, natürlich, und sprach von „einem Auftritt in NS-Reinform“. Die Neonazis seien „quasi in Uniform“ marschiert, hätten in Reden Migranten und Politiker bedroht. „Das hätte verhindert werden müssen“, so Nagel.

Nachdem Unbekannte im Mai einen Polizeiposten in der Connewitzer Biedermannstraße mit Steinen und Farbbomben angegriffen hatten, twitterte Nagel ein Foto von einer Plakatwand mit einem kleinen, roten Aufkleber: „Widerstand, Bambule, wählt die Jule“, und kommentierte: „Lieblingsplakat“. Das Social-Media-Team der Polizei fand das „kontraproduktiv“.

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Juliane Nagel (Die Linke)

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In Putins Paradies

Erstellt von DL-Redaktion am 12. Juni 2019

talk of the town – Petersburg

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Von DanielSchulz

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) fordert, die Sanktionen gegen Russland zu lockern. Warum das feige, verlogen und chauvinistisch ist, lesen Sie hier.

er Deutsche sagt anderen gern, was sie tun sollen. Und die mögen das nicht so. Zum Glück gibt es die Europäische Union, denn nur so konnten die Deutschen während der Finanzkrise in Griechenland einreiten und den Menschen beibringen, ihren Rentnern das Geld wegzunehmen. Natürlich nicht ohne vernünftigen Grund – Sparpolitik! –, denn der Deutsche tut anderen zwar gerne etwas an, aber es muss vernünftig sein.

Diese Haltung, dass ein Volk wie ein Vater über den anderen steht, die haben sich die Deutschen über die Jahrhunderte angewöhnt, in denen sie in sogenannten Reichen lebten, Heiliges Römisches Reich, Kaiserreich, Tausendjä…nun ja, Sie wissen, was ich meine. Kern der Idee eines Reiches ist es, dass ein Volk väterlich über die anderen im Reiche wacht, wenn es vernünftige Gründe gibt, auch mal mit Schlägen. Das Reich ist quasi die Fortsetzung des patriarchalen Haushalts mit internationalen Mitteln.

Dieses imperiale Mindset macht vielen Deutschen Russland so sympathisch, beziehungsweise nicht wirklich Russland, denn es interessiert sie nullkommaniente warum Tausende Menschen in Jekaterinburg gegen den Bau einer Kirche protestieren und sich dafür von Polizisten zusammenschlagen lassen. Nein, sie finden den russischen Präsidenten Wladimir Putin super mitsamt seiner Idee einer Russki Mir, einer russischen Welt also, in der andere Völker durchaus existieren dürfen, so lange sie sich ab und an einen mit väterlicher Vernunft verabreichten Arschvoll abholen. Es wäre doch allzu unübersichtlich, wenn plötzlich zum Beispiel die Ukrainer*innen anfangen wollten, eigenständig über ihr Land zu bestimmen. Als sie es doch versuchten, kam der Klapps aus Moskau – Annexion der Krim, russische Soldaten im ukrainischen Donbass.

2018-01-12 Pressetermin mit Ministerpräsident Michael Kretschmer by Sandro Halank–21.jpg

Die Sanktionen der EU gegen russische Personen, Unternehmen und Institutionen haben unter anderem das Ziel, Russland endlich dafür zu interessieren, das Abkommen von Minsk mit umzusetzen. Das soll den Krieg im ostukrainischen Donbass eindämmen und eines Tages freie Wahlen in dem Gebiet ermöglichen. Außerdem soll es Russland ermuntern, die Krim an die Ukraine zurückzugeben. Dafür sind die Sanktionen allerdings zu löchrig und wie in der Vergangenheit schon öfter gezeigt, leicht zu umgehen (googeln Sie Siemens, Turbinen, Krim). Es ließe sich also darüber reden, ob die Sanktionen nicht viel zu lasch sind, angesichts von über 10.000 Toten in der Ostukraine, aber diese Diskussion wird in Deutschland nicht geführt. Statt dessen fordern ostdeutsche Politiker*innen wie aktuell Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) immer mal wieder ein Ende der Sanktionen

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Oben       —              Владимир Путин выступил на пленарном заседании Петербургского международного экономического форума

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Das Dreiländereck Zittau

Erstellt von DL-Redaktion am 22. Mai 2019

Ein Fluss, drei Fahnen, eine Region

Zittau Panorama.jpg

Aus Hrádek nad Nisou und Zittau Thomas Gerlach

Das Dreiländereck bei Zittau ist das Herz Europas, es kommt nur auf die Perspektive an. Bürgermeister Thomas Zenker will seine Stadt zur Kulturhauptstadt Europas machen.

Thomas Zenker stapft mit festen Schritten auf den Kristýna-See zu. Hemd, Weste, Sonnenbrille – eine Mischung aus Sonnyboy und Amtsperson kommt da gelaufen, Tüte in der Hand. „Ich habe ein Wechselhemd eingesteckt“, sagt der Oberbürgermeister von Zittau, „ein Handtuch auch.“ Zwei Staatsgrenzen hat er auf dem kurzen Weg hierher überquert. Zwischen den Hunderten Ausflüglern, die am Strand spazieren, wirkt er selbst, als hätte er Urlaub. Doch Zenker hat in Hrádek nad Nisou einen Auftritt. Die Sonne gleißt, aber ein kalter Wind bläst von den Bergen herüber und peitscht den See auf. Acht Grad im Wasser, 16 in der Luft, an Baden ist nicht zu denken.

Von wegen! Hrádeks Bürgermeister Josef Horinka hat sich bereits freigemacht und präsentiert seinen EU-blauen Schwimmanzug, darüber Schlips und Jackett. Und auch Zenker hat die Weste abgelegt. „Ahoj!“, das tschechische Hallo, ist immer wieder zu hören. Wenig später werfen sich die Oberhäupter in die Wellen. Was folgt ist ein karnevalistischer Kampf gegen einen widerspenstigen Wassergeist, der unter Beifall einen Schlüssel herausrücken muss. Horinka taucht das erbeutete Stück in das Nass, einmal umdrehen – schon ist die Badesaison am Kristýna-See, einem ehemaligen Tagebau, eröffnet.

Es ist der 8. Mai, „Tag der Befreiung“, in Tschechien ein Feiertag. Große Reden hält hier keiner, stattdessen gibt’s Musik. Nichts Patriotisches, eine Combo aus älteren Herren spielt „Heart of Gold“ in der tschechischen Version. 74 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges treffen sich zwei Bürgermeister, um 1970 geboren, über Grenzen hinweg zum Planschen. Die europäische Avantgarde wohnt in der Provinz und ist sich für keinen Scherz zu schade. Für übermütige Visionen aber auch nicht.

Thomas Zenker will im Dreiländereck einen Markstein setzen, so auffällig wie der Fernsehturm auf dem Jested im benachbarten Liberec, der zwischen Bergkuppen hervorlugt. Der Turm ist eine Mischung aus Rakete und Antenne und glüht so silbern, als wolle er zu einer Mission abheben. Zenker will Zittau mit seinen 25.000 Einwohnern 2025 zur Kulturhauptstadt Europas machen. Eine Kleinstadt fernab vom Schuss als kulturelles Herz der EU – eine Schnapsidee? Vielleicht. Horinka ist mit Zenker verschwunden. Der Gastgeber, hat Zenker erzählt, hat ihm ein Bier versprochen.

Von Berlin aus betrachtet, ist das Dreiländereck nichts anderes als der hinterste Zipfel Deutschlands, ein Wurmfortsatz. Interessant nur, wenn Regierungschefs nach einem Sinnbild für die europäische Einheit suchen. Zur Osterweiterung 2004 traf sich am Dreiländerpunkt, wo an der Neiße geometrisch exakt die drei Staaten aufeinanderstoßen, Gerhard Schröder mit seinen Kollegen aus Warschau und Prag. Und Altkanzler Kohl, Fachmann für Symbolik und ebenfalls zugegen, regte eine Dreiländerbrücke an. Als Angela Merkel 2007 dort aufkreuzte, weil Polen und Tschechien dem Schengenraum beitraten, war von der Brücke nichts zu sehen. Und zum 15. Jahrestag der Osterweiterung, am 1. Mai diesen Jahres, errichtete das Technische Hilfswerk wieder ein Provisorium.

Zenker könnte auf Berlin und die EU schimpfen, auf Förderprogramme, die nur binationale Projekte zulassen, aber keine trinationalen, auf unterschiedliche Bauverordnungen, Bürokratie eben. „Eigentlich wollen alle diese Brücke“, sagt Zenker, fügt aber an: „Das ist ein symbolisches Projekt, das viel Geld schluckt.“ Und was ist der Dreiländerpunkt ohne Symbolik? „Ein Fluss, drei Fahnen, ein Bach.“ Zum Dreiländerpunkt biegt Zenker gar nicht erst ab.

Zenker, vom Baden immer noch etwas verfroren, ist ins Auto gestiegen. Das Dreiländereck als fahnenbehängte Kulisse, irgendwann veredelt mit einer architektonisch gewagten Brücke, doch ohne praktischen Nutzen – Thomas Zenker, seit 2015 parteiloser Oberbürgermeister von Zittau, ist das zu wenig. „Wir brauchen große Ideen.“ Warum sich also nicht um den Titel Kulturhauptstadt Europas bewerben? Es geht um Zukunftsfragen. Welche Perspektive hat die Region? Welche Rolle spielt Zittau? Wie bedeutsam sind Staatsgrenzen noch? Und wie lässt sich aus den drei, nach dem Weltkrieg so verschiedenartigen Teilen ein gemeinsamer europäischer Lebensraum formen?

Zittau mag klein sein, die Kulturlandschaft ist beeindruckend. Böhmische Könige, sächsische Kurfürsten und Preußenherrscher haben der Region ihren Stempel aufgedrückt. Handwerk und Handel haben die Gegend reich gemacht. Im Siebenjährigen Krieg schossen Österreicher Zittau dann aber in Grund und Boden. Kaiserin Maria Theresia, entsetzt über das Werk ihrer Artillerie, spendete 50.000 Taler für den Wiederaufbau.

20031003200DR Zittau Rathaus am Markt.jpg

Heute ist es die EU, die Geld aus dem Fonds für Regionalentwicklung gibt. Das EU-Banner prangt an sanierten Kirchen, Bürgerhäusern, Schulen, Museen. Die EU fördert ein Festival der Theater von Liberec, Jelenia Góra und Zittau. Das Neiße-Filmfestival, seit 2004 eine Größe im Dreiländer­eck, wurde gerade eröffnet. Zittau ist Standort zweier Hochschulen und eines Fraunhofer-Instituts, und das Theater hat den „Barbier von Sevilla“ genauso auf dem Spielplan wie Schillers „Räuber“ oder den „Gestiefelten Kater“.

Ziemlich viel für das, was Landes- und Bundespolitiker halb sorgenvoll, halb engagiert ländlicher Raum nennen. „Wir können nicht immer reden, dass wir den ländlichen Raum stärken müssen“, sagt Zenker. „Wir müssen das auch selber tun.“ Zusehen kann man jedenfalls schon, wie die Menschen zueinander finden – in Zittau, in Liberec, im Isergebirge und in Hrádek am Badesee Kristýna, wo sich zwei Bürgermeister heute ein bisschen selbst verulkt haben. „Unsere Großväter haben sich noch die Köpfe eingeschlagen, und wir trinken Bier“, sagt Zenker gelöst. „Das ist Europa.“

Natürlich gibt es Themen, die für jede Grenzregion wichtig sind. Zenker zählt auf: Gemeinsame Wirtschaftsförderung, Infrastrukturprojekte, Bildungsprojekte, Raumplanung. „Üblicherweise endet Raumplanung an der Staatsgrenze“, erklärt er. In Oldrichov kann man sehen, dass solche Planungsgrenzen hier keinen Sinn haben. Oldrichov ist ein halbes tschechisches Dorf. In der Mitte eine Fußgängerbrücke, die Dorfhälfte dahinter liegt in Polen und heißt Kopaczów. „Seit 2002 feiern sie hier Europäische Kirmes“, erzählt Zenker.

Quelle         :           TAZ          >>>>>           weiterlesen

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Oben     —               Zittau, view from Koitsche mountain

Unten     —           03.10.2003 02763 Zittau, Markt: Rathaus (GMP: 50.896093,14.807503), 1840-45 nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel unter Leitung von Carl August Schramm in Anlehnung an mittelalterliche, italienische Stadtpaläste errichtet. [-]20031003200DR.LPG(c)Blobelt

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Linker Parteitag in Leipzig

Erstellt von DL-Redaktion am 13. April 2019

Linke wählt Gebhardt zum Spitzenkandidaten

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Von Andreas Debski

Fraktionschef Rico Gebhardt wird die sächsische Linke in die Landtagswahl führen. Ein Parteitag wählte den 55-Jährigen am Sonnabend in Leipzig zum Spitzenkandidaten. Um die Plätze hinter Gebhardt wird ein spannendes Rennen erwartet.

Linke-Fraktionschef Rico Gebhardt ist mit einer komfortablen Mehrheit zum Spitzenkandidaten für die sächsische Landtagswahl am 1. September 2019 gewählt worden. Auf einem Parteitag in Leipzig votierten 184 der 237 Delegierten für den 55-Jährigen, der auch zwischen 2009 und 2017 die sächsische Linke als Landesvorsitzender angeführt hatte.

41 Delegierte stimmten mit Nein, 12 enthielten sich. Sein Wahlergebnis entspricht 77,6 Prozent der Stimmen. Vor fünf Jahren war Gebhardt bei der Nominierung mit 70,5 Prozent ausgestattet worden. In einer Urwahl hatten sich im Herbst 2018 bereits 88,7 Prozent der Mitglieder für den Erzgebirger entschieden. Gebhardt hatte keinen Gegenkandidaten.

Gebhardt: Wir sind Sozialisten!

In einer kämpferischen Rede hatte Gebhardt die Partei aufgerufen, sich wieder verstärkt auf linke Werte zu besinnen. „Ich bin Sozialist. Wir alle müssen wieder deutlicher sagen: Wir sind Sozialisten! Eine zweite Sozialdemokratie oder eine zweite grüne Partei braucht dieses Land nicht. Lasst uns gemeinsam auf den Weg machen, dem Kapitalismus ein Ende zu bereiten“, machte Gebhardt zum Auftakt des Parteitages auf der Neuen Messe in Leipzig klar.

Die Linke sei „die Partei, die seit 30 Jahren totgesagt wurde – und immer wieder von den Toten auferstanden ist“.

Linke lehnt Zusammenarbeit mit CDU ab und teilt aus

Sabine Friedel, Rico Gebhradt und Dirk Panter.jpg

Zugleich forderte Gebhardt einen Machtwechsel in Sachsen: „Dieses Land darf nicht länger der CDU gehören, sondern muss den Menschen zurückgegeben werden.“ Jedes Prozent für die Linke bei der Landtagswahl sei ein Prozent weniger für potenzielle Bündnispartner der Union, erklärte Gebhardt – „denn nur wir werden keine Mehrheitsbeschaffer für die CDU sein“.

In Richtung SPD sagte er: Die Linke sei das Original, wenn es um die Interessen der Ostdeutschen gehe. „Wir haben nichts für das Wahljahr erfunden“, erklärte Gebhardt.

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Oben      —           Abgeordneter des Sächsischen Landtages Rico Gebhardt

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Reportage aus Chemnitz

Erstellt von DL-Redaktion am 17. März 2019

Brüchiger Frieden

Martin Kohlmann (Wien, 2018-10-26).jpg

Aus Chemnitz Konrad Litschko

Am Montag beginnt der Prozess zu der Tat, die Chemnitz Wochen des Aufruhrs bescherte: die tödlichen Messerstiche auf Daniel H. Die Stadt könnte das wieder aufwühlen – auch, weil ein Freispruch des Angeklagten nicht ausgeschlossen ist.

Es ist dunkel geworden auf dem Neumarkt, als Barbara Ludwig die Bühne betritt. Die Luft ist feucht und kalt, die Bürgermeisterin hat ihren grauen Mantel mit Leo­par­den­kragen zusammengezogen. Nun blickt die SPD-Frau in die Gesichter von mehreren hundert Chemnitzern, viele von ihnen halten Kerzen in den Händen. Gerade noch spielten Bläser, oben auf der Empore von Ludwigs Rathaus. Nun ist es ganz still auf dem Platz, ja andächtig.

Chemnitz feiert an diesem Dienstagabend vor anderthalb Wochen sein jährliches Friedensfest, in Gedenken an die Bombardierung der Stadt am Ende des Zweiten Weltkriegs. Redner erinnern an die Millionen von Kriegstoten der jüngeren Geschichte, halten Plädoyers für die EU, sprechen über Versöhnung und Vergebung.

Dann nimmt sich Barbara Ludwig das Mikrofon. Die Bürgermeisterin spricht über einen anderen Wunsch nach Frieden: den in ihrer Stadt. „Frieden in dieser Stadt heißt für mich, dass wir es sind, die Frieden machen, alle Bürger“, sagt Ludwig. Dass Menschen unterschiedlicher Einstellungen miteinander auskämen, sich zuhörten, „mit Respekt, ohne Angst, ohne Gewalt“. „Wir entscheiden“, schließt Ludwig, „ob es die Liebe ist, die uns antreibt, oder der Hass.“

Die Worte der Bürgermeisterin sind ein Appell, nach all dem, was in den letzten Monaten passiert ist. Und diesmal applaudieren die Chemnitzer. Ludwig tritt mit einem Lächeln ab. Nur eine Handvoll Polizisten begleitet entspannt am Rande das Gedenken, es gibt keine Störungen. Es bleibt an diesem Abend, an diesem Friedenstag, ruhig in Chemnitz. Endlich.

Aber der Frieden in Chemnitz ist brüchig. Und er wird ab Montag auf eine neue Probe gestellt. Dann, wenn der Prozess um den Tod von Daniel H. beginnt. Zwei Geflüchtete sollen den 35-jährigen Chemnitzer in der Nacht des 26. August 2018 erstochen haben, nach einem Stadtfest. Es war die Tat, die in Chemnitz alles veränderte und der Stadt Wochen des Aufruhrs bescherte.

Rechte aus dem ganzen Bundesgebiet zogen nach dem Tod von Daniel H. durch Chemnitz, zu Tausenden, immer wieder. Am Rande wurden Migranten angegriffen, wurde ein jüdisches Restaurant attackiert. Der damalige Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen bestritt, dass es Hetzjagden gab, verstieg sich in wilde Theorien – und wurde am Ende in den Ruhestand versetzt. Die Bundesregierung verschärfte Gesetze zu Abschiebungen. Und die Bundesanwaltschaft hob eine mutmaßliche rechtsextreme Terrorzelle aus, „Revolution Chemnitz“.

Wie sehr die Rechten die Stadt weiter dominieren, zeigte sich erst am vergangenen Wochenende: Da huldigten Hooligans im Stadion des Chemnitzer FC einem stadtbekannten, verstorbenen Neonazi, auch ein Stadionsprecher und ein Torschütze machten mit, das Porträt des Rechten wurde auf der Videowand eingeblendet. Wieder folgten Tage der Negativschlagzeilen.

Und nun beginnt der Prozess zu der Tat, mit der im letzten Sommer der Ausnahmezustand begann.

Anklage mit Widersprüchen

Es ist Alaa S., der ab Montag vor Gericht steht. Ein Syrer, 23 Jahre alt, drei Geschwister in Syrien. Im Frühjahr 2015 reiste er nach Deutschland. Fotos zeigen ihn mit hochgegelten Haaren, posend, sportlich gekleidet. Zuletzt arbeitete er in einem Friseursalon. Vorstrafen hat er keine. „Gemeinschaftlichen Totschlag“ wirft ihm die Anklage vor. Ein weiterer Tatverdächtiger, der Iraker Farhad R., ist bis heute flüchtig. Wird Alaa S. verurteilt, drohen ihm viele Jahre Haft. Und Chemnitz könnte vielleicht etwas abschließen.

Das aber ist längst nicht sicher. Denn die Anklage gegen Alaa S. ist nicht ohne Widersprüche. Und Alaa S. bestreitet, etwas mit der Tat zu tun zu haben. Seine zwei Anwälte wollen auf Freispruch verteidigen. Zwischendrin waren es mal vier Verteidiger, die sich um den Syrer kümmerten. Weil die Aufmerksamkeit für diesen Prozess enorm sein wird und der Druck auf das Gericht ebenso.

Schon jetzt droht Protest. Dresden ist Pegida-Hochburg, die Bewegung marschierte in Chemnitz mit, über Wochen skandalisierte sie den Todesfall. Auch Martin Kohlmann, Anführer des rechtsextremen „Pro Chemnitz“, kündigt an, dass einige Chemnitzer nach Dresden fahren werden. „Der Fall ist nicht abgehakt“, sagt Kohlmann. „Weil keine Konsequenzen gezogen wurden.“ Gebe es tatsächlich einen Freispruch, „würde das die Leute arg wütend machen“.

Die Verteidiger von Alaa S. hatten bereits vor Wochen beantragt, den Prozess weder in Chemnitz noch überhaupt in Sachsen zu verhandeln. Dort sei mit Ausschreitungen zu rechnen. Die Richter und Schöffen könnten nicht angstfrei urteilen, auch sei nicht ausgeschlossen, dass sie selbst rechtes Gedankengut teilten. Das Landgericht Chemnitz entschied darauf, in Dresden zu verhandeln, in einem Hochsicherheitssaal. Kohlmann, der Rechtsaußen, schimpft darüber: „Man scheut den Kontakt mit der Chemnitzer Bevölkerung, die Öffentlichkeit wird abgewürgt. Das sind Vorzeichen, wie das hier laufen soll.“

Barbara Ludwig, die Bürgermeisterin, blickt angespannt auf den Prozess. Vor der Friedenskundgebung sitzt sie in ihrem Büro, ein fast steriler Raum, das einzige Bild ein Plakat der Chemnitzer Rockband Kraftklub. „Ich hoffe, dass mit dem Prozess die Umstände der Tat öffentlich werden“, sagt Ludwig. „Ich hoffe aber noch mehr, für die Familie des Opfers, dass es eine Verurteilung gibt, damit die Angehörigen Ruhe finden können.“ Und wenn es einen Freispruch gibt? Ludwig schweigt einen Moment. „Dann würde es schwierig für Chemnitz. Aber so wäre der Rechtsstaat.“

Es sind die Mutter von Daniel H. und seine Schwester, die als Nebenkläger im Prozess sitzen werden. Daniel H. wurde in Chemnitz geboren, sein kubanischer Vater musste noch vor dessen Geburt die DDR verlassen. Mit seiner Herkunft habe es der 35-Jährige in Chemnitz nicht immer leicht gehabt, erzählt ein Jugendfreund. Sanftmütig sei er gewesen, umgänglich, stets gut gelaunt. Daniel H. wurde schließlich Tischler, arbeitete zuletzt bei einer Hausmeisterfirma – und führte seit acht Jahren eine Beziehung mit einer Frau, deren Sohn er mit großzog.

Wölfe-Kunstaktion gegen Hetze und Gewalt in Chemnitz 2018 (08).JPG

Daniel H.s Familie will nicht mit Medien reden. Für sie ist der Tod des Sohns und Bruders immer noch unbegreiflich, heißt es von ihren Anwälten. Der politischen Instrumentalisierung der Tat aber könnten sie nichts abgewinnen. „Sie wollen nur die Wahrheit wissen, was in dieser Nacht passierte“, sagt ein Anwalt. „Auch, damit sie irgendwie abschließen können.“

Auch Daniel H.s Lebensgefährtin spricht nicht mit der Presse, auch sie trauert. Liest man, was sie im Internet schreibt, klingt aber auch Wut mit. Medien nennt sie eine „Schande“, die über den Tod von Daniel H. Unwahrheiten berichteten. Politiker seien „Puppenspieler“. Sie teilt ein Video, in dem die Messerstiche auf Daniel H. als „Staatsversagen“ angeklagt werden. „Steht auf, aber friedlich“, schrieb sie kurz nach der Tat.

Was indes in der Nacht des 26. August geschah, ist bis heute nicht ganz klar. Mehr als 100 Zeugen befragten die Ermittler. Aus ihrer Anklage, die die taz einsehen konnte, ergibt sich folgendes Bild: Daniel H. hatte damals mit Bekannten ein Stadtfest besucht. In der Nähe eines Döner-Imbisses sei gegen 3.15 Uhr der heute flüchtige Farhad R. auf ihn zugekommen, habe ihn nach einer „Karte“ gefragt, offenbar um damit Kokain zu schnupfen. Auch der Iraker war schon länger an diesem Abend unterwegs – und als aggressiv aufgefallen. Einen Mann hatte er laut Zeugen mit einem Messer bedroht, andere als Nazis beschimpft, die er „ficken“ werde. Nun spricht Farhad R. kurz mit Daniel H., der weist ihn ab: Er solle sich „verpissen“. Der Iraker soll darauf mit einer Ohrfeige geantwortet, H. ihn zu Boden geschubst haben. Beide hätten sich angeschrien.

Wegen des Gebrülls sei nun Alaa S. mit zwei Männern aus dem Döner-Laden geeilt. Er habe mit Farhad R. gesprochen, beide seien auf Daniel H. zugegangen, in Angriffshaltung. Daniel H. habe Alaa S. einen Faustschlag verpasst. Darauf habe dieser den Nacken von H. umfasst und mit einem Messer auf ihn eingestochen. Auch Farhad R. habe zugestochen. Auch H.s Bekannter Dimitri M. wird schwer verletzt. Dann rennen Alaa S. und Farhad R. davon.

So lautet jedenfalls die Rekonstruktion der Ermittler.

Klar ist: Daniel H. stirbt noch am Tatort. Fünf Messerstiche hatten ihn getroffen, einer davon ins Herz, einer in die Lunge. Alaa S. wird nur zehn Minuten nach der Tat von einer Polizeistreife festgenommen. Farhad R. ist bis heute verschwunden. Er soll sich vier Tage nach der Tat mit seinem Bruder aus Chemnitz abgesetzt haben, offenbar ins Ausland. Alaa S. indes weist die Anklage von sich. Er behauptet, er habe, nachdem er aus dem Döner-Laden gekommen sei, das Geschehen nur aus der Ferne beobachtet. Verletzte habe er keine gesehen. Dann habe er sich mit seinem Bekannten Yousif A. entfernt. Als die Polizei kam, sei er aus Angst davongelaufen.

Tatsächlich gibt es nur einen Zeugen, der direkt gesehen haben will, dass Alaa S. Messerstiche ausführte: ein Mitarbeiter des Döner-Imbisses. Der aber beobachtete die Tat nur aus einiger Entfernung. Sprach er anfangs von Stichbewegungen von Alaa S., sagte er später, es seien Schläge gewesen. Auch fanden sich auf einem gefundenen Messer Blutspuren von Daniel H., aber keine DNA von Alaa S. Der Hauptbelastungszeuge schilderte zudem, dass Alaa S. blutverschmierte Hände gehabt habe. Zeugen, die den Syrer wegrennen sahen, berichteten davon nichts.

Gedenkort Daniel H Chemnitz.jpg

Dennoch sitzt Alaa S. bis heute in Haft. Die Angaben des Hauptbelastungszeugen deckten sich mit den Stichverletzungen im Körper von Daniel H., betonen die Ankläger. Zudem hätten auch andere Zeugen ausgesagt, Alaa S. sei an der Auseinandersetzung mit Daniel H. beteiligt gewesen – wenn auch sie keine Messerstiche sahen. Und Bekannte des Syrers hätten den Hauptzeugen bedroht, seine Aussage zurückzuziehen. Alaa S. soll dagegen überzeugt sein, freigesprochen zu werden. Er nehme die Situation gefasst, heißt es.

Aber unter Rechten, in Chemnitz und weit darüber hinaus, ist das Urteil längst gefallen. Im Internet veröffentlichten sie Alaa S.’ vollen Namen, posteten Fotos von ihm. Als „Invasionsmoslem“ wird er dort bezeichnet, als „Killer“. „So ein Arsch hat gleich vier Anwälte“, schrieb ein Nutzer kürzlich. „Bitte holt mich ab und steckt mich mit ihm in eine Zelle.“

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Oben     —         Une trentaine de personnes prend part à une manifestation d’extrême-droite (dite „Marche des patriotes“, Marsch der Patrioten) à Vienne, sur la Michaelerplatz, le jour de la fête nationale autrichienne. L’homme parlant au micro est l’activiste d’extrême-droite allemand Martin Kohlmann, du mouvement Pro Chemnitz.

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Zurück unter Wellblech

Erstellt von DL-Redaktion am 8. Januar 2019

Als Kind verlor sie ihre Beine,
als Erwachsene hatte sie Angst vor ihrer Familie

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Aus Tirana Sarah Ulrich

Fllanxa Murra floh nach Deutschland und wurde abgeschoben. Ist Albanien auch für eine lesbische Romni ein sicheres Herkunftsland?

Im Norden Tiranas liegt das Mutter-Theresa-Krankenhaus, es ist das größte in ganz Albanien. Hunderte Menschen eilen zwischen Notaufnahme und Fachzentren hin und her. Nur eine Straßenkreuzung weiter, vom Krankenhausgelände ausgelagert, begrüßen ein müder Wachmann und ein Hund die BesucherInnen des Gebäudes V. „Spitali Psikiatrik“ steht auf einer braunen Marmorplatte geschrieben: die Psychiatrie.

Eine Krankenschwester sitzt bei der improvisierten Anmeldestation und prüft, wer das Gebäude betritt, mehr symbolisch als pedantisch. Glatte Steintreppen führen in den ersten Stock. Hinter einer weißen Eisentür, die nur von innen oder mit einem Schlüssel geöffnet werden kann, befindet sich die Frauenstation, auf der seit dem 6. Dezember auch Fllanxa Murra liegt.

Grelle Leuchtstoffröhren erhellen den langen Gang, die Wände sind gelb gestrichen. Getönte Fensterscheiben und Gitterstäbe trennen die Patientinnen von der Außenwelt. Die karge Einrichtung sei Konzept, sagt die Ärztin – Sicherheitsvorkehrungen, damit sich die Patientinnen nicht umbringen.

Fllanxa Murra, die junge Frau, die hier von allen beim Vornamen genannt wird, sitzt auf einem Metallbett und schaut auf ihr Handy. FreundInnen aus Deutschland schicken ihr Nachrichten. Sie fragen, wie es ihr geht, und schreiben, sie solle durchhalten. Was Murra nicht versteht, übersetzt sie mit einer App. Vor ihr steht ein Rollstuhl. Die Prothesen, die in einer Ecke in einer Mülltüte verpackt stehen, sind zu alt, als dass sie sich schmerzfrei mit ihnen bewegen könnte. Murra sagt, sie habe als Kind ihre Beine bei einem Unfall mit einer Landmine verloren. Sie zieht eine Decke bis zur Hüfte, eine Strickjacke schützt sie gegen die Zugluft.

Zwei Wochen zuvor wurde Fllanxa Murra abgeschoben. Im Oktober 2016 war sie nach Deutschland geflohen. Die 29-Jährige ist Balkanägypterin, eine Minderheit der Roma in Albanien, und wuchs in einer armen Region unweit der Kleinstadt Burrel auf. Als Murras Familie herausfand, dass sie lesbisch ist, sperrte sie sie für mehrere Tage in ein Zimmer ein, bis sie versuchte, sich umzubringen, erzählt Murra

Im November hat sie der taz ihre Lebensgeschichte erzählt, ihre Pläne für die Zukunft. Sie hatte in Taucha, einer kleinen Stadt unweit von Leipzig, ein Zuhause gefunden. Eine eigene Wohnung, regelmäßige medizinische und psychologische Betreuung, ein Deutschkurs und Gemeindefeste gehörten zu ihrem Alltag. „Fllanxa ist fester Bestandteil unserer Gemeinde. Gar nicht mehr wegzudenken“, sagte Lothar Trinks damals, ein ehemaliger Friedhofsgärtner, der Murra in ihrem Alltag half, zusammen mit anderen BürgerInnen aus Taucha und dem Queer Refugees Network in Leipzig.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat Murras Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt, da keine „begründete Furcht vor Verfolgung“ bestehe und sie in Albanien keine „Gefahr eines ernsthaften Schadens“ zu befürchten habe. Nicht als Romni, nicht wegen ihrer Homosexualität und auch nicht wegen ihrer Behinderung. 2015 ist Albanien von der Bundesregierung in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten aufgenommen worden, eine Aussicht auf Asyl haben nur die allerwenigsten. Fllanxa Murra gehörte nicht dazu: Am Nikolaustag um drei Uhr morgens begann ihre Abschiebung.

Dass eine lesbische Frau im Rollstuhl abgeschoben wird, hat viele Menschen in Deutschland bewegt, Berichte über Murras Abschiebung wurden hundertfach in sozialen Netzwerken geteilt. Seitdem stellen sich ihr Anwalt und ihre FreundInnen in Taucha und Leipzig Fragen: Wie lief die Abschiebung ab, war sie rechtmäßig? Warum wurde Murra in Albanien in eine Psychiatrie gebracht? Und vor allem: Wie geht es ihr dort?

Einen Tag nach dem ersten Besuch steht Fllanxa Murra mit lila Krücken vor ihrem Bett und lächelt. Sie wirkt viel aufgeweckter als am Tag zuvor. „Wie geht es dir?“, fragt sie auf Deutsch, und beantwortet die Gegenfrage: „Es geht mir gut.“ Sie zeigt auf die Prothese und die Krücken, die ihr aus Deutschland mitgebracht wurden.

Sie weiß, wie wichtig es ist, dass sie die Details der Abschiebung genau und wahrheitsgetreu schildert. Sie hat Angst davor, Fehler zu machen. Angst vor einer „Rache“ der deutschen Behörden. Inzwischen hat sie sich auf ihr Bett gesetzt, das Stehen auf der Prothese strengt sie an. Die Ärztinnen glauben, dass Murra mit einer Bekannten aus Deutschland spricht. Wüssten sie von dem Interview, hätten sie es verhindert, sagt die Übersetzerin.

Um drei Uhr nachts habe es an der Klingel ihrer Wohnung in Taucha geklingelt, erzählt Murra. Drei Mal. Durch den Spion in der Wohnungstür habe sie gesehen, dass PolizistInnen vor der Tür stehen, eine Frau und fünf oder sechs Männer. Sie habe Angst bekommen und nicht gewusst, was sie tun solle. Um zu vermeiden, dass die BeamtInnen die Tür aufbrechen, habe sie entschieden, sie selbst zu öffnen.

Ein Polizist habe Murra auf Deutsch gesagt, man habe den Befehl zur Abschiebung. „Ich habe gesagt, dass ich niemanden in Albanien habe, dass es gefährlich ist, zurückzukommen“, sagt Murra. Immer wieder wiederholt sie die Worte, mit denen sie versucht habe, das Gesagte zu vermitteln: „Ich Anwalt“, „nicht Albanien“, „bitte helfen“, „Gefahr“. Sie habe geschrien – und die PolizistInnen hätten zurück geschrien: Sie solle sich beruhigen.

Murra erzählt, dass sie den BeamtInnen die ärztlichen Gutachten gezeigt habe. „Sie haben sie nicht durchgelesen, sondern einfach in meine Tasche gepackt.“ Dann habe man sie auf den Boden gedrückt und in Handschellen gelegt. Sie sagt, sie habe sich wegen ihrer fehlenden Finger an einer Hand befreien können und es geschafft, in die Küche zu fliehen. „Da habe ich ein Messer genommen und gedroht, mich umzubringen.“

Die PolizistInnen hätten ihr das Messer abgenommen, sie sei von vier Männern in einen Polizeiwagen gebracht worden, in ihrer Schlafkleidung. Ihre neue Prothese habe man nicht eingepackt, sondern nur die beiden über zehn Jahre alten, mit denen sie nicht richtig laufen kann. „Ich habe versucht, es zu erklären“, sagt Murra, „aber es war zu chaotisch.“ Die Beamtin sei gefahren, zwei Männer hätten sie festgehalten und ihr wehgetan. Später zeigt sie Fotos, die sie am Tag nach der Abschiebung gemacht hat. Zu sehen sind Hämatome an Murras Armen.

Am Flughafen in Leipzig hätten die PolizistInnen sie in ihrem Rollstuhl an die Bundespolizei übergeben, sagt Murra. Erst zu diesem Zeitpunkt sei eine Dolmetscherin dazugekommen. Murra sagt, sie habe versucht ihr zu erklären, dass sie mit ihrem Anwalt sprechen müsse. Die Dolmetscherin habe für die PolizistInnen übersetzt: „Nein, du hast keinen Anwalt. Wir brauchen nicht mit einem Anwalt reden.“ Sie solle sich benehmen, habe man ihr gesagt.

Dann habe man sie auf dem Boden festgehalten, ihren Kopf fixiert, den Mund zugehalten und Medikamente durch die Nase gespritzt. Murra imitiert den Ablauf, greift sich an den Hals und auf den Mund. Sie hat gegen ihren Willen Medikamente bekommen? Murra nickt. „Ja, ein flüssiges Mittel.“

Zwei Polizisten und ein Arzt hätten sie in das Flugzeug gebracht, wo man sie angeschnallt und erneut das Medikament verabreicht habe. Was es gewesen sei, wisse sie nicht. Sie sei müde geworden, habe Kopfschmerzen bekommen. „Es hat sich angefühlt, als hätte ich zwei Köpfe.“ In Albanien hätten der deutsche Arzt und die beiden Polizisten sie an die albanische Polizei übergeben, die schon gewartet habe. In einem Krankenwagen sei sie schließlich in die Psychiatrie gebracht worden.

Der Sprecher der Landesdirektion Sachsen sagt, man habe nicht entschieden, dass sie in eine Psychiatrie gebracht werde. „Die albanischen Behörden wurden allerdings vor Start des Flugzeugs über den Zustand von Frau Murra informiert.“

Der Sprecher der Bundespolizeiinspektion Leipzig bestätigt: „Nach der Landung in Tirana ist Frau M. an die örtlichen Grenzschutzbehörden übergeben worden.“ Dies entspreche den standardisierten Verfahren bei Rückführungen. Er rechtfertigt die Zwangsmaßnahmen damit, dass die Beamten Murra vor der Gefahr schützen wollten, aus dem Rollstuhl zu stürzen und sich dabei selbst zu verletzen. Dafür hätten die Beamten sie „soweit erforderlich und verhältnismäßig am Oberkörper“ festgehalten. Zu dem Vorwurf, dass Murra gegen ihren Willen Medikamente bekommen habe, gibt er keine Auskunft. Er selbst sei nicht dabei gewesen, auch sonst wisse „jetzt keiner mehr was darüber.“ Dem Vorwurf, Murra habe keinen Anwalt kontaktieren dürfen, hält die Bundespolizei entgegen: „Es bestand am 6. Dezember 2018 anwaltlicher Kontakt mit der Bundespolizei.“ Murras Anwalt Franz Schinkel bestätigt zwar, dass es den Kontakt gegen 9 Uhr 25 am Morgen gegeben habe, jedoch auf seine „eigene Initiative“ hin. Mit Fllanxa Murra selbst habe er nicht gesprochen.

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Nach dem sächsischen Gesetz über die Hilfen und Unterbringung bei psychischen Krankheiten wäre eine Zwangsmedikamentierung in Ausnahmefällen tatsächlich legal, wenn „der Patient krankheitsbedingt nicht fähig (ist), Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung einzusehen oder seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen“. Ob das bei Murra gegeben war, prüft nun ihr Anwalt.

Er prüft auch, ob die Abschiebung zu diesem Zeitpunkt rechtlich in Ordnung war. Murras Anwalt kritisiert, dass sie nicht ausreichend Gelegenheit hatte, juristisch gegen die Ablehnung ihres Asylantrags vorzugehen. Am 20. November hatte er einen Duldungsantrag gestellt, um die Abschiebung auszusetzen. Am 29. November reichte er neue ärztliche Dokumente nach – unter anderem ein Schreiben der Universitätsklinik Leipzig. Darin wird Murra eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert: „Die Gefahr einer deutlichen Verschlechterung der Symptomatik bis hin zum weiteren Suizidversuch“ sehen die Ärzte im Fall einer Abschiebung als „sehr wahrscheinlich“ an. Diese Gutachten sind allerdings nicht bindend – nach geltendem Recht muss ein von der Ausländerbehörde beauftragter Arzt eine Reiseunfähigkeit feststellen.

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Unten     —       Tirana, capital of Albania

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Die Kunst des Gesprächs

Erstellt von DL-Redaktion am 25. Dezember 2018

Demokratie ist Debatte, heißt es.

Aus Dresden und Berlin Sara Tomšić und Jonas Weyrosta

Trotzdem scheitern Diskussionen jeden Tag; in der Politik und zu Hause. Auf der Suche nach dem guten Dialog – am Küchentisch, im Kulturbetrieb und in Sachsen

Der Mann mit dem Klemmbrett schreit in das Mikrofon, als hätte er Angst, dass die Welt ihm sonst nicht zuhört und sich das kleine Fenster der Aufmerksamkeit wieder schließt. Mehrmals greift seine Hand nach dem Mikrofon, das ihm ein Mitarbeiter hinhält. Es ist ein kleiner Kampf um Kontrolle.

Ein kalter Montagabend, Anfang Oktober, Sachsens Regierung hat ihre BürgerInnen zum „Sachsengespräch“ geladen. Raum 139, Staatskanzlei in Dresden. Drei Stuhlreihen, kreisförmig angeordnet, 150 Stühle, kein Platz bleibt frei. Viele Fragen. Ein Mikrofon. Der Flyer verspricht „anregende Gespräche und lebhafte Debatten“. Die Bürger kommen mit Sorgen. Manches davon klingt vorwurfsvoll.

„Herr Ministerpräsident, ich habe Ihnen ein paar Zahlen mitgebracht.“ Der Mann blättert durch die Seiten auf seinem Klemmbrett. Eng bedrucktes Papier, Zahlen von Geflüchteten, die abgeschoben werden sollen, aber es noch nicht sind. Er redet vom Rechtsstaat, von fehlender Kraft, von Willkür. „Warum schieben wir nicht mehr von denen ab?“ Michael Kretschmer antwortet, was Politiker in solchen Situationen eben antworten: Alles nicht so einfach, aber man kümmere sich. Der Klemmbrettmann schüttelt den Kopf, hebt die Hand, will nachhaken. Aber das Mikrofon ist längst weitergewandert. „Lebhafte Debatte“ hatte er sich offenbar anders vorgestellt. Während Situationen wie diese reflexartig auf Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verkürzt werden, offenbart sich eigentlich eine Krise der Diskussionskultur, die viel weiter führt, als viele denken.

Reden hilft, darauf schwören alle, ständig. Nicht nur in der Politik, auch in der Familie, in Partnerschaften. Wo immer es ein Problem gibt, ist der Ruf nach Sprechen und Verstehen so gewiss wie der Kater nach dem Rausch. Ein „offenes Ohr“ haben, „anregende Gespräche“ führen, vom „belebenden Streit“ profitieren. Gerade an Weihnachten stehen in den meisten Familien wieder Diskussionen an – mit den Eltern über die immer gleichen Streitpunkte, mit dem Onkel, der mit absurden Thesen um sich wirft, mit den Nachbarn, die vielleicht AfD wählen.

Es neigt sich ein Jahr dem Ende zu, in dem auch die Gesellschaft viele Debatten geführt hat. Das Land diskutierte über Chemnitz, die Personalien Seehofer und Maaßen, #MeToo, den Paragrafen 219a, die Nachfolge Merkels und vieles mehr.

Diskussionen sollen feindliche Lager verbinden, Verständnis schaffen, die Demokratie retten. Ganz schön viel verlangt. Wie soll das gehen? Verschiedene Formate versuchen, darauf eine Antwort zu finden. Eines ist „Deutschland spricht“, eine Ini­tia­tive des Zeit-Verlags: Menschen mit besonders gegensätzlichen Meinungen kommen hier miteinander ins Gespräch. Wer an „Deutschland spricht“ teilnehmen wollte, beantwortete sieben Fragen. Ein Algorithmus arrangierte das Zwiegespräch. Es soll Brücken bauen, Lager aufbrechen.

Aber wollen und sollen wirklich alle miteinander reden?

Woher kommt überhaupt die ständige Sehnsucht nach dem Sprechen? Was ist eine gute Diskussion? Und wo findet sie heute überhaupt noch statt? Ist es vielleicht nur ein naiver Glaube, dass sich alles durch Diskussionen lösen ließe?

Wir haben die Debatte zur Debatte gestellt. Auf vier gesellschaftlichen Ebenen: beim politischen Bürgergespräch, am privaten WG-Tisch und im Kulturbetrieb, am Theater. Sowie im Internet, mit einer Diskutier-App.

Dresden, der Raum 139 wird immer voller. Viele Fragen: Eltern, die wissen wollen, warum sie keinen Einrichtungsplatz für ihren behinderten Sohn finden. „Schreiben Sie mir eine Mail“, sagt Ministerpräsident Kretschmer. Nächster. Der Sozialpädagoge, der Geflüchteten Mut machen will, aber nicht weiß, wie.Antwort: Geradestehen, weiter geht’s. Ein Rentner in Sorge um seine Altersvorsorge. „Das wird schon.“ Nächster. Nächster. Ein bisschen wie an der Fast-Food-Theke. Frage, Antwort, Frage, Antwort. Demokratie braucht Zeit, aber Zeit ist knapp, und so wirkt das Frage-und-Antwort-Spiel in Dresden eher wie die Simulation einer Diskussion.

Hartmut Rosa - Wider den ewigen Steigerungszwang.jpg

Wer von Zeitnot spricht, landet irgendwann bei Hartmut Rosa. Der Soziologieprofessor aus Jena hat ein viel besprochenes Buch über die Beschleunigung moderner Gesellschaften geschrieben. Wie ein Beweis seiner Arbeit hetzt Rosa an einem Montagabend Ende Oktober über den kahlen Flur seines Instituts, er habe nicht viel Zeit, die Worte rasen ihm aus dem Mund. Rosas jüngstes Buch heißt „Resonanz“, ein soziologischer Blick auf die Art und Weise, wie sich Menschen zueinander verhalten. Eher zufällig ist Rosas Buch auch ein Ratgeber für gutes Diskutieren geworden. „Resonanz ist eine Beziehung des Hörens und Antwortens“, sagt Rosa. Es brauche die Bereitschaft, sich von den Stimmen der anderen berühren zu lassen. Dafür müsse man es für möglich halten, dass man einander etwas zu sagen hat und sich dadurch auch verändern lässt.

Zeit, sagt Rosa, ist die wichtigste Voraussetzung für eine gelingende Diskussion: „Zeitknappheit ist ein notorisches Problem. Alles muss schnell, schnell gehen. Darum begreift man sich nicht mehr als Teil eines ,Wir‘, das etwas gemeinsam gestaltet, sondern eher als ein ,Ich‘, das gegen andere um Aufmerksamkeit und Gehör kämpft.“ Das zeige sich auch zwischen Bürgern und Politikern, nicht nur beim Sachsengespräch.

Rosa steht in der Tradition der Frankfurter Schule, er schwärmt von dem Philosophen Jürgen Habermas und dessen Idee eines herrschaftsfreien Diskurses, dem zwanglosen Zwang des besseren Arguments. Jener idea­listischen Idee einer gelingenden Diskussion, nach der zum öffentlichen Diskurs nur zugelassen ist, was „vernünftig“ ist. „Unvernunft“ wird als Lärm disqualifiziert. Passt diese Vorstellung noch in die aktuelle Zeit, wo viele Diskussionen hoch­emotional statt sachlich geführt werden?

Für Hartmut Rosa sitzt das Problem tiefer. „Viele Menschen nehmen die Welt um sich herum nicht mehr als von ihnen selbst gestaltet wahr“, sagt er. Ein Ausdruck gefährlicher Entfremdung. „Viele Menschen haben momentan den Eindruck, die Politik höre den Bürgern nicht mehr zu, sähe sie nicht, nehme sie nicht wahr“, sagt Rosa. Trump, FPÖ und AfD – sie alle versprechen, den Sorgen der Bürger „Gehör zu schenken“.

„Politik ist zu einem perma-nenten Kampf verkommen“   –  Hartmut Rosa, Soziologe

„Wir hören euch, wir sehen euch, wir geben euch eine Stimme zurück, so lautet im Kern die rechtspopulistische Botschaft“, sagt Rosa. Es ist ein Versprechen auf Resonanz, das doch nur ein leeres Versprechen bleibt. Schließlich gipfelte Trumps Wahlkampfrede nicht in einem „I hear your voices“, sondern einem „I am your voice“.

Umso wichtiger sei es, so Rosa, tatsächliche Resonanzverhältnisse in Politik und politischen Diskussionen herzustellen. Reden, zuhören, antworten – im Grunde ist das ein Grundversprechen der Demokratie: Jeder erhält eine Stimme. Wie wenig selbstverständlich das sei, so Rosa, zeige das Wesen der modernen Demokratie: „Politik ist zu einem permanenten Kampf verkommen.“

Am überwiegend bekümmerten Gesichtsausdruck Michael Kretschmers lässt sich das während des Sachsengesprächs sehr überzeugend ablesen. Kretschmer hat etwas von einem erschöpften Zirkusdompteur, wie er in der Mitte des Stuhlkreises steht, den Oberkörper leicht nach hinten gelehnt, als blase ihm der Gegenwind frontal ins Gesicht. Der sächsische Ministerpräsident hat keine Wand im Rücken, egal wie er sich dreht.

„Politische Diskussionen werden meistens im Modus des Antagonismus, also des Gegeneinanders, geführt“, kritisiert Hartmut Rosa. Vorwurfsvolle Frage, rechtfertigende Antwort. „Ein kategorischer Fehler“, sagt Rosa. Die Alternative? „Nicht zu fragen: Wer hat recht?“, sondern: „Wie wollen wir unsere Gesellschaft gestalten?“ Schon diese kleine Änderung an der Diskussionsfrage habe große Wirkung.

Am Ende des Sachsengespräches versammeln sich alle Teilnehmer im Foyer der Staatskanzlei. Ein runder Raum, kathedralenhohe Decke, es hallt. Kretschmer bedankt sich, „gute Diskussionen“, „Austausch auf Augenhöhe“. Menschen stehen herum, starren die Politiker an und halten sich an Weinschorlen fest. „Ich werde heute der Letzte sein, der geht“, sagt Kretschmer beschwingt. Der Mann mit dem Klemmbrett trinkt sein Glas hastig aus, kämpft sichnach vorne, nur noch dieses eine Mal. Er ist nicht der Einzige.

Diskussionsformate wie das Sachsengespräch finden nicht in einem machtfreien Raum statt. Nicht jeder hat die gleiche Chance auf Redezeit, nicht jeder bringt die gleichen Fähigkeiten mit. In Diskursen verschränken sich Macht und Wissen. Damit untergrabe Macht zwangsläufig auch Resonanzerfahrungen, sagt Rosa. „Die Resonanztheorie zielt deshalb darauf ab, den Machtlosen Selbstwirksamkeitserfahrung zurückzugeben“, schreibt Rosa im Nachwort seines Buches. Wie genau, das bleibt unklar. „Das Buch über das Verhältnis von Macht und Resonanz ist zweifellos noch zu schreiben“, lenkt Rosa ein.

Was können Formate wie das Sachsengespräch überhaupt leisten?

Resonanz, so Rosa, ist flüchtig. Wie das Gefühl nach einem langen Kneipenabend mit tiefen Gesprächen. Manchmal zehrt man davon noch tagelang. Aber bewusst herbeiführen lässt es sich nicht. Spricht das grundsätzlich gegen arrangierte Diskussionsformate? Nein, sagt Rosa. „Es gibt Formate, die Resonanz wahrscheinlicher machen. Da entscheidet manchmal schon die Sitzordnungoder ob man sich vorher kennenlernt, etwas gemeinsam machen konnte.“ Besonders wenig Resonanz zeige sich in TV-Talkshows. „Die Idee dort ist nicht, dass ein Politiker mit einer anderen Meinung rausgeht, als er reingekommen ist“, sagt Rosa. Politik operiere über Aggressionspunkte. „Finde den Fehler. Keine besonders resonante Haltung.“

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Neben organisierten Gesprächen im großen Stil ist eine andere Art der Diskussion viel häufiger: die persönliche. Zu Hause, in der Kneipe, im Büro – meist unter wenigen Diskussionspartnern, häufig Menschen, die sich kennen.

Hartmut Rosa ist der Meinung, dass auch situative Bedingungen Resonanz wahrscheinlicher machen können. Zum Beispiel das Setting einer Diskussion: frei von Angst und frei von Zeitdruck. Gerade im Privaten ist das eher gegeben. Man kennt sich, man hat keine Eile. Nicht ohne Grund sagt man, die besten Gespräche finden am Küchentisch statt.

Ein Freitagabend in Berlin-Moabit. Clara Dröll, Jan Tappe und Ruslan Aliev wohnen gemeinsam in einer Wohngemeinschaft. Clara studiert Anthropologie, Jan ist Kurator, und Ruslan arbeitet bei einem gemein­nützigen Verein, der „Neuen Nachbarschaft Moabit“, einem Sozialprojekt. Die drei sind nicht nur Mitbewohner, sondern auch Freunde. Sie teilen den ­Freundeskreis, das Weltbild, sie sind meistens einer Meinung. Nur eine Frage diskutieren sie immer wieder: Ist ein Dialog mit ­Rechtsradikalen möglich?

Clara: Auch wenn es hart ist, ich bin immer für Dialog. Alles besser, als jemanden abzustempeln und zu sagen: Du bist ein Nazi, mit dir rede ich nicht.

Ruslan: Mit radikal Rechten werde ich auf keinen Fall diskutieren, das bringt nichts.

Quelle       :     TAZ         >>>>>         weiterlesen

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Oben       —        Montafoner Tisch in der Lukas-Tschofen-Stube in Gaschurn

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Nächste Ausfahrt Weimar?

Erstellt von DL-Redaktion am 2. Oktober 2018

Die Republik nach Chemnitz

Karl-Marx-Denkmal - Aktionsbündnis Chemnitz ist weder grau noch braun (2).JPG

von Albrecht von Lucke

Die Entfernung zwischen Chemnitz und Weimar beträgt, gestern wie heute, 113,5 Kilometer, Luftlinie. Doch nach den jüngsten Ereignissen, in Chemnitz, aber mit der Causa Maaßen auch in Berlin, ist uns die gescheiterte Weimarer Republik politisch ein gutes Stück nähergekommen. Was wir derzeit erleben, ist ein Zusammenspiel von Rechtsradikalen auf der Straße und im Parlament mit rechten Hardlinern in den Sicherheitsorganen und in einem Teil der Medien.

In Chemnitz gelang es einer digital mobilisierten, hoch organisierten Rechten, in einer deutschen Großstadt mit nationalsozialistischen Sprüchen („Wir sind die Fans, Adolf Hitler Hooligans“) völlig ungehindert aufzumarschieren, Ausländer und Andersdenkende zu jagen[1]und dabei wiederholt den Hitlergruß zu zeigen – hilflos beobachtet von einer heillos unterlegenen Polizei. War der NSU noch im Untergrund aktiv gewesen, zeigten sich hier die Nationalsozialisten in aller Offenheit. Und obendrein scheinbar ohne jede abstoßende Wirkung: Was sich in den Echokammern des Internets längst synchron radikalisiert, geht jetzt auch auf der Straße eine Verbindung ein; es vermischen sich harte Rechtsradikale mit „besorgten Bürgern“. Was der radikalen BRD-Linken in den 1970er Jahren nie gelang, schafft die radikale Rechte im Osten spielend – mit Mao gesprochen wie ein Fisch im Wasser zu schwimmen. Damit, und das ist die neue Qualität der Proteste, stellt die Straße die Machtfrage. Es komme darauf an, so der erste Aufruf nach der Tötung von Daniel Hillig, zu zeigen, „wer in der Stadt das Sagen hat“. Wenn der rechte Vordenker Götz Kubitschek betont, man wolle den Staat „über eine kulturelle Hegemoniestrategie zu einer Tendenzwende bringen“, hört man dabei nicht nur Antonio Gramsci heraus, sondern immer auch Carl Schmitt: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“. Über den permanenten Ausnahmezustand den demokratischen Staat zu untergraben, das ist das Ziel der Neuen Rechten. Und Chemnitz gab einen Vorgeschmack davon, wie eine derartige Strategie erfolgreich sein kann. Deshalb wurde der „Kampf um Chemnitz“ von den Rechten umgehend als Fanal begriffen – und als erster Schritt auf dem Weg zur Machtergreifung

Diese Mobilmachung verfängt jedoch nur deshalb, weil die Straße mit der AfD über einen starken parlamentarischen Arm verfügt. Die AfD agiert als neue Volksprotestpartei, laut neuester Umfragen im Osten sogar inzwischen als stärkste Formation. Chemnitz hätte niemals diese Wirkung entfaltet, wenn nicht die Ostverbände der AfD den offenen Schulterschluss mit der Bewegung, namentlich mit Pegida und dessen Gründer Lutz Bachmann, gesucht und gefunden hätten, trotz gegenläufiger Parteibeschlüsse. Mit der AfD besitzt die rechte Bewegung – wie einst die grüne – heute ein Spielbein neben ihrem Standbein. Dadurch verstärken sich Straße und Parlament wechselseitig. Keineswegs zufällig verkündete Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland angesichts der Bilder von Chemnitz, man strebe eine „Revolution“ wie 1989 an.[2]Auch wenn er auf Nachfrage das „Friedliche“ dieser Revolution betont, ist dabei natürlich für alle Sympathisanten die Systemüberwindung stets mitgedacht.

Ein Drittes, neben dem Rechtsradikalismus der Straße und in den Parlamenten, kommt allerdings seit Chemnitz in aller Offenheit hinzu: Heute begegnen uns auch in den staatlichen Sicherheitskreisen explizite AfD-Argumentationen, wie das Verhalten des ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und frisch beförderten Staatssekretärs im Bundesinnenministerium zeigt. Hans-Georg Maaßen behauptete via „Bild“, dass es sich bei dem inzwischen bundesweit bekannten „Hase-Video“ („Hase, Du bleibst hier“) „um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“ – obwohl die Staatsanwaltschaft nur wegen Totschlags anklagt. Damit bediente er sich exakt derselben Rhetorik wie die AfD, wonach wir es mit einem gleichgeschalteten politisch-medialen Komplex zu tun haben, und zielte explizit auf die Bundeskanzlerin und deren Einschätzung der Lage.

Dass Maaßen der Applaus der AfD sicher war und weiterhin ist, kommt nicht überraschend. Erstaunlicher war dagegen, und damit sind wir bei der vierten Dimension der neuen Lage, dass auch „Bild“ offensiv den Schulterschluss mit dem Chef des Verfassungsschutzes praktizierte. „Erbärmlich“ sei die Kritik an ihm, denn „Maaßen ist ein Patriot, der in der Flüchtlingskrise früh gewarnt hatte, dass wir von zu vielen Menschen, die zu uns kommen, nicht wissen, wer sie wirklich sind.“[3]In dieser unkritischen Verteidigung eines völlig eigenmächtig agierenden Verfassungsschutzchefs zeigt sich, dass die größte deutsche Boulevard-Zeitung, die unter Ex-Chef Kai Diekmann noch mit Refugees-welcome-Buttons auftrumpfte, längst zu einer harten Merkel-muss-weg-Linie gefunden hat.[4]AfD-Chef Gauland lobte denn auch in seiner Pressekonferenz nach Chemnitz ausdrücklich die Entwicklung der „Bild“-Zeitung – gemeint war der Wechsel an der Blatt-Spitze von Tanit Koch zu Julian Reichelt – als Vorbild für die Transformation der Gesellschaft im Sinne der AfD.

WirSindMehr Chemnitz Demonstration 2018.jpg

Vergleicht man daher die Lage nach Chemnitz mit der nach Rostock-Lichtenhagen 1992, dem bis heute wohl dramatischsten Kontrollverlust der Staatsgewalt in der Geschichte der Bundesrepublik, dann hat sich eines radikal verändert: Damals hatten wir es tatsächlich mit einem spontan zusammengekommenen „Mob“ und etlichen Skinheads zu tun, heute hingegen mit einer hoch organisierten Rechten, die im Zusammenspiel mit einer Ost-Volkspartei namens AfD agiert, die sich wiederum bei ihrer Regierungs- und Systemkritik auf einen Teil der Sicherheitsorgane und der Medien verlassen kann. Damit kommt heute – ganz wie in Weimar – ein Teil der Angriffe gegen das System wieder aus dem System selbst. Und dennoch: Chemnitz ist nicht Weimar. Noch sind die Bilder weit entfernt von den Straßenschlachten der 1920er und 30er Jahre. Die AfD ist nicht die NSDAP und Pegida beileibenicht die SA. Der Verfassungsschutz ist kein Staat im Staate wie die Reichswehr und Julian Reichelt kein Alfred Hugenberg. Und doch verschaffen Chemnitz und der Freistaat Sachsen einen Eindruck davon, wie schnell vermeintlich stabile Verhältnisse ins Wanken geraten können. Das aber erinnert durchaus an das Scheitern von Weimar.

Der Politikwissenschaftler und Historiker Karl-Dietrich Bracher hat vor bald 65 Jahren in seiner epochalen Schrift über „Die Auflösung der Weimarer Republik“ die beiden zentralen Gründe für das Ende von Weimar herausgearbeitet: Der erste Grund war das durch die etablierten Parteien geschaffene Machtvakuum, der zweite der Mangel an Selbstschutz der Demokratie, infolge einer mangelhaften Verfassung und fehlender Verfassungspatrioten.[6]Der Untergang der Weimarer Demokratie erklärt sich folglich nicht in erster Linie aus dem Angriff ihrer Feinde – der musste notwendigerweise dazukommen –, sondern aus der Schwäche ihrer vermeintlichen Verteidiger. Diese Schwäche, in Form eines eklatanten Macht- und Autoritätsverlusts, erleben wir gegenwärtig auch in der Bundesrepublik, und zwar auf gleich drei Ebenen: Regierung, Polizei und Justiz.

Machtverfall und Autoritätsverlust

Quelle     :          Blätter         >>>>>         weiterlesen

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Oben    —         Karl-Marx-Denkmal – Aktionsbündnis „Chemnitz ist weder grau noch braun“

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Wir waren wie Brüder

Erstellt von DL-Redaktion am 29. September 2018

Was haben die mit mir zu tun?

Rund 65.000 Menschen kamen nach Chemnitz.

Von Daniel Schulz

Unser Autor ist vor Neonazis weggelaufen und war mit Rechten befreundet. In den neunziger Jahren in Ostdeutschland ging das zusammen. Wenn er heute in Chemnitz Männer um die vierzig sieht, die Hitlergrüße zeigen, dann fragt er sich: Was habt ihr mit mir zu tun? Und ich mit euch?

Die eigene Hässlichkeit kann ein Rausch sein. Wenn man sie umarmt und das Grauen in den Gesichtern derer sieht, die einen beobachten und verachten, aber sich nicht an einen herantrauen, dann strömt Macht durch die Adern wie elektrischer Strom.

Als ich bei über hundert Kilometern pro Stunde einem BMW hinter uns auf die Motorhaube pisse, spüre ich diese Macht. Als ich da im Dachfenster stehe, die Hose bis zu den Oberschenkeln heruntergelassen, sehe ich das große weiße Gesicht des Fahrers: Die Augen geweitet, vor Schreck, Entsetzen, Empörung, bläht es sich auf wie ein Ballon, ich würde gern mit einer Nadel hineinstechen.

Ich bin neunzehn, ich bin zehn Meter groß und acht Meter breit, ich bin unverwundbar.

Als am 27. August 2018 Männer meiner Generation, so um die vierzig, in Chemnitz einen „Trauermarsch“ veranstalten und einige ihre nackten Hintern in die Kameras halten, wie man es bei YouTube sehen kann, denke ich an meine Autobahnfahrt. Als schwere Männer Hitlergrüße zeigen und Menschen angreifen, deren Hautfarbe ihnen nicht passt, als die Polizisten nicht einschreiten, bin ich paralysiert, als würde etwas Dunkles hochkommen, von dem ich dachte, ich hätte es hinter mir gelassen. Aber ich erinnere mich auch an diesen Machtrausch, den Kick, wenn du jemandem klarmachst: Regeln? Und was, wenn ich auf deine Regeln scheiße, mein Freund? Was dann?

Ich sehe Chemnitz und frage mich: Was habt ihr mit mir zu tun? Was ich mit euch?

Zum Tag der Deutschen Einheit wird es wieder die geben, die erzählen, warum die Wiedervereinigung eine Erfolgsgeschichte ist. Schon das Wort „Wiedervereinigung“ ist eine Lüge, werden die anderen sagen, die vor allem sehen, was verloren ging: Betriebe, Selbstachtung, ganze Leben. Gerade sind die besonders gut zu hören, die sagen: Erkennt endlich die Leistungen derjenigen an, die sich eine neue Welt aufbauen mussten. Die auch oft sagen: Lasst mich in Ruhe mit den Opfergeschichten, wir sind stolz auf das, was wir geschafft haben, selbst wenn wir gescheitert sind.

Gerade, fast dreißig Jahre nach der Wende, erzählt die Generation meiner Eltern und Großeltern ihre Geschichten. Nicht das erste Mal, aber es scheint die richtige Zeit zu sein. Die sächsische Staatsministerin für Integration, Petra Köpping, hat einige dieser Geschichten aufgeschrieben in ihrem Buch „Integriert doch erst mal uns!“ und sie füllt in Ostdeutschland zur Zeit jedes Haus.

Es geht viel um verlorene Arbeitsplätze und ja, das klingt hübsch technisch, wie ein leicht lösbares Problem. Aber in diesem preußischen Vollbeschäftigungsstaat namens DDR, in dem Arbeit gleich Lebenssinn war und die wenigen, die keine Jobs hatten, „Assis“ gerufen wurden, bedeutete das eben auch: Kollegen, Brüder, Ehemänner, die sich erhängten, Geschwister und Cousins, die sich langsam zu Tode soffen, Familien, in denen es erst heiß aufwallte wie in einem Vulkan, weil einer jetzt mehr hatte als die anderen und dann erstarrte alles zu einer toten Landschaft kalter Schlacke. Frauen, die so sehr anpackten, um sich, ihre Männer und ihre Kinder durchzubringen, bis nichts mehr von ihnen übrig blieb als der Wille „es zu schaffen“.

Ist da noch Platz für die Erzählungen der 90er Jahre aus der Sicht derjenigen, die beim Fall der Mauer zu alt waren, um nichts von der Vergangenheit mitbekommen zu haben, aber zu jung um mitzureden, wie die Zukunft aussehen sollte? Über das Jahrzehnt, in dem auch die Menschen aufgewachsen sind, die heute Hitlergrüße zeigen und brüllen?

„Mit den 90er Jahren verbinde ich persönliche Erlebnisse, die derzeit wieder hochkommen“, sagt Manja Präkels, „und wenn ich im Land unterwegs bin, sehe ich jetzt oft genau die Leute bei der AfD wieder, die sich als Sieger der Kämpfe der 90er Jahre begreifen.“

Präkels hat das Buch „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ geschrieben, über die letzten Tage der DDR und das barbarische Jahrzehnt, das Ostdeutschland danach erlebte. Präkels ist 1974 geboren und in Zehdenick aufgewachsen, einer Stadt nördlich von Berlin. Ihr Buch ist neben „Oder Florida“ von Christian Bangel der zweite Roman mit autobiografischen Zügen, der im vergangenen Jahr erschienen ist und vom Ostdeutschland der 90er Jahre handelt.

Ich habe sie angerufen, um sie zu fragen, ob auch sie sich an damals erinnert fühlt, wenn sie die Bilder aus Chemnitz und Köthen sieht. Sie sagt, wenn sie auf Lesereisen unterwegs sei oder bei Tagungen, dann treffe sie auf Rechtsextreme, die angetrieben sind von dem, was sie damals erreicht haben in Rostock-Lichtenhagen und bei den vielen kleineren Feuern, die kaum jemand sah. „Sie begreifen sich als Sieger dieser Kämpfe“, sagt Präkels, „weil nichtweiße Menschen damals aus Ostdeutschland abtransportiert worden sind. Das hat die Gewalt jener Jahre in ihren Augen nachträglich legitimiert.“

Wann fängt man also eine Geschichte über damals an? Für mich begann es nicht 1989. Für mich begann es in der DDR.

Demonstration Chemnitz 2018-08-27.jpg

In der zweiten Klasse malt Ricardo mit dem Bleistift ein Hakenkreuz auf die Schulbank. An sich nichts Besonderes, auch ich habe das schon gemacht, einmal an einem Junitag 1987, während ich in mein Diktatheft krakele: „Heute kommt unsere Mutter spät nach Hause. Wir wollen helfen.“ Hakenkreuze malen ist das Verbotenste, was ich mir vorstellen kann. Jedes Mal brüllt ein kleines Tier in meinem Brustkasten seine Freude darüber hinaus, nicht erwischt worden zu sein. Die Kunst ist, aus dem Hakenkreuz gleich wieder ein kleines Fenster zu machen, bevor einen jemand sieht.

Aber Ricardo ist zu langsam gewesen oder vielleicht hat er vergessen, die Striche weiter zu ziehen, ich sehe es, zwei Freunde sehen es, wir nehmen ihn uns vor, als die Lehrerin nicht im Klassenzimmer ist. Es ihr zu sagen, geht nicht. Eine Petze zu sein, war schlimmer als alles andere. Wir müssen das unter uns regeln.

„Du weißt, dass das falsch war?“, frage ich.

Er heult. Er ist schwerer als ich und größer, aber er versucht nichts, zwei andere Jungs aus der Klasse stehen neben ihm. „Nimm die Brille ab“, sage ich. Ricardo heult noch ein bisschen mehr, er fleht mit großen Augen und ja, na klar, wohnen wir im gleichen Block und ja, wir wollen uns am Nachmittag wieder beim Sandkasten vor dem Haus treffen, aber erst einmal muss das hier erledigt werden.

Der im sozialistischen Jugoslawien geborene Schriftsteller Tijan Sila hat dieses Verhalten von Jungen in seinem Buch „Tierchen Unlimited“ so beschrieben: „Die Erziehung von Grundschülern sollte das Ethos der Partei spiegeln, und das erschloss sich mir damals nur in Gegensätzen: oben ein kaltes, appolinisches Gesicht, das Keuschheit, Nüchternheit und Leidensfähigkeit forderte, und darunter ein triebhafter, dämonischer Torso, der Härte, Kampf, Rivalität oder Opfer gut fand.“ Vielleicht blieb dieser Torso übrig, als der Kopf mitsamt der DDR verging.

Ums Kämpfen ging es in der DDR oft, die größten Kämpfer waren die, die nicht mehr lebten: die kommunistischen Antifaschisten, die in den Lagern gestorben waren, damit wir es besser hatten. Von Wandbildern und aus unseren Schulbüchern blickten uns muskulöse weiße Männer an. Von den Juden erzählten unsere Lehrerinnen nur, dass die Nationalsozialisten sie umgebracht hatten. Gekämpft hatten sie jedenfalls nicht.

Auf dem Nachhauseweg von der Schule erzählen wir Jungs uns Judenwitze. Zu viert oder zu fünft laufen wir über Kopfsteinpflaster und schwarzen Sand nach Hause, am Friedhof und an der Kneipe vorbei hin zu den vier Neubaublöcken am Rande des Dorfes.

Einer fragt: „Was ist der Hauptgewinn in der KZ-Lotterie?“

Ich sage: „Kenn ich doch schon. Eine Platzkarte in der Gaskammer.“

Später habe ich unsere Witze in dem Buch „Das hat’s bei uns nicht gegeben!“ wiedergefunden. Veröffentlicht hat es vor einigen Jahren die Amadeu Antonio Stiftung, benannt nach einem angolanischen Vertragsarbeiter, den junge Männer 1990 in Eberswalde so lange schlugen, bis er ins Koma fiel und später starb.

Woher wir unser Witze hatten, weiß ich nicht mehr. Es hätte sie gar nicht geben dürfen. In der Verfassung der DDR stand, der Faschismus sei besiegt. Und weil er nun einmal besiegt war, durfte er nicht existieren. Die Staatssicherheit, das lässt sich in dem Buch der Stiftung ebenso nachlesen wie in den Berichten des Geheimdienstes selbst, nannte Hakenkreuze auf jüdischen Friedhöfen und Neonazis, die andere Menschen zusammenschlugen, „Rowdytum“ und tat so, als gäbe es keinen politischen Hintergrund. Punks und alle, die anders aussahen als sich die sozialistische Elite ihre Bürger vorstellte, verfolgten Geheimdienst und Polizei dagegen hart als Auswüchse einer Dekadenz, die nur aus dem Westen kommen konnte.

Daran knüpft die AfD heute an. Die Partei setzt wie keine andere darauf, eine ostdeutsche Identität zu feiern und zu fördern. In Wahlkämpfen und Reden umwerben ihre Politiker die Menschen damit, wie fein deutsch und wenig verfremdet es in Ostdeutschland so zugehe. Und die Erzählung vom unpolitischen Rowdytum scheint bei vielen Polizisten ebenfalls heute noch zu funktionieren.

War das in der Bundesrepublik denn besser? Klassische Frage, die immer kommt, wenn man etwas über die DDR schreibt. Vielleicht ließe sich sagen, es gab in Westdeutschland wenigstens die Chance auf ein öffentliches Gespräch. In der DDR lief so eine Serie wie „Holocaust“ nicht im Fernsehen, die Leute konnten danach nicht darüber reden, sich aufregen oder weinen – zu Hause, in der Kneipe, im Bus. Und bei allem Verständnis für den Willen, sich von Westdeutschen nicht mehr das eigene Leben ausdeuten zu lassen: Ist es wichtiger, das Andenken an die DDR zu retten oder sich Gedanken darüber zu machen, warum die eigenen Kinder von Nazis gejagt werden oder selbst andere jagen?

Nach dem Überfall von Neonazis auf ein Punk-Konzert in der Ostberliner Zionskirche 1987 wollte das Zentralkomitee der SED dann doch einmal die neonazistischen Umtriebe untersuchen. Die Forscher registrierten 1988 bis zu 500 Taten aus dem rechtsextremen Milieu pro Monat. Die Ergebnisse verschreckten die Machthaber so sehr, dass sie sie gleich wieder wegschlossen. Der Oberstleutnant der Kriminalpolizei, der das Team geleitet hatte, wurde ab da von der Stasi beobachtet.

Wir lesen „Pawel“ in der vierten Klasse. Wir haben das grüne Schulbuch vor uns auf dem Tisch liegen, wir lesen abwechselnd ein paar Sätze vor. Ein Leutnant der Wehrmacht sitzt am Rande eines brennenden sowjetischen Dorfes und sieht einen spielenden Jungen. Er denkt: „Worin besteht der Unterschied zwischen diesem und einem deutschen Kind?“ Er rettet den Jungen vor dem heranrasenden Auto eines Feldwebels, sie fliehen zusammen zu sowjetischen Soldaten und der Leutnant kehrt an der Seite der Roten Armee nach Deutschland zurück. Fünfeinhalb Seiten dauert die Transformation des Nazi-Offiziers zum Kommunisten und sie beschreibt in ihrer kindgerechten Kürze recht gut den antifaschistischen Mythos der DDR. Der Staat musste ein paar Verführer bestrafen, den großen Teil seiner Bürger konnte er dann, ohne groß über die Vergangenheit zu reden, zum Aufbau des neuen Staates einsetzen.

Zugleich wussten wir wenig vom Fremden. Selbst unsere angeblichen Brüder kannten wir nicht. „Wir zeigen unsere freundschaftliche Verbundenheit mit dem Sowjetvolk“, schreibe ich am 8. Mai in meinen Heimatkundehefter. Aber wir sehen sie kaum, obwohl viele Kasernen gar nicht so weit weg sind. Manchmal marschiert ein Trupp mit Kalaschnikows auf dem Rücken an unserem Kindergarten vorbei und wir drücken uns an den Zaun und sehen ihnen nach. „Scheißrussen“, sagt ein Junge neben mir, und als ich ihn frage warum, sagt er: „Wenn der blöde Hitler unsere Wehrmacht nicht kaputt gemacht hätte, wären die jetzt nicht hier.“ Das hatte ihm jedenfalls sein Vater erzählt.

Wir wussten nicht, wer die Juden waren. Wir wussten nicht, wer die Russen waren. Wer die Nazis waren, wussten wir. Der Nazi war einer, der aus dem Westen kam. Der Kapitalismus galt als Vorstufe des Faschismus, und tatsächlich saßen ja noch alte Nazi-Eliten auf genügend Machtpositionen, um die als Beweis zu präsentieren. Als die Staatssicherheit 1960 im Bezirk Rostock eine „Aufstellung über Hakenkreuzschmierereien“ mit über fünfzig Delikten erstellte, sagte der Leiter der Bezirksverwaltung, diese seien „Teil der Provokation aus Westdeutschland“. In „Käuzchenkuhle“, einem der bekanntesten Jugendbücher der DDR, löst ein Junge zusammen mit seinen Freunden einen Kriminalfall, bei dem „der Fremde“, ein ehemaliger SS-Mann aus Westdeutschland, zurückkehrt, um alte Nazi-Raubkunst zu bergen. Noch 2006 erklärte mir der SPD-Innenminister eines ostdeutschen Bundeslandes vor einem Interview, das Naziproblem käme aus dem Westen und, nein, in der DDR habe es das nicht gegeben.

Der Fall der Mauer brach mir das Herz. Ich hatte Angst vor dem Westen, vor den Faschisten, einfach davor, dass alles, was ich kannte, kaputt gehen könnte.

Die Erwachsenen rührten keinen Finger. Sie saßen vor dem Fernseher und sahen sich Demonstrationen an. Sie unterrichteten uns weiter in der Schule, als sei alles völlig normal. Dass wir wirtschaftlich keine Chance hatten, war mir ja klar, jeder Junge, der wusste, wo die Matchboxautos herkamen, begriff das. Aber mein Vater war Oberstleutnant der verdammten Nationalen Volksarmee, er hatte mal dreißig Panzer kommandiert, wo waren die denn jetzt?

Ich wollte eine chinesische Lösung, ich wollte Tiananmen-Platz in Berlin und Leipzig. Als mein Vater, der Feigling, nicht loszog, um die Irren da draußen zu stoppen, überlegte ich, wie ich ihm seine Makarow-Dienstpistole klauen könnte. Mein Plan war, in Westberlin ein paar Leute zu erschießen und einen Krieg zu provozieren. Denn den, da war ich mir sicher, den würden wir gewinnen.

Wir fuhren mit dem Begrüßungsgeld nach Berlin-Spandau. Bei Karstadt kaufte ich mir ein Telespiel, einen kleinen blauen Computer, mit dem ich Eishockey zocken konnte.

Mit jedem neuen Level wurde der Puck schneller und schwieriger zu erreichen. Es fing mit Piep – piep – piep an und steigerte sich pieppiep pieppiep pieppiep bis zu pipipipipipip. Wie hypnotisiert starrte ich auf die kleine blinkende Scheibe, bis die Welt um mich herum nur noch gedämpft zu hören war, wie hinter Watte. Die Erwachsenen hatten mich verraten, ich hatte mich für ein Computerspiel verkauft. Ich war wütend, aber ich hatte keine Ahnung auf wen.

Quelle        :     TAZ          >>>>>         weiterlesen

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Oben          —       Besucher des Konzertes Wir sind mehr

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2. von Oben    —           Demonstranten auf der von Pro Chemnitz angemeldeten Demonstration am 27.08.2018 in Chemnitz mit Flaggen und Transparent.

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3. von Oben     —        Via –   Wikimedia Commons  Twitter    GRÜNE Mittelsachsen

 

 

 

 

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Nach Chemnitz/Köthen

Erstellt von DL-Redaktion am 22. September 2018

Nazis und Rechte klar benennen

Von Sebastian Erb

Man dürfe nicht pauschalisieren, heißt es oft. Doch das ist auch ein Propagandainstrument. Es schützt jene, die in der Grauzone verharren wollen.

Da darf man nicht pauschalisieren, man muss das sehr differenziert betrachten! Wie oft haben wir uns diesen Satz in den vergangenen Wochen anhören müssen, wenn es um rechtsextreme Umtriebe in diesem Land ging. Denn Pauschalisieren, das wird uns von interessierter Seite einzutrichtern versucht, Pauschalisieren ist grundsätzlich schlecht. Und wer nicht differenziert, das ist die unweigerliche Folge, hat im politischen Diskurs schon verloren.

Nur: So einfach ist es nicht. Das pauschale Verdammen von Pauschalisierungen ist zu einer beliebten Methode geworden, mit der unbequeme Wahrheiten abgewehrt werden sollen. Vermeintliche Differenzierungen wiederum dienen häufig dazu, die Wirklichkeit so aufzuweichen und in Einzelheiten verschwimmen zu lassen, dass am Ende schon irgendwas hängen bleibt, auch wenn es faktisch nicht stimmt.

Das soll kein Plädoyer sein, nicht genau hinzuschauen und die Sachlage im Detail zu analysieren. Gerade wer genau hinschaut, entdeckt am Ende ein Muster, auf dessen Grundlage er eine klare Bewertung äußern kann. So ist das etwa – um ein aktuelles politisches Beispiel anzuführen – wenn man sich anschaut, wie es sich mit dem Rechtsextremismus in Sachsen verhält.

Nach eingehender, auch vergleichender, Analyse kann und darf und sollte man vielleicht auch ganz pauschal sagen: Sachsen hat ein Nazi­pro­blem. Wer das jetzt als pauschales „Sachsen-Bashing“ abtut und eine Differenzierung einfordert, will vor allem eines: Verharmlosen und von den real existierenden Problemen ablenken. (Dass nicht alle in Sachsen Nazis sind, muss an dieser Stelle nicht betont werden, denn das hat nichts mit Differenzierung zu tun, es handelt sich schlicht um: Logik.)

Doch: In Chemnitz wurden Menschen gejagt

Das beste Beispiel dafür, wie Differenzierungen benutzt werden, um ein Problem wegzudifferenzieren, ist die Debatte über das, was am 26. August und den Folgetagen in Chemnitz passiert ist. Die rassistischen Übergriffen auf vermeintlich ausländisch aussehende Menschen seien keine Hetzjagd gewesen, keine Menschenjagd, allerhöchstens seien möglicherweise Jagdszenen zu sehen gewesen, betonen die Differenzierer von rechts außen – und klingen so, also hätten sie sich extra Stoppuhr und Maßband besorgt, um nachzumessen und so belegen zu können, dass alles nicht so schlimm war.

Vor lauter Wortbeiträgen von Hobbysemantikern droht unterzugehen: Es wurden in Chemnitz Menschen gejagt, nur weil sie aussehen, wie es manchen nicht gefällt, dass sie aussehen. Aber bitte nicht pauschalisieren! Es mussten ja schließlich nicht alle schwarzen Menschen wegrennen! Es gab sogar welche, die nicht mal verbal angegriffen wurden! Und manche der Angreifer haben sogar selbst ausländische Freunde!

Quelle     :          TAZ            >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen            :

Oben     —        Demonstration am 27. August in Chemnitz.[1]

Unten      ––      Demonstration am 7. Juli 2018 in Berlin

 

 

 

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DER ROTE FADEN

Erstellt von DL-Redaktion am 10. September 2018

Aufmärsche und Einmärsche –

Datei:Parforcehornbläser.jpg

was würde Jesus tun?

Durch die Woche mit Saskia Hödl

Wer ist eigentlich Horst Seehofers Pfarrer? Das ist doch so in der CSU – die gehen doch in die Kirche? Oder sind die etwa nur so christlich wie Sahra Wagenknechts neue Bewegung „Aufstehen“ links ist? Nein, die CSU sind Christen, steht ja deutlich drauf. Aber wann sind sie das eigentlich? Nur sonntags, wenn keine Politik gemacht wird, oder abends beim Tischgebet? Oder bei der Erstkommunion der Großnichte?

Wie kann es sein, dass ein christlich-sozialer Innenminister es überhaupt schafft, eine Woche die Zähne nicht auseinanderzubekommen, wenn es um rechte, um nationalsozialistische De­mons­tran­ten geht? Wenn in Chemnitz die rechten Hände nach oben schnellen, als wäre es 1938, wenn sich Leute brüllend „Adolf-Hitler-Fans“ nennen, dafür Applaus bekommen und wenn dann auf der Straße nichtweiße Menschen angegriffen werden? Wie kann es sein, dass dieser Innenminister dann von der Migrationsfrage als „Mutter aller Probleme“ spricht und dass unter seiner stoischen Sauerkrautmimik kein noch so kleines christliches Feuer lodert? Nicht mal ein Funke?

Wie kann es sein, dass ein deutscher Innenminister nicht zuallererst über die absolute Unmöglichkeit spricht, den Hitlergruß auf deutschen Straßen zu zeigen – und sich stattdessen in die Reihen derer begibt, die jetzt mal den Duden rausholen und darüber debattieren, ob das jetzt genau genommen eigentlich eine Menschenjagd, eine Hetzjagd, Jagd auf Menschen, eine Hetze, eine Verfolgungsjagd oder vielleicht ja doch nur ein Hürdenlauf mit anschließender Körperverletzung war? Als würde das irgendeinen verdammten Unterschied machen für jene, die wahllos auf die Fresse bekommen haben, weil ein Mob von Nazis nicht mit ihrer Hautfarbe einverstanden war, nicht mit ihrer physischen Existenz auf deutschen Straßen klarkommt.

Roter Faden Hannover rote Zusatzmarkierung.jpg

Ich bin keine Spezialistin für die Christen, das gebe ich zu. Aus der Kirche bin ich ausgetreten, weil ich mich in einem Verein mit Sexualstraftätern, für deren Beschäftigung ich auch noch Steuern zahlen soll, nicht wohlgefühlt habe. Aber es gibt ja auch gute Pfarrer, die sich um das Seelenheil der Menschen kümmern, um die Nächstenliebe, die Barmherzigkeit, um den Frieden. Also wieso wirft keiner von denen dem Seehofer mal ein paar Bibeln um die Ohren und fragt ihn: What would Jesus do?

Apropos Hitlergruß: Schauen wir mal einen Moment nach Österreich, wie das so läuft, wenn die Rechten die Macht übernehmen. Zum einen denkt derzeit mindestens ein österreichischer Politiker daran, in Nordafrika einzumarschieren. Klingt lustig für ein Land, das gerade mal über ein Dutzend maroder Eurofighter verfügt. Aber Reinhard Bösch, der nicht nur FPÖ-Wehrsprecher ist und selbstredend Mitglied der rechtsextrem eingestuften Burschenschaft Teutonia, sondern auch Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im österreichischen Nationalrat, hat in einem Zeitungsinterview tatsächlich erläutert, dass er in Betracht ziehe, mit militärischen Kräften einen Raum in Nordafrika in Besitz zu nehmen, um Flüchtlinge zu internieren.

Quelle     :        TAZ          >>>>>         weiterlesen

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Oben    —    Parforcehornbläser Hannover „Treffpunkt Fermate“

Quelle Eigenes Werk
Urheber Axel Hindemith
Ich, der Urheberrechtsinhaber dieses Werkes, veröffentliche es als gemeinfrei. Dies gilt weltweit.
In manchen Staaten könnte dies rechtlich nicht möglich sein. Sofern dies der Fall ist:
Ich gewähre jedem das bedingungslose Recht, dieses Werk für jedweden Zweck zu nutzen, es sei denn, Bedingungen sind gesetzlich erforderlich.

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Unten     —      Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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Sachsens M. Präsident

Erstellt von DL-Redaktion am 9. September 2018

Scheitert Kretschmer, scheitert mehr

Datei:Michael Kretschmer-v2 Pawel-Sosnowski - Querformat.jpg

Jeder wird einmal die Zeche zahlen müssen, für das was er sich  genommen hat!  Alle politischen Ergeizlinge drängen sich auf ihre Posten, möchten die Lorbeeren einstecken und haben dann auch für ihre Unfähigkeiten einzugestehen !

Von Georg Löwisch

Sachsens Ministerpräsident hat zuletzt Zweifel an seinen Fähigkeiten aufkommen lassen. Man muss ihm trotzdem die Daumen drücken.

Nichts tut mehr weh, als sich einzugestehen, dass Michael Kretschmer vielleicht die letzte Chance ist. Die Sachsen wählen am 1. September 2019. Kretschmer will Ministerpräsident bleiben. Und verhindern, dass die AfD in die Regierung kommt. Im vergangenen Jahr hat er gegen die Rechten schon verloren, da war er noch CDU-Bundestagsabgeordneter und wurde im Wahlkreis vom AfD-Konkurrenten verdrängt. Ministerpräsident wurde er nur, weil die AfD bei der Bundestagswahl auch sachsenweit die CDU überholte und Stanislaw Tillich zurücktrat.

Gerade hat Kretschmer in drei Wochen dreimal gezeigt, dass ihm entweder Grundkoordinaten fehlen oder Professionalität oder beides. In Woche eins sprach er ZDF-Journalisten, die bei einer Pegida-Kundgebung bedrängt wurden, die Seriosität ab.

In Woche zwei behauptete er pauschal, die Polizei und somit auch deren Führung habe in Chemnitz einen super Job gemacht, nachdem die ganze Republik im Fernsehen auftrumpfende Nazis gesehen hatte.

In der dritten Woche, am vergangenen Mittwoch, stritt er in einer Regierungserklärung einfach mal ab, dass es in Chemnitz einen Mob gegeben habe – der vor aller Augen getobt hatte.

Immer mehr Abschiebungen

Ja, genau, das ist der Mann, dem man die Daumen drücken muss. In Sachsen kann es leicht passieren, dass CDU, SPD und Grüne oder FDP nicht mal eine Dreier- oder gar Viererkoalition zusammenkratzen können. Die SPD ist im Freistaat schon lange eine Miniatur. Die CDU darbt. Ihre fetten Jahre erlebte sie unter Kurt Biedenkopf. Zur Profilierung gehörte es, die Linkspartei zu verteufeln. War von Rechtsextremismus die Rede, musste bitte schön auch über den Links­extremismus räsoniert werden.

Kretschmer schließt Bündnisse sowohl mit der AfD als auch mit der Linken aus. Brächte er ohne Tabubruch keine Mehrheit zustande, würde er wohl eher neu wählen lassen, was die Landesverfassung nach vier Monaten ermöglicht.

Quelle     :         TAZ          >>>>>          weiterlesen

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Oben     —         Michael Kretscmer

Urheber   —   Pawel Sosnowski / Sächsische Staatskanzlei /

Quelle   —   https://www.ministerpraesident.sachsen.de/biografie-des-ministerpraesidenten-3407.html

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Ahnungslos in Chemnitz

Erstellt von DL-Redaktion am 8. September 2018

Die Resterampe der West CDU verseuchte Sachsen ?

File:Karl-Marx-Monument in Chemnitz. 03.jpg

Von Gesa von Leesen

Baden-Württemberg war nach der Wiedervereinigung Partnerland von Sachsen. In die Verwaltung wurden Westbeamte gesetzt. Doch die Parteien haben es damals versäumt, einen demokratischen Aufbruch zu initiieren, meint unsere Autorin. Sie lebte zehn Jahre in Chemnitz.

In Chemnitz ist der Teufel los, und alle schauen hin, berichten und suchen wieder minutiös nach den Schuldigen. Oder sie demonstrieren. Wie zum Beispiel am vorvergangenen Montag die baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Stefan Räpple und Hans Peter Stauch sowie am vorigen Samstag der AfD-Landesvorsitzende Ralf Özkara und die Landtagsabgeordnete Christina Baum. Sie marschieren mit den Rechtsradikalen. Bei der Gegendemo „Herz statt Hetze“ waren einige Bundespolitiker wie Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch und Familienministerin Franziska Giffey (SPD) vor Ort. Aus Stuttgart kamen rund zwei Dutzend junge linke AktivistInnen, um die Gegen-Demo in Chemnitz zu unterstützen. LandespolitikerInnen von den demokratischen Parteien Baden-Württembergs wurden nicht gesichtet.

Dabei war Baden-Württemberg, gemeinsam mit Bayern, einst Partnerland von Sachsen, damals nach der Wiedervereinigung. Von hier wurden in den 1990er-Jahren Beamte aus Verwaltung, Politik und Justiz in den Freistaat geschickt. Überall in Ostdeutschland dominierten in den Führungsebenen der Justiz und der Ministerien Westdeutsche. Damals kam der Begriff des „Dimido-Beamten“ auf, das waren die „Wessis“, die nur dienstags, mittwochs und donnerstags an ihren Arbeitsplätzen anzutreffen waren.

Die Rechten waren hier früh aktiv

Manche dieser Abgesandten machten Karriere, freundeten sich mit ihrer neuen Heimat an und blieben. Viele gingen nach ein paar Jahren zurück. Damit hätte das Wissen über die Verhältnisse im Osten auch in der baden-württembergischen Politik eine größere Rolle spielen können. Doch dem war nicht so. Hier tat man weiter so, als hätte es die Wiedervereinigung nicht gegeben. Maximal ging es mal nach Rügen an die „andere“ Ostsee oder nach Dresden, um Barock anzugucken. Ansonsten herrschte Ignoranz im Ländle, Arroganz oder naives Desinteresse. Wenn ich den Schwaben erzähle, dass ich elf Jahre in Sachsen als Journalistin gearbeitet habe, davon zehn in Chemnitz und das meistens gern, schaue ich auch heute noch in erschrockene bis mitleidige Gesichter. Chemnitz – war das nicht Karl-Marx-Stadt? Unter dem Nischel, wie man dort zu dem berühmten Karl-Marx-Monument sagt, sammeln sich jetzt die Rechten zu ihren Aufmärschen.

Es war spannend in Chemnitz damals, vieles war noch nicht so festgefahren wie im Westen. Und es war auch erschreckend. Denn die Rechten waren früh aktiv. Wer politisch interessiert war, wusste, dass in Chemnitz Ende der 1990er-Jahre die Berufsschulen rechts dominiert waren. Die Lehrer dort beklagten sich über Hakenkreuzkritzeleien und Hitlergrüße von Schülern und waren überfordert. Unterstützung aus Schulverwaltungen blieb aus. Es gab Stadtviertel und Dörfer im Chemnitzer Umland, die für ihre Nazi-Szene bekannt waren. Wenn es dort Prügeleien gab, rief man als Journalistin die Polizei an und fragte nach: Gab es politische Hintergründe? Fast immer lautete die Antwort: „Nein.“ Gerne hieß es noch, dass die Jungs alkoholisiert gewesen seien. Warum das politische Motive ausschloss, blieb offen.

In Chemnitz gab und gibt es ein Alternatives Jugendzentrum, das AJZ. Bekannt als Treffpunkt von jungen Linken, wurde es in den 1990er Jahren mehrmals überfallen. Von Rechten, wie die jungen AJZler berichteten. Bei einer Diskussion vor einer Landtagswahl im AJZ zum Thema „Rechtsradikalismus“ erklärte der CDU-Kandidat, IHK-Präsident und Spediteur, dass er mit Azubis, die rechts seien, in einer Diskussion über die deutsche Geschichte keine Chance habe. „Die sind so intelligent“, befand er verzweifelt. An einem 20. April Anfang dieses Jahrtausends konnten sich glatzköpfige Jungnazis vor der Chemnitzer Stadthalle nahezu ungestört mit erhobenem rechten Arm begrüßen. Kurz: Rechts zu sein, war nichts Besonderes, der Schritt zum Rechtsextremismus klein.

Gegen rechts fehlte der breite demokratische Konsens

Quelle    :        KONTEXT-Wochenzeitung        >>>>>        weiterlesen

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Das Monument wurde Monate vor der Errichtung in Karl-Marx-Stadt in der Kunstgießerei Monument Skulptura in Leningrad in Bronze gegossen und dann in 95 Einzelteile zerlegt. In Karl-Marx-Stadt sollten diese Einzelteile wieder zusammengeschweißt werden, doch die sowjetische Technik war nicht geeignet, so dass man sich entschloss, den Auftrag an den VEB Germania zu übertragen, da sonst ein Auseinanderreißen der zusammengeschweißten Teile zu befürchten war. Das Denkmal steht auf zwei Sockeln, die mit Korninskij-Granit, benannt nach der Abbauregion in der Südukraine, plattenartig überdeckt sind.
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Unten    —       Demonstration am 27. August in Chemnitz

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Der Neue für Meißen?

Erstellt von DL-Redaktion am 7. September 2018

Ein Schlichter in Angriffslaune

Frank Richter (2015).jpg

Von Michael Bartsch, Dresden

Weil er Pegida in die Landeszentrale für politische Bildung lud, stand Frank Richter in der Kritik. Am Sonntag will er Bürgermeister von Meißen werden.

Ob er liest, auf einer Bühne steht oder beim Wein plaudert: Frank Richters Körpersprache und sein Tonfall verraten nach wie vor den früheren Seelsorger, den katholischen Pfarrer. Wie er beim Zuhören den Oberkörper leicht vorbeugt. Wie er beim Nachdenken die Fingerspitzen beider Hände aufeinanderpresst: Richter ist der geborene Schlichter und Moderator. Am kommenden Sonntag will Richter Oberbürgermeister der Elbestadt Meißen werden, der ursächsischen Hauptstadt, wenn man so will. Eine völlig neue Herausforderung für ihn, die er in Konsequenz seiner bisherigen Rolle aber auch gesucht hat.

Zum öffentlich bekannten Vermittler wurde Richter am Abend des 8. Oktober 1989. Nach nächtelangen Demonstrationen in Dresden entschied sich an diesem Abend das Schicksal der Revolution in der DDR. Einige tausend Demonstranten wurden an diesem Sonntagabend auf der Prager Straße eingekesselt. Die Einsatzleitung folgte dem Vorschlag Frank Richters, aus der Menge spontan 20 Vertreter zu nominieren, die am nächsten Morgen mit Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer sprechen sollten. Die Kundgebung löste sich ohne Übergriffe auf. Diese „Gruppe der 20“ und der in dieser Nacht höchst aktive SED-Bezirkschef Hans Modrow stellten die Weichen für den friedlichen Verlauf der legendären Leipziger Demonstration mit 70 000 Teilnehmern am 9. Oktober.

Bruch mit dem Kirchendienst

Der 1960 in Meißen geborene Richter war zu diesem Zeitpunkt gerade erst vor zwei Jahren zum Priester geweiht worden. Als Kaplan an der Dresdner Hofkirche wurde er nicht nur schnell populär, sondern saß auch auf dem vielversprechendsten Aufstiegsplatz im Bistum Dresden-Meißen. Das Amt als dessen Jugendseelsorger ab 1994 schien solchen Ambitionen noch zu entsprechen. Das Trockenbrot als Pfarrer im erzgebirgischen Aue nicht mehr. Frank Richter quittierte 2001 den Kirchendienst und wechselte als Referent für Religion und Ethik ins sächsische Comenius-Bildungsinstitut. 2005 ließ er sich laiisieren, um zu heiraten.

Frank Richter (2015)–2.jpg

Auf vier Jahre „Westerfahrung“ folgte ab 2009 jene Phase, die ihn mehr und mehr auch über die sächsischen Landesgrenzen hinaus bekannt machte. Die sächsische Union meinte wohl, mit dem Parteimitglied Richter einen treuen Vasallen an der Spitze der Landeszentrale für politische Bildung zu installieren. Doch der neue Direktor erwies sich stilistisch und inhaltlich als ausgesprochen eigenständig und hartnäckig. Originelle Formate wie Kabarettabende am 1. April oder eine Radtour zu Stätten historischer Friedensschlüsse hielten Einzug. Die sächsische Landeszentrale avancierte zu einem Zentrum der Gegenwarts­debatten.

Quelle    :        TAZ          >>>>>         weiterlesen

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Oben   —       Frank Richter (Leiter Sächsische Landeszentrale für politische Bildung); Messe Schriftgut 2015

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Die Rechten ausgetanzt

Erstellt von DL-Redaktion am 5. September 2018

Chemnitzer Konzert der Solidarität

File:Stadthalle und Hotel Mercure. Chemnitz. Sachsen.IMG 2556WI.jpg

Aus Chemnitz Malene Gürgen und Juliane Streich

Wir sind mehr: Die Losung hat sich bewahrheitet. 65.000 Menschen feiern am Montagabend in Chemnitz gegen Dumpfdeutsche. Warum dies mehr als nur ein Konzert war.

Aziz Mohammad Rafi ist aufgekratzt. Der schmächtige 19-Jäh­rige hüpft von der Straße auf den Bürgersteig und wieder zurück, umtänzelt seine Freunde, knufft ihnen in die Seite. Seine Augen leuchten. „Es war so cool“, sagt er immer wieder. „So – cool“, mit Betonung auf jedem einzelnen Wort.

Rafi und seine Freunde stehen im Stadtzentrum von Chemnitz am Rand des kleinen Parks, der zur etwas höher gelegenen Stadthalle ansteigt. Vor einer Stunde haben die Toten Hosen drüben auf der großen Bühne an der Johanniskirche den letzten Ton gespielt.

Aber viele der mehr als 65.000 Besucher des Konzerts wollen noch lange nicht nach Hause gehen: Auf dem Rasen im Park und den Treppenstufen vor der Stadthalle, auf den Bürgersteigen und auf den zum Teil immer noch gesperrten Straßen sitzen Hunderte überwiegend junge Menschen in kleinen Gruppen zusammen. Sie trinken warmes Bier aus der Dose vom Döner-Imbiss an der Ecke, dem einzigen, der noch welches hat, und erzählen sich gegenseitig, was sie erlebt haben. Man wird mit Fug und Recht behaupten können: So viel los war in Chemnitz an einem Montagabend schon sehr, sehr lange nicht mehr.

Rafi zeigt ein Video, das er vorhin beim Konzert mit seinem Handy gemacht hat, als er ganz vorne war. Er weiß nicht genau, wie der Rapper heißt, der dort zu sehen ist, aber er findet ihn: „So – cool.“ Trettmann sei das, erklärt ihm einer aus der Gruppe aus Berlin, die sie gerade kennengelernt haben, und klopft ihm auf die Schulter: „Wenn du Trettmann feierst, bist du korrekt“, sagt er und fängt an, von dem Chemnitzer Musiker zu erzählen, leuchtende Augen haben jetzt beide.

Datei:Die-Toten-Hosen 2013.jpg

Die Toten Hosen

Wie Stadt sich in wenigen Stunden verändert

Am Nachmittag, als die ersten Flixbusse ankommen und um halb fünf dann fast gleichzeitig drei Züge aus Leipzig, Zwickau und Dresden, ändert sich das Chemnitzer Stadtbild auf einmal: Die Stadt ist plötzlich deutlich jünger. Scharenweise ziehen Menschen die Straße entlang, auch ältere, auch Familien mit Kindern, aber vor allem sehr, sehr viele junge Leute, viele eher unter 20 als unter 30. Sie decken sich bei Rewe in der Fußgängerzone mit Proviant ein und schließen sich zu spontanen Picknickgruppen zusammen, bevor es dann auf den Parkplatz an der Johanniskirche geht, auf den das ursprünglich für das Karl-Marx-Monument geplante Konzert verlegt wurde.

Der Platz ist voll, noch bevor die Veranstaltung mit einer Schweigeminute für den am Wochenende zuvor in Chemnitz erstochenen Daniel H. beginnt. Aber nicht nur der Platz: Über die gesamte Innenstadt ergießen sich die Besucherströme. Die Stimmung ist fröhlich, aber es gibt auch eine klare Note Ernsthaftigkeit darin. „Wir sind keine Partytouristen“, das ist ein Satz, den gerade die jungen Besucher betonen.

Viele sind angereist, manche sehr früh aufgestanden, um hierherzukommen. Aber längst nicht alle kommen von weither. Clara Weber und Willi Tretter kommen aus Reichenbrandt und Limbach-Oberfrohna, zwölf Kilometer von Chemnitz entfernt. Sie ist 20, er 19, und von den Auseinandersetzungen mit Rechtsextremen in ihren Schulklassen erzählen sie im Plauderton. Nicht weil es schön wäre, aber weil es normal ist. Auch ihnen ist wichtig zu sagen, dass sie aus politischen Gründen hier sind, auch wenn sie sich freuen, gleich Feine Sahne Fischfilet hören zu können

Feine Sahne Fischfilet beim Open Air Werden, 2014

Feine Sahne Fischfilet

Für die Punkband aus Mecklenburg-Vorpommern gehört Antifaschismus sozusagen zum Markenkern, manche der anderen Musiker, die heute Abend hier auftreten, zeigen sich normalerweise weniger politisch. Aber auf Einladung der Chemnitzer Band Kraftklub sind sie alle gekommen, um das Motto der innerhalb der letzten Woche organisierten Veranstaltung wahr werden zu lassen: Wir sind mehr.

Wie die Punkszene in Chemnitz Gräben überspringt

„Wir sind nicht naiv. Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass man ein Konzert macht, und dann ist die Welt gerettet“, hatte der Kraftklub-Sänger Felix Brummer vor der Veranstaltung gesagt. Das ist richtig, natürlich. Zu unterschätzen ist die Wirkung dieses Konzerts aber auch nicht.

Am Ende kommt die Überraschung. Campino, der gerade mit den Toten Hosen noch seine alten linken Songs wie „Das ist auch mein Land“ gespielt hat, holt zwei „Brüder“ von ihm, wie er sagt, auf die Bühne.

Der eine ist Arnim von der Berliner Band Beatsteaks und der andere Rod, Bassist von Die Ärzte. Mit ihm zusammen stimmen sie „Schrei nach Liebe“ an, den Anti-Nazi-Song der Ärzte, die seit den Achtzigern eine mehr oder weniger ernste Rivalität mit den Toten Hosen ausfechten. Undenkbar also, dass Campino deren Lieder singt. Hier bei „Wir sind mehr“ werden selbst die Grenzen des deutschen Punk niedergerissen. Und 65.000 singen fröhlich mit.

Kraftklub als Gastgeber auf dem Kosmonaut Festival 2014

Kraftklub als Gastgeber

Doch ist das Konzert keine Punkveranstaltung. Die Toten Hosen sind die Veteranen hier, „kurz vor der Rente“, wie Campino sagt. Ihre jüngeren Nachfolger von Feine Sahne Fischfilet singen mit einfachen, oft etwas pathetischen Punkhymnen gegen das Schlechte in der Welt an, vor allem gegen Neonazis. Zwischendurch hält Sänger Monchi kurze Reden, in denen er erklärt, dass so ein Konzert gegen rechts nur der Anfang sei, dass man auch an anderen Orten und Tagen seine Stimme gegen Hetze erheben müsse. Und so erheben alle ihre Stimme und grölen „Komplett im Arsch“.

Heimspiel für die ­Rapper und Rocker aus Karl-Marx-Stadt

Quelle     :        TAZ         >>>>>         weiterlesen

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Oben    —          Stadthalle und Hotel Mercure . Chemnitz. Theaterstraße 3 . Kulturdenkmal Nummer 09202215

Author Kora27      / Source : Own work

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2.) von Oben     —  Toten Hosen   / Vom Ritchie, Andreas von Holst, Andreas Meurer, Campino und Michael Breitkopf (Dezember 2013)

 

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Diskurs nach Chemnitz

Erstellt von DL-Redaktion am 3. September 2018

Die Lüge von der Grenzöffnungskanzlerin

Eine Kolumne von

Dass links wie rechts in etwa das Gleiche sind, auf dieser falschen Geometrie beruht eine gefährliche Form des politischen Denkens in Deutschland. Um sie aufrechtzuerhalten, kommen Lügen und Fake News ins Spiel.

Die Probleme dieses Landes sind geometrisch, und das ist eine gute Nachricht. Denn dann gibt es ja keine Gefahr für die Demokratie, dann bleiben es doch alles besorgte Bürger, die sich eben gerade rechts aufstellen, während sich andere links aufstellen – so ist das Gleichgewicht des Erschreckens. Das sagen jedenfalls all die, die sich gerade wieder in dieser traditionellen deutschen Disziplin üben, dem symmetrischen Verdrängen.

Stichwortgeber für dieses Denken und damit Spindoktor für vieles, was zu Chemnitz gesagt wurde, von „Frankfurter Allgemeine“ und „Welt“ bis „Bild“, ist Ernst Nolte. Der Historiker baute seine Theorie des Faschismus darauf auf, dass der Faschismus vor allem ein Antimarxismus sei, also eine Reaktion auf eine linke Provokation, möglicherweise sogar eine nötige Reaktion. Anfang und Ursprung des deutschen Mordens zwischen 1933 und 1945 wurden damit gewissermaßen exportiert, in ein historisches Nirwana, und deutsche Schuld und Verantwortung muss man demnach überhaupt auch noch einmal anders diskutieren.

Dieses Muster durchzieht alle Entschuldungsdiskurse der vergangenen Jahrzehnte, wenn es etwa um Dresden geht, das 1945 von den Engländern zerstört wurde, während das englische Coventry schon 1940 von den Deutschen zerstört wurde. Immer ging es um die Frage, ob die Deutschen nicht doch Opfer waren. Immer ging es darum, geschichtliche Fakten zu verdrehen und Kausalitäten zu konstruieren, die ganz offensichtlich falsch waren. Immer ging es schließlich darum zu behaupten, dass links und rechts doch irgendwie das Gleiche seien und sich das eine als Reaktion auf das andere erklären ließe.

Und dass links und rechts in etwa das Gleiche sind, ist ja leicht zu verstehen, da muss man sich nur seine Hände anschauen, die meist auch gleich weit vom Körper entfernt sind und auch ähnlich, nur andersherum. Die Logik dieser Vergleiche, der Methode Nolte, ist, dass sie ohne lästige inhaltliche Fragen auskommen, dass man mit holzschnittartigen Schablonen statt mit Argumenten hantieren kann, dass man überhaupt erst einmal von den eigentlichen Ereignissen, von Schuld und Verantwortung ablenken kann.

Falsche Geometrie von links und rechts

Das war der Sinn vieler Leitartikel (oder besser: Nebelkerzen), die nach diesem Muster verfuhren. Da wurde in gleichem Atem über Linke und die Antifa geschrieben, mittlerweile der rechtsnationale Platzhalter schlechthin für alles, was von rechtsextremer Gewalt ablenken soll. Mein Kollege Sascha Lobo hat schon darauf hingewiesen, ich möchte es noch mal tun, weil die Heuchlerei allzu groß ist: Donald Trump – und damals war die Empörung zu recht vehement – hat nichts anderes getan, als er nach den rassistischen Ausschreitungen von Charlottesville vor einem Jahr frech meinte, es gebe „bad people on both sides“.

Nichts anderes hat nun etwa die FDP getan, die sich besonders stark machte für die Verschleierung von geschichtlichen Kategorien oder moralischen Prämissen. Antifaschisten sind für sie auch nur Faschisten, und überhaupt haben sie, wie so viele, die sich in den vergangenen drei Jahren dazu äußern, die Fake News übernommen, die sie zur Grundlage ihres Kampfschreis „Merkel muss weg, Merkel muss weg“ gemacht haben: Die Grenzöffnung vom Sommer 2015, genau vor drei Jahren, die keine Grenzöffnung war, weil die Grenzen offen waren, so wollte es das geltende europäische Recht.

Quelle     :         Spiegel-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquelle  :   Tobias M. EckrichFlickr: http://www.flickr.com/photos/digitalcourage/9691359025/in/set-72157635372016963

  • CC BY 2.0
  • File:Freiheit statt Angst Berlin 07.09.2013.jpg

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KOLUMNE – MACHT

Erstellt von DL-Redaktion am 1. September 2018

Es reicht!

File:Maischberger - 2016-12-14-7439.jpg

Von Bettina Gaus

Auch eine liberale Gesellschaft definiert sich durch die Grenzen, die sie zieht. Wer Rassismus propagiert, mit dem kann man kein Gespräch führen.

Donnerwetter. Kaum waren fünf Tage ins Land gegangen, schon fand jemand aus der Bundespolitik den Weg nach Chemnitz. Nicht der Bundespräsident, nicht die Kanzlerin, auch nicht der Innenminister, aber doch die Familienministerin. Wenn das keine donnernde Unterstützung für die Zivilgesellschaft ist.

Im Ernst: Diese Zivilgesellschaft hätte allen Grund sich von „der Politik“ im Stich gelassen zu fühlen. Dazu gehört übrigens auch in Sachsen die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, wie alle Umfragen zeigen. Ja, das ist eine Selbstverständlichkeit, aber offenbar müssen manche Selbstverständlichkeiten ausgesprochen werden, damit sie nicht in Vergessenheit geraten.

Zum Beispiel auch die, dass man den Anspruch auf Toleranz und Verständnis verwirkt, wenn man solidarisch und stumm neben Leuten steht und läuft, die gerade Straftaten begehen. Wie den Hitergruß zu zeigen oder Jagd auf Leute zu machen, die anders aussehen als man selber.

Es ist wahr, dass Veranstalter von Kundgebungen es schwer haben, sich einzelnen Gruppen gewalttätiger Krimineller in den Weg zu stellen. Etwas aber können sie tun, wenn eine Demonstration aus dem Ruder gelaufen ist: Sie können sich von den Straftätern distanzieren und deren Vorgehen verurteilen, unmissverständlich.

Ist mir da etwas durchgerutscht? Oder ist die Fülle der Distanzierungen von den bösen Systemmedien einfach ignoriert worden, und sie haben nur diejenigen zu Wort kommen lassen, die Verständnis für die Gewalttäter zeigten – oder überhaupt leugneten, dass sich etwas ereignet hatte, was die ganze Welt hatte sehen können? Ach, es ist nicht leicht, sich mit dem Thema ohne bitteren Hohn zu befassen.

Kampf um die kulturelle Hegemonie

Quelle      :        TAZ         >>>>>         weiterlesen

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Oben     —      Oben     —

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Attribution: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

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Unten   —    Maik G. arbeitet für das Landeskriminalamt – und pöbelt in seiner Freizeit gerne Journalisten an Alle Rechte vorbehalten Screenshot/NDR

 

 

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Sturz der Staatsapparate?

Erstellt von DL-Redaktion am 30. August 2018

Der AfD – Pegida – Polizei – Komplex

File:Kathrin Oertel bei Pegida Demonstration in Dresden am 05.01.2015 (15650432643).jpg

Umsturz mit Hilfe der Staatsapparate?

Quelle    :       untergrund-blättle

Von Michael Hütter / lcm

Viele Staatsgläubige sind entsetzt, dass ein LKA-Mitarbeiter bei einer PEGIDA-Demo mitläuft und Journalisten beschimpft.

Er ist nicht irgendein LKA-Mitarbeiter, sondern soll laut MDR-Recherchen Buchprüfer bei Ermittlungen in schweren Straftaten sein. Damit habe er Zugriff auf das polizeiliche Erfassungssystem, in dem alle Ermittlungsvorgänge eingespeist werden. Damit nicht genug: Er soll auch Zugriff auf das Zentrale Ausländerregister haben.

Bundesjustizministerin Katarina Barley findet das „wirklich besorgniserregend“ und fordert Aufklärung. Dass dieser Fall nun so viel Sorge auslöst, überrascht. Laut dem Recherchenetzwerk von Lower Class Magazine, antifaschistischen Gruppen und aufmerksamen Internet-Leser*innen ist das längst nicht der erste Fall. Bei genauerer Betrachtung wird deutlich: Wir haben es nicht nur mit Nazis auf der Strasse, Nadelstreifen-Rechten in den Parlamenten und Salonfaschisten in den Zeitungsstuben zu tun. Mehr und mehr offenbart sich: Teile des Staatsapparates schliessen sich den Rechten an.

Polizei

Vor fast drei Jahren gab es schon einmal einen kleineren LKA-Pegida-Skandal. Damals kam heraus, dass Frank Oertel, Ex-Mann der früheren Pegida-Frontfrau Kathrin Oertel, LKA-Mitarbeiter ist. Er Zdemonstrierte im November 2015 vor einer Flüchtlingsunterkunft und gab Medien Interviews. Auch er ist nicht etwa Hausmeister beim LKA, sondern war zum damaligen Zeitpunkt in der Spezialabteilung extremistischer Islamismus beschäftigt. Damals sah das LKA keinen Grund zu intervenieren.

Wenige Monate zuvor wurden auf der Plattform Indymedia Linksunten private Nachrichten von einem Handy veröffentlicht, das Antifas zuvor einem bekannten Neonazi entwendet hatten. Der Nazi hatte enge Kontakt mit mindestens einem Leipziger Polizisten. Der Nazi-Kader und der Nazi in Uniform tauschten sich fröhlich über die „jüdische Weltverschwörung“ und über „Zecken“ aus.

Sachsens Polizei steht schon lange im Verdacht, besonders rechtsoffen zu sein. So sehr, dass sogar Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig sich bereits vor mehr als zwei Jahren öffentlich fragte, „ob die Sympathien für Pegida und die AfD innerhalb der sächsischen Polizei grösser sind als im Bevölkerungsdurchschnitt“.

Bereits zwei Stunden nach dem Anschlag auf den Breitscheidplatz im Dezember 2016 tweetete der Ober-Pegidist Lutz Bachmann, der mutmassliche Täter sei ein Tunesier. Er bezog sich auf eine „interne Info aus der Berliner Polizeiführung“. Ob sich Bachmann nur wichtig machen wollte oder er tatsächlich enge Kontakte hat, können wir nicht sagen, aber die Beispiele zeigen, dass zwischen Pegida, Neonaziszene und Polizei schon länger Netze bestehen. Gleiches gilt für die AfD: Auf den Kandidatenlisten der AfD für die vergangene Bundestagswahl tauchten auffällig viele Polizisten auf, was damals sogar die Springer-Presse überraschte.

Staatsanwälte und Richter

Doch die AfD hat nicht nur gute Kontakte zu Polizisten. Im Bundestag sitzen für sie mit Roman Reusch und Thomas Seitz auch zwei Staatsanwälte. Seitz ist nicht nur Bundestagsabgeordneter, sondern Obmann der AfD-Fraktion im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Er, der klar dem Rechtsaussen-Flügel der AfD zugeordnet werden kann, könnte aber bald seinen Beamtenstatus verlieren. Das baden-württembergische Justizministerium klagt wegen rassistischer Äusserungen.

Der andere, Roman Reusch, war bis zu seiner Wahl in den Bundestag sogar leitender Oberstaatsanwalt in Berlin, jetzt ist er Mitglied des parlamentarischen Kontrollgremiums; übrigens gelang ihm das nur, weil Hunderte Abgeordnete anderer Parteien im Bundestag ihn in dieses Gremium wählten.

Und dann wäre da noch Jens Maier, der nochmal rechts von Höcke steht. Er sorgt regelmässig für Aufsehen, mal beleidigt er den Sohn von Boris Becker rassistisch, dann soll er bei einer Veranstaltung Verständnis für den Massenmörder Anders Behring Breivik geässuert haben. Ausserdem bezeichnete er die NPD als die Partei, die bis zum Aufkommen der AfD „immer geschlossen zu Deutschland gestanden“ habe. Seit 1997 ist er Richter am Landgericht Dresden. Als er noch als Richter tätig war, verbot er per einstweiliger Verfügung, auf Antrag der NPD, einem Wissenschaftler über die NPD zu sagen, diese plane „rassistische Staatsverbrechen“.

Verfassungsschutz

In den vergangenen Wochen kam ausserdem heraus, dass sich der Präsident des Verfassungsschutzes Georg Maassen mehrmals mit AfD-Politikern getroffen hat. Die AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber behauptet, Maassen habe Frauke Petry, als sie noch Parteichefin war, Tipps gegeben, wie es die AfD anstellen könnte, nicht durch den Verfassungsschutz beobachtet zu werden. Maassen bestreitet seine Tätigkeit als AfD-Imageberater. Er soll Schreiber zufolge Petry geraten haben, ein Ausschlussverfahren gegen Höcke einzuleiten.

Fun Fact: Das Ausschlussverfahren scheiterte, die AfD bewegte sich in der Zwischenzeit nochmal deutlich nach rechts, beobachtet durch den Verfassungsschutz wird sie immer noch nicht. Damit nicht zu viel an die Öffentlichkeit dringt, soll Maassen Frauke Petry erst vor zwei Wochen Vertraulichkeit zugesichert haben. Wiederum vor Jahren gab es bereits eine Diskussion darüber, ob sich bei der AfD auch Verfassungsschützer engagieren.

Bundeswehr

Polizei, LKA, Verfassungsschutz, Richter, Staatsanwälte. In der Auflistung darf natürlich ein weiterer Staatsapparat nicht fehlen: die Bundeswehr. Auch hier gibt es , wenig überraschend, enge Verbindungen. Georg Pazderski, Vize-Chef der AfD, ist ehemaliger Offizier, Andreas Kalbitz, Chef der AfD-Brandenburg, war 1994 bis 2008 Zeitsoldat. Thorsten Weiss, Mitglied im Abgeordnetenhaus in Berlin, war nicht nur wie Kalbitz ebenfalls Zeitsoldat, sondern gilt auch als enger Vertrauter Höckes. Uwe Junge, Chef der AfD in Rheinland-Pfalz, ist Oberstleutnant.

Und dann ist da noch Franco A. Er stand im Verdacht, eine „staatsgefährdende Gewalttat“ vorbereitet zu haben. Der Bundeswehroffizier hat sich als syrischer Flüchtling ausgegeben und wollte möglicherweise einen Anschlag verüben. Er war nicht allein, ein Oberleutnant soll ihm dabei geholfen haben. Wir wissen nicht, ob das dem AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Nolte imponiert hat. Klar ist allerdings: Nolte hat versucht, den Oberleutnant in seinem Bundestagsbüro unterzubringen.

Umsturz mit Hilfe der Staatsapparate?

Die Liste der Verbindungen zwischen Personen aus den Staatsapparaten und den Rechten liesse sich fortsetzen. Es sind jene Teile des Staatsapparates, um die die Rechten offen werben. Der Führer der Rechtsaussen, Björn Höcke, sehnt sich mit seinen faschistischen Mitstreitern nach einer völkischen Revolution, die er „Wende“ nennt. Wie die Facebook-Gruppe Gegen die Alternative für Deutschland völlig zutreffend kommentiert, hat bei einem solchen Umsturz der Staatsapparat eine wichtige Funktion: „Damit nach einem ‚Umsturz‘ aber der Staat auch funktioniere, braucht es Beamte und Mitarbeiter, die den Ablauf eines Staatsapparates kennen – eine offene Flanke der NPD, die keine Beamten an sich binden konnte. Übrigens keine neue Idee, denkt man an den Verwaltungsjuristen Wilhelm Frick, der als Innenminister den Staatsapparat der Nationalsozialisten nach der Machtergreifung aufbaute.“

Es geht den Faschisten um Höcke nicht nur um den Kampf um die Köpfe, den Kampf auf der Strasse und dem Kampf um Parlamentssitze, wie er selbst in seinem bizarren Interview-Band Nie zweimal in den selben Fluss sagt: „Wichtig wäre noch eine weitere Front aus den frustrierten Teilen des Staats- und Sicherheitsapparates heraus, die die Wahnsinnspolitik der Regierenden ausbaden müssen und auf das Remonstrationsrecht zurückgreifen könnten.“

Der Verbindungen zwischen Pegida, AfD, Neonazis, Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr, Richtern und Staatsanwälten könnten in der Zukunft noch enger werden. Für den antifaschistischen Abwehrkampf ändert das nichts: Der Kampf gegen die Rechten darf nicht den Behörden überlassen werden. Sie sind Teil des Problems.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Website eine Creative Commons Lizenz (CC).

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Grafikquelle   :        Kathrin Oertel bei Pegida Demonstration in Dresden am 05.01.2015 (15650432643).jpg

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Twitter sperrte Parodie

Erstellt von DL-Redaktion am 24. August 2018

Twitter sperrte Parodie der Polizei Sachsen für mehrere Stunden

Quelle    :   Netzpolitik ORG

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Die Plattform geht bei Sperrung von Satirekonten intransparent und offenkundig etwas willkürlich vor. Das bekam heute das Parodie-Konto @lkasachsen zu spüren, dass sich über die Pegida-Sympathien eines ostdeutschen Polizei-Mitarbeiters lustig machte.

Die Affäre um einen pöbelnden Mitarbeiter des Landeskriminalamtes in Sachsen mit Pegida-Sympathien sorgt auf Twitter für Aufregung. Umso pikanter, dass der Kurznachrichtendienst heute ein auf die sächsische Polizei gemünztes Parodie-Konto für mehrere Stunden sperrte und erst nach Protesten wieder freischaltete – ohne Angaben von Gründen. Wie schon bei vorherigen Fällen geht die Plattform mit solchen Sperrungen nicht transparent vor, für die Nutzer bleibt die Entscheidung kaum nachvollziehbar. Auch auf eine Nachfrage von netzpolitik.org bei Twitter reagierte der Konzern nicht.

Beschimpfungen des Landeskriminalamts-Mitarbeiters Maik G. gegen ein Filmteam des ZDF und eine anschließende Polizeikontrolle am Rande einer Pegida- und AfD-Demonstration in Dresden vergangene Woche sorgen derzeit für einen Sturm der Entrüstung im Netz. Nicht zu unrecht: Wer Lügenpresse schreit, hat in der Polizei nichts verloren, kommentiert richtigerweise die Süddeutsche.

Doch zurück zu der Sperrung: Offenbar kurz nach Bekanntwerden des Vorfalls richteten unbekannte Spaßmacher auf Twitter das Konto @LKASachsen ein, das klar als Satire gekennzeichnet war. Kurz vor der Sperre setzten die Betreiber einen Tweet ab, der vermeintlich im Namen der Polizei rechtliche Schritte gegen Schmähungen ihres Mitarbeiters in den Raum stellte:

Inzwischen ist das Konto wiederhergestellt und twittert wieder Spöttisches, hat aber fürs erste alle seine Follower verloren. Es handelt sich nicht um das erste Mal, dass Twitter ohne Vorwarnung Konten unter Parodie-Verdacht sperrt: Im Januar nahm die Plattform den Account des Satiremagazins Titanic nach Tweets im Namen von AfD-Politikerin Beatrix von Storch für mehr als 48 Stunden vom Netz. Einige Tweets über die AfD-Politikerin, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und die Polizeien in Sachsen und München blieben auch danach geblockt.

Im aktuellen Fall bleibt wie so oft unklar, was eigentlich genau zur Sperrung des Kontos geführt hat. In der Vergangenheit wurden für überzogene Sperr- oder Lösch-Entscheidungen von sozialen Netzwerken Meldekriege zwischen Rechten und Linken verantwortlich gemacht. Solche Melde-Attacken können zu Fehlgriffen der größtenteils von Algorithmen getroffenen Sperr-Entscheidungen führen. Für Nutzer ist meist weder klar, warum und auf welcher Basis die Entscheidung getroffen wurde, noch wie sich dagegen vorgehen lässt.

Härter wurde das Vorgehen von Twitter wohl durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), dass für Deutschland eine rasche Entfernung aller „rechtswidrigen Inhalte“ bei hohen Strafandrohungen vorschreibt. Zuletzt gab die Plattform bekannt, im ersten Halbjahr 2018 allein auf Grundlage des NetzDG rund 260.000 Meldungen über anstößige Tweets erhalten zu haben. Viele Inhalte werden aber auch wegen Verstößen gegen die eigenen „Twitter-Regeln“ gesperrt.

In beiden Fällen ist der Beschwerdevorgang kaum nachvollziehbar und auch bei offenkundig ungerechtfertigten Löschungen gibt es kein Recht auf Wiederherstellung. Soziale Medien werden zwar als Diskursraum immer bedeutender, die Kontrolle dieses öffentlichen Raums obliegt aber allein den privaten Unternehmen und wird von problematischen Gesetzen wie dem NetzDG geregelt.

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Grafikquelle   :       Maik G. arbeitet für das Landeskriminalamt – und pöbelt in seiner Freizeit gerne Journalisten an Alle Rechte vorbehalten Screenshot/NDR

YouTube

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rechte Struktur in Sachsen

Erstellt von DL-Redaktion am 24. August 2018

„Ein Spiegelbild der Gesellschaft“

Andre Hahn, August 2009 - by Die Linke Sachsen.jpg

Das Interview fürte Sabine am Orde

Auch bei Polizei und Justiz in Sachsen gebe es leider viel zu viele Anhänger von AfD und Pegida, sagt der Linkenpolitiker André Hahn. Die Politik sei gefragt.

taz: Herr Hahn, der Mann, der die Behinderung eines ZDF-Teams durch Polizeibeamte am Rande einer rechtspopulistischen Demo in Dresden ausgelöst hat, ist Mitarbeiter des sächsischen LKA. Wie beurteilen Sie diese Wendung?

André Hahn: Zunächst will ich mehr wissen über die Tätigkeit dieses Mitarbeiters im Landeskriminalamt. Es wäre ein ungeheuerlicher Vorgang, wenn ein LKA-Mann womöglich noch unter Verweis auf seine Dienststelle dafür gesorgt hat, dass die Arbeit von Journalisten bei einer Pegida-Demo behindert worden ist. Das wäre ein dramatischer Eingriff von Mitarbeitern des Regierungsapparats in die Pressefreiheit, der nicht hinzunehmen ist.

Welche Konsequenzen muss das haben?

Der Vorfall muss vollständig aufgeklärt werden, und der Ministerpräsident, der die Polizei ohne genaue Kenntnis pauschal verteidigt hat, muss seine Bewertung korrigieren und sich entschuldigen. Wieder einmal stellt sich die Frage: Wie steht es um die sächsische Polizei? Es ist ja kein Zufall, dass das wieder in Sachsen passiert ist. Es wäre falsch, wenn man die ganze sächsische Polizei in die rechte Ecke stellen würde, aber Polizei und Justiz sind ein Spiegelbild der Gesellschaft, und deshalb gibt es leider auch dort viel zu viele Anhänger von AfD und Pegida. Es gibt bei der sächsischen Polizei Unzufriedenheit mit den Regierenden. Stellen wurden abgebaut, die Belastungen immer größer, das Weihnachtsgeld gekürzt, die Nachwuchsausbildung vernachlässigt. Die AfD ist allerdings die falsche Adresse für berechtigten Protest.

Immer wieder wird kritisiert, die sächsische Polizei messe mit zweierlei Maß: hart gegen Linke und Geflüchtete, lasch gegen Pegida und Co. Woher kommt das?

Das liegt auch an den Vorgaben der Politik, die in Sachsen seit 28 Jahren von der CDU kommen. Der erste Ministerpräsident Kurt Biedenkopf hat behauptet, die Sachsen seien immun gegen Rechtsextremismus. Das war eine fatale Fehleinschätzung! Aber wenn man denkt, man sei immun, dann unternimmt man eben auch nichts dagegen.

Was folgt daraus?

Quelle     :       TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben     —       André Hahn

 

 

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Das Lebendige regt sich

Erstellt von DL-Redaktion am 3. August 2018

Klaus Renft : Das Lebendige regt sich

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Von Thomas Gerlach

In der DDR wussten sie, die Stones würden nie kommen, Deep Purple auch nicht. Aber die Klaus Renft Combo war da. Bis das Verbot, Streit und der Tod die Band zerlegt. Nur einer noch singt heute die Renft-Lieder. Wieder und wieder.

Bekommt die Band das Bier heute kostenlos? Einen Augenblick lang scheint Heike Stephan ratlos, schließlich ist sie keine Konzertveranstalterin, sondern Grafikerin und der Auftritt heute ist etwas Einmaliges. „Ja, klar“, sagt sie dann schnell. Sie kennt die Männer gut, die am Abend unter der Hainbuche im Pfarrhof von Löhma spielen, einem winzigen Dorf mit 270 Einwohnern im Thüringer Osten. Den Leuten von Renft sollte man keine Ketten anlegen, auch nicht beim Bier. Nicht nach sechzig Jahren, nicht nach all den Schlachten und den Toten. Nur noch wenige von der legendären Besetzung aus den Siebzigern sind noch am Leben und nur einer steht noch auf der Bühne: Thomas Schoppe, den sie hier alle „Monster“ nennen.

Die meisten Musiker schlafen unter der Erde, so wie Bandgründer Klaus Renft, Stephans Lebensgefährte, der heute seinen 76. Geburtstag feiern würde, aber 2006 gestorben ist.

Renft, ursprünglicher Name Klaus Jentzsch, hat die Band 1958 als Klaus Renft Combo in Leipzig gegründet. Inspiriert von Fats Domino, Little Richard, später den Stones und den Beatles gab es bald jede Menge spektakulärer Konzerte in und um Leipzig, mit „Yeah! Yeah! Yeah! und dem ganzen Dreck“, der SED-Parteichef Ulbricht ein solcher Graus war, dass er damit ganz fix Schluss machen wollte. Was folgt, waren Auftrittsverbot, Umbenennung, wieder Verbot, wieder Umbenennung.

Dann kommt, 1971, der neue SED-Chef Erich Honecker und mit ihm kommen drei, vier liberale Jahre. Renft steigt mit seinem Sound zwischen Rock und Blues und seinen Texten zur angesagtesten Band der DDR auf. Sie singen über Liebe, Träume, vom Alltag und natürlich von Sehnsüchten. Von Sehnsüchten in diesem kleinen, mit Stacheldraht so akkurat verpackten Staat. Es sind kleine Botschaften, wie Kassiber versteckt in Metaphern von Booten, die nach Norden ziehen, und Vögeln, die einfach davonfliegen.

Die Bürgerrechtsbewegung in den USA, die 68er Studentenproteste, der Prager Frühling, der Vietnamkrieg, Woodstock, John Lennon mit seinem „Give Peace a Chance“ und der Streifen „Blutige Erdbeeren“, der von rebellierenden Studenten in Kalifornien erzählt und in der DDR zum Kultfilm aufstieg – das alles verstärkte sich zu einem einzigen weltumspannenden Gefühl, das in der „Sonne“ in Schkeuditz, in der „Central-Halle“ in Gaschwitz und in Mülsen im Erzgebirge zu spüren ist. Es steckte Arbeiter, Lehrlinge, Schüler, Studenten an. Und von der Bühne gellte Thomas Schoppes durchdringender Schrei.

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„Alle Zeit drängt nach vorn / Das Lebendige und regt sich / Zwischen Liebe und Zorn/ Reift der Mensch und er bewegt sich“

Zu den Weltfestspielen 1973 in Ost-Berlin, einer Art DDR-Woodstock, genehmigt von der SED, tritt die Band vor Hunderttausenden unterm Fernsehturm auf. Die SED präsentiert, fünf Jahre nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“, für ein paar Tage im August ihre Version vom liberalen Sozialismus und Renft ist Kult. Doch 1975 kommt das endgültige Aus. Drei gehen in den Westen, drei bleiben. Nach der Wende Neugründung, Streit, Abspaltung – dann kommt Gevatter Tod.

Einer noch singt die Renft-Lieder wieder und wieder: Thomas Schoppe, genannt „Monster“, nach dem gleichnamigen Album der Hard-Rocker von „Steppenwolf“. Jetzt kommt der Sänger und Gitarrist über den Pfarrhof, angegrautes Haar, nicht mehr so lang, aber für einen 73-Jährigen herrlich dicht und ordentlich zerzaust. Schoppe steht unter einem Flieder, Bierglas in der Hand. „Renft spielt bei Renft“ hat die Regionalzeitung angekündigt. Schoppe tritt mit der aktuellen Renft-Besetzung, alle drei gestandene Ost-Rocker, zum ersten Mal hier auf, wo Gründer Klaus Renft die letzten Jahre verbracht hat und das Leben im Dörfchen Löhma, wie man hört, musikalisch bereichert hat.

Schoppe hat gezögert. „Ich wollte dem Personenkult von Klaus aus dem Wege gehen.“ Und tatsächlich, mit Bildergalerie unterm Dach, Gedenkstein im Pfarrgarten und jeder Menge Fotos erinnert das Grundstück an eine Renft-Gedenkstätte. Auf der Treppe hängen die Fotos aller Bandmitglieder, gewesener und heutiger, eine Ahnengalerie hinter Glas. Schoppe ist zweimal vertreten, ein Heimspiel ist es trotzdem nicht. Doch er hat zugesagt, Heike Stephan will Kunst verkaufen, Grafiken, auch Bilder von Klaus Renft. „Aber wer weiß? Vielleicht geht es uns ja wie der deutschen Mannschaft?“, flachst Schoppe die Nostalgie weg.

Renft und Schoppe waren Antipoden. Dort Klaus Renft – der Leise, Harmoniebedürftige, der Schmächtige. Hier Schoppe – der Kompromisslose, der Hochfahrende, der Hüne mit Stimmbändern wie Stahlseilen und einem Resonanzraum, groß wie ein Kleiderschrank. „Monster“ eben. Es gibt ein Foto, da sieht Schoppe aus wie ein Wirts­haus­schläger, kräftige Arme, große Hände, forscher Blick. Und wenn Schoppe jetzt so in den Jahren herumstippt wie in einem Eintopf, sich an sein Leipzig der sechziger Jahre erinnert, sich mal einen Vers rauspickt, ist dieses Vulkanische zu spüren, in seinen Augen, in seiner Stimme, in den Handbewegungen. Auch das Wegwerfende. So einer will auf die Bühne.

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Was passiert eigentlich auf der Bühne? Schoppe dreht sich um. Instrumente werden verstöpselt, eine Gitarre heult auf und am Bierwagen füllt der Wirt die Gläser. Über den Pfarrhof schlendern Leute, sie kommen aus Jena, Gera, Leipzig, Berlin, allesamt Jahrgänge irgendwo zwischen 1950 und 1965. Manche Männer haben beachtliche Bäuche, einer stakt mit Krücken umher, einer sitzt angenagelt wie ein Fakir, dürr und mit langen weißen Haaren. Etwa 140 Besucher sind hier. Bratwurstduft, Zigarren- und Pfeifenrauch liegen in der Luft. Von Zeit zu Zeit klirren Biergläser. Wer die Augen schließt, wähnt sich auf einem Feuerwehrfest. Wer sie wieder öffnet, sieht „Renft – für immer!“ auf T-Shirts geschrieben oder „Zwischen Liebe und Zorn“, ein Renft-Klassiker. „Wer die Rose ehrt“ gibt es nicht auf Textil, dafür heißt die CD auf dem Verkaufstisch so.

Quelle     :       TAZ        >>>>>       weiterlesen

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Grafikquellen           :

Oben     —      Klaus Renft während eines Auftrittes in Eppendorf/Sachsen 2003.

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2.)   von Oben     —      Ostrockmuseum Kröpelin

 

 

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Wurzen ist überall

Erstellt von DL-Redaktion am 29. Juli 2018

Rassismus in Sachsen

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Von Gesa Steeger

In Nordsachsen werden Flüchtlinge attackiert, Linke verleumdet und Rechte steuern den Diskurs. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Dietel ist nicht da. Kretzschmar erhält keinen Applaus. Röglin kommt zum nächsten Pro­gramm­punkt. Drei Männer, ein Abend, eine Geschichte, die ihren Anfang nimmt im Stadtrat Wurzen.

Man trifft sich im Plenarsaal. Helles Holz, dunkle Ölgemälde, viel Platz nach oben. Aus drei Fenstern schaut man auf die Kirche mit ihrem weißen Glockenturm, der weit über Wurzen hinaus­ragt. Draußen schreien Schwalben im Tiefflug. Gegen 18 Uhr füllen ältere Damen und Herren die drei Stuhlreihen für Besucher, zwischen ihnen ein breiter Mann in Schlappen, rotem Shirt und schwarz-goldenem Kragen: ein ehemaliger NPD-Stadtrat.

Oberbürgermeister Jörg Röglin, der Einzige an diesem Abend im Anzug, kommt zu Punkt 11 der Tagesordnung. Auf die Liste gesetzt hat ihn Christoph Dietel, Vorsitzender des Neuen Forums für Wurzen. Eine Bürgerbewegung, die an die AfD erinnert, aber nicht die AfD sein will. In einer Petition fordert Dietel die Streichung der Gelder für das „Netzwerk für demokratische Kultur“ (NDK). Ein Verein, der sich um Geflüchtete kümmert und die Zivilgesellschaft fördern möchte.

Dietels Vorwurf: Das Netzwerk für Demokratische Kultur erwecke bei Einwanderern die falsche Idee, willkommen zu sein, und verleumde die Wurzener: „Darüber hinaus ist der Verein im höchsten Maße für Wurzens Ruf als BRAUNES HERZ DES MULDENTALS verantwortlich.“ Genau so steht es in der Petition, die im Stadtrat ausliegt.

Alle 26 Abgeordneten – die AfD sitzt nicht im Stadtrat – recken grüne Zettelchen nach oben. „Die Petition ist abgelehnt“, sagt Jörg Röglin, so knapp und routiniert wie ein Richter beim Urteilsspruch. Jens Kretzschmar, Stadtrat der Linken, geht zum Rednerpult, eine braune Box, hinter der er fast verschwindet. Er ist ein schmaler Mann, keiner, der sich gern breit macht. Die Petition richtet sich gegen ihn, Kretzschmar hat das NDK gegründet. Er sagt: „Sie versuchen, Integration in unserer Stadt schlechtzureden, und beschimpfen alle, die etwas damit zu tun haben. Ist das Ihre Vorstellung von Kommunalpolitik?“

Kretzschmar hält eine Rede ins Nichts. Dietel ist nicht aufgetaucht. So ging das in letzter Zeit öfter in Wurzen. Christoph Dietel setzt die Themen, sorgt für Aufregung, und wenn es losgeht, ist er nicht da. Müde Gesichter bei den Abgeordneten. Kein Applaus. Zwei Stadträte klopfen leise auf den Tisch. Die Versammlung kommt zum nächsten Punkt. Ein Abend, wie bestellt und nicht abgeholt.

Mit Nazis Haus an Haus

Wurzen, Landkreis Leipzig, Nordsachsen, im Juni 2018. Das sind Islamgegner, nächtliche Aufmärsche vor Asylunterkünften und Hetze im Netz. Das sind Flüchtlingshelfer und linke Aktivisten, die immer weiter an den Rand gedrängt werden. Das sind Nachbarn, die seit 25 Jahren mit Nazis Haus an Haus wohnen. Das sind drei Männer im Streit, um eine Stadt, ihre Bewohner und den öffentlichen Diskurs.

Da ist Christoph Dietel, früher Bürgerrechtler, heute wieder auf der Straße gegen das System.

Da ist Jens Kretzschmar, früher Punk, heute „Gutmensch“, noch immer am Stören.

Da ist Jörg Röglin, früher glühender Sozialist, heute ein SPD-Mann, wie eingeklemmt zwischen den Rändern.

Ihr Streit zeigt, was mit der gesellschaftlichen Mitte passiert, wenn die konservativ-bürgerliche Mauer nach rechts zerbröselt, Politik immer lauter wird und Freund-Feind-Denken den Dialog ersetzt. Es ist ein Streit, der nicht nur in Wurzen tobt, nicht nur in Sachsen, sondern in ganz Deutschland. In Wurzen haben sie nur früher damit angefangen.

Erinnerungen an die 1990er Jahre. In den ersten Jahren der neuen Republik feiern Nazis die Sommersonnenwende im Umland und Führers Geburtstag mit Partys im Jugendclub. Das Innenministerium von Sachsen und der Verfassungsschutz sprechen damals von Wurzen als einer Hochburg des neuen Rechtsextremismus. Von einem harten Kern aus 30 Neonazis und etwa 300 Unterstützern.

Spricht man heute mit Wurzenern über diese Zeit, erzählen sie von jungen Glatzen, die Streife fuhren. Um den Bahnhof rum, fünf Jungs in einem Auto, der Baseballschläger immer dabei. Von Überfällen auf linke Kneipen und dem Obdachlosen, dem sie im März 1996 mit einer Luftdruckpistole das linke Auge rausschossen.

„Multikulti Endstation“

Die Glatzen von früher sind mittlerweile Geschäftsleute. In Wurzen betreiben sie ein Sonnenstudio, eine Autowerkstatt und einen Versandhandel für rechte Musik, der im aktuellen Bericht des Verfassungsschutzes Sachsen als „einer der wichtigsten rechtsextremistischen Vertriebe im Freistaat Sachsen“ gelistet ist.

Wurzen im März 2018: Rund 150 Männer und Frauen versammeln sich auf dem Marktplatz. Die Leipziger Volkszeitung berichtet und druckt Bilder: An einem Baum in der Mitte des Marktplatzes baumeln bunte Ostereier an kahlen Ästen. Ein paar selbst gebastelte Pappschilder: „Heimatliebe ist kein Verbrechen“. „Multikulti Endstation“. Vor einem Banner des Neuen Forums für Wurzen steht Christoph Dietel, ein kräftiger Mann mit hoher Stimme, die sich überschlägt, wenn er sich aufregt, das Mikrofon in der rechten Hand: „Wir wollen unsere Vaterstadt retten.“ Hinter ihm stehen seine Anhänger wie eine Mauer. Applaus.

Datei:Wurzen Markt.jpg

Im Februar 2018 hat Dietel das Neue Forum für Wurzen gegründet. Ein lockeres Gebinde aus Geschäftsleuten, Handwerkern und Unternehmern. Die beiden Kovorsitzenden sind die führenden Gastronomen der Stadt. Flankiert wird Wurzens bürgerliche Mitte von NPD-­Kadern und Rechtsextremen. Im März stehen sie das erste Mal auf dem Marktplatz. Ende Mai laden sie zur Bürgerstunde, unter Ausschluss der Presse. Auf Face­book hat die Seite 824 Likes.

Der Name der Gruppe bezieht sich auf die Bürgerbewegung der DDR. Christoph Dietel ist damals ganz vorn dabei, ein Bürgerrechtler der ersten Stunde. Für die Meinungsfreiheit, gegen das System. Auch heute scharrt er wieder Leute um sich, nur dieses Mal in einem anderen Lager: „Das, wogegen wir uns’89 wehren mussten, war weniger gefährlich als das, was jetzt über uns zu kommen droht. Es erfüllt sich der Urtraum des radikalen Islam, Europa zu besitzen!“, warnt er im März auf dem Marktplatz von Wurzen.

Statt der SED jetzt also der Islam. Statt dem Ausländer an sich wie in den Neunzigern die Wirtschaftsflüchtlinge, die sich in das deutsche Sozialsystem einnisten.

Wurzen hat rund 4 Prozent Arbeitslosigkeit, die Häuser sind renoviert, von den Balkonen hängen rote Geranien. Es gibt eine Schwimmhalle, ein Kulturhaus, zehn Kindergärten, vier Grundschulen, mittwochs ist Wochenmarkt.

Steine, Pyros, gelockerte Radmuttern

Quelle    :        TAZ         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen    :

Oben    —       Detail des Ehrenmals für die Gefallenen des 1. Weltkrieges am Alten Friedhof in Wurzen

Quelle Eigenes Werk
Urheber Jwaller

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Unten     —      Marktplatz in Wurzen

Quelle Eigenes Werk
Urheber Joeb07

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