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Aber wie und mit wem?

Erstellt von DL-Redaktion am 15. April 2023

Gesellschaft verändern heisst Macht von unten aufbauen

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Stadtteilgewerkschaft Solidarisch in Gröpelingen

Bericht der Stadtteilgewerkschaft Solidarisch in Gröpelingen über ihre Erfahrungen mit Stadtteilbasisarbeit und die Entwicklung des Beratungs-Organisierungs-Ansatzes (BOA).

Seit einigen Jahren wird innerhalb der radikalen und revolutionären Linken immer häufiger von Basisarbeit gesprochen. Einen ersten Aufschwung erlebte die Diskussion während der Debatten um eine Neuausrichtung linksradikaler Politik sowie um neue Klassenpolitik ab ca. 2014. Nachdem das Interesse an Basisarbeit zwischendurch wieder etwas abzunehmen schien, taucht der Ansatz in den aktuellen Diskussionen rund um die Mobilisierungen gegen die Preissteigerungen wieder verstärkt auf. Neben den theoretischen Debatten gab und gibt es auch eine Reihe von praktischen Ansätzen, vor allem mit dem Fokus auf Stadtteilbasisarbeit. Allerdings stiessen viele der Gruppen bei der Umsetzung der theoretischen Überlegungen in den Stadtvierteln an Grenzen.Es zeigt sich, dass es bisher kaum gelang, Strukturen aufzubauen, in denen sich wirklich viele Menschen aus den Stadtteilen organisieren. Häufig bleibt es bei einer Gruppe von Aktivist*innen, die linke Politik im Stadtteil machen und vor allem bereits links politisierte junge Leute ansprechen. Diese Schwierigkeiten in der Praxis haben dazu geführt, dass sich viele Stadtteilbasisgruppen wieder aufgelöst oder ihren Fokus wieder auf klassisch linksradikale Politik und Intervention in Bewegungen und Diskursen gesetzt haben. Wir sind jedoch der Ansicht, dass die Schwierigkeiten in der Praxis auch aus einem unzureichenden Verständnis von Basisarbeit resultieren, sowie mangelnden Erfahrungen, was dieser Ansatz in einer Gesellschaft wie der bundesdeutschen bedeutet.

Als Organisation, die in Bremen seit 2016 revolutionäre Stadtteilbasisarbeit entwickelt, haben wir über die letzten Jahre viele Erfahrungen sammeln können. Anfang 2020 haben wir uns Zeit genommen und uns in einen Reflexionsprozess begeben, um zu analysieren, was Fehler und Hindernisse in unsere Praxis waren und was wir entsprechend verändern müssen. Neben der Auswertung unserer eigenen Erfahrungen haben wir uns auch tiefer gehend mit den Definitionen von Basisarbeit von anderen Bewegungen weltweit beschäftigt und die Frage diskutiert, was in einer Gesellschaft wie der bundesdeutschen wirkliche Ausgangspunkte für Organisierung sein können.

Ausgehend von diesen Reflexionen haben wir einen neuen Ansatz der Stadtteilbasisarbeit entwickelt und setzen diesen seit 2021 schrittweise in die Praxis um. Er beruht auf einer Kombination aus Beratung und Organisierung auf der Basis einer Mitgliedschaft, Vollversammlungen, Aktionen und politischer Bildung. Seit der Umstellung unserer Praxis bemerken wir eine deutliche Veränderung. Wesentlich mehr Menschen aus dem Stadtteil werden in der Stadtteilgewerkschaft aktiv und wir sind in der Lage nachhaltigere Organisationsstrukturen aufzubauen. In dem vorliegenden Text möchten wir unsere Reflexionen transparent machen. Wir wollen ausserdem Gruppen oder Genoss*innen in anderen Städten dazu aufrufen, weitere lokale Ableger einer gemeinsamen organisierten Stadtteilbewegung bzw. Stadtteilbasisorganisation mit gemeinsamen politischen Übereinkünften auf der Basis von Beratung und Organisierung in ihren Stadtteilen zu gründen und das Konzept mit uns gemeinsam weiter zu entwickeln. Wir freuen uns auf Rückmeldungen oder Berichte über eure Erfahrungen und Diskussionen.

Zudem möchten wir alle Gruppen oder Einzelpersonen, die sich für den Aufbau einer solchen Stadtteilbasisorganisation in ihrer Stadt interessieren oder bereits in einer Praxis stehen, zu einem gemeinsamen Austauschtreffen einladen. Wenn ihr Interesse habt, schreibt uns gerne eine Mail an: stadtteil-soli@riseup.net.

1. Einleitung

Aus den Strategiedebatten um eine Neuausrichtung linksradikaler Politik ab 2014 gingen zahlreiche revolutionäre Stadtteil- oder Solidarisch-Gruppen hervor, die versuchten, die theoretischen Diskussionen in die Praxis umzusetzen. So auch wir. Nach der Veröffentlichung der 11 Thesen1 durch kollektiv, haben wir uns auf Basis dieser Grundsätze als Gruppe in Bremen gefunden und 2016 begonnen unter dem Namen Solidarisch in Gröpelingen eine Praxis zu entwickeln, die wir als revolutionäre Stadtteilarbeit oder auch Basisarbeit bezeichnen. Unser Ausgangspunkt war damals, linke Inhalte raus aus der Szene, rein in die Gesellschaft zu tragen und dadurch eine neue Klassenpolitik von unten zu entwickeln. Die grobe Richtung war klar: Anhand einer Sichtbarkeit im Stadtteil und Mobilisierung zu einzelnen Themen wie steigenden Mieten, prekären Arbeitsbedingungen oder Rassismus sollten kollektive Strukturen entstehen, in denen sich Menschen organisieren, eine solidarische Kultur entwickeln und ein kritisches Bewusstsein aneignen können.

Wie viele andere auch begannen wir mit Haustürgesprächen, Infotischen, kleinen Kampagnen zu bestimmten sozialen Kampfthemen und der Anmietung eines eigenen Stadtteilladens. Wir organisierten Filmabende, offene Cafés, Mathe-Nachhilfe, politische Veranstaltungen, inhaltliche Kampfkomitees (z.B. Mietkampf- oder Arbeitskampfkomitee) und vieles mehr. Durch die gezielte Mobilisierung von vonovia-Mieter*innen gelang es uns zwischenzeitlich grössere Mieter*innenversammlungen ins Leben zu rufen, ein Mietkomitee auf die Beine zu stellen und einzelne Mietkämpfe anzufachen und zu begleiten.

Dennoch mussten wir Anfang 2020 – inmitten der Hochzeit der Coronapandemie – ähnlich wie einige andere Stadtteilgruppen auch feststellen, dass es uns in den vier Jahren trotz intensiver Praxis nicht gelungen war, wirklich viele Menschen aus dem Stadtteil zu organisieren und somit die Anzahl an Aktivist*innen zu erhöhen und kollektive politische Prozesse in Gang zu bringen. Auch in der bundesweiten innerlinken Debatte schien der anfängliche Aufschwung in Bezug auf Basisarbeit nachzulassen. Einige Gruppen hatten aufgehört, andere ihren Schwerpunkt wieder auf die Organisierung bereits politisierter junger Menschen aus der Stadt gelenkt oder sich darauf beschränkt, Politik im Stadtteil zu machen, ohne wirkliche Beteiligung einer wachsenden Basis, die aus dem Stadtteil selbst kommt.

Wir sind jedoch der Meinung, dass die fehlende Entwicklung der Praxis weder ein Ausdruck des Scheiterns des Ansatzes von Basisarbeit ist noch ein Beweis dafür, dass es in der Bundesrepublik nicht möglich ist, eine Macht von unten aufzubauen. Vielmehr denken wir, dass einige der Probleme in der Praxis aus einem verkürzten Verständnis von Basisarbeit sowie einer unzureichenden Analyse der bundesdeutschen Verhältnisse resultieren. Erste eher theoretische Reflexionen hierzu haben wir in unserem gemeinsamen Text mit Berg Fidel Solidarisch2 unter dem Namen Stadtteilbasisbewegung – die Konstruktion einer Alternative3 veröffentlicht. Darin haben wir beschrieben, was für uns der Unterschied zwischen „einfacher“ und „komplexer“ Basisarbeit ist und warum wir den Aufbau einer überregionalen Stadtteilbasisbewegung als Ziel von Basisarbeit für nötig erachten. Im vorliegenden Text werden wir auf diesen Überlegungen aufbauen, aber vor allem auch unsere konkreten Rückschlüsse auf die Weiterentwicklung der Praxis darlegen.

In den nachfolgenden Kapiteln werden wir zunächst erklären, welches Verständnis von Basisarbeit und vom Aufbau einer Macht von unten wir vertreten. Daran anschliessend stellen wir Kriterien für Basisarbeit dar. Anschliessend berichten wir davon, welche Praxis wir vor 2020 verfolgt haben und welche Entwicklungen darin uns dazu gebracht haben, einen anderen Ansatz zu verfolgen. Diesen Ansatz, den wir Beratungs-Organisierungs-Ansatz (BOA) nennen, stellen wir im Folgenden dar. Als letzten Teil starten wir einen Aufruf für den BOA-Ansatz.

2. Warum nochmal Basisarbeit? Vom Aufbau einer Macht von unten

Der Ausgangspunkt von revolutionärer Basisarbeit ist das Wissen um die Notwendigkeit und Möglichkeit einer grundlegenden Gesellschaftsveränderung.4 Notwendig, weil das herrschende System (also der Kapitalismus als Ganzes bzw. als Gesellschaftssystem) nicht nur auf der brutalen Ausbeutung von Mensch und Natur basiert, sondern seine Funktionsweise und Reproduktion auch auf der Verschärfung der patriarchal-rassistischen Unterdrückungen basiert und aus all diesen Gründen ständig neue Widersprüche und Krisen produziert. Wir sind an einem Punkt in der Geschichte angelangt, an dem die Frage nach einer grundlegenden Veränderung der Gesellschaft nicht mehr nur eine Frage unter Linken ist, sondern eine, die das Überleben eines Grossteils der Menschheit an sich betrifft.

Gleichzeitig hat sich das Bewusstsein über die Möglichkeit einer solchen Gesellschaftsveränderung in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Während der Bezug auf eine der unterschiedlichen Formen einer sozialistischen Systemalternative in den 1970er/80er Jahren für fast alle linken Bewegungen und Kämpfe weltweit noch selbstverständlich war, kommt ein Grossteil der hiesigen radikalen Linken in der heutigen Zeit ohne Bezugnahme auf ein alternatives gesellschaftliches Projekt aus. Mit der Zerschlagung zahlreicher linker Bewegungen in den 1970/80er Jahren weltweit, der Durchsetzung des Neoliberalismus und dem Zusammenbruch bzw. der Selbst-Delegitimierung des real existierenden Sozialismus ist der Kapitalismus nicht nur faktisch, sondern auch mental in den Köpfen der Menschen hegemonial geworden.

Die Parole von Margaret Thatcher5 „There is no alternative“ hat sich – auch wenn verhasst – als Teil der herrschenden Ideologie nicht nur in den Köpfen und Herzen vieler Menschen, sondern auch der meisten Aktivist*innen fest gesetzt. Zwar bezeichnen sich die meisten weiterhin als antikapitalistisch, aber bei näherer Betrachtung fehlt oft der Glaube daran, dass Systemveränderung wirklich möglich ist. Viele linke Kämpfe werden eher gegen bestimmte Aspekte des Kapitalismus geführt, als für ein grundlegend anderes System. Für viele ist es heute einfacher, sich ein Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus.

Die Frage, ob wir von der Möglichkeit einer grundlegenden Gesellschaftsveränderung ausgehen oder nicht, hat jedoch einen zentralen Einfluss auf unsere politische Praxis. Denn wenn wir nicht davon ausgehen, dass eine grundlegende Gesellschaftsveränderung möglich ist, dann müssen wir uns auch nicht mit der Frage auseinander setzen, wie unsere Praxis mit dem Ziel der Gesellschaftsveränderung konkret in Verbindung steht. Dann reicht es aus, wenn wir politische Aktionen gegen einen der vielen Angriffe des Systems durchführen, Veranstaltungen organisieren oder uns in die Subkultur als Schutzort6 zurück ziehen.

Wenn wir an einer grundlegenden Veränderung festhalten, stellt sich die Frage nach einer Strategie. Dann müssen wir diskutieren, wie wir uns einen emanzipatorischen Kampf für eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung und gegen Ausbeutung und Unterdrückung vorstellen und welche Organisierungsformen wir dafür benötigen. Ausgehend also von all den Erfahrungen der Geschichte und vor dem Hintergrund der aktuellen Begebenheiten stellt sich die Frage: Mit welchen Strategien und Praxen können wir dazu beitragen, dass wir ein Gesellschaftssystem erkämpfen, in der nicht nur die materielle Existenz aller Menschen gesichert ist, sondern in der darüber hinaus alle Menschen die Möglichkeit haben, sich selbst zu ermächtigen und ihr menschliches Potential zu entfalten?

Wir denken, ein wichtiger strategischer Aspekt in diesem Zusammenhang ist der Aufbau von einer Macht von unten (populäre Macht). Denn wir gehen davon aus, dass eine grundlegende emanzipatorische Gesellschaftsveränderung nicht von wenigen für oder gegen die Gesellschaft durchgesetzt werden kann, sondern von einem breiten gesellschaftlichen Prozess getragen werden muss.7 Deshalb ist eines der Ziele unserer Arbeit, durch eine Organisierung von unten Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Wir nennen dies die Schaffung von populärer Macht. Sie ist wichtig, damit sich die Unterdrückten8 sozialstaatliche Elemente abgebaut, der Arbeitsmarkt und Finanzsektor flexibilisiert etc. gemeinsam gegen die Angriffe der herrschende Klassen und anderer Akteur*innen wehren und eine Verbesserung ihrer Situation erkämpfen können.

Langfristig braucht es Macht von unten (populäre Macht), um gegen die herrschenden Strukturen als Ganzes zu kämpfen und diese zu überwinden. Gleichzeitig ist mit der Schaffung populärer Macht verbunden, eigene Räume und Strukturen zu schaffen, in denen Lernprozesse und Prozesse der Politisierung stattfinden können. Denn eine neue Gesellschaft kann nur dann nachhaltig aufgebaut werden, wenn emanzipatorische Denk- und Verhaltensweisen im (Kampf- )Prozess der Gesellschaftsveränderung erlernt werden. Zum Beispiel geht es darum, im Organisierungsprozess und in den eigenen Räumen zu erlernen, wie Basisdemokratie funktioniert (also wie man gemeinschaftlich Entscheidungen trifft, wie Versammlungen funktionieren, wie ein Delegiertensystem aussieht), wie kollektive Selbstverwaltung realisiert werden kann, wie Konfliktlösungen jenseits von staatlichen Organen aussehen können usw., kurz gesagt, wie die Organisierungsstrukturen der Machtausübung von unten aufgebaut werden können. Diese selbstverwalteten Räume und Strukturen denken wir dabei nicht als Nischen und Rückzugsorte für Aktivist*innen, die abgetrennt von der Gesellschaft existieren, sondern wir verstehen darunter Strukturen und Räume, die in einen Organisierungsprozess von unten eingebunden sind. Sie sind als materielle Bedingungen die Grundlage für Organisierung, als Basis zur Selbstermächtigung. Revolutionäre Basisarbeit ist für uns eines der Mittel, um so eine Macht von unten aufzubauen.

Kriterien von Basisarbeit

a) Bevor wir starten: politische Klarheit und Definition von Zielen

Basisarbeit an sich ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug oder eine Methode, die wir benutzen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Deshalb müssen wir definieren, was unser Ziel ist, bevor wir in einen Stadtteil gehen und dort mit Basisarbeit beginnen. Wenn wir Basisarbeit machen, weil wir eine emanzipatorische Gesellschaftsveränderung anstreben, dann müssen wir uns die Frage stellen, wie das, was wir vor Ort im Stadtteil machen, mit dieser Vision einer Gesellschaftsveränderung strategisch verbunden ist. Je nachdem, wie wir unsere Ziele und Strategien definieren, ändert sich die Art und Weise, wie wir Basisarbeit machen.

Ein Kriterium ist, dass es eine Anfangsgruppe braucht, die gemeinsame Ziele definiert und vor dem Hintergrund dieser Ziele einen strategischen und politischen Rahmen für die Entwicklung der Praxis festlegt. Wir haben festgestellt, dass es Genoss*innen oft schwer fällt, bereits als kleine Anfangsgruppe solche Ziele und Rahmenbedingungen festzulegen, bevor sie in die Stadtteilarbeit starten und auf die Suche nach Mitstreiter*innen gehen. Nicht, weil sie es nicht könnten, sondern, weil die Sorge besteht, dass ein vermeintlich fertiges Konzept abschreckend wirken oder bevormundend/autoritär sein könnte. Um dies zu vermeiden, versuchen neue Stadtteilgruppen häufig von Beginn an möglichst offen zu sein und zu Versammlungen einzuladen, um gemeinsam mit anderen politischen Aktivist*innen oder Nachbar*innen zu diskutieren, was die Ziele und Inhalte der zu entwickelnden Praxis sein sollen. Nicht selten führt dies jedoch im Verlauf zu frustrierenden Diskussionsprozessen, Spaltungen und vielen Unklarheiten, die die Entwicklung einer strategischen Praxis erschweren.

Wir denken, dass es für die Entwicklung einer revolutionären Basisarbeit zu Beginn Klarheit innerhalb der Anfangsgruppe darüber braucht, was die Ziele und der Rahmen der zu entwickelnden Stadtteilarbeit sind, auf deren Basis dann Mitstreiter*innen gesucht werden. Wir müssen wissen, wohin wir gehen wollen, bevor wir aufbrechen. Dafür ist es hilfreich, zu Beginn politische Übereinkünfte zu formulieren, die den Rahmen für die weitere Entwicklung und den Aufbau der Basisorganisation bilden. Die Umsetzung der Ziele in eine Praxis sowie deren ständige Reflexion und Weiterentwicklung ist dann die gemeinsame Aufgabe all derjenigen, die mit den definierten Zielen übereinstimmen, den grundsätzlichen Ansatz teilen und sich gemeinsam auf den Weg begeben. Ohne eine gemeinsame Vorstellung davon, wo wir mit der Basisarbeit hinwollen, ist die Gefahr gross, dass das Projekt beliebig wird oder scheitert.

b) Aufbau einer Basis – die existentiellen Ausgangsbedingungen der Organisierung

Ein zweites Kriterium von Basisarbeit ist, dass sie in der Lage sein muss, viele Menschen zusammen zu bringen und in einem Organisierungsprozess miteinander zu verbinden. Sie muss also in der Lage dazu sein, eine Basis9 aufzubauen. Es ist jedoch schwer, Menschen davon zu überzeugen, sich zu organisieren, wenn die Organisierung nicht zur Lösung von Problemen beiträgt, die im Alltag eine erhebliche Belastung darstellen und ihren Alltag bestimmen (abgesehen vielleicht von jungen Menschen, die sich eher über eine politische Agitation organisieren lassen). Die meisten Menschen organisieren sich anfangs nicht, weil sie die Welt verändern möchten, sondern weil sie sich eine Lösung für die zentralen Probleme versprechen, mit denen sie zu kämpfen haben. Das heisst, der Ausgangspunkt für Organisierung sollte eine existentielle Notwendigkeit sein, ein individuelles Bedürfnis, das viele Menschen teilen, bisher aber vereinzelt angegangen sind. Schaut man in andere Länder so sind oder waren Ausgangspunkte für solche Organisierungsprozesse z.B. Wohnungslosigkeit, Landlosigkeit, Hunger, Arbeitslosigkeit oder rassistische Unterdrückung.

Wenn wir in der Bundesrepublik eine erfolgreiche Stadtteilbasisarbeit entwickeln wollen, dann müssen wir uns deshalb zuallererst die Frage stellen, was existentielle Notwendigkeiten in einer Gesellschaft wie der bundesdeutschen sind. In einer Gesellschaft, in der der Staat aufgrund seiner imperialistischen Wirtschaftspolitik in der Lage ist, einen Sozialstaat aufrechtzuerhalten, der viele der existentiellen Bedürfnisse oberflächlich befriedigt und viele Menschen direkt oder indirekt an staatlichen Leistungen und soziale Hilfesysteme bindet. Was bedeutet dies für den Aufbau von Massenorganisationen? Wie ist die Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat strukturiert und was könnten darin Ausgangspunkte aber auch Hindernisse für breitere Organisierungsprozesse sein?

Wir denken, dass einer der Fehler vieler bisheriger Stadtteilansätze – unserem inbegriffen – war, dass wir in unsere Praxis gestartet sind, ohne dass wir vorher die Frage nach den existentiellen Notwendigkeiten als Ausgangspunkte der Organisierung ausreichend beantwortet haben. Viele der Stadtteilinitiativen oder Basisprojekte haben – wie wir – damit begonnen, verschiedene soziale, kulturelle und politische Angebote im Stadtteil zu entwickeln oder Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, in denen Leute zusammen kommen können. Aber die Mehrheit der Leute, die in den Stadtteilen wohnt, nutzen diese Räumlichkeiten oder Angebote nicht. Soziale, kulturelle oder politische Veranstaltungen sind wichtig, aber unserer Erfahrung nach kein ausreichender Ausgangspunkt für eine dauerhafte Organisierung. Sie sprechen – bis auf ein paar Ausnahmen – zumeist bereits im weiteren Sinne politisierte, vorwiegend weisse, akademische, junge Menschen an und reproduzieren damit häufig die eigene Szene.

c) Aufbau von verbindlichen Basisorganisationen

Ein drittes Kriterium der Basisarbeit ist, dass sie zum Aufbau von verbindlichen Basisorganisationen beitragen muss. Das heisst, es reicht nicht, wenn wir Stadtteilbasisarbeit machen und uns damit zufrieden geben, dass wir als Gruppe von Aktivist*innen im Stadtteil bekannt werden und Kontakte aufbauen. Unsere Erfolge messen wir häufig daran, dass uns viele Nachbar*innen kennen oder wir mit dem Ladenbesitzer hier und der Taxifahrerin dort ein Pläuschchen halten oder Leute zu unseren Aktionen oder Angeboten kommen. Aber es ist etwas grundsätzlich anderes, ob eine Gruppe von Aktivist*innen im Stadtteil Politik macht und dadurch eine gewisse Bekanntheit und Beliebtheit erreicht oder ob sie über ihre Praxis in der Lage ist, eine Basisorganisation aufzubauen, in der ein Teil der Bewohner*innen des Stadtteils selbst zu aktiven Mitgliedern wird. Wir müssen uns klar machen, dass nicht nur wir – als linke Aktivist*innen – die Subjekte der Gesellschaftsveränderung sind, sondern wir müssen darauf hinwirken, dass sich mehr Unterdrückte als Initiativkräfte für Gesellschaftsveränderung sehen. Das Ziel von revolutionärer Basisarbeit muss also sein, Menschen dazu zu ermutigen und zu befähigen, selbst Teil der Lösung ihrer Probleme und damit Subjekte der Veränderung zu werden.

Das Werkzeug der Veränderung ist die kollektive Organisierung und nicht der Aktivismus einer kleinen Gruppe. Das heisst aber auch, dass eine Praxis, die auf einer Gruppe von Aktivist*innen beruht, die sich immer neue Kampagnen, Aktionen oder Veranstaltungen für den Stadtteil ausdenken, nicht ausreicht. Selbst die Mobilisierung von vielen Leuten zu Aktionen im Stadtteil ist etwas anderes, als viele Leute aus dem Stadtteil, die organisiert sind. Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen Mobilisierung und Organisierung. Mobilisierungen finden relativ häufig statt, teils spontan oder auch weil eine Gruppe zu etwas aufgerufen hat. Sie konzentrieren sich auf ein bestimmtes Thema oder eine Forderung. Aber nachdem das Ziel erreicht wurde (oder auch nach einer bestimmten Zeit ohne Erfolg), zerstreuen sich die Menschen wieder.

Im Zentrum des Organisierens steht hingegen, eine wachsende Anzahl von Menschen dazu zu bringen, langfristig zusammen zu arbeiten und selbst Träger*innen einer grundlegenden Veränderung zu werden. Wenn wir dem hoch organisierten System etwas entgegen setzen wollen, reichen unverbindliche Angebote, Mobilisierungen zu einzelnen Themen oder das Führen von einzelnen sozialen Kämpfen (selbst wenn diese vorübergehend dynamisch sind, wie viele der Mietkämpfe) aus unserer Sicht nicht aus. Das heisst, dass wir Wege finden müssen, wie wir Menschen dazu motivieren können, sich längerfristig zu organisieren und verbindliche Strukturen so aufzubauen, dass sie nicht zusammenbrechen, wenn einige zentrale Aktivist*innen aus der Praxis ausscheiden.

Verbindliche Strukturen im Sinne einer Basisorganisation sind – anders als bei einer Gruppe – darauf ausgelegt, zu wachsen und Strukturen zu schaffen, in denen sich mehr Mitglieder verantwortlich beteiligen können und sich so zu Aktivist*innen/Initiativkräften entwickeln und ermächtigen (Multiplikation von Aktivist*innen). Um so eine Basisorganisation – und weiter gedacht – überregionale organisierte soziale Bewegung aufzubauen, braucht es ein Verständnis davon, wie eine Basisorganisation aussehen muss, in der sich 100 oder mehr Menschen – nicht nur als passive Mitglieder – organisieren.10 Basisorganisationen als organisierte soziale Bewegung bzw. in Form von politischen Massenorganisationen brauchen unter anderem transparente Strukturen, politische Grundsätze, verschiedene Beteiligungsformen und Arbeitsteilung.11

Sich als Organisation zu verstehen, sollte aber nicht mit einer Gleichmachung und dem Ignorieren von Unterschiedlichkeit gleichgesetzt werden. Wir werden alle auf unterschiedliche Weisen innerhalb dieses Systems unterdrückt und ausgebeutet. Innerhalb der Basisorganisation muss es daher ein Ziel sein, sich als Teil einer Organisation zu verstehen, in der wir gemeinsam füreinander und für eine grundlegende Gesellschaftsveränderung kämpfen. Wir möchten die Trennungen aufgrund bestimmter struktureller Unterdrückungen, die derzeit gesellschaftlich vorherrschen, überwinden und etwas Gemeinsames schaffen, in dem wir mit in unserer Unterschiedlichkeit gemeinsam Seite an Seite kämpfen.

d) Politische Bildung

„Mehr als alle anderen sollten die Unterdrückten selbst wissen, wie man das kapitalistische System zerlegt und Lösungen für die Probleme von Menschen finden kann. Es ist leicht, diejenigen zu besiegen, die nicht lernen, diejenigen, die aufhören zu denken. Es ist traurig zu wissen, dass viele Studierte nicht in den Kampf eintreten. Aber es ist unverzeihlich, wenn eine kämpfende Person nicht studiert, nicht intellektuell wird. Studieren bedeutet zu verstehen, was mit dir und mit anderen passiert und nach einer Lösung zu suchen. Dies erfordert eine Reflexion über die eigene Erfahrung und die historische Erfahrung der Klasse der Unterdrückten, die Aneignung des angesammelten Wissens. Sich zu bilden bedeutet weder Kurse zu belegen noch den Kopf mit Informationen zu füllen. Es bedeutet, Antworten finden zu können, die die Probleme der Menschen heute betreffen.“ 12

Menschen zusammenzubringen und dazu einzuladen, sich zu organisieren, ist eine Aufgabe der Basisarbeit. Eine andere – und häufig schwierigere – ist, sie dazu zu motivieren, organisiert zu bleiben und deutlich zu machen, warum es einen permanenten Kampf- und Lernprozess sowie eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft braucht. In dem Text „Stadtteilbasiswegung – die Konstruktion einer Alternative“13 haben wir diesen zweiten Aspekt als „Arbeit an der Basis“ bezeichnet. Politische Bildung spielt dabei eine zentrale Rolle und stellt daher das vierte Kriterium für Basisarbeit dar. Aus unserer Praxis heraus wissen wir, dass es häufig einfacher für langjährige Aktivist*innen ist, Dinge selbst zu tun, um Zeit zu sparen und das Gefühl zu haben, dass etwas vorangeht.

Wir sind es gewohnt mit wenigen Leuten in kurzer Zeit Kampagnen, Veranstaltungen oder andere Projekte auf die Beine zu stellen. Aber wenn wir ernst nehmen, dass wir für eine Gesellschaftsveränderung eine breite organisierte Kraft brauchen und Prozesse, die Menschen ermächtigen, ihre Subjektivität zu entfalten, dann ist die Weitergabe von Wissen, Erfahrungen und Fähigkeiten essentiell. Dann muss ein wesentlicher Kern von Basisarbeit die organisierte Verbreitung von kollektivem Wissen zur Überwindung von Unterdrückung und Ausbeutung sein.

Sie gewährleistet, dass das Wissen, dass sich in den Kämpfen der Arbeiter*innen historisch angesammelt hat, zu denjenigen kommt, die heute unterdrückt werden und die das Wissen zum Verständnis und der Veränderung ihrer Situation brauchen. Zum anderen hilft politische Bildung, die vielzähligen rassistischen, sexistischen oder neoliberalen Denk- und Verhaltensweisen zu erkennen und zu hinterfragen. Das heisst, dass wir von Beginn an unsere Strukturen so aufbauen sollten, sodass sowohl neue Leute, die zu uns stossen, als auch langjährige Initiativkräfte die Möglichkeit erhalten, sich darin zu bilden und zu entwickeln.

Politische Bildung hat aber auch die wichtige Funktion Aktivist*innen zu multiplizieren oder andersherum Menschen zu Aktivist*innen auszubilden und somit Wissensunterschiede innerhalb der Organisation zu verkleinern und die Verantwortung von einigen wenigen auf viele auszuweiten. Denn: „Eliten haben keine Angst vor herausragenden Führer*innen. Es ist für sie leicht, diese zu isolieren, zu zerstören, einige der herausragenden Köpfe zu “kaufen”. Die Vermehrung von Aktivist*innen und Aktionen macht all denjenigen Angst, die sich an die Praxis der Herrschaft gewöhnt haben. Deshalb muss die Multiplizierung von Aktivist*innen ein zentrales Ziel der Basisarbeit und der Struktur der Organisierung sein“14.

Viele von uns haben wenig Erfahrung mit solchen organisierten Bildungsstrukturen, die sich an den Notwendigkeiten der Praxis orientieren. Die meisten haben sich ihr Wissen individuell und zufällig angeeignet, wie z. B. durch Bücher lesen, an der Uni oder auf politischen Veranstaltungen. Als Organisation oder organisierte Bewegung ein eigenes Bildungssystem aufzubauen, ist jedoch etwas anderes. Wir können dabei viel von anderen Bewegungen lernen, wie der MST, der kurdischen Bewegung, aber auch neueren Basisorganisationen wie der L.A Tenants Union. Bildung findet dort zum einen über eigene Akademien und Bildungsangebote mit unterschiedlichen Stufen, zum anderen durch die Reflexion der eigenen Lebenssituation (z.B. die Auseinandersetzung mit der Frage, warum manche Menschen mehrere Häuser besitzen und andere zwangsgeräumt werden) statt.

Politische Bildung in einer Basisorganisation findet also auf unterschiedlichsten Ebenen statt: in der Praxis selbst über das Miterleben kollektiver Entscheidungsfindungsprozesse, basisdemokratischer Verwaltung, das Organisieren von Aktionen zur Durchsetzung von Forderungen oder über die gezielte Vermittlung von theoretischem und praktischen Wissen. Wir sollten die konkreten Kämpfe für eine Verbesserung der jeweiligen Lebenssituationen (Kampf gegen Mietsteigerungen, bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne, gegen rassistische Polizeigewalt etc.) als Ausbildung für den Kampf gegen das gesamte System und den Aufbau einer grundlegend anderen Gesellschaft nutzen.

Wenn wir von der Notwendigkeit politischer Bildung sprechen, dann stossen wir immer wieder auf Skepsis oder auch Ablehnung. Politisierung wird mit Autoritarismus in Verbindung gebracht beziehungsweise mit einer vermeintlich arroganten Überzeugung linker Aktivist*innen, mehr zu wissen als andere. Es wird entgegnet, alle Menschen besässen bereits Wissen aus ihren alltäglichen Erfahrungen und der Bewältigung ihres Alltags und bräuchten deshalb keine linken „Besserwisser*innen“.

Es stimmt, dass alle Menschen über Wissen verfügen, sei es über ihre eigene Lebensrealität oder darüber, wie man die alltäglichen Probleme bewältigen kann. Aber es ist auch ein Fakt, dass die Möglichkeiten, sich kritisches Wissen in dieser patriarchal-rassistischen Klassengesellschaft anzueignen unterschiedlich verteilt sind beziehungsweise die Aneignung von kritischem Wissen gezielt erschwert wird. Das führt zu der absurden Situation, dass zum Beispiel teilweise weisse Studierende mehr über die Black Panther Party oder Geschichte der Arbeiter*innenbewegung wissen, als viele Schwarze Geflüchtete oder Arbeiter*innen aus dem Stadtteil. Organisierte politische Bildung heisst, Wissen zu verbreiten. Und zwar weder zufällig noch spontan, sondern als organisierter und fester Bestandteil einer Basisorganisation. Das bedeutet auch, dass wir uns überlegen müssen, welches Wissen wir aus dem Ozean der Theorie und den angesammelten Erfahrungen für das Verständnis unserer Situation und unserer Kämpfe am dringendsten benötigen und uns mit Methoden zu beschäftigen, wie politische Bildung aussehen kann.

e) Mobilisierungen und konkrete Kämpfe

Ein weiteres wichtiges Kriterium von Basisarbeit ist das Führen von konkreten Kämpfen bzw. regelmässige Mobilisierungen und kollektive Aktionen. Sie haben für die politische Selbstermächtigung und die Erfahrung von kollektiver Handlungsfähigkeit eine wichtige Bedeutung. Solidarität und die Kraft von Organisierung lassen sich nicht nur abstrakt vermitteln, sondern brauchen konkrete Beispiele. Wenn wir zum Beispiel mit vielen Leuten vor dem Jobcenter oder einem Unternehmen stehen, ändert das etwas an unserem Gefühl der Ohnmacht und der Individualisierung. Selbst wenn diese Kämpfe nicht erfolgreich sind, kann das Gefühl, Teil einer Organisation zu sein und nicht alleine dazustehen, die politischen Selbstwirksamkeit stärken. Ähnliches passiert, wenn Leute das erste Mal an einer Demonstration teilnehmen, über ihre Probleme in der Öffentlichkeit reden oder gemeinsam Parolen rufen.

Es geht darum zu lernen, dass Druck entstehen und sich Kräfteverhältnisse verändern können, wenn viele Menschen organisiert sind und organisiert auftreten. Dazu braucht es die kollektive Aktion. Mobilisierungen und Aktionen machen also den kämpferischen und politischen Charakter der Basisorganisation deutlich und markieren so den Unterschied zu Sozialer Arbeit. Ausserdem ist das Bewusstsein darüber, dass wir kollektiv etwas bewegen können und müssen, notwendig, um grundlegende Gesellschaftsveränderung überhaupt erkämpfen zu können. Gleichzeitig ist die Strasse selbst ein Lernfeld und Ort der Politisierung. Denn ich erlebe die Wirklichkeit anders, wenn ich in Bewegung bin oder mich in einer Auseinandersetzung befinde, wie z.B. bei der Funktion von staatlichen Institutionen.

f) Schaffung einer organisierten sozialen Bewegung

Eine einzelne Basisorganisation in einem einzelnen Stadtteil wird nicht viel verändern. Die Gefahr ist gross, dass sich die Initiative irgendwann verläuft oder zu Sozialer Arbeit wird. Wenn unser Ziel ist, eine organisierte Kraft von unten aufzubauen, die zu einer politischen Akteurin werden kann und das Potential hat, die gesellschaftlichen Verhältnisse und Hegemonie herauszufordern, dann wird schnell klar, dass der begrenzte Blick auf einen einzelnen Stadtteil nicht ausreicht. Revolutionäre Basisarbeit kann also nicht nur mit dem Ziel verbunden sein, eine lokale Basisorganisation aufzubauen, sondern braucht eine überregionale Perspektive. Wir nennen diese Perspektive organisierte soziale Bewegung.

Wir verstehen unter einer organisierten sozialen Bewegung eine politische und soziale Massenorganisation, die in verschiedenen Stadtteilen und Städten verankert ist, und die gemeinsame Organisierungsstrukturen und politische Übereinkünfte hat. So eine Organisation ist weder eine reine „Organisation der Revolutionär*innen“ im klassischen Sinne, noch eine reine „Organisation der Arbeiter*innen“, sondern verbindet verschiedene Charaktere: einen Gewerkschaftlichen (Werkzeug, konkrete Verbesserungen zu erkämpfen/durchzusetzen), einen Sozialen (Menschen zusammenbringen und eine solidarische und emanzipatorische Kultur entwickeln) und einen Politischen (es gibt bestimmte politische Grundsätze und Ziele). Es sind politische und soziale Massenorganisationen, die sowohl bestimmte ökonomische Forderungen haben und erkämpfen wollen, als auch politische Ziele und Forderungen und ihre Mitglieder politisch bilden.

Solche Formen wurden vor allem im südamerikanischen Raum entwickelt. Ein Beispiel ist die Bewegung der Arbeiter*innen ohne Land in Brasilien oder Arbeiter*innen ohne Dach (MST/MTST). Der Begriff der Bewegung wird dabei anders benutzt als im europäischen Kontext, in dem als Bewegung meist ein loses Mosaik an Organisationen, Gruppen und Protesten auf der Strasse verstanden wird, die sich auf ein bestimmtes Themengebiet beziehen (feministische Bewegung, Klimabewegung etc.). Bewegung im Sinne einer organisierten sozialen Bewegung bezeichnet eher eine überregional funktionierende Massenorganisation, die auf einzelnen lokalen Basisorganisationen basiert, aber gemeinsame Grundsätze, Ziele und Kommissionen hat. Im Bereich der Stadtteilbasisbewegung hiesse dies, eine überregionale Bewegung mit Stadtteilgewerkschaften als lokalen Beinen.

In der bisherigen Diskussion über Basisarbeit scheint uns die Frage nach der überregionalen Perspektive häufig vernachlässigt worden zu sein. Wenn überhaupt, dann wurde unter überregionaler Zusammenarbeit eher eine lockere Vernetzung oder Erfahrungsaustausch verstanden. Für viele erscheint die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen auf überregionaler Ebene zunächst als etwas zusätzliches zu der lokalen Arbeit, das vor allem Zeit und Kapazitäten in Anspruch nimmt, aber keinen direkten Zusammenhang mit oder Effekt auf die lokale Praxis hat. Auch wir selbst haben uns lange Zeit auf den Aufbau der lokalen Praxis konzentriert und auch von anderen Gruppen oft gehört, sie bräuchten erst mal Erfolge in der lokalen Praxis, bevor sie sich über eine überregionale Zusammenarbeit oder gar Organisierung Gedanken machen könnten.

Inzwischen würden wir jedoch sagen, es ist andersherum. Eine überregionale Organisierung hilft, Erfahrungen nicht überall von Null an neu zu machen, sondern sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam Erfahrungen auszuwerten und Strategien zu entwickeln. Bestimmte Aufgaben, wie zum Beispiel die Erstellung von Bildungsmaterialien oder Flyern, können geteilt werden. Es ist wesentlich schwieriger, unterschiedliche Stadtteilorganisationen, die sich über einen längeren Zeitraum getrennt voneinander entwickelt haben, perspektivisch zusammen zu denken oder miteinander zu organisieren, als Initiativen, die sich parallel und gemeinsam aufbauen. Das heisst, von Beginn an die Entwicklung der überregionalen und lokalen Strukturen zusammen zu denken, ist wichtig, um die grössere Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren und Parallelitäten in unterschiedlichen Städten zu entwickeln, die den Aufbau einer gemeinsamen Organisierung erleichtern.

g) Langfristige Kontinuität – ein langer Atem

Ein weiteres wichtiges Kriterium in Bezug auf Basisarbeit ist langfristige Kontinuität. Basisorganisierungsarbeit ist ein permanenter Prozess – genauso wie eine grundlegende Gesellschaftsveränderung als Ganzes. Wir werden in unserer politischen Praxis Erfolge und Niederlagen erleben. Die Herausforderung ist, daraus zu lernen und die eigene Praxis weiter zu entwickeln. Dafür müssen wir uns aus der Sichtweise lösen, dass unsere politische Praxis unmittelbare, überprüfbare Ergebnisse erzielt. Viele Folgen, wie zum Beispiel Schlüsselmomente in den Politisierungsprozessen einzelner Mitglieder sind nicht unmittelbar messbar.

Trotzdem sind sie entscheidend. Statt jede unserer Aktionen nach kurzfristigem Nutzen zu bewerten, versuchen wir uns als kleinen Teil eines historischen Lernprozesses zu begreifen. Das bedeutet, dass man Dinge ausprobieren darf und mit einer gewissen Fehlertoleranz an die Praxis herangeht. Fehler sind gut, wenn man aus ihnen lernen kann, denn ohne ein gewisses trial and error wird man einen neuen Ansatz nicht weiterentwickeln können. Deswegen ist es uns wichtig, die Praxis sowohl im Hinblick auf eine langfristige Strategie der Gesellschaftsveränderung, als auch im Hinblick auf kurzfristige taktische Aspekte und Notwendigkeiten anzupassen und zu verbessern.

Wir können nicht erwarten, in kürzester Zeit grosse Ergebnisse im Sinne von grundlegender Gesellschaftsveränderung zu erzielen. Wer davon ausgeht, die eigene Geschichte zu Ende zu schreiben, läuft Gefahr, alles zu geben, auszubrennen und sich irgendwann ins Private oder die Subkultur zurückzuziehen. Wer sich jedoch als Teil eines historischen Lernprozesses begreift, der weiss, dass unser Weg ein Marathon und kein Sprint wird. Dafür ist es wichtig, die eigenen Ressourcen so aufzuteilen, dass man auch in Jahren noch in der Lage sein kann aktiv politische Arbeit zu betreiben.

Revolutionäre Basisarbeit konfrontiert Aktivist*innen zudem mit all den Widersprüchen, die es in der Gesellschaft und der eigenen Klasse gibt. Das ist für viele erst mal anstrengend, weil es erfordert, sich aus der Komfortzone der eigenen Szene herauszuwagen. Und, weil der Ansatz der Basisarbeit immer noch marginal innerhalb der radikalen und revolutionären Linken ist, wird man gerade in der Anfangsphase mit Vorwürfen über vermeintliche Unproduktivität konfrontiert werden. Es stimmt, dass revolutionäre Stadtteilarbeit langsamer sichtbare Erfolgserlebnisse hat als eine Kampagne oder die Planung einer Party oder Demonstration. Langfristig ist sie allerdings in der Lage sonst unmögliche Erfolge zu erzielen und Menschen zu ermöglichen, sich zu politischen Subjekten zu entwickeln und zu unseren Mitstreiter*innen zu werden, die wir sonst nicht hätten erreichen können. Der Aufbau einer Stadtteilgewerkschaft erfordert daher eine langfristige Organisierung über Jahre und Menschen, die viel Arbeit und Zeit in den Aufbau stecken.

3. Geschichte und Entwicklungen bis Ende 2019

Nach den einführenden Überlegungen zu dem grundlegenden Verständnis und Kriterien von Basisarbeit möchten wir unsere Praxiserfahrungen bis Ende 2019 näher erläutern. Diese zu kennen ist notwendig, um die Entwicklung des Beratungs-Organisierungs-Ansatzes (BOA) theoretisch als auch praktisch nachvollziehen zu können.

Wir haben 2016 als Initiativgruppe von Solidarisch in Gröpelingen begonnen, revolutionäre Basisarbeit in einem Stadtteil in Bremen zu entwickeln. Vorausgegangen war die Veröffentlichung der 11 Thesen15, infolgedessen sich eine Gruppe von Aktivist*innen zusammen gefunden hat, mit dem Ziel, die theoretischen Überlegungen der Thesen in Bremen in eine lokale Praxis zu übersetzen. Unser Ausgangspunkt damals war es, linke Politik in die Gesellschaft zu tragen und organisierte Strukturen von unten aufzubauen, in denen Menschen zusammenkommen, eine solidarische Kultur untereinander leben, kollektive Lösungen für ihre individuellen Probleme entwickeln und sich über die gemeinsame Organisierung auch ein politisches Bewusstsein aneignen können. Was das konkret bedeutet, haben wir uns erst nach und nach erschlossen – und tun es auch noch weiter. .

Nach einigen Kennenlerntreffen, in denen wir uns über unsere jeweils eigenen Hintergründe und Perspektiven ausgetauscht haben, haben wir damals relativ schnell mit der Praxis begonnen. Das hat dazu geführt, dass wir im Gehen viele der Diskussionen nachholen mussten, die für die Entwicklung der Praxis grundlegend waren. Im Nachhinein würden wir sagen, dass es besser ist, sich am Anfang etwas Zeit zu nehmen, um sich als Anfangs-Initiativgruppe besser kennenzulernen, politische Übereinkünfte miteinander auszuhandeln, sich gemeinsame Ziele zu setzen sowie einen Rahmen für die geplante Praxis festzulegen. Das hilft auch bei der Suche nach neuen Mitstreiter*innen.

Unser erster Schritt in die Praxis war die Auswahl eines Stadtteils. Dazu haben wir unterschiedlichste Stadtteile anhand von Statistiken und anderen Informationen, aber auch durch Umfragen vor Ort erforscht. Relativ bald liessen sich daraus zwei grobe Kategorien von Stadtteilen ableiten: Stadtteile, die eher zentral liegen, eher von einer Mittelschicht geprägt sind, in denen viele linke Aktivist*innen leben und es bereits viele kulturelle und politische Aktivitäten gibt. Und auf der anderen Seite Stadtteile, die weiter weg vom Zentrum liegen, in denen nur wenige Aktivist*innen wohnen, es kaum kulturelle oder politische Aktivitäten gibt und in denen viele Menschen leben, die prekär arbeiten, ALG II beziehen und zudem noch von Rassismus und/oder der Aufenthaltsgesetzgebung betroffen sind.

Obwohl die meisten der Anfangsgruppe in den zentrumsnahen Stadtteilen wohnten, haben wir uns dafür entschieden, unsere Praxis in einem Stadtteil zu beginnen, der zu der zweiten Kategorie zählt. Ein Grund war, dass Menschen bei unserer Umfrage dort viel klarer über Probleme im Alltag und die Notwendigkeit von Veränderung gesprochen haben, als bei unseren Umfragen in den zentrumsnahen und tendenziell reicheren Stadtteilen. Wir sahen dort ausserdem in den Lebensumständen vieler Bewohner*innen existentielle Notwendigkeiten gegeben, wodurch wir hofften, dass sich Menschen dort eher dazu bereit wären, sich gemeinsam zu organisieren.16 Es macht sicher Sinn, wenn Menschen aus der Anfangsgruppe in dem Stadtteil wohnen, in dem mit dem Aufbau einer Basisorganisation begonnen wird, aber wir würden sagen, dass dies keine Notwendigkeit darstellt. Wichtiger ist, aus unserer Sicht, dass unsere Praxis auf eine existentielle Notwendigkeit trifft und eine Klassenperspektive einnimmt, was in prekären Stadtteilen eher gegeben ist.

Nach der Auswahl des Stadtteils haben wir dort über einen längeren Zeitraum unsere Infotische und Umfragen fortgeführt. Das war für uns eine gute Möglichkeit, die Bedingungen vor Ort besser kennenzulernen, aber vor allem auch eine Gelegenheit, uns in den Gesprächen mit Menschen auf der Strasse auszuprobieren und mehr Selbstvertrauen zu entwickeln. Irgendwann wurde klar, dass es nicht mehr ausreicht, weiter nur Umfragen zu machen, sondern, dass wir Angebote entwickeln und Orte schaffen müssen, an denen Menschen zusammenkommen.

Der erste Schritt war deshalb die Organisation eines wöchentlichen offenen Cafés als Anlaufpunkt. Da wir über keine eigenen Räumlichkeiten im Stadtteil verfügten, waren wir damals darauf angewiesen, städtische Räume des sogenannten Quartiersmanagements zu nutzen. Zu den Cafés luden wir die Bewohner*innen der umliegenden Häuserblocks aktiv ein, durch Haustürgespräche und persönliches Einladen vor Beginn der Cafés. Dadurch wurden die Cafés relativ bald von einigen der Bewohner*innen genutzt und es zeigte sich schnell, dass es viele Probleme mit der gemeinsamen Vermieterin – einer Immobilienfirma – gab.

Auf einigen gemeinsamen Treffen besprachen wir mit den Bewohner*innen Möglichkeiten sich gegen die Vermieterin zu wehren und für eine Verbesserung der Wohnbedingungen in den Häuserblocks zu kämpfen. Doch als das Quartiersmanagement von den Versammlungen und deren Inhalt erfuhr, wurden wir aufgefordert aufzuhören, die Bewohner*innen aufzuwiegeln. Kurze Zeit später wurde uns untersagt, die Räumlichkeiten für irgendetwas anderes als „neutrale“ Cafés zu benutzen. Auch den Bewohner*innen wurden die Schlüssel für den Raum entzogen, nachdem ein heimliches Treffen ohne Wissen des Quartiersmanagements dort stattgefunden hatte.

Der Entzug des Raumes bestätigte nicht nur unsere Einschätzung der Rolle und Politik des Quartiersmanagements im Klassenkonflikt in den Stadtteilen, sondern führte uns auch die Notwendigkeit vor Augen, einen eigenen Raum anzumieten, den wir gestalten und nutzen können. Nach der Anmietung eines eigenen Stadtteilladen Ende 2017 begannen wir dort unterschiedliche Angebote zu entwickeln. Dazu gehörten soziale, kulturelle und politische Angebote, wie Mathe-Nachhilfe, Deutschkurse, Filmabende, Veranstaltungen, offene Essensangebote oder Cafés, und auch Kampfkomitees in unterschiedlichen Bereichen wie zum Beispiel zu Miete, oder Arbeit.

Unter dem Dach der Stadtteilgewerkschaft sollten diese unterschiedlichen Kämpfe zusammenfliessen und Orte geschaffen werden, die gegenseitige Unterstützung und Solidarisierungsprozesse ermöglichen sowie das Bewusstsein stärken, dass die unterschiedlichen individuelle Probleme ähnliche strukturelle Ursachen haben. Um dies zu erreichen, haben wir zum einen eine Struktur entwickelt, die aus inhaltlichen Komitees bestand, wie dem Mietkomitee, dem Arbeitskampfkomitee und später dem Antira-Komitee. Zum anderen aus einem wöchentlichen offenen Treffen, zu dem Menschen mit unterschiedlichen konkreten Problemen kommen konnten, um daraus direkte Aktionen/Kämpfe entwickeln zu können. Es gab also unterschiedliche Angebote mit dem Ziel, aus unterschiedlichen individuellen Problemlagen kollektive Kämpfe zu entwickeln und gleichzeitig eine solidarische Kultur und sozialen Austausch zu ermöglichen.

Erfolgreich waren wir damit jedoch nur im Mietbereich und auch nur für eine bestimmte Zeit. Da der Immobilienriese vonovia über 4000 Wohnungen in Gröpelingen besitzt, begannen wir 2017 mit einer gezielten Kampagne zur Mobilisierung der vonovia-Mieter*innenversammlung von vonovia Mieter*innen (2018) Mieter*innen. Wir klingelten bei so gut wie jeder vonovia-Wohnung, führten Haustürgespräche, klebten unsere Einladungen an alle Türen, organisierten Infotische und vieles mehr. Die Folge waren mehrere grosse Mieter*innenversammlungen, aus denen eine Mieter*innen-Demonstration durch den Stadtteil, sowie ein Mietkomitee hervorging.In dem Mietkomitee organisierten sich einige aktive Mieter*innen zusammen mit Aktivist*innen von Solidarisch in Gröpelingen über einen Zeitraum von zwei Jahren.

Einzelne Kämpfe mit der konkreten Forderung nach Reparaturen in Wohnungen einzelner Mieter*innen konnten durch öffentlichen Druck (vor allem Medienarbeit) gewonnen werden – die beiden zentralen Kämpfe (kollektiver Widerspruch gegen Betriebskosten und Entschädigung für monatelange Modernisierungsarbeiten eines Wohnblocks) blieben jedoch erfolglos. Ausserdem gelang es dem Mietkomitee nicht, wirklich viele Mieter*innen über einen Demo von vonovia Mieter*innen in Gröpelingen (2019) längeren Zeitraum aktiv einzubinden und den öffentlichen Druck dadurch konstant hochzuhalten. Gleichzeitig erforderte der kollektive Kampf um ine Reduzierung der Betriebskosten und die Entschädigung für nerven- aufreibende Modernisierungsarbeiten eine ausufernde individuelle Beratung. Diese Umstände führten dazu, dass das Mietkomitee Mitte 2020 inaktiv wurde, nachdem mehrere aktive Mieter*innen sich zudem wegen gesundheitlicher Gründe zurückziehen mussten und die Pandemie persönliche Treffen verhinderte.

Neben dem Mietkomitee hatten wir von Beginn an auch ein Arbeitskampfkomitee. Dort haben wir uns anfangs mit dem Thema Leiharbeit beschäftigt, da Bremen eine der Leiharbeitshochburgen ist und insbesondere in Gröpelingen viele Menschen in Leiharbeit beschäftigt sind. Über Flyerverteilaktionen in den Logistikbereichen und im Stadtteil sowie über persönliche Kontakte haben wir versucht, ein Leiharbeiter*innen-Treffen aufzubauen.

Auch in diesem Bereich konnten wir es nicht schaffen, eine langfristige und verbindliche Organisierung zu erreichen, wodurch dieses Komitee auch inaktiv wurde. Die Frage, wie sich Stadtteilbasisarbeit und Betriebskämpfe und -organisierung verbinden oder gegenseitig stärken lassen, beschäftigt uns immer noch. Wir denken aber, dass der Aufbau von kämpferischen Strukturen speziell im Arbeitsbereich jenseits der reformistischen DGB-Gewerkschaften eine eigene Aufgabe ist und nicht nebenbei im Rahmen eines Komitees einer Stadtteilgewerkschaft verhandelt werden kann. In den weiteren Komitees, die wir gründeten – wie zum Beispiel das Antira-Komitee oder das Jugendkomitee – konnten wir ebenfalls nicht wachsen und konnten diese daher leider nicht aufrechterhalten.

Anfang 2020 mussten wir also feststellen, dass wir in einer Krise waren und die bisherige Praxis nicht die erwünschten Effekte zeigte. Wir hatten es zwar geschafft, Solidarisch in Gröpelingen im Stadtteil bekannt zu machen und einzelne soziale Kämpfe zu führen. Aber am Ende waren wir immer noch eine Gruppe von Aktivist*innen im Stadtteil. Von einer kämpferischen Struktur von unten waren wir weit entfernt.

4) Der Beratungs-Organisierungs-Ansatz (BOA) seit Ende 2020

Die Reflexion unserer Praxis hat seit Beginn unserer Stadtteilarbeit eine wichtige Rolle gespielt. Strategiediskussionen, die Bewertung unserer Praxis in Bezug zu unseren Zielen und die Bereitschaft zu Diskussionen um notwendige Veränderungen waren unter anderem Gründe, warum wir trotz der Schwierigkeiten nicht aufgegeben haben, sondern es möglich war, Misserfolge oder Frustrationen zu nutzen, um daraus zu lernen und die Praxis entsprechend weiterzuentwickeln. Eine die Praxis begleitende Reflexion in Bezugnahme auf die gesetzten Ziele und strategischen Überlegungen ist aus unserer Sicht zentral für die Entwicklung eines Modells der revolutionären Stadtteilarbeit.

Basierend auf unseren Reflexionen und Analysen haben wir einen neuen Ansatz entwickelt und diesen seit Ende 2020 schrittweise in die Praxis umgesetzt: den Beratungs-Organisierungs-Ansatz (BOA). Er ist eine Kombination aus Beratung, verbindlicher Mitgliedschaft, Vollversammlungen, Aktionen, politischer Bildung und unterschiedlichen Beteiligungsmöglichkeiten. Wir denken aufgrund der positiven Erfahrungen, die wir seit der Umsetzung des Beratungs-Organisierungs-Ansatzes machen, dass der Ansatz ein Ausweg aus der Sackgasse sein kann, in der sich einige der Stadtteilgruppen befinden. Wir haben die Veränderungen in unserer Praxis in den letzten Monaten vorsichtig beobachtet, um keine zu schnellen Rückschlüsse zu ziehen. Inzwischen sind wir jedoch der Meinung, dass der Beratungs- Organisierungs-Ansatz enormes Potential hat und – breit angewendet – eine Grundlage für den Aufbau einer organisierten sozialen Bewegung in der Bundesrepublik sein kann. Deshalb schildern wir im Folgenden die unterschiedlichen Aspekte, aus denen sich der BOA zusammen setzt und wie wir ihn konkret umsetzen.

a) Existentielle Notwendigkeit – Beratung als Ausgangspunkt für Organisierung

Wenn wir davon ausgehen, dass die meisten Menschen – insbesondere in prekären Lebenssituationen – sich nicht einfach so organisieren, sondern die Organisierung eine Lösung für konkrete Probleme bieten muss, stellt sich die Frage, was so eine existentielle Notwendigkeit in einer Gesellschaft wie der bundesdeutschen sein kann. Existentielle Notwendigkeiten sind nicht überall gleich, sondern haben länder- oder auch stadtspezifische Ausprägungen, weshalb es einer Analyse der konkreten materiellen Gegebenheiten in einem Stadtteil und des jeweiligen Staatssystems braucht.

Im Unterschied zu vielen anderen Ländern beispielsweise existiert in der Bundesrepublik ein umfassender Sozialstaat, der die soziale Frage mediiert und vermittelt. Während in anderen Ländern Menschen ohne Arbeit auf kollektive, meist familiäre, Netzwerke angewiesen sind oder direkte Formen der Armut erleben, wie beispielsweise Hunger oder Obdachlosigkeit, federt der Sozialstaat in Deutschland viele dieser Effekte ab. Gleichzeitig bindet er einen Grossteil der Bürger*innen in der einen oder anderen Form an sich, sei es über beispielsweise die Inanspruchnahme von Wohngeld, Kindergeld, Arbeitslosengeld I, Bürgergeld oder Kurzarbeitgeld. Die vorherige Abhängigkeit von kollektiven Strukturen, wie zum Beispiel der eigenen Familie, wurde ersetzt durch die Abhängigkeit vom Staat, die in kaum einem anderen Land so gross ist wie in der Bundesrepublik.

Die Beziehung zwischen Individuum und Sozialstaat wird durch individuelle Rechte und Pflichten vermittelt, die die Grundlage für die Inanspruchnahme der unterschiedlichen Leistungen bilden. Der Staat hat dafür unterschiedlichste Institutionen heraus gebildet, die jeweils eigene Verfahren haben, um Gelder zu bewilligen oder abzulehnen. Dies führt zu einer unersättlichen Bürokratie, die uns die Abhängigkeit tagtäglich vor Augen führt und die Inanspruchnahme von öffentlichen Geldern erschwert. Viele Menschen – vor allem in prekären Stadtteilen oder ohne ausreichende Deutschkenntnisse – sind mit den sehr aufwendigen und komplexen bürokratischen Anforderungen überfordert, was im zweiten Schritt existentielle Bedrohungen zur Folge hat. Denn wer nicht rechtzeitig die Unterlagen beim Jobcenter einreicht oder sich nicht gegen die Schikanen zur Wehr setzen kann, bekommt im Zweifelsfall über Monate hinweg keine Leistungen und verliert am Ende deshalb die eigene Wohnung.

Die Bürokratie des Sozialstaates hinterlässt also eine unendliche Nachfrage nach Unterstützung im Umgang mit dem Papierkrieg der staatlichen Behörden. Die geringere Bereitschaft zur Teilnahme an kollektiven Kämpfen und Streiks liegt wiederum zum Teil an der gelungenen Einbindung von Teilen der Arbeiter*innenklasse in das hiesige System (Sozialpartnerschaft), so dass sie aktiv zur Aufrechterhaltung der Gesellschaftsordnung beitragen. Zum anderen Teil liegt es aber auch an einer gefühlten Ohnmacht und Alternativlosigkeit gegenüber dieser Hegemonie, die zu Resignation und zum Rückzug ins Private führt.

Aber auch ausserhalb des Sozialstaates ist die Beziehung der Individuen zu Arbeitgeber*innen oder Vermieter*innen durch ein ausdifferenziertes und individualisiertes Rechtesystem vermittelt. Die Inanspruchnahme individueller Rechtsberatung ist für viele Menschen deshalb nach wie vor das Mittel der Wahl, um eigene Probleme anzugehen. In den meisten Städten gibt es dafür ein breit gefächertes Beratungsangebot, das meist von karitativen oder staatlich geförderten Vereinen gestellt wird. Die Beratungsstellen machen gute Arbeit und häufig sitzen dort linke Genoss*innen oder kritische Menschen. Aber strukturell unterstützen sie die Entpolitisierung der sozialen Frage, da sich ihre Beratung meist auf den rechtlich vorgegebenen Rahmen begrenzt und versucht individuelle anstelle von kollektiven und politischen Lösungen zu finden und somit die Individualisierung verfestigt wird.

Wir denken, es ist wichtig diese gesellschaftlichen Bedingungen bei der Entwicklung von Modellen der Basisarbeit zu berücksichtigen. Der direkte Schritt von individuellen Problemen zum kollektiven Kampf ist in einer individualisierten und verrechtlichten Gesellschaft wie der bundesdeutschen unserer Ansicht nach ohne weitere Zwischenschritte schwierig.

Vor dem Hintergrund unserer Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse in der BRD aber auch den Erfahrungen aus unserer vierjährigen Praxis haben wir uns Ende 2020 dazu entschlossen, ein eigenes Beratungsangebot aufzubauen. Der Bedarf an Beratung ist aus unserer Sicht also einer der existentiellen Ausgangspunkte für Organisierung in einer sozialstaatsgeprägten Gesellschaft wie der bundesdeutschen. Das heisst aber auch, dass wir die Beratung als Ausgangspunkt für Organisierung nutzen müssen und nicht als Selbstzweck und nur als individuelle Rechtsberatung und Lösung von Problemen. Denn es geht uns nicht darum, eine weitere Sozialberatungsstelle zu sein. Um das zu gewährleisten, verbinden wir die Beratung mit einer verbindlichen Organisierung, Vollversammlungen, Aktionen, politischer Bildung etc. Aber dazu später mehr.

Die Erfahrung zeigt, dass die Beratung häufig innerhalb kürzester Zeit konkrete und für die Mitglieder existentielle Verbesserungen schaffen kann. Das liegt daran, dass viele Behörden – insbesondere das Jobcenter – aber auch Unternehmen oder Vermieter*innen, sich nicht mal an die sowieso schon begrenzten gesetzlich festgelegten Rechte halten. Viele Menschen kommen in die Beratung zur Stadtteilgewerkschaft, weil sie seit Monaten kein Geld vom Jobcenter erhalten, in verschimmelten Wohnungen leben oder ohne Grund gekündigt wurden. Häufig kennen sie weder ihre Rechte noch verstehen sie die komplizierten Behördenbescheide, so dass es ihnen häufig nicht möglich ist, eigenständig ihre Rechte durchzusetzen. Die kritische und solidarische Beratung spielt deshalb eine wichtige Rolle.

Der erste kleine Schritt der Selbstermächtigung beginnt in der Beratung selbst, durch die Vermittlung einer klaren Haltung gegenüber den Behörden und des Gefühls, dass wir etwas für uns und andere verändern können, wenn wir gemeinsam kämpfen. Gleichzeitig geht es bei der Beratung im Kontext einer politischen Stadtteilbasisorganisation nicht nur darum, die akuten Probleme zu lösen. Aufgabe der Basisorganisation ist es vielmehr, den neuen Mitglieder zu vermitteln, dass die Möglichkeiten der Beratung begrenzt sind und letztendlich nicht die Beratung zur grundlegenden Lösung ihrer Probleme beitragen wird, sondern nur sie selbst als Teil einer kollektiven, Werbung für die Beratung ämpferischen und solidarischen Organisierung.

Wir haben aktuell an drei Tagen in der Woche Beratung bei Problemen mit der Ausländerbehörde, dem Jobcenter, dem Sozialamt, den Vermieter*innen und der Arbeit. Anders als erwartet, hatten wir kaum Probleme damit, Berater*innen zu finden, da es viele kritische Menschen gibt, die selbst bereits Erfahrung mit Beratung haben (z.B. über ihre Arbeit als Sozialarbeiter*innen oder Jurist*innen) und diese gerne in einem politischen Kontext einbringen wollen. Zudem bringen auch viele Leute aus dem Stadtteil Erfahrung und Expertise mit, entweder weil sie sich selbst seit Jahren mit dem Jobcenter herumschlagen oder weil sie Familienmitglieder bei Behördenangelegenheiten unterstützen und oder für sie übersetzen.

Seit wir begonnen haben den Beratungs-Organisierungs-Ansatz in die Realität umzusetzen, merken wir qualitative Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen. Zum einen führt die Beratung dazu, dass permanent neue Leute aus dem Stadtteil zu uns in den Laden kommen und die Stadtteilgewerkschaft kennen lernen. Während wir früher das Problem hatten, dass Angebote nur von wenigen genutzt wurden und wir uns immer wieder überlegen mussten, wie wir in Kontakt mit anderen Leuten aus dem Stadtteil kommen können, führt das grosse Bedürfnis nach Beratung nun dazu, dass von sich aus immer mehr Leute zu uns kommen. Zum anderen werden aber auch immer mehr Leute aus der Beratung in der Basisorganisation aktiv, da wir diese zu den Vollversammlungen und zu den verschiedenen Komitees einladen oder sie andere Aufgaben innerhalb der Organisation übernehmen. Die Beratung ist also eine gute Möglichkeit, um Menschen aus der Beratung selbst wie auch politische Leute aus der Stadt in die Stadtteilgewerkschaft einzubinden.

Während der Beratungszeit sind neben den Berater*innen weitere Mitglieder der Stadtteilgewerkschaft vor Ort, die sogenannten Beratungs-Organisierung-Vermittler*innen (BOV). Sie erklären den Menschen, die das erste Mal in die Beratung kommen das Konzept der Stadtteilgewerkschaft und geben die Informationen über die Mitgliedschaft und politische Übereinkünfte heraus. Den BOVs kommt eine wichtige Rolle zu, da sie ein erstes Bild von der Stadtteilgewerkschaft und der Bedeutung der gemeinsamen Organisierung vermitteln, auf dessen Grundlage die Menschen aus der Beratung entscheiden, ob sie Mitglied werden.

b) Verbindliche Organisierung

Ein zweiter Aspekt, den wir kritisch reflektiert haben, war die fehlende Verbindlichkeit beim Aufbau unserer Strukturen. Wir haben in den ersten Jahren vor allem auf lose Angebote, Treffen und Kämpfe gesetzt, anstatt auf den Aufbau von festen Organisationsstrukturen. Das hat dazu geführt, dass Solidarisch in Gröpelingen eine kleine Gruppe von Aktivist*innen blieb, die unterschiedliche Angebote und Treffen organisierte. Aber es hat sich daraus keine wachsende Struktur unterschiedlicher Menschen herausgebildet.

Einige Mieter*innen im Mietkomitee haben sich zwar emotional Solidarisch in Gröpelingen nahe gefühlt, aber es gab keine klare Mitgliedschaft oder formale Zugehörigkeit – auch was die Beteiligung an Entscheidungen betraf. Solche unverbindlichen Angebote führen aus unserer Sicht nicht nur dazu, dass die Verantwortung letztlich in den Händen von wenigen Aktivist*innen bleibt, sondern verhindern darüber hinaus gemeinsame Lern- und Politisierungsprozesse.

Mieter*innen aus dem Stadtteil kommen auf grossen Miet-versammlungen zusammen, diskutieren ihre Probleme und kämpfen – wenn es gut läuft – über einen bestimmten Zeitraum gemeinsam für eine bestimmte Forderung. Im besten Fall gewinnen sie und machen die Erfahrung, dass kollektive Organisierung hilfreich ist. In den meisten Fällen gehen sie danach wieder auseinander und wählen im Zweifelsfall weiterhin die AfD oder AKP.

Ausgehend von unseren Erfahrungen der letzten Jahre ist in unseren Diskussionen die Frage in den Mittelpunkt gerückt, wie wir verbindlichere Strukturen aufbauen können und was der Unterschied zwischen einer Gruppe und einer Organisation ist, speziell einer politischen Basisorganisation.Viele von uns kennen nur Gruppen, in denen das meiste auf einem Plenum gemeinsam beschlossen wird, neue Mitglieder häufig durch Freund*innenkreise akquiriert werden und die Entwicklung der Mitglieder eine individuelle Aufgabe jeder Person für sich selbst bleibt (eine Ausnahme bilden nur solche Fälle, in denen ein kurzer Begleitprozesse stattfindet, wenn Menschen neu zu einer Gruppe dazu stossen). Das funktioniert aber nicht für eine Organisation aus 100 Mitgliedern oder mehr.

In den letzten zwei Jahren haben wir deshalb eine verbindliche Organisationsstruktur geschaffen, die neben der Beratung verschiedene Komitees, Treffen und Beteiligungsformen umfasst. Um die Beratung mit einer Organisierung zu verbinden und eine Zugehörigkeit zu schaffen, haben wir eine Mitgliedschaft eingeführt. Wir machen den Menschen, die in die Beratung kommen, von Beginn an klar, dass wir keine Beratungsstelle sind, sondern eine Stadtteilgewerkschaft, die auf kollektiver Organisierung beruht. Wir verdeutlichen von Anfang an, dass wir unsere Probleme langfristig nicht nur durch Beratung lösen können, sondern uns darüber hinaus gemeinsam organisieren und für Verbesserungen kämpfen müssen. Die Mitgliedschaft umfasst bestimmte Kriterien wie:

a) Solidarität und Teilnahme an Kämpfen der Stadtteilgewerkschaft, wenn nötig (nach dem bekannten Motto „touch one, touch all“ und nach unserem Motto „People, Power, Solidarität“), b) Teilnahme an Vollversammlungen, c) Teilnahme an kollektiver Kommunikation (Whatsapp-Gruppe) und d) geringfügiger finanzieller Mitgliedsbeitrag, wenn möglich (1€+). Zudem gibt es politische Grundsätze der Stadtteilgewerkschaft, die wir neuen potentiellen Mitgliedern mitgeben und denen sie mit dem Eintritt formal zustimmen.

Zukünftig beraten wir nur noch Mitglieder, die Teil der Stadtteilgewerkschaft sind oder werden wollen. Die Mitgliedschaft ist eine Voraussetzung, um eine verbindliche und längerfristige Organisierung zu ermöglichen, in deren Rahmen weitere Prozesse wie politische Bildung, kollektive Aktionen und Kämpfe, Mitgestaltung, Aufbau einer solidarischen Kultur erst möglich werden.

Für Menschen, die mehr Zeit haben und mehr Aufgaben in der Stadtteilgewerkschaft übernehmen wollen, gibt es weitere Strukturen, an denen sie mitwirken können. Diese umfassen zum einen Komitees und Kommissionen zu einzelnen Teilbereichen der Stadtteilgewerkschaft wie unter anderem das Komitee Küche für alle, Aktionskomitee, Zeitungsgestaltung, Beratungskomitee oder die Kommission für Social Media, politische Bildung etc. Zum anderen regelmässige Treffen, wie das Aktiven- oder Entwicklungstreffen, auf denen strategische und inhaltliche Entscheidungen getroffen und anfallende Aufgaben geklärt oder verteilt werden.

Ein weiterer Aspekt, um die Beteiligung neuer Mitglieder innerhalb der Basisorganisation zu erleichtern, sind klare Aufgabenbeschreibungen und -verteilungen . Zum einen werden dadurch die Aufgaben transparenter. Denn meist ist es insbesondere für neue Mitglieder schwierig, die anfallenden Aufgaben zu erkennen und zu verstehen, weil viele von bereits aktiven Mitgliedern nebenbei erledigt werden. Zum anderen können die Aufgaben dadurch leichter an andere Mitglieder übertragen werden. Zu wissen, was genau eine Aufgabe umfasst und was erwartet wird, hilft dabei, dass neue Mitglieder sich auch trauen, Aufgaben zu übernehmen. Ausserdem können dadurch verschiedene Menschen für einen begrenzten Zeitraum bestimmte Aufgaben übernehmen, wodurch eine Arbeitslastverteilung innerhalb der Organisation erleichtert wird. Eine Aufgabe zu haben, ist wiederum wichtig, um sich als Teil der gemeinsamen Organisierung zu fühlen und sich entwickeln zu können.

Ziel ist perspektivisch, dass alle aktiven Mitglieder der Stadtteilgewerkschaft in einem Komitee mitarbeiten oder eine Verantwortung für einen bestimmten Aufgabenbereich haben. Die verschiedenen Ebenen aus Vollversammlung, Entwicklungs- und Aktiventreffen, Komitees und Verantwortlichkeiten ermöglichen unterschiedliche Beteiligungsgrade und schaffen eine Arbeitsteilung, die Transparenz herstellt und verhindert, dass Treffen mit organisatorischen Punkten überladen werden. Die gemeinsamen Grundlagen aller einzelnen Teilbereiche sind die politischen Übereinkünfte und die definierten strategischen Linien von Solidarisch in Gröpelingen.

Teil der regelmässigen Treffen und wichtiges Element zum Aufbau einer Basisorganisation sind die Vollversammlungen (VV), die seit August 2021 alle sechs Wochen stattfinden. Zu den Vollversammlungen werden alle Leute eingeladen, die in die Beratung kommen oder anderweitig in der Basisorganisation aktiv sind. Die Vollversammlung ist einer der zentralen kollektiven Orte der Stadtteilgewerkschaft, an dem sich die Mitglieder untereinander kennenlernen, von aktuellen Kämpfen berichten und niedrigschwellige politische Bildung durchgeführt wird. Es gibt als Moderationssprache neben Deutsch immer noch eine oder zwei weitere Übersetzungen und je nach Bedarf auch weitere Übersetzungen in andere Sprachen, die als individuelle Flüsterübersetzungen stattfinden. Zudem gibt es immer auch Essen und Musik, um auch ein soziales Miteinander zu ermöglichen.

Ein weiteres für alle offenes und regelmässiges Angebot ist die Küche für alle (Küfa). Sie findet monatlich statt und ist aus der Vollversammlung heraus entstanden. Viele Mitglieder hatten angesichts der steigenden Preise das Bedürfnis geäussert einen Ort zu schaffen, an dem wir kostenloses Essen an die Menschen innerhalb von Solidarisch in Gröpelingen verteilen. Für unsere Organisierungsanstrengungen erfüllt sie mehrere Funktionen: Die Küfa stellt einen guten Anlaufpunkt dar, um neue Mitglieder auf unsere Organisation aufmerksam zu machen. Gleichzeitig ist sie ein Ort, der niedrigschwellige Mitarbeit und ein erstes „Reinschnuppern“, wie es ist organisiert zu sein und wie man in Kommitees arbeitet, ermöglicht. Ausserdem wird durch kulture Theater, die nach dem Essen stattfinden, ein anderer Zugang zu politischen Themen geschaffen.

Die verschiedenen Beteiligungsformen ermöglichen es zum einen, dass neue Mitglieder und Aktive sich in verschiedenen Bereichen einbringen können, ohne den Druck zu haben, direkt alles mitentscheiden zu müssen und bei jedem Treffen dabei zu sein. Ausserdem können sie dadurch Solidarisch in Gröpelingen als Gesamtorganisation mit dessen Struktur und politischen Grundsätzen Schritt für Schritt kennenlernen. Zum anderen können die neuen Mitglieder/Aktiven während des längeren Prozesses hin zu einer Initiativkraft sehen, ob sie mit den erweiterten politischen Grundsätzen übereinstimmen und sich stärker an der Gesamtgestaltung von SiG beteiligen möchten, sowohl auf lokaler als auch überregionaler Ebene. Diese verschiedenen Ebenen sind notwendig, um die Beteiligung verschiedener Menschen auf unterschiedliche Arten zu ermöglichen. Von dieser vielfältigen Beteiligung lebt die aufzubauende politische Massenorganisation.

c) Mobilisierungen und konkrete Kämpfe

Um nicht nur individuelle Rechtskämpfe zu gewinnen, sondern diese auch zu politisieren, sind kollektive Aktionen und Kämpfe notwendig. Aber auch um zu verstehen, was kollektive Handlungsfähigkeit konkret bedeutet. Da der Beratungs- Organisierungsansatz die individuelle Beratung als Ausgangspunkt für die Organisierung nimmt und damit ein Verhältnis, in dem die Person, die in die Beratung kommt, sich erstmal als passiv und abhängig erlebt, sind regelmässige kollektive Mobilisierungen und Aktionen Demo zur Unterstützung des Streiks bei Amazon Elementar. Sie tragen dazu bei, die Rolle als ohnmächtige Hilfesuchende aufzubrechen und in eine Position eines handlungsfähigen politischen Subjektes zu transformieren. Regelmässige Mobilisierungen machen zudem den politischen Charakter der Stadtteilgewerkschaft deutlich und unterstreichen den Unterschied zu auf individuelle Lösungen fokussierten Beratungsstellen.

Aktionen können sich zum einen aus der Beratung selbst ergeben, wenn wir z.B. mit rechtlichen Mitteln nicht mehr weiter kommen oder wenn wir nicht auf das Ergebnis eines rechtlichen Verfahrens warten können, weil sich die davon betroffene Person in einer akuten Notlage befinden. Das ist z.B. der Fall, wenn das Jobcenter monatelang nicht über den Antrag entscheidet oder Leistungen kürzt. In solchen Fällen mobilisieren wir vor das Jobcenter. Ein anderes Beispiel ist, wenn ein Unternehmen eine Person rechtswidrig entlassen hat oder ein Vermieter ein Zwangsräumungsverfahren einleitet. Viele Menschen sind es gewohnt, bestimmte Praktiken einfach hinzunehmen, weil sie nicht die Zeit, das Wissen oder die Ressourcen haben, sich dagegen zu wehren.

Da innerhalb der Stadtteilgewerkschaft Mitglieder mitbekommen, dass sie ähnliche Probleme haben und einzelne Probleme oder Kämpfe immer wieder innerhalb von Vollversammlungen oder anderen Treffen thematisiert werden, entsteht ein Gefühl von Solidarität miteinander. Ausserdem trägt die Weitergabe über das Wissen bestimmter Praktiken staatlicher Institutionen und anderen Stellen dazu bei, Diskussionen über die Ursachen solcher Verhaltensweisen in Gang zu stossen. Indem wir einzelne Fälle aus der Beratung sowohl innerhalb der Stadtteilgewerkschaft thematisieren als auf öffentlich auf die Strasse tragen, kann ein Bewusstwerdungsprozess in Gang gesetzt werden. Denn Menschen können dadurch realisieren, dass ihre individuelle Lage strukturelle Ursachen hat und nicht ihr eigenes Verschulden ist, und, dass wir politische Lösungen und eine grundlegende Gesellschaftsveränderung brauchen, um die Ursachen unserer Probleme zu beseitigen.

Neben Aktionen, die sich aus der Beratung ergeben, können Aktionen aber auch durch aktuelle Entwicklungen und die Diskussionen darüber auf Vollversammlungen oder in anderen Gesprächen entstehen, wie etwa bei der derzeitigen Inflation und sich daraus ergebenden Preissteigerungen. Wichtig ist, die Aktionen so zu gestalten, dass möglichst viele Mitglieder in die Vorbereitung und Durchführung eingebunden sind und die Aktion selbst die einzelnen Teilnehmenden empowert selbst zu sprechen. Wenn die Stadtteilgewerkschaft Aktionen plant, sind alle Mitglieder aufgerufen, daran teilzunehmen. Insbesondere wenn wir konkrete Kämpfe führen. Es geht auch darum, das Bewusstsein „touch one, touch all“ als Haltung zwischen den Mitgliedern zu etablieren und unser Motto „People, Power, Solidarität“ lebendig werden zu lassen.

Für die Umsetzung der Aktionen ist in der Stadtteilgewerkschaft das Aktionskomitee zuständig. Wichtige Aktionen in den letzten Jahren waren zum einen Kundgebungen vor dem Jobcenter, der Sozialbehörde oder dem Gericht, um Mitglieder bei Forderungen in einzelnen Verfahren zu unterstützen. Auf der anderen Seite konnten wir in Gröpelingen relativ erfolgreiche Kundgebungen gegen die Preiserhöhungen und die Auswirkungen der Krise allgemein organisieren. Unsere Erfahrung ist, dass sich Menschen aus dem Stadtteil nicht spontan zu Demonstrationen oder Kundgebungen mobilisieren lassen, auch wenn im Vorhinein intensiv im Stadtteil geflyert und mit Nachbar*innen gesprochen wird. Viele Menschen haben keinen Glauben in die Wirkung von Demonstrationen oder haben Angst, dass es negative Folgen für ihren Aufenthalt haben könnte.

Es ist jedoch etwas anderes, wenn eine Basisorganisation ihre Mitglieder zu einer Kundgebung aufruft, die sich bereits kennen, Vertrauen aufgebaut und im Vorfeld gemeinsam auf Versammlungen darüber gesprochen haben, warum es wichtig ist, auf die Strasse zu gehen. Auf der letzten Kundgebung der Stadtteilgewerkschaft gegen Preiserhöhungen im Februar 2023 waren unter anderem viele Mitglieder der Stadtteilgewerkschaft und ihre Familien und Freund*innen – Menschen aus dem Stadttteil oder aus der Beratung17. Viele davon haben das erste Mal an einer Kundgebung teilgenommen. Es ist also möglich, selbst in bewegungsschwachen Zeiten wie aktuell in der BRD Proteste auch aus den Stadtteilen auf die Strasse zu bringen, aber aus unserer Sicht nicht ohne den Rahmen einer verbindlichen Organisierung.

d) Politische Klarheit und Definition von Zielen

Im Prozess der Entwicklung der Mitgliedschaft und dem Aufbau einer verbindlichen Organisationsstruktur mit Arbeitsteilung in Form von unterschiedlichen Komitees und Kommissionen etc. ist auch die Notwendigkeit einer gemeinsamen inhaltlichen Grundlage stärker in den Vordergrund getreten. Wir haben deshalb politische Übereinkünfte entwickelt, die den Rahmen für die Arbeit der einzelnen Strukturen definiert und die grundlegende Ausrichtung und Haltung der Stadtteilgewerkschaft bestimmt18. Die politischen Übereinkünfte erhalten alle neuen Leute, die sich für die Stadtteilgewerkschaft interessieren. Sich zu entscheiden, Mitglied zu werden, heisst zumindest über die politischen Übereinkünfte informiert zu sein und diese passiv zu akzeptieren.

Die tiefergehende Vermittlung des Inhaltes sowie eine Auseinandersetzung darüber ist Aufgabe der Organisation und vor allem der politischen Bildung. Neben den politischen Übereinkünften der Basismitglieder gibt es noch erweiterte Übereinkünfte, welche die Grundlage für die Initiativkräfte der Stadtteilgewerkschaft bilden. Sie sind auf Grundlage unserer Diskussionen der 11 Thesen sowie unseres damaligen Selbstverständnisses entstanden. Sie beschäftigen sich genauer mit den Aspekten, die in den Basisübereinkünften aufgegriffen werden und enthalten weitere Aspekte, die für eine Verortung innerhalb linker Strömungen und einer Analyse gesellschaftlicher Strukturen sowie der derzeitigen Lage notwendig sind.

e) Politische Bildung

Im Bereich der politischen Bildung haben wir wiederkehrende Bildungsangebote auf unterschiedlichen inhaltlichen Niveaus, je nachdem, wie lange Menschen schon in der Organisation aktiv sind und wie viel Vorwissen sie haben, geschaffen. In den Bildungsangeboten werden beispielsweise die strategischen und politischen Grundlagen von Solidarisch in Gröpelingen vermittelt. Es wird erklärt, warum wir uns als antikapitalistisch verstehen oder wie die eigene Lebenssituation mit strukturellen Problemen verbunden ist. Auf der anderen Seite ist die Bildung von langjährigen Initiativkräften ebenfalls ein wichtiger Bestandteil. Die Auseinandersetzung mit unter anderem olitische Basisbildung Klasse, den verschiedenen Strömungen innerhalb der Linken, der Geschichte von Stadtteilbewegungen oder der Arbeiter*innenbewegung sind notwendig, um sich eine fundierte Grundlage für Stadtteilbasisarbeit zu schaffen.

Die Bildungen bedienen sich verschiedener Methoden der politischen Bildung und haben das Ziel, Menschen aktiv in die Bildung einzubinden und zur Reflexion der eigenen Denkweisen anzuregen. Hierbei ist uns wichtig, nicht eine Lehrer*in-Schüler*in-Atmosphäre zu schaffen, sondern einen Austausch auf Augenhöhe zu ermöglichen. Ebenfalls organisieren wir Offene Austausche, in denen es am Anfang nur eine kurze Einleitung zum Thema gibt und danach offen über Themen wie Inflation oder den Ukraine-Krieg diskutiert wird.

Auch in anderen Bereichen von Solidarisch in Gröpelingen spielen die Überlegungen zu politischer Bildung und das Ziel, Möglichkeiten zur Entfaltung von Subjektivität zu schaffen, eine Rolle. Vollversammlungen dienten am Anfang eher dazu, Menschen aus der Beratung oder weiterem Umfeld zu Solidarisch in Gröpelingen einzuladen.

Austauschtreffen zum Thema: Wer oder was ist eigentlich Schuld an meinen Problemen?

Es sollte eine erste Möglichkeit der Beteiligung, des Gefühls von Kollektivität und einen Überblick über die Aktivitäten und Themen innerhalb von Solidarisch in Gröpelingen vermitteln. Hierbei waren die Vollversammlungen eher von Berichten geprägt und weniger von Austausch. Eine Weiterentwicklung der Vollversammlung umfasst nun unter anderem, jeden einzelnen Menschen durch beispielsweise Diskussionen in Kleingruppen in die Vollversammlung einzubinden. Dies führt dazu, dass die Hemmschwelle, eigene Ideen einzubringen, sinkt und dass sich alle Mitglieder stärker in Solidarisch in Gröpelingen einbringen können. Die Vollversammlung ist zu einem Ort geworden, an dem neue Verantwortlichkeiten verteilt werden und ein stetiger niedrigschwelliger Politisierungsprozess stattfindet. Auch innerhalb der Aktiventreffen wird diese Herangehensweise verfolgt, um auf informelle Art Wissen weiterzugeben und die Handlungsfähigkeit aller Aktiven innerhalb der Organisation zu stärken.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Politischen Bildung ist die Sommerschule. Bei der letzten Sommerschule konnten nicht nur Initiativkräfte teilnehmen, sondern auch Aktive der Stadtteilgewerkschaften. Die Sommerschule ist ein Ort, an dem sowohl Austausch zwischen den verschiedenen Stadtteilorganisationen stattfinden kann, aber auch innerhalb der

Stadtteilgruppen Anregungen und Politische Basisbildung mit Essen Diskussionen angestossen werden können. Durch den Wechsel zwischen praktischen Workshops zu Themen wie „Reden auf Demonstrationen“ und theoretischen Grundlagen revolutionärer Basisarbeit können sich alle innerhalb der Stadtteilgruppe ein ähnliches Wissensniveau aneignen. Ausserdem stärkt die Sommerschule ein Zugehörigkeitsgefühl zur Stadtteilgewerkschaft und zu einer Bewegung von Stadtteilorganisationen, wodurch Menschen dazu motiviert werden, sich noch stärker in die Organisation einzubringen.

f) Schaffung einer organisierten sozialen Bewegung

Um die Idee einer organisierten sozialen Bewegung in die Praxis umzusetzen und zu entwickeln, haben wir mit der Stadtteilbasisorganisation Berg Fidel Solidarisch aus Münster eine gemeinsame Kommission gegründet. Ziel dieser Kommission ist sowohl der Aufbau einer überregionalen Organisation, als auch die stetige Weiterentwicklung unseres Ansatzes durch gegenseitigen Austausch und solidarische Unterstützung. Bisher haben wir mit Berg Fidel Solidarisch ein gemeinsames 10-Punkte-Programm herausgegeben, mit dem wir überregional in den Stadtteilen auftreten19 und gemeinsame Vorstellungen in der Öffentlichkeit vertreten. Ausserdem halten wir zusammen Vorträge über unsere Arbeit, besuchen uns regelmässig und teilen Ressourcen, wie zum Beispiel durch gemeinsame Bildungen und Aufgabenteilung in verschiedenen Bereichen.

Wir bauen zunehmend parallele Strukturen auf und konnten beispielsweise eine gemeinsame Vollversammlung über einen Videoanruf abhalten. Unser bisher grösstes gemeinsames Projekt war die Organisation einer fünftägigen Sommerschule mit Teilnehmer*innen aus unterschiedlichen Städten. Die Sommerschule hat uns gezeigt, dass wir nicht isoliert in unserem Stadtteil sind. Zu sehen und zu wissen, dass man nicht alleine kämpft, sondern mit vielen anderen, die sich auch als Teil einer gemeinsamen Bewegung betrachten, kann einem im Alltag sehr viel Kraft geben.

Perspektivisch wollen wir eine organisierte soziale Bewegung der Stadtteilgewerkschaften aufbauen. Dafür arbeiten wir unter anderem an Strukturen und Kriterien der Zusammenarbeit, versuchen Bildungsformate zu entwickeln, die unsere Idee am besten vermitteln, und suchen bundesweit und darüber hinaus nach Mitstreiter*innen. Dieser Text und der nachfolgende Aufruf sind Teil dieser Anstrengungen.

6) Aufruf

Seit der Umsetzung des Beratungs-Organisierungs-Ansatzes (BOA) hat sich Solidarisch in Gröpelingen auf verschiedene Weisen verändert. Eine der wichtigsten Veränderungen ist, dass über die Beratung permanent neue Leute aus dem Stadtteil – aber auch darüber hinaus – zur Stadtteilgewerkschaft kommen und viele davon neue Mitglieder werden. Die Beratung schafft also den Ausgangspunkt für eine Organisierung und trägt so zum Aufbau einer Basis der Stadtteilbewegung bei. Dadurch hat sich die Zusammensetzung der Stadtteilgewerkschaft von einer überwiegend weiss akademisch geprägten Polit-Gruppe hin zu einer diversen und von Menschen aus dem Stadtteil mit getragenen Basisorganisation entwickelt.

Zum anderen konnten wir über den Aufbau unterschiedlicher Komitees und den Ausbau offener Beteiligungsformate wie der Vollversammlung oder der Küche für alle erreichen, dass mehr Leute in der Stadtteilgewerkschaft aktiv geworden sind. Die Kombination aus Beratung als Eingangstor und unterschiedlichen niederschwelligen Beteiligungsmöglichkeiten hat in den letzten Monaten dazu geführt, dass mehr Leute Mitglied der Stadtteilgewerkschaft und darin aktiv geworden sind, als in den vier Jahren davor. Die meisten dieser neuen Mitglieder kommen selbst aus dem Stadtteil.

Auch haben verschiedene Bildungsgelegenheiten wie Workshops, offene Austauschtreffen, Bildungen, Plena-Situationen oder Gespräche dazu geführt, dass sich neue Mitglieder aktiver in die Organisation einbringen und sich Wissen über politische Themen aneignen konnten. Darüber sind neue Räume der populären Beteiligung entstanden, in denen niedrigschwellige Politisierungsprozesse angeregt werden konnten.

Mit dem BOA-Ansatz sind – wie mit allen politischen Ansätzen auch – einige Herausforderungen verbunden, denen wir auch in Zukunft begegnen müssen. So ist es immer wieder ein Balanceakt in der Beratung nicht nur individuelle Lösungen für die Mitglieder zu finden, sondern auch auf die strukturellen Ursachen dieser Probleme hinzuweisen und aus ihnen heraus politische Aktionen zu initiieren. Ausserdem führt der Ausbau der Komitees, der Wachstum der Organisation als Ganzes und andere Aufgaben zu einer Mehrarbeit, die nicht immer alle leisten können. Unserer Erfahrung nach treten manchmal dann strategische Diskussionen in den Hintergrund, weil praktische Aufgaben eine höhere Dringlichkeit haben, wie beispielsweise die Organisation der Küfa an einem bestimmten Datum. Strategischen Fragen und Diskussionen trotz der drängenden praktischen Aufgaben kontinuierlich genug Raum und Zeit einzuräumen, ist daher ein fortlaufender Aushandlungsprozess.

Gleichzeitig merken wir bei der Entwicklung der Praxis, dass viele Erfahrungen mit Organisierung von unten und dem Aufbau von demokratischen Massen-Basisorganisationen hierzulande verloren gegangen sind, so dass wir viele Fragen, die sich im Gehen stellen, selbst lösen müssen (auch wenn der Blick zu Bewegungen in anderen Ländern die Entwicklung unserer Praxis massgeblich beeinflusst hat). Revolutionäre Basisarbeit basiert auf einem vollkommen anderen Verständnis von Aktivismus und politischer Praxis als viele von uns es bisher gewohnt waren und als es in der linken Szene gängig ist. Das führt dazu, dass es Genoss*innen immer wieder schwer fällt, den Schritt heraus aus dem gewohnten Politikverständnis zu machen und an das Potential einer Organisierung von unten zu glauben. Wir denken jedoch, dass revolutionäre Basisarbeit mit der Zeit und mit den Erfahrungen, die wir in den unterschiedlichen Städten machen, ein selbstverständlicher Teil linker Kultur und politischer Ansätze werden und sich in Zukunft daher auch schneller weiter entwickeln wird.

Wir jedenfalls sind immer noch euphorisch über die vielen Veränderungen, die wir in den letzten Monaten beobachten konnten. Sie geben uns neue Hoffnung und festigen unseren Glauben an das Potential revolutionärer Basisarbeit. Wir sind aufgrund der Erfahrungen, die wir bei der Umsetzung des BOA-Ansatzes gemacht haben, zu der Überzeugung gelangt, dass die Kombination aus Beratung und Organisierung das Potential hat, einen fruchtbaren Boden für die Entwicklung einer organisierten sozialen Bewegung aus den Stadtteilen zu bereiten. Allerdings reicht es nicht aus, wenn wir diesen Ansatz nur in einem Stadtteil aufbauen und weiter entwickeln. Deshalb möchten wir mit diesem Text auch andere Genoss*innen und Gruppen dazu aufrufen, den BOA-Ansatz in ihren Städten auszuprobieren und mit uns gemeinsam weiter zu entwickeln. Wenn ihr Interesse habt, sind wir gerne bereit, euch bei den ersten Schritten zu begleiten.

Lasst uns gemeinsam die Vision einer organisierten sozialen Bewegung in die Praxis umsetzen. Lasst uns eine Kraft schaffen, die in der Lage ist, die Welt, uns und andere zu verändern.

Fussnoten:

1 „Für eine grundlegende Neuausrichtung linksradikaler Politik – Kritik & Perspektiven um Organisierung und revolutionäre Praxis“ von kollektiv aus Bremen. Zu finden unter: https://solidarisch-in-groepelingen.de/wp-content/uploads/2022/03/11-Thesen_A4.pdf

2 https://bfsolidarisch.blackblogs.org

3 „Stadtteilbasisbewegung: Die Konstruktion einer Alternative. Über einfache und komplexe Formen der Basisarbeit“: https://solidarisch-in-groepelingen.de/wp-content/uploads/2022/03/ Stadtteilbasisbewegung-Die-Konstruktion-einer-Alternative-1.pdf

4 Zur Möglichkeit der Gesellschaftsveränderung und Politik von unten siehe auch den Beitrag von Nima Sabouri zu Subjektivität und Organisierung: https://www.untergrund-blättle.ch/politik/theorie/politik-von-unten-teil-1-subjektivitaet-und-organisierung-7493.html

5 Margaret Thatcher war von 1979 bis 1990 britische Premierministerin. Sie steht symbolisch für die Durchsetzung des Neoliberalismus auf der Basis von konservativen Werten. In ihrer Amtszeit wurden viele der Staatsunternehmen privatisiert, Gewerkschaften und ihr Einfluss zerschlagen. Sie prägte den Satz, „Es gibt keine Alternative“, um ihre Politik zu rechtfertigen und ideologisch zu untermauern.

6 Wir lehnen nicht das Konzept des Schutzortes ab. Orte, in denen sich Menschen sicherer und geschützter vor Unterdrückung und Diskriminierung fühlen, sind legitime und wichtige Orte. Wir kritisieren jedoch eine linke Politik, die überwiegend auf der Schaffung solcher subkultureller Orte basiert und sich aus der Gesellschaft zurück zieht. Eine gesellschaftsverändernde Praxis, die darauf abzielt, mehr Menschen in einen Prozess der Gesellschaftsveränderung zu integrieren, muss sich mit den Widersprüchen innerhalb der Gesellschaft konfrontieren und Mittel schaffen, wie in einem kollektiven Prozess verinnerlichte rassistische, patriarchale, neoliberale etc. Denk-und Verhaltensweisen angesprochen und überwunden werden können.

7 Wir glauben nicht, dass es reicht, auf eine Machtübernahme zu setzen, infolgedessen die Gesellschaft von oben verändert wird. Und wir glauben auch nicht, dass sich Menschen in Aufständen oder Massenstreiks spontan all die Fähigkeiten und Erfahrungen aneignen, die sie für den nachhaltigen Aufbau einer neuen Gesellschaft brauchen.

8 Unter Unterdrückte verstehen wir zum einen all diejenigen, die prinzipiell darauf angewiesen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um zu überleben. Also alle, die arbeiten müssen, weil sie über kein nennenswertes Vermögen verfügen. Zum anderen basiert die kapitalistische Wirtschaftsweise auch auf anderen Unterdrückungsstrukturen, wie z.B. auf der (post-)kolonialen/imperialistischen und rassistischen Unterdrückung von BIPOC, patriarchalen Strukturen v.a. in der sozialen Reproduktion, der zerstörerischen Ausbeutung der nicht-menschlichen Natur, staatlichen Repression etc. Diese verschiedenen Strukturen sind miteinander im derzeitigen System verwoben, weshalb wir uns mit dem Begriff Unterdrückte auf all diejenigen, die von den verschiedenen Unterdrückungsformen betroffen sind, beziehen.

9 Definition von Basis durch den MST (Bewegung der Arbeiter*innen ohne Land) aus Brasilien: „Oder, die Basis ist derjenige Teil der ausgebeuteten Klasse (Masse), der beschliesst einen inneren und äusseren Veränderungsprozess zu unterstützen, bei sich selbst und der Realität, in der sie handelt. Und die beschliesst, dies organisiert und anhand von kollektiven und politischen Kämpfen zu machen.“ (Bildungsheft MST Método de trabajo y organización popular. Über Basisarbeit, Massenarbeit und Arbeit der Gruppe, S. 129)

10 Wir denken an eine Idee der „aktiven Beteiligung“ bzw. des bewussten „Aktivseins“. Das bedeutet, sich aktiv in das Projekt des sozialen Wandels einzubringen, das wir anstreben. Für uns ist diese Idee mit dem Verständnis verbunden, dass unser organisiertes kollektives Handeln kurz-, mittel-und langfristig strategisch zu einer Veränderung der Realität, in der wir agieren (auch innerhalb der Gesellschaft), beiträgt. Für eine Basisorganisation können wir folgende Punkte als “aktive Beteiligung” bzw. „Aktivsein“ erwähnen: Es geht nicht nur um „eine Teilnahme“; es bedeutet nicht nur zu Nicken oder eine „Ja-Sagen“-Haltung zu haben; es bedeutet, Teil von etwas zu sein, während man dieses Etwas aufbaut/gestaltet; es bedeutet Antworten zu geben und auch Fragen zu stellen.

11 Transparenz schafft mehr legitime Entscheidungen und Konsens innerhalb unserer Basisorganisation; eine effizientere Arbeitsweise durch Berücksichtigung des tatsächlichen Bedarfs der gesamten Organisation und der Teilbereiche sowie von ihren Mitgliedern; einen permanenten Dialog zwischen den Mitgliedern und der gesamten Organisierung. Transparenz braucht jedoch eine gemeinsame Grundlage in Form von minimalen oder maximalen politischen Übereinkünften sowie gemeinsamen Zielen. Denn wir gehen davon aus, dass eine Organisation nicht gut, kontinuierlich und transparent funktionieren kann, wenn ihre Mitglieder keinen ideologischen Minimalkonsens haben oder die politischen Übereinkünfte und Ziele nicht kennen.

12 Das Zitat stammt aus einem Bildungsheft der Bewegung der Arbeiter*innen ohne Land (MST) aus Brasilien

13 https://solidarisch-in-groepelingen.de/wp-content/uploads/2022/03/Stadtteilbasisbewegung-Die-Konstruktion-einer-Alternative-1.pdf

14 MST, Caderno de formacao 38, Método de trabalho de base e organizao popular, S.27

15 https://solidarisch-in-groepelingen.de/wp-content/uploads/2022/03/11-Thesen_A4.pdf)

16 Näheres zu den theoretischen Überlegungen zu existentiellen Notwendigkeiten und ihrer Relevanz für Stadtteilarbeit siehe Kapitel

17 Ein gutes kurzes Video der Kundgebung findet sich hier: https://solidarisch-in-groepelingen.de/genug-ist-genug-fuer-eine-gerechte-gesellschaft-auf-die-strasse-gehen-filme-fotos/

18 https://solidarisch-in-groepelingen.de/selbstverstaendnis/

19 https://solidarisch-in-groepelingen.de/10-punkte-fuer-eine-gerechtere-gesellschaft/

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Linke Partei-Meinung

Erstellt von DL-Redaktion am 9. Dezember 2022

„Das kann man finden, aber eigentlich nicht in dieser Partei“

Ein Interview von Pascal Beucker mit Christoph Spehr – Bremen

Am Wochenende treffen sich in Leipzig die Partei- und Frak­ti­onschefs der Linken aus Bund und Ländern zum Krisengipfel. Der Bremer Landessprecher Christoph Spehr hält die Eskapaden von Sahra Wagenknecht für nicht länger hinnehmbar.

taz: Herr Spehr, die Linkspartei befindet sich in einem desaströsen Zustand. Welche Erklärung haben Sie dafür?

Christoph Spehr: Ich glaube, es gibt zwei unterschiedliche, aber zusammenhängende Probleme. Zum einen haben wir einen Kreis von Leuten in wichtigen Positionen, die ständig erzählen, dass diese Partei schlecht sei, die soziale Frage verraten würde und man eigentlich mit ihr nichts mehr anfangen könne. Das kann der Partei nicht guttun. Zum anderen habe ich den Eindruck, dass die internen Aus­einandersetzungen viel Kraft gebunden haben, sodass es einfach jede Menge Fragen gibt, mit denen wir uns zu wenig beschäftigt haben. Da gibt es einen großen Nachholbedarf.

Mit diesen Leuten, die die Linkspartei schlechtreden, meinen Sie Sahra Wagenknecht und ihren Anhang, oder?

Ja, das ist so. Wenn du ein sehr prominentes Mitglied der Bundestagsfraktion hast, das mit seinen Auftritten Antiwerbung für die Partei betreibt, dann hast du ein ziemlich massives Problem. Das gilt beispielsweise für die fatale und falsche Denun­zia­tion der Linken, ihr sei die so­zia­le Frage wurscht geworden. Das ist nicht länger hinnehmbar. Das kann man finden, aber eigentlich nicht in dieser Partei.

Wie kann dieses Problem gelöst werden?

Es muss eine Verständigung darüber geben, dass jemand, der dauernd bekundet, mit dieser Partei nichts mehr anfangen zu können, nicht für diese Partei oder deren Fraktion sprechen kann. Wer darüber spekuliert, eigentlich eine andere Partei zu wollen, muss erst mal sein Verhältnis zur Linken klären. Das muss man klarmachen. Und wenn eine solche Person merkwürdige Sachen erzählt, muss ihr eindeutig und deutlich öffentlich widersprochen werden.

Welche merkwürdigen Sachen meinen Sie?

Nehmen wir nur einmal den Ukrainekrieg: Wenn ein Land ein anderes angreift, gilt unsere Solidarität den Menschen in dem Land, das angegriffen worden ist. Da darf es keinen Zweifel geben. Ein anderes Beispiel: Es funktioniert nicht zu sagen, der Hauptfeind seien die Grünen, das sei die gefährlichste und schlimmste Partei. Das ist nicht nur falsch, sondern heißt auch: Wir sig­nalisieren, dass wir nicht wissen, wo wir im Parteienspek­trum stehen. Das halte ich für verheerend.

Aber ist Wagenknecht wirklich das einzige Problem der Linkspartei?

Christoph Spehr - 2016.jpg

Nein, leider nicht. Eine Reihe ganz stabiler identitätsbildender Punkte für die Linke, wie die Erinnerung an die rot-grüne Regierung Gerhard Schröders mit ihrer Agenda 2010, sind in die Jahre gekommen und reichen nicht mehr aus. Es gibt einfach nicht mehr genug Leute, die dich aus Protest gegen das wählen, was früher mal SPD und Grüne gemacht haben. Das schwitzt sich aus.

Sie meinen, Protest alleine reicht nicht mehr?

Das ist es nicht allein. Zur Identität der Partei gehörte es immer auch, dass sie so etwas wie das fleischgewordene schlechte Gewissen von SPD und Grünen war. Von dieser Funktion kannst du jedoch nicht ewig leben. Genauso wie du im Osten nicht ewig davon leben kannst, dass du als ein Resonanzboden und auch in gewissem Maße als ein Problemlösungsinstrument erschienen bist für all die extrem schwierigen Prozesse der Vereinigung. Beides war sehr identitätsbildend, schwächt sich jedoch ab und ist irgendwann nicht mehr ausreichend.

Was folgt daraus?

Die Linkspartei wurde 2007 gegründet, unser Grundsatzprogramm stammt aus dem Jahr 2011. Seitdem ist viel passiert in Deutschland und der Welt. Da ist zum einen natürlich die Dringlichkeit der Klimafrage, der wir stärker Rechnung tragen müssen. Zum anderen sehen wir eine Vielzahl an sozialen Ero­sions­prozessen, die anders beantwortet werden müssen als früher. Es gibt objektive Prozesse, die die untere Einkommenshälfte der Gesellschaft seit Längerem in den Abstieg drängen. Da musst du etwas Aktives dagegensetzen. Dafür eine Gegenstrategie zu ­formulieren ist nicht ganz einfach und erfordert auch mehr als nur ökonomische Umverteilung.

Sehen Sie denn noch eine Perspektive für Ihre Partei?

Quelle         :         TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Oben     —     „Maischberger. Die Woche“ am 13. November 2019 in Köln. Produziert vom WDR. Foto: Sahra Wagenknecht, Die Linke (ehemalige Fraktionsvorsitzende)

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Bremens russischer Retter

Erstellt von DL-Redaktion am 10. Januar 2022

„Es ist eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet die Linke in Bremen nun dem unregulierten Kapitalismus die Tür öffnet.“

Aus Bremen von Jan Zier

Serguei Beloussov heißt der Mann, der die Privat-Uni von Bremen übernimmt. Vor 20 Jahren trat die Einrichtung an, um nach dem Vorbild Harvards die erste rein private, gemeinnützige Volluniversität Deutschlands zu werden. Jetzt hat sie die rot-grün-rote Landesregierung verkauft. Und was wird nun?

Der Retter ist nicht alleine nach Bremen gekommen. Ein Dutzend Menschen begleiten im September 2021 den Investor Serguei Beloussov durch das Rathaus, einen Backsteinbau aus dem frühen 15. Jahrhundert. Der Geschäftsmann weilt in der Hansestadt, um sich hier im rot-grün-rot regierten Bundesland eine Universität zu kaufen.

Zur Vertragsunterzeichnung in dem mit dunkelroten Damasttapeten ausgekleideten Kaminsaal tritt der 50-Jährige in Jeans auf, dazu trägt er einen blauen Blazer, auf den gut lesbar der Schriftzug „Acronis“ gestickt ist. Dieses Firmenlogo ziert auch den Kragen und gleich mehrfach seine Fliege. Der Cybersecurity-Konzern gleichen Namens, in den Nullerjahren gegründet, schreibt neunstellige Umsatzzahlen und beschäftigt über 1.600 Menschen. Mit ihm hat der in Leningrad geborene, aber in Singapur lebende Beloussov sein Vermögen verdient. In Medien wird es auf 600 Millionen Dollar geschätzt. Seine Sprecherin sagt, so genau könne sie das gar nicht sagen. Bremen hat er bis zu 50 Millionen Euro für seine klamme, von der Insolvenz bedrohte Privat-Universität versprochen.

2019 gründete der promovierte Computerwissenschaftler Serguei Beloussov in der Schweiz das Schaffhausen Institute of Technology, abgekürzt SIT, eine kleine Privathochschule mit angeschlossenem Technologiepark für die Forschung an künstlicher Intelligenz und Quantencomputern. Zuletzt studierten dort etwa 60 Personen. Manche von ihnen verpflichteten sich, hernach für das SIT oder Acronis zu arbeiten, um die Studiengebühren abzuarbeiten.

Im Bremer Rathaus fallen zwei junge Männer mit knallroten T-Shirts auf, auf denen in großen weißen Buchstaben „SIT“ gedruckt steht. Bei den Bediensteten erregen sie Missfallen, weil sie im Rathaus Werbung machen. Doch tatsächlich hat das kleine SIT nun die große Jacobs University Bremen (JUB) übernommen. Bei der Pressekonferenz ist für deren Vertreter an diesem Tag schon kein Platz mehr, ihre beiden Ge­schäfts­füh­re­r:in­nen sitzen hinten im Saal, noch hinter ihrem Pressesprecher.

Um zu verstehen, was dieser Deal bedeutet, muss man 20 Jahre zurückgehen: Bremen war damals der Ort einer großen, bundesweit beachteten Idee. Jenes Bremen, das anderswo für seine „rote Kaderschmiede“ genannte Uni verrufen und vom Niedergang seiner Werften gezeichnet war. Aus der alten Roland-Kaserne sollte eine völlig neue Universität werden, finanziert von Philanthrop:innen, die dafür 500 Millionen ­D-Mark stiften würden. Ein Ort, der hochkarätige For­sche­r:in­nen vieler Disziplinen mit Studierenden aus aller Welt verbinden und trotz seiner hohen Studiengebühren keine mondäne Elite-Uni für die Kinder der Reichen sein sollte.

Ein sozialdemokratisches Gewissen sollte sie haben, die Kinder arbeitsloser Werft­ar­bei­te­r:in­nen aufnehmen. Jeder Dritte der 1.600 Studierenden zahlt nicht die offiziellen 20.000 Euro pro Studienjahr, mehr als jeder Zehnte kommt aus Ländern wie Indien, Nepal, Albanien. Menschen aus 110 Nationen finden hier zusammen. „Jacobs Spirit“ nennen sie das. Bisher bleiben rund 40 Prozent der Ab­sol­ven­t:in­nen in Deutschland, die Hälfte hat spätestens drei Monate nach dem Studium einen Job.

Harvard ist der Maßstab“, verkündete einst die Frankfurter Allgemeine, und dass die Jacobs University Bremen „eine der besten Hochschulen des Landes“ sei. Selbst die frühere Kanzlerin Angela Merkel stimmte mit ein. Kurz darauf kam mit Klaus Jacobs ein Mäzen, der in Stanford studiert und in Bremen mit Kaffee sehr viel Geld verdient hatte – er stiftete 200 Millionen Euro, nachdem der Rest seines Vermögens in die Schweiz gewandert war. Nie hatte eine Hochschule in Mitteleuropa eine größere Spende erhalten. Seither trägt sie seinen Namen. 2020 gab die Jacobs Foundation all ihre Anteile zurück, Klaus Jacobs ist schon 2008 verstorben.

Geblieben ist das wissenschaftliche Renommee: In fast allen Rankings steht die Jacobs University Bremen glänzend da. Doch es fehlt Geld. Seit Jahren weist die gemeinnützige GmbH, die die Uni organisiert, meist Verluste in der Bilanz aus, 2014 wurden 60 Angestellte entlassen.

Also wollte das rot-grün-rote Bremen die private Uni ganz loswerden. Eine weitere öffentliche Finanzierung sei „ausgeschlossen“, verkündete der Senat im Herbst. Zur Gründung investierte das Land noch 230 Millionen D-Mark, später gab es 50 Millionen Euro Kredit. „Heute sind wir eine arme Universität“, sagt Neubesitzer Serguei Beloussov. Die Mehrheitsanteile an der Jacobs-Uni bekam er für 22.000 Euro. Dabei war Beloussov nicht die erste Wahl. Zunächst sollte der deutsche Software-Riese SAP und der chinesische Software-Entwickler Neusoft die Uni zum Zentrum für künstliche Intelligenz gesundschrumpfen. Doch dieser Plan war wohl nie mehr als Hoffnung, schon als der Senat sie offiziell verkündete.

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Ein Philanthrop ist Serguei Beloussov nicht. „Wir sind sehr pragmatisch“, schreibt er der taz, „wir glauben, dass private Universitäten vor allem finanziell tragfähig sein müssen“. Er unterschrieb einen Vertrag für die nächsten 99 Jahre, setzte einen seiner Vertrauten, den Mailänder Wirtschaftsprofessor Fabio Pammolli, als neuen Präsidenten ein und ließ sich von Bremen die unbefristete staatliche Anerkennung als Hochschule garantieren.

„Ich mache nie etwas ohne geschäftliches Inter­esse“, erklärte Beloussov der Zeitung Finanz und Wirtschaft. Der Bildungssektor sei „ein 15-Billionen-Dollar-Markt“, auf dem staatliche Unis eher ineffizient agierten. Ja, die Jacobs Foundation hatte „vielleicht etwas romantischere Ziele“, sagt Beloussov der taz.

Eine Professorin, die nicht genannt werden will, hat Beloussov getroffen, als er sich erstmals seiner neuen Uni vorstellte. Da habe er einen Vortrag gehalten, den er überall hätte halten können, sagt sie: „Uns hat er nicht adressiert.“ Andere fanden ihn „nicht empathisch“. Als „erfolgreicher Geschäftsmann“ habe er sich verkauft, sagt einer, der auch da war und ansonsten erst einmal betont, dass man bislang nichts Rechtes wisse. Keiner will mit Namen genannt werden.

Die Professorin ist Grundlagenforscherin, eine renommierte Biowissenschaftlerin. Wer sie besucht, schreitet einen langen, dunklen Gang aus steinernem Grau entlang, die Wände sind notdürftig mit englischsprachigen Plakaten komplizierter Forschungen aufgehübscht. Die Stuben links und rechts dienten einst der Wehrmacht als Kaserne. Die Professorin hat einst in den USA gearbeitet, ihrem Büro geben ein paar Teppiche etwas wohnlicheres Flair. Sie ist eine von denen, die seit Anbeginn an der Jacobs University dabei sind.

„Das Beste aus beiden Welten“ habe sie sich von dieser Uni erhofft, sagt sie, die Versöhnung des Humboldt’schen Bildungsideals mit den Chancen amerikanischer Privat-Unis. Ihr gefiel die Idee, dass an der Jacobs-Uni „kleine Kajaks“ statt „großer Tanker“ unterwegs sind, sagt sie. Und sie hat ja immer abgeliefert, auf ihrem Schiffchen, dabei auf die Vorteile des Berufsbeamtentums verzichtet, auf Pensionsansprüche, eine Sekretärin und Hilfskräfte, die für sie kopieren gehen.

„Heute habe ich nicht das Beste, sondern eher das Schlechteste aus beiden akademischen Welten“, sagt sie, und dass es doch „ehrlicher“ gewesen wäre, wenn die Landesregierung aus SPD, Grünen und Linken zugegeben hätte: „Wir wollen Euch aus ideologischen Gründen nicht.“ Wenn sie von dem Management der Jacobs University in all den Jahren spricht, fällt das Wort „Schande“. Andere sehen das ähnlich, aber auch sie wollen anonym bleiben.

Jetzt ist statt eines örtlichen SPD-Staatsrates Beloussov selbst der Aufsichtsratsvorsitzende und Philipp Rösler sein Stellvertreter. Ja, richtig, der ehemalige Vizekanzler von der FDP.

Philipp Rösler Bundestagswahl 2013-09 0297.jpg

Irgendwo und irgendwann hören wir sie alle wieder an den Trögen grunzen.

Wie die Mehrheit der 62 Pro­fes­so­r:in­nen hier ist die Professorin jenseits der 50 – zu alt, um einen Lehrstuhl an einer staatlichen Universität zu bekommen. Wer heute an der Jacobs-Uni lehrt, verdient weniger als an einer staatlichen Universität, sagen viele Pro­fes­so­r:in­nen übereinstimmend.

„Es ist eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet die Linke in Bremen nun dem unregulierten Kapitalismus die Tür öffnet“, meint Sybille Reichert, Autorin einer großen Studie zur regionalen Rolle der Jacobs-Universität Bremen und Inhaberin einer international agierenden Hochschulberatungskanzlei. Sie spricht von einem „Ausverkauf der öffentlichen Interessen“. Reichert warb wiederholt für eine öffentliche Beteiligung an der Privat-Uni, für eine Kooperation mit der staatlichen Universität und Forschungsinstituten. Bremen lehnte das strikt ab. „In anderen Regionen des Landes hätte eine Uni wie diese es leichter gehabt, in Baden-Württemberg, Bayern, in Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen“, sagt Reichert. Die oft als Vorbild gehandelte Privat-Uni in Witten-Herdecke etwa wird 2024 über 18 Millionen Euro vom Land bekommen.

Quelle        :      TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Oben      —     Campus Center der Jacobs University Bremen 2006

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Vorwürfe ./. Bremer Polizei

Erstellt von DL-Redaktion am 5. Januar 2022

„Der Fisch stinkt vom Kopf“

Blockupy 2013 Kessel.jpg

Aus Bremen von Sebastian Heidelberger

Bremer Po­li­zis­t-In­nen werfen ihrer Behörde Rassismus vor. Doch Ermittlungen könnten schwierig werden: Die Angst vor den Kol­le­g-In­nen ist groß.

Die Bremer Polizei sieht sich deutschlandweit in einer Vorreiterrolle, wenn es um Antidiskriminierung geht. Seit fast 15 Jahren gibt es einen Integrationsbeauftragten, seit Anfang 2021 zudem eine Referentin für Vielfalt und Antidiskriminierung. Sie soll ein Konzept entwickeln, wie Sensibilität für diese Themen bei der Bremer Polizei gefördert werden kann. Trotz dieser Bemühungen wird der Behörde Rassismus vorgeworfen – und das nicht von Menschen, die der Polizei ohnehin kritisch gegenüberstehen, sondern von Po­li­zis­t:in­nen selbst.

Einer von ihnen ist Jürgen G. Er will anonym bleiben und schätzt, dass 20 bis 30 Prozent seiner Kol­le­g:in­nen rassistische Einstellungen haben und Racial Profling betreiben, also Menschen nur aufgrund ihrer Hautfarbe kontrollieren. Solche Kontrollen sind verboten. In Bremen können kontrollierte Personen sich aber eine Quittung ausstellen lassen, auf der angegeben wird, durch was sie den Verdacht auf sich gezogen haben.

Jürgen G. sagt, dass einzelne Kol­le­g:in­nen auch noch weiter gehen. „Die gehen dann los und sagen: ‚Wir checken heute mal ein paar N****r ab.‘ Wenn die bei einem Einsatz bei einer deutschen Familie sind, dann läuft alles normal. Wenn sie aber bei einer Familie sind, die farbig ist oder einen Migrationshintergrund hat, dann verhalten die sich anders. Dann wird eine Widerstandshandlung provoziert. Dann wird dem Familienvater zum Beispiel ins Ohr geflüstert: ‚Ich ficke deine Frau.‘ Wenn der dann aggressiv wird, wird entsprechend hart eingegriffen.“

Es sind Aussagen, die sich nicht überprüfen lassen. Doch bundesweit werden immer wieder ähnliche Vorwürfe laut. Wie viele Po­li­zis­t:in­nen rassistische Einstellungen haben und welche Folgen das im Dienst hat, dazu gibt es in Deutschland kaum wissenschaftliche Forschung. Eine bundesweite „Rassismus-Studie“ bei der Polizei gibt es nicht.

Forscher: Verhalts weisen werden „kulturalisiert“

In Bremen zeigte man sich offen für eine solche Untersuchung. Doch der damalige Bundesinnenminister, Horst Seehofer (CSU), lehnte diese ab. „Es wird keine Studie geben, die sich mit Unterstellungen und Vorwürfen gegen die Polizei richtet“, erklärte Seehofer. Denn die überwältigende Mehrheit seiner Be­am­t:in­nen stehe auf dem Boden des Grundgesetzes. Geht es also nur um Einzelfälle?

Jürgen G. ist anderer Meinung. Er sieht ein strukturelles Problem beim Thema Rassismus in seiner Behörde. Viele seiner Kol­le­g:in­nen würden einen „tollen Job“ machen. Er will sie nicht alle pauschal verurteilen. Er hat aber festgestellt, dass es eine problematische Polizeikultur gibt: „Man fängt an, Menschen in Schubladen zu stecken.“ Es gebe Polizist:innen, die Menschen je nach Herkunft bestimmte Eigenschaften zusprechen.

Dies hat auch der Wissenschaftler Frank Müller beobachtet. Er arbeitet als Ethnologe an der Universität Bremen. Zwischen 2014 und 2018 hat er im Rahmen eines Forschungsprojekts Bremer Po­li­zis­t:in­nen immer wieder auf Streife begleitet. Offener Rassismus sei ihm dabei nicht begegnet, sagt er. Seine Forschung habe aber gezeigt, dass sich bei der Polizei Stereotype bilden würden. Verhaltensweisen von bestimmten Bevölkerungsgruppen würden „kulturalisiert“.

„Da sagt man dann, die Polen machen dies und das oder die Russen dieses und jenes“, erklärt Müller. „Und da wird dann eben ein Sprechen und ein Denkmuster bedient, die dann in bestimmten konkreten Situationen problematisch werden können.“

Beabsichtigte Eskalation

Müller sei auch aufgefallen, dass Bremer Po­li­zis­t:in­nen bestimmte Einsätze eskalieren lassen. Die Polizei sei nicht immer neutral, sagt er. Solche Situationen träten in der Regel bei jungen Männern aus einem schwierigen sozialen Milieu auf, „die in unserer Stadt sehr häufig Migrationshintergrund, teilweise dann eben auch keinen deutschen Pass haben“.

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Die Be­am­t:in­nen hätten ein Gespür dafür, wie sie Situationen eskalieren lassen können, sagt Müller. „Sie sind durch ihre Berufserfahrung durchaus in der Lage, Situationen zu steuern. Und in der ein oder anderen Situation ist mir klar geworden: Sie steuern es jetzt gerade in eine Richtung, wo es zur Eskalation kommt.“ Laut Müller seien dies aber Provokationen von beiden Seiten. Er habe bei seinen Beobachtungen auch einen fehlenden Respekt gegenüber der Polizei wahrgenommen. „Aber umgekehrt gibt es eben auch Situationen, in denen das zurückgespielt wird“, so Müller.

Polizist Jürgen G. kennt weitere rassistische Vorfälle bei der Polizei in Bremen. Einer davon sei in der Behörde ein offenes Geheimnis. Eine Gruppe von Po­li­zei­an­wär­te­r:in­nen habe vor einiger Zeit beim Laufen das Lied „10 kleine N****lein“ gesungen. Reaktionen von Seiten der Aus­bil­de­r:in­nen habe es daraufhin nicht gegeben.

Die Bremer Innenbehörde kennt den Vorfall, der sich bei der Bereitschaftspolizei abgespielt haben soll. Es gebe Ermittlungen – allerdings zunächst ohne ein Ergebnis. Denn trotz eines Aufrufs hätten sich keine Zeu­g:in­nen gemeldet.

Auch andere Po­li­zis­t-In­nen erheben anonym Vorwürfe

Jürgen G. ist nicht der einzige Polizist im Bundesland Bremen, der seiner Behörde Rassismus vorwirft. Das belegen interne Unterlagen der Polizei schon im Jahr 2018. Darin schildert ein Polizeianwärter, der als Person mit Migrationshintergrund beschrieben wird, einen Vorfall während seiner Ausbildung in Bremen. Er sei bei einer Verkehrskontrolle dafür verantwortlich gewesen, die Fahrzeuge auszuwählen. Der Praxisanleiter sei vor Beginn der Kontrolle zu ihm gekommen und habe ihm die Anweisung gegeben: „Du hältst jetzt genau die an, die so aussehen wie du!“

Quelle      :         TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben      —   Blockupy 2013: Spaltung und Einkesselung der Demonstration durch die Polizei. Die Gesichter von Demonstranten wurden durch den Fotografen unkenntlich gemacht.

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Die Grauen Wölfe

Erstellt von DL-Redaktion am 18. Dezember 2021

Petition zum Verbot von Symbolen der Grauen Wölfe

Von Jimmy Bulanik

Aktuell besteht durch den liberalen Tobias Christoph Huch bei der bremische Bürgerschaft eine Petition zum Verbot Symbole der „Grauen Wölfe“. Es handelt sich um eine extrem rechte politische Bewegung mit Bezug zu der Republik Türkei. Deren Inhalte stehen den Nationalsozialisten in nichts nach.

Die „Grauen Wölfe“ werden mit Gruppierungen der organisierten Kriminalität in Verbindung gebracht. So die im Juni 2018 verbotenen „Osmanen Germania BC“, „Turkos MC“, „Turan“. Ferner bestehen organisatorische Bezüge zu „Ülkücü-Spektrum“, islamistischen „Islamische Gemeinschaft Millî Görüş e.V.“ (IGMG). Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung, 19. Wahlperiode vom 14. Juli 2020 mit der Drucksache 19/21060 hervor.

Der Bundesregierung liegen Erkenntnisse zu Verbindungen der „Grauen Wölfe“ zu salafistischen oder dschihadistischen Organisationen vor. Einzelne „Ülkücu“ Anhänger sind in Strukturen der Organisierten Kriminalität eingebunden.

Das wofür diese Bewegung steht widerspricht sowohl in der Republik Türkei den Werten des Staatsgründers und ersten Staatspräsidenten, Mustafa Kemal Atatürk, als auch interkontinental den universell humanistischen Werten in den demokratisch verfassten Ländern und Segmente der Zivilgesellschaften. Alle Menschen welche in der Bundesrepublik Deutschland leben, dürfen bis zum 31. Dezember 2021 diese Petition unterzeichnen.

Quelle:

petition.bremische-buergerschaft.de/index.php?n=petitionsdetails&s=1&c=date_public&d=DESC&b=10&l=10&searchstring=&pID=3750

„All tyranny needs to gain a foothold is for people of good conscience to remain silent.“ Edmund Burke

„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Erich Kästner

In der Republik Frankreich sind die Symbole der „Grauen Wölfe“ bereits verboten. Auch in Österreich sind die Symbole der „Grauen Wölfe“ bereits verboten. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es parlamentarische Bestrebungen die Symbole der „Grauen Wölfe“ ebenfalls zu verbieten.

Es gibt keine gute Modalität der Menschenfeindlichkeit
Diese Verantwortung obliegt jetzt der neu eingesetzten Bundesregierung unter dem Bundeskanzler, Olaf Scholz.

Respektive dieser Petition:

Wortlaut wie eingereicht:

Der Innensenator des Landes Bremen wolle beschließen:

1. Es ist mit sofortiger Wirkung verboten und innerhalb des Bundeslandes Bremen untersagt, Symbole der faschistischen Gruppierung „Graue Wölfe (Bozkurt)“ in der Öffentlichkeit (auch unter Zuhilfenahme elektronischer Kommunikationsmittel) darzustellen, zur Schau zu stellen, zu tragen oder zu verbreiten.

2. Als Symbole sind auch Abzeichen, Embleme, Handzeichen und Gesten anzusehen. Konkret betrifft dies die gezeigten Symbole, Handzeichen und Abzeichen der Organisation „Graue Wölfe (Bozkurt)“ sowie ihrer Tarnorganisationen. Namentlich: Wolfsgruß mit der Hand, Wolfskopfflagge, brüllender Wolf im Halbmond, TURK-Runen (Köl Türk/Göktürk), drei Halbmonde.

3. Von dem Verwendungsverbot sollen auch grafisch veränderte Darstellungen der bezeichneten Symbole (insbesondere farbliche Abweichungen) erfasst werden.

Das Verbot solle durch den Bremischen Innensenator in Entsprechung zu geltenden Strafvorschriften bezüglich anderer verbotener verfassungswidriger Organisationen im Wege der Rechtsverordnung durchgesetzt werden. Die analogen Strafbestimmungen sollten denen der jeweiligen Verbotsregelungen entsprechen, etwa im Fall von Rockergruppierungen wie den „Hell’s Angels“.

Diese könnten in etwa wie folgt lauten:

„Wer die verbotenen Abzeichen, Embleme und Gesten der „Grauen Wölfe (Bozkurt)“ zur Schau stellt, trägt oder verbreitet, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, von der Landespolizeidirektion, mit Geldstrafe bis zu 4.000 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu einem Monat zu bestrafen. Wer bereits einmal rechtskräftig nach dieser Bestimmung bestraft wurde, ist mit Geldstrafe bis zu 10.000 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen.“

Begründung:

Die Symbole der Grauen Wölfe

(Selbstbezeichnung: „Bozkurtlar“) stehen für eine faschistische, ultranationalistische und gewaltverherrlichende Ideologie, die auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschlands und des Bundeslandes Bremen keine Daseinsberechtigung haben darf. Der türkische Rechtsextremismus stellt eine Gefahr für die innere Sicherheit dar. Die Grauen Wölfe folgen einer Weltanschauung, die im Widerspruch zur Bremischen Landesverfassung sowie zum Grundgesetz steht. Ihre Selbstbezeichnung als “Ülkücüler“ („Idealisten“) kaschiert einen Fanatismus, der versucht, insbesondere durch Einwirkung auf türkische und türkischstämmige Mitbürger an politischem Einfluss zu gewinnen, um auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland antisemitische, armienier- und kurdenfeindliche Stereotypen zu verbreiten. Die Terminologie der „Idealisierung“ bezieht sich hierbei insbesondere auf die türkische Nation und islamistische Werte, die gegenüber westlichen Wertvorstellungen als überlegen angesehen werden. Die Ülkücüler- (Idealisten)-Ideologie zielt mit ihren „rassisch“, kulturell und teils auch strengreligiös-islamistisch geprägten Zielen und Überlegenheitsvorstellungen auf eine bewusste Beeinflussung der türkischen Diaspora in Deutschland ab, die sie in einem türkisch-nationalistischen und islamistischen Geist zu indoktrinieren versucht, und wirbt für deren Unterstützung an der Wahlurne.

Die Grauen Wölfe entstanden in den 1960er-Jahren als militanter Arm der rechtsextremen türkischen Partei MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung, die heute in der Türkei mit der AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan koaliert). Ihre ersten Mitglieder wurden in Trainingslagern paramilitärisch ausgebildet, um sie zunächst gegen politische Gegner aus dem linken Spektrum im Straßenkampf einzusetzen. Geschützt durch das im Jahr 1971 von einer nationalistischen türkischen Regierung verhängte Kriegsrecht und mit verdeckter Behördenunterstützung wandten sie –zunehmend dann auch mit Ablegern im Ausland – konspirative bis terroristische Methoden an. Seit Ende der 1960er Jahre werden den Grauen Wölfen bis zu 5.000 Morde und hunderte Anschläge – darunter unter anderem eine Beteiligung am Attentatsversuch auf Papst Johannes Paul II im Jahr 1981 – angelastet.

Neben einem türkisch-nationalistischen und islamistischen Extremismus vertreten die „Bozkurtlar“ einen Rassismus, in dessen Mittelpunkt die „Überlegenheit der türkischen Rasse“ und Betonung eines angeblich alle Turkvölker verbindenden „göttlichen“ Elements steht. Politisch strebt die Bewegung die Errichtung einer „Großtürkei“ in den Grenzen des Osmanischen Reichs an und fordert die „Wiedervereinigung“ aller Turkvölker vom Balkan bis Zentralasien in einem Staat. Bezogen auf die innenpolitische Situation in der Bundesrepublik sind die Handlungen der Grauen Wölfe explizit antiintegrativ und auf eine kulturelle und politische Verbundenheit der hier lebenden Türken, Deutschtürken und türkischstämmigen Deutschen mit der „alten Heimat“ ausgerichtet. Die Grauen Wölfe versuchen so, die Loyalität des Bevölkerungsanteils mit türkischem Migrationshintergrund nicht gegenüber der Bundesrepublik, sondern zum türkischen Erdogan-Regime zu stärken und sie so als „fünfte Kolonne“ zu einem politischen Machtinstrument der Regierung in Ankara zu machen, quasi als Außenposten der eigentlichen türkischen Heimat in einem Fremdstaat.

Auf dem Boden der Bundesrepublik treten die Grauen Wölfe unter der Tarnorganisation „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.“ (ADÜTDF) auf. Bei diesen „Idealistenvereinen“, von denen rund 170 Lokalableger in Deutschland existieren, handelt es sich um die inoffizielle Vertretung der türkischen nationalistischen Partei MHP in Deutschland. Gegründet wurde die ADÜTDF im Jahr 1978; sie ist auch unter der Bezeichnung „Türk Federasyon“ bekannt ist. Oft wird sie aber auch als Alias für die Grauen Wölfe verwendet. Laut Erkenntnissen des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg umfasst das aktive Umfeld dieser Szene etwa 11.000 Personen. Der Sozialwissenschaftler Kemal Bozay, Autor einer umfangreichen Studie zum türkischen Rechtsextremismus in Deutschland, die im Auftrag des AKC Berlin Ramer Institute erstellt wurde, schätzt ihre Zahl sogar auf 18.500.

Damit wären die Grauen Wölfe eine der stärksten rechtsextremen Strömungen hierzulande und zahlenmäßig rund mehr als dreimal so groß wie aktuell die NPD. Der Bundesverfassungsschutzbericht 2019 stellt über die Grauen Wölfe fest: „Die unterschiedlichen Ausprägungen reichen von klassischem Rassismus bis hin in den Randbereich des Islamismus“.

In Bremen wird die Zahl der aktiven Grauen Wölfe – ungeachtet eines womöglich größeren Dunkelfeldes – auf 200 Personen geschätzt, die zumeist unter dem Deckmantel von Kulturvereinen oder Clubs in Erscheinung treten. So organisiert der ADÜTDF auch in Bremen regelmäßig „Feste“, bei denen jedoch nach Einschätzung des Verfassungsschutzes die ideologische Ausrichtung und Verbreitung des Gedankenguts allgegenwärtig und spürbar ist.

Wie überall in Deutschland, ist auch in der Hansestadt seit dem Jahr 2000 eine vergleichsweise junge neue Organisationsform innerhalb von Jugendgruppen zu beobachten: Türkische ultra-nationalistische Vereine im Rockermilieu sorgten vor allem in den letzten Jahren vermehrt für öffentliches Aufsehen. Ein bekanntes Beispiel war der – inzwischen durch das Bundesinnenministerium verbotene – sogenannte „Boxclub“ „Osmanen Germania“. Dieser wurde 2015 in Deutschland als türkisch-nationalistische Rockergruppe gegründet wurde und versuchte bereits im Namen eine Assoziation zwischen türkischer Nation und Machtanspruch herzustellen. In seinen Internetbotschaften ging es zumeist um Begrifflichkeiten wie Macht, Blut, Nation, Ehre und Gewalt. Nach eigenen Angaben hatten die Osmanen Germania in Deutschland über rund 2.500 (von weltweit 3.500) Mitgliedern. Auch in Bremen waren sie, wenn auch in unbekannter Personenzahl, aktiv. Wiederholt betätigten sich die Anhänger der Osmanen Germania als Ordner auf Demonstrationen der Grauen Wölfe sowie als „Security“ auf Pro-Erdoğan-Demonstrationen.

Ob bei „Kulturfesten“ der ADÜTDF oder unter der Maskerade von Sportvereinen oder Motorclubs: Bei allen Veranstaltungen und Zusammenkünften der Grauen Wölfe wurden und werden ihre Symbole zur Schau gestellt und ganz ungeniert gezeigt. Dies dient zum einen, wie in allen geschlossenen Vereinigungen, als Ausdruck eines Zusammengehörigkeitsgefühls. Mit Blick auf die weltanschaulich-politische Ausrichtung der „Bozkurtlar“ sind sie jedoch auch eindeutig als Botschaften der Bedrohung und Einschüchterung von Außenstehenden und Feinden zu verstehen. Dies umso mehr, als sich die Mitglieder der Organisation zunehmend auch im öffentlichen Raum durch Handzeichen, Kutten und Abzeichen auf Fahrzeugen zu erkennen geben.

Insbesondere betrifft dies den „Wolfsgruß“, der in Deutschland zwar bislang nicht unter die Bestimmungen der §§86a oder 130 Strafgesetzbuch fallen, jedoch als aggressive Geste kaum zu missverstehen ist. Er geht, wie die ebenfalls häufig gebrauchte Darstellung des grauen Wolfes (wörtlich „Bozkurt“, eigentlich ein Symbol aus vorislamischer Zeit), auf die gewalttätigen Anhänger der ersten ultranationalistischen Partei der Türkei Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Daneben finden auch noch sogenannte Orchon- oder Turk-Runen aus Zentralasien als Symbole Verwendung. Auch das historische Siegel des Osmanischen Reiches oder einzelne Elemente daraus erfreuen sich bei den türkischen Rechtsextremisten einer konstanten Beliebtheit, um damit an Ruhm und die lange vergangene Größe der eigenen Nation zu erinnern.

Die Verwendung der vorgenannten und abgebildeten Symbole durch bekennende und/oder aktive „Bozkurtlar“ stellt, insbesondere für die große kurdische Diaspora und kurdische Gemeine auf bremischem Staatsgebiet, eine erhebliche Bedrohung, eine permanente Provokation und -mit Blick auf das leidvolle Schicksal ihres Volkes in der modernen Türkei –eine andauernde Schmähung dar. Angesichts des zunehmend selbstbewussteren und militanteren Auftretens von Grauen Wölfen im öffentlichen Raum sieht sich kurdisches Leben in Bremen zunehmend bedroht und gefährdet. Durch das damit einhergehend wachsende Konfliktpotential steigt das öffentliche Sicherheitsrisiko auf ein innenpolitisch alarmierendes Niveau.

Im Kontext ihrer Verwendung bei antikurdischen Kundgebungen, bei gewaltsamen Ausschreitungen und während militanter Selbstinszenierungen stehen die vorgenannten Symbole der Grauen Wölfe für eine eindeutig gewaltverherrlichende und verfassungsfeindliche Ideologie. Sie sind geeignet, Hass zu transportieren, und richten sich explizit gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Sie fordern die verfassungsmäßige Grundordnung heraus und gefährden die innere Sicherheit. Da sie in einer wieder zunehmend türkisch-nationalistisch orientierten Jugendkultur in der Bundesrepublik verstärkte Popularität erfahren, immer wieder aufgegriffen werden und beispielsweise auf diversen Bildern, in Rap-Videos, in den sozialen Medien oder im realen Leben (etwa auf Kleidungsstücken, Schmuckstücken und Aufklebern) Verbreitung finden, bedarf es dringend eines robusten und entschlossenen staatlichen Handelns.

Die Organe des Rechtsstaates stehen deshalb gerade in Bremen in der Pflicht, dieser Entwicklung entschlossen entgegenzutreten. Das Verbot der in den Abbildungen gezeigten Symbole der Grauen Wölfe wäre ein geeignetes und überfälliges Signal des Rechtsstaats, der gewaltverherrlichenden, verschwörungsaffinen und menschenverachtenden Ideologie der Grauen Wölfe entgegenzutreten und deren Präsenz im öffentlichen Raum zumindest einzuschränken. Auf diese Weise wird ein konkreter Beitrag zum friedlichen interkulturellen Zusammenleben geleistet.

Als rechtliches Instrument kommt hierbei das Zweite Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes (VereinsG) vom 10. März 2017 (BGBl I S. 419) in Betracht, mit dem der Gesetzgeber das Verbot der Verwendung von Kennzeichen in § 9 Abs. 3 VereinsG sowie die damit verbundene Strafnorm in § 20 Abs. 1 Satz 2 VereinsG dahingehend verändert hat, dass auf diese Weise insbesondere Vereinigungen im Bereich der kriminellen Rockergruppierungen bekämpft werden können. Dies schließt die effektive Verbannung von deren Kennzeichen aus der Öffentlichkeit ein (vgl. BTDrucks 18/9758, S. 7).

Wünschenswert wäre prinzipiell auch ein Verbot der Ülkücüler-Bewegung und ihrer untergeordneten Organisationen insgesamt, wie es in Deutschland seit Jahrzehnten gefordert wird; bislang erwies sich dieses aber als politisch nicht durchsetzbar. 2020 kam dann, im europäischen Kontext, eine neue und konkrete Initiative für ein Verbot und die Auflösung der Grauen Wölfe – und zwar von der französischen Regierung, in Reaktion auf das Schüren von Diskriminierung und Hass der Grauen Wölfe auch im Nachbarland gegen kurdische und armenische Aktivistengruppen; eine Gefahr, die übrigens hinsichtlich der großen Zahl hier lebender Kurden auch in Deutschland akut ist. Im November 2020 stimmte der Deutsche Bundestag dann unter dem Motto „Nationalismus und Rassismus die Stirn bieten – Einfluss der Ülkücü-Bewegung zurückdrängen“ einem parteiübergreifenden Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen zu, in dem die konsequente Bekämpfung aller Formen von Rechtsextremismus in Deutschland gefordert wird. Hervorgehoben wurde hierin insbesondere der immer stärker werdende Einfluss der Ülkücü-Bewegung, die in den letzten Jahren sowohl in der Türkei als auch in Deutschland und Europa durch ihr militantes und gewaltbereites Auftreten für besonderes Aufsehen gesorgt habe.

Gefordert wird in dem angenommenen Antrag – neben einer Reihe weiterer Maßnahmen -insbesondere auch die Prüfung eines Verbots aller Vereine der Ülkücü-Bewegung in Deutschland, um allen menschenverachten den und demokratiefeindlichen Einstellungen entgegenzutreten. Dies schließt konkludent auch die Grauen Wölfe ein.

Doch auch wenn sich der Bund diesbezüglich noch zu keiner Verbotsentscheidung durchringen konnten, so wäre ein Verbot zumindest der Symbole der Grauen Wölfe auf dem Boden des Landes Bremen eine deutliche Botschaft, gerade an die vielen in Bremen lebenden Kurden und an andere von der türkischen Regierung verfolgte Gruppen – und eine deutliche Kampfansage des freiheitlichen Rechtsstaats. Dieses würde zudem an die Entschließung des Deutschen Bundestages vor einem Jahr inhaltlich anknüpfen.

Ich erwarte, dass Senat und Bremische Bürgerschaft ihre zivilgesellschaftliche und rechtsstaatliche Pflicht wahrnehmen und das überfällige Verbot der Symbole der Grauen Wölfe schnellstens umsetzen.

Namentlich: Wolfsgruß mit der Hand, Wolfskopfflagge, brüllender Wolf im Halbmond, TURK-Runen (Köl Türk/Göktürk), drei Halbmonde

Jimmy Bulanik

Nützliche Links im Internet:

Graue Wölfe – Pluspedia

de.pluspedia.org/wiki/Graue_W%C3%B6lfe

Partei der Nationalistischen Bewegung – Wikipedia

de.wikipedia.org/wiki/Milliyet%C3%A7i_Hareket_Partisi

Deutscher Bundestag

dserver.bundestag.de/btd/19/210/1921060.pdf

Wahltrends und aktuelle Sonntagsfragen für die Republik Türkei

politpro.eu/de/tuerkei

Oben        —  Konkurrenzverhalten mit Drohgebärden wie gesträubtem Fell, gekräuselter Schnauze, Blecken der Eckzähne und aufgerichtetem Schwanz (Wölfe im Parc Omega, Quebec, Kanada).

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Unten       —   Die Symbole der Grauen Wölfe auf einem Auto in München, 2019

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LINKE unter Druck :

Erstellt von DL-Redaktion am 30. Juni 2021

Linker Flügel vor Herausforderungen

Afghanistan-Demonstration.jpg

Gegen Krieg und Militär

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Sebastian Rave, Parteitagsdelegierter aus Bremen, www.sozialismus.info

DIE LINKE ist die einzige Partei, die sich mit den Reichen anlegen will. Das hat sie auf dem Programmparteitag bestätigt, wo ein Programm mit sozialistischem Anspruch beschlossen wurde: „System Change“ gegen den Klimawandel, Besteuerung von Reichtum, höhere Löhne und bessere Sozialleistungen. Aber es ist nicht alles Gold was glänzt. Der Streit mit Wagenknecht und Lafontaine stellt DIE LINKE weiterhin vor Probleme. Diese hatten die Partei teils heftig kritisiert – aber leider nicht von links. DieserKonflikt ist nicht vorbei, und könnte nach der Bundestagswahl noch böse enden, wenn die „Linkskonservativen“ beschließen sollten, ihren eigenen Laden aufzumachen. Eine noch bedeutendere Auseinandersetzung darf angesichts dessen aber nicht nicht in den Hintergrund treten: Die um den Charakter der Partei als Oppositionspartei zum System.

Die neue Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow wirkte ein wenig hilflos, als sie den Genoss*innen, die sich angesichts schlechter Umfragewerte und Streitereien in der Partei „Sorgen machen“ zurief, sie sollten „mit dem Herzen sehen“. Ein eingebildetes „progressives Lager“ aus SPD, Grünen und der LINKEN sah sie „unter Beschuss“ und warnte vor Sozialabbau unter der CDU (beinahe so, als hätte es unter Rot-Grün noch nie Angriffe auf den Sozialstaat gegeben). Simon Aulepp, Delegierter aus Kassel und Mitglied der SAV, gab in der Generaldebatte die richtige Antwort: „DIE LINKE braucht keine warme Politik der Herzen, sondern eine Politik der geballten Faust!“. Lukas Eitel aus Erlangen ergänzte, dass das Programm der LINKEN nicht mit SPD und Grünen, und auch nicht mit dem Kapitalismus zu vereinbaren wäre.

Linkes Wahlprogramm teilweise entschärft

Der Programmentwurf wurde mit über 1000 Änderungsanträgen teilweise nach links verschoben, viele gute Anträge, die der Parteivorstand nicht übernommen hatte, kamen aber bei den Delegierten nicht durch. Nicht durchsetzen konnten sich Kritiker*innen des neuen Steuerprogramms von Axel Troost und Fabio De Masi, das eine Rechtsverschiebung bedeutet: Statt einer Vermögenssteuer von 5% auf Vermögen ab einer Million möchte DIE LINKE in Zukunft nur noch 1% Vermögenssteuer bis 50 Millionen Vermögen, erst ab da sollen die Superreichen 5% zahlen. Weniger Aufmerksamkeit verdient, aber mehr bekommen, hatte der Antrag nach der Abschaffung der Schaumweinsteuer, die 1902 zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführt wurde. Gemeinsam mit dem angenommenen Antrag für einen Urlaubsanspruch von 36 Tagen ein gefundenes Fressen für die Bildzeitung und die Kritiker*innen der „Lifestyle-Linken“, tatsächlich wird aber in der Arbeiter*innenklasse niemand etwas gegen billigeren Sekt und mehr Urlaub einwenden.

Sehr viele der guten Änderungsanträge wurden blockweise behandelt – bzw. meistens nicht behandelt und damit abgelehnt. Leider waren darunter auch Anträge, die deutlich gemacht hätten, dass die Klimakatastrophe nur mit einem „System Change“ in Richtung einer sozialistischen Ökonomie bekämpft werden kann. Ein Grund für die Nichtbehandlung vieler Anträge war (neben einem teilweise unerträglich parteiischen Präsidium) sicherlich Zeitmangel, ein anderer aber auch der Wille von Delegierten, vor der Wahl Geschlossenheit auszustrahlen. Dabei nützt die parteiinterne Ruhe vor allem denen, deren anpasslerischer Kurs zum „Abbau Ost“ geführt hat. Die für DIE LINKE bitter verlaufene Landtagswahl in Sachsen-Anhalt (-5 Prozentpunkte) ist ein schlechtes Omen für das, was da noch kommt. Im Osten gibt sich die Partei mehrheitlich als besonders staatstragend und hat jeden Nimbus der Protestpartei vollständig abgelegt.

Anpassungskurs stoppen

Dietmar Bartsch, der wie kaum jemand anders für diesen Kurs steht, hatte in seiner Abschlussrede dann auch dazu aufgerufen, interne Auseinandersetzungen sein zu lassen: „Wir brauchen jetzt Disziplin und Geschlossenheit!“ Die Mahnung schien an Wagenknecht adressiert zu sein, die mit ihren Angriffen auf die Partei den Unmut vieler Mitglieder auf sich gezogen hatte. Aber sie galt genauso jenen, die seit Jahren davor warnen, dass die Orientierung auf die Regierungsbank in die Bedeutungslosigkeit führt. Die Wagenknechtanhänger*innen auf dem Parteitag größtenteils unsichtbar waren und den Kampf um die Partei scheinbar schon aufgegeben haben, kämpften vor allem Mitglieder der Antikapitalistischen Linken (AKL) um einen anderen Kurs – größtenteils vergeblich. Wagenknecht, Lafontaine und ihrer linkskonservativen Anhängerschaft ist es zuzutrauen, nach der Bundestagswahl aus der Partei auszutreten und mit den mitgenommenen Mandaten ein eigenes politisches Projekt zu gründen, was mangels einer Basis zwar eine Totgeburt wäre, dem Projekt DIE LINKE aber massiv schaden würde. Die Parteilinke darf angesichts dessen aber nicht in Schreckstarre verfallen.

Die Diskussion um den Charakter der Partei wird weitergehen. Vielen Mitgliedern wird es einleuchten, dass die großen klärenden Auseinandersetzungen zu einem anderen Zeitpunkt als im Wahlkampf geführt werden müssen. Die Frage ist aber auch, mit welchen Inhalten der Wahlkampf geführt wird. Es bleibt zu befürchten, dass das Spitzenpersonal mit der ständigen (und nirgends demokratisch beschlossenen) Anbiederei an SPD und Grüne das beschlossene Programm in den Hintergrund und im Endeffekt jedes Alleinstellungsmerkmal der LINKEN infrage stellt. Der Hauptgegner der LINKEN ist eben nicht nur die CDU, wie Bartsch es ständig wiederholt, sobald ein Mikrofon in der Nähe seines Gesichts auftaucht. Der Hauptgegner sind alle Parteien, die in der Regierung Sozialabbau betreiben, Militarismus vorantreiben, und den Kapitalismus verteidigen.

Gegen Schmarotzer der Arbeiter

Parteilinke gefragt

Der linke Flügel in der LINKEN muss einen Klärungsprozess beginnen. Natürlich braucht es klare Kante gegen die linkskonservativen Irrungen von Wagenknecht und ihren Anhänger*innen, aber ebenso braucht es klare Kante gegen die Rechtsreformist*innen, denen die Regierungsbeteiligung alles ist, das Programm aber nichts. Teile der Bewegungslinken (BL), der mittlerweile stärksten Strömung der Partei, wollen einen Kampf darum führen, die Partei mehr in den Bewegungen statt nur auf den Regierungsbänken zu verankern. Andere in der BL leisten der Bewegungsorientierung der Partei aber einen Bärendienst. Ausgerechnet einer der prominentesten Vertreter der BL, Ate? Gürp?nar, stellvertretender Parteivorsitzender, hielt die Gegenrede zu zwei wichtigen Anträgen der AKL: In der Präambel für die Herstellung eines Bezugs zum Volksbegehren zur Enteignung von Mietkonzernen und dessen Verbindung mit der Forderung, die Schlüsselindustrien und Betriebe zur Daseinsvorsorge zu verstaatlichen, und im Schlusskapitel für einen Absatz, der festgestellt hätte, dass Opposition eine wichtige Aufgabe der LINKEN ist und kein „Mist“. Den Delegierten der Bewegungslinken wurde mit den Gegenreden klar signalisiert, dass sie auf Kurs der Parteivorstandsmehrheit bleiben sollen. Ein Kurs, der auf die Regierungsbeteiligung zusteuert – und damit das Ende der wichtigsten Oppositionspartei als solche einläuten würde. Es ist noch nicht zu spät, das Ruder herumzureißen. Die Parteilinke gemeinsam mit vielen neuen, jungen und bewegungsorientierten Mitgliedern hätte dazu die Macht.

https://www.sozialismus.info/2021/06/linke-unter-druck-innerparteiliche-opposition-vor-herausforderungen/?fbclid=IwAR0yt1P7UguxrKBw5YfdgF2SzT8YdOIDXqwtGRs8lZ4Cs-y-S1IZT_-MO_8

Urheberecht
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Grafikquellen      :

Oben        —     Paul Schäfer</a> (r) mit Willi van Ooyen (l) auf der Demonstration gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan, Berlin, 15. 9. 2007

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AKL – Bremen zu Corona

Erstellt von DL-Redaktion am 11. Oktober 2020

Die Aufgabe des Staates in Corona-Zeiten ?

Bremer Stadtmusikanten.jpg

Und alle ohne Maulkorb ! Kosta quanta ?

Quelle        :       AKL

Corona ist keine Krise, Corona ist ein Virus, der außergewöhnlich ansteckend ist, systemisch wirkt und nachhaltige Schädigungen des menschlichen Organismus hervorruft. Er kann auch zum Tode führen; das Virus ist neu, so dass weder Medikamente noch Impfstoffe vorhanden sind. Zugleich ist nicht eindeutig klar, mit welcher Strategie man ihn, die Ressourcen vorausgesetzt, in seiner Wirkung eindämmen kann. Letztlich versucht man in Europa widerwillig dem zu folgen, was in China praktiziert wurde. Der Virus sollte isoliert werden, um ihn effektiv zu bekämpfen und in dieser Form zum Aussterben gebracht werden.

Nur in wenigen Ländern der Welt wird konsequent diese Strategie, den Virus ephemer werden zu lassen, verfolgt. Diese Länder weisen eine große Verantwortung vor dem Hintergrund umfassender politischer Steuerung des wirtschaftlichen Handelns auf. So zeigt sich, dass selbst in Indien, das mittlerweile mit die höchsten Infektionsraten aufweist, teilweise eine solche Strategie möglich ist. In Kerala, das seit Jahrzehnten von kommunistischen Parteien regiert wird, wird die Corona-Epidemie relativ gut eingedämmt. Dies ist trotz Rückschlägen bis heute der Fall, ohne dass allzu große Reiseeinschränkungen erfolgen mussten und auch dort eine große Wanderarbeiterschaft existiert. Die staatlich verordneten Maßnahmen verweisen auf auf eine große Akzeptanz in der Bevölkerung.

Die dem bürgerlichen Gesellschaftssystem innewohnende Krisenhaftigkeit wird durch den Ausbruch des Coronavirus nun als Krise manifest. Dabei wurde die Entstehung der Viruserkrankung in China zu Anfang kurze Zeit unterschätzt, mit dem Einsetzen des staatlichen Handelns wurden Maßnahmen in China getroffen, die den Virus zu isolieren trachteten, um ihn nicht weiter sich in der menschlichen Population ausbreiten zu lassen. Mit den Reiseverboten und dem angeordneten Herunterfahren der meisten Produktionsstätten des Landes wurde eine Wirtschaftskrise ausgelöst, die sich weiter ausbreitete. Dabei wurden die ökonomischen Grundfesten des globalisierten, neoliberalen Welthandels erschüttert und die globalen Lieferketten gerieten zum ersten mal ins Stocken. Als dann anschließend die Lieferkette auch noch aus Norditalien riss, war die Krise auch in Mitteleuropa angekommen und die Just-in-Time-Produktion, wie in der Automobilindustrie, geriet ins Stocken.

Als die Pandemie auch in Europa drohte Fuß zu fassen, waren sich die Regierungen noch nicht im klaren darüber, wie sie zu reagieren hätten. In der Anfangsphase drohte das Zerreißen der Lieferketten, wie sie schon stattgefunden hatte, sich auch auf Bereiche auszudehnen, deren Wertschöpfungsketten noch nicht sich bis nach Ostasien, insbesondere China, verteilt hatte. Mit einer Reaktion, wie sie in China, eben auch in Taiwan, in Singapore oder Südkorea, Maß allen staatlichen Handelns war, wäre auch in Europa die Ökonomie aufs Schlimmste getroffen worden. Dies sollte unter allen Umständen vermieden werden. Zugleich standen willige Berater aus der Wissenschaft bei Fuß, die für eine Durchseuchung plädierten, und die verharmlosend die Erreichung einer Herdenimmunität propagierten. Auch andere diverse Begründungen mussten für das Nichtstun erst einmal herhalten.

Staatliches Handeln kann hier als eines gesehen werden, dass typisch für einen schwachen Staat der neoliberalen Ära steht. Es ist der mehr oder weniger freiwillige Rückzug aus dem die Ökonomie steuernden politischen Handlungsfeld. Es wird das Privateigentum und die Verfügung über dieses weitgehend entgrenzt. Einzig werden nur noch die polizeilich-militärische Stärke und der Schutz der im Staate ansässigen Privateigentümer und deren Bedürfnisse gestärkt. Um dies zu erreichen, ist aber ebenfalls ein Schutz – wenn auch in immer geringerem Umfange – der subalternen Klassen nötig. Weitergehende Versuche bestimmter interessierter Kreise, den Staat vom Markt okkupieren zu lassen, werden derzeit durch das staatliche Handeln selbst geblockt.

Es besteht bei Nicht-Handeln der staatlichen Instanzen der Exekutive die Gefahr der Destabilisierung der Gesellschaft. Ein erster Hinweis waren die hohen Todesraten in Norditalien aufgrund, so die Interpretation, zu später staatlicher Intervention, ein Sachverhalt, den kein Staat, kein Regierungshandeln tolerieren kann, weil die Reproduktion der Gesellschaft gefährdet ist. Dabei geht es nicht nur um die Menschenleben, wie irrtümlicherweise oft angenommen wird, sondern in erster Linie um die Unmöglichkeit der Sicherstellung der Profitmaximierung. Das kann nicht toleriert werden. Gerade das Beispiel in Norditalien zeigt dies schlagend. Wurde anfangs von der faschistisch geführten Regionalregierung, deren Anliegen es immer ist, den starken Staat einzig auf den polizeilichen Aspekt zu reduzieren, ein Shut-Down auf Grund des Druckes der Kapitalseite ausgeschlossen, musste er dennoch letztendlich erfolgen, da die Arbeitskräfte, die bis dahin verschlissen wurden, genau dann in Zukunft nicht mehr die Profitgenerierung sicherstellen, wenn sie in Massen sterben. Die Rettung der Menschenleben galt also nicht der Rettung der Menschen als solchen, sondern der Rettung der zukünftig noch möglich sein sollenden Erzeugung von Profit. Zudem war das Gesundheitssystem durch die vollständige Preisgabe an den Markt schon völlig ruiniert. Die dadurch in Italien losgetretene Diskussion um die Triage der zu Behandelnden, wollten einige Regierungen, deren öffentlichen Diskussionen Teil der Legitimation ihrer Herrschaft sind, nicht hinnehmen und suchten daraufhin anders zu handeln als durch Verharmlosung oder Leugnen.

Japanese Encephalitis vaccine.jpg

Hier zeigt sich der Klassencharakter vollumfänglich. So wurde auf Grund der Warnungen der medizinischen Experten konsequentes, fast schon diktatorisches Handeln, auch zur Basis des staatlichen Handelns in den meisten europäischen und weltweiten kapitalistischen Ländern, in denen der bürgerliche Staat als Strukturtypus vorherrscht.

Die staatliche Intervention kann sich bei der Maßnahmenwahl nur auf sich üblicher- und teilweise widersprechende wissenschaftliche Expertise berufen, die selber erst am Anfang des Erkenntnisprozesses steht, so sie nicht schon die Erkenntnisse der chinesischen Erfahrungen nutzt, was oft aus Arroganz unterblieb. Staatlich exekutierte Intervention fußt in beträchtlichem Maße auf Unkenntnis und Unwissen, sieht sie sich unter Zeitdruck, also in Echtzeit zu Entscheidungen gezwungen, und ist deshalb gerade in seiner Nähe zu den Wirtschaftsentscheidern immer in der Versuchung nur zugunsten der Profitmaximierung und Reproduktion des Kapitals zu handeln.

Dabei läuft die Entscheidung mehr oder weniger wegen der unsicheren Kenntnis über die Übertragungswege darauf hinaus, die sozialen Kontakte der Individuen in der öffentlichen Gesellschaft einzuschränken. Da die sozialen Kontakte aus der Arbeit, aus den wirtschaftlichen Transaktionen und Freizeit resultieren, werden diese eingeschränkt, es sei denn, die Produkte und Dienstleistungen werden unmittelbar gebraucht, wie die Produktion und der Vertrieb von Lebensmitteln oder Dienstleistungen im Gesundheitsbereich. Das betrifft dann auch Versammlungen und Demonstrationen und greift wie das Kontaktverbot in den lebensweltlichen Bereichen somit unmittelbar in die Grundrechte beschränkend ein. Da dieses Handeln dekretiert wird – zum einen, weil es die Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes ermöglichen, zum anderen, weil keine Zeit für grundlegende Debatten man sich nehmen will und kann, will man in Echtzeit handeln – bleibt die Allgemeinheit, der Souverän ausgegrenzt und muss nun dafür sorgen, dass er wieder gehört wird, um nachträglich das staatliche Handeln zu legitimieren oder zu delegitimieren.

Die Aufgabe des Staates entsprechend seines Existenzgrundes ist es, den widerstreitenden Interessen der gesellschaftlichen Klassen, aber auch innerhalb der Klassen, das ihnen innewohnende selbstzerstörerische Potential zu nehmen, und wird hier um einen externen Handlungsgrund nämlich das gesellschaftszerstörerische Potential des Virus ergänzt. Der Staat nimmt einzelnen Wirtschaftsakteuren die Reproduktionsmöglichkeit durch das Verbot der Berufsausübung und durch Betriebsschließungen und verpflichtet sich selbst im Gegenzug zu Kompensationsleistungen, wie klassenungerecht auch immer.

Da dieser Sachverhalt für alle Staaten dieser Erde gilt, lässt sich zeigen, dass diese Staaten alle zu sich selbst gefunden haben. In dieser Krise entäußern sie sich und zeigen ihr wahres Gesicht. Die Staaten, die dabei das verheerende Potential der Pandemie leugnen, lassen dem Virus freien Lauf, wohl wissend, dass damit gerade die Ärmsten und Armen, eben die für überflüssig gehaltene Bevölkerung getroffen wird. In diesem Zynismus überlässt man sie ihrem krankmachenden womöglich tödlichen Schicksal. In ihnen wirkt – auch wenn sie eine kapitalistische Wirtschaftsform pflegen – keine bürgerliche Herrschaft, sondern personalisierte Präsidialregime oder bonapartistische Regierungsformen, die sich allenfalls einmal alle paar Jahre mit Wahlen legitimieren lassen. Ihnen eignet meist die völlige Durchdringung des Marktes bis in die staatliche Instanzen des Regierungshandelns hinein. Staatliches Handeln wird dann gesteuert von den je an der Macht befindlichen konkurrierenden Kapitalfraktionen. Deshalb erscheinen sie auch autoritär bis faschistoid. Hier finden sich zahlreiche amerikanische Staaten wieder, aber auch Indien und einige andere asiatischen Staaten. In föderal verfassten Staaten kann, wie in den USA oder in Indien, eine Staats- oder Regionalregierung gegebenenfalls anders entscheiden, was sich in einigen Bundesstaaten der USA oder in Kerala in Indien positiv auswirkte. Je nach Entwicklungsmodell wird den Kapitaleignern die Verfügungsgewalt mehr oder weniger uneingeschränkt zugesprochen. Für Brasilien heißt dies unter anderem die weitere starke Zunahme der Vernichtung des Regenwaldes und die Brandrodung und die damit einhergehende Aneignung des so gerodeten Bodens durch die Großgrundbesitzer. Für die hiesigen Länder der bürgerlichen Herrschaft in Europa heißt dies die Zunahme der Risiken durch die weitere Umweltverschmutzung, durch die staatlich geförderten Verkehre oder die nach wie vor unzureichenden Eingriffe in die Arbeitsbedingungen der subalternen Arbeiter aus der Migration oder der pauperisierten Schichten.

Aber selbst vielen Staaten, die anders handeln, gelingt es nicht, einen Großteil ihrer Bevölkerung angemessen versorgen zu können. Das betrifft vor allem die Migrationsarbeiter in allen kapitalistischen Staaten, selbst dann, wenn sie es geschafft haben, die Corona-Erkrankung einzudämmen. In den ärmeren dieser Staaten, wie in Indien oder in vielen Ländern Lateinamerikas und Afrikas, also den gering entwickelteren Ländern, sind diese deshalb besonders, neben dem Erkrankungsrisiko des SARS-CoV2, dem Tod durch Hunger und Armut ausgesetzt, da sie nicht mehr in der Lage sind, ihre eigenen Reproduktionsbedingungen aufrecht zu erhalten. Hier zeigt sich, dass die Umwälzung aller früheren, traditionell gewachsener Bedingungen durch das Kapitalverhältnis und die Kommodifizierung aller Lebensbereiche vernichtend auf die Menschen wirken. Die angestrebten Milleniumsziele der UNO und die Ziele zur nachhaltigen Entwicklung weltweit geraten so wieder unter die Räder. Die einst vermeintlich errungenen Erfolge, erweisen sich damit als nicht so nachhaltig wie angenommen. Hier zeigt sich einmal mehr, dass die kapitalistische Solidarität unter den einzelnen Staaten auf internationaler Ebene nicht zu haben ist. Die Staaten kommen wahrlich wieder zu sich selbst und halten ihren Nationalismus für die einzig sichere Option des angemessenen Handelns. Solange aber die Globalisierung mitsamt der dahinter stehenden und sie forcierenden Produktionsverhältnisse nicht in ihren Wurzeln hinterfragt und angegangen wird, wird sich dieser Virus immer wieder neue Bahnen verschaffen und erneut in größere Bevölkerungsgruppen einbrechen.

Jeweiliges nationales Handeln wirkt sich in der Welt auf die internationalen Zusammenhänge aus. Des einen nationalen Handeln tangiert des anderen nationalen Möglichkeit. Mit einer Normalisierung, das heißt einer Rückkehr zum alten Status Quo ante Corona kommt auch die Bedrohung zurück. Globales Handeln in Abstimmung und Solidarität, gerade, weil sich zeigt, dass das Leben aufrecht erhalten werden muss und kann, eben jenseits der kapitalistischen Vergesellschaftung wird notwendiger denn je. Der Versuch hingegen, sowohl seitens der Regierungen als auch von Kapitalseite her gefordert, eine alte Normalität herstellen zu wollen, fördert ein Handeln, das sich einzig an der Legitimation durch Massen orientiert, indem es Normalität simuliert und nur im Auge hat, ob nicht eventuell schwierigere Bedingungen auf die Gesundheitsversorgung zukommen oder die Reproduktion des Kapitals gefährdet ist. Eine solche Politik setzt auf die Doppelstrategie der Erwartungen, es gäbe einen Herdenschutz oder bald eine Impfung gegen SARS-CoV2. Sie mündet notwendig in die zynische Inkaufnahme weiterer Tote oder schwer Erkrankter.

Für die politische Strategie der Linken heißt das:

Corona ist nicht nur das zentrale politische Thema in der Öffentlichkeit, berührt die persönlichen Erwartungen, Bedürfnisse und Ängste der Menschen in hohem Maße und es muss somit durch die Linke eine dauernde Aufklärung stattfinden und Diskussionsangebote geben, wenn auch mit dem dazugehörigen Abstandsgebot.

Corona findet statt in einer kapitalistischen, wirtschaftsneoliberal geformten Gesellschaft, deren Erscheinungsbild und Auswirkungen Grenzen in der Mittelwahl bei der Bekämpfung der Pandemie setzen. Das teilweise privatisierte Gesundheitssystem, die Spardiktate für alle Krankenhäuser, unzureichende Bezahlung des Krankenhaus- und des Pflegepersonals beeinflussen damit die Strategie der Maßnahmen. Hier gilt auch für uns anzusetzen und die Forderungen entsprechend offensiv zu vertreten.

Corona wirkt wie ein Krisen- und Skandalverstärker kapitalistischen Wirtschaftens. Insbesondere zeigt sich dies beispielhaft in der Produktion gerade in den Bereichen, die von Migrationsarbeitern besetzt sind. Not und Elend der Spargelstecher und Fleischzerleger, der Bau- und der Logistikarbeiter hier, der Textilarbeiterinnen in Bangladesch, der Erntehelfer allerorten in Europa und auf anderen Kontinenten. Aber auch in der Produktion und Konsumtion von Dienstleistungen, wie dem Einbruch der Tourismuswirtschaft mit krisenhaften Folgen für die Beschäftigten und massive Einschränkungen für die Touristen. Eine Normalisierung ist die Sehnsucht nach Leben ohne die Alternative zu kennen, die erst wirklich das Leben als ein Gutes ermöglicht.

Corona verweist auf die Versäumnisse und Unzulänglichkeiten in der Kinderversorgung der KITAs, Schulen und anderen Ausbildungsstätten, gerade in der Kombination mit Homeoffice-Arbeit der Eltern. Die nicht vollbrachte radikale Arbeitszeitverkürzung fällt jetzt den Betroffenen auf die Füße. Im weiteren Bildungsbereich wirkt sich die Klassenspaltung zudem zementierend auf die Marginalisierung weiter Teile der Bevölkerung aus. Hier müssen wir nicht nur Ansätze zur Verbesserung der Lage bieten, sondern generell mit den Gewerkschaften für eine ordentliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich uns einsetzen. Die bisher signalisierten Lohnstopps müssen als falsch gebrandmarkt werden.

Corona verweist auf das Charakteristikum des Kapitalismus: auf die Produktion von Tauschwerten, wo es gerade in der Krise doch um Gebrauchswerte geht. Sie verweist auf Tauschwertbeziehungen, deren spezifische Qualität auffällt, wenn z.B. Miete zu zahlen ist, obwohl die dafür notwendigen Einkommen weggebrochen sind. Dies sollte genutzt werden, endlich die Kampagnen, die schon längst losgetreten sein sollten, wirklich offensiv durchzuführen. Dazu sind weitere Aktive zu gewinnen.

Plakat "Mutti is Watching You".png

Die Linke muss sich auf Corona beziehen, aber darf sich nicht von Corona gefangen nehmen lassen. Die normalen kapitalistischen Verhältnisse sind schon kritik- und radikal veränderungsbedürftig. Insofern müssen wir Corona als einen Spiegel nützen, den Anachronismus dieses Wirtschaftssystem zu dechiffrieren. Diese Arbeit ist nicht einfach, weil viele Menschen die Unzulänglichkeiten des Systems nicht diesem selbst zuschreiben wollen, sondern der Ausnahmesituation Corona. Und sie ist nicht einfach, weil viele Menschen den Normalfall, der im Prinzip bekannt war und ist, ausgeblendet haben. So geschah es lange Jahre bei den Arbeitsbedingungen von Fleischzerlegern in den Schlachthöfen. Nie zuvor boten sich in der Vergangenheit derart viele kapitalismuskritische Ansatzpunkte, aber genauso viele Stolpersteine, weil der Trend zum Zurück in den Vor-Corona-Zustand bei vielen Menschen ungebrochen ist. M.a.W., die gesellschaftliche Polarisierung nimmt zu. Verstärkt wird diese Polarisierung dadurch, dass es gute Gründe für die Linke gibt, den wirtschaftlichen Aufschwung mit einem sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft zu verbinden.

Gerade die Verbindung mit der Klimakrise lässt sich deutlich aus den Zahlen ablesen, die zur Verfügung stehen. Auf Karten der Luftverschmutzung wird deutlich, wie weit sie sich absenken ließ, als der Lockdown den Autofahrer zu einer seltenen Spezies werden ließ und die Luft der Atmosphäre nicht durch die Aerosole der Flieger getrübt wurde.

Gleichzeitig zeigt sich die berechtigte Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung, die sich nicht unterzuordnen gedenken, in der bunten, leider aber oft regressiven Form ihrer Rebellion. In ihr findet sich eine Melange all jener, die sonst in ihrer Devianz, ihrem Widerspruch zur herrschenden Wissenschaft, in ihrer weltanschaulichen oder religiösen Orientierung, ihrer Nichtkonformität oder Unangepasstheit nur selten gehört werden. Sie fanden und finden sich als Teilnehmer an den Demonstrationen wieder, die mittlerweile von vielen rechtsextremen Vereinigungen okkupiert werden, da sie sich mit ihnen unverstanden wähnen.

Es wartet eine Menge Arbeit auf uns, packen wir’s an!

akl - Antikapitalistische Linke

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Grafikquellen:

Oben     —       Bremer Stadtmusikanten

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2.) von Oben       —           A Japanese Encephalitis vaccination is now mandatory for active-duty Airmen stationed to or traveling for 30 days or more in the Republic of Korea or Japan. While the likelihood of contracting the disease is low, the Air Force Surgeon General mandated the vaccine as part of their continuing efforts to protect and defend Airmen and their families from public health threats. (U.S. Air Force photo by Tech. Sgt. James Stewart/Released)

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AKL – Linke Bremen

Erstellt von DL-Redaktion am 4. Februar 2020

Die Linke in Regierungsverantwortung für die Hansestadt Bremen

Datei:Ampelmann grün & rot.jpg

Quelle      :         AKL 

100 Tage – die ersten 14 Wochen: Eine Bilanz aus Sicht der AKL Bremen von Udo K. Bauer und Albert Grützmann.

Die Bremer Führungsspitze der Partei arbeitete tatkräftig und zielgerichtet auf diese nun auch im Westen der BRD etablierte Koalition hin. Schöne Worte gab es im Mai im Wahlprogramm, um die Tendenzen und Sehnsüchte nach einer linken Veränderung zu bedienen, dann gab es auch noch  wohlfeile Ziele im Koalitionsvertrag – aber schon dort wurde sichtbar: Belastbare Zahlen wurden für die avisierten Ziele nicht benannt. Das Bekenntnis zur Schuldenbremse wurde als nicht hintergehbar den Linken abgerungen. Und Die Linke schluckte diese Kröte, obgleich selbst bis in wirtschaftsliberale Kreise hinein, die Sinnhaftigkeit dieses Instrumentes aus der neoliberalen Folterkammer in Frage gestellt wird. Als Drittes hieß es vom kleineren Wahlverlierer, also den Grünen, dass die Nagelprobe, die wirklichen Koalitionsverhandlungen noch bevorstünden, nämlich in den Haushaltsberatungen zum Doppelhaushalt 2020/2021 im Frühjahr und Sommer 2020.

Aber just mit Beginn der Woche nach Bestellung und Vereidigung der neuen Regierung, mithin auch der Senatorinnen Christina Vogt und Claudia Bernhard der Partei Die Linke, wurde aufgedeckt, was lange genug versteckt und verborgen wurde. Jede Woche neu wurde ein Loch aufgetan, das gestopft werden wollte, jede Woche neu wurde offenbart, wie groß die bisherige Vernachlässigung aller möglichen Aufgaben der Vorgängerregierung in dem einen oder anderen Bereich war, jede Woche traten neue Forderungen in den öffentlichen Raum, deren Erfüllung von den Wirtschaftslobbyisten erwartet wurden.

Die Zielvorstellungen, die Hoffnungen, die der finanzpolitische Sprecher der Linken Klaus Rainer Rupp noch vor anderthalb Jahren vorstellte, mit 200 Mio., die ab 2020 jährlich mehr im Bremer Haushalt seien, ließen sich linke Projekte finanzieren, werden jede Woche aufs Neue durch die von der Presse an die Öffentlichkeit gespülten Zahlen konterkariert.

Eine nicht chronologische und nicht vollständige Auflistung der wöchentlich neu auftretenden Defizite, Erwartungen und Anforderungen an die neue Regierung, die die Erreichbarkeit der sozialen Ziele erschweren, seien hier aufgelistet.

  • eine erste Defiziterhöhung der Geno, der Bremer Krankenhausgesellschaft,
  • der Investitionsstau auf dem Flughafen, der eine marode Rollbahn erzeugte,
  • die Stahlwerke suchen nach Unterstützung gegen die Konkurrenz,
  • eine zweite Defiziterhöhung der Geno auf Grund mangelnden Personals,
  • die private JUB (Privatuni) verlangt erneut eine Bürgschaft,
  • der Sportturm an der Uni ist marode und bedarf der Sanierung,
  • die Stahlwerke erwarten eine finanzielle Beteiligung zur Erreichung der Klimaneutralität,
  • die Steuerschätzungen zu den Einnahmen fallen niedriger aus, als erhofft,
  • ……. und vieles weitere, wie die Kröte der Preissteigerung im Nahverkehrsverbund.

Und wir wissen, dass da noch erheblich mehr auf uns zukommen wird.

Wie sieht das Handlungsmuster der Koalition aus? Dies wird am Beispiel Flughafen entwickelt: Ohne Flughafen ist Bremen abgehängt, wird in seiner wirtschaftlichen Entwicklung als Standort für die Luft- und Raumfahrt behindert, verliert im Tourismus Marktanteile – so die Logik aus der Sicht der Wirtschaft. Daraus folgt: Bremens Ökonomie schrumpft, Arbeitsplätze sind gefährdet und das Steueraufkommen sinkt. Staatliches Eintreten für die Defizite des Betriebs wird deshalb unabwendbar. Einnahmeseitig gibt es keinen Hebel für mehr Steuereinnahmen, zumindest keinen, der politisch Zustimmung finden würde, etwa eine wie auch immer geartete Besteuerung großer Vermögen und Einkommen. So wird eine Debatte geführt werden müssen, ob nicht der Bund in die Bresche springen sollte.

Aber das wäre nur eine Verlagerung des grundsätzlichen Problems, denn hier beugt sich die Linke den Anforderungen des Status Quo: Wider besseren Wissens, das aus der derzeitig aktuellen Klimadebatte hinlänglich bekannt ist und zum Handeln nötigt. Ein korrigierender Eingriff zur Reduktion des Flugverkehrs, um Anwohner*innen und Umwelt zu schonen, wird nicht einmal im Ansatz diskutiert. Eine Debatte coram publico findet nicht statt, und mit der Öffentlichkeit schon gar nicht. Das ist ein Beispiel, das sich ohne weiteres mit den gleichen Argumentationsmustern auf die anderen Bereiche übertragen ließe.

In Bremerhaven wird der Ausbau des Kreuzfahrtterminals ohne einschränkende Bewertungen  begrüßt. Dabei steht auch bei diesem Projekt außer Frage, dass es damit zu weiteren Belastungen von Bewohner*innen und Umwelt kommen wird. Auch das ist aus der Klimadebatte bekannt.

Als positiv für Bremerhaven kann allerdings gewertet werden, dass durch den Zufluss von Bundesmitteln das „Deutsche Schifffahrtsmuseum“ aufgewertet, und die kürzlich leck geschlagene „Seute Deern“ erhalten werden soll.

Bedauerlicherweise sind aber keine hinreichenden Mittel in Aussicht, um notwendige Investitionen in die soziale Infrastruktur vornehmen zu können. Auch in diesem Feld, das vornehmlich das kommunale Aufgabenspektrum umfasst, wären eigentlich Land und Bund gefordert.

Wir sehen also, in der politischen Auseinandersetzung stehen sich zwei Vorstellungen vom Allgemeinwohl für Bremen gegenüber, die sich in ihrer Reinform wechselseitig ausschließen: Steuergelder für den Flughafen und das Kreuzfahrterminal oder Ausgaben im sozialen Bereich. Auf beiden Seiten wird geworben:

Sicherung des Flughafens und Ausbau der Terminals in Bremerhaven sollen profitable Investitionen privater Unternehmungen anziehen, dadurch Wirtschaftswachstum generieren und perspektivisch einige Arbeitsplätze garantieren.

Ausgaben im sozialen Bereich sichern den sozialen Zusammenhalt in Stadt und Land. Die Interessen von sozial und kulturell Ausgeschlossenen werden gestärkt und sorgen aus dieser Perspektive für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft.

Der Weg in eine politische Bearbeitung des Konflikts liegt im Kompromiss. Basis dafür ist die prinzipielle Anerkennung der Legitimität des Interesses der jeweils anderen Seite, also Anerkennung der Interessen der privaten Unternehmer- und Investorin*nen und der Menschen mit eher niedrigen (Aus-)Bildungsabschlüssen etc. die als einzige Ware ihre Arbeitskraft zu Markt tragen können und mit mehr oder weniger, eher geringen materiellen Mitteln versehen sind. Politisch wird ein Kompromiss zwischen den Akteuren, die die jeweiligen Interessen vertreten, ausgehandelt werden, der dann mit mehr oder weniger großem Murren von beiden Seiten akzeptiert werden muss. Wie er inhaltlich aussieht, hängt von der Mobilisierung der Unterstützer für eine der beiden Seiten ab. Aber bewegt die Linke hier, als vorgebliche*r Akteur*in der Unterprivilegierten  die Betroffenen zu einem offenen Widerspruch? Das sei ferne, so lässt sich bis heute sagen.

Dem Anschein nach agiert der Staat, in diesem Fall also die politisch Verantwortlichen im Bremer Senat, als Mittler. Inhaltlich führt dieses Verfahren zu einer Relativierung der Interessen der Menschen mit eher geringen materiellen Mitteln und Kompetenzen gegenüber den Unternehmer*inneninteressen und dem Kapital. Es wird anerkannt, dass die Rahmenbedingungen für Wirtschaftswachstum, und damit die Produktion von Profit, sicherzustellen sind; die positive Wirkungen für die Arbeitnehmer*innen, als da wäre die Bewahrung von Arbeitsplätzen, können, müssen sich aber nicht einstellen. Schließlich ist es das Ziel des Kapitalisten, Profit zu generieren, die Bezahlung der dafür – leider – benötigten Arbeitskräfte wird akzeptiert. Als Ausweichstrategie steht u. a. die Verlagerung der Produktion in Länder mit niedrigeren Löhnen zur Verfügung, wie es uns der Schokoladenhersteller Hachez mit der Werksschließung in Bremen und der Verlagerung der Produktion nach Polen vormacht. Alle diese Verhaltensweisen sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Kapitalisten in Konkurrenz zueinander stehen, also wechselseitig sich den Profit streitig machen. Das ist beim Flughafen zwar nicht möglich, aber hier wird immer wieder versucht werden, Lohndumping in allen möglichen Bereichen der Bewirtschaftung des Flughafens durchzusetzen.

Eine Anmerkung zur Wohnungsfrage sei noch gestattet: Die Forderung nach Enteignung von VONOVIA beantwortet noch nicht die Frage, wer sich denn dieses Eigentum aneignen soll. Die Bewohner*innen der Wohnungen oder eine erst noch wieder zu gründende Genossenschaft.

Kapital(re)produktion als Voraussetzung von Gesellschaftsentwicklung und die Erzeugung der strukturellen Benachteiligung der lohnarbeitenden Klasse

Der Staat als gewaltsame Klammer der Gesellschaft und ideeller Gesamtkapitalist hat seinen Grund in der ökonomischen Verfasstheit der Gesellschaft als kapitalistischer. In den ökonomischen Zusammenhängen verhalten sich die Klassen (Kapitalisten, Grundeigentümer und Lohnarbeiter) innerhalb ihrer Klassen sowie gegeneinander als Klassen in Konkurrenz zueinander. Als ökonomische Subjekte bestreiten sie sich wechselseitig ihre Existenz, als Bürger des Staates anerkennen sie die Legitimität der jeweiligen ihnen eigentümlichen Einkommensquelle. Mit dem Staat verdoppelt sich das Individuum in der Gesellschaft, es ist ökonomisches Subjekt (Kapitalist, Grundeigentümer oder Lohnarbeiter) und Bürger zugleich. Der formellen Gleichheit der Bürger steht deren ökonomische Ungleichheit gegenüber. Der Kapitalist entscheidet auf der Grundlage seines Profitinteresses, was er wo mit Lohnarbeitern produzieren will. Grundrente und Lohneinkommen sind daraus abgeleitete Faktoren. So ist der Lohnarbeiter stets darauf verwiesen, als solcher vom Kapitalisten nachgefragt zu sein.

Der Staat anerkennt in seinem politischen Handeln, dass er die ökonomischen Rahmenbedingungen so gestalten muss, dass die Kapitalisten diese als ausreichende Voraussetzung für die Produktion von Profit halten. In der Sache wird darüber gestritten, was angemessen ist. So sind die Steuern für die Kapitalisten immer zu hoch, für den Staat immer zu niedrig. Der Staat leidet zweifach: Er kann erstens die Steuern so erhöhen, wie das zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendig wäre. Erhöht er die indirekten Steuern, so erhöht er auch die Reproduktionskosten der Arbeiter. Erhöht er andere Steuern, wie die Einkommens- Vermögens-, Kapitalertrags- oder Kapitalumsatzsteuern oder erhebt er gar eine Börsenumsatzsteuer, so jammert die andere Seite lautstark und mit vereinten Kräften aller Lobbyisten, Verbände der Kapitalseite, Banken und Schattenbanken, wie Fonds oder die ominösen Heuschrecken fordern sie die Aufweichung oder Rücknahme der Beschlüsse.

Andererseits muss er zusehen, wie er mit den Verheerungen der auf Erzielung von Profit ausgerichteten Produktion zurechtkommt, eben mit der Zerstörung der Springquellen in Kultur, Gesellschaft und Natur, wie sich an den Zumutungen der Sozial- und Klimapolitik, der Außen- und Innenpolitik immer wieder zeigt. Diesem Leiden steht aber die Tatsache gegenüber, dass er die Macht zur Entscheidung hat. Er produziert mit seinen Entscheidungen ein doppeltes Ergebnis: Auf allen Seiten erzeugt seine wie auch immer ausgefallene Entscheidung Unzufriedenheit der Bürger und zugleich ihre – so erzwungene – Bereitschaft, sich dieser zu unterwerfen. Im Kompromiss bleibt sich jeder ungerecht behandelt sehend. Während der Mensch unendliche Geduld zu zeigen scheint, wie die Misshandlung der Reichtumsquelle Arbeit beweist, lässt sich mit den Springquellen der Natur nicht immer derart verfahren. Hinsichtlich der Untergrabung der Springquelle des Reichtums der Natur wird mit einem Kompromiss sich das 2-womöglich-1,5°-Ziel, das in Paris beschlossen wurde, aber  nicht wirksam erreichen lassen.

Kritik am Bremer Senat – Kritik an der Regierungsbeteiligung der Linken.

File:Bremen - Músicos de Bremen (Stadtmusikanten) e Altestadt.jpg

Wer lässt sich letztendlich zum Esel machen ?

Auf der politischen Ebene kann und wird so schnell kein Klassenkampf stattfinden. Erreichte Verbesserungen für die sozial Benachteiligten entspringen aber dem Klassenkampf, wie rudimentär dieser auch immer ausfällt. Es ist also ein Kampf der Arbeiter und der Subalternen in der dichotomischen Grundstruktur unserer Gesellschaft.

Der staatliche Betrachtungswinkel ist ein davon unterschiedener. Staatliches Handeln soll dem Funktionieren dieser Gesellschaft dienen. Auf dieser Basis kann deshalb Die Linke in Regierungsverantwortung keinen Klassenkampf betreiben. Allerdings kann und muss sie darauf hinwirken, das Allgemeinwohl stärker auf Arbeitnehmerseite zu verorten. Damit muss sie Partei ergreifen für die Subalternen. Aber dafür braucht sie entschiedene und organisierte Interessenbekundungen derjenigen, für die sie eintreten will, ansonsten kann sie die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Deshalb muss Die Linke auch die Arbeiterklasse ermuntern und fördern, ihre eigenen Interessen zu vertreten. Deshalb muss Die Linke auch in den anderen sozialen Bereichen, wie den Mieter*inneninitiativen, in den Schulen die Schüler*innen und Lehrer*innen, zur Selbstermächtigung ermutigen.

Die Linke muss in der Koalition immer auf die Handlungsgrenzen, die ihr gesetzt sind, verweisen (Stand der Kräfteverhältnisse), ohne in den Gedanken zu verfallen, ohne diese Grenzen sei man bereits dem Ziel schon recht nahe. Handlungsgrenzen heben den Grund für politisches Handeln, für den Staat als außerökonomische Gewalt, nicht auf.

In dem unter kapitalistischen Bedingungen vermittelten gesellschaftlichen Zusammenhang handeln alle Akteure interessengeleitet, der so konstituierte Zusammenhang stellt sich aber erst hinter ihrem Rücken her (s. Fetischcharakter/Charaktermaske bei Marx). Die unabdingbare Forderung nach Mitbestimmung kehrt diesen Sachverhalt nicht um, leistet aber einen Beitrag zu seiner Dechiffrierung.

Die praktischen Erfolge der Partei Die Linken in der Koalition werden sehr überschaubar bleiben. Wenn es Die Linke schafft, diesen Sachverhalt, die Gründe dafür, so zu erklären, dass daraus ein höheres Maß an gesellschaftlichem Bewusstsein bei denen, die gesellschaftliche Veränderung wollen, erreicht wird, wäre viel gewonnen.

Sind wir, Die Linke, nicht in der Lage, dies umfassend zu thematisieren und die Betroffenen, die Marginalisierten zu Protesten zu mobilisieren, können wir nur feststellen: Die Italo-Koalition (wie unsere rgr- Koalition eigentlich genannt werden müsste: grün für die liberalen Ökologen von Bündnis90/Grüne, weiß für die SPD, die Tucholsky einst mit einem Radieschen verglich, das außen zwar rot, innen aber weiß sei – wobei weiß in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts für die konterrevolutionären Weißen stand, die die russische Revolution bekämpften, und rot eben für Die Linke) ist am Ende, ehe sie zu wirken beginnen kann. Zugleich wird sie wider besseres Wissen weiter fortgeführt werden. So wird auch unsere Partei, Die Linke, zu einer Partei des herrschenden und die, ohne Zweifel in Bremen bestehende, Misere verwaltenden Establishments. Und damit öffnet sie nicht nur konservativen und neoliberalen, sondern auch rechten Rattenfängern, Tür und Tor.

akl - Antikapitalistische Linke

Grafikquellen       :

Oben      —           Ost-Ampelmännchen

Urheber AMPELMANN GmbH
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Unten      —          Bremen monument with the „Bremen Town Musicians“ and the old medieval buildings as a background

Author Ivana Ebel
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150 Tage Rot-Grün-Rote

Erstellt von DL-Redaktion am 3. Februar 2020

150 Tage Rot-Grün-Rote Regierungskoalition in Bremen

Datei:Ampelmann grün & rot.jpg

Schwarz umschlungen : Grün und Rote ?

Quelle       :    AKL

Eine erste Bilanz der AKL Bremen (von Peter Erlanson)

Warum selbst der Zauber, der jedem Anfang innewohnt, der Rot-Grün-Rot Koalition in Bremen nichts nützt

Eigentlich war selbst der Anfang, von dem ein gewisser Zauber ausgehen sollte, schon ziemlich verkorkst. Die LINKE hatte zwar ein schönes Wahlergebnis eingefahren und Rot-Grün war samt Bürgermeister abgewählt. Sogar das Wahlprogramm der LINKEN, das als Grundlage für die Koalitionsverhandlungen diente, war ein passables modernes sozialdemokratisches Programm.

Auch das, was am Ende der Koalitionsverhandlungen hinten raus kam, war immer noch „Sozialdemokratie plus“. Was störte, war nur, dass an all den schönen Sachen, die da versprochen wurden, die Preisschilder fehlten! Ein Koalitionsvertrag, der nicht auswies, was das Versprochene kosten und wer das letztendlich bezahlen sollte, – konnte das funktionieren?

Was funktionierte, war die Verschleierung, die damit einherging. Denn wer nicht sagt, was das alles kostet und wer das bezahlen soll, drückt sich um die Verteilungsfrage! Koalitionsverhandlungen in bürgerlichen Gesellschaften sind Ausdruck und Inhalt von Klassenkämpfen. Bekommt die Mittelschicht, als Klientel der Grünen ihre Mittelschichtschulen und KITAS? Dürfen auch prekäre Stadtteile Sprachförderung für ihre Communities finanzieren? Ist schulische Bildung und Ausbildung ein Privileg der besserverdienenden Familien? Soll es weiter kommunale Kliniken geben, die eine qualifizierte und wohnortnahe Gesundheitsversorgung für Arm und Reich im Lande Bremen anbieten sollen? Soll der ÖPNV kostenlos und die Innenstadt autofrei werden – alles eine Frage der Verteilung und damit Ausdruck über den Stand der Klassenkämpfe.

Ein wenig den Schleier gelüftet hat der Landessprecher der Grünen, Herman Kuhn, bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages. Er führte aus, dass die jetzt noch fehlenden Preisschilder bei den Beratungen über den Doppelhaushalt 20/21 eingestellt würden. Diese Phase der Haushaltsdebatten bezeichnete er als „quasi zweite Koalitionsverhandlungen“, in denen sich Rot-Grün-Rot bewähren müssten.

Mit anderen Worten: Die eigentlich abgewählte Rot-Grüne Koalition hat sich erst mal mit Hilfe der LINKEN Steigbügelhalter seine Posten auf der Senats- und Verwaltungsebene gesichert, um dann über zukünftige Inhalte der Rot-Grün-Roten Koalition zu reden.

Der Anfang entzaubert sich endgültig

Je näher nun die anstehenden Haushaltsverhandlungen für den Doppelhaushalt 2020/21 rücken, desto unruhiger werden alle Seiten. Ein erster Kumulationspunkt wurde erreicht vor und nach dem Landesparteitag der LINKEN Anfang November. Auch, wenn es immer noch keine Preisschilder gab, wurde immer klarer, dass der Finanzrahmen selbst für ein anständiges sozialdemokratisches Reparatur-Programm immer enger wurde. Nach dem Kassensturz von Finanzsenator Strehl (Grüne) und einer neuerlichen Steuerschätzung wurde klar, dass von den herbeigesehnten 400 Mio. € nur noch insgesamt 70 Mio. € zur Verfügung von besonderen Rot-Grün-Roten Projekten stehen könnten. Auf der rein materiellen Seite war damit Rot-Grün-Rot bereits jetzt am Ende.

Der Parteitag der LINKEN beschloss nun, nachdem er in den Koalitionsverhandlungen die Position „Abschaffung der Schuldenbremse in der Bremer Verfassung und im Grundgesetz“ schon aufgegeben hatte, die Umgehung der Schuldenbremse. Die Berliner Genoss*innen waren dabei, es vorzumachen. Auch Berlin war in der Situation, diverse Infrastrukturaufgaben für Soziales, Schulen und Kitas etc. wegen der Schuldenbremse nicht durchführen zu können. Deshalb suchten sie schon zeitig nach Lösungen. Auch in der Wohnungsfrage waren die Berliner Genoss*innen systemimmanent an der Spitze der Bewegung: Mietendeckel und Vergabe öffentlicher Flächen und Immobilien nur noch durch Erbbaurecht. Gleichzeitig war die Bewegung der Basis in Berlin für eine Vergesellschaftung der großen Wohnungsbaugesellschaften im Aufwind.

Ein Fest für eine marxistische, antikapitalistische Linke, sollte man meinen. Könnte es doch eine Vorlage und Vorbild für die Aktiven in Bremen werden. Doch Vorsicht! Denn die bürgerlichen Koalitionspartner regierten sofort. Für die linken Antworten auf die Wohnungs- und Eigentumsfrage, also Erbbaurecht, Enteignung von Vonovia oder Mietendeckel gab es eine schnelle und eindeutige Antwort von Rot-Grün. Maike Schäfer (Grüne Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau): „Wir werden das erst mal nicht verfolgen!“ (Weser Kurier 13.11.19). Senatorin Schäfer hatte sich für diese Absage das Immobilen-Forum ausgesucht, organisiert von den führenden Bremer Immobilienhaien: Kurt Zech, Justus Grosse und Robert C. Spies. Der Weser Kurier bewertete abschließend: „Bausenatorin will keinen Mietendeckel für Bremen“, und auch kein Erbbaurecht und schon gar keine Enteignung.

Was bleibt da eigentlich für die regierungswillige LINKE und ihr Klientel?

Nachdem auf dem Parteitag die Schuldenbremse zumindest einmal mehr thematisiert wurde, erging es den linken Beschlüssen des Parteitages zur Schuldenbremse ähnlich wie den Themen zur Wohnungspolitik. Die Antwort des Bürgermeisters Bovenschulte folgte auf dem Fuße: „Eine Umgehung der Schuldenbremse wird es in Bremen definitiv nicht geben“ (Weser Kurier 11.12.19) Ähnlich äußerte sich, wie die Zeitung mitteilte, der Finanzsenator Dietmar Strehl: „Mit ihm ist an der Schuldenbremse nicht zu rütteln“. (ebenda)

Bremen aerial view 9.JPG

Strehl will offensichtlich den sozialen Kahlschlag seiner Vorgängerin Caroline Linnert (ehem. Finanzsenatorin der Grünen) fortsetzen. Das ist purer Neoliberalismus und es bleibt eine hilflose LINKE zurück. Hat diese LINKE noch irgendeinen Gebrauchswert für die Mühseligen und Beladenen?!!

Was bedeutet das für die Bewertung der ersten 150 Tage der rot-rot-grünen Regierungskoalition in Bremen aus Sicht der Antikapitalistischen Linken?

Die wesentlichen Figuren auf der Seite der Rot-Grünen Koalitionäre haben ihre politischen Grenzen und Absichten deutlich gemacht. Bovenschulte, Strehl und Schaefer wollen an der „Schwarzen Null“ und an der Schuldenbremse festhalten. Konkret bedeutet das, dass Rot-Grün ihren Kurs von vor 12 Jahren einfach fortsetzen wird. Parlamentarisch kann die LINKE dem nichts entgegensetzten, denn die LINKE hat zwar ein schönes Ergebnis erzielt und sind damit in einer Regierung gelandet. Aber als kleiner Juniorpartner in einer Dreierkoalition werden sie in der Regel von den anderen überstimmt werden. Die Antikapitalistische Linke hatte immer vor solch einer Konstellation gewarnt. Was bedeutet das für die Menschen in Bremen? Mit der haushaltspolitischen Systematik der „Schwarzen Null“ und ohne Abschaffung der Schuldenbremse wird es :

  • keine Betriebskostenzuschüsse für den Flughafen und die kommunalen Kliniken geben,
  • keine autofreie Innenstadt, keinen kostenlosen ÖPNV und Ausbau des ÖPNV durch bessere Taktung, bessere Wagen oder den Ausbau von Fahrradwegen geben,
  • keinen Mietendeckel, keinen kommunalen Wohnungsbau und städtebauliche Projekte geben,
  • keine Vergesellschaftung der Vonovia und notwendige Infrastrukturinvestitionen in den Straßenbau oder den Brückenbau geben,
  • keine gesellschaftlich erwünschten Großprojekte geben können, die die Digitalisierung auf breiter Front durchführen, und eine angemessene Antwort auf den Klimawandel geben,
  • keine Verbesserungen der sozialen Verhältnisse, in denen viele Familien, besonders Alleinerziehende sowie Alte in Bremen leben müssen, und die viel beschworene Bildungsoffensive geben.

Es wird Flickschusterei an dem maroden System Kapitalismus bleiben.

Man muss es deutlich sagen, es ist schon nach 150 Tagen sichtbar, dass die LNKE keines ihrer großen und auch richtigen Wahlversprechen wird einlösen können. Und noch deutlicher: Die LINKE wird noch nicht einmal ein solides sozialdemokratisches Programm durchsetzen können – von Sozialismus gar nicht zu reden. Und noch einmal deutlicher: Auch ein Sozialismus, wie wir ihn bisher kennen, wird die Deiche an der Nord- und Ostsee nicht sicherer machen. Extreme Wettereignisse werden vor den europäischen Metropolen nicht haltmachen und wie immer in der Geschichte werden die Reichen, geschützt durch Security-Kräfte hinter den neuen Privatdeichen sitzen und die davor werden elendig ersaufen.

Die AKL Bremen sieht keinen Sinn in einer Flickschusterei am bestehenden Kapitalismus. Wir müssen radikal sein, den Kapitalismus an der Wurzel packen und ausreißen. Wir müssen das, was Rosa Luxemburg „Revolutionären Realismus“ genannt hat, umsetzen! Es muss aber immer klar bleiben, wir wollen dieses System und mit ihm die Schichten, die es immer wieder am Leben halten, abschaffen und entwaffnen. Wir wollen ihre Macht und nicht ihr Leben brechen!

Barbarei oder Ökosozialismus, dass ist in der Tat die Entscheidung der nächsten 10 Jahre. Kommunalpolitisch wird es ökologischer Imperativ sein, die Städte autofrei zu machen, den ÖPNV (gerade in einem Stadtstaat) flächendeckend auszubauen. Auch eine mögliche Vergesellschaftung der Stadtwerke, wenn sie nicht aus der Kohleverbrennung aussteigen oder die regenerierbare Energiegewinnung nicht forciert genug umsetzen, muss jetzt und heute und in Bremen auf die Agenda.

akl - Antikapitalistische Linke

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Grafikquellen        :

Oben      —          Ost-Ampelmännchen

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Unten      —        Bremen aerial view User:Tarawneh/rami

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Brief der AG Frieden-Bremen

Erstellt von DL-Redaktion am 19. Januar 2020

Aufstehen Bremen schreibt an Julian Assange

RUEDA DE PRENSA CONJUNTA ENTRE CANCILLER RICARDO PATIÑO Y JULIAN ASSANGE.jpg

Quelle          :         Scharf  —  Links

Persönlicher Brief der AG Frieden  – Von #Aufstehen Bremen

Julian Assange ist seit April 2019 im Londoner Gefängnis Belmarsh inhaftiert, das für besonders strenge und demütigende Haftbedingungen bekannt ist und das u.a. zur Inhaftierung verurteilter Terroristen dient. Seit dem 22.09. ist er „prisoner on remand“, sitzt also in Präventivhaft aufgrund des Auslieferungsverlangens der USA. Und das im Hochsicherheitsgefängnis, in Isolationshaft, ohne ansatzweise ausreichende Möglichkeiten zur angemessenen Vorbereitung seines Verfahrens. Im schlimmsten Fall drohen ihm die Auslieferung an die USA und die dortige Verurteilung zu sehr langer Haft oder sogar zum Tod.

Die Situation von Julian Assange ist bereits jetzt äußerst schwierig und nach menschlichem Ermessen kaum ertragbar. Erst vor wenigen Wochen, am 29.11.2019, hat der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, auf Einladung der Fraktion die LINKE im deutschen Bundestag, erneut in einem bewegenden Beitrag öffentlich auf den Zustand von Assange aufmerksam gemacht. Demnach zeigt er deutliche Symptome eines Menschen, der bereits seit längerer Zeit psychischer Folter ausgesetzt ist. Wenn diese Situation andauert, kann diese Folter sogar mit seinem Tod enden. Nils Melzer nennt außerdem die gegen Assange eingeleiteten Verfahren und die aktuelle Inhaftierung Willkür.

Vor diesem Hintergrund hat sich die AG Frieden von #Aufstehen Bremen dazu entschlossen einen persönlichen Brief an Assange zu richten, um ihm Mitgefühl, Menschlichkeit und Unterstützung für sein Anliegen zu signalisieren und um ihm Mut zu machen.

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Dokumentation des Briefs an Julian Assange:

Sehr geehrter Herr Assange,

wir schreiben Ihnen heute in großem Respekt vor Ihren herausragenden Leistungen als Journalist und Publizist. Wir möchten, dass sie folgendes wissen: Ihre mutige und aufklärerische Arbeit hat die Perspektive vieler auf die Welt verändert und ihnen den Blick für politische Zusammenhänge geschärft. So auch bei uns.

Ohne Ihre Veröffentlichungen wären zahlreiche Kriegsverbrechen bis heute unbekannt. Wir wüssten wahrscheinlich sehr viel weniger über die wirklichen Interessen hinter den Kriegen gegen den Irak und gegen Afghanistan. Sie haben außerdem zahlreichen Whistleblowern eine Stimme und ein Forum gegeben.

Die Tatsache, dass Sie dafür seit Jahren verfolgt, inhaftiert, gedemütigt und drangsaliert werden ist zutiefst beschämend für alle, die noch an Menschlichkeit, Würde und Wahrheit glauben. Und es wirft ein Licht auf die Motive der handelnden Personen an den Schalthebeln der Macht, die versuchen sich auf diese Weise ihrer Verantwortung für die begangenen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen zu entziehen. Wir hoffen sehr, dass das diesen Personen nicht gelingen wird. Und wir bedauern zutiefst, dass Sie nun selbst Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden sind.

Sie können sicher sein, dass wir Ihre Situation weiter begleiten werden. Wir wissen, dass am 25.02.2020 die Verhandlungen über Ihre Auslieferung an die USA beginnen. Auch wenn Ihnen ihre Situation aussichtslos erscheint und Sie Angriffe auf Ihre psychische und körperliche Gesundheit erdulden müssen, möchten wir Ihnen sagen: Sie sind nicht allein! Sehr viele Menschen hoffen mit uns darauf, dass Sie freikommen und dass sich das Blatt zum Guten wenden wird. Wenn wir irgendetwas für Sie tun können, lassen Sie es uns bitte wissen.

Wir wünschen Ihnen viel Kraft und Gelassenheit und werden sicher wieder schreiben.

Mit herzlichen Grüßen aus Bremen

Mitglieder der AG Frieden von #Aufstehen Bremen

Bremen im Januar 2020

 Dear Mr. Assange,

We write to you today with great respect for your outstanding achievements as a journalist and publicist of the Wikileaks platform. We just want to let you know: Your courageous and enlightening work has changed my perspective on the world and sharpened many peoples view on political issues in general. And also did it to us.

Without your publications, many war crimes would still be unknown today. We wouldn’t probably know anything about the real interests behind the wars against Iraq and Afghanistan. You have also given a voice and a forum to numerous whistle blowers.

The fact that you have been persecuted, imprisoned, humiliated and harassed for this for years is deeply shameful for all those who still believe in humanity, dignity and truth. And it throws light on the despicable motives of the people in power who are trying this way to escape from their responsibility for the human rights violations and war crimes they committed. We very much hope that these people will not succeed in this. And we deeply regret that you have now become victim of human rights violations yourself.

You can be sure that we will continue to accompany your ongoing situation in the future. We know that on February 25th the negotiations on your extradition to the USA will begin. Even if your situation seems hopeless to you and you have to deal with attacks on your mental and physical health, we want to tell you: You are not alone! A great number of people hope with us that you will be released and that the tide will turn for the better. If there’s anything we can do for you, please let us know.

We wish you much strength and serenity and we will certainly write again.

With kind regards

Members of the Working Group For Peace at Stand Up Bremen (AG Frieden – #Aufstehen Bremen)

Bremen, January 2020

https://www.aufstehen-bremen.org/index.php/theme-styles/ag-frieden/323-ag-frieden-schreibt-an-julian-assange

#Aufstehen Bremen

https://www.aufstehen.de/bremen https://www.aufstehen-bremenorg/

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Grafikquelle        :         Londres (Reino Unido), 18 de Agosto 2014, Canciller Ricardo Patiño y Julian Assange ofrecieron una rueda de prensa con presencia de medios internacionales. Foto: David G Silvers. Cancillería del Ecuador.

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Bewegung in der LINKEN?

Erstellt von DL-Redaktion am 11. Dezember 2019

Die Bewegungslinke gründet neue Strömung in der Partei

Nachdem die „Aufsteher in Erstarrung“ endeten wird in der braunen Suppe erneut kräftig gerührt? – Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben – wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt ?

Quelle      :       AKL

Von Sascha Staničić

Im Dezember gründet sich die Bewegungslinke als neue Bundesarbeitsgemeinschaft in der Partei DIE LINKE. Nicht wenige Parteimitglieder, die sich dem linken Flügel verbunden fühlen, verbinden damit die Hoffnung, dass DIE LINKE sich dahin bewegt, wo sie hingehört – nach links und auf die Straße. Ein Blick auf den Entwurf der Gründungserklärung der Bewegungslinken muss aber Skepsis hervorrufen.

Die Bewegungslinke ist entstanden aus den Konflikten, die sich im Zusammenhang mit Sahra Wagenknechts migrationspolitischen Positionen in der Parteiströmung Sozialistische Linke (SL) entwickelt hatten. Eine Mehrheit der SL unterstützte den linkspopulistisch-nationalen Kurs von Wagenknecht, während eine Minderheit um die Gruppe marx21 und andere die migrationspolitischen Positionen der Partei verteidigte. Diese Minderheit stellt nun den Kern der Bewegungslinken. Allein dieser Umstand legt die Vermutung nahe, dass wir es mit altem Wein in neuen Schläuchen zu tun haben.

Vieles, was die Bewegungslinke schreibt ist nicht falsch. Sie mahnt an, dass DIE LINKE verparlamentarisiert ist und sich zu wenig um soziale Bewegungen und Gewerkschaften kümmert. Sie sagt: Weniger Sitzungen, mehr Aktionen! Und sie will sich aktiv in die gesellschaftlichen Kämpfe gegen die Auswirkungen des kapitalistischen Systems einbringen. So weit, so gut. Doch die Praxis einer Partei ist letztendlich Folge ihres politischen Programms, ihrer Klassenzusammensetzung und ihrer politischen Perspektive und Orientierung.

Sozialismus fehlt

Das grundlegende Problem der Linkspartei ist, dass sie zwar von Sozialismus redet, aber kein sozialistisches Programm und keine sozialistische Perspektive vertritt; dass ihre nicht ganz selten guten Beschlüsse nur auf dem Papier stehen und nicht in praktische Politik umgesetzt werden – zum Beispiel wenn ein Bundesparteitag nach dem anderen auf Initiative von Parteilinken die Überführung der Banken und Konzerne in Gemeineigentum fordert, der Parteivorsitzende Bernd Riexinger sich aber explizit dagegen ausspricht, die Forderung nach Überführung der Autoindustrie in öffentliches Eigentum aufzustellen und stattdessen das Ausgeben von Belegschaftsaktien fordert, die die Arbeiter*innen dann doppelt zu Opfern der Krise in der Automobilindustrie machen würden und nichts an der umweltzerstörenden und profitgetriebenen Automobilproduktion ändern würden.

Regierungsbeteiligung als Gretchenfrage

Politisch drückt sich dieser Mangel an Sozialismus in der LINKEN unter anderem darin aus, dass große Teile der Partei darauf setzen in Regierungen mit den prokapitalistischen Parteien SPD und Grünen Arzt am Krankenbett des Kapitalismus zu spielen, anstatt alle Kraft darauf zu verwenden, Menschen aus der Arbeiter*innenklasse zu organisieren, um Verbesserungen von unten zu erkämpfen und den Kapitalismus perspektivisch zu überwinden. Diese politische Ausrichtung hat dazu geführt, dass sich die Partei in verschiedenen Landesregierungen von Mecklenburg-Vorpommern bis Bremen als zahnloser Tiger erwiesen hat, wenn nicht als Bettvorleger. Nirgends kann davon gesprochen werden, dass eine Regierungsbeteiligung der LINKEN zu dem viel versprochenen Politikwechsel geführt hat; oftmals hat sie sich an Kürzungen und Privatisierungen beteiligt, die sie haben in Konflikt mit denjenigen kommen lassen, die sie eigentlich vertreten soll: Lohnabhängige, Erwerbslose, sozial Benachteiligte, Gewerkschafter*innen. Ergebnis: DIE LINKE wird von vielen als linker Teil des politischen Establishments betrachtet und sie verliert in der Regel (mit der vorübergehenden Ausnahme von Thüringen) die Unterstützung, die sie sich vor dem Eintritt in die entsprechenden Regierungen aufgebaut hatte. Die Regierungsbeteiligung mit prokapitalistischen Parteien ist konzentrierter Ausdruck des mangelhaften Programms, der falschen Politik und Perspektive der Linkspartei. So kann es keine bewegungsorientierte, klassenkämpferische und antikapitalistische Partei geben.

Praxis-Fetisch

Die Bewegungslinke setzt aber nicht an Programm und Politik der LINKEN an, sondern an ihrer Praxis. Diesen Ansatz verfolgt die marx21-Strömung schon seit Gründung der Partei – mit zweifelhaftem Erfolg. Gerade in diesem Jahr hat sich das Pendel in der Linkspartei wieder mehr nach rechts bewegt, nicht zuletzt durch die Regierungsbeteiligung der Partei in Bremen – zum ersten Mal in einem westdeutschen Bundesland. Die Fraktionsvorsitzende der LINKEN in der Bremischen Bürgerschaft ist Sofia Leonikadis, gleichzeitig einer der Köpfe der Bewegungslinken. Diese erklärt im Entwurf zu ihrer Gründungserklärung, dass an ihr auch solche Parteilinke beteiligt sind, die Regierungskoalitionen mit SPD und Grünen als Teil des Wegs zu gesellschaftlicher Veränderung sehen. Dieser Versuch sich zu waschen ohne nass zu werden ist zum Scheitern verurteilt.

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Eine sozialistische Parteilinke muss als Ausgangspunkt eine schonungslose Kritik der bestehenden Politik, Programmatik und Praxis der Linkspartei nehmen. Die Systemimmanenz großer Teile der Partei und die Ausrichtung auf Koalitionen mit SPD und Grünen müssen Ausgangspunkt dieser Kritik sein. Davon ausgehend kann dann eine Debatte über Inhalte und Strategien für eine Parteilinke stattfinden. Eine Parteilinke, die aber die Verwaltung des kapitalistischen Elends in Kooperation mit den Hartz IV-Parteien als eine Möglichkeit sozialistischer Politik betrachtet, bringt einen schweren Geburtsfehler mit, der sie daran hindern wird, eine wirkliche Alternative zum jetzigen Kurs der Partei zu formulieren.

Die einzige Bundesarbeitsgemeinschaft in der LINKEN, die eine solche Kritik formuliert und Koalitionen mit SPD und Grünen konsequent ablehnt ist die Antikapitalistische Linke (AKL).

Sascha Staničić ist Mitglied des AKL Länderrats und Bundessprecher der Sozialistischen Organisation Solidarität (Sol).

akl - Antikapitalistische Linke

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Grafikquellen      :

Oben       —          Lafontaine Fotomontage:

Die Fotomontage stammt aus der Projektwerkstatt


Virtuelle Projektwerkstatt von SeitenHieb Verlag steht unter einer Creative Commons

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Unten         — 

Sophia Leonidakis (* 27. April 1984 in Überlingen) ist eine bremische Politikerin (Die Linke) und Abgeordnete der Bremischen Bürgerschaft.

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Bremer Votum zur Koalition

Erstellt von DL-Redaktion am 22. Juli 2019

Bremer Linke schaffen die 50-Prozent-Hürde

2019-05-26 Wahlabend Bremen by Sandro Halank–078.jpg

Bis zum Montagnachmittag haben die Mitglieder der Bremer Linken Zeit, über den Koalitionsvertrag zu entscheiden. Die notwendige Beteiligung von 50 Prozent ist bereits erreicht.

Zumindest an einem Mangel an Beteiligung der Mitglieder der Bremer Linkspartei wird die neue rot-grün-rote Koalition nicht scheitern. Beim Mitgliederentscheid hat sich, das steht seit Freitag nach dem Eingang der Tagespost in der Landesgeschäftsstelle fest, mehr als die Hälfte der rund 620 Genossen beteiligt. Damit ist das nötige Quorum, also die nötige Zahl der Stimmen von 50 Prozent erreicht, die Entscheidung ist laut Satzung also gültig. „Wir freuen uns, dass sich trotz der Ferienzeit so viele Mitglieder beteiligen“, sagte Andreas Hein-Foge, Landesgeschäftsführer der Linken. Er rechne damit, dass auch am Sonnabend und Montag noch einige Umschläge ausgeliefert beziehungsweise persönlich abgegeben oder in den Briefkasten geworfen werden. Das ist bis genau 16.30 Uhr am Montag möglich.

Letzte Hürde vor der Wahl des Senats

Die Befragung aller Mitglieder der Linken ist die letzte formale Hürde vor der Wahl des Senats am 15. August, die der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linken nehmen muss. Die Linken waren die einzige der drei Parteien, die über die künftige Regierung nicht nur zwei Parteitage, sondern eben auch alle Mitglieder des Landesverbands abstimmen lässt. „Im Vorstand stand diese Entscheidung nie infrage“, sagt Hein-Foge. „Für uns ist es eine politische Selbstverständlichkeit, so viele Menschen wie möglich in wichtige Entscheidungen einzubeziehen.“

Quelle      :           Weser-Kurier         >>>>>           weiterlesen

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Grafikquelle       :        Election night Bürgerschaft of Bremen 2019: Kristina Vogt (Die Linke)

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Bremen vor Rot-Grün-Rot

Erstellt von DL-Redaktion am 10. Juli 2019

Schuldenbremse und Finanzierungsvorbehalt statt Politikwechsel

File:Bremer-Stadtmusikanten-bei-Neufelden.jpg

Bremer Stadtmusikanten aus Österreich – kein Rot in Sicht

Quelle       :         AKL – Linke

Von Sebastian Rave, Bremen

Trotz historischer Wahlniederlage wird die Bremer SPD wohl auch nach 73 Jahren nicht als Regierungspartei abgelöst. Es wird wahrscheinlich zur ersten rot-grün-roten Landesregierung in Westdeutschland kommen. DIE LINKE in Bremen ist damit auf dem Weg zur „Kleinere-Übel-Partei“ zu werden und ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen.

Die Liste der Missstände in Bremen und Bremerhaven ist lang und deprimierend. Der Stadtstaat ist Hochburg der Leiharbeit, hat die höchste Kinderarmut und ein enormes Reichtumsgefälle. Und während die Mieten explodieren, ächzen Krankenhausbeschäftigte unter dem Personalmangel, der auch mit fehlenden Investitionen zu tun hat: Das Land weigert sich, die gesetzlich vorgeschriebenen Mittel vollständig zu zahlen – über zwei Jahrzehnte hat sich so ein Investitionsstau von mehr als 613 Millionen Euro aufgetürmt. Bei den Schulen ist es noch schlimmer: 1,5 Milliarden Euro fehlen für Schulsanierungen.

Proteste

Gegen all das wird protestiert: Das Volksbegehren für mehr Krankenhauspersonal, das auch von der SAV vor Ort tatkräftig unterstützt wurde, konnte innerhalb von sechs Wochen 12.000 Unterschriften sammeln. Das Bündnis „Menschenrecht auf Wohnen“ hatte im März mit bis zu 1500 Menschen gegen Wohnungsnot und Mietenwahnsinn demonstriert. Dazu kommen immer wieder antirassistische Proteste, die sich nicht nur gegen die AfD, sondern auch gegen staatlichen Rassismus und Abschiebungen wehren. Und nicht zuletzt eine Klimabewegung mit langem Atem, die die Kohleparteien SPD und CDU vor sich her treibt, kostenlosen Nahverkehr und einen Kohleausstieg schon im nächsten Jahr fordert.

Bei all diesen Kämpfen war DIE LINKE dabei. Und ohne Frage hat sich die Verhandlungsdelegation der Partei darum bemüht, die Anliegen der Bewegungen im Koalitionsvertrag unterzubringen. Trotzdem markiert dieser keinen Politikwechsel im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung. Alle Verbesserungen, die sie in den Koalitionsvertrag verhandelt hat, stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Darum war auch das erste, was DIE LINKE in den Sondierungen klarstellen musste, dass sie die Schuldenbremse einhalten wird. Damit ist klar, dass man höchstens eine Priorisierung vornehmen kann: Will man Schulen sanieren ODER Krankenhäuser? Ein falscher Ausweg wird von dem rot-rot-grünen Senat in Berlin aufgezeigt: Mit einer Rechtsformprivatisierten Schulbaugesellschaft soll die Schuldenbremse umgangen werden. Schlimm genug dass damit weiteren Privatisierungen Tür und Tor geöffnet würde: Die Folgen von so einem „herumschummeln“ um die Schuldenbremse wären auch noch, dass höhere Zinsen an die Banken gezahlt werden müssten. Das ganze Kartenhaus aus Finanzierungsvorbehalten würde aber ohnehin zusammenbrechen, sobald die schon vor der Tür stehende Wirtschaftskrise alle Haushaltsplanungen ruiniert.

Fragmente

Von den großen Forderungen bleiben nur Fragmente: Statt kostenlosem Nahverkehr wird das Sozialticket ausgeweitet, alles andere wird ein Prüfauftrag. Statt 5000 kommunalen Wohnungen werden „Voraussetzungen“ für den Bau von 10.000 Wohnungen geschaffen – privat gebaut und vermietet, und das auch nur indem die Baubehörde etwas mehr Personal bekommt und öffentliche Flächen verpachtet werden sollen. Aus einer gesetzlichen Bemessung für Krankenhauspersonal nach Bedarf wird eine zahnlose Bundesratsinitiative und höhere Kapazitäten zur Ausbildung von Pflegeberufen. Dabei ist der Grund für den Personalmangel in den Krankenhäusern nicht, dass zu wenig Pflegekräfte ausgebildet werden, sondern dass die ausgebildeten Pflegekräfte den Beruf verlassen, weil er unter den Belastungen gesundheitsgefährdend ist.

Kosmetik

Was bleibt, sind kosmetische Verbesserungen, die das Land nichts oder wenig kosten. Mehr Fahrradwege, weniger Repression gegen Obdachlose und Drogennutzer*innen, ein Ausbildungsfonds, Druck auf die Kassenärztliche Vereinigung für eine bessere Ärzteverteilung. Gegen all das ist natürlich nichts einzuwenden. Ein „grundlegender Politikwechsel“, der die sozialen Missstände wirklich angehen und spürbare Verbesserungen im Alltagsleben der lohnabhängigen Bevölkerung bringen würde, ist das aber noch lange nicht. Dafür müsste ein massives Investitionsprogramm in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wohnen und erneuerbare Energien umgesetzt werden, alle Privatisierungen (Stadtwerke, Müllabfuhr) müssen rückgängig gemacht werden, und Kohlekraftwerke, Stahlwerke und Rüstungsunternehmen in öffentliches Eigentum überführt und auf klimafreundliche bzw. zivile Produktion umgestellt werden. All das ginge nur, wenn eine linke Regierung sich massiv mit Kapital und Bundesregierung anlegen würde. SPD und Grüne werden niemals für eine solche Politik zu gewinnen sein. Durch die erste westdeutsche Regierungsbeteiligung mit diesen prokapitalistischen Parteien und der daraus drohenden „Sachzwanglogik“ droht DIE LINKE, ihre Glaubwürdigkeit als kämpferische Oppositionspartei zu verspielen – und zwar weit über Bremen hinaus.

Der Antrag, den Mitglieder der AKL zusammen mit anderen des linken Parteiflügels getragen haben und der die Regierungsbeteiligung ablehnt, ist hier dokumentiert.

Dieser Text wurde zuerst auf sozialismus.info veröffentlicht.

akl - Antikapitalistische Linke

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Grafikquelle     :        hölzerne Skulptur der Bremer Stadtmusikanten beim Märchenweg am Annaberg bei Neufelden im Mühlviertel (Oberösterreich), Urheber ist Fritz Leibetseder

This file is made available under the Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication.

Source Own work
Author BikeMike

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DIE LINKE in Bremen :

Erstellt von DL-Redaktion am 14. Juni 2019

– will in die Regierung

2017-09-24 Dietmar Bartsch by Jenny Paul - (03).jpg

Und sie sind sich alle einig:

Quelle      :          AKL – Die Linke

von Thies Gleiss und Tim Fürup

WAS IST SO GEIL AN EINER SPD-GRÜNEN-LINKE-KOALITION?

„Das erste Mal Regierungsverantwortung im Westen rückt nahe. Die Bremer LINKE kann stolz sein, weil das ein bundespolitisches Signal ist. Dass in einem Viertel der Bundesländer die Linkspartei in Regierungsverantwortung ist, ist ein Auftrag, bundespolitisch Weichen für Mitte-Links zu stellen“, Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Bundestagsfraktion der LINKEN

„Wir glauben, es gibt Chancen, einen Politikwechsel durchzusetzen: hin zu mehr sozial-ökologischer Gerechtigkeit“, Felix Pithan, Landessprecher der LINKEN in Bremen

„Jetzt kommen harte Verhandlungen auf uns zu“, Miriam Strunge, Bürgerschaftsabgeordnete der LINKEN in Bremen und Mitglied des Parteivorstandes.

„Bremen kann ein Signal für den Bund werden. In einem Jahr wird die GroKo Geschichte sein. Wir wollen, dass die nächste Regierung eine progressive Politik macht“, Katja Kipping, Parteivorsitzende der LINKEN

„Nach Jahren wachsender Ungleichheit und hemmungsloser Bereicherung der oberen Zehntausend braucht Deutschland dringend eine Regierung, die sich um mehr sozialen Ausgleich bemüht. An einer solchen Regierung würde sich DIE LINKE auch im Bund beteiligen. Wir wünschen der SPD daher, dass sie in ihrer tiefen Krise die Kraft findet, zu sozialdemokratischer Politik zurückzukehren und die Generation GroKo und Agenda 2010 an ihrer Spitze durch neue glaubwürdige Köpfe zu ersetzen“, Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Bundestagsfraktion der LINKEN

„Ich freue mich, wenn sich die SPD mit uns auf diesen Weg begibt und würde es begrüßen, wenn sich nach den Grünen in Bremen auch die Grünen im Bund zu dieser Vision bekennen“, Katja Kipping

„Ich erwarte, dass wir zum ersten Mal in einem westlichen Bundesland in eine linke Regierung eintreten“, Bernd Riexinger, Parteivorsitzender der LINKEN

Brav wurde dann auch im Bremer Landesverband dem Wunsch gefolgt: Mit 49 gegen 13 Stimmen, bei 1 Enthaltung, wurde vom Landesparteitag die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit SPD und GRÜNEN beschlossen. Zur Anstachelung dieser Besoffenheit in einem selbst eingeredeten „Politikwechsel“ genügte fast ausschließlich der Schlachtruf, man müsse eine „CDU-Regierung“ verhindern. Dabei würde die auch nicht wesentlich schlimmer sein als die abgewählte SPD-GRÜNEN-Regierung, die in der Bremer Bevölkerung keine großen Sympathien mehr genoss. DIE LINKE bietet sich nun als Steigbügelhalterin für die Weiterführung von Rot-Grün an – Richtungswechsel sieht anders aus. Faktencheck ist nicht mehr gefragt.

DIE LINKE hat einen motivierenden und die Mitgliedschaft aktivierenden Wahlkampf geführt. Sie hat zahlreiche Neueintritte verbuchen können. Sollte es der Linkspartei nicht gelingen, innerhalb der Regierungsbeteiligung für sofortige spürbare Fortschritte zu sorgen, steht die Glaubwürdigkeit und letztlich die Brauchbarkeit der Partei in Frage.

Zudem ist das Spielchen, wie der Mitgliedschaft Koalitionsverhandlungen schmackhaft gemacht werden, immer dieselbe Soße: Erst schreit die Partei- und Fraktionsspitze, verhandeln werden wir für euch doch wohl noch dürfen. Danach liegt der Koalitionsvertrag auf dem Tisch und die Mitgliedschaft wird mittels Hinweis „Jetzt haben wir doch so schön verhandelt, nun könnt ihr uns doch nicht mehr zurückpfeifen – wie sähe das denn aus?“ zum Ja-Sagen beschworen. Hacken zusammenschlagen – die Partei will es so.

Es geht los, wir sind gar nicht aufzuhalten

Am 12. Juni begannen die Koalitionsverhandlungen. Schlappe 40 Personen beteiligen sich an der „Großen Runde“. Erstes Thema soll ein „Kassensturz“ und die Finanzlage sein. Das ist immerhin ein etwas realpolitischerer Einstieg als bei früheren Koalitionsverhandlungen und Sondierungsgesprächen mit Beteiligung der LINKEN in deutschen Bundesländern. Dort waren bisher erst einmal Bekenntnisse zum „Unrechtsstaat DDR“ gefordert und 2010 in Nordrhein-Westfalen noch zusätzlich eine Garantieerklärung der LINKEN, dass ihre Mitglieder nicht „auf der Straße“ gegen Entscheidungen der Regierung demonstrieren würden.

Der Kassensturz wird das ergeben, was buchstäblich jedes Kind –  31 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Bremen leben in Haushalten, die von Hartz IV abhängig sind – weiß: Bremen und vor allem Bremerhaven, zusammen der kleinste deutsche Bundesstaat, sind eines der Armenhäuser der Republik und notorisch hoch verschuldet. Selbst wenn die Koalitionspartnerinnen SPD und GRÜNE völlig neues, unverbrauchtes Personal mit der Bereitschaft, alte Sünden zu vergessen, aufbieten würden, dann wäre der finanzielle Spielraum für eigenständige, der Bevölkerung Nutzen bringende Politik, so klein, dass sofort die Lust aufs Regieren vergehen würde, wenn nicht politisch durch die Entwicklung einer neuen, rebellischen Politik die Rahmenbedingungen aus Steuerpolitik und Eigentumsverhältnissen radikal herausgefordert und geändert werden.

Aber das Personal von GRÜNEN und SPD ist alles andere als neu, sondern besteht aus abgefuckten Sparpolitiker*innen, die sämtliche Reste von großem Willen zur Veränderung der Verhältnisse schon lange an der Garderobe abgegeben haben. Sie sind professionelle Krisenverwalter*innen, ohne Prinzipien und Moral, die rund um die Uhr ihre Bekenntnisse vom Stil „Wirtschaftspolitik wird in der Wirtschaft gemacht“ oder „Man kann jeden Euro nur einmal ausgeben“ herunterbeten und selbst daran glauben.

Den Rest an Selbstbeschränkung erledigt die von diesen Parteien in der Bremer Verfassung verankerte „Schuldenbremse“. DIE LINKE hatte schon im Wahlkampf im vorauseilenden Bündnis-Gehorsam erklärt, sie lehne die Schuldenbremse ab, aber sie würde sie auch akzeptieren. Mit so einem Unsinn beantwortet die Partei die selbstgestellte Frage „Wem gehört die Stadt?“ den armen Armen weiterhin nicht!

Wenn jetzt aus purer Not angesichts der realen Wahlergebnisse der LINKEN der Katzentisch im Koalitionssalon angeboten wird, dann nur deshalb, um das zu machen, was im Wahlkampf SPD und Grüne verkündet haben: Weiter so wie bisher. Gleichzeitig sollen die LINKEN schnellstmöglich entzaubert und ihre parlamentarischen Pöstchen wieder unter den alten Kräften verteilt werden. Es ist zu befürchten, dass die linken Regierungssozialist*innen sich in keiner Weise überlegen werden, was passieren muss, um die Regierung wieder zu verlassen. So eine Exit-Strategie ist aber notwendig, um sich von den anderen beiden Parteien nicht mit dem Nasenring durch die Polit-Manege ziehen zu lassen. Darüber wird aber deswegen nicht mehr nachgedacht, weil die Regierungsmitglieder ein eigenes privates Interesse daran haben, die Koalition nicht platzen zu lassen. Dienstwagen sticht die politischen Inhalte. In Brandenburg können solch selbstzerstörenden Praxen studiert werden – oder war die Zustimmung zur Verschärfung des Polizeigesetzes dort eine linke Maßnahme?

Gleich zu Beginn soll klargestellt werden, dass linke Positionen nicht umgesetzt werden, dazu dient der Einstieg mit dem Kassensturz. Jede Allianz, die mit dem Anspruch angetreten wäre, einen wirklichen Politikwechsel einzuleiten, würde ja mit einem Austausch darüber beginnen, was heute politisch nötig ist, um dann, mit den festen Willen der Umsetzung über dessen Realisierung zu sprechen, einschließlich der finanzpolitischen Maßnahmen. Aber die Umkehrung des Vernünftigen soll der LINKEN signalisieren: Hier geht es nicht um Vernunft, sondern um die Fortsetzung der interessengeleiteten Politik der vergangenen Jahre und die LINKE darf Mehrheitsbeschafferin sein und, wenn sie gelobt werden möchte, noch linken Flankenschutz organisieren, angesichts möglicher Proteste und Kritiken der Opfer der Politik des Weiter-so.

Die auf dem Landesparteitag unterlegene Minderheit hatte in ihrem Antrag umrissen, was aus LINKER Sicht heute politisch nötig wäre:

„Klar ist: Bremen braucht einen deutlichen Politikwechsel. In den Krankenhäusern muss eine verbindliche Personalbemessung eingeführt werden, wie sie das Volksbegehren für mehr Krankenhauspersonal fordert. Um den Kita-Notstand zu beenden, braucht es einen verbindlichen Betreuungsschlüssel, und eine für alle bezahlte Erzieher*innenausbildung, wie von ver.di gefordert. Die Schulen müssen saniert und hunderte Lehrkräfte, insbesondere Sonderpädagog*innen zusätzlich ausgebildet und eingestellt werden. Das Etat der Freizis, die zu rekommunalisieren sind, muss um 30% angehoben werden. Vonovia und muss enteignet werden und Leerstand beschlagnahmt werden. Es braucht 5000 kommunale Wohnungen, damit die Mieten endlich sinken. Sanktionen für Leistungsempfänger müssen abgeschafft werden, Strom- und Wassersperren und Zwangsräumungen verboten werden. Die repressive Innenpolitik (Abschiebungen, neues Polizeigesetz) muss beendet werden, stattdessen soll Bremen zur Solidarity City werden, in der Geflüchtete auch ohne Papiere eine sichere Perspektive und Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung haben. Wenn wir unsere Solidarität mit „Fridays for Future“ und den Kampf gegen den Klimawandel ernst meinen, müssen wir auf der Abschaltung der Bremer Kohlekraftwerke mit Ersatzarbeitsplätzen für die Beschäftigten schon im nächsten Jahr bestehen sowie ein massives Investitionsprogramm für erneuerbare Energien aus öffentlicher Hand umsetzen. Der ÖPNV muss schnellstmöglich kostenlos werden, und Maßnahmen für eine weitestgehend autofreie Stadt umgesetzt werden. Die Stahlwerke müssen vergesellschaftet werden, um auf klimaneutrale Produktion umrüsten zu können. Ebenso müssen die Bremer Rüstungsunternehmen vergesellschaftet werden, um eine Rüstungskonversion konkret umsetzen zu können, und Rüstungsexporte über Bremer Häfen gestoppt werden. Auch Stadtwerke und Müllabfuhr müssen rekommunalisiert werden. Für all das muss die Sparpolitik und die sie erzwingende Schuldenbremse bekämpft werden.

Die Durchsetzung dieser Forderungen braucht es mehr als einen guten Koalitionsvertrag und eine bessere Stadtverwaltung. Eine linke Regierung in Bremen wird den Schuldendienst verweigern müssen und Zugriff auf den gesellschaftlichen Reichtum brauchen“Die berühmte „Schnittmenge“ der Wahlprogramme von SPD, GRÜNEN und LINKE, die immer angeführt wird, wenn begründet werden soll, eine „rot-rot-grüne“ Koalition sei möglich, enthält so gut wie nichts von diesen linken Positionen. Selbst die für das linke Selbstbewusstsein wichtige Maßnahme, dass der Verfassungsschutz aufgelöst wird und nicht mehr die LINKE überwachen kann, fällt in Bremen wie überall unter den Tisch. Die Schuldenbremse wird von den LINKEN geschluckt, die in Berlin, Thüringen und anderswo ausprobierte Umgehung der Schuldenbremse durch verschleierte Formen von Privatisierung soll auch für Bremen angewandt werden.

Es bleibt also in der versprochenen Koalition von Bremen nur zweierlei für die LINKE: Erstens ein paar gutbezahlte Pöstchen und zweitens die Illusion, dass es zu späterer Zeit vielleicht mal mehr linke Inhalte geben könnte. Für die Menschen außerhalb der parlamentarischen und berufspolitischen Blase heißt dies übersetzt: Die LINKE soll gefälligst die Klappe halten und keine Forderungen stellen, dafür gibt es dann ein paar Ämter zur Selbstbespiegelung des angeblichen Einflusses auf die große Politik.

Augen zu und durch

Die Bilanz der Beteiligung der LINKEN, ihrer Vorläuferpartei PDS aber auch ungezählter anderer linker Parteien überall in der Welt als Juniorpartnerin an einer bürgerlichen Regierung ist immer die gleiche und immer zerstörerisch:

  • Ein Regierungseintritt der LINKEN ergibt erst dann Sinn, wenn es zuvor eine breite und radikale Bewegung für einen Politikwechsel in der Gesellschaft gibt.
  • Die bürgerliche Regierung mit linker Beteiligung löst gerade nicht eine solche gesellschaftliche Massenbewegung aus, die zur Umsetzung selbst der kurzfristigen Ziele eines echten Politikwechsels nötig wäre, sondern diese politische Aufbruchsbewegung muss zuerst da sein.
  • Im Gegenteil, eine solche Regierungsbeteiligung lähmt ausgerechnet die politische Basis des radikalsten Teils einer solchen Koalition, die LINKE.
  • Es wird eine besonders ausgeprägte Form der Stellvertreterpolitik ausgelöst, bei der selbst halbwegs entwickelte soziale Protestbewegungen entmachtet und solange mit halbgaren Versprechungen vertröstet werden, bis ihre soziale Oppositionskraft im Sand versiegt.
  • Gleichzeitig muss die linke Stellvertreteravantgarde in der Regierung die Verantwortung für die Gesamtheit der Regierungspolitik übernehmen. Die kleine minderheitliche Juniorpartnerin in der Regierung wird so zur Gesamtverantwortlichen erhoben und entsprechend von ihren Anhänger*innen für jede Maßnahme abgestraft.
  • Gibt es keine oder nur eine schwache gesellschaftliche Bewegung für linke Politik, gilt immer die Regel, dass linke Parteien als parlamentarische Opposition in Verbindung mit außerparlamentarischen Protesten immer mehr für die Menschen herausholen werden als es als Juniorpartnerin in der Regierung der Fall sein wird. Und die letzteren „Erfolge“ werden stets noch von Koalitionspartnerinnen für sich beansprucht.

In Berlin (als PDS), Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thüringen ist die Bilanz der Regierungsbeteiligungen der LINKEN eindeutig. Im besten Fall (Thüringen) hat die Regierungsbeteiligung einen politisch lähmenden Status Quo verfestigt. In allen anderen Fällen ist die LINKE mitverantwortlich für schlimme politische Fehlentscheidungen: Braunkohleabbau, Polizeigesetze, Abschiebungspolitik, Abbau öffentlicher Beschäftigung, Einschränkung gewerkschaftlicher Rechte, Privatisierungen – vor allem die Zustimmung der Bundesländer unter linker Regierungsbeteiligung im Bundesrat zur Ermöglichung der Autobahnprivatisierung, in Kopplung mit dem neuen Länderfinanzausgleich, verdeutlicht die Erpressbarkeit von LINKEN in Regierungsverantwortung.

Wir wollen nicht verschweigen, dass die gegenwärtige Regierung in Berlin aus SPD, GRÜNEN und LINKE in zwei Aspekten von dieser Regel bisher abweicht: Erstens hat sie mehr als erwartet eine Haltung eingenommen, die verheerenden Fehler einer ersten Regierungsbeteiligung der LINKEN (damals PDS), nicht zu wiederholen. Ein fast einmaliger Vorgang an Lernfähigkeit bei der LINKEN. Und zweitens und sehr viel wichtiger: Der Zufall wollte es, dass zeitgleich mit der Installierung der Rot-Rot Grün-Regierung in Berlin eine große politische und selbstbewusste Massenbewegung unmittelbare Interessen der Bevölkerung (Enteignung von Deutsche Wohnen und Co, Gesundheitskampagne und Charité-Streiks) aufgreift und dafür mobilisiert. Das ist ein Glücksfall für die LINKE in der Regierung, der weder in Thüringen noch Brandenburg wiederholt wird und auch in Bremen nicht eintreten wird. Aber ohne diese politisierte Stadtgesellschaft sähe auch die Bilanz der Regierung in Berlin (vom Skandal um den linken Staatssekretär Holm beim Bausenat, über die gewaltsame Zerschlagung des linken Wohnkollektivs Friedelstraße 54 bis hin zur Umgehung der Schuldenbremse durch versteckte Privatisierung) nur negativ aus.

Dennoch scheint eine Mehrheit der LINKEN in Bremen entschlossen – angefeuert von namhaften Kräften der LINKEN auf Bundesebene – die nächste schlechte Erfahrung in einer bürgerlichen Regierungskoalition zu machen.

Wir können nur empfehlen: Macht das nicht.

Wie es anders ginge

Dass nun aus verschiedenen Ecken der Partei die Schreihälse laut brüllen, R2G sei auch wieder eine Möglichkeit für den Bund, erzeugt bei uns nur noch Kopfschütteln. Dennoch soll festgehalten werden: Selbst wenn man DIE LINKE gerne in der Regierung sehen wollte, muss das mit einem radikalen politischen Richtungswechsel einhergehen. Aber das erfordert einen mächtigen Druck einer gesellschaftlichen Mehrheit in Form von sozialer Bewegung, den die LINKE auch als Minderheitspartnerin dann in die Regierung verlängern kann. Diese gesellschaftliche Wechselstimmung, die nicht nur eine parlamentarische Unzufriedenheit und Legitimationskrise ist, kann durch nichts ersetzt werden. Sie entsteht und wächst ausschließlich durch eine reale Verankerung einer linken Partei in den Stadtteilen, den Betrieben, Schulen und im gesellschaftlichen Leben.

Druckmacher oder Drückeberger ?

Eine Regierung mit linker Beteiligung braucht unter diesen Voraussetzungen auch nicht gleich die große Revolution durchzuführen. Aber sie muss mindestens politische Leuchtturmprojekte verwirklichen, und dies ziemlich schnell, mit denen ein neues politisches Wirkungsprinzip für eine zukünftige solidarische Gesellschaft in der Praxis vermittelt werden kann. Solche Projekte können zwangsläufig nur in Form von Rebellion gegen das Gewohnte und von den anderen Parteien Erwartete durchgeführt werden. Da sind selbst solch symbolische Maßnahmen wie radikaler Verzicht auf Abschiebungen, Stopp der Tätigkeit des Verfassungsschutzes oder ein rigides Vergaberecht für öffentliche Aufträge schon sehr wirkungsvoll. Selbst – wie sich jetzt gerade zeigt – die Erklärung des Klimanotstandes würde schon politische Realitäten klären. Ausgehend von solchen radikalen Vorzeigemaßnahmen müsste eine linke Regierung dann systematisch die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse auf- und mit dem Ziel der Veränderung zugunsten der Mehrheit angreifen.

Es ist völlig klar, dass die staatstragenden Pappnasen der Bremer GRÜNEN und SPD niemals die Leidenschaft und die Phantasie für ein solches Entgegenstämmen gegen die Normalität des Kapitalismus aufbringen werden. Die LINKE am Gängelband solch lebloser Parteien würde es dann auch nicht schaffen.

Neben dieser gesellschaftlichen Alternative, an der die LINKE arbeiten muss, gibt es auch ein alternatives parlamentarisches Verhalten einer LINKEN-Fraktion. Das sollte nicht mit gesellschaftlichem Politikwechsel verwechselt und nicht durch Schönreden heiliggesprochen werden. Aber es ist ein deutlich dynamischeres parlamentarisches Verhalten einer linken Fraktion:

SPD und Grüne bilden eine Minderheitsregierung, die DIE LINKE duldet. Das müsste eine politische Duldung ohne irgendeinen „Vertrag“ und ohne Versprechen sein. Die LINKE macht ihre Vorschläge zur politischen Veränderung und die SPD und GRÜNEN machen ihre – sollten sie deckungsgleich oder zumindest kombinierbar sein, dann gibt es Zustimmung der LINKEN – dies ist im Übrigen eine Selbstverständlichkeit: wenn es in die richtige Richtung geht, stimmt die Linkspartei zu, was auch sonst? Für alle anderen Dinge müsste sich die Minderheitsregierung die Mehrheit bei den Rechten suchen. Eine solche Minderheitsregierung wäre anfänglich instabil und vielleicht gäbe es schnell Neuwahlen, aber die LINKE hätte die Chance, ihre Einzelvorschläge nicht nur für das Parlamentsarchiv zu machen. Auch das Schreckgespenst der Drohung mit einer CDU-Regierung, mit dem die Sozialdemokratie immer wieder gerne ihre eigenen Untaten verschleiert, wäre damit leicht zu verjagen.

Eine Minderheitsregierung hätte zusätzlich den Charme, dass die Rolle des Parlaments deutlich aufgewertet werden würde. Das wäre für all die auf den Parlamentarismus fixierten Parteien – von denen die LINKE eine der am meisten Vernarrten ist – ein echter Glücksfall, von dem auch die eine oder andere echte soziale Bewegung profitieren könnte. Als zusätzliche Maßnahme müsste dann auch der anachronistische Fraktionszwang im Parlamentsbetrieb aufgehoben werden.

Der Preis für eine solche Politik der LINKEN wäre der Verzicht auf lukrative Ämter und Posten. Den sollte eine Partei mit linkem, antikapitalistischem Programm und die Verhältnisse aufmischenden Zielen aber mit großer Bereitschaft zu zahlen bereit sein.

Dieser Text erschien zuerst in der „Freiheitsliebe

akl - Antikapitalistische Linke

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Grafikquellen      :

Oben         —     Dietmar Bartsch auf der Wahlparty der LINKEN zur Bundestagswahl 2017 in der Arena Berlin

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Schland nach den Wahlen

Erstellt von DL-Redaktion am 1. Juni 2019

Anfang vom Ende der GroKo –
Hört DIE LINKE die Signale?

Quelle      :       AKL

Von Sascha Staničić

Die Ergebnisse der Europawahlen, sowie der Bremer Bürgerschafts- und diverser Kommunalwahlen vom 26. Mai wirbeln die bundesdeutsche Parteienlandschaft weiter durcheinander und werden die politische Instabilität vergrößern. DIE LINKE ist unfähig, die gesellschaftliche Polarisierung in Wahlunterstützung umzuwandeln und überlässt den Grünen das Feld, sich links von SPD und CDU/CSU zu profilieren.

CDU und SPD haben einmal mehr einen dramatischen Stimmeneinbruch erlitten. Insbesondere die SPD ist abgeschmiert und hat auch bei den Bremer Bürgerschaftswahlen erstmals weniger Stimmen als die CDU eingefahren. Das stellt nicht nur die Zukunft von Andrea Nahles als Partei- und Fraktionsvorsitzende in Frage. Auch der Weiterbestand der Großen Koalition über den Herbst hinaus ist nun alles andere als sicher. Es ist wahrscheinlich, dass die im Herbst anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland zum nächsten und entscheidenden Sargnagel für die GroKo werden können.

Die AfD wurde bei den Europawahlen in Sachsen und Brandenburg stärkste und in Thüringen zweitstärkste Partei, obwohl sie bundesweit unter ihren Erwartungen landete. Es ist klar, dass CDU/CSU und SPD ihre Basis in der Bevölkerung immer mehr verlieren und vor allem für die Sozialdemokrat*innen eine Fortsetzung der Koalition ein politisches Selbstmordkommando ist.

Klima und Grüne

Hintergrund für das Wahlergebnis sind auch die Massenbewegungen der letzten zwei Jahre gegen Rechts, staatliche Repression und den Klimawandel. Der Klimawandel war in Meinungsumfragen das wichtigste Thema für die Wählerinnen und Wähler. Die massiven Friday For Future-Jugendproteste und die Popularität des Rezo-Videos symbolisieren die Abkehr der Jugend von den traditionellen etablierten Parteien.

Vor diesem Hintergrund konnten die Grünen Wahlsiegerin werden und erstmals bei einer bundesweiten Wahl den zweiten Platz belegen. Das ist insofern absurd, als dass die Partei in vielen Landesregierung mitverantwortlich für die herrschende Politik ist. Aber da sie schon seit vielen Jahren auf Bundesebene nicht in Regierungsverantwortung ist und sich als Kraft gegen Rechtspopulismus und Klimawandel präsentiert, wirkt sie auf viele als glaubwürdige Alternative. Das hat dazu geführt, dass sie bei allen Wähler*innen unter sechzig Jahren zur stärksten Kraft wurde. Dass die Satirepartei „DIE PARTEI“ mit drei Abgeordneten ins Europaparlament einziehen kann und drittstärkste Kraft unter Erstwähler*innen geworden ist, ist ein Hinweis darauf, wie weit die Entfremdung vom Establishment unter großen Teilen der Jugend geht. Und auch wenn jetzt auf allen Kanälen über die hohe Wahlbeteiligung jubiliert wird, sollte nicht vergessen werden, dass immer noch vierzig Prozent der Wähler*innen nicht an die Urne gegangen sind.

DIE LINKE

File:KAS-Weimarer Koalition-Bild-15733-1.jpg

Wie wir vorausgesagt haben, hat sich DIE LINKE zwischen alle Stühle gesetzt und hat es geschafft nach einer Phase linker Massenmobilisierungen von Hunderttausenden und nicht wenigen Streiks um bessere Personalausstattung, Lohnerhöhungen und Arbeiter*innenrechte fast zwei Prozent des Stimmenanteils zu verlieren. Warum? In ihrer Positionierung zur EU versuchte sie niemandem auf die Füße zu treten und hat nicht klar erklärt, dass die EU ein neoliberales, undemokratisches und militaristisches Staatenbündnis im Interesse der Kapitalistenklassen ist. Das Schlechteste für eine Partei ist, wenn man in zentralen Fragen nicht weiß, woran man bei ihr ist. Auch wenn in der Mehrheit der Bevölkerung zur Zeit, vor allem aus Sorge vor einem Erstarken von Nationalismus und Rechtspopulismus, eher eine Pro-EU-Stimmung herrscht, hätte die Partei eine klare Haltung einnehmen sollen und diese mit deutlichen Forderungen verbinden sollen. Damit hätte sie sowohl vielen erklären können, dass die EU kein Bollwerk gegen Rechts ist als auch diejenigen besser erreichen können, die aus Guten Gründen EU-kritisch sind. Die Auseinandersetzungen mit Sahra Wagenknecht und deren Positionen zum Thema Migration haben in einer Schicht von antirassistisch eingestellten Menschen die Skepsis gegenüber der LINKEN wachsen lassen und beim Thema Klimaschutz gelingt es ihr nicht, sich deutlich von den Grünen abzuheben.

Bremen

In Bremen konnte DIE LINKE zulegen und vieles spricht dafür, dass es dort zum ersten rot-rot-grünen Regierungsbündnis in einem westdeutschen Bundesland kommt. Und das in einem Stadtstaat, in dem die SPD-Vorsitzende einen rigiden Sparkurs ankündigt. Die LINKE-Vorsitzende Katja Kipping nutzt das, um eine solche Regierungskoalition auch auf Bundesebene zu propagieren. Sie verkennt, dass DIE LINKE bei den Europawahlen in allen Bundesländern, in denen sie regiert oder einmal regiert hat, Stimmen verloren hat. Warum? Weil sie in Koalitionen mit den prokapitalistischen Parteien SPD und Grünen den Ansprüchen an linke Politik im Interesse der Arbeiter*innenklasse nicht gerecht werden kann. Das bedeutet auch für die Bremer LINKE: wenn sie diesen Kurs einschlägt, anstatt auf sozialistische Oppositionspolitik zu setzen, wird sie die gewachsene Unterstützung auf der Wahlebene wieder verlieren und viele aktive Mitglieder, die die Gesellschaft wirklich verändern wollen, in die Frustration treiben. Das bedeutet nicht, tatenlos zuzuschauen, wie Bremen eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP bekommt. DIE LINKE sollte SPD und Grünen anbieten, ihr in die Regierung zu helfen, aber dann eine Politik der parlamentarischen Einzelfallentscheidung betreiben. Gesetzesentwürfen, die die Situation für die Arbeiter*innenklasse verbessern kann sie zustimmen, alles andere sollte sie ablehnen und gegen soziale Verschlechterungen den Proteste auf der Straße und in den Betrieben unterstützen und aufbauen – ohne sich durch Beitritt in die Koalition oder einen Tolerierungsvertrag einer rot-grünen Regierung zu verpflichten.

akl - Antikapitalistische Linke

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Grafikquellen        :

Oben         —         Unterzeichnung des Koalitionsvertrags am 12. März 2018 in Berlin.

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Unten     —          Turm mit schwarz-rot-goldener Fahne vor aufgehender Sonne – davor Deutscher Michel mit rotverbundenen Augen (Grafik)

This file was provided to Wikimedia Commons by the Konrad-Adenauer-Stiftung, a German political foundation, as part of a cooperation project.

KAS/ACDP 10-043 : 10 CC-BY-SA 3.0 DE

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Linke und Europawahl 2019:

Erstellt von DL-Redaktion am 28. Mai 2019

Die Niederlage der Volkspartei der Herzen…

Die Linke Weltpremiere Der junge Karl Marx Berlinale 2017.jpg

Der Klassenunterschied mit einen Blick: Die Kümmerer ?

Die Linke gehört zu den Verlierern der Europawahl. Als einzige im Bundestag vertretene Oppositionsparteien verliert sie an Wählerzustimmung. Ein Kunststück möchte mensch meinen. Allein Sahra Wagenknecht trifft keine Schuld. Die Probleme liegen tiefer. Viel tiefer…

Spät in der Nacht wurde klar: Auch Bremen kann kein wirkliches Trostpflaster für die Linke Seele sein. Zwar hat die Partei Die Linke dort ein beachtliches Ergebnis bei den Bürgerschaftswahlen erzielt. Vor dem Hintergrund einst deutlich besserer Umfrage- und Prognosewerte und dem äußerst schwachen Abschneiden der Sozialdemokratie im nördlichen Stadtstaat, blieb aber auch das Ergebnis in Bremen hinter den Erwartungen zurück.

 

Schade. Ein Trostpflaster hätten die Genossen am Sonntag wirklich nötig gehabt. Nicht nur das an der Fünf-Prozent-Schwelle tendierende Bundesergebnis zur Europawahl  lässt erahnen, dass die Partei irgendwann doch wieder über existentiellere Nöte nachdenken muss. Schlimmer noch sind die Ergebnisse in den östlichen Bundesländern. Dort ersetzt die rechtsnationale AfD die Partei des DDR-Erbes in weiten Teilen als Antisystempartei. Der Schrecken vor den kommenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen ist den Parteigranden am Wahlabend daher körperlich anzumerken. In Sachsen wird nur noch ein knapp zweistelliges Ergebnis erzielt (11,7 Prozent). Die AfD distanziert die Genossen mit 25,3 Prozent.

Die Linke als Wahlverlierer neben CDU und SPD. Das darf trotzdem nicht sein. Schnellanalysten wie Gysi und Riexinger bemühen sich die Wunden zu lecken. Die Partei fremdelte schon immer mit Europawahlen bilanzierte Riexinger. Gysi wusste die Niederlage der Linken umgehend mit der Klimafrage zu begründen. Solche Wahlabendlyrik ist bekannt und ähnelt den Manövern von Verantwortlichen bürgerlicher Parteien: Kein Grund zur Sorge, kein strukturelles Problem, allein eine Strategiefrage. Bei der nächsten Wahl gibt es halt eine neue Strategie mit demselben Personal und dann wird alles gut.

Jegliche Form von Nomenklatur hält sich so an der Macht. Ob in der SPD oder in der Linken. Die Dekonstruktion der „Parteien der sozialen Frage“ als maßgeblichen Machtfaktor im Konzert mit den bürgerlichen Parteien, wird als Strategie- oder Zeitgeistfrage abgetan. Dies erspart die Debatte um Zäsuren. Vor allen Dingen die Debatte, ob nicht die gesamte politische Klasse einer Partei vom Haus und Hof verjagt gehört, um einen Neuanfang in der Linken zu ermöglichen.

Von der Bewegung sozialen Widertandes in den Zustand einer dahindämmernden Parlamentspartei überführt

Quelle         :      Potemkin          >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben     —          Zwei Welten auf einen Foto

Vertreter der Partei Die Linke bei der Weltpremiere von Der junge Karl Marx bei der Berlinale 2017: v.l.n.r. Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Katja Kipping, Petra Pau und Kristian Ronneburg

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Nachfolge ungeklärt

Erstellt von DL-Redaktion am 30. Januar 2019

Im Studium wurden Abtreibungen nicht gelehrt

6439 Berlin.JPG

Gebäude des Berliner Charite Medical Campus

von Hanna Voß

Frauen, die ungewollt schwanger sind, finden in Deutschland immer seltener Ärzte, die Abtreibungen durchführen. Eine Ärztin aus Bremen will das ändern. Aber das ist gar nicht so einfach.

Noch zwei Monate wird er es machen. Dann hört er auf, nach mehr als 30 Jahren. Als einziger Arzt der Stadt, der abtreibt. Bis jetzt hat Wolfgang Burkart, 68, niemanden in Münster gefunden, der ihm nachfolgt. An einem Sonntag im April lässt er sich in seinem Büro schnaufend in den Schreibtischstuhl fallen. „Tja“, sagt Burkart und schiebt seinen Körper an den Schreibtisch heran, „will sich eben niemand die Finger schmutzig machen.“

Auch er selbst lange nicht. „Bin da reingeschlittert, nech.“ Burkart schiebt dieses Füllwort, wie so oft, nach. Eine seiner früheren Hebammen war schwanger geworden, ungewollt. Burkart gab ihr eine Adresse, wollte sie zu dem Arzt in Dortmund schicken, zu dem er Patientinnen immer schickte. „Da hat sie sich an die Stirn getippt, gesagt, Burkart, du spinnst wohl, du bist mein Arzt, du operierst, und ich weiß, dass du das kannst.“ Burkarts Augen suchen etwas, an dem sie sich festhalten können, bis sie eine Packung Taschentücher finden. „Und da hatte sie natürlich komplett recht.“

1981 sah er noch eine Frau sterben, die sich Seifenlauge in die Gebärmutter gespritzt hatte. „Ist von innen verblutet“, knurrt er. Und dann: „Es war für mich ein Prozess, zu begreifen, Schwangerschaftsabbrüche wird es immer geben.“

Doch immer weniger Ärztinnen und Ärzte in Deutschland führen sie durch. Wie das Statistische Bundesamt auf taz-Anfrage mitteilt, ist die Zahl in den vergangenen 15 Jahren um mehr als 40 Prozent gesunken. 2003 waren es noch 2.050 Einrichtungen, die dem Statistischen Bundesamt Abbrüche gemeldet haben, im dritten Quartal 2018 nur noch 1.173.

File:Bundesarchiv Bild 183-M1008-0003, Berlin, Charité, Frauenklinik, Operation.jpg

In Trier müssen ungewollt Schwangere mehr als 100 Kilometer bis ins Saarland fahren, um eine Abtreibung zu be­kommen. Im hessischen Fulda führt seit Jahren niemand Schwangerschaftsabbrüche durch, auch hier fahren die Frauen 80 bis 100 Kilometer weit. In Niedersachsen sind es je nach Region bis zu 150 Kilometer. In länd­lichen und katholischen Gegenden, in Niederbayern etwa, ist die Lage noch dramatischer.

Seit Jahren weisen die Schwangerschaftskonfliktbera­tungsstellen ihre Landesregierungen und Gesundheitsministerien auf diesen Mangel hin. Die jedoch reagieren meist nicht einmal. Dabei müssen die Länder nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz ein ausreichendes Angebot an Praxen und Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche sicherstellen.

Einige Ärzt*innen übernehmen Abtreibungen nur für ihre eigenen Patientinnen. Andere machen ausschließlich medikamentöse Abbrüche, die nur bis zur 9. Woche nach dem Beginn der letzten Regel möglich sind. Wieder andere weigern sich, operative Abtreibungen bis zur 12. Woche vorzunehmen. Dadurch sinkt die Zahl der infrage kommenden Ärzt*innen weiter, und die Frauen erhalten ihren Termin, wenn überhaupt, immer später.

Warum ist das so, was sind die Geschichten hinter den Zahlen?

„Es will sich niemand die Finger schmutzig machen, nech?“, hatte Burkart gesagt. Man müsse damit in Berührung kommen, sonst fange man nicht an. So wie er selbst wegen seiner Hebamme. Danach hat er auch Abtreibungen für seine eigenen Patientinnen gemacht. Und schließlich hätten Kollegen ihre betroffenen Frauen zu ihm, zum Burkart, geschickt. „Plötzlich hatte ich nicht mehr drei und sieben Abbrüche im Quartal, sondern 140.“

Früher gab es mehrere wie ihn: Ärzte, die „reingeschlittert“ sind, die es einfach gemacht haben. Aus Pragmatismus, ohne sich politisch zu positionieren. Und es gab die anderen, die Idea­listen, die es machen wollten. Wie die Gießener Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel, die berühmt wurde, weil sie auf ihrer Website darüber informiert, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt, und deshalb zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt wurde. Verurteilt nach Paragraf 219a, der Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch verbietet, aber auch dann greift, wenn Ärzt*innen nur sachlich über ihr Angebot informieren.

Auch der Schwangerschaftsabbruch an sich ist nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs noch immer illegal und kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden. Er bleibt jedoch straffrei, wenn ungewollt Schwangere sich haben beraten und drei Tage Bedenkzeit haben verstreichen lassen und wenn der Abbruch in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis von einem Arzt vorgenommen wird.

„Man spürt regelrecht, wie die Politik sich gewunden hat. Wie sie nicht zugeben konnte, dass es den Schwangerschaftsabbruch braucht. Das Verbot sollte unbedingt im Gesetz stehen.“ Was aus Burkarts Mund in den weißen Schnauzbart hineinplätschert, ist nicht immer einfach zu verstehen. „Es wäre viel klüger gewesen, zu sagen, der gewollte und von einem Doktor vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist bis zur 14. Woche erlaubt, und alle anderen Fälle sind verboten. Er wäre legalisiert, eine Frau bräuchte sich nicht zu schämen, und ein Doktor müsste keine Angst vorm Gefängnis haben.“

Zwar steigt die absolute Zahl von Ärzt*innen in Deutschland immerfort, gleichzeitig nimmt in einer Gesellschaft des langen Lebens aber auch der Behandlungsbedarf zu. Insgesamt gibt es zu wenige Mediziner*innen. Wenn die Ärzt*innen aus der Babyboomergeneration nach und nach in Rente gehen, verschärft sich dieser Mangel noch. Nach Ansicht des Marburger Bunds, dem Verband der angestellten Ärzte, setzt sich ein weiterer Trend fort: Ärzt*innen lassen sich immer seltener nieder, sondern arbeiten als Angestellte in Kliniken, großen Praxen und medizinischen Versorgungszentren. Dort entscheidet dann der Chefarzt, ob abgetrieben wird oder nicht.

Früher lohnte sich der Schwangerschaftsabbruch zumindest finanziell noch einigermaßen. Als Burkart anfing, bekam er für einen Abbruch 360 D-Mark, heute sind es noch 112 Euro. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an das ambulante Operieren und die Kosten enorm. Abgesehen davon aber hat sich noch etwas verändert, sagt Burkart. Er spricht vom „moralischen Zeigefinger der Gesellschaft“, und die Schnauzbarthaare flattern in der Atemluft, die er dabei ausstößt, wie eine Girlande im Wind. „100 Prozent der Frauen, die zu mir kommen, haben Vorurteile und Schuldgefühle. Sie glauben, danach nicht mehr schwanger werden zu können, sie schämen sich, dass ihnen ‚so etwas‘ passiert ist.“ Burkart schüttelt den Kopf. „Ich habe alle Frauen dabei, von 12 bis 54, von religiös bis atheistisch, von unverheiratet bis 5-fach-Mutter, und sie kommen alle mit den gleichen Vorbehalten.“ Im Juni wird Burkart aufhören. Und weiß nicht, wie es für ungewollt Schwangere in Münster weitergeht.

An einem heißen Tag Ende August zieht Svenja Addicks ihre Knie zu sich heran, stellt die nackten Füße auf den Sessel, sagt: „Morgen lerne ich Wolfgang Burkart kennen.“ Sie sitzt in dem Zimmer einer Mitbewohnerin, das gerade frei ist, so etwas passiert in einer 9er-WG. Svenja Addicks ist nicht der wirkliche Name der jungen Frau in dieser Geschichte. Addicks hat lange mit sich gerungen, dann aber entschieden, dass ihr richtiger Name nicht erwähnt werden soll, der taz ist er aber bekannt. Sie rechnet mit Anfeindungen, mit Hass, der ihre sonstige politische Arbeit beeinträchtigen würde.

Denn Svenja Addicks, 29, ist Ärztin – und will Abtreibungen machen. Die Not ist groß, nicht nur in Münster, sondern auch in Bremen, wo sie wohnt. Dort betreibt Pro Familia eines von vier medizinischen Zentren in Deutschland. 80 Prozent aller Abtreibungen in Bremen werden dort durchgeführt. Jahrzehntelang arbeitete das Zentrum mit Ärzten aus den Niederlanden zusammen. Doch auch die bleiben mittlerweile lieber dort, weil das gesellschaftliche Klima besser ist und die Bezahlung auch. Als sie niemanden für das Bremer Zentrum fanden, schrieb die Geschäftsführerin von Pro Familia mehr als 700 Ärzt*innen an, keiner von ihnen antwortete darauf. Sie schrieb auch an den Verteiler der „Kritischen Mediziner*innen“. Und diese Mail las Svenja Addicks.

Wenige Wochen zuvor hatte Addicks eine Veranstaltung der Gruppe in Frankfurt besucht und dort Kristina Hänel reden gehört. „Sie hat von der Unterversorgung in Deutschland gesprochen, auf uns eingewirkt, es zu lernen, Tutor*innen zu suchen, die es uns beibringen“, erzählt Addicks. Als die Mail von Pro Familia bei ihr einging, schrieb sie zurück.

„Und jetzt gibt es einen Plan“, sagt sie. Zwei Ärzte bilden Addicks aus. Sie überbrücken so den schlimmsten Versorgungsengpass in Bremen und bringen gleichzeitig einer jungen Ärztin bei, wie es geht. Einer der Ärzte ist Wolfgang Burkart aus Münster. Er ist mittlerweile Rentner, zweimal in der Woche fährt er die 170 Kilometer bis nach Bremen, um dort Nachwuchsarbeit zu machen. Bei ihm in Münster hat sich noch niemand gefunden, der Abtreibungen durchführt. Der andere Arzt, der Addicks ausbildet, ist Dirk Boumann, ein Holländer, der jahrzehntelang im Bremer Zentrum gearbeitet hat und auch aus der Rente zurückkehrte. Ohne die beiden hätte der Betrieb dort eingestellt werden müssen.

Addicks will den Abortion Doctor machen; hat sich die Ausbildung, die es in dieser Form nur in den Niederlanden gibt, selbst organisiert. Ein standardisierter OP-Katalog sieht vor, wie viele Eingriffe ein Abtreibungsarzt in welchen Schwangerschaftswochen durchgeführt haben muss, bevor er schließlich eine Prüfung ablegt. Zwei Tage die Woche ist Addicks nun im Bremer Zentrum tätig, macht bis zu 15 Abtreibungen am Tag.

Ab 2009 studierte Addicks in Lübeck Medizin. „Da war der Schwangerschaftsabbruch praktisch kein Thema.“ Mal eine Folie zur rechtlichen Situation, mehr nicht. „Das ist doch verrückt, ich studiere Medizin und nicht Jura.“ Will sie sich über die medizinischen Methoden informieren, geht das nicht auf Deutsch: „Es existieren überhaupt keine medizinischen Leitlinien zum Schwangerschaftsabbruch. Normalerweise gibt es Vorgaben für jeden Eingriff, nur dafür nicht.“ Bereits 2014 hatte Pro Familia das in einem Rundbrief kritisiert. Addicks ist überzeugt: „Das hängt damit zusammen, dass der Schwangerschaftsabbruch illegal ist. Das schränkt die Forschung ein, die Ausbildung, die Weiterbildung.“

Deutsche Mediziner*innen müssen auf englischsprachige Leitlinien gynäkologischer Fach­gesellschaften und der WHO zurückgreifen, die aber nicht alle vollständig übertragbar sind. Sogar in der gynäkologischen Weiterbildung hat der Schwangerschaftsabbruch nur wenig Platz. Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch etwa wird in allen 17 Weiterbildungsinhalten der Landesärztekammern nicht erwähnt. Wie die Vakuumaspiration, die Absaugmethode. „Die holländischen Ärzte bekommen deshalb regelmäßig die Krise“, sagt Svenja Addicks. Seit den 1980er Jahren geht aus englischsprachiger Literatur hervor, dass die Absaugmethode die für die Gebärmutter wesentlich schonendere Variante ist. „In Deutschland ist sie immer noch nicht der offizielle Standard.“ Stattdessen wird bei knapp 15 Prozent der Abbrüche noch immer ausgeschabt.

Quelle      TAZ      >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben      —         Buildings at the Charite medical campus

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2.) von Oben     —        Berlin, Charité, Frauenklinik, Operation

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Flag of Germany.svg
Attribution: Bundesarchiv, Bild 183-M1008-0003 / CC-BY-SA 3.0

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3.)    von Oben —     Marsch für das Leben 2012 in Berlin

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KOLUMNE – MACHT

Erstellt von DL-Redaktion am 29. September 2018

Jutta Cordt ist nicht Maaßen – ihr Pech

File:Maischberger - 2016-12-14-7439.jpg

Von Bettina Gaus

Lange hieß es, es habe im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Skandal gegeben. Dann entließ Innenminister Seehofer Behördenchefin Jutta Cordt. Nun steht fest: Der Skandal war keiner. Und Frau Cordt?

Dass über vermeintliche Skandale mit größeren Schlagzeilen berichtet wird als über eine spätere Erkenntnis, es sei doch alles nur halb so wild gewesen, ist nicht neu. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass oft Menschen unter dieser Praxis zu leiden haben, für die sich kaum noch jemand interessiert, wenn sich die allgemeine Aufregung erst einmal gelegt hat. Pech für Jutta Cordt. Sie ist ein Opfer politischer Querelen und Rücksichtnahmen – ihr ist also genau das passiert, was einer Berufsbeamtin eigentlich nicht widerfahren sollte.

Oder haben Sie von Solidaritätskundgebungen für die ehemalige Leiterin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gehört? Von einer Koalitionskrise, die mit ihr in Zusammenhang steht? Von Sondersitzungen in Parteizentralen? Sie haben davon nichts gehört? Kein Wunder. Es hat sie nicht gegeben. Es wird sie nicht geben.

Nur Trottel aus der Politik geben falsche Zeugnisse ab, wider ihren Nächsten ?

Im Juni wurde Jutta Cordt wegen der sogenannten Bamf-Affäre entlassen. Einen „handfesten und schlimmen Skandal“ hatte Innenminister Horst Seehofer die Angelegenheit seinerzeit genannt. Von systematischem, bandenmäßigem, hochkriminellem Betrug in der Bremer Außenstelle der Behörde war die Rede, Tausenden von Asylbewerbern sei zu Unrecht ein Schutzstatus gewährt worden.

Übrig geblieben ist von diesen Vorwürfen fast nichts. Mehr als 18.000 Fälle wurden überprüft – in 165 Fällen gab es tatsächlich grobe Verstöße. Also in 0,9 Prozent. Wenn die Fehlerquote in allen Behörden so gering wäre, das Leben wäre einfach.

Auf Zeit Online erschien vor gut zwei Wochen ein Kommentar mit der Überschrift „Horst Seehofers doppelter Maßstab“. Treffend. Der Innenminister sprach im Zusammenhang mit den – erwiesenen – Vorwürfen gegen den amtierenden Präsidenten des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen von seiner „Fürsorgepflicht“ gegenüber einem leitenden Beamten. Deshalb wollte er ihn ursprünglich auch befördern und hat dann zumindest durchgesetzt, dass ihm aus seinem Verhalten keine Nachteile erwachsen.

Quelle    :     TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Oben    —

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Unten   —        Am 9. November2011 im Bayerischen Landtag

 

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Sie sind gut angekommen

Erstellt von DL-Redaktion am 19. Juli 2018

Flüchtlinge kamen auf den Arbeitsmarkt an

File:2014-10-03 Tag der Deutschen Einheit, (107) Luftballons vom Freundeskreis Hannover für Angela Merkel und Joachim Gauck,, (01).jpg

Von Esther Sievogt

Ali Alkateep arbeitet an einem Roboter. Ajabnoor Khan will Abitur machen. Wie eine Bremer Initiative aus jugendlichen Flücht-lingen die Mechatro-niker von morgen macht.

Die Atmosphäre ist konzentriert. Drei junge Männer, halbe Kinder eigentlich noch, brüten vor Rechnern über Programmiercodes, die gleichzeitig von einem Beamer an die Wand geworfen werden. Ein Mann, der fast ihr Großvater sein könnte, leitet sie an, erklärt, rechnet und ermutigt zum Selberrechnen. Dabei schaut Gerd Urban, so sein Name, immer wieder hellwach und prüfend über die Ränder seiner Brille ins Rund.

Im Nachbarraum löten drei weitere junge Männer unter überdimensionierten Lupen Leiterplatten, sogenannte Platinen, auf die später die Software gespielt werden soll. Der Ausbilder mit weißem Vollbart, Nickelbrille und orangefarbener Fleecejacke wirkt auf den ersten Blick eher wie ein freundlicher Gärtner als der hochqualifizierte Raumfahrtingenieur, der er ist: Heinrich Fischer, der hier Bremer Berufsschülern im Rahmen eines Betriebspraktikums Grundlagen von Robotik und Mechatronik nahebringt, ist ebenso wie sein Kollege Urban nebenan Raumfahrtingenieur bei der Bremer Niederlassung des europäischen Technologiekonzerns Airbus Space & Defense.

Gemeinsam waren Urban und Fischer seit den 1990er Jahren an diversen europäischen Raumfahrtprojekten beteiligt: am Zentralcomputer der internationalen Raumstation ISS – wo sich gerade der deutsche Astronaut Alexander Gerst aufhält –, am Trägerraketenprogramm „Ariane“ und zuletzt bei der Entwicklung des Servicemoduls für die Raumstation „Orion“, die 2019 ins All aufbrechen soll. Jetzt steht Urban kurz vor dem Ruhestand, den sein Kollege Fischer bereits angetreten hat.

An einer der Werkbänke in der kleinen Werkstatt in der Bremer Neustadt sitzt an diesem Vormittag auch George Okoro und versucht sich am Löten von Leiterplatten. Okoro ist ein Pastor aus Nigeria, der in Bremen eine afrikanische Gemeinde betreut. Darüber hinaus arbeitet er schon lange als Integrationslotse bei SOS-Kinderdorf und hat sich hier immer wieder für unbegleitete minderjährige Geflüchtete engagiert – gemeinsam mit seinem Mentor, dem Bremer Pastor im Ruhestand, Hans-Günter Sanders, der an diesem Vormittag ebenfalls in der kleinen Werkstatt vorbeischaut.

Und damit wäre der Großteil der Bremer Protagonisten der Geschichte genannt, die hier erzählt werden soll: die Geschichte eines ebenso innovativen wie beispielhaften Bremer Integrationsprojekts für minderjährige unbegleitete Geflüchtete, für das sich drei ausgesprochen unterschiedliche Player zusammengetan haben: SOS-Kinderdorf Bremen, Airbus und das Berufsschulzentrum Bremen Neustadt, zu dessen Schülern auch die jugendlichen Praktikanten hier gehören: Das sind Mohammad Al Abdullah, Alireza Akbarian, Ali Alkateeb, Mohammad Jawadi, Mohamed Hassan und Hamidreza Hosseini, sechs von insgesamt zwanzig Schülern einer speziellen Berufsschulklasse für Geflüchtete mit Sprachförderung und Technologieschwerpunkt, die von Airbus gefördert wird. Die anderen Schüler der Klasse wurden für ihre Betriebspraktika auf weitere Bremer Technologieunternehmen verteilt, das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz zum Beispiel.

Die Geschichte dieses Projekts, das Integrations- und Industriepolitik auf exemplarische Weise zusammenbringt, beginnt im Sommer 2015: damals, als sehr viele Menschen in diesem Land die Bilder von den Hunderten anderen Menschen nicht mehr ertragen können, die täglich auf der Flucht vor Not und Krieg im Mittelmeer ertrinken; in jenem Sommer, als Angela Merkel schließlich den berühmten Satz sagt, aus dem man ihr seitdem einen Strick zu drehen versucht: „Wir schaffen das!“

Mohammad Al Abdullah zum Beispiel bricht in diesen Tagen fünfzehnjährig aus seiner syrischen Heimatstadt Hama auf, Eltern und jüngere Geschwister zurücklassend, um über die Türkei und die Balkanroute nach wochenlangem Fußmarsch schließlich in Bremen anzukommen. Oder Alireza Akbarian, der – ebenfalls allein – aus dem Iran, wohin seine Familie vor der Gewalt in Afghanistan geflohen war, nach Europa geschickt wird.

In diesem Sommer 2015 werden die unbegleiteten Teenager zu Hunderten in Zelten auf dem Bremer Stadtwerder oder in Turnhallen untergebracht. Zwei ehrenamtliche „Integrationslotsen“ vom SOS-Kinderdorf Bremen – Hans-Günter ­Sanders und sein jüngerer nigerianischer ­Kollege George Okoro – machen sich auf, um sich in dieser Ausnahmesituation einen Überblick über Hilfsmöglichkeiten zu verschaffen. Und sie kommen immer wieder. Einmal mit einem Friseur, der als vertrauensbildende Maßnahme den jungen Männern hippe Haarschnitte verpasst. Ein anderes Mal haben sie Fahrräder dabei und bringen den jungen Männern das Radfahren bei, oder sie organisieren Gesprächsrunden, in denen die Jugendlichen von ihren Familien, Kriegs- oder Flucht­erfahrungen und auch von ihren Hoffnungen erzählen können.

Quelle     :       TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquelle     :

Am Tag der Deutschen Einheit, der schon am Vortag des 3. Oktobers 2014 in Hannover mit einem großen Fest unter dem Motto „Einheit in Vielheit“ im Maschpark hinter dem Neuen Rathaus der niedersächischen Landeshauptstadt und am Maschsee vorab gefeiert wurde, überbrachten Gil Maria Koebberling vom Freundeskreis Hannover und Fred Jaugstetter vom hannoverschen Verein Mentor – Die Leselernhelfer der Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Bundespräsidenten Joachim Gauck einen bunten „Strauß“ Luftballons mit den Aufschriften „Willkommen in der EXPO-Stadt Hannover“ und „Wir lieben Hannover“ …
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Author Fred Jaugstetter
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Aus den Linken LV Bremen

Erstellt von DL-Redaktion am 8. Juni 2018

Verankerung in den Stadtteilen stärkt DIE LINKE

DIE LINKE Bundesparteitag 10. Mai 2014-2.jpg

Quelle :   AKL

Interview mit Sebastian Rave von der Bremer LINKEN

DIE LINKE in Bremen liegt in Umfragen bei über 15 Prozent. Macht Ihr in Bremen etwas anders als andere Landesverbände?

Es ist eine ganze Reihe von Faktoren, die DIE LINKE in Bremen stark macht: Ein linke Tradition in der Stadt, gute Oppositionsarbeit seit elf Jahren, vor allem aber mittlerweile eine gute Verankerung in den Stadtteilen. Jede Woche finden irgendwo Veranstaltungen statt, überall sieht man Plakate der LINKEN, auch außerhalb des Wahlkampfs. Diese Präsenz macht wirklich einen Unterschied aus.

Was bedeutet diese starke Position für die nächsten Bürgerschaftswahlen. Wird Bremen das erste westdeutsche Bundesland mit einer LINKE-Regierungsbeteiligung?

Die große Regierungseuphorie ist bisher nicht ausgebrochen. Auf dem letzten Landesparteitag wurde zwar abgelehnt, nochmal eine Landesmitgliederversammlung zu dem Thema zu machen, die kritischen Stimmen mehren sich aber mittlerweile. Auch die LINKE-Fraktionsvorsitzende Kristina Vogt, die zum Teil schon als zukünftige Bildungssenatorin gehandelt wurde, warnt vor Illusionen in Rot-Rot-Grün. Niemand hier will das Elend einfach weiter verwalten. Die Beschlusslage ist, dass DIE LINKE in Bremen zur Regierung nur bereit ist, wenn es dafür einen Politikwechsel gibt. Wie genau der aussehen muss, wird in den nächsten Monaten verhandelt werden. Ich hoffe, dass sich die Einsicht durchsetzt, dass sich wirkliche Veränderungen nur gegen SPD und Grüne erkämpfen lassen. Da aber auch niemand ein Interesse an einer CDU-Regierung hat, sollte DIE LINKE meiner Meinung nach eine rot-grüne Minderheitsregierung ins Amt bringen und dann eine Politik der Einzelfallentscheidungen in der Bürgerschaft verfolgen, also Zustimmung zu allen Gesetzen, die die Lage der Menschen verbessern. Wenn SPD und Grüne sich nicht darauf einlassen, müssen sie die Verschlechterungen eben mit der CDU durchsetzen. Die Hauptsache ist, dass wir weiter außerparlamentarisch und in den Stadtteilen aktiv bleiben.

Gerade ist der BAMF-Skandal auf allen Kanälen. Wie siehst Du das und wie sollte die Partei sich Deiner Meinung nach positionieren?

DIE LINKE sollte klar machen, dass der eigentliche Skandal ist, dass zehntausende Bescheide nachweislich falsch waren – weil Asylanträge abgelehnt wurden, die eindeutig berechtigt waren. Auch die von der Bremer Behörde bewilligten Asylanträge sind zum größten Teil wohl formell berechtigt, unter ihnen sind ja viele Jesid*innen aus Syrien, die vor dem IS geflohen waren. Die Leiterin der BAMF-Außenstelle in Bremen hat richtig gehandelt, angesichts der Überlastung der Behörde im Zweifelsfall lieber einen Asylantrag zu viel zu bewilligen, als Menschen durch eine Ablehnung in direkte Todesgefahr zu schicken.

Du wirst beim Bundesparteitag für den Parteivorstand der LINKEN kandidieren. Warum sollen die Delegierten gerade Dich wählen?

Ich möchte gemeinsam mit anderen Genoss*innen vom linken Flügel eine aktivistische Perspektive in den Bundesvorstand einbringen. Seit über 16 Jahren bin ich an der Organisierung von Protesten und Demos gegen Krieg, Rassismus oder zu internationaler Solidarität beteiligt. In letzter Zeit am liebsten gegen die AfD, die wir mit einer Nachbarschaftsinitiative aus ihrem Büro in meiner Straße vertreiben konnten. Bis heute haben die Rechten kein ordentliches Büro in Bremen.

Ich möchte aber auch eine andere Perspektive verstärkt in den Parteivorstand einbringen: Viel zu häufig merke ich, dass in unserer Partei geglaubt wird, dass nur „falsche Politik“ die Ursache für die Probleme unserer Gesellschaft sind. Wenn man hier ein bisschen umverteilt und da ein bisschen mitgestaltet würden sich die Probleme schon lösen. Ich denke, das ist falsch. Die Probleme sind tiefer als dass man sie mit einer besseren Regierungspolitik überwinden könnte. Der Kapitalismus steckt in einer Mehrfachkrise: Ökonomisch, ökologisch, aber auch politisch. Ein einfaches zurück zum Sozialstaat der 70er Jahre halte ich angesichts der kapitalistischen Globalisierung, der unvorstellbaren Kapitalakkumulation und der massiven Krisenpotenziale für ausgeschlossen. Deswegen müssen wir den Kampf um Reformen mit dem Kampf für die Überwindung des Kapitalismus insgesamt verbinden.

Was wünschst Du der LINKEN für die nächsten zwei Jahre?

Drei Dinge: Standfestigkeit um nicht umzuknicken, wenn der Wind mal zu stark von rechts kommt. Geduld, um vor allem über außerparlamentaische Arbeit in Bewegungen, Stadtteilen und Betrieben die nötigen gesellschaftliche Mehrheiten zu erreichen. Und dass wir eine wirkliche Mitgliederpartei werden, in der demokratisch darüber bestimmt wird, was Partei- und Fraktionsspitze tun – auf der Basis von sachlichen Debatten um die Inhalte. Machtspielchen an der Spitze sind dagegen ebenso wenig Mittel linker Politik wie unpolitische Zweckbündnisse und sollten aufhören.

akl - Antikapitalistische Linke

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Grafikquelle   :

Autor :  Blömke/Kosinsky/Tschöpe

Bundesparteitag DIE LINKE Mai 2014 in Berlin, Velodrom

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„Wir sind alle Kanaken“

Erstellt von DL-Redaktion am 3. Mai 2018

Rassismus ist ein Verbrechen

File:Demo Sicheres Herkunftsland indymedia.jpg

Quelle  :  Scharf – Links

Von Bremer Friedensforum

Wortmeldung – in Bremen gestartet:
„Rassismus ist ein Verbrechen – Wir sind alle Kanaken“

In der Monitor-Sendung vom 19.04.2018 wurde unter dem Titel „Rassismus pur“ von einem Werbeplakat der DAK und seinen Folgen berichtet. Das Plakat zeigt werdende Eltern, ein Ultraschallbild in der Hand. Die Schwangerschaftswerbung einer Krankenversicherung und Awounou und seine Freundin waren die Models. Eine große Kampagne – 27.000 Plakate bundesweit.

Neben positiven Rückmeldungen erfolgte ein Shitstorm von blankem Rassismus gegenüber Philipp Awounou und seiner Freundin aber auch gegenüber der DAK. Ein deutscher Mann habe weiß zu sein. In den sog. sozialen Medien ist die Rede von „Kanaken-Werbung, von Mörder und Vergewaltiger, von Schmarotzer, Neger und Araber, von Rassenvermischung, Volksaustausch und Umvolkung.“ Und der AfD-Kreisverband Nordmecklenburg postet ein Foto des Plakats auf Facebook und spricht von „der Flutung unseres Landes mit Migranten.“

Der Begriff Kanake, der ersichtlich diesen Rassismus bündelt, stammt aus der hawaiischen Sprache. Kanaka ist die Bezeichnung für Mensch, so Wikipedia. Kanaken sind melanesische Ureinwohner in Neukaledonien (Südwestpazifik), wo sie 45 Prozent der Einwohner Neukaledoniens ausmachen, das lange französische Kolonie war.

In einer Erklärung mit über 100 Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichnern, die von Professor Wolfgang Jantzen in Bremen gestartet wurde, heißt es: „Wir alle sind also Kanaken. Die Opfer des Shitstorms ebenso wie seine Initiatoren. Und damit das ein für alle mal klar ist, erklärt jeder der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner für sich persönlich: ‚Ich bin ein Kanake. Und das ist auch gut so!’“

Link mit Erstunterzeichner*innen:

https://www.bremerfriedensforum.de/1005/aktuelles/Rassismus-ist-ein-Verbrechen-Wir-sind-alle-Kanaken/

Urheberrecht
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English: A sign during a protest against the asylum politics of the German Government
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Source de.indymedia.org
Author Frauen*-Internationalismus-Archiv Dortmund

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Nach Demokratie Kritik

Erstellt von DL-Redaktion am 30. April 2018

Verschärfung des Polizeigesetzes in Bremen auf Eis gelegt

File:Reuterdahl - Sinking of the Titanic.jpg

Quelle   :     Netzpolitik. ORG

Von

Derzeit werden in vielen deutschen Bundesländern die Polizeigesetze überarbeitet. In Bremen haben die Grünen die Ausweitung der polizeilichen Befugnisse zur präventiven Überwachung nun auf Eis gelegt. Amnesty International spricht von einem Erfolg des zivilgesellschaftlichen Widerstands.

Das Gesetzgebungsverfahren für eine Novellierung des Polizeigesetzes in Bremen ist durch Widerstand der Grünen vorerst nicht zustande gekommen. Das berichtet der Bremer Weser Kurier.

Die Grünen regieren in der Hansestadt gemeinsam mit der SPD. Der Parteivorstand und die Bürgerschaftsfraktion verkündeten am Dienstag, dass sie auf der Grundlage des Gesetzentwurfes aus dem SPD-geführten Innenressort nicht bereit sind, in ein Gesetzgebungsverfahren zu treten. Streitpunkte zwischen den Koalitionären sind beispielsweise die Überwachung der Kommunikation mittels Staatstrojaner und der Ausbau der Videoüberwachung im öffentlichen Raum.

In der Pressemitteilung der Grünen heißt es:

„Insbesondere die Quellen-Telekommunikationsüberwachung, die Verhältnismäßigkeit von Fußfesseln bei Menschen, die bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sind, und auch die Videoüberwachung, die über anlassbezogene und zeitlich befristete Maßnahmen hinausgeht, werden sehr kritisch gesehen. (…) Im Ergebnis kommen wir dazu, dass wir derzeit nicht bereit sind, in ein Gesetzgebungsverfahren einzutreten.“

„Erhebliche rechtsstaatliche Bedenken“

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßt die Entscheidung: „Bremen ist nunmehr das erste Bundesland, in dem nach zivilgesellschaftlichem Widerstand das Gesetzesvorhaben vorerst gestoppt wurde.“ Unter anderem das Bündnis Brementrojaner hatte sich gegen die geplante Ausweitung der polizeilichen Befugnisse eingesetzt. Zu der Initiative gehören unter anderem die Bremer Ableger des Chaos Computer Clubs, der Humanistischen Union, des Vereins Digitalcourage, der Gewerkschaft ver.di, der Grünen Jugend und der Linksjugend. Kritik an der Entscheidung der Grünen gab es vom Koalitionspartner SPD und der Bremer CDU.

Die Novellierung des Polizeigesetzes in dem Stadtstaat hat eine lange Geschichte. Bereits der erste Referentenentwurf war heftig debattiert worden. In ihrer Stellungnahme vom November 2017 schrieb die Landesdatenschutzbeauftragte, Dr. Imke Sommer, dass der Gesetzentwurf „erhebliche rechtsstaatliche und datenschutzrechtliche Bedenken“ aufwirft. Eine zweite Deputation wurde damals anberaumt, jedoch später abgesagt und auf April verschoben.

Wie lange die Novellierung des Polizeigesetzes nun in Bremen aufgeschoben ist, ist unklar. Der Pressesprecher der Grünen in der Bremer Bürgerschaft sagte dazu gegenüber netzpolitik.org: „Wann und ob es dazu kommt, ist zum derzeitigen Zeitpunkt völlig offen.“

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Grafikquelle   :     Reuterdahl – Sinking of the Titanic

Author
Title Sinking of the Titanic
Description
drawn from wireless description
Date 27 April 1912
Medium drawing
Source/Photographer http://cafeparisien.com/gallery2/main.php?g2_itemId=944&g2_imageViewsIndex=1

The author died in 1925, so this work is in the public domain in its country of origin and other countries and areas where the copyright term is the author’s life plus 80 years or less.

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Integration – Die Mittlerin

Erstellt von DL-Redaktion am 29. August 2017

„Ich bin gerne Lehrerin“,
sagt Marta Huhnholt mit Überzeugung.

File:Bremer Stadtmusikanten.jpg

Sie unterrichtet unbegleitete jugendliche Flüchtlinge in Bremen

Autorin.  Gabriele Goettle

Marta Huhnholt, Lehrerin. Geboren und aufgewachsen in Ostróda (Osterode), Polen. Nach dem Abitur an einem altsprachlichen Gymnasium (1994) studierte sie an der Nikolaus–Kopernikus-Universität zu Toruń (Thorn). Abbruch des Studiums und Aufenthalt in Deutschland (Bremen- Schwachhausen) als Au Pair für ein Jahr, mit der Absicht, danach in Bremen ein Studium aufzunehmen und in Deutschland zu bleiben. Sie lernt Deutsch, es folgt die Anerkennung ihres Abiturs in Deutschland. Sie absolviert die Aufnahmeprüfung an der Universität Bremen (Nachweis der deutschen Sprachkenntnisse), erhält einen Studienplatz. Herbst 1995: Aufnahme des Studiums, Spanisch und Deutsch als Fremdsprache (auf Lehramt). Im zweiten Studienjahr Wechsel zu Romanischer Philologie. Romanistik als Hauptfach, Kunst und Geschichte als Nebenfächer. 2001 geht sie als Austauschstudentin für sechs Monate nach Palermo. Neben dem Studium unterrichtete sie als Dozentin Italienisch an der Volkshochschule in Rotenburg/Wümme. 2002 erstes Kind. 2003 Abschluss des Studiums. Arbeitserlaubnis. In Folge des neuen Zuwanderergesetzes 2004 gab es einen Bedarf an Deutschlehrern, Anfang 2005 unterrichtet sie an der Volkshochschule auch Deutsch (Integrationskurs). Gründet mit einer Gruppe von Eltern eine freie Schule in Verden (ist im Vorstand). Sie beschließt, Lehrerin zu werden. 2009 beginnt sie ein Lehramtsstudium und absolviert es zügig. 2013 Geburt des zweiten Kindes, 2014 Kolloquium, Bachelor und Master. Von 2015 an Referendariat in Bremen. Geburt des dritten Kindes im Jahr 2016. Danach übernimmt sie an der Wilhelm Olbers-Schule in Bremen die Neugründung eines Projektes zur zweijährigen Vorbereitung von jungen Flüchtlingen (mit entsprechender Vorbildung) auf die Oberstufe. Marta Huhnholt ist 1975 geboren, ihr Vater war Automechaniker, die Mutter war eine höhere Verwaltungsangestellte beim städtischen Elektrizitätswerk. Huhnholt lebt auf dem Land, sie ist in zweiter Ehe verheiratet und hat drei Kinder.

Während eines Berlinbesuches mit ihrer Klasse treffen wir Marta Huhnolt zum Gespräch. Sie erzählt von der „medienpolitischen Reise durch das literarische Berlin“, die sie derzeit mit ihren Schülern macht. Und sie erzählt vom Aufbau und von den Fortschritten ihrer pädagogischen Arbeit mit diesen Schülern – jungen Flüchtlingen – , die sie in an der Bremer Wilhelm-Olbers-Schule unterrichtet

„Ich habe mit vier Schülern angefangen und musste ein Curriculum schreiben, das hatten wir ja logischerweise nicht. Und dann kamen nach und nach die übrigen Schüler. Die senatorische Behörde hat den Vorklassen 25 Unterrichtsstunden zugesagt und über die verfügen wir. Und das ist kein päpstliches, sondern ein reelles ‚wir‘. Die Schule gibt zwar keine Lehrer für zusätzliche Stunden frei, erlaubt und befürwortet aber Doppelbesetzung, wenn möglich. Für Deutsch ist es auf jeden Fall notwendig, weil die sprachlichen Voraussetzungen der Schüler doch sehr heterogen sind. Alle Deutschstunden haben wir doppelt besetzt. Hervorragend! Es wird in zwei Gruppen gearbeitet. Aber es gibt ganz viele Schnittstellen und gemeinsame Projekte. Wir sind ein gutes Team. Helfen uns auch gegenseitig, zum Beispiel, wenn die junge Kollegin mal Unterstützung braucht bei Grammatik, denn Grammatik ist mein Spezialgebiet, ich kann sie so verkaufen, als wäre sie das Schönste der Welt.

Meine Kollegin beginnt gerade ein Referendariat. Sie hat die schwächere Gruppe. Sie macht das wunderbar, die Schüler vertrauen ihr. Ich habe die stärkere Gruppe, die ich explizit auf die Oberstufe vorbereite. Anfangs hat die senatorische Behörde uns die Schüler zugewiesen, inzwischen kommen die Schüler zu uns, hospitieren – und wir entscheiden, ob wir sie nehmen oder auch nicht. Im Zweifelsfalle nehmen wir sie. Aber eine Garantie hat man natürlich nie.

Ich habe schnell gemerkt, dass viele Schüler schüchtern sind, sich isoliert fühlen, und mir wurde klar, wir müssen raus, gemeinsame Aktivitäten entfalten, damit wir lernen, uns als Gruppe zu definieren. Wir haben Ausflugstage organisiert, Beachvolleyball gespielt, wir haben Songtexte für Rap- und HipHop-Stücke geschrieben, es wurde getanzt, es gab öffentliche Auftritte, sodass sie aufatmen konnten und lachen. Sie müssen sich erst mal einigermaßen ‚normal‘ fühlen, sonst können sie nicht lernen. Sie sind ja traumatisiert; manche mehr, manche weniger. Es gab ein Kunstprojekt, ein Container wurde bemalt und mit Graffiti besprüht, die Projekte fielen nur so vom Himmel. Und dann ging es weiter mit ‚Jugend im Parlament‘.

Einer unserer Schüler, Ahmad aus Afghanistan, hat sogar die Bremische Rüstungsindustrie bei dem Projekt ‚Jugend im Parlament‘ thematisiert. Schon davor hatte er sich mit dem Thema befasst, mit Leuten darüber gesprochen, er war sehr irritiert. Dann nutzte er das Forum ‚Jugend im Parlament‘, um seine Kritik an der Rüstungsindustrie und der Waffenpolitik Bremens vorzutragen. Unterstützt von Oberstufenschülern hielt Ahmad in deutscher Sprache eine kritische Rede in der Bremischen Bürgerschaft. Das hat mich als seine Lehrerin sehr stolz gemacht. Es gab darüber auch einen Bericht bei Radio Bremen.“ (Seine Rede ist unter dem folgenden Link zu finden: vimeo.com/184650054. Jugend im Parlament, Aktuelle Stunde „Waffenproduktion in Bremen und Waffentransporte über Bremische Häfen“, 27. 9. 2016, ab ca. Min. 5, Anm. G.G.)

Sie muss auch mal den Chef raushängen lassen

 

Auf die Frage, ob es denn keine Autoritätsprobleme gibt und wie die Einstellung der Jungs zu Frauen ist, sagt sie: „Mhm … unterschiedlich, eigentlich begegnet man mir mit Toleranz. Aber für manchen war das anfangs nicht so einfach – wir sprechen jetzt immer nur über den Anfang, später ändert sich das Verhalten. Ich bin ja blond, mache einen naiven Eindruck, da haben manche am Anfang schon so einen herrischen Ton gehabt. Den kannte ich schon von der Volkshochschule, wo ich es mit arabischen und kurdischen Männern zu tun hatte, also ausgewachsenen Männern. Das Verhalten ist ähnlich, sie schauen mich von der Seite an, der Ton ist etwas strenger, auch wenn sie kaum Deutsch können. Meist geht es darum, dass sie etwas ihrer Meinung nach Ehrenrühriges tun sollen. ‚Ja, warum soll denn ich den Boden fegen?‘ oder ‚Wieso soll ich denn das Handy wegpacken?‘ Man kann das ja auf verschiedene Arten sagen. Aber so geht es gar nicht. Da muss ich dann den Chef raushängen lassen. Ich sage zum Beispiel: ‚Pass auf, ich habe hier das Sagen und du packst jetzt das Telefon weg. Sofort!‘ Und das unterstreiche ich durch einen strengen Blickkontakt … den halte ich so was von aus! Und sie kriegen das dann hin.“ Sie lacht.

„Irgendwann ist er dann weichgespült und so was von süß und charmant, wie ausgewechselt. Aber es gibt auch politische Konflikte. Wir haben einen Jungen, der kommt aus Albanien und hat eine erstaunliche Weltanschauung … Man kann sie kurz so zusammenfassen: Albanien ist das beste Land überhaupt, Albaner wissen auf allen Gebieten über absolut alles Bescheid. Alles, was nicht albanisch ist, ist schlecht und schlechter. Dieser Junge ist sehr gebildet, mathematisch gut, in Englisch hervorragend, sein Allgemeinwissen ist wirklich gut, aber ansonsten hat er engstirnige Denkweisen. Es ging so weit, dass er ein Mädchen aus Griechenland derartig kränkte, dass sie wirklich fast in Tränen ausbrach. Er sagte immer wieder: ‚Ihr Griechen, ihr pumpt ja immer nur die EU an!‘ Oder er hat seine Mitschüler in Englisch korrigiert, sogar die Englischlehrerin, was ja wirklich nicht geht.

Ich habe mich dann entschlossen, als seine Klassenlehrerin mal sehr ernst mit ihm zu reden. Ich habe herausgefunden, dass er einige Jahre in Italien gelebt hatte. Dann habe ich ihn einfach mal in Italienisch auf den Pott gesetzt. Drei ernste Gespräche und wir hatten ihn! Ich habe ihm gesagt, was sein Job hier ist. Sein Job ist nicht, Lehrer zu sein, sondern Schüler, und als solcher hat er zuzuhören, Vokabeln zu lernen, Grammatik, Hausaufgaben zu machen. Inzwischen geht es ganz gut. Aber jetzt haben wir ganz aktuell und noch nicht gelöst, ein anderes Problem. Besser gesagt, eine Situation: Ich spreche jetzt exklusiv von Jungs aus Syrien, manche sind jesidische Kurden. Und dann gibt es Jungs, die sind nicht kurdisch, nicht jesidisch, sondern muslimisch, auch eines der Mädchen. Wir haben sogar ein syrisches Mädchen, das ist christlich. Ja, Wir haben auch Mädchen, tolle Mädchen.

Also die Religionszugehörigkeit war bis jetzt überhaupt kein Problem, es störte niemanden, interessierte niemanden. Jeder hatte sein Gepflogenheiten und die wurden von allen akzeptiert. Dann kam ein Junge zu uns im Januar. Er ist jesidisch, sehr schlau, sehr ehrgeizig, sehr sympathisch und klug. Aber aufgrund seiner Erlebnisse in Syrien, in Nordsyrien, also in Kurdistan, ist er leidenschaftlich politisiert. Wenn aber politische Konflikte in die Klasse eindringen, wenn es auf einmal Lager gibt und das dazugehörige Lagerdenken, dann geht das nicht, dann endet so etwas nicht gut. Das weiß ich. Ich kenne das bereits aus der Volkshochschule. Wir sind jetzt dabei, mit ihm zu reden, es genau zu beobachten. Noch ist alles nicht so schlimm, aber es verändert sich bereits die Atmosphäre. Er fühlt sich damit zwar auch nicht wohl, macht aber weiter. Möglicherweise ist er so verunsichert, dass er sich nur durch sein starkes Auftreten etwas sicherer fühlt. Aber das geht natürlich nicht und darf keine Entschuldigung sein. Kein Grund, andere zu beleidigen, indem er zum Beispiel sagt: ‚Rührt diesen Apfelsaft nicht an, das gehört uns, das ist eine kurdische Flasche!‘ Oder dass er das Bilden einer kurdischen Ecke betreibt, das geht einfach nicht. Und wenn das zum siebten oder zehnten Mal passiert, dann ist das kein Spaß mehr. Und das ist passiert. Auch jetzt, während der Klassenfahrt! Wo wir doch eigentlich so eng und intensiv zusammen sind.

Da muss ich natürlich einschreiten. Das Traurige aus meiner Sicht ist, wenn man über andere Themen mit ihm spricht, ist er so toll, so souverän und aufmerksam. Er ist hilfsbereit, witzig, freundlich, offen, extrovertiert. Nur wenn es um seine Biografie geht, um seine Politisierung, dann ist er ganz anders. Wir sprechen mit ihm darüber und in kleinen Gruppen, versuchen klar zu machen, dass wir alle keine Schuld haben an seinen Erfahrungen und dass wir aber ebenso wenig solche schwerwiegenden politischen Konflikte in der Klasse lösen können. Schön wäre es! Dann wären sie schon beigelegt. Aber so ist es eben nicht. Wir können diese Konflikte nicht hier in der Klasse austragen. Unsere Sorge ist nun, dass, wenn er in die nächsthöhere Stufe wechselt, sich die Probleme automatisch verhärten werden. An unserer Schule gibt es nämlich viele Schüler aus türkischstämmigen Familien. Wir müssen da unbedingt rechtzeitig gegensteuern.

„Ist jemand von euch mit dem Boot angekommen?“

Zum Glück sind die Schüler sehr offen zu uns, zum großen Teil. Wir wissen viel von ihnen, aber nicht alles über jeden Einzelnen. Vor ein paar Wochen gab es in der Kunsthalle Bremen so ein Projekt zum Thema. Gleich am Eingang gab es ein Fernsehgerät, das als Dauerschleife ein Boot zeigte, das an einem Anker hängt. Und irgendwie ist die Verlängerung aus diesem Bild die authentische Situation. Wir standen davor und schauten es an und die Kunstpädagogin, die uns begleitete, sagte: ‚Ja – wie geht es euch denn damit?‘ Und irgend jemand sagte: ‚Es geht so. Es ist gar nicht so schlimm.‘ Sie fragte: ‚Ist vielleicht jemand von euch mit dem Boot angekommen?‘ Und jemand sagte cool: ‚Wir sind doch fast alle mit dem Boot gekommen!‘ Einige sind auch über den Landweg gekommen. Aber das Boot ist wohl nach wie vor das übliche Fluchtmittel. Einer erzählte mir: ‚Frau Huhnholt, ich habe es dreimal versucht, zweimal ist das Boot kaputtgegangen und wir mussten umdrehen. Beim dritten Mal hat es geklappt. Angst hatte ich nicht, ich kann schwimmen. Deshalb haben sie mir ein Baby in den Arm gegeben von einer Familie, die alle nicht schwimmen konnten.‘ Er hat mir das ziemlich unbeschwert erzählt.

Das hat mich schockiert, sie sind ja noch relativ jung und bräuchten eigentlich noch die Eltern, die Familie. Ach, es gibt so viele Flüchtlingsschicksale … Wir haben einen Jungen – ein Einzelkind –, der lebte allein mit seiner Mutter in Syrien, die Eltern waren getrennt. Eines Tages sind die beiden nach Ägypten geflüchtet, dort war er in einer internationalen Schule und zuvor in Syrien in einer British School. Die Mutter war schwer an Krebs erkrankt und sie waren sehr eng zusammen, aber sie hat ihm zugeredet, nach Deutschland zu gehen. Er ist allein gekommen, hat wunderbare Umgangsformen, ist sehr selbstständig. Im Juni, da war er vier Monate bei uns, hat er bereits sehr auf seine Mutter gewartet, er sagte, sie käme in 14 Tagen. Das hat er ein Jahr lang erzählt. Unlängst ist die Mutter dann tatsächlich gekommen, und sie will bleiben. Wir haben uns alle sehr gefreut.

Bremen refugee accommodation.jpg

Erst Container, dann in Übergangseinrichtungen

Quelle   :   TAZ    >>>>>   weiterlesen

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Grafikquellen    :

Oben   —  „Bremer Stadtmusikanten“, Bremen, June 2004. Photo by Magnus Manske.

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Mitte  —  Willkommenssäule bei einem Flüchtlingswohnheim in Bremen-Osterholz

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Unten   —   Makeshift housing for refugees at a suburb of Bremen (Oslebshausen), Germany

 

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Schülerfreundschaft

Erstellt von DL-Redaktion am 16. Mai 2017

Der Platz, an dem Zijush saß

von Allegra Schneider und Jean-Philipp Baeck

Der 13-jährige Zijush musste mit seiner Familie zurück nach Mazedonien. Seine Bremerhavener Klasse wollte das nicht hinnehmen. „Man kann das hier nicht mit Deutschland vergleichen“, sagt Zijush am Telefon. Seine Mitschüler schalten ihn per Handy aus Skopje zum Unterricht dazu. Fünf Monate später unternimmt seine Lehrerin eine Reise.

Der Stuhl ist immer noch leer. Eigentlich wollte die Lehrerin Christine Carstens ihn wegstellen, doch ihre SchülerInnen rebellierten: Da hat immer Zijush gesessen. Für seine FreundInnen aus der 7. Klasse in Bremerhaven ist der 13-Jährige Zijush noch präsent – auch Monate nach seiner Rückkehr nach Mazedonien. Mit seiner Familie ist er gegangen, um der Abschiebung zuvorzukommen. MitschülerInnen und Lehrerin können nicht fassen, dass Zijush weg ist. Und weg ist er auch nicht. Abwechselnd drücken sich Ali, Rebal und Šengül das Smartphone in die Hand. Das Bild von Ziujshs Gesicht im Display hakt manchmal, aber er ist gut zu verstehen. „Man kann das hier nicht mit Deutschland vergleichen“, sagt er. Mit der Videotelefonie hat die Klasse inzwischen Erfahrung: Eines Morgens legte Rebal einfach ein Smartphone auf Zijushs Platz. Das war, als sie erfuhren, dass ihr Freund auch Wochen nach seiner Rückkehr in Skopje noch nicht zur Schule ging. Soll er doch einfach weiter in Bremerhaven am Unterricht teilnehmen, entschieden sie. Über Wochen wurde Zijush in den Klassenraum dazugeschaltet.

Nichts ist freiwillig

Im Herbst letzten Jahres ist Zijush mit seiner Schwester und seinen Eltern zurückgereist nach Skopje, Mazedoniens Hauptstadt. Über zwei Jahre waren sie zuvor in Deutschland gewesen. Er, seine Schwester und sein Vater sprechen gut Deutsch. Zijush war strebsam, hervorragend in Mathe, Englisch und Deutsch. Doch als die Bundesregierung Mazedonien 2014 zu einem „sicheren Herkunftsland“ erklärte, haben sich die Perspektiven für Asylsuchende von dort noch einmal verschlechtert. Zijushs Vater Djevat ist in Deutschland aufgewachsen, bis irgendwann die Polizei kam. Nachdem er volljährig geworden war, wurde er 1997 abgeschoben. Noch heute erschrickt er, wenn er Sirenen hört. Was er als junger Mann erleben musste, wollte er seinen Kindern ersparen. „Freiwillige Rückkehr“ heißt das auf Amtsdeutsch. Nichts daran ist freiwillig. Bei etwa 55.000 Menschen wurde 2016 so eine „freiwillige Ausreise“ gefördert, fast 5.000 davon gingen in Richtung Mazedonien, dazu kamen knapp 25.000 Abschiebungen, vor allem in die Westbalkanstaaten – das macht viele leere Stühle in vielen deutschen Klassenzimmern.

Anruf aus Skopje

Ali macht einen Schwenk mit der Handykamera, zeigt Zijush die Tafel, auf der das Sonnensystem vorgestellt wird: Sternbilder, Galaxien. Der Klassenraum ist liebevoll dekoriert. Pinnwände mit Fotos von Klassenfahrten und Ausflügen hängen da, auch ein Muhammad-Ali-Plakat. Auf einer Weltkarte kleben Porträts der SchülerInnen. Die Fotos sind mit Fäden verbunden und bilden ein Netz, das den Globus umspannt. Die Schule am Ernst-Reuter-Platz liegt im abgehängten Bremerhavener Stadtteil Lehe. Die meisten Kinder der 7c haben eine Migrationsgeschichte. Manche sind erst vor Kurzem nach Deutschland gekommen, wie Rebal, der trotz der Strapazen seiner Flucht aus Syrien unbeschwert wirkt. Andere, wie Ali, sind in Bremerhaven geboren und haben doch noch immer keine gesicherte Perspektive, weil sie wie ihre Eltern seit Jahren nur „geduldet“ sind.

Gebannt beugen sich Ali und Šengül über das Telefon. Ob die Polster in der Sitzecke neu sind, will Zijush wissen. Sie plaudern über das Pokémon-Go-Spiel im Bremerhavener Stadtpark und ihre Fußballturniere. Dann erzählt Zijush von seiner Nachbarschaft in Skopjes Stadtteil Suto Orizari. 20.000 Roma leben hier offiziell, aber alle schätzen, dass es mehr sind. Mittags stoßen die Autos auf der Hauptgeschäftsstraße fast aneinander. Auf dem Basar gibt es Stände mit gefälschten Markenklamotten, der Rauch aus den Ofenrohren der Grills vernebelt die Sicht. Anfangs fällt es ihm etwas schwer, die richtigen Worte zu finden. Der Anruf hat ihn aus dem Mittagsschlaf gerissen. Er reibt sich die Augen. Ein bisschen sieht es so aus, als ob er sich die Sorgen aus dem Gesicht wischen will. Die Albaner, die in seiner Nähe wohnen, könnten machen, was sie wollen, erzählt Zijush. Ihn etwa verprügeln. „Du hast uns nie erzählt, dass ihr Roma seid“, sagt Rebal. In Bremerhaven war das für Zijush nicht so wichtig, er konnte einfach ein Kind sein, wie die anderen. In Mazedonien ist das anders. Sein Vater findet keine feste Stelle. „Weil er Rom ist“, sagt Zijush.

Besuch von Frau Carstens

Quelle  : TAZ  >>>>>  weiterlesen

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Grafikquelle :  Koedukation an einer deutschen Schule

 

 

 

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Korruption in der Rüstungsindustrie

Erstellt von DL-Redaktion am 24. Februar 2017

Läuft nicht mehr wie geschmiert

Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen fünf ehemalige Rheinmetall-Manager erhoben. Der Vorwurf: Bestechung bei Geschäften mit Griechenland.

File:M60A3 Panzer.jpg

Ohne Unterstützung aus der Politik wäre dieses alles nicht möglich, denn die eigentlichen Drahtzieher gehen für gewöhnlich ohne Strafen davon und verdingen sich für weitere Objekte. Nicht nur in der Rüstungsindustrie bezahlen wir Minister um die politische  Kontrolle auszuüben.

Redaktion DL/IE 

Von Tobias Schulze

Die nächsten Rüstungsmanager könnten demnächst wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht landen: Die Staatsanwaltschaft Bremen hat gegen fünf ehemalige Mitarbeiter des Rheinmetall-Konzerns Anklage wegen Bestechung erhoben. Eine entsprechende Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und des ARD-Magazins „Panorama“ bestätigte die Behörde am Donnerstag.

Den mutmaßlichen Tätern wird vorgeworfen, von 1998 bis 2011 Schmiergeld an griechische Amtsträger gezahlt zu haben. Insgesamt sollen 3,3 Millionen Euro geflossen sein. Im Gegenzug erhielt ein Rheinmetall-Tochterunternehmen zwei Aufträge: Es lieferte den Griechen sowohl das mobile Flugabwehrsystem Asrad als auch Feuerlenksysteme für Leopard-2-Kampfpanzer.

Der Fall ist schon länger bekannt, die Staatsanwaltschaft ermittelte deshalb seit Jahren. In einem Ordnungswidrigkeitsverfahren musste Rheinmetall selbst bereits Ende 2014 rund 37 Millionen Euro zahlen. Der größte Teil des Betrags entsprach den illegal erworbenen Gewinnen, obendrauf kam noch ein Bußgeld.

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle: This image is a work of a U.S. military or Department of Defense employee, taken or made as part of that person’s official duties. As a work of the U.S. federal government, the image is in the public domain in the United States.

Source http://www.defenseimagery.mil; VIRIN: DF-ST-85-13331
Author STAFF SGT. Fernando Serna

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Halb Bremen ging an die Urne

Erstellt von DL-Redaktion am 11. Mai 2015

Halb Bremen ging an die Urne

Ja, sicher gewählt wurde gestern auch. In Bremen  und so sahen wir in den abendlichen Nachrichten einen jubelnden Riexinger mit beständig wackelnden Kopf vor den Kameras der TV Anstalten herumturnen – um Seinen Sieg zu feiern. Trotz allem Gewackel, der Kopf blieb oben, er fiel nicht herunter und auf das Maul. Aber seien wir ehrlich wann hatten die denn zuvor  einen Grund zum Feiern, die Pleiten, Pech und Pannen Kipptrixser. Nach Gründung der Partei eigentlich nicht mehr.

So sollten wir uns eigentlich bei den Bürgern und Bürgerinnen aus Bremen bedanken, denn diese haben ein hohes demokratischen Verständnis an den Tag gelegt indem sie den Wahlen fern blieben. Sie haben sich nicht einlullen lassen, wie vielfach in der Vergangenheit, von den Dummschwätzern welche „ein geringeres Übel“ als Grund für ein Kreuz empfahlen, sondern verweigerten den von den Parteien abgestellten Gesandten ihre Gefolgschaft. Quotenpersonen welche ausschließlich die Aufgaben haben ihren Parteien die krummen Rücken zu stärken. Abgeordnete ohne jegliche Mitsprache durch die BürgerInnen und somit am wenigsten VertreterInnen des Wahlvolkes.

Mehr als 50 Prozent der BürgerInnen verweigerten den PolitikerInnen Ihre Stimmen, was die Prozentzahlen auf ca. die Hälfte realisiert. DIE LINKE erreichte also gerade einmal 4,6 Prozent der zu vergebenden Stimmen wenn wir den Hochrechnungen folgen. Selbst der selbsternannte Wahlsieger die SPD,  erzielt nur einen Stimmenanteil von unter 20 Prozent. Trotzdem werden die Volltrottel bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit verkünden die Vertreter des Volkes zu sein.

Natürlich liegt nun alles wieder an den BürgerInnen welche den Politikern ihre Wahl verweigern. So hörten wir gestern Abend auch Böhrnsen darüber Klagen dass, aufgrund des zu erwartenden Wahlausgang viele Bürger erst gar nicht zur Wahl gegangen wären. So einfach machen es sich die Parteien und klagen nun vereint über die ziemlich verfahrene finanzielle Situation im Pleiteland Bremen.  Genau diese Situation war auch vor den Wahlen jedermann/frau bekannt, sitzt doch die SPD mit der CDU in Berlin am Tisch und verteilt das Fell des Bären entsprechend. Auch wurde der Schuldenschluss nicht von der CDU alleine verabschiedet.

Nur die Bürger in Bremen wurden an die Urnen gebeten um für Ihre Stadt und Ihr Land Bremen, sowie Ihre Lebensumgebung zu entscheiden! Auf die Wahl konnten sie verzichten, da Ihre ureigenen Interessen so wie so der Parteienhörigkeit in Berlin  geopfert wird. Politik in dieser Form macht sich unglaubwürdig und niemand ist bereit die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. So werden wir weiter die vereinzelten Vertreibungen von Politikern aus ihrem sorgenfreien Paradies beobachten. Freiwillig den Rücktritt antreten, da sie versagt haben, das wird es eher nicht geben, da dieses die Sichtweise ihres Horizont überschreiten würde.

So wird in Kürze erneut das Thema der Wahlpflicht auf den Tisch gebracht werden. Dann wird vielleicht an den Wahltagen eine Art Treibjagd mit  Unterstützung von Militär und Polizei auf die Wähler veranstaltet. Panzer und Wasserwerfer rollen aus um den regierenden Parteien die Macht zu erhalten. Zukunftsvisionen ja sicher, aber undenkbar ? Die Macht wird alles erdenkliche oder auch nichterdenkliche unternehmen um dieselbe für sich zu erhalten.

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Fotoquelle: Urne oben Wikipedia – Author User:Mattes

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Hochrechnung: Verlinkung mit der ARD – Klick auf das Foto.

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Bahnanlagen sabotiert!

Erstellt von DL-Redaktion am 10. November 2014

Bahnanlagen sabotiert!

An Ihren Taten sollte man sich messen lassen und weniger an den Namen Ihrer Parteien oder Institutionen. Was wir hier lesen ist ein Bekenntnisschreiben zur Ausübung von Gewalt. Ich betonen ausdrücklich – „Linker Gewalt“. Vielleicht ein Anlass ab heute nicht mehr zwischen „Links“ und „Rechts“ zu unterscheiden sondern einfach das Wort Gewalt zu nutzen?

Hier in diesen Fall haben wir es mit einer vorsätzlichen Zerstörung von Allgemeingut zu tun und wir von DL lehnen  diese Art des Meinungsaustausch grundsätzlich ab. Egal von wem auch immer sie ausgehen mag. Aussagen von Politikern egal welcher Couleur sind uns bislang nicht bekannt.

Bahnanlagen sabotiert!

Verfasst von: Autonome Gruppen. Verfasst am: 08.11.2014 – 10:05. Geschehen am: Samstag, 08. November 2014. Kommentare: 53

In der Nacht auf dem 8. November haben wir an mehreren Orten das Streckennetz der deutschen Bahn sabotiert, mit dem Ziel dieses zu stören und dem Konzern wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Unbeteiligte wurden durch unsere Aktion nicht gefährdet.

Das Verhältnis militanter Umweltaktist_innen zu DB ist unseres Erachtens der Öffentlichkeit bekannt und in der Vergangenheit hinlänglich durch Genoss_innen begründet worden. Gleiches gilt wohl für den sogenannten „Atomausstieg“. Daher sparen wir uns heute den investigativen Teil und kommen gleich zum Punkt:

Wir gedenken mit dieser Aktion dem französischen anti-Atom Aktivisten Sebastién Briat, der vor 10 Jahren am 7. November 2004 beim Versuch einen Castortransport von la Hague nach Gorleben mit einer Ankettaktion zu blockieren von einer Lok erfasst wurde und starb.

Sebasiéns Entscheidung Widerstand zu leisten war richtig, mutig und konsequent; sein Tod hingegen vollkommen sinnlos. Eine die Bewegung die das Leben liebt und bereit ist dafür zu kämpfen, braucht keine Held_innen und Märthyrer_innen. Sebastién starb nicht für seine Überzeugung, er wurde gewaltsam aus dem Leben gerissen. Ein vermeidbarer „Unfall“, verschuldet von den politisch und wirtschaftlich verantwortlichen und Ihrer bezahlten Söldnerbanden. Genau so billigend in Kauf genommen, wir der potentielle Tod von Millionen den täglich der „Normalbetrieb“ des atomaren Wahnsinns bedeutet.

Der Kampf gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen wird weitergehen. Egal ob gegen Herrschafts- und Vernichtungstechnologie, den kapitalistischen Raubbau an unseren Planeten, oder sinnlose Bauprojekte wie dem internationalen Großflughafen bei Nantes (ZAD), oder den Staudammbau in Südfrankreich, wo vorletzte Woche bei Auseinandersetzungen am Bauzaun der Aktivist Rémi  Fraisse von einer Polizeigranate getötet wurde. So sind wir mit dem Herzen auch bei denen, deren Trauer und Wut über den gewaltsamen Tod Rémis dieser Tage auf den Straßen Frankreichs explodiert!

Für die Freiheit und das Leben!

Unser Widerstand kennt keine Grenzen!

Notre Résistance ne connait pas de frontière!

Quelle: linksunten.indymedia.org

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Fotoquelle: Wikpedia

Author S. Terfloth. Original uploader was Sese Ingolstadt at de.wikipedia
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Die Linke geht ins Grab

Erstellt von DL-Redaktion am 14. November 2012

 Linke steigen mit ihrer Rente ins Grab

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/84/Gottesgab_Friedhof_Grab_Anton_G%C3%BCnther_001.jpg

Ist dieser Rücktritt eines Linken Mandatsträger und damit bedingt die Auflösung einer Fraktion jetzt der 100 oder gar schon der 200 Vorfall bei dem Linken-West-Deutschen Wahlverein? Wir wissen es nicht, die Gesamtsumme ist auch nicht wichtig, entscheidend ist, das entweichen der Luft aus einen künstlich aufgeblasenen Ballon.

Wir brauchen Mandatsträger mit politischer Erfahrung, sie dürfen sich nicht über den Tisch ziehen lassen. Genau so klingelt es vielen noch in den Ohren, das dumme Brabbeln bei Aufstellung der Landeslisten vor den entsprechenden Wahlen. Dabei hat sich all dieses im Nachhinein als reine Manipulation von Strippenziehern aus den verschiedensten Strömungen erwiesen. Es wurde ängstlich darauf geachtet ja unter sich zu bleiben.

Die Ergebnisse sind seit langen sichtbar. Da ist nichts gewachsen, denn viele der Mandatsträger sind weniger gewählt als ins Amt getragen worden. Die Bindung zur Basis fehlt komplett und von dort fehlt es an entsprechender Zuarbeit. Die Mandatsträger hängen im luftleeren Raum und der im entstehen begriffene Markennahme „DIE LINKE“ ist nachhaltig durch Spinner und Sektierer zerstört worden.

So schreibt die Ostsee-Zeitung das die Linke in Rente geht, eine Verharmlosung. Die LINKE steigt ins Grab, zu den von ihnen verehrten, dort lässt sich dann Politik für die Ewigkeit machen.

Linke gehen in Rente

Der 64-jährige Steinsetzer gehört der Stadtverordnetenversammlung erst seit Oktober an – als Nachrücker für den vorherigen Fraktionsvorsitzenden Jörn Schwalbach. Nach dessen Abgang „aus persönlichen Gründen“ war bekanntgeworden, dass er in die Fraktionskasse gegriffen und knapp 1000 Euro „nicht bestimmungsgemäß“ verwendet hatte. Das Geld soll Schwalbach inzwischen zurückgezahlt haben.

Schon zu jener Zeit hatte es zwischen dem Kreisverband der Linken und den Mitgliedern der aus Rentnern, Piraten und Linken gebildeten Repili-Fraktion heftig gekriselt. Kurz darauf trat Rebecca Sarnow (38) aus der Linkspartei aus. Franz Simmler folgte nun Ende vergangener Woche.

Den Aufnahmeantrag in die RRP unterschrieb er am Montagvormittag mit einem Werbekugelschreiber der Linken. Mit der hiesigen Partei will er aber nichts mehr zu tun haben. „Ich bin wegen Oskar Lafontaine da eingetreten“, sagt er, „aber davon haben die sich hier weit entfernt.“ Der Kreisvorstand der Linken werde von Aktivisten der Sozialistischen Alternative (SAV) dominiert, so Simmler. Das seien Kommunisten, mit denen wolle er nichts zu tun haben.

Der Kreisvorstand der Linken nahm die beiden Parteiaustritte „mit Bedauern zur Kenntnis“. Man erwarte nun von beiden Abtrünnigen, dass sie „aus Respekt vor dem Votum der Wähler“ ihr Mandat zurückgeben. Simmler sei mit den Listenstimmen für die Linke, nicht mit Personenstimmen gewählt worden.

Rebecca Sarnows Aussage, sie sei mit den handelnden Personen im Kreisverband, nicht aber mit der Politik der Linken im Konflikt, bezeichnet der Kreisvorstand als fadenscheinig. Der Austritt komme aber „nicht ganz unerwartet“, weil es kaum noch eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Stadtverordneten gegeben habe.

Quelle: Nordsee-Zeitung >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle:

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Quelle René Röder
Urheber René Röder

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Link, linker, wir linken

Erstellt von DL-Redaktion am 27. Juni 2011

Fraktion feuert Geschäftsführer

Leo , welcher sich nach seinem blamabelen Rauswurf noch enger an Oskar
klammern wirde, zum Aufrechten Gang ist er wohl zu alt

Jeden Tag etwas anderes, etwas neues. So sind es einmal die stalinistischen Umgangsformen im Saarland, dann wieder die antisemitischen Sektierer und Spinner in NRW. Morgen vielleicht die sozialistischen Trittbrettfahrer des Kapitals in RLP.

Heute haben wir etwas aus Bremen zu vermelden und ein jeder weiß von wem hier die Rede ist. Es geht um Partei die LINKE welche zwar im Westen keine Politik kann, dafür aber um so mehr auf den Weg zum privaten, neuen Reichtum ihr eigenes Parteigefüge zerstört. In der LINKEN sind Träume keine Schäume mehr. Der deutsche Weg vom Tellerwäscher zum Millionär.

Die aufkommenden Vorwürfe sind zumeist gleicher Art, Wahlmanipulationen, Denunziationen und so weiter und so fort. Ein roter Faden welcher sich von Nord nach Süd verfolgen lässt.

Wie schon gesagt, blicken wir Heute nach Bremen: Der Fraktion Geschäftsführer wurde zum 1. Juli gefeuert. Leo Schmitt hatte Unregelmäßigkeiten bei der Kandidaten Kür der LINKEN offen gelegt und Klaus-Rainer Rupp schwer belastet.

So lesen wir denn heute in der TAZ folgendes und zitieren:

„Der Machtkampf innerhalb der Bremer Linkspartei geht weiter. Am Freitag hat die Fraktion ihren Geschäftsführer vom 1. Juli an „freigestellt“, Ende September läuft sein Vertrag aus. Dem Rauswurf vorausgegangen waren tagelange erbitterte Auseinandersetzung über die Frage, ob es stimmt, dass über den massiven Eintritt von Kurden aus dem Umkreis des Birati – Vereins die Kandidatenaufstellung auf der Mitgliederversammlung manipuliert worden sei. Eine politisch unbekannte Birati – Kandidatin war im Gegenzug vorn auf der Liste platziert worden, wegen der Stimmverluste der Linken aber nicht in die Bürgerschaft gekommen“
Wie sich doch Zeiten und Örtlichkeiten miteinander vergleichen lassen! Wer hat noch nicht von anrollenden Bussen zu anstehenden Wahlen gehört oder gelesen? Motto: Heute –  Butterfahrt nach Irgendwo mit anschließenden Essen? Anreisende Wahlstrategen in NRW sollen zu Zeiten sogar schon Kandidatinnen im Handgepäck mitgebracht haben.

So müsste eigentlich der folgende Satz auch den letzten Zweifler auf die Barrikaden bringen und endgültig die Augen öffnen: „Die frühere Abgeordnete Inga Nitz hat in ihrer Austrittserklärung von „Beutegruppen“ gesprochen und formuliert, die Zustände innerhalb der Partei seien „weitaus schlimmer“ als die „Vorstellungskraft altgedienter Journalisten“ reiche.“

Uns ist Inga Nitz  unbekannt, aber die hier gemachte Aussage ist ein Volltreffer. Auch wenn zu berücksichtigen ist, dass die Enttäuschung über den Verlust des Mandat sicher sehr groß war.

Auch die Unstimmigkeiten in der Kassenführung beruhen nicht auf neue Vorwürfe. Diese Verdächtigungen sind Land Auf und Ab Konsens und kommen immer wieder hoch. Eine Parteispitze welche sich mit derlei „Möchte gern Politiker“ präsentiert, wird auf Dauer keine nachhaltigen Erfolge einfahren, da Krankheiten sich allzu leicht zur Seuche ausweiten könnte, wenn dieses nicht sogar bereits geschehen ist.

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

IE

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Sozialisten und Kapital

Erstellt von DL-Redaktion am 10. Juni 2011

Willkommen im sozialistischen Kapitalismus !!

File:Die Linke Weltpremiere Der junge Karl Marx Berlinale 2017.jpg

von diesen Abzockern würde mich kaum einer überzeugen

So, oder in ähnlicher Form werden die Macher der West-LINKEN ihre Genossen aus dem Bremer Landtag begrüßt haben. Sicher, nur eine Schlagzeile in der „Neokapitalistischen“ Boulevardpresse, aber dieses ohne den auf Tatsachen begründeten Hintergrund?

Fakt ist, solche Art Artikel könnten tagtäglich über jede Partei hier im Land geschrieben werden, da Politik über Abzocke und Beliebigkeit nicht mehr hinauskommt. Es geht nun einfach nur noch um das liebe Geld, und damit bleibt nun einmal der Idealismus auf der Strecke. Fakt ist aber auch das DIE LINKE nun einmal unter der Prämisse alles besser und anders machen zu wollen, angetreten ist. Die Grünen haben die zehnfache Zeit für ihre Anpassung benötigt.

Wenn wir in diesem Land von acht bis zehn Millionen Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen sprechen, sollte nicht nur das Fußvolk einer Partei bereit sein, diesen Bürgern am eigenen Lebensstil zu zeigen dass es ihnen nicht nur um persönliche Vorteilnahme und Bereicherung geht.

Wo bleiben die Angebote von echter Lebenshilfe. Diese zeichnet sich in der LINKEN  überwiegend dadurch aus, dass von Zeit zu Zeit vor Ort vollkommen unbekannte über die Liste in die Parlamente geschlüpfte MandatsträgerInnen erscheinen welche nach zwei Stunden wieder davon schweben.

Einen Begleit-Service zu den ARGEN oder Ausländerämtern werden dagegen von den Außerparlamentarischen  Oppositionen angeboten.

28.200 Euro für die drei LINKEN Bosse im Bremer Landtag. Davon träumen mit Sicherheit nicht nur die meisten Leser dieser Bild Zeitung! Wer aus der Partei gibt diesen Lesern die Motivation die Kandidaten der Partei bei den nächsten Wahlen erneut ihre Stimmen zu geben? Wo werden ausreichende Bemühungen der KandidatenInnen sichtbar, den Lebensstandard ihrer Wähler verbessern zu wollen.

Eine neue Partei welche glaubt Strukturen, die über 60 Jahre gewachsen sind auf solch eine plumpe  Art und Weise verändern zu wollen,  muss schon mit dem berühmten Klammerbeutel gepudert sein. Wäre das Leben so einfach gäbe es diese Zustände nicht.

Quelle: BILD >>>>> weiterlesen

IE

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Grafikquelle   :

Grafikquelle  : Vertreter der Partei Die Linke bei der Weltpremiere von Der junge Karl Marx bei der Berlinale 2017: v.l.n.r. Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Katja Kipping, Petra Pau und Kristian Ronneburg

Author Maximilian Bühn / Own work
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Attribution: Maximilian Bühn, CC-BY-SA 4.0

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Montagsdemo Bremen

Erstellt von Gast-Autor am 5. Januar 2010

Es gibt sie noch, die Montags-Demo.

File:2007-09-10 Horst Koehler Montagsdemo Bremen.jpg

Für solch ein Signal hatte der Pfarernde Schmarotzer keine Zeit

Nachfolgend eine Rede am offenen Mikrofon von Elisabeth Graf am 04.01.2010 zur 261. Montagsdemo in Bremen.
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Fünf Jahre Armutsbeschaffung per Gesetz

1. Das „Erwerbslosenforum Deutschland“ macht darauf aufmerksam, dass fünf Jahre Hartz IV fünfmal traurige Weihnachten für die meisten Betroffenen bedeuten. Dabei sind besonders Kinder und Jugendliche die eigentlichen Verlierer. So müsste für ein gebrauchtes Fahrrad im Wert von 50 Euro mehrere Jahre gespart werden. Eltern müssten auf vieles Notwendige verzichten, um ihren Kindern dennoch ein äußerst bescheidenes Weihnachtsfest zu ermöglichen. Alleinstehende und Familien mit einer alleinerziehenden Mutter könnten vielfach überhaupt keine Weihnachten feiern, da der Hartz-IV-Eckregelsatz keinen Spielraum für etwaige Ansparung bietet. Nach fünf Jahren mit diesem erbärmlichen und menschenverachtenden Hartz IV lässt sich nur eine äußerst vernichtende Bilanz ziehen. Martin Behrsing brachte es wunderbar auf den Punkt, dass Hartz IV selbst dem ärgsten Feind nicht zu wünschen sei – von wenigen Ausnahmen abgesehen wie etwa dessen Namensgeber Peter Hartz oder dem Ex-Superminister für Arbeit und Wirtschaft, Wolfgang Clement.

Kein einziges Ziel, was den Erwerbslosen versprochen wurde, wurde erreicht. Nun wird den Menschen eingeredet, dass es besser sei, sich von Hungerlöhnen ausbeuten zu lassen als keine Arbeit zu haben. Statt Jobs hagelt es Sanktionen, wenn sich jemand diesen brutalen Methoden widersetzen will. Da können doch so ein paar Kollateralschäden wie Obdachlosigkeit und drohender Hungertod locker billigend in Kauf genommen werden. Wen kümmert das schon? Es geht doch bloß um Überflüssige, um Ausgegrenzte! Hartz IV zog in meinen Augen eine Schneise der Verwüstung durch den Arbeitsmarkt und das Grundgesetz. Das Armutsbeschaffungsgesetz sorgt für eine konstant bleibende Zahl von sieben Millionen Hartz-IV-Beziehern, denen bewusst ihr täglicher Ernährungsbedarf reduziert und die Mittel für Bildung oder Teilhabe an Kultur, Sport und Freizeit gänzlich verweigert wurden.

Neu etabliert wird eine Verbreitung von Suppenküchen Flaschensammlern. Die Armen dürfen den „Abfall des Wohlstands“ der anderen verwerten – und die „Wohlstandstäter“ sich öffentlich belobigen und huldigen lassen, wofür ihnen zum Teil auf in meinen Augen unehrenhafte Weise ihr Platinnäschen veredelt wird. Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wurden massenhaft Menschen in das Hartz-IV-Forderungssystem gepresst, obwohl sie dort niemals hineingehört hätten, statt ihnen Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu vermitteln, was die eigentliche Aufgabe einer Agentur für Arbeit sein sollte. Ein gesellschaftliches Problem wird zu einem individuellen gemacht, womit die Betroffenen persönlich abgestraft werden. Mir kriecht das nackte Grausen den Rücken hoch, wenn ich lese, dass die Bundesagentur für Arbeit findet, die „Chancen“ der Arbeitsmarktreform seien noch längst nicht ausgeschöpft: Es gebe noch zu wenig sensible Kollegen, die die soziale Infrastruktur kennen, die mit schwierigen Lebenssituationen von Menschen umgehen können und denen es im besten Fall gelinge, mit ihnen ein „Arbeitsbündnis“ abzuschließen.

2. Kurz vor Weihnachten forderte die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, für alle Kinder einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Ganztagsschule mit kostenlosem Mittagessen. Sie halte dies für eine staatliche Verpflichtung und findet es unerträglich, dass nur diejenigen in Schulkantinen Essen bekommen, die auch dafür bezahlen können, während die anderen zusehen müssen. Frau Käßmann hob hervor, dass in Deutschland bereits jedes sechste Kind unter der Armutsgrenze lebt. Ich finde, sie hätte sich den Schlenker verkneifen können, dass Eltern eine Erziehungspflicht haben, doch besonders junge Eltern dafür oft gar keine Maßstäbe mehr besäßen und manche eine gezielte Unterstützung von außen bräuchten. Diese Familien sollten so „niedrigschwellig“ wie möglich erreicht werden, zum Beispiel mit die Familie aufsuchenden Sozialarbeitern. Ich stimme mit Frau Käßmann überein, dass alleinerziehende Mütter zu häufig vom Staat allein gelassen werden. Allerdings sollten sie nicht mit sie aufsuchenden Sozialarbeitern belästigt oder mit Gutscheinen für Mitgliedschaften in Sportvereinen, für Schwimmbadbesuche oder für den Zoo abgespeist werden, sondern sie dürfen nicht weiter von der Gesellschaft mit irgendwelchen diskriminierenden Sonderkärtchen ausgegrenzt bleiben! Alleinerziehende Mütter brauchen ein ausreichendes Einkommen und Betreuungsangebote für ihre Kinder, nicht zu vergessen Unternehmer, die ihre Vorurteile ablegen, Alleinerziehende einstellen und auch anständig bezahlen.

3. Die Politik „entdeckt“ die Alleinerziehenden und sieht, dass in jeder fünften Familie Kinder mit nur einem Elternteil aufwachsen, zu 95 Prozent mit ihren Müttern. Nun will das Familienministerium den Alleinerziehenden den Weg zurück in den Arbeitsmarkt ebnen. Da stecken Sozialarbeiter, Jobvermittler und Pädagogen seit Monaten die Köpfe zusammen, dass es nur so raucht, und nun sollen sie vor Ideen sprühen, wie es für Alleinerziehende einfacher werden könnte, eine Arbeit aufzunehmen! „Angedacht“ sind hierbei vor allem Kinderbetreuung, Qualifizierungsmaßnahmen und „Coaching“ für die Betroffenen. Auch den Arbeitgebern sollen ihre klassischen Vorurteile genommen werden. Obwohl die rund 1,6 Millionen Alleinerziehenden, die 2,18 Millionen Kinder betreuen, nicht schlechter ausgebildet sind als Eltern in Familien mit zwei Elternteilen, sind sehr viele von Armut betroffen. 41 Prozent der betroffenen Familien leben von Arbeitslosengeld I oder II. Selbst von den Berufstätigen unter ihnen sind 24 Prozent auf zusätzliches ALG II angewiesen, weil ihr Gehalt zu niedrig ist.

Wir dürfen nicht vergessen, dass die alleinerziehenden Mütter Frauen sind, und die bekommen im hinterwäldlerisch-konservativen Deutschland nun mal im Durchschnitt 23 Prozent weniger Lohn als Männer. Ist dieses Ansinnen mit den Alleinerziehenden nur einfach „nett gemeint“ oder eher Schaumschlägerei – „kurz“ vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen? Für Alleinerziehende gibt es immer mehrere Faktoren, die sie fast unvermittelbar machen oder in Armut verharren lassen. Wenn die Öffnungszeiten der Kitas mal wieder nicht dazu ausreichen, die Betreuung in der Arbeitszeit der Mütter zu gewährleisten, wenn die Arbeitgeber die vielen Krankheiten der kleinen Kinder befürchten, mit der Folge, dass die Mütter ausfallen, wenn an den Wochenenden, in der Nachtschicht keiner die Kinder betreuen kann, wenn die Arbeit dazu so schlecht bezahlt wird, dass ein eigenes Auto als weg- und zeitsparendes Familientransportmittel ein unerfüllter Traum bleiben muss, wenn die Väter oft keinen Unterhalt zahlen – ja, dann scheint Armut eine unausweichliche Falle zu werden!

Mich interessiert auch die Frage im Artikel, wie sich Alleinerziehende „besonders gewinnbringend einsetzen“ ließen. Auch sei die Frage nach einer kleinen Nebensächlichkeit erlaubt, wo nämlich die vielen unbesetzten Jobs für Alleinerziehende am Horizont auftauchen sollen. Warum sollte eine noch mit Erziehung vollbeschäftigte Alleinerziehende mit aller Gewalt in einen nicht vorhandenen Arbeitsmarkt gepresst werden? Geht es hier wirklich um ehrliche Arbeit, oder soll hier vielleicht ein Mega-Ein-Euro-Job-Projekt aufgezogen werden? Schmach über den, der Arges dabei denkt! Werden hier nur neue Teilnehmer für neue Maßnahmen gesucht, die in Vollzeit eingesetzt werden und dann bei Aufnahme der Arbeit so gut wie keine Leistungen von der Arge mehr bekommen? Soll die sich in Deutschland wie ein Krebsgeschwür ausbreitende Dekra Ganztagsaufbewahranstalten für Kinder aus dem Boden stampfen? Da können dann Elternteile für eine „Entschädigung“ von einem Euro die Stunde auf den Nachwuchs der anderen Eltern aufpassen, die in einem anderen Bereich für einen Euro „Entschädigung“ arbeiten, beispielsweise Spielzeug reparieren. Da schlummert in den Köpfen mancher Politiker sicherlich ein „riesiges Potential“, das sich ganz wunderbar zu einem gigantischen profitmaximierenden vierten Arbeitsmarkt ausweiten ließe!

4. Zur Jahreswende wurden manche Politiker „geehrt“. Der frühere Finanzsenator Thilo Sarrazin ist vom Berliner Stadtmagazin „Tip“ zum „peinlichsten“ auf der Hitliste der 100 peinlichsten Berliner gekürt worden. Er darf sich wegen seiner diskriminierenden Äußerungen über Ausländer und Hartz-IV-Bezieher konkurrenzlos glücklich über diesen ersten Platz schätzen. Meiner Meinung nach wurde er von dem Blatt sehr zutreffend als „notorischer Zwangsprovokateur“ beschrieben, der mit seiner Tirade einmal mehr seinen „enorm elitären Dünkel“ offenbare. Mindestens ebenso liebevoll geehrt durfte sich der Präsidenten des Münchner „Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung“, Hans-Werner Sinn, fühlen, als er den negativen Umweltpreis „Dinosaurier 2009“ vom „Naturschutzbund Deutschland“ verliehen bekam. Hans-Werner Sinn sei ein „Dampfplauderer mit egoistischem Sendungsbewusstsein“, der Windräder und Solarzellen ablehne und kaum eine Gelegenheit auslasse, die moderne Umweltpolitik zu attackieren. Schade, dass sich der Ökonom die Chance entgehen ließ, den Preis selbst entgegenzunehmen! Ich finde, dass auch der Bremer FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Dr. Oliver Möllenstädt in dieser Galerie wegen seiner von der Staatsanwaltschaft leider nicht weiter verfolgten Unterstellungen gegenüber Hartz-IV-Beziehern eine „gute“ Figur machen würde.

5. Liebe Kinder, gebt fein acht, der Märchenonkel hat euch etwas mitgebracht! Ja, der Ökonom Hans-Werner Sinn macht auch andernorts von sich reden: In diesem Jahr rechnet er nämlich mit einem kleinen Wunder auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Ausgerechnet der „Blöd“-Zeitung erzählte er, dass unser Arbeitsmarkt der Krise trotzen werde, obwohl in den meisten anderen Ländern Katastrophenstimmung herrscht. Statt der 4,5 bis 5 Millionen Arbeitslosen, die vielfach noch im Frühjahr für 2010 erwartet wurden, prognostiziert der Ökonom noch 3,6 Millionen. Er räumt zwar ein, wir säßen in der schlimmsten Krise der Weltwirtschaft seit dem Krieg, behauptet jedoch, wir hätten wegen der massiven Lohnzuschüsse bei Hartz IV und durch das Kurzarbeitergeld 1,3 Millionen Erwerbslose weniger als noch 2005. Wurde Herr Sinn etwa beim Sprechen im Schlaf belauscht, oder meint er, was er sagt? Wenn der Ökonom an derartige Wunder glaubt, die bekanntlich auch Mirakel genannt werden, darf ich ihm vielleicht den Beinamen „Mirakulix“ geben!

6. Manchmal frage ich mich, was so manche Menschen über die Zeit zwischen den Jahren zu sich genommen haben oder wie es kommt, dass sie solche Merkwürdigkeiten erzählen. Bundessozialrichter Peter Udsching findet, dass 130 Euro im Monat jedem, der kochen könne, vollkommen genügen würden für eine vernünftige Ernährung! Er sieht nur die Möglichkeit, nicht mit dem Geld auszukommen, wenn es für teures Fast Food ausgegeben werde. Ob dieser Richter überhaupt mal selbst einkaufen geht? Lässt er einkaufen, oder ist auch diese Tätigkeit zu profan – geht er essen, lässt sich Feinkost nach Hause bringen? Nein, natürlich nicht Fast Food, weil dies doch zu teuer ist! Ich wünschte mir, dass die Menschen, die pauschal solche Aussagen machen, mal ihr Antlitz von ihrem exquisiten Notebook abwenden und einen Blick in die Wirklichkeit der schnöden Normalität anderer werfen würden. Aber wer es sich leisten kann, täglich in Kantinen oder Restaurants zu speisen, kann es sich bestimmt auch leisten, nur 130 Euro für das restliche Essen im Monat auszugeben, also für das Frühstück.

Noch gar nicht erwähnt wurde das Fahrtgeld, das ausgegeben werden muss, um die Einkäufe in den Supermärkten zu tätigen. Toll war noch sein Hinweis auf diese unwürdigen „Tafeln“. Die lassen sich nicht wie ein Supermarkt durchlaufen, um das Gewünschte in den Einkaufswagen zu legen! Häufig gibt es genau das, was gerade selbst nicht gebraucht wird, zum Beispiel nur eine große Auswahl an Weihnachtsgebäck. Was soll dann gekocht werden? Schokoladensuppe? Lebkuchengratin? Spekulatiusauflauf? Stollensalat? Oder brauchen Hartz-IV-Bezieher dringend einen Kochkurs, weil sie ständig das Wasser anbrennen lassen? Als die Königin Marie-Antoinette auf die Hungerprobleme der französischen Bevölkerung angesprochen wurde, sagte sie: „Sollen sie doch Kuchen essen, wenn sie kein Brot haben!“ Sind wir hier von Zynikern oder nur von vollkommen Weltfremden umgeben?

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend)

Quelle: 261. Montagsdemo Bremen – klicke hier für die Startseite; Wochennavigation durch ‚Pfeil-Regelung‘

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Fotoquelle :

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Author No machine-readable author provided. Bremer Montagsdemo assumed (based on copyright claims).

I, the copyright holder of this work, release this work into the public domain. This applies worldwide.
In some countries this may not be legally possible; if so:

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