DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Archiv für die 'Medien' Kategorie

Nichts als Märchen

Erstellt von Redaktion am 16. April 2023

Im Koalitionsvertrag kommen sie zwar endlich vor.

Haben die Politiker-innen nicht immer die schönsten Märchen für sich selber geschrieben. Selbst dann wenn sie diese später nicht einmal lesen konnten ?

Von  ;   Verena Niethammer

Doch pflegende Eltern, etwa von Kindern mit Behinderung, sind von der Politik schändlich vernachlässigt. Fakt ist, dass pflegende Familien genauso wie Menschen mit Behinderung stark von Armut bedroht sind.

Es gibt fünf Millionen Menschen mit Pflegebedarf in Deutschland. Blickt man in offizielle Pflegebroschüren, könnte man meinen, dass es sich dabei ausschließlich um ältere Menschen handelt. Doch circa 3 Prozent von ihnen sind minderjährig. Diese Kinder und Jugendlichen werden überwiegend zu Hause gepflegt. Sie leben mit ihren Familien in besonders belasteten, oftmals prekären Verhältnissen. Das ist längst bekannt und durch Studien wie die des Kindernetzwerks aus dem Jahr 2014 belegt. Dennoch werden pflegende Eltern seit Jahrzehnten übergangen. Weder die Familien- noch die Pflegepolitik hat sie auf dem Schirm.

Ein Aha-Moment war die Veröffentlichung des Koalitionsvertrags im November 2021. Im Abschnitt zur häuslichen Pflege wurden tatsächlich Familien von Kindern mit Behinderungen erwähnt. Ein absolutes Novum. Das weckte Hoffnung auf Veränderungen.

In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr pflegende Familien vernetzt, auch über ­Social Media. Es gab mehrere erfolgreiche Peti­tio­nen, etwa „Stoppt die Blockade der Krankenkassen“, die sich gegen mutwillige Hürden in der Hilfsmittelversorgung stellt. Hier geht es um Essenzielles wie Rollstühle, Laufhilfen oder Geräte zur Kommunikation. Obwohl diese Hilfsmittel von Fach­ärzt:in­nen verordnet werden, lehnen viele Krankenkassen sie zunächst einmal ab. Dann folgt meist ein langwieriges Widerspruchsverfahren. Das initiierende Eltern- und Ärztepaar Lechleutner sammelte über 55.000 Unterschriften. Ein halbes Jahr später fand sich die Formulierung, dass die Hilfsmittelversorgung ab sofort unbürokratischer gestaltet und digitalisiert werden soll, als ein gesetztes Ziel der Ampel.

Aber das waren offensichtlich leere Versprechungen. Spürbare Konsequenzen gab es bisher keine. Auch das persönliche Budget – eine Geldleistung für Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung, mit der diese As­sis­tent:in­nen und Fachkräfte selbst bezahlen können – sollte fortan leichter gewährt werden. Doch die Antragstellung ist auch heute noch ein unglaublicher Hürdenlauf. Inklusion funktioniert in Deutschland auch 2023 nur mit guter Rechtsschutzversicherung oder dickem Geldbeutel.

Wichtig für pflegende Familien wäre Entlastung in der häuslichen Pflege. Denn diese Care-Arbeit ist ein zehrender Knochenjob nicht nur in stationären Einrichtungen, sondern vor allem zu Hause, wo 99 Prozent der minderjährigen Pflegebedürftigen versorgt werden. Viele Mütter und Väter pflegen und betreuen ihre Kinder rund um die Uhr, die meisten ohne pflegerische Unterstützung. Der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn hatte mit seiner Pflegereform 2021 das Thema angekratzt. Dabei bediente er sich zwar des Begriffs Entlastungsbudget – doch der Inhalt fehlte. Das Konzept war nichts als ein verdecktes Streichkonzert. Der Gesamtbetrag des neuen Budgets war letztlich geringer als die darunter subsumierten Einzelbeträge. Die Verhinderungspflege – also eine kurzzeitige Vertretung der pflegenden ­Person –, die das meistgenutzte Hilfsangebot für pflegende Familien darstellt, sollte reduziert werden. Zugleich sollte die Summe für stationäre Kurzzeitpflege erhöht werden. Deren Nutzung wurde zudem zur Bedingung für die Verhinderungspflege-Leistung. Allerdings bedeutet Kurzzeitpflege die Kürzung des Pflegegelds. Das ist eine verdeckte Refinanzierung auf Kosten der pflegenden Angehörigen. Zudem gibt es viel zu wenig Angebote zur schnell wachsenden Nachfrage. Im U18-Bereich besteht seit Jahren vielerorts extremer Mangel. Wer also keinen Kurzzeitpflegeplatz findet, könnte dann nicht einmal die volle Verhinderungspflege nutzen. Eine Mogelpackung, die einen lauten Aufschrei und eine weitere Unterschriftenaktion zur Folge hatte. Spahn vertagte das Ganze dann einfach – auf unbestimmte Zeit. Die Coronapandemie diente als willkommene Ausrede. Doch die Ampelregierung verspricht nun, mehr Entlastungsstrukturen zu schaffen und einen Ausbau der Kurzzeitpflegeeinrichtungen zu forcieren. Für viele pflegende Familien sind sie eine unverzichtbare Unterstützung, die oft für eigene Gesundheitsfürsorge, etwa lange aufgeschobene OPs, benötigt wird. Doch tatsächlich passiert das Gegenteil: ein Ab- statt eines Ausbaus. Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens macht auch vor der Pflege keinen Halt. Zahlreiche Einrichtungen werden geschlossen und Projekte, etwa eine Kurzeitpflege für Minderjährige in Esslingen, abgesagt, da zu teuer. Weitere Angebote schließen wegen neuer Auflagen den Kinderbereich. Pflegende Eltern fühlen sich veräppelt.

Während seit Herbst 2022 Fachkräfte der ambulanten Pflege endlich auch Tariflohn erhalten, wurde das Pflegegeld seit 2017 nicht mehr erhöht. Fakt ist, dass pflegende Familien genauso wie Menschen mit Behinderung stark von Armut bedroht sind – und das nicht erst im Alter, was der Paritätische Teilhabebericht von 2021 belegt.

Was dazu im Koalitionsvertrag steht: Es werde ab 2022 eine Dynamisierung des Pflegegelds erfolgen. Erneut eine hohle Phrase, denn aus der neusten Pflegereform Karl Lauterbachs vom April 2023 ist dieser Passus ebenfalls verschwunden. Die Erhöhung wurde vertagt auf 2024, um magere 5 Prozent soll das Pflegegeld dann angehoben werden. Zahlreiche der überwiegend weiblichen Pflegenden leisten inzwischen auch „Sandwichpflege“, da sie neben ihren Kindern ältere Verwandte versorgen.

Ein kleiner Etappensieg ist, dass das Intensivpflege und Rehabilitationsgesetz (IPReG), das von Spahn ins Leben gerufen wurde, inzwischen nachgebessert wurde. Betroffene und Angehörige hatten sich zusammengetan mit der Konsequenz, dass die überarbeitete Version nun weniger able­istisch ist. Dennoch bleibt das IPReG ein Bürokratiemonster, das allen das Leben unnötig schwer macht. Auch den Ärzt:in­nen und unterbesetzten Stationen wird noch mehr aufgebürdet. Allein zur Ausstellung der neuen Verordnungen der AKI – der ambulanten außerklinischen Intensivpflege – müssen spezialisierte Fach­ärzt:in­nen gefunden werden, die dazu bevollmächtigt sind. Je­de:r Außenstehende müsste sich ausmalen können, was es bedeutet, wenn man neben der Pflege einer derart versorgungsintensiven Person noch wochenlang in Warteschleifen hängt. Wird ambulante Intensivpflege genehmigt, sind die beauftragten Pflegedienste meist unterbesetzt. Sie begleiten das Kind oft nur eine Schicht, auch wenn 24-Stunden-Pflege verordnet ist. Die Familien sind oft auf sich gestellt, lernen nahezu alle medizinischen Handgriffe. Sie überwachen und intervenieren übermüdet, pflegen weit über ihre Reserven hinaus. Eine Tages- und Nachtpflege würde helfen, doch die gibt es nur im Erwachsenenbereich. Von den raren U18-Einrichtungen nehmen die wenigsten Kinder mit Pflegegrad 4 oder 5 auf. Bekommen diese doch einen Platz im Kinderhospiz oder zur Kurzzeit, wird unmittelbar das Pflegegeld gekürzt. Eine unfassbare Frechheit, in keinem anderen Beruf gibt es unbezahlten Urlaub, der sogar noch finanzielle Nachteile mit sich bringt. Die Familien müssen es sich leisten können, Entlastung anzunehmen. Das ist unwürdig und steht in keiner Relation zu dem, was pflegende Eltern tagtäglich leisten – oft lebenslang.

Was pflegende Eltern daher dringend benötigen, ist finanzielle und soziale Absicherung. Das ginge entweder durch eine Entlohnung im Sinne eines Care-Gehalts oder durch eine Anstellung als Assistent des Kindes. Denn genau diese Tätigkeiten, die sonst im Rahmen des persönlichen Budgets der erkrankten Person vergütet werden, leisten Eltern gratis, es gibt höchstens Rentenpunkte. Die Pflegekassen sparen so jeden Monat bares Geld auf Kosten der Eltern.

Quelle     :            TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

********************************************************

Grafikquelle :

Oben     —       Vectorized silhouettes of Hansel and Gretel.

Abgelegt unter Berlin, Gesundheitspolitik, Kultur, Medien | Keine Kommentare »

KOLUMNE – GRAUZONE

Erstellt von Redaktion am 16. April 2023

Freiheit für den Journalisten Evan Gershkovich!

Von Erica Zingher

Einst verließen die Eltern von Evan Gershkovich, jüdische Emigranten, die Sowjetunion in der Hoffnung auf ein besseres Leben Richtung Amerika. Sie nannten ihren heute 31-jährigen Sohn Evan. Das klang wie Iwan, aber sah nicht russisch aus.

Vor über zwei Wochen nun wurde der Journalist Evan Gershkovich in Jekaterinburg im Ural unter dem Vorwurf der Spionage vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB festgenommen. Der FSB wirft ihm vor, versucht zu haben, „geheime Informationen zu beschaffen“. Gershkovich soll zur Söldnertruppe Wagner, der russischen Privatarmee, recherchiert haben. Jetzt sitzt der Reporter in Untersuchungshaft im berüchtigten Moskauer Lefortowo-Gefängnis. Ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft.

Mit Mitte 20 beschloss Gershkovich nach Russland zu ziehen, um künftig über das Heimatland seiner Eltern zu berichten. Er arbeitete zunächst für die englischsprachige Moscow Times, anschließend für die französische Nachrichtenagentur AFP und im vergangenen Jahr für das Wall Street Journal.

Gershkovich berichtete während der Coronapandemie über die Zustände in Krankenhäusern, sprach mit russischen Medizinstudenten, die versuchten die Flut an Covid-Patient:innen zu behandeln. In seinem letzten Text, den er zusammen mit einem Kollegen schrieb und der kurz vor seiner Festnahme erschien, berichtete der Reporter über den Niedergang der russischen Wirtschaft.

Hervorragender Reporter

Freunde beschreiben Gershkovich als witzigen, gutherzigen Menschen – und hervorragenden Reporter. Als einen, der es als seine berufliche Pflicht ansah, auch nach dem 24. Februar 2022 weiter aus Russland zu berichten; einen, der sich privilegiert fühlte, dies tun zu können, während russische Kol­le­g:in­nen es nicht mehr konnten. Für sie war es unmöglich geworden, in ihrer Heimat zu arbeiten. Die meisten flohen ins Exil.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch ausländische Jour­na­lis­t:in­nen die Repressionen des russischen Regimes zu spüren bekommen würden. Klar, wenn kaum noch einheimische Jour­na­lis­t:in­nen da sind, die man drangsalieren kann, sucht man sich neue Opfer.

Gershkovichs Verhaftung ist eine klare Botschaft des russischen Regimes an westliche Medien und Journalist:innen: Seid euch gewiss, ihr könntet die nächsten sein! Wir können euch willkürlich verhaften! So wird Angst gesät, die Kor­re­spon­den­t:in­nen mundtot machen soll. Schritt für Schritt wird Russland zu einer Blackbox, in der die russische Führung frei drehen kann, ohne dass es jemand mitbekommt.

Dass Gershkovich unschuldig ist, ja die Vorwürfe gegen ihn mehr als dubios sind, ist irrelevant. Womöglich wird das russische Regime den Journalisten als Verhandlungsmasse benutzen und einen möglichen Gefangenenaustausch anstreben, wie schon im Falle der US-Basketballerin Brittney Griner. Entscheidend sein wird also nicht, Gershkovichs Unschuld zu beweisen, sondern, wen man im Tausch anbieten kann. Verlangen könnte Russland erneut Wadim Krassikow, der wegen des „Tiergartenmordes“ in Deutschland in lebenslanger Haft sitzt. Ihn auszuliefern, hatte Deutschland damals jedoch abgelehnt.

Journalismus ist kein Verbrechen!

Quelle        :         TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —    Leichen werden vom Sonder­kommando verbrannt, fotografiert von Alberto Errera, August 1944

Häftlinge des Sonderkommandos in Auschwitz beim Verbrennen von Leichen. Heimlich aufgenommenes Foto des Widerstandes – wahrscheinlich von „Alex“, einem jüdisch-griechischen Häftling des Sonderkommandos.

***************************

Unten        —         Peace dove, Conversion of Dove peace.png

Abgelegt unter Amerika, Asien, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Bankenlobby wetzt Messer

Erstellt von Redaktion am 14. April 2023

Licht ins Dunkel bringt nur eine UBS/CS-PUK

Quelle      :        INFOsperber CH.

Urs Schnell /   

Der Nationalrat hat die Staatsgarantien abgelehnt. Das bleibt wirkungslos. Die eigentliche Arbeit für das Parlament fängt erst an.

Einer der zentralen Punkte nach der Übernahme der CS durch die UBS ist die Frage, was die CS noch wert ist. Und wie sich der Zustand der CS auf die UBS auswirken wird. Wüsste die Öffentlichkeit mehr darüber, könnte seriöser über die Too-big-to-fail-Problematik diskutiert werden. Die UBS ist gegenwärtig daran, mit internen und wohl auch externen Prüfstellen rasch Antworten zu finden. In der Öffentlichkeit hört man nichts darüber.

Einer der Schwerpunkte ist die Beurteilung der Derivate, in denen die CS engagiert ist. Infosperber hat in einer Artikelreihe auf die Bedeutung dieser Papiere hingewiesen. Gemäss Finanzprofessor Marc Chesney belief sich der Nominalwert der Derivate bei Credit Suisse im Jahr 2017 auf 29,9 Billionen Franken. Diese Zahl überstieg das Bruttoinlandprodukt der Schweiz um das 36-Fache.

Dieser Wert oder Unwert der CS-Derivate bildet eines der grossen Risiken, welches der Bund mit seiner Staatsgarantie von 109 Milliarden Franken abdecken muss. Wieweit sich Bundesstellen Einblick in die Prüfung der CS gesichert haben, ist nicht bekannt.

Die Analyse ist eine Herkulesaufgabe. Im Wallstreet-Krisenjahr 2008 hatten die US-Behörden für die analytische Arbeit Blackrock beiziehen müssen, den heute grössten Finanzkonzern der Welt. Nur mithilfe von Blackrock-Topteams waren die US-Behörden imstande, Rettungspläne für die fallenden Investmentbanken Bear Stearns und Citigroup sowie den Finanzversicherungsgiganten AIG zu zimmern.

Die Grossbanken spekulieren mit hoch abstrakten Produkten im Milliardenbereich. Die Geschäfte sind äussert komplex und verlangen modernste Rechenleistungen. Doch sie sind weitgehend intransparent. Ein grosser Teil des Derivatenhandels haben Grossbanken in Schattenbanken ausgelagert, die ausserhalb der nationalen und internationalen Regulierungsvorschriften spekulieren. Kommt eine Bank ins Trudeln, springt der Staat ein.

Für Bankencrashs wurde in den letzten siebzig Jahren immer irgendwie eine Lösung gefunden. Doch zu welchem Preis? Der letzte Supercrash von 2008 führte zu grossen sozialen Verwerfungen. Viele Länder leiden immer noch darunter.

PUK jetzt

In der Schweiz fragen sich Politik und Wirtschaft nun, ob die neue UBS das Land nicht überfordern wird. Die Ratlosigkeit liest sich zwischen den Zeilen und macht sich bemerkbar auch in Fernsehen. Damit sind wir bei der Frage nach einer PUK.

Ja, eine PUK braucht es. Sie muss die CS wie den toten Körper eines Ertrunkenen sezieren, um herauszufinden, wie die intransparenten Geschäfte liefen. Gerade bei den Derivaten. Und beim CS-Eigenhandel. Eine PUK muss Zugriff auf die Resultate der laufenden Analyse durch die UBS bekommen. Die PUK muss ihre Untersuchungen so weit treiben, dass sie der Öffentlichkeit anschliessend Auskunft geben kann, ob die exorbitanten Spekulationsgeschäfte überhaupt einen volkswirtschaftlichen Nutzen haben. Oder ob der grösste Teil der Derivategeschäfte – was bereits ziemlich klar ist – nur den Boni-Empfängern und Aktionären nützt.

Umso dringender stellt sich die Frage, wie eine (Gross-)Bank aussehen soll, damit der Staat sie aus der Vollkasko-Haftung entlassen kann.

Die Bankenlobby wetzt die Messer

Bereits wärmt die Bankenlobby das Uralt-Argument des Wettbewerbsnachteils auf und bringt es unter die Leute. Scharfe Regulierungen würden dem Finanzplatz Schweiz schaden. Andere Banken würden in Mitleidenschaft gezogen und und und. Wie nach 2008 in den USA, Grossbritannien, Frankreich oder Deutschland, als sich besorgte Politiker und Politikerinnen (Merkel war auch dabei) einschüchtern liessen und Angst um ihre Bankenplätze bekamen.

Eines der schönsten Lobby-Beispiele dazu ist die über Jahre geführte Durchlöcherung des Dodd-Frank-Acts von 2010 durch die US-Grossbanken. Neue Regulierungen sollten ein «Too big to fail» in der Zukunft verunmöglichen. Der Chef von JP Morgan Chase hatte mehr als ein Dutzend Kongressabgeordnete höchstpersönlich kontaktiert, um das gewünschte Gegensteuer zu geben. Und Citicorp schrieb eine wichtige Passage der vermeintlichen Wall-Street-Gesetzgebung gleich selber um. Dies, nachdem die Bank im Sturm 50 Milliarden an Rettungsgeldern bekommen hatte.

Auch in der EU wurden vor fünfzehn Jahren Hunderte von Milliarden an Steuergeldern in die Rettung angeschlagener Banken gepumpt. Dafür sollten im Gegenzug deren hochspekulative Geschäfte gesetzlich eingeschränkt und besteuert werden. Doch die Finanzlobby verhinderte das Vorhaben weitgehend – dank dem Internationalen Bankenverband IIF unter Vorsitz des Schweizers Josef Ackermann.

Lief es in der Schweiz bisher anders? Nein. Die Parlamentsprotokolle der entsprechenden Debatten in den letzten Jahren können allesamt nachgelesen werden. Besonders peinlich ist die Lektüre für die FDP. Die gegenwärtigen Kommmunikationsverrenkungen passen dazu. Devise: «Möglichst abwarten und nichts überstürzen.»

Die Schweizer Bankenlobby kann sich freuen.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —     Monte Carlo, Monaco 23rd May 2013 Nico Rosberg, Mercedes W04. World Copyright: Charles Coates/LAT Photographic ref: Digital Image _N7T1433

Abgelegt unter Europa, Finanzpolitik, Medien, Positionen, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Springer-Chef Döpfner

Erstellt von Redaktion am 14. April 2023

Das Monster, das wir schufen

Von   :  Carolina Schwarrz

Die „Zeit“ veröffentlicht persönliche Nachrichten von Springer-Chef Mathias Döpfner. Die Empörung ist groß. Zu kurz kommt, wer ihn mächtig gemacht hat. „TAZ-Aufmacher Heute:“ Die Springerchefs sind entweder FDP-Fans oder rassistische wessis. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig. Voller Einsatz für die FDP, Tiraden gegen „ossis“, Merkel, „intolerant Muslims und all das andere Gesocks“: Die gesammelten Werke des Springer.Vorstandvorsitzenden Mathias Döpfner in jetzt veröffentlichten Mails und Chats.

Keine Überraschung! So lautet die vermutlich häufigste Reaktion auf die Döpfner-Causa am Donnerstagmorgen bei Twitter, dem Lieblingsnetzwerk der Jour­na­list*in­nen. Anlass war eine Recherche der Zeit, die nach eigenen Aussagen E-Mails und Chats einsehen konnte, die Springer-Chef Mathias Döpfner in den vergangenen Jahren an Personen aus dem engsten Führungskreis geschickt haben soll. Viele davon sind voller Rechtschreibfehler, englischer Wörter und lesen sich, als hätte sie jemand in besoffenem Zustand abgeschickt. „Die ossis sind entweder Kommunisten oder faschisten. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig.“ Oder eine SMS an den damaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt: „Please Stärke die FDP. Wenn die sehr stark sind können sie in Ampel so autoritär auftreten dass die platzt. Und dann Jamaika funktioniert.“

Aus der Zeit-Recherche ergibt sich das Bild eines mächtigen Mannes, der die Bundespolitik beeinflussen, Angela Merkel absägen und die Ostdeutschen fertigmachen will. Ein Mann, der den Klimawandel eigentlich ganz gut findet, in Trump einen geeigneten US-Präsidenten sieht und die Wahl Kemmerichs zum thüringischen Ministerpräsidenten mithilfe der Stimmen der AfD unproblematisch findet. Er selbst fasst sein Weltbild in einer Nachricht so zusammen: „free west, fuck the intolerant muslims und all das andere Gesochs.“

Wer in den letzten Jahren die Berichterstattung der Springer-Medien, allen voran die der Bild, verfolgt hat, wird von diesen Aussagen wahrlich nicht überrascht sein. Döpfners rechtes Weltbild war bekannt. Dass der Mann an der Spitze eines der größten Medienunternehmen weltweit gegen journalistische Grundsätze verstoßen möchte, um Politik zu beeinflussen, ist skandalös – aber leider nicht verwunderlich.

Jetzt mit dem Finger auf diesen einen fiesen Typen zu zeigen, der peinliche denglische Chats voller Fehler an seine Mit­ar­bei­te­r*in­nen verschickt, ist wenig hilfreich. Denn, ob wir Jour­na­lis­t*in­nen das nun wollen oder nicht: Mathias Döpfner ist ein Kollege von uns. Und zwar nicht irgendeiner, sondern ein ziemlich mächtiger. Dass er an der Spitze eines Medienhauses sitzt und seine Macht willkürlich ausleben kann, ist gefährlich – aber er hat sich dort nicht alleine hingesetzt.

Abgekumpel in der Branche

In erster Linie liegt die Verantwortung natürlich beim Verlag selbst. An Döpfners steiler Karriere vom Welt-Chefredakteur zum Quasiherrscher über den Springer Verlag ist vor allem Friede Springer, die Witwe von Axel Springer, schuld. Sie übertrug ihm 2019 nicht nur Aktien im Wert von rund 1 Milliarde Euro, sondern auch ihr Stimmrecht.

Seitdem kann Döpfner eigentlich machen, was er will. Zuletzt zeigte sich das in der Reichelt-Affäre. Als Reichelt 2021 Machtmissbrauch und verschiedene Affären mit Mitarbeiterinnen vorgeworfen wurde, stellte Döpfner sich schützend vor ihn. In dem folgenden Jahr erschienen neben Recherchen vom Spiegel auch welche von der Financial Times und der New York Times, die Döpfner eine Mitschuld daran geben, dass Reichelt so lange seine Macht missbrauchen konnte. In diesem Zusammenhang wird eine SMS zitiert, in der Döpfner Reichelt als letzten und einzigen Journalisten in Deutschland bezeichnet, der noch mutig gegen den „neuen DDR-Obrigkeitsstaat“ aufbegehre. Infolge der Recherchen wurde Reichelt gefeuert, Döpfner blieb an der Spitze.

Quelle       :         TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —       L to R: Friede SpringerMathias DöpfnerKai Diekmann, and Julian Reichelt, June 2019

Abgelegt unter Berlin, Kultur, Medien, Positionen | 2 Kommentare »

Zeitenwende in Mali

Erstellt von Redaktion am 13. April 2023

Die Putschregierung in Bamako genießt hohes Ansehen

Waren die Bürger-innen von Mali am Ende froh die Besetzer los zu sein?

Ein Debattenbeitrag von Olaf Bernau

Die Putschregierung in Bamako genießt hohes Ansehen, auch außerhalb des Landes. Der Westen muss sein Vorgehen im Sahel völlig neu ausrichten. Win-win lautet das neue Credo: Geschäfte mit allen, die gute Konditionen bieten – auch mit China und Russland.

Als die aus einem Doppelputsch hervorgegangene malische Übergangsregierung am 23. Februar in der UN-Vollversammlung die Verurteilung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ablehnte, war die Empörung groß. Der Bundeswehrverband forderte, dass Deutschland seine Beteiligung an der UN-Friedensmission Minusma in Mali beenden müsse, selbst im Auswärtigen Amt wuchsen die Zweifel. Das Abstimmungsverhalten schien bestens in das Bild einer wild gewordenen Militärjunta zu passen, die immer enger mit Russland kooperiert, die Kri­ti­ke­r:in­nen mundtot macht und die sich auf Konfrontationskurs mit dem Westen befindet.

Gleichwohl wäre die deutsche Öffentlichkeit gut beraten, genauer zu klären, was in Mali tatsächlich passiert. Denn breite Teile der malischen Bevölkerung schauen optimistisch in die Zukunft, laut verschiedenen Quellen stehen 70 bis 90 Prozent der Menschen an der Seite der Übergangsregierung. Auch in anderen afrikanischen Ländern gilt Mali als Vorreiter, als ein Land, das sich traut, dem Westen die Stirn zu bieten. Die viel gelesene Internetzeitung Agence Ecofin ließ im Februar ihre Le­se­r:in­nen darüber abstimmen, welche afrikanischen Persönlichkeiten das größte Vertrauen genießen. Assimi Goita, Chef der malischen Übergangsregierung, landete auf Platz 4. Vor ihm firmierten lediglich ein nigerianischer Unternehmer, ein kamerunischer Journalist und ein senegalesischer Fußballstar.

Umfragen sind flüchtig, dennoch kommt die Zustimmung nicht von ungefähr. Am wichtigsten dürfte Malis Haltung gegenüber Frankreich sein, dessen selbstherrliches und ineffektives Agieren im Antiterrorkampf schon lange in der Kritik steht. Als die ehemalige Kolonialmacht im Juni 2021 den Abzug ihrer Truppen verkündete, bat die malische Regierung nicht um Aufschub, sondern meinte kühl, dass dies Frankreichs eigene Entscheidung sei. Gleichzeitig intensivierte sie die vom Westen heftig kritisierte Zusammenarbeit mit Russland. Hierzu gehörten auch Waffenlieferungen wie Hubschrauber und Radartechnik, was Frankreich jahrelang verweigert hatte, mit dem Effekt, dass Mali militärisch abhängig blieb. Ähnlich 2022, als die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas Mali mit Wirtschaftssanktionen überzog, nachdem die Übergangsregierung eine Verschiebung der regulären Wahlen angekündigt hatte. Auch hier blieben die Militärs abgeklärt, obwohl die Sanktionen schärfer waren als alle bis heute gegen Russland verhängten Maßnahmen.

Bandschnalle für die Täuscher des tarnens und verpissen – natürlich in Braun.

Aus westlicher Sicht glich dies einem Vabanquespiel. Doch viele Ma­lie­r:in­nen ziehen eine andere Bilanz. Sie verweisen auf die verbesserte Sicherheitslage, darunter auch Bauern und Bäuerinnen im Office du Niger, einem von Terrorgruppen immer wieder heimgesuchten Bewässerungsgebiet im Zentrum des Landes: Die großen Straßen seien wieder passierbar, die Felder zugänglich, das kollektive Sicherheitsgefühl habe sich spürbar erhöht. Das ist natürlich nur ein Ausschnitt, in anderen Regionen sieht es schlechter aus, zumal das Banditenwesen allenthalben explodiert ist. Und doch gibt es einen übergreifenden Konsens: Die 2012 kollabierte Armee habe sich erholt, die Durchsetzungsfähigkeit der Terroristen sei im Schwinden, trotz punktueller Herrschaft über einzelne dörfliche Gebiete. Entsprechend seien auch UN-Berichte mit Vorsicht zu genießen, wonach sich die Zahl getöteter Zi­vi­lis­t:in­nen von 2021 bis 2022 verdoppelt habe. Denn Ter­ro­ris­t:in­nen und Zivilbevölkerung seien keine trennscharfen Gruppen, auch wenn kaum jemand die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte bestreitet. Als Erfolge gewürdigt werden der verstärkte Kampf gegen Korruption, höhere Investitionen in die Infrastruktur und Fortschritte im Justizwesen. Und natürlich der Umstand, dass Assimi Goita wieder Zukunftshoffnung geweckt habe.

Aus Sicht der einstigen politischen Klasse ist dies Propagandakitsch, sie spricht von Diktatur: Wahlen seien nicht in Sicht, der Präsident solle zukünftig noch stärkere Rechte erhalten und mehrere Menschen säßen wegen Meinungsdelikten in Haft. Die Kritik ist nicht ganz von der Hand zu weisen, und doch wirkt vieles überzogen. Aufschlussreicher ist daher, was jene Akteure sagen, die im Sommer 2020 zum Sturz von Präsident Ibrahim Boubacar Keita beigetragen haben, deren Urteil also nicht von der Erfahrung des Privilegienverlustes geprägt ist. Nicht wenige zeigen sich ebenfalls ernüchtert, sie kritisieren mangelnde Visionen und Gesprächsbereitschaft der Militärs, etwa der Filmregisseur Cheik Oumar Sissoko. Sie warnen davor, dass die freiwillige Nichtinanspruchnahme von Grundrechten wie Redefreiheit zur Friedhofsstille führen könnte. Und doch betonen auch sie, dass eine Rückkehr zum früheren Status quo nicht wünschenswert sei.

Quelle         :         TAZ-online        >>>>>       weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —       Casques bleus burkinabés de la MINUSMA à Ber, au Mali, en janvier 2017.

Abgelegt unter Afrika, Kriegspolitik, Kultur, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Rette Lebensmittel wer kann

Erstellt von Redaktion am 13. April 2023

Von der Lebensmittelrettung zur ganzen Bäckerei

undefined

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von      ;       Jonathan Eibisch

Während vor 15 Jahren Personen wie Hanna Poddig, die in Talkshows das Containern propagierten, noch als völlig abgedrehte Freaks dargestellt werden konnten, hat sich das Blatt mittlerweile gewendet.

Dass inzwischen Politiker*innen der Grünen, ebenso wie von der FDP vorschlugen, zu entkriminalisieren, wenn Menschen Essen aus Supermarktcontainern ziehen, hat seine Gründe. Es sind die gleichen, welche diese Fraktionen in Hinblick auf gewisse Sympathien für ein bedingungsloses Grundeinkommen teilen. Ganz im Unterschied zur Sozialdemokratie, welche traditionell mit der ausufernden staatlichen Bürokratie verfilzt ist, wissen gelbgrüne Liberale, dass Menschen eine gewisse Selbstständigkeit benötigen, um sich aktiv in den Arbeitsmarkt einbringen oder als bürgerliche Rechtspersonen konstituieren zu können. Was den einen der Steuererlass oder Gründerzuschuss, ist den anderen eben ihr gratis Essen aus dem Container.Selbstverständlich ist Müll auch Eigentum. Unterm Strich lohnt es sich aber, wenn er von verarmten alten Leuten, studentischen Kleinsparer*innen oder ausgewiesenen Vollzeitaktivist*innen verwertet wird. Volkswirtschaftlich teurer als das Containern zu kriminalisieren, wäre es, kämen die Betreffenden auf die Idee, individuell (mehr) zu klauen. Oder gar kollektiv zu plündern, wie es noch in den 70er und 80er Jahren selbst in der BRD durchaus gängige Praxis im Anschluss an manche stimmungsvolle Demo war. In Zeiten spürbar steigender Preise, die auch bei Lebensmitteln deutlich zu Buche schlagen, wäre dies sicherlich nicht die entfernteste Idee.Jedenfalls ist die Lebensmittelrettung auch durch den einen oder anderen Verein bekannt geworden. Fast wichtiger noch als dies ist die inzwischen in zahlreichen Städten anzutreffende systematische Organisation der Erbeutung und Verteilung von Weggeworfenem. Gruppen in sozialen Medien machen es möglich, sich gegenseitig über Funde zu informieren oder zur Abholung der ideellen Ware vor der Haustür einzuladen. Ob es beim Verschenken von zwei Gläsern Marmelade an Personen aus einer Szene-Gruppe wirklich um die „Rettung“ derselben geht oder es sich dabei nicht um eine Art inflationäre Kontaktsuche handelt, sei dahingestellt. Bei den Nachbar*innen klingeln die entsprechenden Leute jedenfalls offenbar kaum, wegen ihrem Anliegen.

Neben der Tatsache, dass es wohl schon immer arme Menschen gab, die sich durch das Sammeln von Müll über Wasser halten mussten, war die Lebensmittelrettung bis vor einem Jahrzehnt eher noch ein Hobby einiger Krusten oder Hippies. Wurden diese an der Tonne gesehen, zogen sie zwar die Verachtung der Spiessbürger*innen auf sich, konnte sich dafür aber wenigstens in ihrem Aussenseitertum feiern.

Heute scheint dieses Hobby aber zum regelrechten Sport mutiert zu sein. Statt etwa höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, niedrigere Preise oder einen Stopp der fatalen Subventionierung industrieller Landwirtschaftskonzerne zu fordern, schwingt sich der eine oder die andere Lebensmittelretter*in zu Held*in wider die Destruktion auf. Mit ihrem Ehrgeiz ist bei manchen von ihnen wohl auch eine Krisenverwalter*in des THW verloren gegangen.

Krisenverwaltung ist überhaupt jener Bereich, in welchem Anarchist*innen und Faschist*innen im Gegensatz zu ihrer sonstigen Verortung am nächsten beieinander liegen. Wobei ihr Agieren selbstredend dennoch sehr unterschiedlich ist. Letzteren allerdings gelang es bereits systematisch die Feuerwehren dieses Landes zu unterwandern, wie der Verfassungsschutz zuletzt mit gespielter Überraschung feststellte. Das nennt sich wohl präfigurative Politik: Wer die Katastrophe von morgen autoritär bewältigen will, sichert sich bereits heute dafür die Glaubwürdigkeit in Zusammenhängen, welche ohnehin darauf trainiert werden, mit Notsituationen umzugehen.

In „alternativen“ Kreisen wird die Apokalypse zu zelebrieren dagegen zum Lebensstil, der nebenbei zu interessanten Bekanntschaften und allerlei Ausflügen führt, wobei diese anhaltenden Gesprächsstoff bieten. Fast wird es peinlich, sich nicht an dieser Elendsverwaltung beteiligen zu wollen – sei es aus Faulheit, übertriebenem Sauberkeitsbedürfnis oder auch geringen Zeitressourcen. „Rette Lebensmittel, wer kann!“, wird der Imperativ des neuen Volkssports bald lauten. Irgendwie dachte ich früher immer, dass es gilt, Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer zu retten. Oder Tiere aus Mastanlagen.

Postmoderne Bürger*innen retten ihre Seelen hingegen aufgewogen an den Gütern, welche sie aus dem Container ziehen: Eine Netz Orangen (und nur drei verschimmelt), sieben Leibe Brot (dass noch nicht nass geworden zu sein scheint), achtzehn Jogurt (davon die meisten noch nicht mal aufgeplatzt), zwei angestochene Kaffeepackungen und drei welke Blumensträusse. Da wird das Herz doch weit und ein Seufzen verlässt die Kehle: „Gerettet!“. Die Käsepackung hingegen war schon deutlich von blauen Spuren gezeichnet. Und wenn wir schon beim Thema tierische Produkte sind: Obwohl ich viel ab kann, war meine persönliche Schwelle eines Tages überschritten, als wir kurz nach Ostern, mehrere gehäutete und in Plastikfolien eingeschweisste Hasenleichen fanden. Nie hatte ich bis dahin den Geruch von Leichen so intensiv wahrnehmen dürfen. Was für ein Geschenk, dass ich diesen Einblick in die Lebensmittelherstellung westlicher Industrienationen erhaschen konnte!

Dass die Ursachen von ökologisch zerstörerischer Überproduktion und selbst (bzw. gerade) im Kapitalismus ineffektiven Verteilungswegen damit kaum angegangen werden, erklärt sich von selbst. Wer unterm Strich spart und dann mehr Kohle dafür hat, ein Zugticket statt ein Flugzeug für den nächsten Urlaub zu buchen, macht sich an der Klimakatastrophe nicht schuldig. Wobei sich beides auch keineswegs ausschliesst. Dabei muss doch nicht immer etwas oder irgendjemand gerettet werden. Der Kreislauf lautet Produktion – Konsumption – Destruktion. Wo nichts zerfallen kann und darf, klammern wir uns krampfhaft ans Leben, weil wir spüren, dass die Zeit knapp wird und es uns entgleitet.

Lebensmittel aus der Verurteilung zur Wertlosigkeit zu erretten, gibt Menschen insofern das Gefühl, den Verfall für einen kurzen Moment aufzuhalten. Man gibt sich somit auch ein Stück Selbstwert zurück, der einem sonst in der Konkurrenz- und Mangelgesellschaft nie – oder eben nur kurz, damit wir Junkies bleiben – gewährt wird. Somit ist es auch nur konsequent, sich die zur Zersetzung bestimmten kapitalistischen Waren selbst einverleiben zu wollen. Da die zum Müll degradierten Produkte trotzdem durch die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, wie auch die Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlage erzeugt wurden, handelt es sich im Grunde genommen um eine Art Kannibalismus.

Schlussendlich möchte ich nicht falsch verstanden: Ich bin absolut für die eigenmächtige Beschaffung von Ressourcen und ihre möglichst kollektive Verteilung. Es wäre lächerlich, dafür einen bestimmten Grad an persönlicher Verelendung erreicht haben zu müssen. Wer clever ist und weiss, wie man sparen kann – warum nicht? Was wir von der Oma oder Uroma nach dem Krieg gelernt haben, bewährt sich auch heute. Dann bleibt eben mehr für anderes über und am Ende des Monats rechnet sich das schon. Auch gegen ein Aussteigertum für einige Jahre habe ich gewiss nichts einzuwenden. Doch: Lebensmittelrettung als eine Art Ablass zu betreiben, der nebenbei die Aufmerksamkeit von sozialen Kämpfen ablenkt, ist nichts als ein skurriles Hobby oder ein verkappter Puritanismus. So einfach diese Wahrheit ist: Wir müssen auf die Produktion abzielen. Und dies beinhaltet, die ganze Bäckerei zu vergesellschaften.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —     Container-Aktion der Gruppe in Berlin (2022)

******************************

Unten      —         Aktivisten vom Aufstand der Letzten Generation verschenken weggeworfene Lebensmittel vor dem Kaufland in der Residenzstraße. Berlin, 08.01.21

Abgelegt unter APO, Berlin, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Fake-News bei Tagesschau

Erstellt von Redaktion am 12. April 2023

Zur Rechtslage bei COVID-19 Impfschäden –
Wegfall § 84 AMG für COVID-19

Von Johannes Kreis

Wir möchten auf eine aktuelle Falschmeldung der Tagesschau zu der Rechtslage bei Impfschäden durch die neuartigen mRNA Impfstoffe gegen SARS-CoV2 hinweisen.

„Für Covid-19-Impfstoffe gelten im Prinzip dieselben Haftungsregeln wie für andere Arzneimittel, etwa nach dem Arzneimittelrecht oder dem Produkthaftungsgesetz.“

Das ist nach § 15 Produkthaftungsgesetz und §3 Abs. 4 MedBVSV („Verordnung zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie“) falsch.

Für SARS-CoV2 sind wesentliche prozessuale Erleichterungen des Arzneimittelgesetzes (AMG) im Schadensersatzprozess für die durch eine Impfung Geschädigten per Verordnung (MedBVSV) weggefallen.

Erstens gilt die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Produkthaftungsgesetzes (ProdHaftG) nicht für Arzneimittel, zu denen auch Impfstoffe gehören. Das Arzneimittelgesetz (AMG) verdrängt das Produkthaftungsgesetz.

„(1) Wird infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt, so sind die Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes nicht anzuwenden.“

Zweitens wurde die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung nach § 84 Abs. 1 AMG per 25.05.2020 durch § 3 Abs. 4 MedBVSV für SARS-CoV2 aufgehoben. Diese Rechtsverordnung wurde speziell für SARS-CoV2 erlassen.

„(4) Abweichend von § 84 AMG unterliegen pharmazeutische Unternehmer, Hersteller und Angehörige von Gesundheitsberufen hinsichtlich der Auswirkungen der Anwendung der in § 1 Absatz 2 genannten Produkte nicht der Haftung, wenn diese Produkte durch das Bundesministerium als Reaktion auf die vermutete oder bestätigte Verbreitung des SARS-CoV-2-Erregers in den Verkehr gebracht werden und nach den Gegebenheiten des Einzelfalls die auf Absatz 1 gestützten Abweichungen vom Arzneimittelgesetz geeignet sind, den Schaden zu verursachen. Pharmazeutische Unternehmer, Hersteller und Angehörige von Gesundheitsberufen haben die Folgen der auf Absatz 1 gestützten Abweichungen vom Arzneimittelgesetz nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz zu vertreten. Im Übrigen bleiben die Haftung für schuldhaftes Handeln sowie die Haftung für fehlerhafte Produkte nach den Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes unberührt.“

Gleichzeitig ist damit die Beweislastumkehr des § 84 Abs. 2 S. 1 AMG weggefallen,

„(2) Ist das angewendete Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet, den Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden durch dieses Arzneimittel verursacht ist.“

Diese Kausalitätsvermutung erleichtert die Beweisführung bei einer Klage wegen eines Arzneimittelschadens erheblich, da die Darlegung der Kausalität zwischen Arzneimittel und Schaden nicht zur vollen Überzeugung des Gerichtes erfolgen muß. Vgl. dazu die Gesetzesbegründung,

„Damit die Vermutung eingreift, wird mehr als die nur abstrakt-generelle Eignung des Arzneimittels verlangt, Schäden der in Rede stehenden Art hervorzurufen. Die Eignung muss auf Grund der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls festgestellt werden.“

„Kann der Geschädigte darlegen und im Streitfall beweisen, dass das Medikament nach den Umständen des Einzelfalls dazu geeignet war, den Schaden zu verursachen, so wird darauf geschlossen, dass die bei ihm konkret vorliegende Beeinträchtigung durch das Arzneimittel bewirkt wurde. Es genügt also die Darlegung und – im Bestreitensfalle – der Nachweis der konkreten Möglichkeit der Schadensverursachung. Der Geschädigte wird dann davon befreit, den Kausalverlauf zur vollen Überzeugung des Gerichts darlegen und beweisen zu müssen.“

Diese Privilegierung wurde für SARS-CoV2 aufgehoben. Frau RAin Jessica Hamed weist seit langem darauf hin, unlängst wieder auf Twitter,

„Der Staat hat durch seine Gesetzesänderung bewusst Schadensersatzansprüche, für die er am Ende aufgrund der Verträge mit den Herstellern haften müsste, letztlich fast vollständig vereitelt.“

Auf Nachfrage führt sie in einem zweiten Tweet aus,

„Deshalb schließt die MedBVSV eine Haftung der pharmazeutischen Unternehmer nach § 84 AMG für durch Arzneimittel verursachte Schäden aus, „wenn diese Produkte durch das Bundesministerium als Reaktion auf die vermutete oder bestätigte Verbreitung des SARS-CoV-2-Erregers in den Verkehr gebracht werden und nach den Gegebenheiten des Einzelfalls die auf Absatz 1 gestützten Abweichungen vom Arzneimittelgesetz geeignet sind, den Schaden zu verursachen“ (§ 3 IV 1 MedBVSV).“ NJW, 2022, 649, 650.““

Der Artikel NJW, 2022, 649, 650 (Neue Juristisch Wochenschrift) ist von Prof. Dr. iur. Anatol Dutta von der juristischen Fakultät der LMU München und er trägt den Titel „Haftung für etwaige Impfschäden“.

  • Anatol Dutta, „Haftung für etwaige Impfschäden“, NJW, 2022, 649, 650

Rechtsgrundlage der MedBVSV ist § 5 Abs. 2 IfSG und hier speziell § 5 Abs. 2 Nr. 4 lit. a  IfSG für den Wegfall der Haftung nach §84 AMG,

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang § 5 Abs. 5 IfSG, der eine Einschränkung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2  S.1 GG, durch § 5 Abs. 2 IfSG enthält,

„(5) Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes) wird im Rahmen des Absatzes 2 insoweit eingeschränkt.“

Man baut damit einer Verfassungsklage gegen § 5 Abs. 2 IfSG vor, denn nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG muß bei der Einschränkung eines Grundrechts dieses benannt werden. Man hat also bei der Ermächtigung einer Verordnung zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite als erstes das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingeschränkt. Damit entzieht sich der Staat seiner Schutzverpflichtung in Bezug auf die Impfstoffe, während gleichzeitig einige Vorzeige-Staatsrechtler in Deutschland über die Notwendigkeit einer Impfpflicht gerade aufgrund dieser Schutzpflicht schwadroniert haben.

Gemäß § 1 Abs. 1 MedBVSV ist der Zweck dieser Verordnung die „Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs während der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie“.

„(1) Diese Verordnung dient der Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs während der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie.“

Es bleibt völlig offen, wie die prozessuale Schlechterstellung von Impfopfern zur „Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs“ beiträgt.

Es bleibt den Geschädigten die Geltendmachung eines Schadens aus vertraglichem oder gesetzlichem Schuldverhältnis (Deliktsrecht). Hier ist ein Nachweis eines Verschuldens erforderlich (Fahrlässigkeit oder Vorsatz). Mangels eines Vertrags zwischen dem Impfgeschädigten und dem Impfstoffhersteller kommt wohl nur Deliktsrecht in Frage. Die Beweisanforderung an den Geschädigten dort sind aber wesentlich höher als nach dem Arzneimittelgesetz. Ob und in wie weit eine Produzentenhaftung nach BGB in Frage kommt, kann nur der Rechtskundige beantworten. Dies würde den Nachweis eines Produktfehlers erfordern. Der Wegfall der Chargenprüfung nach § 32 Abs. 1 AMG durch § 3 Abs. 1 MedBVSV wird den Beweis dazu weiter erschweren, da keine Proben aus den Chargen der Impfstoffe eingelagert werden mußten, siehe unten.

Allen möglichen Anspruchsgrundlage ist gemein, dass sich der Hersteller auf den „Stand der Wissenschaft“ berufen kann, um sich aus der Haftung zu bringen. Niemand hätte es besser machen können, da es niemand besser gewußt hat.

In diesem Zusammenhang sind die teleskopierten, „vorher undenkbaren“ Zulassungsverfahren zu sehen, die zu (bedingten) Blitz-Zulassungen der neuartigen mRNA Impfstoffe geführt haben. D.h. man hat die Phasen der Impfstoffprüfung parallel ausgeführt und mit der nächsten Phase begonnen, bevor die vorangehende abgeschlossen war.

Warum können COVID-19-Impfstoffe so schnell zugelassen werden und zugleich sicher sein?

Die Entwicklung von Impfstoffen gegen neue Erreger ist ein komplexer und langwieriger Prozess, der meist mehrere Jahre beansprucht.“

Inzidenz-D.jpg

Können Politiker-innen viel Geld damit verdienen, geht alles noch viiiiiel schneller

Diese Erkenntnis hat alle an der Impfstoffentwicklung beteiligten Expertinnen und Experten bewogen, die Zusammenarbeit enger und die Prozesse effizienter zu gestalten, ohne Abstriche bei der Sorgfalt zu machen. Dies hat auch zu deutlichen Optimierungen der Verfahrensabläufe und einem Zeitgewinn bei der Entwicklung geführt.

Können einzelne Phasen der Impfstoffentwicklung ausgelassen werden?

Nein.

Die Entwicklung und Herstellung von sicheren und wirksamen Impfstoffen ist hochkomplex. In der EU und damit auch in Deutschland standen uns ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie – vorher undenkbar – bereits drei wirksame und sichere Impfstoffe gegen COVID-19 zur Verfügung. Sie alle haben den regulären Weg der Impfstoffzulassung in kurzer Zeit durchlaufen, ohne wichtige Entwicklungsphasen auszulassen – ganz zentral hierbei ist die klinische Prüfung auf Sicherheit und Wirksamkeit. Diese umfassende Prüfung ist wichtig – schließlich werden Impfstoffe gesunden Menschen verabreicht.“

Wenn es so einfach und ohne Abstriche bei der Sicherheit möglich ist, die Prüfungsverfahren zu beschleunigen, warum hatte man das nicht schon längst gemacht? Und warum bedarf es dann dieser umfangreichen Haftungsbeschränkungen und Haftungsausschlüsse für die Hersteller? Warum war eine solche Beschleunigung „vorher undenkbar“?

Die schweren Nebenwirkungen sind so erst bei der Markteinführung bemerkt worden. Davon zeugen 10 Rote-Hand-Briefe zu den Impfstoffen aus dem Zeitraum März bis Oktober 2021 mit denen die Hersteller die Ärzte nach(!) der (seinerzeit bedingten) Zulassung vor schweren Nebenwirkungen warnten,

Die stark verkürzten Zulassungsverfahren waren nicht geeignet den „Stand der Wissenschaft“ mit der notwendigen Sorgfalt zu ermitteln. Der „Stand der Wissenschaft“ ist nicht etwas, was man zufällig zu einem bestimmten Zeitpunkt weiß, sondern was man nach wissenschaftlichen Standards sorgfältig und unter Prüfung aller(!) Alternativen ermittelt hat.

In Australien wurde AstraZeneca inzwischen vom Markt genommen,

From Monday 20 March 2023 Vaxzevria (AstraZeneca) is no longer available. The information on this page is for those that have previously received a primary course and/or booster dose of AstraZeneca.”

Für die (minimale) Entschädigung nach § 60 IfSG genügt nach § 61 IfSG „die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs“. Diese Beträge liegen weit unten denen aus Schadensersatz, bei dem der Geschädigte, zumindest wirtschaftlich, so zu stellen ist, als hätte es das Schadensereignis nicht gegeben (§ 249 BGB).

„Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.“

Offensichtlich konnte man die Impfgeschädigten nicht ganz ohne Versorgung lassen. Aber, umfangreichen Schadensersatz, der über die geringen Leistungen von einigen Hundert Euro pro Monat nach IfSG hinausgeht, wollte man verhindern. Bei einer lebenslangen Behinderung sind die Bezüge nach IfSG lächerlich. Es besteht ein eklatantes Mißverhältnis zwischen den Milliardenprofiten der Pharmaindustrie durch SARS-CoV2 und den Ausgleichszahlungen an Impf-Geschädigte im Schadensfall.

In diesem Zusammenhang sei auf die weiteren, umfangreichen Ausnahmen vom Arzneimittelgesetz für die Lieferung von Arzneimitteln (Impfstoffen) für SARS-CoV2 nach § 3 Abs. 1 MedBVSV hingewiesen. Angeblich wurden diese Ausnahmen erlassen, um die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln (und Impfstoffen) gegen SARS-CoV2 zu sichern.

„(1) § 8 Absatz 3, die §§ 10, 11, 11a und 21 Absatz 1, § 21a Absatz 1 und 9, § 32 Absatz 1, die §§ 43, 47 und 72 Absatz 1 und 4, § 72a Absatz 1, § 72b Absatz 1 und 2, § 72c Absatz 1, die §§ 73a, 78 und 94 des Arzneimittelgesetzes (AMG) sowie § 4a Absatz 1 und § 6 Absatz 1 der Arzneimittelhandelsverordnung (AM-HandelsV) gelten nicht für das Bundesministerium, die von ihm beauftragten Stellen und für Personen, von denen das Bundesministerium oder eine von ihm beauftragte Stelle die Arzneimittel beschafft, wenn das Bundesministerium oder eine von ihm beauftragte Stelle nach § 2 Absatz 1 Arzneimittel oder Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe beschafft und in den Verkehr bringt.“

Im Einzelnen betrifft das die nachfolgenden Ausnahmen vom Arzneimittelgesetz (AMG) für COVID-19. Dabei umfasst dies unter anderem den Vertrieb nach Ablauf des Verfallsdatums, den Wegfall von Kennzeichnungspflichten oder der Erfordernis eine Packungsbeilage, den Wegfall der Fachinformation, Abstriche bei den Zulassungserfordernissen, den Wegfall der staatlichen Chargenprüfung, den Wegfall der vorgegebenen Preispannen, den Wegfall des Erfordernisses einer Deckungsvorsorge für Schadensfälle, usw.

Dabei schränken der Wegfall der Kennzeichnungspflicht, die fehlende Fachinformation und die fehlende Gebrauchsinformation (Packungsbeilage) den Anspruch auf Schadensersatz nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 AMG weiter ein, denn diese Informationen waren nach § 3 Abs. 1 MedBVSV für SARS-CoV2 nicht erforderlich.

Weggefallen sind nach § 3 Abs. 1 MedBVSV für SARS-CoV2,

„(3) Es ist verboten, Arzneimittel, deren Verfalldatum abgelaufen ist, in den Verkehr zu bringen.“

„(1) Fertigarzneimittel dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt hat.“

„(1) Der pharmazeutische Unternehmer hat dafür Vorsorge zu treffen, dass er seinen gesetzlichen Verpflichtungen zum Ersatz von Schäden nachkommen kann, die durch die Anwendung eines von ihm in den Verkehr gebrachten, zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels entstehen, das der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist (Deckungsvorsorge).“

Weiter Ausnahmen betreffen die Arzneimittelhandelsverordnung (AM-HandelsV). Weggefallen ist,

„(1) Arzneimittel dürfen nur von zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Betrieben erworben werden.“

Auch hier ist vollkommen offen, wie der Wegfall wesentlicher Sicherungsmaßnahmen dazu beitragen kann, die Bevölkerung mit sicheren(!) Arzneimitteln oder Impfstoffen zu versorgen. Die MedBVSV ist gar nicht geeignet, ihren in § 1 MedBVSV genannten Zweck zu erfüllen. Aber darauf kam es wohl nicht an.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     — Aufkleber eines Impfkritikers an einer Müllbox in Heikendorf.

Abgelegt unter Gesundheitspolitik, Hessen, Justiz-Kommentare, Medien, Positionen | 1 Kommentar »

Ostermarsch – Düsseldorf

Erstellt von Redaktion am 11. April 2023

Ostermarsch Rhein-Ruhr in Düsseldorf:
Es wird auch um Sympathie für Russland geworben

Fotos : Symbol – Beispiele

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von     :    Edith Bartelmus-Scholich

Zum Auftakt des Ostermarsches Rhein-Ruhr in Düsseldorf stellte Felix Oekentorp als Veranstalter in seiner Rede den Faschismus in der Ukraine in den Mittelpunkt, indem er Passagen aus einer Rede von Heinrich Bücker (Friedenskoordination Berlin) zitierte. Er machte sich zudem die Auffassung zu eigen, dass die Freundschaft zwischen Deutschland und Russland nun leider durch das Verhalten der deutschen Regierung beschädigt sei. Der russischen Regierung misstraut er nicht, wie er erklärte. Fünf Minuten seiner Rede sind als Video dokumentiert: https://twitter.com/LoveGuerillero/status/1644772709442768898/video/1

Seine Rede war eine indirekte Aufforderung der Ukraine die Solidarität zu entziehen, weil die Faschisten in der Ukraine keine Solidarität verdienen. Ferner handelte es sich um eine indirekte Rechtfertigung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Insgesamt eine plumpe Täter-Opfer-Umkehr.

Ich selbst bin seit Jahrzehnten beim Ostermarsch dabei, aber nach dieser Rede habe ich die Demo verlassen. Denn in einer Friedensbewegung, die den Opfern eines Angriffskriegs nicht mit Empathie gegenübersteht, fühle ich mich fehl am Platze.

Zudem wurde auf der Demo ein vierseitiger Hochglanz-Flyer „NATO raus aus der Ukraine“ verteilt. In diesem Flyer wird die russische Regierung unterstützt und als Schuldiger wird ausdrücklich und alleine die NATO benannt. Als politische Massnahme soll nicht etwa eine Friedensbewegung gegen Kriege aufgebaut werden, sondern eine Friedensbewegung gegen die NATO. Bei aller berechtigten Kritik an der NATO als Militärbündnis, hat dies mit der Intention einer Bewegung, die für den Frieden kämpft, nichts mehr zu tun.

undefined

Gestern habe ich dann ein Bild von der Abschlusskundgebung gesehen. Vor dem Rathaus befand sich ein großes Transparent auf dem „Frieden mit Russland“ stand und auf dem auch das Sankt-Georgs-Band gezeigt wurde (seitlich auf dem Transparent). Die Veranstalter sind nicht dagegen eingeschritten. Das Sankt-Georgs-Band dient der Militarisierung der russischen Zivilbevölkerung. Es ist ein nationalistisches Symbol und knüpft die zaristische Tradition des Sankt-Georgs-Orden an. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 ist das „Sankt-Georgs-Band“ Bestandteil der Uniform von russischen Soldaten und Erkennungsmerkmal für die Unterstützung des Angriffskrieges.

Nach diesem Wochenende bin ich der Meinung, dass relevante Teile der Friedensbewegung unter einem erheblichen Realitätsverlust leiden. Sie vermögen sich nicht aus ihren ideologischen Konstrukten, die sich durch die politische Entwicklung überlebt haben, zu lösen und eine Folge davon ist, dass nun auf Friedensdemos nicht mehr der Aggressor verurteilt wird, sondern das Opfer der Aggression. Die Friedensbewegung erledigt sich damit selbst. Und das ist politisch höchst problematisch, denn wir brauchen eine glaubwürdige Friedensbewegung sehr dringend.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —      Am 15. September 2018 haben Köthener den Marktplatz mit Kreide bunt bemalt. Die sollte ein Zeichen gegen die später stattfindende rechte Demonstration sein. Die Kirchengemeinde Köthens sowie verschiedene Vereine hatten dazu aufgerufen.

Abgelegt unter Friedenspolitik, Medien, Nordrhein-Westfalen, Positionen | 1 Kommentar »

Lockdown oder Isohaft

Erstellt von Redaktion am 10. April 2023

Lockdown aus der Sicht von Isohaft & Kampfkunst

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von Karl Grosser

Offener Brief an alle Mitglieder von Shin Son Hap Ki Do und andere (Kampfkunst-)Interes­sierte. Der Genosse Karl Grosser hat – schon vor zwei Jahren – den folgenden tollen Text zu der grossen innerlinken Katastrophe verfasst, bei der viele „Linke“die Corona-Massnahmen der Herrschenden kritiklos mitgetragen haben.

„Am Anfang war das Silizium, am Ende hat uns das Silikon Valley ersetzt.„ (Eugen Drewermann)„Ihr seid vollkommen, ihr seid wie Maschinen, der Weg zu zum vollkommenen Glück ist frei.„ (Aus „Wir“ von Jewgeni Samjatin, Roman, 1920)„Der Mensch ist die Medizin des Menschen.„ (Paracelsus, 16. Jahrhundert)

Kündigung an die Vereinsleitung

Liebe Freundinnen; liebe Freunde des bewegten Lebens, jetzt ist ein Jahr vergangen. Unsere Wege werden sich trennen.

Es ist schwer die richtigen Worte zu finden. Die Trennung hat mich durchgeschüttelt, wie ich es kaum nach Trennung von einer geliebten Frau erinnere. Ihr wart eine wichtige Verbindung zum Leben für mich. Da nun die richtigen Worte zu finden, das ist an sich schon kompliziert genug. Seit Corona die Welt regiert, können wir kaum noch unverstellt unsere (verschiedenen) Ansichten diskutieren. Jetzt ist Angst im Spiel. Bei den einen vor Ansteckung und Krankheit; die andern haben schlaflose Nächte, weil die „Corona-bedingten“ Dammbrüche in allen Bereichen des Seins kein Stein auf dem andern lassen und dem Mensch selber an die Wäsche gegangen wird. Es wird etwas länger. Ohne meine persönliche Geschichte zu kennen, ist die Bedeutung von Shin Son Hap Ki Do für mich nicht zu verstehen. Ich komme später drauf zurück.

Ende der 70er habe ich mich politisiert und radikalisiert, Jahre im Widerstand auch im Untergrund: Just nicht mehr daheim auffindbar, stand ich auf dem RAF-Fahndungsplakat. „Top 10“, gesucht mit internationalem Haftbefehl, Kopfgeld und „finalem Rettungsschuss“). Zwei mal verhaftet, angeklagt und verurteilt wegen § 129 a („Mitgliedschaft/Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“) und insgesamt 10 Jahre „und ein paar Zerquetschte“ abgesessen. Immer Isolationshaft, die meiste Zeit in Stuttgart Stammheim 7. Stock im Hochsicherheitstrakt… Dahinter scheinen sich „wilde Taten“ zu verbergen. Aber zu viel der Ehre. Im zweiten Prozess wurde ich zu 9,5 Jahren verurteilt. „Die Schwere der Schuld“ (= die vielen Jahre) war darin begründet, weil ich ein „Gesinnungs- Wiederholungstäter“ bin. Ein astreiner Nazi-Paragraph. In der Weimarer Republik gab es den so noch nicht. That’s all.

Es ist natürlich nicht möglich solch einen Lebensabschnitt in ein paar Zeilen abzuhandeln. Da haben existenzielle Auseinandersetzungen, Entscheidungen, Brüche in der Lebensweise stattgefunden und Turbulenzen aller Art haben alles durcheinander geworfen. Und das in rasanter Abfolge. Ein Stichwort möchte ich dazu aber doch sagen: Es war eine ganz andere Zeit, ein ganz anderes Lebensgefühl und ich war ein Kind meiner Zeit. Die Zeit kann man sich heute nicht mehr vorstellen. „Würde, hätte… Fahrradkette“ – Mir fällt einfach nix besseres ein wie ich damals – aufrecht und eins mit mir selber – hätte durch diese Zeit kommen können? Unser revolutionäres Projekt ist gescheitert. Aber aus meiner Sicht nicht deshalb, weil wir so „schwach&wenige“ waren und der Gegner so „stark&überlegen“. Nee, der Mensch ist zur Freiheit geboren.

Je länger ich drüber nach sinniere, komme ich zu dem Schluss, dass wir uns in der Härte des Kampfes so in den Gegner verbissen haben, dass wir ihm in Teilen ähnlich wurden. Vielleicht haben wir das auch schon von Anfang an mit rein geschleppt. Wer weiss das schon. Wenn aber der Weg nicht mehr radikal auf Befreiung insistiert, leidet die Emanzipation und eine„Soziale Idee“ wird natürlich auch immer weniger sichtbar. Rein persönlich ist diese Zeit für mich abgeschlossen. Aus dem Rückblick ein bisschen wie in einem Boxkampf.

Wir haben uns nix geschenkt; Federn gelassen, aber die volle Länge mitgegangen. Jetzt ist fight over. Nicht unbedingt „Shake Hands“. Es war erklärtermassen ein „Schmutziger Krieg“. Aber ich habe keinen persönlichen Groll mehr im Herzen. – Das heisst aber nicht vergessen … Ich weiss jetzt SEHR genau, wer ihr [Herrschenden] seid, welches eure Lehrer sind und welche Techniken ihr anwendet … ! Die letzten Jahre ist diese Zeit immer mehr in den Hintergrund gerückt. Diese Erfahrungen hatten kaum noch Bedeutung, um mich in meinem Leben zurechtzufinden. Ich war „draussen angekommen“. Da war Trainieren, trainieren… tausende von Kilometer mit dem Faltkajak auf der Ostsee oder sonst wo, die Elemente, Liebesbeziehungen, Freundschaften, Messebau (bezahltes Konditionstraining, mit Abenteuerflair)… „Politik“ hat mich im Grunde nie wirklich interessiert und ich wollte auch noch in andere Bereiche des Lebens eintauchen. Aber es kam im März 2020 der erste Lockdown – und Stammheim, der permanente Ausnahmezustand und die innere Anspannung war wieder präsent bis in die Träume. Wir sind uns teilweise schon nahe gekommen.

Deshalb möchte ich dieses Corona-Jahr so erzählen wie es über mich hereingebrochen ist. „Lockdown“ kommt aus der Militär- und Gefängnissprache und bedeutet: Sperrung, Ausgangssperre und EINSCHLUSS. Im Knast sieht das so aus: Die Zellen bleiben zu, Futter durch die Klappe: 12-7-24. Ein ähnliches Programm habe ich insgesamt drei Jahre erlebt: Nie mehr aus dem Loch raus gekommen, keinen Zivilisten gehört, gesehen oder gesprochen. Ausser 1,5 Stunden Besuch im Monat – hinter Panzerglas und mit Overkill-Bewachung. Den Tag über habe ich das mit „Arbeit und Struktur“1 ganz gut hinbekommen. Aber nicht die Nacht und die Träume.

Da gab es eine Phase, wo ich mir Menschen , meine Vertrauten, im Traum nicht mehr vorstellen konnte. Nur noch getippte Zeilen. Und ich kann nur mit der Schreibmaschine antworten. Das war so grausam, dass ich an der Lautstärke meines eigenen Zähneknirschen aufgewacht bin. Viele Nächte bin ich am Tisch sitzen geblieben. Dagegen waren die Träume von Verfolgung, Erschiessung oder Hinrichtung harmlos bis geradezu erbaulich: Entweder ich habe mich zwei mal geschüttelt, das T-Shirt gewechselt und weitergeschlafen oder ich bin gestorben und der Traum ging – entspannt – und aufregend weiter. Die Esos wären begeistert von mir. Und ich hatte in der Leere des Betons ein sinnliches Erlebnis, wo ich tagelang von zehren konnte. Um dasselbe nochmal in der „Tagwelt“ im Knast zu verdeutlichen: Es gab Situationen, da wurde der Druck der Isolation so gross, dass ich mich dieser andauernden Erniedrigung widersetzt habe.

Ein Beispiel. Vor und nach jedem „Kontakt“ mit andern Gefangenen war es für „die Sicherheit und Ordnung der Anstalt“ unerlässlich, sich nackt auszuziehen und dann wurde uns ins Arschloch geschaut. – ( Und heute soll ich mir aus dem gleichen Grund die Nase penetrieren lassen?) Schluss mit Lustig! … Dann kam halt das Rollkommando zu fünft mit den Knebelhandschellen – und ich habe mich wiedergefunden auf der Zelle auf merkwürdige Weise „zusammen geprügelt“. Im positiven Sinne: Ich habe mich wieder gespürt! Ich wusste wieder wo Aussen und Innen ist. Was hier Sache ist. Und was die Dämonen sind, die die Isolation „gebiert“

Alles Paletti! Wir alle haben Angst vor Gewalt und wollen sie tunlichst vermeiden. Ich auch. Aber es scheint etwas Nachhaltigeres, sehr viel Tiefergehendes zu geben, wie physische Gewalt! Und letztendlich nimmt es sich nicht viel. – Mein erster Zahnarzt nach dem Knast hat mich gefragt, ob ich „Kummer habe“. Die folgende Reparatur war ähnlich wie nach Stiefeltritten von irgendwelchen Schergen. Ich brauch mich jetzt ja nicht mehr vor euch genieren. Ich war und bin immer noch einer, der ganz gut mit sich selber klarkommt. Ganz gerne alleine ist. Aber in der Isolation, in der völligen Abwesenheit von Menschen bis in die Träume, da habe ich verstanden, dass Mensch nur existieren kann zusammen mit andern Menschen.

Das „Wir“ ist das Zentrum dessen, was uns – auch als Individuen – im innersten Kern zusammenhält. „Wer einmal aus dem Blechnapf frass„, identifiziert das „Corona-Massnahmenpaket“ sofort als „Weisse Folter“! – Das ist ein bisschen wie bei einem Strassenköter: Bevor er Worte hört und schaut – Futter oder Knüppel? – riecht er die Hand…. Das ist eine erfahrungsbasierte und realistische Überlebensstrategie. Wisst ihr eigentlich, dass diese moderne Form der Kontrolle in Korea ihren Ausgangspunkt hat? Die Amis haben sich im Korea-Krieg die Zähne an den Kriegsgefangenen ausgebissen. Trotz brutalstem zu Tode foltern haben die nicht geredet. Was hat ein einfacher Mannschaftsdienstgrad schon für Militär Geheimnisse zu verraten? – Die waren so sehr mit ihren Leuten, mit dem Land und der Kultur verbunden, dass sie wussten: „Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in dieser Welt.„

(Jean Amery, Jude und KZ-Überlebender.) Die Folterer haben dann aber rausbekommen, wenn sie die Gefangenen lange genug isolieren, (keine überfüllten Löcher mehr), permanent Angst machen, die Existenzsicherheit nehmen, Lockerungen geben und wieder nehmen, sinnlose Rituale erzwingen: Raus katapultieren aus allen inneren und äusseren Sicherheiten … – dann hat es meistens genügt sie zu holen, tief in die Augen schauen und das Gespräch damit zu beginnen: „Wir wollen doch eigentlich dasselbe.“

Und die Gefangenen haben mehr erzählt als sie gefragt wurden. Die Folterer hatten eine weisse Weste und sie konnten Leute präsentieren und entlassen, die scheinbar aus freien Stücken vor allem eines wollten: „Alles richtig machen“. „Korea“ hatten sie vergessen. Das überzeugt mehr, wie wenn ein Invalide entlassen wird. Das ist seither „lebendige Wissenschaft“, die alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst. Dieser Satz von Jean Amery hat mich jahrelang im Knast begleitet. Seit dem Lockdown beschäftigt mich dieser Kompass wieder – aber es geht gar nicht mehr nur um meine kleine Einzelexistenz. Die Frage nach dem Bezug, die Frage nach der „Welt“, ist schwieriger geworden… Aber das Träumen, das Schürfen danach, das lohnt sich. Wir wussten Ende der ’70er Jahre, worauf wir uns einlassen. Als militante Linke waren wir mit dem internationalen „Anti-Terrorkrieg“ von vorneherein konfrontiert. Das war eine Selektive Kriegführung.

„Hart gegen den Kern, weich mit dem Umfeld“. Wir mussten das quasi als die „Arbeitsbedingung“ in den Griff kriegen. Aber der „Kampf gegen die Pandemie“ ist qualitativ eine ganz andere Hausnummer. Das „Hygienegesetz“ besagt: C19 ist eine tödlich Bedrohung und alle sind „verdächtig&gefährlich“, deshalb brauchen wir eine „starke Hand“ , die zum „Licht am Ende des Tunnels“ führt – „Der Ausnahmezustand wird zum Normalzustand“ (i.S.v. Carlo Schmitt). Das ist Faschismus – aus den Zentren der Macht werden die Menschen über das universelle Herrschafts-Instrument Angst auf Linie gebracht und der Durchmarsch organisiert. Ich habe dutzende Bücher gelesen zu dem Thema, hunderte von Briefen gewechselt und Textauszüge angefertigt, mich mit der eigenen und unserer Situation auseinander gesetzt …. Aber das – das konnte ich mir nie vorstellen im Hier&Heute … Ich habe das erste mal in meinem Leben Angst vor dem Staat bekommen. Ich war paralysiert vom Blick auf die Katastrophe. Wie ein Käfer auf dem Rücken.

Das ging so lange bis eine Uralt Freundin mir den Kopf gewaschen hat: Jetzt tritt das ein, was ihr schon damals analysiert habt. Du kennst diesen Staat so gut und intim wie kaum jemand. Und du hast auch in aussichtsloser Position dagegen gekämpft! Denk drüber nach und hör auf auf zu zetern! — Danke! „Know yourself“ war für Bruce Lee der Weg. „Komm in deine eigene Kraft“ – Das verbindet uns. Damit bin ich endlich bei uns angelangt und da, wo ich euch nicht verstehe. Beim ersten Lockdown waren viele von den Fitness Vereinen, Box/Gyms usw. auf der Strasse: Wir wollen selber für unsere Gesundheit/Immunsystem sorgen, tun das schon die ganze Zeit erfolgreich… Öffnung der Studios, Ende des Lockdown!

Das habe ich selbstbewusst und gradlinig gefunden. Und wir, wo sind wir? Shin Son Hap Ki Do hat da einiges mehr an Anspruch. Allein die Theorie wiegt 3,65 kg. — Aber es kam Corona und alles ist vergessen? Ist das eine Schönwetter-Philosophie? Da kommt mit Corona mal ein Gegner an, der nicht im Prüfungsprogramm steht, und schon purzelt alles um und durcheinander? Es wird vor Schrecken in eine totale Aussenorientierung gegangen und alles, was uns mal ausgemacht hat, wird nach hinten geschoben, untergeordnet, aufgegeben? Bei allem gebotenen Respekt: Dafür trainiere ich nicht seit 27 Jahren!

Meine Sicht auf die Dinge ist folgende: Ohne Zweifel, C19 ist ein ernst zu nehmender Gegner. Was bedeutet da DO der „Weg des friedvollen Kriegers“? • Respekt.

Das heisst nicht den Kampf vermeiden , weil harte Konfrontation immer Leid zur Folge hat. Aus Angst vor den Konsequenzen. Nein, Respekt heisst für mich „Mit dem Herzen sehen“. Diese Haltung angstfrei durchzuziehen, ist das schwierigste, verhindert aber bestimmt das meiste Ungemach. Diese Haltung übertritt auch nie die Grenze von Selbstverteidigung. Sie bekämpft böse&schlechte Absichten. Aber sie kennt nicht den „Anderen“, den „Feind“, der als Ganzes platt gemacht werden muss. • Jahse.

Entspannung, Sinken und leer werden – den Schwerpunkt tiefer legen, den Kopf leer machen, er pumpt eh nur den Bizeps des Gegners auf… in der Mitte ankommen und die Energien fliessen lassen. Aber über die Faust oder den Tritt hinaus – • „Die Einheit des Kampfes“ begreifen. Wir haben nicht gegeneinander gekämpft, wir haben Partnerübungen gemacht. Weil sie das intuitive Verständnis für den Fluss der Energien im „Konflikt als Ganzes“ fördern – Yin und Yang , Hart und Weich… Das war für mich der „Kick“, das „High“ nach fast jeder Trainingseinheit.

Mit Erfolgsgarantie. Ich hab ein paar Jahre Sparring gemacht, JKD und Kickboxen. Selbst da gab es Sternstunden, wo sich das anfängliche Gegeneinander völlig im „Hier&Jetzt und Flow“ aufgelöst hat. – Magic! Das soll nicht heissen, alles wird harmonisch. So nicht. Mir stand da öfters nur ein Problem gegenüber: 15 kg+ mehr Muskeln, dafür 10 Jahre jünger und mit Vollkontakt-Erfahrung – das beeindruckt. Aber in diesen Situationen war der Kopf frei (von Bildern, Vorurteilen, Angst). Und das Irre war, dann lief auch der Fight de facto auf Augenhöhe. OK – die haben mich v.a. respektiert wegen „aussergewöhnlichen Nehmerqualitäten„. Aber ich war präsent, selbst wenn es in Richtung Vollkontakt entgleist ist.

Die Balance hat gestimmt. Das ist natürlich kein Erfolgsrezept … (Seufz). Aber „DO“ ist für mich v.a. Spurensuche, Fährten lesen… Da habe ich den Hauch einer Ahnung bekommen, was die „Grossen“ damit gemeint haben könnten: „Jeder Kampf wird im Kopf gewonnen„. Wenn man sich ans andere Endes des Spektrums der körperlichen Begegnung denkt – die Liebe – dann wird es vielleicht einfacher verständlich, was ich meine: Das „Erdbeben“….

Ab jetzt wird etwas anderes zählen, wie Viagra, geistloses Anhäufen von Muskeln und Techniken oder Materialschlachten im Blindflug zu veranstalten, die viel mehr schaden, als dass sie nützen – gegen wen auch immer.) Der Grossmeister hat sich bei einer Dan-Prüfung gefreut über das ausgeglichene Verhältnis zwischen Männer und Frauen. Es sei ein Ziel von ihm gewesen, den Yin-Aspekt in der Kampfkunst wieder zu stärken. Ich habe das im Sinne von Lao Tse verstanden: Nichts ist weicher als Wasser und doch so gewaltig. Alle Welt weiss es. Doch niemand vermag danach zu handeln. Von hier aus tut sich nun ein ganz anderer Blick auf unsere angsterfüllte Welt auf.

Im Grunde tun sich die selben Horizonte auf wie damals, wo die Wissenschaft diese winzigen Wesen entdeckt hat: Viren, Bakterien sind überall. Um uns, in uns, und sie sind immer da. Heute weiss man, es würde vermutlich überhaupt kein entwickeltes Leben geben ohne Viren und ihre Fähigkeit zu mutieren. Es wird so klar, dass man einem Gegner wie Corona, den ja noch nicht mal jemand richtig kennt, und der sich durch Veränderungen permanent entzieht, nicht mit Krieg und Ausnahmezustand begegnen kann – immer hart am Ziel ihn zu vernichten. Mit solch einem Gegner kann man auf eine gesunde Balance hin arbeiten, wo auch wir gut mit Leben können. Alles andere ist völlig patriarchaler und verselbständigter wissenschaftlich-technologischer Machbarkeitswahn. Das ist „der Teufel, den ihr rieft“ (Faust). Unsere Welt ist voll von diesen „aktiven Friedhöfen“. Und jetzt mit der Genetik-Spritze uns selber durch die Retorte quälen? . Damals, wo die Viren entdeckt wurden, war die Frage: Warum merkt man ihre Anwesenheit meistens gar nicht und dann wiederum kommt es plötzlich zum Ausbruch einer Krankheit? Liegt es am Milieu oder am Erreger?

Seither versucht die Pharmaindustrie natürlich mit aller Macht auf den Erreger zu zeigen, den „Feind„. Da kann man Abhängigkeiten schaffen, sich Einfluss, Macht und stetig steigende Gewinne sichern. C19 lässt nun alle Dämme brechen. HEUTE ist vom „Milieu“ gar nicht mehr die Rede. Vom Menschen, auch als soziales Wesen, Gesundheit, Immunsystem, Wohlbefinden, Glück. Das war auch in der etablierten Wissenschaft Konsens bis „Die Pandemie“ ausgerufen wurde. Es ist das Wissen von unseren Omas. „Verliebte werden niemals krank„, das weiss jedes Kind. –

In vielen Hunderttausend Jahren, in der Begegnung von Mensch zu Mensch haben wir Sprache, Kunst, Kultur entwickelt und haben unsere Toten verabschiedet. Im gemeinsam erlebten und verarbeiteten Spannungsfeld zwischen Liebe und Tod sind wir zu Menschen geworden. Das ist über Nacht und per neuem „Hygienegesetz“ kriminell und „geradezu ein Fall für den Psychiater“ (Merkel). Aus Solidarität wird „Angst und Abstand halten„, Liebe kommt aus der Spritze, und als Weg gesund zu werden und zu bleiben, wird eine geradezu talibanesk anmutende Freudlosigkeit verordnet. „Warum nicht den Winter auf dem Sofa mit einer Tüte Chips vor dem TV verbringen, Dann infizieren sie sich nicht“ (Jens Spahn). 100.000 Menschen sterben jedes Jahr hier an ungesunder Ernährung. Die wissen genau, was sie tun. Global gesehen wachsen sich die Folgen dieser „Gesundheitspolitik“ in eine historische Katastrophe aus – Hunger, Verelendung und Unterdrückung wachsen exponentiell. Während die Reichsten der Reichen „historisch nie dagewesene Gewinne“ einfahren. (Deutschlandfunk).

Der globale Süden braucht keine Spritze und keine Waffenlieferungen, die brauchen eine gerechte Weltwirtschaftsordnung! „Hunger ist die schlimmste Krankheit„. (Jean Ziegler) Killer hin und Mutante wieder zurück – ein Virus bleibt ein Virus, mit genau den Eigenschaften eines Virus. So wie ein Wolf ein Wolf bleibt und der „Problemwolf“ eine Erfindung des „Spiegel“ ist. Mir ist es völlig unverständlich, wie ihr auf solch einen Zug aufspringen könnt. Ein Weg, der die Menschen nicht informiert über die Komplexität der Wirkkräfte, nicht selbstbewusst und stärker macht, ihnen die „Techniken“ beibringt, um einer Gefahr zu begegnen. Sondern einer, wo die Menschen wie Gefangene gehalten, klein und kaputt gemacht werden, der sie in die Fänge einer „Pharma-Lobby, krimineller als die Mafia“ treibt – um sie zu kontrollieren. Das war eine Headline in der Süddeutschen Zeitung 2016. Vor 60 Jahren bin ich zusammen mit den „Contergan-Kindern“ aufgewachsen. Ich muss mich zurückhalten…

Im Grundkurs Strassenabi lernt man: Greif niemals aus Unwohlsein zu einer Nadel. Der Wiederholungsdruck schaut dir schon über die Schulter. Dieses Phänomen kommt nicht vom Hamburger Hauptbahnhof oder von „Heroina“ (mit dem Allheilmittel hat dieselbe Industrie vor 100 Jahren viel Geld verdient und – wissentlich wie immer – viele Leben zerstört). Dieses Phänomen kommt aus den Tiefen der menschlichen Psyche. Das ist meine Haltung zu dem Thema. Wer zum Teufel braucht denn diese „starke Hand“? Wir haben doch alles aus eigener Kraft hinbekommen. Habt ihr die letzte Hochwasserkatastrophe im Wendland vergessen? Wie umsichtig und verantwortungsvoll Menschen sind, wenn das Wasser bis zum Hals steht? Alle grossen spirituellen, alle grossen Kampfkunstmeister der Vergangenheit haben gesagt: „Sieg und Niederlage sind eine Illusion des menschlichen Geistes.“ Ich spreche hier nicht als Grüngürtel mit euch.

Als Schüler habe ich mich von Oben gar nicht mehr wahrgenommen gefühlt. Bei meinen schüchternen Einwänden wegen der ganzen neuen Rituale im Dojang, hab ich nur zu hören gekriegt „Das ist so, ich glaube daran“ und in diese unsäglichen Kontaktnachverfolgungslisten wurde ich einfach von andern eingetragen… No Chance – so wurde ich das letzte Mal im Knast behandelt. Ich spreche hier nur als Mensch zu euch, und als einer, der den geschützten Rahmen der Matte verlassen hat und auf „Freier Wildbahn“ hart am Wind und am Limit unterwegs war. Dazu gehört meine Beteiligung am kollektiven Hungerstreik ’89 (vier Wochen), mit dem Ziel mit anderen Gefangenen zusammen kommen zu können. Und – mit dem Schwinden der Kräfte und dem Wachsen der geistigen Wachheit und Demut – bin ich wichtigen Fragen in diesem Zusammenhang näher gekommen.

„Wenn einem die Scheisse bis zum Hals steht – erst dann bewegt man sich auf Augenhöhe!“ Von da aus rede ich nicht nur, sondern ich spüre auch die Verunsicherung und die Angst in eurem Herzen. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass ein Weg, den Frau&Mann geht, um der Gefahr zu entgehen, kein Ziel hat. Mit jedem Schritt auf diesem Weg legt sich der Urgrund des Ausgangspunktes enger um die Seele. Die eigene Angst wird einem an den Hacken hängen wie Schleppscheisse. Das Problem ist unsere lebenslängliche Aussenorientierung. Sicherheit findet man aber nur in sich selber. Da beginnt auch DO und damit bleibt DO lebenslänglich verknüpft. Ich dachte genau da hätten wir eine gemeinsame Basis. Wer sind denn diesen neuen „Doktoren des Vertrauens“?

Ich will nicht ihre fachliche Qualifikation in Abrede stellen. Ich meine das so wie auf dem Bau, wenn die Combo erweitert wird: Wer biste, was kannste? Das sind unsere Aufgaben – jeder soll seinen Platz finden und am Ende des Tages sind alle glücklich und zufrieden miteinander. Christian Drosten. Reiner Labormediziner und Techniker. Versuchsanordnungen, Tabellen, Berechnungen, Computersimulationen, das ist seine Welt….

Hier blinkt es und da schiessen die Kurven empor – es sieht nicht gut aus Christian. Also eilt Herr Drosten – keine Zeit sich die Haare zu richten – im September 2020 zu einer Konferenz mit dem amerikanischen TV und sagt: „Wir verlieren gerade das Vertrauen der Öffentlichkeit. Wir haben hier [in Deutschland] also das gleiche Phänomen. (Wie in USA unter Trump, der war da noch Präsident) – Warum verliert ihr das Vertrauen in der Öffentlichkeit?

– Die Krankheit existiert nicht, sie ist nicht da. Der typische Befund ist, die Fallzahlen (= positiv Getestete) gehen hoch, aber die Todeszahlen gehen nicht hoch. Wir haben keine Toten. Und das hält Menschen, die sich nicht mit Zahlen beschäftigen, davon ab… Wenn du diese Zusammenhänge nicht siehst, dann verlierst du den Glauben. Das sind dann nur Zahlen und Graphiken. Und du fragst dich: Was zur Hölle ist hier los. „Die Wirtschaft.…“

Der Mann ist nicht umgetrieben von der Sorge, dass hier Menschen leiden und auch sterben. Sein Problem scheint eher zu sein, dass viel zu wenige sterben. Der Mann ist beunruhigt, weil sich die Wirklichkeit nicht in den „Zaubergarten der Mathematik“ (so heisst ein Buch über Mathe) von ihm&Friends quetschen lässt, sondern das Leben seinen eigenen Weg geht. Und das erschüttert den „Glauben“ an die Hygiene-Regierung und die von ihr definierten „Wissenschaft“. Das geht jetzt seit über einem Jahr so. Zweifelsohne, er kommt sympathisch rüber. Aber nicht nur in der Liebe, auch in Gesundheitsfragen gilt: Aufgepasst bei der Partnerwahl! Lothar Wieler. Fachgebiete Mikrobiologie und Infektionen bei den Tieren. Ganz klar, er hat nicht die Tiere auf freier Wildbahn – er hat die grossen Ställe im Blick, die industrielle Fleischproduktion.

Das ist seine „Wissenschaft“ und seine Herangehensweise.

Auch er soll selber zu Wort kommen: „Der entscheidende Punkt ist, dass wir so viele Menschen wie möglich mit PCR identifizieren! Und dann ist die Sequenzierung eine sequenzielle nachgeordnete Technologie, die uns noch mehr Informationen gibt. Aber zunächst mal beruht das ganze Wesen der Pandemiebekämpfung darin, dass wir Menschen identifizieren.“

Das bedeutet: Mental haben wir – erzwungenermassen – in dem Jahr den Bildschirm&Big Data schon ganz ordentlich als unsere neue Matrix geschluckt (auch als Kritiker hat einen das Problem am Wickel). Hier beschreibt Wieler, dass wir gleichzeitig auch leiblich ins binäre Zahlensystem integriert werden und damit für den Computer kompatibel und beherrschbar. Das ist eine sehr finstere Seite der Schlacht um die „Inzidenzwerte“. Jens Spahn ist Co Autor des Buches „Die App im Gesundheitswesen“. Da kann man einen Vorgeschmack kriegen wie es wird, wenn Kollege Wieler ihm seine Erkenntnisse „rüber reicht“.

Ihr wisst, wie und nach welchen Kriterien Tierfabriken organisiert sind. Alle Moderatoren der C-Situation haben eines gemeinsam: Niemand hat jemals einen Menschen behandelt. Im Wilden Westen, im Untergrund oder im Krieg – da geht man zur Not zu einem Tierarzt oder Laboranten. Grundkurs Medizin haben die gemacht. Aber heute gehe ich doch zu einem gelernten Humanmediziner , einem Praktiker seines Faches, der nicht nur auf seinen PC, sondern auch auf mich schaut und vielleicht sogar mal eine Frage stellt, z.B. wo der Schuh drückt? 1986 hat der Ami Jay Lifton eine Studie veröffentlicht: „The Nazi Doctors. Medical Killing and the Psychology of Genozid“. Er schreibt darin: „Wenn uns die Ärzte im Dritten Reich irgendetwas zu lehren haben, dann, dass wir zu den Prinzipien des Heilens zurückkehren müssen…. Der weissgekleidete Arzt… wird zum biologischen Soldaten, ja zum biologischen General im Feldzug zur Tötung des Todes.“

Das ist kein Vergleich mit unserer gesellschaftliche Wirklichkeit.

Aber es zeigt eine Parallele und wessen Geistes Kind diese „Ärzte“ und „Hygienemassnahmen“ sind. Das ist ein gedanklicher Prozess von der Oberfläche in Richtung: Wesen der Dinge. – Das haben früher alle gemacht. Die Medien wurden nach den leidvollen Erfahrungen mit der Nazi-Propaganda explizit als „Vierte Gewalt“ in der BRD installiert – als Korrektiv staatlichen Handelns: Die Vielfalt war gefragt, statt Propaganda: Als Garant für Demokratie. Die Linke, alle kritischen Menschen haben – jeder von seinem Ausgangspunkt und mit seinem spezifischen Werkzeugkasten – alle haben sie hinterfragt. Fragen, was dahinter ist. „Untersuchen“ – schauen, was unten drunter ist, nachfragen – miteinander sprechen… „Diskussion“ war „damals“ eine Expedition in neue Gefilde, wo alle Beteiligten mehr Übersicht kriegten und gestärkt raus kamen. Auch wenn Widersprüche stehen geblieben sind.

Inzidenz-D.jpg

Das ist heute nicht mehr populär im Mainstream. Da machen sich zunehmend ein Umgang fett, der an den Umgang mit dem Virus erinnert. Aber das wäre eine neue Diskussion. Unser gemeinsames Thema war Gesundheit und Kampfkunst. Da habe ich versucht aus meiner Erfahrung ein, zwei Aspekte einzubringen. Für viele ist das vielleicht eine extreme Sichtweise. Aber ich komme nicht von einem anderen Stern. Ich habe nur ne Weile im Schattenreich der „Schönen Neuen Welt“ gelebt.

Jetzt, wo die Schatten auch über der Erde länger werden, drängt es mich zu berichten, was ich dort gesehen habe und wie sich dasselbe hier breit macht. Ich will damit niemand in die persönlichen Beweggründe und Entscheidung rein quatschen. Ganz bestimmt nicht. Jeder ist letztendlich nur für und vor sich selber verantwortlich. Aber in Zeiten der Not hat der Verein/Leitung eine gesellschaftliche Verantwortung: U. hat bei seiner Verabschiedung einen seiner Beweggründe für sein Engagement genannt:

„Nur Stämme werden Überleben.2 Das hat Eindruck hinterlassen. Es hat verschiedene Sachen in meinem Leben und die Träume wie mit einer verborgenen Linie verbunden und zu einem Bild gefügt. „Heilige Worte“… Und heute? Sorry – ich sehe euch in das Reservat laufen, was Big Data&Big Pharma und die starke Hand des Staat bereit gestellt haben . Der Deal ist „Sicherheitsempfinden, gegen Freiheit; Mitmachen für Sozialpunkte und gesellschaftlichem Status“ usw. Und die, die lieber bei sich bleiben wollen, die kriegen halt keinen „Freigang“. Ich kenne es nicht anderes.

Die Nordamerikanischen First Nation Stämme leben im Reservat und viele kämpfen um ihre eigene kulturelle Identität. Dabei reiben sie sich ständig mit dem „Modernen Leben“. Das sprengt das Reservat. Schon am 16.März 2020 hat sich der Häuptling der Hopi-Indianer White Eagle zum „Corona-Paradoxon“ geäussert: „Dieser Moment, den die Menschheit gerade erlebt, kann als Pforte oder als Loch betrachtet werden.Die Entscheidung durch die Pforte zu schreiten oder ins Loch zu fallen, liegt an EuchWenn ihr rund um die Uhr Nachrichten konsumiert, mit negativer Energie, dauernd nervös mit Pessimismus, werdet ihr in das Loch fallen.Wenn ihr aber die Gelegenheit ergreift, Euch selbst zu betrachten, Leben und Tod zu überdenken, für euch und andere Sorge tragt, dann werdet ihr durch das Portal gehen. …

Unterschätzt nicht die geistige Dimension dieser Krise. Nehmt die Perspektive eines Adlers ein, der von oben das Ganze sieht, mit weitem Blick. Es liegt eine soziale Forderung in der Krise, aber genauso eine geistige. Beide gehen Hand in Hand. …

Lerne Widerstand am Vorbild indianischer und afrikanischer Völker.Wir wurden und werden immer noch ausgerottet. Aber wir haben nie aufgehört zu singen, zu tanzen, ein Feuer zu entzünden und Freude zu haben. Fühle dich nicht schuldig, Glück zu empfinden in dieser schwierigen Zeit. Es hilft überhaupt nicht traurig und energielos zu sein … Das hat nichts mit Entfremdung/Weltfremdheit zu tun. Das ist eine Strategie des Widerstandes. Wenn wir durch die Pforte gehen, bekommen wir eine neue Sicht auf die Welt, weil wir uns unseren Ängsten, unseren Schwierigkeiten gestellt haben.

Das ist alles, was du momentan tun kannst – Gelassenheit im Sturm – Bete täglich – Mach es dir zur Gewohnheit, das Heilige jeden Tag zu treffen.“ Über unserer Kampfkunstschule steht jetzt nicht mehr „Himmel-Erde-Alle Lebewesen IST Eins“ – da steht jetzt: „1,5 Meter Abstand halten“ (oder was ist grad erlaubt?) & „Safety first„. Konflikte sind nicht mehr die Möglichkeit eine neue Stufe der Einheit zu erlangen. Die Spaltung, die Trennung und die Fremdheit – die „Andern“ – die koloniale Welt ist die Wahrheit des Reservates geworden.

Und in der Seele der Stammesmitglieder ist der Leitstern „Alles richtig machen“, weil es „draussen“, ausserhalb der „Regeln“ viel zu gefährlich ist. Wir sind hier wieder am Anfang bei den koreanischen Kriegsgefangenen.

Ihr könnt nicht mehr meine Lehrerinnen und Lehrer sein. Ich sehe nur noch sinnentleerte Körperertüchtigung. Der Spirit ist raus aus dem Haus. Und gegen derlei uniformes Mitmarschieren mit dem Mainstream habe ich mein ganzes Leben rebelliert. Ich muss weiterziehen, um mich zu entwickeln. Meinen Monatsbeitrag reiche ich lieber an kritische Medien und Hilfe für traumatisierte Kinder weiter.

Bei dem Thema Anti/Faschismus – und das ist Sache hier&heute – gebührt meiner Oma das letzte Wort. Eine einfache Frau, die immer kämpfen musste und die in zwei Weltkriegen praktisch alle/s verloren hat, ausser meiner Mutter – und ihre Herzenswärme und ihren wachen Verstand. Ihre Geschichten endeten manchmal mit der Feststellung: „Wer hat dem Anstreicher (Adolf Hitler) denn das Geld gegeben? … Die (Oberen) stecken doch alle unter der selben Decke.„

„Die Spur des Geldes“ führt heute wieder ins Zentrum und zur – unumkehrbaren – Dynamik des Geschehens… Im Mainstream wäre sie heute eine „Verschwörungstheoretikerin„. Und von den Türstehern der – dem Untergang geweihten – properen Bürgerstube würde sie angebrüllt:“Naziarsch verpiss dich! Nazis raus!„ *** Unsere Gründungsväter und Mütter wollten „kämpfen lernen“. So wurde es mir von verschiedenen Seiten erzählt. Ja eben! Was glaubt ihr denn, warum ich so hingebungsvoll trainiert habe. Obwohl nach traditionellen Shin Son Kriterien eigentlich mit blossem Auge kaum noch Fortschritte zu verzeichnen sind? Genau deshalb.

Das war der erste Impuls, wo ich ’93 anfing und es ist die Konstante seit 27 Jahren geblieben. Damals wollte selbstbewusst durch ne Landschaft gehen, die total neu für mich war, mit der ich nicht mehr „umgehen“ konnte und ich – in meine Einzelteile zerlegt – ziemlich neben mir selber gestanden bin (ich habe eine sinnliche Vorstellung davon, wie das Sprichwort entstanden ist). Das war mein Lebensgefühl nach der Entlassung ’93. Isolation trennt den Körper vom Geist (Danke Frankie, ich weiss mein Blick…).

Wenn ich an diese Zeit zurück denke, der Karl, wie er damals rauskam und wie ich heute in mir selber zu Hause und in der Welt bin, da wird mir erst bewusst, wie unendlich viel ich euch verdanke!

In den 90ern ging es mir manchmal eher durchwachsen… Meine Vertrauten haben gesagt: Du musst unbedingt eine Therapie machen! Rein intellektuell hat mir das ja eingeleuchtet. Aber der Therapeut, bei dem ich es versucht habe, der hat gar nicht verstanden, wo’s weh tut. Der ist auf seinem Gebiet bestimmt gut. Aber für mich und mein Anliegen, wäre es schwer gewesen, was zu finden. Und es hat mich auch kaum angetörnt. Ich habe viel lieber mit euch trainiert. Nach praktisch jeder Einheit dieses Glücksgefühl „Das Leben spüren und geniessen!“, hat der Grossmeister gesagt. Nach den Knastjahren wusste ich nicht mehr wie das geht. Ne Genossin hat mal gesagt: „Wenn man rauskommt, hat man nach nichts mehr Sehnsucht wie nach Menschen. Aber man kann es nicht mehr.“

Und ihr ward immer für mich da – offen – mit eurer körperlichen und geistigen Präsenz und einem Weg, wo positiv was passiert ist.

Heute, nach 27 Jahren, wo ich mit euch verbunden bin, kann ich mit grosser Sicherheit sagen: So wie es möglich ist durch ne Therapie, über die geistige Auseinandersetzung wieder beieinander zu kommen, so ist es auch möglich, durch „Bewegung für das Leben“, die Verkrampfungen des Körpers zu lösen und zu natürlichen Bewegungen, den Energien… zurückzufinden – das geht nur mit Hilfe des Geistes und damit stellt sich die Verbindung wieder her. – Es besänftigt die 9 Windstärken im Kopf, glättet die See im Gemüt und führt zu einer neuen Balance. (Hier versteht ihr vielleicht, warum online-Arbeit nie eine Option für mich war. Das Problem, was ich bearbeiten und überwinden will, ist dabei gewissermassen die Geschäftsbedingung).

E., es ist mir nur langsam gedämmert: Du hast mich ja „genötigt“ an der Vorführung teilzunehmen. („Sich Zeigen“). Da hast du mir mit deiner tollen Präsenz und deinem Vertrauen über eine Schwelle geholfen, die mir weit über den Dojang hinaus, neue Horizonte und Möglichkeiten erschlossen hat.

Danke,U. Für einige persönliche Hinweise, wo es lange später überhaupt erst durchgesickert ist, was du eigentlich von mir willst. „Lebenslängliche Themen„… Auch an alle, die geduldig mit mir trainiert haben. Für mich war der Weg mit euch nicht nur ungezählte tiefe und schöne Erinnerungen. Ihr ward auch meine „Therapie“. Eine echte Herzensangelegenheit ist auch aufs engste mit euch verbunden. Die letzten drei Jahre meiner Knastzeit war ich in Strafhaft in Bruchsal und konnte an manchen Gemeinschafts-Veranstaltungen teilnehmen.

Bei einem Filmabend hab ich mich unsterblich in „Die Tochter des Meisters„3 verguckt. Noch kann ich nicht bei ihr vorstellig werden als Schüler. Aber ich bin auf dem Weg und die Gewissheit ist noch recht jung. Für einen „Grauen Panther“ ist das schon ein Ding! Als Amateur Fussballer würde ich seit Jahren für meine Sportsfreunde den Rasen mähen und das Bier kalt stellen. Das alles ist viel mehr als ich mir jemals erträumt habe!

Karl Grosser

Fussnoten:

1 Autobiografisches Buch (2013) des Schriftstellers und Künstlers Wolfgang Herrndorf, der darin die letzten drei Jahre seines durch einen Hirntumor begrenzten Lebens dokumentierte

2 Deutscher Titel (1976) des Buches „We talk, you listen; new tribes, new turf“ von Vine Deloria junior; 1970

3 Chinesischer Actionfilm von 1983

Zuerst veröffentlich auf Perspektive Solidarität, Hamburg

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —      Justizvollzugsanstalt Stuttgart.

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gesundheitspolitik, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Pro und Contra des Labor

Erstellt von Redaktion am 10. April 2023

Pro und Contra Laborhypothese: Der Kampf um die Deutungshoheit

Quelle      :        INFOsperber CH.

Martina Frei /   

Nach neuen, brisanten Aussagen zugunsten der Laborthese bedienten andere Wissenschaftler die Medien mit Contra-Informationen.

Ob das Coronavirus Sars-Cov-2 aus einem Labor oder von Tieren stammt, wurde von Pandemiebeginn an mehr als politische denn als wissenschaftliche Frage behandelt. Der Hergang zeigt auch, wie vorsichtig Medien sein sollten. Im Folgenden eine Chronologie aufgrund der neusten «Erkenntnisse».

Die Akteure

Robert Redfield, Virologe und bis Januar 2021 Leiter der grössten US-Gesundheitsbehörde «Centers for Disease Control and Prevention» (CDC).

Florence Débarre, Evolutionsbiologin am «Centre national de la recherche scientifique» und der Sorbonne-Universität in Paris. 

George F. Gao, Virologe und Immunologe. Bis Juli 2022 Direktor des chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle und
-prävention, dem Pendant zu den CDC in den USA. 

Anthony Fauci, Arzt und Immunologe. Bis Dezember 2022 Direktor des Instituts für Infektionskrankheiten und Allergien (NIAID) an der grossen US-Forschungsinstitution «National Institutes of Health». 

Kristian G. Andersen, Professor in der Abteilung für Immunologie und Mikrobiologie am Scripps Research Institute in La Jolla, Kalifornien. Gehörte zum engen Kreis der Wissenschaftler, die sich zu Beginn der Pandemie, am 1. Februar 2020, mit Anthony Fauci austauschten.

Robert F. Garry, Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Tulane-Universität in New Orleans. Gehörte ebenfalls zum engen Kreis der Wissenschaftler, die sich am 1. Februar 2020 mit Anthony Fauci austauschten.

Edward C. Holmes, Virologe und Evolutionsbiologe an der australischen Universität Sydney. Holmes erachtete das Pandemievirus anfangs als «nicht übereinstimmend mit Erwartungen der Evolutionstheorie». Zusammen mit Andersen und Garry veröffentlichte Holmes im März 2020 einen wichtigen Leserbrief in «Nature Medicine».

Jeremy Farrar, Wissenschaftler und langjähriger Direktor des «Wellcome Trust», mit rund 38 Milliarden eine der weltweit grössten gemeinnützigen Stiftungen, die Gesundheitsforschung und -forscherInnen finanziert (Infosperber berichtete). Farrar organisierte die Videokonferenz mit Anthony Fauci und den Wissenschaftlern am 1. Februar 2020. Farrar wird im zweiten Quartal 2022 Leiter Wissenschaft bei der WHO.

Die Chronologie

Seit Monaten versucht ein US-Untersuchungsausschuss herauszufinden, woher das Pandemievirus stammt. Für den 8. März 2023 lud der Ausschuss den Virologen Robert Redfield vor, den früheren Leiter der US-Gesundheitsbehörde «Centers for Disease Control and Prevention» (CDC). Die CDC sind mit ihren 10’000 Mitarbeitern auch für Infektionsausbrüche zuständig. Redfield gehörte zur US-Coronavirus-Taskforce. Wer seine früheren Äusserungen kannte, konnte sich ungefähr ausrechnen, was er am 8. März aussagen würde.

Während Redfields Termin näherrückte, durchforstete Tausende Kilometer entfernt die französische Evolutionsbiologin Florence Débarre die Gisaid-Datenbank. In dieser grossen Datenbank hinterlegen viele Forscher Informationen zum Erbgut von Grippe- und Coronaviren.

Dabei stiess Débarre am 4. März 2023 auf bisher unbekannte Gen-Daten. Sie sei bei ihrer Forschung zufällig darüber gestolpert, sagte sie dem Wissenschaftsmagazin «Science». Unterstellungen, sie sei irgendwie anders zu diesen Daten gekommen, wies sie scharf zurück. Die Gen-Daten stammten von Proben, die chinesische Wissenschaftler von Januar bis März 2020 am Fischmarkt in Wuhan gesammelt hatten.

«Dieses Virus sah für mich konstruiert aus.»

Robert Redfield, Virologe, früher Leiter der CDC und Mitglied der US-Coronavirus-Taskforce

Redfields brisante Aussagen vor dem Ausschuss

Am 8. März sagte Robert Redfield unter Eid vor dem Untersuchungsausschuss aus: «Basierend auf meiner Analyse der Daten kam ich [zu Beginn der Pandemie – Anm. d. Red.] zur Überzeugung und glaube das auch heute noch, dass Covid-19 wahrscheinlicher das Resultat eines Laborunfalls war als das Ergebnis eines natürlichen Überspringens.»

Das Virus habe an einer wichtigen Stelle einen menschlichen Gencode enthalten, führte Redfield aus. «Das war sehr beunruhigend für mich. Dieses Virus sah für mich konstruiert aus.» Das habe er zu Beginn der Pandemie auch Anthony Fauci, dem WHO-Direktor Tedros Ghebreyesus und Jeremy Farrar gesagt, dem damaligen Direktor des «Wellcome Trust».

Ein weiteres Indiz für Redfield: Anders als Sars- und Mers-Viren, die nie gelernt hätten, sich von Mensch zu Mensch zu verbreiten, sei das Pandemievirus nach Redfields Dafürhalten von Beginn weg «zu ansteckend» für Menschen gewesen.

Redfield hatte nach eigenem Bekunden darauf gedrängt, beide Hypothesen zum Ursprung mit grösster Ernsthaftigkeit zu untersuchen. Doch weil Faucis Team nur ein Narrativ gewollt habe und er, Redfield, einen anderen Standpunkt vertrat, sei er weder in wichtige Videocalls noch in E-Mails eingebunden worden, in denen Fauci und Farrar sich mit verschiedenen Wissenschaftlern über die Herkunft des Virus austauschten (Infosperber berichtete mehrmals).

Krasser Widerspruch zu Fauci

Dass er in diese Unterredungen nicht einbezogen worden sei, habe ihn «total enttäuscht» und auch verärgert, bekannte Redfield vor dem Untersuchungsausschuss. Er habe von diesen geheimen Diskussionen zwischen Fauci und anderen Wissenschaftlern erst erfahren, als dies mit Hilfe des Öffentlichkeitsgesetzes ans Licht kam.

Es gehöre zur Wissenschaft, dass Debatten gefördert würden, damit die Wissenschaft schliesslich die Wahrheit finde, so Redfield. In diesem Fall aber sei a priori beschlossen worden, nur eine Sichtweise zu bringen und jeden, der damit nicht einverstanden gewesen sei, ins Abseits zu stellen.

Der frühere CDC-Direktor gab weitere klare Statements ab: Die «National Institutes of Health» (NIH), wo Anthony Fauci das NIAID leitete, förderten Redfield zufolge die «gain of function»-Forschung – auch in Wuhan. «Ich denke, es gibt keinen Zweifel», sagte Redfield vor dem Ausschuss. Damit widersprach er Anthony Fauci, der ebendort unter Eid vor einiger Zeit das Gegenteil behauptet hatte. Somit steht nun die Frage im Raum, ob Fauci einen Meineid leistete. Bei der «gain of function»-Forschung werden Mikroben so verändert, dass sie neue Eigenschaften erwerben, also zum Beispiel ansteckender oder gefährlicher werden.

Drei «sehr ungewöhnliche» Vorgänge

Es sei klar, so Redfield, dass im Labor in Wuhan im September 2019 ein «bedeutsames Ereignis» stattfand. In früheren, normalen Zeiten habe er mit George Gao, seinem chinesischen Amtskollegen, dem Direktor des chinesischen CDC, in gutem Austausch gestanden. Doch dann sei dieser unkomplizierte, informelle Austausch plötzlich nicht mehr möglich gewesen.

File:Wuhan Institute of Virology main entrance.jpg

Damals seien drei Dinge in dem Labor in Wuhan passiert, die Redfield als «sehr ungewöhnlich» bezeichnet: Erstens wurden Informationen zum Erbgut von Coronaviren in einer Datenbank gelöscht. Zweitens sei das Labor in Wuhan der militärischen Kontrolle unterstellt worden, während es zuvor der zivilen Kontrolle unterstanden habe. Drittens sei das Belüftungssystem im Labor erneuert worden.

«Fox News» und andere Medien verbreiteten Redfields Aussagen sofort. In Schweizer Medien las man nichts davon.

Verfechter der Hypothese vom natürlichen Ursprung suchen in den Daten

Am 9. März 2023, dem Tag nach Redfields Anhörung, realisierte Débarre nach eigenen Angaben, wie bedeutsam die Daten seien, die sie in der Datenbank entdeckt hatte. Dem Magazin «Science» zufolge suchte sie sofort Unterstützung bei einer Gruppe von westlichen Wissenschaftlern, die stark die Hypothese vom natürlichen Ursprung vertreten.

Eiligst machten sie sich zusammen in den chinesischen Daten, die sie von der Gisaid-Datenbank heruntergeladen hatten, auf die Suche. Gelänge es, einen tierischen Zwischenwirt zu finden, wäre das Rätsel, woher das Virus stammt, gelöst.

Zwei Tage nach Redfields Anhörung, am 10. März 2023, stimmte das US-Repräsentantenhaus einig wie selten mit 419 zu null Stimmen für einen Gesetzentwurf. Dieser verpflichtet die US-Geheimdienstkoordinatorin, sämtliche Informationen über die Herkunft von Sars-CoV-2 offenzulegen, insbesondere zu den Verbindungen zum Labor in Wuhan. Ob der US-Präsident dieses Gesetz unterschreiben würde, war zu diesem Zeitpunkt offen.

Nun gelangten die Neuigkeiten der Evolutionsbiologin Florence Débarre und ihrer Kollegen an die Öffentlichkeit.

Die Gen-Daten, die sie analysierten, gehören zu einer wissenschaftlichen Arbeit, die Redfields chinesischer Amtskollege George Gao, der frühere Leiter des chinesischen CDC, zusammen mit KollegInnen bereits im Februar 2022 auf einem sogenannten Preprint-Server veröffentlicht hatte.

Für die einen «nichts Neues», für die anderen die Bestätigung

Das chinesische Team wartete darauf, dass Gutachter ihr OK zur Publikation im Wissenschaftsmagazin «Nature» gaben. Mindestens ein Gutachter bestand darauf, dass Gaos Team alle Rohdaten offenlege. Gegenüber dem Wissenschaftsmagazin «Science» sagte Gao, diese Daten seien nichts Neues.

Das Fazit seiner Arbeit: Man habe keinen tierischen Wirt für Sars-CoV-2 gefunden. Es sei daher nicht auszuschliessen, dass das Virus durch Menschen oder über gefrorene Waren in den Markt in Wuhan eingeschleppt wurde. Um die mögliche Herkunft des Virus zu ergründen, sei mehr internationale Koordination nötig.

«The Atlantic» erhält Informationen zugespielt

Débarre und ihre Kollegen lasen aber etwas anderes aus den Daten heraus: Sie entdeckten in einer Probe sowohl Marderhund-Erbgut als auch Sars-CoV-2-RNA. Daraus schlossen sie, dass der Marderhund vermutlich mit Corona infiziert war – er könnte ihrer Ansicht nach also der gesuchte Zwischenwirt sein, von dem das Virus auf den Menschen übersprang.

Noch bevor Débarre und Co. irgendetwas Wissenschaftliches veröffentlichten, das die Fachwelt hätte prüfen können, erhielt die Laienpresse Informationen: «Eine neue Analyse von genetischen Sequenzen, die vom Markt gesammelt wurden, zeigt, dass Marderhunde, die illegal dort verkauft wurden, das Virus Ende 2019 möglicherweise in sich trugen und ausschieden.» Das sei bisher «der stärkste Hinweis», dass die Pandemie von einem Tier ausging und nicht durch einen Laborunfall verursacht wurde, schrieb «The Atlantic» am 16. März 2023.

Am 18. März zog die WHO nach, die von Débarres Kollegen laut eigenen Angaben am 11. März informiert wurde. Laut der WHO würden die Daten zeigen, dass auf dem Markt Tiere waren, die für Sars-CoV-2 empfänglich seien und die eine Ansteckungsquelle für Menschen «gewesen sein könnten».

Am 20. März 2023 veröffentlichten Débarre und ihre KollegInnen schliesslich ihre Sicht der Dinge: «Die seit Beginn der Pandemie angesammelten Daten weisen gesamthaft klar auf einen tierischen Ursprung des Virus hin.» Die Argumente für diese Hypothese stünden in starkem Kontrast zu den fehlenden Beweisen für irgendeine andere Entstehungsgeschichte. Auf die von Robert Redfield und anderen Wissenschaftlern vorgebrachten Indizien für die Laborhypothese gingen sie nicht ein.

«Wissenschaft beruht auf Beweisen und Fakten, nicht auf Spekulation. Insbesondere kann man nicht in den Medien übertreiben, um die Öffentlichkeit und Politiker in die Irre zu führen.»

George F. Gao, ehemaliger Leiter der chinesischen Gesundheitsbehörde CCDC

George Gao, der frühere Leiter des chinesischen CDC, bezeichnete Débarres Analysen als «irreführend»: «Wissenschaft beruht auf Beweisen und Fakten, nicht auf Spekulation. Insbesondere kann man nicht in den Medien übertreiben, um die Öffentlichkeit und Politiker in die Irre zu führen», so Gao gegenüber der Non-Profit-Organisation «U.S. Right To Know». Er forderte die Gruppe um Débarre auf, sich zu beruhigen und «anständige Wissenschaft» zu machen.

Am 21. März 2023 meldete sich die Datenbank Gisaid zu Wort. Denn Analysen mit den Daten anderer Wissenschaftler vorzunehmen und diese eigenen Analysen zu veröffentlichen, noch bevor die chinesischen «Eigentümer» ihre wissenschaftliche Arbeit publiziert haben – das ist nicht die feine Art. Einige Benutzer hätten einen unvollständigen Teil der chinesischen Daten heruntergeladen, teilte Gisaid mit und meinte damit Débarre und ihre Kollegen. Gisaid rügte sie: «Vorzeitige Diskussionen von wissenschaftlichen Daten in den Medien drohen das öffentliche Vertrauen in die wissenschaftliche Forschung zu untergraben.»

Chinesische Proben belegen «überhaupt nichts»

Medial war das Ganze jedoch ein Riesenerfolg für Débarre und ihre Kollegen. Denn obwohl weiterhin nichts bewiesen ist, berichteten Dutzende Medien über ihren Befund: Der Marderhund wurde als möglicher Zwischenwirt gehandelt. Deutschsprachige Medien zitierten weitherum den Virologen Christian Drosten: «Diese vorläufige Analyse chinesischer Daten bestätigt meine stets favorisierte Hypothese.»

Aussagen wie jene des deutschen Virologen Alexander Kekulé vom 23. März 2023, die chinesischen Proben würden «überhaupt nichts» belegen und einige seien sogar von einer Reinheit, die fast zu gut sei, kamen zu spät und wurden demgegenüber viel weniger zitiert.

Potenzielle Interessenkonflikte blieben unerwähnt

Unerwähnt blieben in fast allen Berichten über Débarres Neuigkeit ihre Co-Autoren. Eine ganze Reihe von ihnen unternahm im Februar 2022 mit geleakten chinesischen Daten schon einmal eigene Analysen. Ihr Fazit bereits damals: Die Hypothese vom natürlichen Ursprung sei viel plausibler als die Laborhypothese.

Finanziell gefördert werden etliche der Co-Autoren von den «National Institutes of Health», vom «Wellcome Trust» oder zum Beispiel von Anthony Faucis früherem Institut NIAID. Die lange Liste ihrer potenziellen Interessenkonflikte war in den grossen Medien kein Thema.

Drei Namen stechen unter den Autoren hervor: Kristian G. Andersen, Professor in der Abteilung für Immunologie und Mikrobiologie am Scripps Institute in Kalifornien. Robert F. Garry, Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Tulane-Universität in New Orleans. Und Edward C. Holmes, Virologe und Evolutionsbiologe an der australischen Universität Sydney. Alle drei hatten am 1. Februar 2020 an dem Videocall mit Anthony Fauci teilgenommen.

Andersen war es, der Ende Januar 2020, zu Beginn der Pandemie, in einer E-Mail an Anthony Fauci noch schrieb: «Einige Eigenschaften [des Virus] sehen (potenziell) fabriziert aus.» Und: «Ich finde, das Erbgut [des Virus] ist nicht vereinbar [inconsistent] mit dem, was man von der Evolutionstheorie her erwarten würde.»

Auch Holmes und Garry befanden noch am 2. Februar 2020, das Coronavirus sei «nicht übereinstimmend mit Erwartungen der Evolutionstheorie». Damals schrieb Garry, er könne nicht verstehen, wie SARS-CoV-2 sich auf natürliche Weise herausgebildet haben könne.

In den folgenden zwei bis vier Tagen änderten Andersen, Holmes und Garry ihre Meinung diametral. Nun schlug Andersen vor, in einem Fachbeitrag zu schreiben, das Virus sei «konsistent mit natürlicher Evolution». Der Entwurf wurde angeblich schon am 4. Februar 2020 verfasst. Am 17. März 2020 erschien dieser Beitrag in «Nature Medicine». «Wir glauben nicht, dass irgendein Labor-basiertes Szenario plausibel ist», hielten Andersen, Holmes und Garry dort bereits zu einem Zeitpunkt fest, als noch überhaupt nichts klar war. Trotzdem beeinflusste ihr Artikel die öffentliche Meinung massgeblich: Der Laborursprung wurde daraufhin in grossen Medien als die weniger wahrscheinliche Hypothese oder sogar als Verschwörungstheorie gehandelt.

«Teil eines Narrativs, das sie erschufen» – oder plötzliche, neue Erkenntnisse?

Seinen plötzlichen Sinneswandel innerhalb weniger Tage erklärte Andersen später gegenüber der «New York Times» damit, dass er sich das Virus nochmal genauer besehen habe. Auch Garry relativierte später und sagte, er habe in den anfänglichen Diskussionen den «advocatus diaboli» gespielt. Die Gruppe um Fauci hätte diverse Informationen ausgetauscht und es sei ihnen sehr schnell klar geworden, dass das Pandemievirus natürlichen Ursprungs sei.

undefined

Am 8. März 2023 bezeichnete Redfield den von Andersen, Garry und Holmes mit-verfassten Artikel in «Nature Medicine» vor dem Untersuchungsausschuss als «inakkurat, […] Teil eines Narrativs, das sie erschufen».

Mittlerweile haben Gao und seine KollegInnen eine überarbeitete Version ihrer Publikation auf einen chinesischen Preprint Server hochgeladen und «Nature» veröffentlichte eine vorläufige Version ihres Artikels – worauf eine der Ko-Autorinnen von Débarre diesen auf Twitter sofort als «sehr fehlerhaft» brandmarkte.

In ihrer Kernaussage bleiben die chinesischen Wissenschaftler dabei: Die Proben können keine Infektionen mit Sars-CoV-2 bei Tieren beweisen. Um die mögliche Herkunft des Virus zu ergründen, brauche es mehr internationalkoordinierte Anstrengungen.

Heftige Vorwürfe an die chinesischen Wissenschaftler

Von Débarre, ihren Kollegen und anderen westlichen Wissenschaftlern, aber auch von der WHO hagelte es Kritik: Die chinesischen Wissenschaftler hätten diese wichtigen Daten sofort zugänglich machen müssen, anstatt sie jahrelang zurückzuhalten. «Unentschuldbar» sei die mangelnde Offenlegung, zitierte «Der Spiegel» eine WHO-Epidemiologin.

Was nicht erwähnt wird: Wichtige Informationen über die Anfänge der Pandemie, die in US-Archiven schlummern, wurden bisher nicht oder erst auf juristischen Druck hin offengelegt. Und selbst wenn sie offengelegt werden mussten, waren viele Stellen geschwärzt oder Hunderte von Seiten einfach weiss (Infosperber berichtete).

Die E-Mail-Korrespondenz zwischen Fauci, Andersen und den anderen am Videocall vom 1. Februar 2020 beteiligten Wissenschaftlern beispielsweise kam nur dank des Öffentlichkeitsgesetzes ans Licht. Und just zu dem Zeitpunkt, als diese E-Mails publik wurden, löschten sich Andersens frühere Tweets angeblich plötzlich von selbst. Im Artikel von Débarre betonen Andersen und alle anderen Autoren hingegen, sie seien Befürworter des offenen Datenaustausch unter Wissenschaftlern.

Vielleicht kommt nun mehr Licht ins Dunkel

Der – vorerst – letzte Akt in diesem Hin und Her: Am 20. März unterzeichnete US-Präsident Biden das nach der Anhörung Redfields vorgeschlagene Gesetz. Dieses verpflichtet die Leiterin des US-Geheimdiensts, «so viele Informationen wie möglich» zum Ursprung des Virus öffentlich zu machen. Dafür hat sie 90 Tage Zeit.

Noch ist aber offen, welche der bisher geheimen Informationen die US-Regierung wann offenlegen wird.

Ursprung im Wuhan-Labor käme sowohl USA als auch China ungelegen

Beim Sars-Ausbruch von 2003 gelang es rasch herauszufinden, dass das Virus von Fledermäusen über Zibetkatzen auf den Menschen übersprang. Beim Sars-CoV-2-Ausbruch von 2019 dagegen ist auch nach drei Jahren und mehr als 80’000 gesammelten Proben offen, woher das Virus kam. 

China behauptet, das Pandemievirus stamme von ausserhalb des Landes. Die USA dagegen behaupten, Sars-CoV-2 stamme aus China. 

Politisch wäre es für die USA am besten, wenn das Pandemievirus in China von Tieren auf den Menschen übertragen worden wäre. Dann träfe die USA keinerlei Mitschuld. Würde sich hingegen die Laborhypothese bestätigen, dann stünden auch die USA in der Mit-Verantwortung, weil sie die virologische Forschung in Wuhan massgeblich finanzierten. Auch die EU förderte Forschung am Institut für Virologie in Wuhan.

Weder China noch die USA haben also ein Interesse daran, dass sich die Hypothese bestätigt, dass Sars-CoV-2 aus einem Labor in Wuhan stamme. 

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —   Dr. Robert R. Redfield, director of the Centers for Disease Control and Prevention, joined by President Donald J. Trump and Vice President Mike Pence, along with members of the White House Coronavirus Task Force, addresses his remarks at a coronavirus update briefing Wednesday, April 8, 2020, in the James S. Brady Press Briefing Room of the White House. (Official White House Photo by D. Myles Cullen)

****************************

2.) von Oben       —    Wuhan Institute of Virology is a research institute by the Chinese Academy of Sciences in Jiangxia District, south of the Wuhan city, Hubei province, China.

Author Ureem2805         /    Source     :    Own Work      /       Date   :    12 December 2016

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.

****************************

Unten        —                Redfield (rechts) während der Pressekonferenz der COVID-19-Task-Force am 29. Februar.

Abgelegt unter Amerika, Asien, Gesundheitspolitik, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Gefährliche Überbietungen

Erstellt von Redaktion am 9. April 2023

Die neue Dimension der Waffenlieferungen an die Ukraine

Leo 2A5 rushing forward2.jpg

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von    : Jürgen Wagner /

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 477, März 2023, www.graswurzel.neon

Der seit einem Jahr tobende Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat nach Angaben von US-General Mark Milley bereits Anfang November 2022 etwa 40.000 ukrainischen Zivilist*innen, 100.000 russischen und ebenso vielen ukrainischen Soldat*innen das Leben gekostet. (1)

Ein jahrelanger Stellungskrieg mit unzähligen Opfern, wie während des Ersten Weltkriegs, ist wahrscheinlich. Auch die Gefahr eines Super-GAUs in ukrainischen AKWs infolge der Kriegshandlungen ist nicht gebannt. Trotzdem gibt es kaum Anstrengungen für einen Waffenstillstand oder Verhandlungen. Statt diplomatische Arbeit für eine Deeskalation zu leisten, verkündet die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock Ende Januar 2023 vor dem Europarat: „Wir befinden uns in einem Krieg mit Russland“. (2) Waffenproduzenten wie Rheinmetall und Co. sind die grossen Profiteure des Krieges und der dadurch in ganz Europa ausgelösten Remilitarisierung. Die Problematik der Waffenlieferungen ins Kriegsgebiet beleuchtet für die GWR-Leser*innen Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung. (GWR-Red.)Bei der Frage deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine fällt ein Tabu nach dem anderen. Inzwischen zeigen sich auch gestandene Hardliner besorgt, wenn etwa der langjährige militärische Chefberater im Kanzleramt, Ex-Brigadegeneral Erich Vad, bereits eindringlich vor einer „Eigendynamik“ und einer „Rutschbahn“ warnte, die in einen direkten Krieg der NATO mit Russland führen könnte. „Was sind die Kriegsziele?“, fragte Vad völlig zu Recht. „Will man mit den Lieferungen der Panzer Verhandlungsbereitschaft erreichen? Will man damit den Donbas oder die Krim zurückerobern? Oder will man Russland gar ganz besiegen? Es gibt keine realistische End-State-Definition. Und ohne ein politisch strategisches Gesamtkonzept sind Waffenlieferungen Militarismus pur.“(3) Waffen! Waffen! Waffen! In Sachen Waffenlieferungen sind die USA weiterhin der zentrale Akteur, der bis Anfang Februar 2023 Kriegsgerät im Wert von rund 30 Mrd. Dollar in die Ukraine geliefert hat. In der EU ist Deutschland Spitzenreiter, nach den letzten Zusagen beim Ramstein-Treffen Ende Januar 2023 summieren sich seine Beiträge auf 3,4 Mrd. Euro. Bezahlt werden die deutschen Waffenlieferungen nicht aus dem Verteidigungshaushalt, sondern aus dem Allgemeinen Haushalt. Ausserdem gibt es ein EU-Budget für Waffenlieferungen, in das Deutschland 25 Prozent einzahlt. Der Name dieses Budgets ist zynisch: „Europäische Friedensfazilität“. Bis Februar 2023 wurden über die „Friedensfazilität“ 3,6 Mrd. Euro für Waffen an die Ukraine bezahlt.

Doch nicht nur die Beträge, auch die Feuerkraft der gelieferten Waffen nimmt ständig zu. Man kann förmlich zusehen, wie die Eskalationsleiter immer weiter hochgeklettert wird: Erst waren es Helme, dann Panzerhaubitzen, dann Flakpanzer (Gepard), anschliessend Schützenpanzer (Marder) und Ende Januar 2023 wurde dann auch noch grünes Licht für die Lieferung von zunächst 14 Leopard-2-Kampfpanzern gegeben. Am 7. Februar 2023 genehmigte die Bundesregierung zudem die Ausfuhr von bis zu 178 Leopard-1-Kampfpanzern. Kaum ist eine rote Linie überschritten, wird gleich die nächste ins Visier genommen, wenn zum Beispiel von Christoph Heusgen, dem Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, inzwischen auch die Lieferung von Kampfflugzeugen gefordert wird. (4)

Dagegen warnt inzwischen zum Beispiel auch der eigentlich auch eher zu den Hardlinern zählende Markus Kaim von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“, die „Politik“ drohe jedes „Mass und Mitte zu verlieren“, sie laufe Gefahr zur „Getriebenen“ derjenigen zu werden, die am lautesten nach immer mehr Waffen schreien würden: „Die Ukraine solle das erhalten, was für das Selbstverteidigungsrecht wichtig sei. Angesichts dieser dürftigen Begründung für deutsche Waffenlieferungen stockt einem fast der Atem: Mit einem derartigen Freibrief liesse sich auch die Lieferung taktischer Nuklearwaffen an die ukrainischen Streitkräfte rechtfertigen.“ (5) Torpedo gegen Verhandlungslösungen Eine ganze Reihe von Gründen sprechen gegen die Waffenlieferungen. Am prominentesten wird dabei auch aus Ecken, die der Friedensbewegung gänzlich fern stehen, die Gefahr einer Eskalation hin zu einem westlich-russischen Krieg benannt. Seit Mai 2022 werden in Deutschland ukrainische Soldaten für die Panzerhaubitzen 2000 ausgebildet, seit Ende Januar 2023 wird hierzulande an den Marder-Schützenpanzern trainiert und bald soll auch die Leopard-2-Ausbildung folgen.

Wenn aber Waffen im vollen Wissen geliefert werden, dass sie nur zu einem Abnutzungskrieg und weiteren Todesopfern führen, dann ist womöglich genau das das zynische Ziel des Unterfangens

Das ist brandgefährlich: Erinnert sei hier an das im Mai 2022 erschienene Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages „Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme“. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, die Lieferung von Kriegsgerät sei noch nicht als Kriegsbeteiligung zu werten, die Ausbildung ukrainischer Soldaten an diesen Geräten hingegen schon. (6)

Das ist aber nur ein Grund, gegen diese Waffenlieferungen zu sein. Mindestens ebenso wichtig ist die Frage, was mit ihnen wohl bezweckt werden soll: Erinnert sei deshalb noch einmal daran, dass russische und ukrainische Vertreter*innen ein Dokument ausgehandelt hatten, das Ende März 2022 unterschriftsreif vorgelegen hatte. Kernpunkte dieser Istanbul-Verhandlungen waren ein sofortiger Waffenstillstand, die Neutralität der Ukraine (mit Garantiestaaten) sowie die Ausklammerung der offenen Fragen um Teile des Donbas sowie der Krim, verbunden mit der Vereinbarung, eine nicht-militärische Lösung innerhalb der nächsten 15 Jahre anzustreben. (7)

File:НАТО Самит 2021 NATO Summit 2021 -14.06.2021- (51245988182).jpg

Damit war ein Weg aus diesem Krieg vorhanden, was dann im Detail geschah, ist bis heute unklar. Mit Sicherheit lässt sich aber sagen, dass der Westen der ukrainischen Regierung unmissverständlich nahelegte, diese Verhandlungslösung abzulehnen, verknüpft mit Zusagen für Waffenlieferungen, um den Kampf gegen Russland „erfolgreich“ fortsetzen zu können. Schon am 5. April 2022 berichtete die Washington Post, diverse NATO-Staaten würden eine Fortsetzung der Kampfhandlungen befürworten: „Das führt zu einer unangenehmen Realität: Einige in der NATO halten es für besser, wenn die Ukrainer weiter kämpfen und sterben, als dass ein Friede herauskommt, der zu früh und mit zu hohen Kosten für Kiew und den Rest Europas verbunden ist.“ (8)

Diese Angaben werden auch durch Aussagen des damaligen israelischen Premiers Naftali Bennett betätigt: „Ein Waffenstillstand sei damals, so Bennett, in greifbarer Nähe gewesen, beide Seiten waren zu erheblichen Zugeständnissen bereit. Doch vor allem Grossbritannien und die USA hätten den Prozess beendet und auf eine Fortsetzung des Krieges gesetzt. […] Auf die Frage, ob die westlichen Verbündeten die Initiative letztlich blockiert hätten, antwortete Bennett: ‚Im Grunde genommen, ja. Sie haben es blockiert, und ich dachte, sie hätten unrecht.‘ Sein Fazit: ‚Ich behaupte, dass es eine gute Chance auf einen Waffenstillstand gab, wenn sie ihn nicht verhindert hätten.‘“ (9) Raus aus der Eskalationslogik Genau zu dem Zeitpunkt, als die Ukraine und Russland also Ende März 2022 kurz vor einer Verhandlungslösung standen, nahmen Umfang und Feuerkraft der westlichen Waffenlieferungen enorm zu. Das war nichts anderes als die klare Botschaft an die Adresse der Ukraine, den Krieg fortzusetzen. Doch mit welchem Ziel? Oft ist zu hören, die Ukraine müsse den Krieg gewinnen, aber was heisst das und vor allem: ist das realistisch?

Das ist nicht der Fall, zumindest wenn man jemandem Glauben schenkt, der es wissen sollte: US-Generalstabschef Mark Milley. Er schaltete sich bereits im November 2022 mit dem Argument in die Debatte ein, die Ukraine habe mit dem russischen Rückzug aus Cherson das Maximum des Möglichen erreicht, ein Sieg über Russland auf dem Schlachtfeld sei unmöglich, es sei deshalb nun wichtig, sofortige Verhandlungen aufzunehmen. (10) Stattdessen werden nun also (nicht nur) deutsche Kampfpanzer geliefert, deren einziger Zweck darin besteht, eine ukrainische Offensive zu unterstützen, die nach Meinung von immer mehr Expert*innen keine Entscheidung auf dem Schlachtfeld wird herbeiführen können.

Gleichzeitig werden Verhandlungen weiter nahezu kategorisch abgelehnt. Wenn aber Waffen im vollen Wissen geliefert werden, dass sie nur zu einem Abnutzungskrieg und weiteren Todesopfern führen, dann ist womöglich genau das das zynische Ziel des Unterfangens. Ungeschminkt beschreibt einer der renommiertesten US-Politikwissenschaftler, John Mearsheimer, dieses Kalkül mit folgenden Worten: „Wir haben beschlossen, dass wir Russland in der Ukraine besiegen werden. […] Man könnte argumentieren, dass der Westen, insbesondere die Vereinigten Staaten, bereit sind, diesen Krieg bis zum letzten Ukrainer zu führen. Und das Endergebnis ist dann, dass die Ukraine tatsächlich als Land zerstört wird. […] Tatsache ist, dass die Vereinigten Staaten den Ukrainern nicht erlauben werden, einen Deal abzuschliessen, den die Vereinigten Staaten für inakzeptabel halten.“(11)

In den USA mehren sich die Stimmen, die Verhandlungen fordern und auch die nicht enden wollenden westlichen Waffenlieferungen in Frage stellen. Es steht zu hoffen, dass auch hierzulande immer mehr Menschen die Sackgasse erkennen, in die hier derzeit mit Höchstgeschwindigkeit gefahren wird. Abschliessend dazu noch einmal Ex-Brigadegeneral Erich Vad: „Man kann die Russen weiter abnutzen, was wiederum hundertausende Tote bedeutet, aber auf beiden Seiten. Und es bedeutet die weitere Zerstörung der Ukraine. […] Es muss sich in Washington eine breitere Front für Frieden aufbauen. Und dieser sinnfreie Aktionismus in der deutschen Politik, der muss endlich ein Ende finden. Sonst wachen wir eines Morgens auf und sind mittendrin im Dritten Weltkrieg.“ (12)

Fussnoten:

(1) Müller, Fabian: Verluste im Ukraine-Krieg: US-General nennt 200.000 getötete oder verwundete Soldaten, Merkur, https://www.merkur.de/politik/ukraine-krieg-verluste-russland-soldaten-getoetet-verwundet-us-general-selenskyj-putin-91906557.html

(2) Diekmann, Patrick: Streit zwischen Scholz und Baerbock. Ein Sturm zieht auf, t-online, 01.02.2023, https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/aussenpolitik/id_100120520/streit-zwischen-olaf-scholz-und-annalena-baerbock-um-deutsche-aussenpolitik-.html

(3) Ross, Annika: Erich Vad: Was sind die Kriegsziele?, Emma, 12.01.2023.

(4) Heusgen befürwortet Lieferung von Kampfjets an die Ukraine, Deutschlandfink, 29.01.2023.

(5) Kaim, Markus: Warum nicht gleich Nuklearwaffen? Spiegel Online, 19.01.2023.

(6) Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme, Sachstand, 16.03.2022.

(7) Waffenstillstand und Frieden für die Ukraine, IPPNW, 15.11.2022.

(8) Birnbaum, Michael, Ryan, Miss: NATO says Ukraine to decide on peace deal with Russia — within limits, Washington Post, 05.04.2022.

(9) Scheidler, Fabian: Naftali Bennett wollte den Frieden zwischen Ukraine und Russland: Wer hat blockiert? Berliner Zeitung, 06.02.2023.

(10) Baker, Peter: Top U.S. General Urges Diplomacy in Ukraine While Biden Advisers Resist, New York Times, 10.11.2022.

(11) Kolenda, Klaus-Dieter: „… im Grunde ein Krieg zwischen den USA und Russland“, Telepolis, 26.04.2022; siehe auch ganz ähnlich die Aussagen von Ex-Bundeswehr-Generalinspekteur Harald Kujat: „Die Ukraine kämpft um ihre Freiheit, um ihre Souveränität und um die territoriale Integrität des Landes. Aber die beiden Hauptakteure in diesem Krieg sind Russland und die USA. Die Ukraine kämpft auch für die geopolitischen Interessen der USA. Denn deren erklärtes Ziel ist es, Russland politisch, wirtschaftlich und militärisch so weit zu schwächen, dass sie sich dem geopolitischen Rivalen zuwenden können, der als einziger in der Lage ist, ihre Vormachtstellung als Weltmacht zu gefährden: China.“ (Interview mit General a.D. Harald Kujat, zeitgeschehen-im-fokus.ch, 18.01.2023)

(12) Ross 2023.

Jürgen Wagner ist geschäftsführender Vorstand der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

Abgelegt unter International, Kriegspolitik, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Zwei tödliche Jahrzehnte

Erstellt von Redaktion am 8. April 2023

Für Medienschaffende: 1.657 Medienschaffende seit 2003 getötet

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von        :         RSF

Am heutigen Freitag (07. April) vor genau 20 Jahren wurde der deutsche Journalist Christian Liebig im Irak getötet. Aus diesem Anlass blickt Reporter ohne Grenzen (RSF) auf zwei besonders tödliche Jahrzehnte für Medienschaffende zurück: Seit 2003 kamen bis 7. April insgesamt 1.657 Journalistinnen und Reporter bei oder wegen ihrer Arbeit ums Leben, durch Morde oder Auftragsmorde, bei Überfällen, Angriffen in Kriegsgebieten oder nach schwersten Verletzungen. Im Schnitt sind das mehr als 80 im Jahr.

„Hinter jeder nackten Zahl steht ein unermesslicher Verlust für die Angehörigen, und ein Verlust im Kampf um die Pressefreiheit weltweit“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Für uns ist das ein Ansporn, jeden Tag weiter zu kämpfen, für besseren Schutz in Krisen- und Kriegsgebieten, für wirksamere Gesetze und gegen die Straflosigkeit. Wenn die Täterinnen und Täter straflos davonkommen, werden immer wieder Journalistinnen und Reporter sterben.“

Christian Liebig war für den Focus in den Irak gereist und begleitete dort als „embedded journalist“ eine Einheit der US-Armee. Die US-geführte Invasion im Irak hatte am 19. März begonnen. Am 7. April 2003 schlug eine Rakete im Hauptquartier der Einheit ein und tötete Liebig, seinen spanischen El-Mundo-Kollegen Julio Anguita Parrado und zwei Soldaten. Seit 2003 sind im Irak insgesamt 300 Medienschaffende ums Leben gekommen. Der Irak ist damit vor Syrien mit 280 Getöteten das gefährlichste Land für Journalistinnen und Reporter der vergangenen 20 Jahre. Auf dieser Liste folgen Afghanistan, der Jemen, die Palästinensischen Gebiete und Somalia.

Die meisten Medienschaffenden kamen 2012 ums Leben. Für die 143 getöteten Journalistinnen und Journalisten waren vor allem die verschiedenen Parteien des syrischen Bürgerkriegs verantwortlich. Ein Jahr später, 2013, starben weitere 136 Medienschaffende. In der Folge gingen die Zahlen zurück, ab 2019 verzeichnete RSF historisch niedrige Zahlen. 2021 starben weltweit 51 Journalistinnen und Reporter, im vergangenen Jahr 60.

In Europa ist Russland das Land mit den meisten getöteten Medienschaffenden

In Europa bleibt Russland das Land mit den meisten getöteten Medienschaffenden. Seit der Machtübernahme durch Wladimir Putin im Jahr 2001 hat es in Russland vermehrt systematische Angriffe auf die Pressefreiheit gegeben, darunter mindestens 37 tödliche wie den Mord an Anna Politkowskaja am 7. Oktober 2006. Der umfassende russische Angriffskrieg auf die Ukraine seit 24. Februar 2022 ist einer der Gründe für die hohen Todeszahlen in der Ukraine, die zweithöchsten in Europa. Dort wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten 20 Medienschaffende getötet, acht von ihnen seit der Invasion, nahezu alle anderen in den seit 2014 umkämpften Gebieten. Die Türkei steht mit neun getöteten Medienschaffenden auf Rang drei, gefolgt von Frankreich. Dort töteten Terroristen beim Terroranschlag auf das Büro der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris im Jahr 2015 acht Medienschaffende.

Dass Journalistinnen und Journalisten dort besonders gefährdet sind, wo Kriege oder bewaffnete Auseinandersetzungen stattfinden, liegt nahe. Allerdings ist die Zahl der jährlich in Kriegsgebieten getöteten Medienschaffenden zuletzt gesunken; in den vergangenen drei Jahren waren es jeweils nicht über 20. Abgesehen davon, dass die Intensität einiger Kriege abgenommen hat, spiegeln diese Zahlen auch die Wirksamkeit der von den Nachrichtenorganisationen ergriffenen Präventiv- und Schutzmaßnahmen wider.

Dennoch sind auch Länder, in denen offiziell kein Krieg stattfindet, häufig keine sicheren Orte für Journalistinnen und Journalisten. Seit 2003 sind sogar mehr Medienschaffende in offiziell friedlichen Gebieten getötet worden als bei der Kriegsberichterstattung. Vor allem Recherchen zum organisierten Verbrechen und zu Korruption sind extrem gefährlich.

Das trifft in besonderem Maße auf Mexiko zu, aber auch auf Brasilien, Kolumbien und Honduras. 2022 war der amerikanische Doppelkontinent die gefährlichste Region der Welt, dort hat Reporter ohne Grenzen 47 Prozent aller getöteten Medienschaffenden gezählt. Auch in Asien sind die Zahlen zum Teil sehr hoch: Auf den Philippinen wurden in den vergangenen 20 Jahren 107 Medienschaffende getötet, in Pakistan 94 und in Indien 59.

Auch Journalistinnen vermehrt unter den Opfern

95 Prozent aller getöteten Medienschaffenden sind Männer. Dennoch steigt auch die Zahl getöteter Journalistinnen an, in manchen Jahren sprunghaft. Im Jahr 2017 etwa kamen zehn Journalistinnen ums Leben, gegenüber 65 männlichen Journalisten. In den vergangenen 20 Jahren wurden insgesamt 79 Journalistinnen getötet, oftmals nachdem sie zu Frauenrechten recherchiert hatten.

Reporter ohne Grenzen zählt als „getötet“ nur Medienschaffende, die unter das Mandat der Organisation fallen. Dieses umfasst alle Personen, die regelmäßig im Haupt- oder Nebenberuf Nachrichten, Informationen und Ideen sammeln, verarbeiten und verbreiten, um dem öffentlichen Interesse zu dienen, wobei sie die Grundsätze der Meinungsfreiheit und der journalistischen Ethik beachten. Die Frage, ob eine Person unter das RSF-Mandat fällt, ist eine Einzelfallentscheidung, die jeweils nach detaillierter Prüfung erfolgt.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —      مراسم اهدای مدال قهرمانان آزادی اطلاع رسانی سازمان گزارشگران بدون مرز

Abgelegt unter International, Kriminelles, Medien, Positionen, Traurige Wahrheiten | Keine Kommentare »

Ackermanns Finanzen

Erstellt von Redaktion am 6. April 2023

Bankchef Josef Ackermann verstand seine eigenen Angebote nicht

Quelle      :        INFOsperber CH.

Urs P. Gasche /   

Es geht um systemrelevante, intransparente Wettgeschäfte in Billionenhöhe, über welche die Medien weitgehend schweigen. (Teil 2)

Wie andere Grossbanken war auch die gestrauchelte Credit Suisse auf undurchsichtigen «Dark Pool»-Handelsplätzen hyperaktiv oder versuchte computergesteuert innerhalb von Millisekunden hohe Gewinne zu erzielen und machte den Kunden und Pensionskassen in ganzseitigen Inseraten «Renditeoptimierungsprodukte» schmackhaft, beispielsweise mit dem unverständlichen Namen «Autocallable Barrier Reverse Convertibles».

Die Finanzindustrie hat die Finanzwelt in ein gigantisches Casino verwandelt, wo Milliarden-Gewinne locken. Man zockt und bereichert sich schamlos auf Kosten anderer – ohne Nutzen für die Volkswirtschaft.

Im «Worst case» können die Spekulanten auf eine Rettung durch Regierungen zählen. Das Risiko eines Crashs trägt die ganze Bevölkerung. 

Infosperber versucht, den Schleier etwas zu lüften. In einem ersten Teil deckten wir auf, dass die unregulierten Schattenbanken weltweit fast die Hälfte sämtlicher Finanzanlagen verwalten. Heute geht es um sogenannte Finanzprodukte, mit denen ohne Nutzen für die Volkswirtschaft spekuliert wird.

Josef Ackermann: «Es werden täglich neue Produkte kreiert. Ich muss mich auf mein Team verlassen»

Sogenannte Derivate sind Spekulationspapiere, deren Wert sich davon ableitet, wie sich die Kurse bestimmter Aktien entwickeln. Wie genau der Wert eines sogenannten «strukturierten Produkts» von den Börsenkursen seiner («Basis»)-Werte abhängt, bestimmen meist schwer durchschaubare mathematische Modelle.

Nur ein geringer Teil der Derivatgeschäfte taucht in den Bilanzen der Banken auf. Beispielsweise fehlen dort alle OTC-Geschäfte (Over the Counter = über den Tresen). Trotz der grossen Bedeutung solcher OTC- und Schattenbank-Geschäfte wissen deshalb weder die Aufsichtsbehörden noch die Notenbanken, wie gross ihr Umfang weltweit derzeit ist.

Finanzjournalistin und Buchautorin Myret Zaki schätzt, dass die gesamte Summe der kaum regulierten Spekulationsgeschäfte weltweit mindestens 150 Billionen Dollar betragen. Zaki warnte in der Sendung «Infrarouge» des Westschweizer Fernsehens: «Wenn die Zinsen weiter steigen, kracht dies alles zusammen, doch niemand interessiert sich dafür.»

In Schweizer Kundenkontos lagen Ende 2019 Derivate in Form von strukturierten Produkten mit einem Volumen von 198 Milliarden Franken (Quelle: Schweizerischen Nationalbank). «Die Schweiz ist mit einem Anlagevolumen von rund 200 Milliarden der weltweit grösste Markt für stukturierte Produkte», rühmten Mitte 2021 die Credit Suisse und der Lobby-Verband der «Strukis», wie man sie zärtlich nennt. Diese undurchsichtigen Spekulationsvehikel würden «viele Arbeitsplätze für Hochqualifizierte» schaffen und angeblich das Eigen- und Fremdkapital für Unternehmen erhöhen.

Als «Basiswerte» von strukturierten Produkten wählen die Mathematiker der Banken Aktien grosser Unternehmen. Ein Nutzen dieser Milliarden-Spekulationen mit Derivaten für diese Unternehmen und für die reale Wirtschaft ist nicht ersichtlich. Falls der Handel mit diesen Spekulationspapieren besteuert oder sonst eingeschränkt würde, «erwarten wir keine substanziellen Nachteile», meinte ein Novartis-Sprecher auf Anfrage. Die SwissRe nannte ebenfalls keine Nachteile: «Wir machen dazu keine Aussagen.» Nestlé wollte auch keine Nachteile für Nestlé erwähnen: «Wir überlassen die kompetente Antwort den Finanz- und Finanzmarktspezialisten.»

Finanzprofessor Marc Chesney warnte am 11. September 2018 in der NZZ:

«Ein Blick in die Schweiz zeigt, dass der Nominalwert der Derivate der Credit Suisse im Jahr 2017 einen Umfang von 28,9 Billionen Franken betrug. Damit waren diese ungefähr 36-mal so hoch wie ihre Bilanzsumme und 687-mal so hoch wie ihr Eigenkapital. Der Wert dieser Produkte entsprach etwa 43-mal dem BIP der Schweiz und etwas mehr als einem Drittel der Weltwirtschaftsleistung.
Der Nominalwert der Derivate der UBS betrug im gleichen Jahr 18,5 Billionen Franken und war 20-mal so gross wie ihre Bilanzsumme beziehungsweise 361-mal so hoch wie ihr Eigenkapital. Hiermit machte es 28-mal das Schweizer BIP und rund einen Viertel der Weltwirtschaftsleistung aus.
Das Derivatevolumen der Deutschen Bank zeigt ein ähnliches Bild. Es wies 2017 eine Höhe von 48,3 Billionen Euro auf. Dies entsprach 33-mal ihrem gesamten Vermögen und 708-mal ihrem Eigenkapital. Damit war es ungefähr 15-mal so gross wie das Deutsche BIP und machte etwa 67 Prozent der Weltwirtschaftsleistung aus.
Zwischen 2008 und 2018 hat sich der Schattenbankensektor stark entwickelt – wie zum Beispiel die Beteiligungsgesellschaft BlackRock, die ebenfalls «too big to fail» ist und ein Vermögen von mehr als 6 Billionen Dollar verwaltet. Dieser Sektor besitzt eine beunruhigende Macht.»

Derivate in Form von «strukturierten Produkten» sind weit verbreitet. Das Wetten mit ihnen hängt oft von so komplizierten und schwer durchschaubaren Bedingungen ab, dass Bankkunden sie nur schwer verstehen können. Manchmal gaukeln die Banken Produkte mit «100 Prozent Kapitalschutz» vor, obwohl es schon mehrfach zu absoluten Verlusten kam.

In der Schweiz beliebt sind fast unzählige Angebote mit Namen «Barrier-Reverse-Convertibles». Deren gute Noten der Rating-Agenturen seien «für die Kunden irreführend» und «eine echte Gefahr für Privatanleger, Pensionskassen und Gemeinden», warnte Marc Chesney, Finanzprofessor in Zürich. «Eigenartigerweise» würden die Aufsichtsbehörden dies zulassen.

Namhafte Beteiligte an diesen Geschäften der Schattenwirtschaft bezeichnen sich selber als «Investmentbanken». Man denkt an Investionen in Strassen, Schulen und Fabriken. Doch weit gefehlt. Mit mathematischen Modellen entwickeln sie komplexe Anlagepapiere, genannt «Produkte», darunter «strukturierte» Produkte, die Spekulationsgeschäften dienen, jedoch Sicherheit und «Renditeoptimierung» vorspiegeln.

Auf die Frage, ob er als Chef der Deutschen Bank verstanden habe, was die Deutsche Bank zu seiner Zeit da genau anbot und wie hoch die Risiken waren, antwortete Josef Ackermann Anfang 2022 in der NZZ:

«Bei dieser Komplexität der Materie muss sich ein Bankchef auf die Fachkompetenz eines starken Teams verlassen können. Es werden täglich neue Produkte kreiert.»

Selbst der oberste Bankchef versteht also nicht alle «Produkte», welche seine eigene Bank ihren Kunden anbietet. Ebenso wenig verstehen davon überforderte Aufsichtsbehörden oder Parlamentarier, die Bankgesetze beschliessen, oder Regierungen, die Verordnungen erlassen.

Es handelt sich fast immer um spekulative Termingeschäfte, also Wetten auf die Zukunft. Mit sogenannten «Swaps» (deutsch: Tausch) werden Geschäfte zu einem festgesetzten Preis mit Zahlung zu einem späteren Zeitpunkt vereinbart.

Die komplexen Derivate erlauben den «Investment»-Bankern, mit einem geringen Kapitaleinsatz hohe Gewinne abzuschöpfen. Diese rechtfertigen am Jahresende happige Boni.

Die Nominalwerte ihrer offenen Derivatgeschäfte müssen die Grossbanken in der Bilanz nicht einmal ausweisen. Das wird damit begründet, dass sich die Risiken netto ausgleichen würden. Es handle sich um ein «Nullsummen-Spiel», weil immer eine Seite gewinnt und die andere verliert. Nur: Wenn das Casino brennt, müssen die Steuerzahlenden die Zeche zahlen.

Wäre das Wett-Casino tatsächlich ein Nullsummen-Spiel, hätten sich die Risiken 1998 und 2008 tatsächlich gegenseitig neutralisiert und es wäre nicht zu den grossen weltweiten Finanzkrisen gekommen. Warren Buffett bezeichnete die Derivate-Instrumente der Finanzindustrie bereits in den Neunzigerjahren als «Massenvernichtungswaffen».

Das Beispiel Archegos

Auch beim Fall Archegos entpuppte sich das angebliche Netto-Null-Risiko als trügerische Hoffnung. Die Bilanz wies Fonds von 10 Milliarden aus, Archegos stand jedoch mit 50 Milliarden Dollar im Risiko. Zum Wetten mit Derivaten stellte die Credit Kundengelder und eigene Gelder der Archegos Capital Management zur Verfügung. Die CS soll der Archegos regelrecht Geld nachgeschmissen haben, «weil sie sich hohe Gebühreneinnahmen und Provisionen versprach», schrieb die NZZ. Das interne Risiko-Management der Grossbank versagte.

Das Geschäftsmodell von Archegos beruhte auf der Manipulation von Börsenkursen. Die Anklageschrift der New Yorker Staatsanwaltschaft beschrieb das Konstrukt wie folgt (redigiert):

«Archegos lieh sich über Derivate wie sogenannte Total-Return-Swaps viel Geld und kaufte damit riesige Mengen von lediglich etwa zehn verschiedenen Aktien. Diese grosse Nachfrage trieb die Kurse dieser Aktien massiv nach oben. Das führte zu nicht realisierten Gewinnen. Dank diesen verbuchten Gewinnen konnte sich Archegos von Banken wiederum sehr viel Geld ausleihen, mit dem wieder die gleichen Aktien gekauft wurden, was deren Wert weiter in die Höhe trieb.»

Bevor die Credit Suisse in diese riskanten Spekulationsgeschäfte investierte, hatte die Grossbank nicht einmal verlangt, dass Archegos seine weiteren finanziellen Verpflichtungen offenlege. Wirtschaftsjournalist Beat Schmid kommentierte am 2. Mai 2021 in der Sonntags-Zeitung: «Jeder Hausbesitzer und Unternehmer muss, bevor er einen Kredit erhält, offenlegen, bei wem er weitere Kredite am Laufen hat. Bei Archegos, das mit einem x-fach höheren Einsatz spekulierte, verlangten die Banken dies nicht.»

CDS oder Kreditausfallversicherungen

Zu casino-ähnlichen Wettgeschäften entartet sind auch Versicherungen gegen Kreditrisiken oder Währungsverluste. Die Käufe solcher Versicherungs-Zertifikate, genannt Credit Default Swaps CDS, erfüllen ihren Zweck dann, wenn sie ein tatsächlich eingegangenes Risiko gegen Verluste absichern. Kauft beispielsweise ein Investor Obligationen eines Unternehmens, kann er sich gegen einen Zahlungsausfall des Unternehmens absichern, indem er bei einem Finanzinstitut eine Kreditausfallversicherung abschliesst und ein CDS kauft. Der Preis hängt in der Regel von der Bewertung des Unternehmens durch Rating-Agenturen ab. Je unsicherer die finanziellen Aussichten des Unternehmens sind, desto höher steigt der Preis oder der Kurs des CDS.

Der Kurs der CDS steigt also, wenn es dem Unternehmen immer schlechter geht, weil dann eine Rückzahlung der Obligationen unsicherer wird. Die CDS kann man jederzeit kaufen und verkaufen.

Zur Zweckentfremdung kommt es, wenn man an der Börse CDS gegen Kursverluste von Obligationen kauft, ohne dass man Obligationen dieses Unternehmens besitzt. Man hat kein Geschäft abzusichern, sondern spekuliert einfach darauf, dass der der Kurs der Obligation fällt und der Preis der börsengehandelten CDS entsprechend steigt. Dann kann man die gekauften CDS viel teurer wieder verkaufen. Der Erwerb solcher «Versicherungs»zertifikate oder CDS dient dann ausschliesslich der Spekulation.

Chesney erläuterte diese Spekulation mit folgender Analogie:

«Niemand kann eine Autoversicherung abschliessen, ohne ein Auto zu besitzen […] Man kann auch keine zehn oder hundert Versicherungen für das Auto des Nachbarn abschliessen in der Hoffnung, dass er einen Unfall hat. Man hätte dann ein Interesse daran, das Auto des Nachbarn zu manipulieren! In der Finanzwelt aber ist es gang und gäbe, auf die Zahlungsunfähigkeit von Unternehmen, mit denen keinerlei Geschäftsbeziehungen bestehen, zu spekulieren und möglicherweise die Zahlungsunfähigkeit dann zu provozieren. Man wettet auf ihre Zahlungsunfähigkeit, ihren Erfolg oder ihre Rettung.»

Bekannt wurde, dass beispielsweise der frühere Goldman-Sachs-Manager Richard Perry im Jahr 2016 mit seinem Hedge-Funds Perry Capital für eine Milliarde Dollar solche Kreditausfallversicherungen kaufte und auf Pleiten von Unternehmen wettete. Das meldete «Business Insider».

Das Ausmass der Spekulationsgeschäfte mit diesen Vesicherungspolicen CDS ist gigantisch: Heute sichern über 90 Prozent aller gekauften CDS keine realen Geschäfte mehr ab, sondern sind reine Wettgeschäfte.

Der Preis eines CDS hängt davon ab, wie die Rating-Agenturen die «Bonität» des jeweiligen Versicherten zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses einschätzen. Und umgekehrt können Rating-Agenturen die «Bonität» herabsetzen, weil die Preise der CDS steigen.

Die spekulativen CDS können als gefährliche Brandbeschleuniger wirken.

Ein aktuelles Beispiel ist die Credit Suisse. Je tiefer der Kurs der CS-Aktien im Jahr 2022 fiel, desto stärker stiegen die Kurse der CDS. Steigende CDS-Kurse wie letztes Jahr bei der Credit Suisse gelten als Zeichen, dass die grossen Wett-Spekulanten nicht mehr an die Zukunft der Bank glauben oder jedenfalls auf deren Niedergang wetten. Die Bank verliert weiter an Bonität. Das hat zur Folge, dass sie bei der Ausgabe neuer Obligationen oder bei der Aufnahme von Krediten höhere Zinsen zahlen muss.

Ende November 2022 prophezeite Rainer Skierka, Banken-Analytiker bei Research Partners in der NZZ, der Kursanstieg der CDS sei für die CS «noch folgenschwerer als der Rückgang des Aktienkurses». Das war dann tatsächlich der Fall.

Niemand weiss allerdings, welche Finanzinstitute, Hedge-Fonds oder Beteiligungsgesellschaften wie BlackRock oder Vanguard auf eine Insolvenz der CS gewettet haben. Die Akteure bleiben im Dunkeln. Die parlamentarische Untersuchungskommission könnte versuchen, dies herauszufinden.

Mit «Killerinstinkt» gegen Unternehmen wetten

Wenn grosse Hedge-Funds auf den Konkurs eines Unternehmens wetten, können sie die Entwicklung entsprechend beeinflussen beziehungsweise manipulieren. Häufig platzieren sie selber dazu nützliche Beiträge in Medien oder bedienen Wirtschaftsjournalisten mit exklusiven «Insider»-Informationen, die dem Unternehmen schaden.

Auf ihren «Killerinstinkt» sei sie geradezu stolz, meinte Fahmi Quadir, Gründerin des New Yorker Hedge-Funds «Safkhet Capital». Das Setzen auf Kursstürze und Bankrotte von Unternehmen sei nützlich, um schwache Firmen aus dem Markt zu kippen. Beim Unternehmen «Valeant Pharmaceuticals» beispielsweise habe sie ein schlechtes und korruptes Management ausgemacht und dann zehn Prozent des Hedge-Fund-Kapitals eingesetzt, um mit Leerverkäufen* auf einen Kurszerfall bei Valeant zu wetten. Kurz darauf hätten die Valeant-Aktien 90 Prozent ihres Wertes verloren.

UBS zahlte wegen Manipulationen in Dark Pools 14 Millionen Dollar

Anfang 2015 verbreitete Reuters folgende Meldung: 

«Im Rahmen eines Vergleichs zahlt die UBS-Tochter UBS Securities 14,4 Millionen Dollar [Schadenersatz]. Den Market-Makers und Hochfrequenz-Handelsfirmen, welche die Dark Pools genutzt hätten, seien unerlaubterweise Vorteile zu günstigen Konditionen gewährt worden, erklärte die US-Wertpapieraufsicht SEC. Dark Pools sind ausserbörsliche Handelsplätze, an denen Investoren unbemerkt von Rest der Investoren grosse Aktienpakete kaufen oder verkaufen können.»

Lange bringt es grosse Gewinne – beim Absturz helfen Staat und Steuerzahlende

Hat das Wetten gegen die Zukunft eines Unternehmens Erfolg, machen Käufer von CDS ein hervorragendes Geschäft. Deshalb beteiligen sich an diesem lukrativen Geschäft alle grossen Finanzinstitute: Die Deutsche Bank (Derivatvolumen 2015: 75 Billionen Dollar!), JPMorgan, Goldman Sachs und mindestens bis zum Kollaps die Credit Suisse. Das genaue Ausmass des Engagements der Credit Suisse (und der UBS) müsste die parlamentarische Untersuchung aufdecken.

Finanzprofessor Marc Chesney hatte Anfang 2021 gegenüber Infosperber darauf hingewiesen, dass bei der Credit Suisse im Geschäftsjahr 2020 weniger als 1 Prozent der Nominalwerte aller Derivatgeschäfte das Kursrisiko eines Wertpapiers, eines Rohstoffes oder eines Wechselkurses absicherten. «Die restlichen 99 Prozent sind reine Wetten einer Casino-Finanzwirtschaft sowie Marktmanipulationen, die der Realwirtschaft keinen Nutzen, sondern nur Gefahren bringen. «Wer kann da noch glauben, die Situation sei unter Kontrolle?», fragte Chesney.

Regierungen und Parlamente schauen zu und übernehmen die Rettung

Falls es wie 1998 oder 2008 zu einer grösseren Krise oder einem Crash kommt, zählen die Spekulanten darauf, dass andere Banken oder der Staat einspringt. Im Jahr 2008 mussten mit der AIG die grösste Versicherungsgesellschaft der Welt sowie die US-Hypothekenbanken Fannie May und Freddy Macgerettet werden. Bei einem Bankrott der AIG wären CDS in Höhe von 440 Milliarden Dollar fällig geworden. Sie hätten das globale Finanzsystem finanziell aus den Angeln gehoben.

Da flog dann auch Peer ein

Die Jahre der tiefen Zinsen und Negativzinsen verschaffte der Finanzindustrie immer neues, billiges Geld. Doch die «Investmentbanken» stellten der Realwirtschaft nur wenig davon zur Verfügung. Sie verwöhnten zuerst die Aktionäre und schleusten den grössten Teil in die Spekulation, also in erster Linie in das Wettgeschäft mit Derivaten.

Trotz aller Versprechen, das Geschäft mit Derivaten im Dunkel der Schattenbanken stärker zu regulieren, hat kein einziges Land etwas unternommen. Im Gegenteil: Der Derivate-Sektor ist weiter stark gewachsen. Das ganze Finanz-Casino gefährdet unterdessen das globale Finanzsystem, den Wohlstand, die Demokratie und den Frieden mehr denn je.

Die Schweizer Finanzaufsichtsbehörde Finma gibt sich schweigsam. Auch auf Anfrage sagt sie beispielsweise nicht, welcher Anteil der Derivate in der Schweiz nicht über die Börse, sondern ausserbörslich in der Schattenwirtschaft gehandelt wird. Und zur Frage, welchen Nutzen beispielsweise der Handel mit ungedeckten, rein spekulativen CDS für die reale Wirtschaft hat, will sich die Finma auf Anfrage nicht äussern.

Abhilfe gegen dieses Zocken mit Derivaten und CDS brächte eine Mikrosteuer auf allen elelektronischen Transaktionen, also auch auf Käufen und Verkäufen dieser «Produkte».

*Spekulieren mit Leerverkäufen

Bei Leerverkäufen verkauft jemand zu einem festgelegten Preis auf einen späteren Zeitpunkt Aktien, die er noch gar nicht besitzt (Termingeschäft). Der Verkäufer setzt mit Leerverkäufen auf fallende Aktienkurse (er „shortet“ seine Position). In der Zeit bis zum vereinbarten Verkaufstermin muss der Leerverkäufer die Aktien kaufen. Das Geschäft geht schief, falls der Kurs der Aktie steigt.

Im Extremfall kann es vorkommen, dass viel mehr Aktien im Voraus verkauft werden als existieren. Das war beispielsweise beim US-Unternehmen Gamestop der Fall, die Computerspiele und Unterhaltungssoftware verkauft. Als der Aktienkurs aufgrund von Spekulationen von 20 Dollar am 12. Januar 2021 bis auf über 480 Dollar am 28. Januar 2021 emporschnellte, verkauften vor allem Hedge-Funds massenweise Gamestop-Aktien auf Termin, da sie fallende Kurse erwarteten und daraus Gewinne erzielen wollten. Schliesslich wurden 40 Prozent mehr Aktien leer verkauft als es überhaupt gab. Weil sich die Baisse-Spekulanten rechtzeitig mit Aktien eindecken mussten und es zu wenige gab, wären die Kurse in extreme Höhe geschnellt. Dazu kam es nicht, weil ein Online-Broker die Käufe stoppte. Es kam zu Verwerfungen. Gamestop schloss weltweit fast alle Läden und betreibt fast nur noch Online-Handel.

Die Wettgeschäfte mit den Gamestop-Aktien waren alle legal. «Es war die menschliche Gier, welche Anleger zu Gamestop zogen», meinte Werner Grundlehner, Börsenredaktor der NZZ.

Wie das Problem «ganz einfach zu lösen» wäre, sagte einer der es wissen muss. Multimilliardär Peter Peterffy, Mehrheitsaktionär von Interactive Brokers: «Die Regulatoren müssten für die Leerverkäufe nur die Margenvorschriften anzupassen – von bisher 50 Prozent hinterlegtem Eigenkapital auf 100 Prozent plus 1 Prozent von jedem zusätzlichen 1-Prozent-Anteil der bereits auf fallende Kurse gesetzte Papiere. Im Endeffekt wären immer genügend Sicherheiten vorhanden.»

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —       Relief “Ludwigs Erbe” by Peter Lenk, close to Zollhaus and tourist information, Hafenstraße 5, Ludwigshafen am Bodensee, Bodman-Ludwigshafen in Germany: Right-hand part of the triptych: Josef Ackermann

Abgelegt unter Europa, Finanzpolitik, Medien, Regierung | Keine Kommentare »

Zu den Corona-Maßnahmen

Erstellt von Redaktion am 5. April 2023

Von falschen Versprechungen und Maßnahmen-Lockdown+Impf-Krise

Von Johannes Kreis

Die „naturwissenschaftliche Wirklichkeitskonstruktion“ des Grundgesetzes und die „Operationalisierung von Grundrechten“ nach Kersten/Rixen

Ich möchte im Zusammenhang mit der Corona-Maßnahmen-Lockdown-Impf-Krise auf die „naturwissenschaftliche Wirklichkeitskonstruktion“ des Grundgesetzes und die „Operationalisierung von Grundrechten“ nach Kersten/Rixen (2022) aufmerksam machen. Herr Rixen ist Mitglied im Deutschen Ethikrat.

  • Kersten, Rixen, „Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise“, C.H. Beck, 3. Aufl., 2022

Hier insbesondere Kapitel VIII, „Impfen“.

[Anmerkung:

Für Menschen wie Jens Kersten und Stephan Rixen ist das, was hier gesagt wird, nicht zugänglich oder verständlich. Es ist nicht Teil ihrer Wirklichkeit. Es existiert in der Welt dieser Herren nicht. Genauso wie es in der Welt vieler deutscher Gerichte nicht existiert.]

I. Die falschen Versprechen des PEI

Der blanke Unsinn, den Kersten/Rixen verbreiten, ist gefährlich. Darauf wird weiter unten detailliert eingegangen. Er ist Teil dieser „selbstverständlichen Wissenschaft“,  die in unerhörter Selbstanmaßung  vorher undenkbare“, beschleunigte Zulassungsverfahren (PEI) für COVID-19 Impfstoffe versprochen hat, mit fürchterlichen Folgen.

Warum können COVID-19-Impfstoffe so schnell zugelassen werden und zugleich sicher sein?

Die Entwicklung von Impfstoffen gegen neue Erreger ist ein komplexer und langwieriger Prozess, der meist mehrere Jahre beansprucht.“

Diese Erkenntnis hat alle an der Impfstoffentwicklung beteiligten Expertinnen und Experten bewogen, die Zusammenarbeit enger und die Prozesse effizienter zu gestalten, ohne Abstriche bei der Sorgfalt zu machen. Dies hat auch zu deutlichen Optimierungen der Verfahrensabläufe und einem Zeitgewinn bei der Entwicklung geführt.

#1 Zeitgewinn durch Wissenschaftliche Beratung

#2 Zeitgewinn durch Rolling Review

#3 Zeitgewinn durch Kombination von klinischen Prüfungsphasen

#4 Zeitgewinn durch Forschungswissen zu Coronaviren

Die neuen Verfahren zur Zulassung von COVID-19 Impfstoffen waren auf Zeitgewinn hin optimiert, weil es schnell gehen sollte. Die Kombination von klinischen Prüfungsphasen umfasst dabei das Ineinanderschieben von Prüfungsphasen („Teleskopierung“), bei dem die nächste Phase schon anfängt, bevor die vorangehende Phase abgeschlossen ist. Das PEI verspricht, dass keine Phase ausgelassen worden ist, vgl. ebenda.

Können einzelne Phasen der Impfstoffentwicklung ausgelassen werden?

Nein.

Die Entwicklung und Herstellung von sicheren und wirksamen Impfstoffen ist hochkomplex. In der EU und damit auch in Deutschland standen uns ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie – vorher undenkbar – bereits drei wirksame und sichere Impfstoffe gegen COVID-19 zur Verfügung. Sie alle haben den regulären Weg der Impfstoffzulassung in kurzer Zeit durchlaufen, ohne wichtige Entwicklungsphasen auszulassen – ganz zentral hierbei ist die klinische Prüfung auf Sicherheit und Wirksamkeit. Diese umfassende Prüfung ist wichtig – schließlich werden Impfstoffe gesunden Menschen verabreicht.“

Das PEI spricht von einer Entwicklungs- und Zulassungsgeschwindigkeit, die „vorher undenkbar“ war. Warum war das „vorher undenkbar“, wenn eine solche Beschleunigung der Entwicklung und Zulassung so einfach und ohne Abstriche bei der Sicherheit zu bewerkstelligen ist?

Interessanterweise wird kaum noch geimpft, siehe Impfdashboard der Bundesregierung,

Aber die Variantenentwicklung von SARS-CoV2 Viren ist unverändert weitergegangen. Denn die Variantenbildung bei Viren ist das Naturgesetz. Sie ist Teil der Evolutionsmaschine Natur. Und die Katastrophe bleibt aus.

Neben der Beschleunigung der Zulassungsverfahren durch „Teleskopierung“ verkürzte man die Testdauern. Gleichzeitig, und das darf nicht vergessen werden, hat man die Studien zur Arzneimittelsicherheit frühzeitig  geöffnet („unblinded“). D.h. man hat aus „ethischen Gründen“ der Placebogruppe die Impfsubstanzen angeboten. Damit gab es keine Vergleichsgruppen mehr. Langfristige Nebenwirkungen waren so nicht mehr erkennbar.

Die ungeheure Anmaßung der Wissenschaft (im wesentlichen Landesbeamte und Bundesbeamte), dass man diesen beschleunigten Prozess beherrschen würde, weil man soviel wüßte, ist zentraler Bestandteil der „naturwissenschaftsfreundlichen – Wirklichkeitskonstruktion“  des Grundgesetzes, was Kersten/Rixen vollkommen übersehen, siehe unten. Anscheinend verzeiht das Grundgesetz jede wissenschaftliche Anmaßung.

II. Ein Dokument der Zeitgeschichte

Diese jeden Zweifel erstickende  „Sofort“-Wissenschaft, die so selbstverständlich scheint, kommt auch in der gemeinsamen Stellungnahme der Präsidenten der außeruniversitären Forschungsorganisationen zu COVID-19 von Oktober 2020 zum Ausdruck. Dieses Dokument der Zeitgeschichte trägt die eigenhändige Unterschrift von 6 Präsidentinnen und Präsidenten der außeruniversitären Forschungsorganisationen in Deutschland. Das ist die crème de la crème der deutschen Forschung. Das ist, wo das große Geld sitzt. Mehr Wissenschaft geht in Deutschland nicht.

  • Presseerklärung zur gemeinsame Erklärung der Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Präsidenten von Fraunhofer-GesellschaftHelmholtz-GemeinschaftLeibniz-GemeinschaftMax-Planck-Gesellschaft und Nationaler Akademie der Wissenschaften Leopoldina, „Wissenschaftsorganisationen zur Coronavirus-Pandemie: Die Situation ist ernst“ , Max Planck Gesellschaft, 27. Oktober 2020https://www.mpg.de/15947053/stellungnahme-coronavirus-pandemie-die-situation-ist-ernst

Mit Verlinkung auf die Erklärung,

  • Gemeinsame Erklärung der Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Präsidenten von Fraunhofer-GesellschaftHelmholtz-GemeinschaftLeibniz-GemeinschaftMax-Planck-Gesellschaft und Nationaler Akademie der Wissenschaften Leopoldina, „Wissenschaftsorganisationen zur Coronavirus-Pandemie: Die Situation ist ernst“, Max Planck Gesellschaft, https://www.mpg.de/15953757/gemeinsame-erklaerung-zur-coronavirus-pandemie.pdf

Bemerkenswert ist, dass diese gemeinsame Stellungnahme auf einer mathematischen Modellierung beruht. Wer erinnert sich nicht an das weiterhin im Experiment nicht zu beobachtende Phänomen des „exponentiellen Wachstums“ der (medizinisch nicht relevanten) Testzahlen?

Auf der Webseite befindet sich auch eine Verlinkung zu der mathematischen Analyse der Datenlage von Viola Priesemann,

Objektiv betrachtet war die gemeinsame Erklärung eine reine Mutmaßung, so wie die gesamte mathematische Modellierung reine Mutmaßung war. Die prognostizierte Katastrophe ist nicht eingetreten, nicht einmal annähernd, auch nicht in 2020. Im Grund haben diese 6 Präsidenten und Präsidentinnen damals nichts gewußt, und sie wissen heute immer noch nichts. Das Nicht-Wissen wird ersetzt durch eine gemeinsame Erklärung. Jedoch eine Konsensmeinung ersetzt nicht die wissenschaftliche Erkenntnis.

Doch die deutsche Wissenschaftselite der Besoldungsstufe W2 bis W4 bescheinigt sich selbst größte Objektivität und Wissenschaftlichkeit. Dies kann man aktuell in den Wiener Thesen zur wissenschaftsbasierten Beratung von Politik und Gesellschaft der Leopoldina nachlesen. Der Präsident der Leopoldina war Mitunterzeichner der gemeinsamen Erklärung. In einer unglaublichen Selbstbeweihräucherung lobt man die eigene Leistungsfähigkeit und blendet die unzähligen falschen Hypothesen und Ansätze schamlos aus.

„Ohne Wissenschaft wüssten wir nicht, was die „seltsame Lungenkrankheit“ verursacht, hätten wir nicht in kurzer Zeit Impfstoffe und wirkungsvolle Medikamente entwickelt. Ohne Bezug auf wissenschaftliche Erkenntnisse gäbe es auch keine zielgerichtete öffentliche Diskussion über notwendige Maßnahmen und für die Politik keine Möglichkeit, evidenzbasiert zu entscheiden. 

Die Pandemie hat die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft eindrucksvoll unter Beweis gestellt.“

Von dieser Seite ist keine kritische Auseinandersetzung mit den „vorher undenkbaren“, beschleunigten Zulassungsverfahren für neuartige Impfstoffe und Medikamente zu erwarten. In diesen Thesen geht es unverhohlen um einen Machtanspruch, nämlich entscheiden zu dürfen, wer Expertise hat und in den Beratungsgremien der Politik sitzen darf, wer zu einem aktuellen Problem gehört wird und wer nicht. Vgl. ebenda,

Wissenschaftsakademien wissen, wer wirklich Expertise hat

Wissenschaftsakademien versammeln als Gelehrtengesellschaften die „klügsten Köpfe“ aus Wissenschaft und Forschung und haben Zugriff auf das aktuellste und bestgesicherte Wissen. Sie sind daher eine glaubwürdige Informationsquelle, gerade auch dann, wenn es um die Einrichtung und Besetzung von Beratungsgremien geht. Aufgrund ihrer Unabhängigkeit und ihres fachlichen Überblicks können Akademien rasch und zuverlässig erklären, wer die maßgeblichen Personen mit entsprechender Kompetenz in einem bestimmten Themenfeld sind.“

Nicht die Daten sind entscheidend, nicht das Experiment, sondern die „maßgeblichen Personen“. Dieses falsche Grundverständnis von Wissenschaft entzieht einer rationalen, am wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn orientierten Diskussion jeden Boden. Denn, wer die falsche Auffassung vertritt, der wird nicht zur Diskussion zugelassen.

Dieses falsche Verständnis von Wissenschaft überträgt sich auf den Rest der Gesellschaft und damit auch auf die Rechtswissenschaft und in die Gerichtssäle. Dort operiert man leichtfertig und sorglos mit „abstrakt-generellen Nutzen-Risiko Abwägungen“ von hier „maßgeblichen“ Organisationen.  Was soll schon passieren, die „maßgeblichen Personen“ sagen es ja.

Die deutsche Wissenschaftselite hat sich eine eigene Wirklichkeit geschaffen. Die Worte stehen nicht mehr für tatsächliche Ereignisse oder physikalische Objekte, sondern sie stehen für sich selbst tragende Wirklichkeitskonstrukte, ohne Bezug zur Realität. Die wissenschaftliche Hypothese wird zur Wirklichkeit, auch wenn man keinerlei Belege hat. Wichtig ist nur, dass man sie häufig genug behauptet, dass genügend viele sie wiederholen und dass alle kritischen Stimmen unterdrückt sind.

Wenn alle kritischen Stimmen verstummt sind, dann muß doch die einzige im Raum verbleibende Behauptung die richtige sein, so die Annahme.

III. Die wirren Ideen der Herren Kersten und Rixen

Kommen wir damit zu den wirren Ideen von Jens Kersten und Stephan Rixen, die von vielen anderen Juristen geteilt werden. In vollkommener Verkennung, was Naturwissenschaft bedeutet, und in nahezu einmaliger Naivität hat man sich den Bären von der „allwissenden Wissenschaft“ aufbinden lassen, die sich nur noch um einige wenige, offene Detailfragen zu kümmern hätte.

  • Kersten, Rixen, „Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise“, C.H. Beck, 3. Aufl., 2022

Schauen wir hier insbesondere auf Kapitel VIII.3, zu der „Impfverweigerung“. Dort lesen wir eingangs,

„Wer das Vorhandensein virologischer Bedingungszusammenhänge in Abrede stellt oder die Wirksamkeit des Impfens prinzipiell leugnet, stellt die naturwissenschaftsfreundliche Wirklichkeitskonstruktion in Frage, die dem Grundgesetz zugrunde liegt.“

Dem Grundgesetz liegt sicherlich eine „naturwissenschaftsfreundliche Wirklichkeitskonstruktion“ zugrunde. Die Erkenntnis des Menschen ist begrenzt und ganz offensichtlich kann sich der Mensch der Wirklichkeit in seiner Erkenntnis nur annähern. Aber sollte das den kritisch denkenden Juristen nicht zur Vorsicht mahnen, gerade wenn die deutsche Wissenschaftselite sich selbst so über den grünen Klee lobt?

Inzidenz-D.jpg

Es ist eine objektive Tatsache, dass es Jahre gegeben hat, in denen die Effektivität der Grippeschutzimpfung negativ gewesen ist, d.h. die Geimpften erkrankten häufiger an der Grippe als die Ungeimpften. Wo findet diese Tatsache Platz in der Wirklichkeitskonstruktion von Kersten/Rixen?

„Dagegen bestand gegen eine Infektion mit Influenza-A(H3N2) gar kein Schutz. Die Effektivität fiel mit -28 Prozent sogar negativ aus, was ein tendenziell höheres Erkrankungsrisiko für Geimpfte vermuten lässt.“

Und bei der Grippe sprechen wir von bekannten Impfstoffen, die seit Jahrzehnten untersucht sind, und nicht von neuartigen Gen-Impfstoffen, zu deren Wirkmechanismus nur Mutmaßungen existieren.

Es folgt dann bei Kersten/Rixen eine Aufzählung von Themenbereiche, die gemäß Grundgesetz der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes zugewiesen sind, z.B. die Flugsicherung oder die Atomkraft, in der irrigen Annahme, dass damit per se eine grundgesetzliche Wertung zu dem naturwissenschaftlichen Inhalt dieser Themen verbunden sei. Dabei werden Kritiker von Kersten/Rixen ganz nebenbei als „Schwerkraftleugner“ gekennzeichnet.

Vgl. ebenda,

„Wer den Flugverkehr regelt, sollte nicht an der Schwerkraft zweifeln. Ein Gesetz, das anordnet „Die Schwerkraft ist verboten“ wäre in etwa so sinnvoll wie ein Gesetz, das der Sonne verbietet, Licht zu spenden.“.

Auf dieser Ebene wird sicherlich jeder zustimmen, aber nehmen wir das Beispiel Atomkraft von Kersten/Rixen. Jeder der Zeitung liest weiß, dass derzeit in Deutschland die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, während in Frankreich, indirekt über die EU auch von Deutschland finanziert, neue Atomkraftwerke gebaut werden. Ist die Wirklichkeitskonstruktion in Frankreich eine andere als in Deutschland?

Weiter heißt es bei Kersten/Rixen zu den Kritikern des Corona-Wahns,

„Niemandem kann z.B. verboten werden zu glauben, die Erde sei eine Scheibe. Allerdings gibt es keinen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass Staat und Gesellschaft den eigenen, naturwissenschaftsskeptischen Blick auf die Welt zum allein maßgeblichen Blick erklären.“

Es gibt Schwerkraft und die Erde ist keine Scheibe. Welche molekularbiologische Theorie oder Hypothese wäre damit bewiesen?  Oder soll man es so lesen, dass sich der Kenntnisstand in der Virologie auf dem Stand der Wissenschaft im antiken Griechenland befindet, als Aristoteles beobachtete, dass die Erde einen kreisförmigen Schatten auf den Mond wirft und daraus schloß, dass die Erde eine Kugel sei?

Dass es berechtigte, sogar zwingende Kritik z.B. an der Maskenpflicht oder an den neuartigen Impfstoffen gibt, ist in der Welt der Herren Kersten und Rixen schlicht nicht vorstellbar. Sie teilen diese augenscheinliche Unfähigkeit mit dem größeren Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.

Auf diesem Niveau ist jede inhaltliche Diskussion von vornherein ausgeschlossen. Und das ist wohl auch der tatsächliche Zweck dieser Diffamierung. Die Verweigerung der inhaltlichen Auseinandersetzung ist das Machtinstrument. Es kann(!) nichts Vernünftiges gegen eine Maskenflicht gesagt werden, so der Trick, deshalb muß dazu auch nicht gesprochen werden. Die Verabsolutierung einzelner Wahrheiten und die Verweigerung der Diskussion dazu ist der Kern dieses diktatorischen Gedankengutes.

Wenn man den Sachverhalt auf der Ebene von „die Erde ist keine Scheibe“ oder „es gibt Schwerkraft“ beschreibt, dann macht eine juristische Bewertung des Sachverhaltes gar keinen Sinn. Es ist in höchstem Maße erstaunlich, dass deutschen Vorzeige-Staatsrechtlern dies nicht auffällt.

Die weiteren Ausführungen von Kersten/Rixen zur „Impfverweigerung“ hängen so, wie schon die einleitende „naturwissenschaftliche Wirklichkeitskonstruktion“ des Grundgesetzes vollkommen in der Luft. Denn die ernsthafte Überprüfung dieser Wirklichkeitskonstruktion wird verweigert.

Fragen, z.B. nach der Sicherheit der Impfstoffe, werden von den beiden Juristen, trotz „vorher undenkbarer“ Teleskopverfahren bei der Zulassung, zur „Identitätsfrage“ erklärt, bei der sich eine unsachliche und irrationale Minderheit der „Vernunft der Mehrheit“ verschließt. Vgl. ebenda,

„Es geht um eine Identitätsfrage, die das Selbstverständnis der Person in einem politischen Gemeinwesen fundamental berührt. Ein um die Menschenrechte – die im Kern Minderheitenschutz sind – angeordneter Verfassungsstaat muss sich zu dem Faktum verhalten, dass es Minderheiten gibt, die sich der Vernunft der Mehrheit verschließen, und zwar auch bei Gesundheitsfragen.“

Die Mehrheit, zu der zufällig die Herren Kersten und Rixen gehören, ist vernünftig, und für die unvernünftige Minderheit bedarf es keines Minderheitenschutzes, denn wenn sie „vernünftig“ wäre, wäre sie nicht die Minderheit. Es ist bemerkenswert mit welch Simpelton-Argumenten die deutsche Juristenelite aufwartet.

Hier zeichnet sich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft ab, die sich in „Vernünftige“ und „Unvernünftige“ teilt, was nicht zu diskutieren ist, denn mit „Unvernünftigen“ kann man nicht reden. Gerade vor dem Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte mahnen solche Einteilungen zu äußerster Vorsicht.

Es ist noch nicht so lange her, dass deutsche Staatsanwälte für den Diebstahl von zwei Scheiben Brot die Todesstrafe gefordert und auch bekommen haben, teilweise in der von der Staatsanwaltschaft dazu eingelegten Revision.

Wie weit sind einzelne Mitglieder der deutschen Juristerei von den Kommentatoren der Nürnberger Rassegesetze entfernt? Hat man seinerzeit den Kritikern der Nürnberger Rassegesetze vorgeworfen, die Erde für eine Scheibe zu halten und die Wissenschaft des Instituts für Rassekunde der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu leugnen? Waren diese Kritiker Rassegesetz-Leugner?

Wer fühlt sich bei einigen juristischen Ausführungen aus den letzten 3 Jahren nicht an Karl Larenz erinnert, der dem Nicht-Deutschen die Rechtsfähigkeit absprach?

„Larenz befürwortete die umfassende Einflussnahme der Staatsführung auf privatrechtliche Vereinbarungen. Bezeichnend in diesem Sinne ist seine Neudefinition der Rechtsfähigkeit: „Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist. Dieser Satz könnte an Stelle des die Rechtsfähigkeit ‚jedes Menschen‘ aussprechenden § 1 BGB an die Spitze unserer Rechtsordnung gestellt werden.“

Wie übersetzt man das in juristischen Neusprech, „Rechtsgenosse ist nur, wer geimpften Blutes ist“?

Tribute to White Power

Nicht nur Kersten und Rixen ziehen extremste Positionen, z.B. die Erde sei eine Scheibe oder es gäbe keine Schwerkraft, heran, um einen Kontext zu schaffen, der valide Argumente diskreditiert. Das ist analog dem Vorgehen von Spiegel TV, die seit 3 Jahren in kurzen Ausschnitten scheinbare Sonderlinge auf Demonstrationen zeigen, um implizit den Teilnehmern der Demonstration den Status von Sonderlingen und Aluhutträgern zuschreiben zu können.

Es fehlt nicht nur an jeder Bereitschaft, sich ernsthaft mit den vielen offenen Fragen der Virologie auseinanderzusetzen. Es ist auch die Frage zu beantworten, wo sich diese Zurschaustellung von Menschen von der fürchterlichen Propaganda zur „Gefährdung der Volksgesundheit“ in der jüngeren deutschen Geschichte unterscheidet?

Sollte man Kersten, Rixen und den viele andere Infektionsschutzrechtsexperten ihren Tunnelblick auf die Wissenschaft nachsehen, weil sie ihr Unwissen nicht zu vertreten haben? Auch wenn es naiv anmutet, zu unterstellen, man könne die 10 – 15 Jahre Entwicklungszeit für Impfstoffe ohne weiteres auf 6 Monate teleskopieren, oder die Maskenpflicht hätte selektiv zum Ausfall nur der Grippewellen geführt. Die hier gestellten Fragen existieren in der Welt der meisten Juristen nicht. Sie leben in einem „naturwissenschaftlichen Wirklichkeitskonstrukt“, in dem die Wissenschaft alles weiß und sich daher jede kritische Frage verbietet. Sie können, genau wie die deutsche ordentliche Gerichtsbarkeit das nicht erkennen, was es in ihrer Welt nicht gibt. Die „maßgeblichen Personen“ der Leopoldina, siehe oben, haben doch gesagt, dass alles richtig ist.

Aber, die selektive Wahrnehmung in diesen Kreisen umfasst bemerkenswerterweise nicht nur naturwissenschaftliche Fragen, sondern auch Fragen der Rechtswissenschaft, die um einige dieser Fragen einen allzu offensichtlichen Bogen macht.

So stellt in einem Buch zum Infektionsschutzrecht, an dem Herr Rixen mitgearbeitet hat, ein illustrer Kreis von mutmaßlich Rechtskundigen zwar fest, dass die Bundesregierung schon im April 2020 das Haftungsrisiko der Impfstoffhersteller per Rechtsverordnung verringert hat, siehe,

  • Kluckert (Hrsg.), „Das neue Infektionsschutzrecht“, Nomos, 2. Auflage. 2021

Und dort,  §7 Medizinprodukte und die epidemische Lage von nationaler Tragweite Rn. 51

„Eine erste Maßnahme ist auf Grundlage von § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 lit. a und lit. b IfSG bereits getroffen worden: Das BMG erließ am 8.4.2020 die „Verordnung zur Beschaffung von Medizinprodukten und persönlicher Schutzausrüstung bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie.“ Durch diese Verordnung befreite die Bundesregierung deutsche Unternehmen, die auf internationalen Märkten tätig sind und als Vertragspartner der Bundesregierung die aktuell dringend benötigte persönliche Schutzausrüstung und Medizinprodukte beschaffen, von dem damit normalerweise verbundenen Haftungsrisiko.“

Aber niemand aus dem Kreis dieser Rechtsexperten, unter anderem Rechtsanwälte des Deutschen Hausärzteverbandes und des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), kann die Frage beantworten, warum eine Verminderung des Haftungsrisikos die Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellt?

Was ist denn hier die innere Logik? Es soll schnell gehen, deshalb kann es Probleme geben. Wenn es aber Probleme gibt, dann wollen wir keine Haftung haben?

Es ist sehr plausibel, gerade im Hinblick auf die normalerweise 10 -15 Jahre Entwicklungszeit für Impfstoffe, die man in 6 Monate „teleskopiert“ hat, dass man sich der Risiken bewußt gewesen ist und gerade deshalb das Haftungsrisiko der Hersteller vermindert hat. An dem Risiko des Bürgers, schwere Impfnebenwirkungen zu erleiden, hat das nichts geändert.

Der illustre Kreis von Infektionsschutzrechtexperten umfasst neben Prof. Dr. Sebastian Kluckert von der Universität Wuppertal,

Dr. Peter Bachmann, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, München

Nicole Böck, Rechtsanwältin, München

Andreas Fleischfresser, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht, Köln

Prof. Dr. Ulrich M. Gassner, Mag. rer. publ., M. Jur., Universität Augsburg

Dr. Kerstin Sabina Heidenreich, GKV-Spitzenverband, Berlin

Prof. Dr. Marcel Kau, LL.M., Universität Konstanz

Dr. Martin Krasney, Rechtsanwalt, GKV-Spitzenverband, Berlin

Dr. Felix Lubrich, GKV-Spitzenverband, Berlin

Dr. Klaus Ritgen, Deutscher Landkreistag, Berlin

Prof. Dr. Stephan Rixen, Universität Bayreuth

Dr. Joachim Rung, Rechtsanwalt, München

Prof. Dr. Nils Schaks, Universität Mannheim

Dr. Marc Schüffner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Berlin

Joachim Schütz, Deutscher Hausärzteverband, Köln

Prof. Dr. Felipe Temming, LL.M., Universität Hannover

Prof. Dr. Michael Tsambikakis, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für Medizinrecht, Köln

Ulf Zumdick, Rechtsanwalt, Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) e.V., Berlin.

Wenn die neuen, „vorher undenkbaren“ Zulassungsverfahren doch sicher waren, wie das PEI versprochen hat, was hatten die Hersteller dann zu befürchten? Warum sollte dann ein über das normale Maß hinausgehendes Haftungsrisiko bestanden haben?

Die Mehrheit der deutschen Rechtstechniker verschließt sich weiterhin der ganz zentralen Frage, wie eine Verminderung des Haftungsrisikos (u.a. durch Aufhebung der Beweislastumkehr des §84 Abs. 2 S. 1 AMG)  zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung beiträgt? Kein einziger der deutschen Vorzeige-Staatsrechtler hat sich bislang öffentlich dieser Frage gestellt.

Und diese Leute wollen den Bürger belehren, was der Stand der Wissenschaft sei? Indem die entscheidenden Fragestellungen ausgespart werden?

In der irrigen und verqueren Welt von Kersten, Rixen & Co bilden die Grundrechte nicht mehr die Grenzmarken innerhalb derer sich die Staatsgewalt bewegen darf. Sondern, es ist die Staatsgewalt, die die Grundrechte nach Bedarf „operationalisiert“. Vgl. Kersten/Rixen (2022),

 „Hierin zeigt sich ein spezifisch juristischer Umgang mit Grundrechten, ein spezifisch juristischer Denkstil der Operationalisierung, der prinzipienhaft-offen angelegte, ja bekenntnishaft-vage formulierte Grundrechtstexte in alltagstauglich-konkrete Handlungsdirektiven für den Staat umformuliert.“

Damit stellt man die Grundrechte effektiv zur Disposition, während man gleichzeitig jeden Kritiker der Exekutivorgane RKI und PEI als “unvernünftig“ diffamiert, und  dem Kritiker aufgrund seiner „Unvernunft“ den Minderheitenschutz abspricht.

Grundrechte werden bewußt vage gehalten, damit sie der Staat bedarfsgerecht operationalisieren kann. Ist die Aufhebung des §84 Arzneimittelgesetz (AMG) und damit der Wegfall der Beweislastumkehr für den Geschädigten zur Verminderung des Haftungsrisikos der Arzneimittelhersteller, eine solche Operationalisierung des Art 2. Abs. 2 Grundgesetz (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit)?

Gleichzeitig sprechen Kersten/Rixen erfahrenen Ärzte, Molekularbiologen, Epidemiologen und Statistikern die Kompetenz ab und degradieren nach wissenschaftliche Standards verfasste, aber eben der verordneten Einheitsmeinung widersprechende Untersuchungen zu Google-Recherchen und Facebook-Posts, vgl. ebenda,

„Eine Gesellschaft, die dem Grunde nach völlig zu Recht um die Idee der Selbstbestimmung zentriert ist, muss damit fertig werden, dass nicht wenige Menschen Selbstbestimmung als Lizenz zum rechtfertigungsfreien Eigensinn missverstehen. Sie halten deshalb ihre per Google-Recherche und Facebook-Posts gebildete Meinung für Fachkompetenz und wehren tatsächliche Fachkompetenz beleidigt als expertokratische Übergriffigkeit ab, […]“

Nachdem wir im Bundestag gelernt haben, dass es ein “vulgäres Verständnis von Freiheit“ gibt (Helge Lindh (SPD) am 26. Januar 2022 im Deutschen Bundestag), lernen wir jetzt, dass es sich bei dem grundgesetzlich verbürgten Recht auf Selbstbestimmung tatsächlich um „rechtfertigungsfreien Eigensinn“ handelt.

Kersten/Rixen betrachten ihre Ausführungen als gerechtfertigte Kritik. Und sie fühlen sich  mißverstanden, wenn ihr Diktum, was das „maßgebliche Wissen“ sei, als „Abwertung des Subjektes“ mißdeutet wird. Vgl. ebenda,

„Angetrieben von einer Art Recht auf epistemische Selbstbestimmung, […], verwandelt sich die wissenssoziologisch zentrale Frage, was warum maßgebliches Wissen ist, in ein Wertschätzungsproblem, denn die Ablehnung von Thesen, die mit gängigen Rationalitäts- und Realitätsvorstellungen nicht vereinbar sind, gilt schnell als Abwertung des Subjekts, das sie vertritt.“

Ja, liebe Kritiker, ihr habt alle keine Ahnung, aber nein, nehmt das doch bitte nicht persönlich. Eure Beiträge kollidieren leider mit „gängigen Rationalitäts- und Realitätsvorstellungen“ und wir, die Profis, erklären auch, was die Realität ist. Die schweren Impfschäden, bis zum Tod, über die sogar im ÖRR berichtet wurde, sind wohl nicht Teil dieser „gängigen Rationalitäts- und Realitätsvorstellungen“.

Den Kritikern werfen Kersten/Rixen vor, dass sie lediglich den „Sound akademischer Kritik“ imitierten.

„Aber der kritische Gehalt von Äußerungen, die sich in Verdächtigungen und Verschwörungen ergehen und dafür die subjektive Evidenz des völlig entsicherten Vorurteils genügen lassen, ist ersichtlich nur vorgeschoben. Wut, Hass und Ressentiment werden nicht dadurch satisfaktionsfähig, dass Wissenschaftler/innen sie im Sound akademischer Kritik präsentieren.“

Dabei zitieren sie Hannah Arendt für ihre Zwecke. Dem wohnt schon eine gewisse Perfidie inne.

Zwar haben Kersten/Rixen verstanden, wie der Mechanismus der „alternativlosen“ Politik auf Basis „wissenschaftlicher“ Mutmaßungen funktioniert. Aber sie übersehen, dass das nur deshalb möglich war, weil die Politik, medial verstärkt, jede Alternative ausgeblendet hat.

„Kritisch ist aber schon zu fragen, ob der politische Betrieb, der sich so sehr auf die naturwissenschaftliche Beratung bezogen hat, die Deutungsanfälligkeit vieler (natur)wissenschaftlicher Thesen womöglich aus taktischen Gründen zu sehr nach dem Motto vereinfacht hat „Die Wissenschaft hat festgestellt“ (neudeutsch: „follow the science“), um die eigenen politischen Wertungen als alternativlosen Sachzwang auszugeben.“

Charleroi - station Janson - Les psy - 01.jpg

Auch aufgrund von Pseudo-Argumenten wie die von Kersten/Rixen waren die deutschen Gerichte bislang nicht in der Lage, der Ausblendung von Alternativen, wie z.B. des schwedischen Weges, durch die Exekutive Paroli zu bieten. Im Gegenteil, die Judikative gefällt sich als verlängerte Werkbank der Exekutive. Zu groß scheint die Angst, die sorgsam gepflegten „Wirklichkeitskonstruktionen“ zu beschädigen. Was bliebe denn noch übrig, wenn man den Anmaßungen der Leopoldina nicht mehr glauben kann?

Das irrige Gedankengut à la Kersten/Rixen gedeiht im Schatten einer unterstellten Mehrheit. Tatsächlich schlägt man sich auf die Seite der Mächtigen, anstatt die grundgesetzlich garantierte Wissenschaftsfreiheit dafür zu nutzen, das Tun der Mächtigen zu hinterfragen.

Dabei übersehen Fachfremde wie Kersten und Rixen, dass es in der Virologie vor allem um eine Verwaltung des Nicht-Wissens geht. Bis heute kann man nicht einmal zwischen einem Laborunfall und einer Zoonose in Wuhan unterscheiden (soweit man einen Laborunfall für plausibel hält). Hängt man der Zoonose-Hypothese an, wie Herr Drosten, so weiß man bis heute nicht, ob es der Marderhund, das Gürteltier oder eine Fledermaus war. Genauso wenig können die Virologen für die vorangegangenen, mutmaßlichen Pandemien durch unterstellte, neuartige Erreger aus einer Zoonose, wie MERS, SARS(1), diverse Scheine- und Vogelgrippen, BSE oder die inzwischen wieder verschwundenen Affenpocken, explizite Beweise für eine Zoonose liefern. Es bleibt weiterhin bei der unbewiesenen Hypothese.

Um dieses Unvermögen der Virologie denken Kersten und Rixen herum und blenden es aus. Denn wenn die verabsolutierten Wahrheiten der Virologie fallen, bleibt von der naturwissenschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion der Herren Kersten und Rixen nichts mehr übrig.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Eine grafische Darstellung von Lock-down während Covid-19

*********************************

2.) von Oben         —   Aufkleber eines Impfkritikers an einer Müllbox in Heikendorf.

Abgelegt unter Bildung, Deutschland_DE, Gesundheitspolitik, Medien, Positionen | 2 Kommentare »

Atomausstieg in Deutschland

Erstellt von Redaktion am 5. April 2023

50 Jahre nach Beginn der Wyhl-Proteste

Quelle         :     Mitwelt Stiftung Oberrhein

Von      :      Axel Mayer  (Der Autor ist seit den Wyhl Protesten in der Umweltbewegung aktiv und war 30 Jahre lang BUND-Geschäftsführer in Freiburg)

Hintergrund: Atomausstieg Deutschland – 50 Jahre nach Beginn der Wyhl-Proteste.  Der Atomausstieg am 15.4.23 ist schon ein erstaunliches Phänomen. Seit wann setzen sich in a »Rich Man´s World« die Vernunft gegen die Macht, die Nachhaltigkeit gegen die Zerstörung und die Kleinen gegen die Großen durch?

Vor 50 Jahren erkannten die Verantwortlichen des damaligen Energiekonzerns Badenwerk, dass der Atomkraftwerksstandort Breisach politisch nicht durchsetzbar war. Am 19. Juli 1973 wurde erstmals der neue Standort eines Atomkraftwerkes in Wyhl bekannt. Dort scheiterten ab 1975 die Pläne ein AKW zu bauen am massiven Widerstand der örtlichen Bevölkerung.
Fast 50 Jahre später, genau 111 Jahre nach dem Sinken der unsinkbaren Titanic, werden am 15.4.2023 endlich die drei letzten deutschen AKW Neckarwestheim-2, Emsland und Isar-2 abgeschaltet. Der Atommüll, der in etwas mehr als 3 Jahrzehnten entstand, strahlt noch eine Million Jahre und gefährdet 30.000 Generationen. Geschichtlich gesehen war und ist die Nutzung der Kernenergie zutiefst asozial. Die AKW-Stilllegung ist kein „Selbstzweck“ sondern berechtigte Gefahrenabwehr. Leider umfasst der Atomausstieg nicht auch die Anlagen der Urananreicherung in Gronau und die Brennelementfertigung in Lingen..

Die Nutzung der Atomkraft in Deutschland war nicht erst seit den„AKW-Wyhl-Protesten“ vor einem halben Jahrhundert heftig umstritten. Massive Proteste in Wyhl, Grohnde, Brokdorf, Wackersdorf und Gorleben haben die letzten Jahrzehnte in Deutschland geprägt. Und da war nicht nur das »NAI Hämmer gsait«, das Nein der Umweltbewegung zur Atomkraft. Da war immer auch das Ja zu den umweltfreundlichen, kostengünstigen und nachhaltigen Energien, die von Atom-, Öl- und Kohlekonzernen und ihren Lobbyisten in der Politik massiv bekämpft wurden und immer noch bekämpft werden.

Während in den ersten Jahrzehnten der Atomenergiedebatte „nur“ die Aspekte des Umwelt- und Menschenschutzes auf Seiten der Umweltbewegung standen, ist es seit einigen Jahren auch die Ökonomie. Strom aus Wind und Sonne ist nicht nur umwelt- und menschenfreundlicher sondern auch wesentlich kostengünstiger als Strom aus neuen AKW. Auch der ökonomische Niedergang der französischen Atomwirtschaft zeigt dies mehr als deutlich. Und wie heißt es? „It’s the economy stupid.“

Trotz alledem:

  • Die globale Macht der alten und neuen atomar-fossilen Seilschaften ist noch nicht gebrochen.
  • Die von der Anti-Atombewegung befürchtete weltweite Verbreitung von Atomwaffen durch die nur scheinbar friedliche Nutzung der Atomkraft hat begonnen.
  • Die von der Umweltbewegung befürchteten schweren Atomunfälle kamen nicht mit der Wahrscheinlichkeit von ein zu einer Million Jahre, wie von der Atomlobby verkündet. Die Atomunfälle und Atomkatastrophen von Lucens (CH), Harrisburg (USA), Tschernobyl (SU) und Fukushima (Japan) bestätigten alle frühen Befürchtungen der Umwelt-Aktiven und zeigten die Lügen der Atomlobby.

Jahrzehntelang haben marktradikale atomar-fossile Seilschaften den Ausbau der zukunftsfähigen Energien, Stromtrassen und die Energiewende massiv behindert und das Energieerzeugungsmonopol der mächtigen Energiekonzerne verteidigt. Jetzt warnen sie scheinheilig vor einem Black-out und vor dem Klimawandel. So kämpfen Sie für die Gefahrzeitverlängerung und gefährliche und teure neue AKW.

Viele Medien berichten kurz vor dem Ausstiegsdatum leider gerade ungeprüft, dass die Atomkraft weltweit im Aufschwung sei. Der World Nuclear Industry Status Report 2022 zeigt die Realität: „Es ist erstaunlich, wie sehr sich die Realität des Atomindustriesektors von der Wahrnehmung der Öffentlichkeit und zahlreicher Entscheidungsträger als blühende Zukunftstechnologie unterscheidet. Fast alle Indikatoren haben ihre Höchstwerte seit Jahrzehnten überschritten, z.B. die Anzahl laufender AKW 2002, der Anteil der Atomkraft am Strommix 1996 oder die Betriebsaufnahmen Mitte der 1980er Jahre.“ Und dennoch behaupten Atomlobbyisten, dass alle Welt neue AKW baue und nur die „dummen Deutschen“ aus der Atomkraft ausstiegen. Die Hauptstoßrichtung der aktuellen PR-Kampagnen ist nicht faktenorientiert, sondern beruht auf dem Erfolgsrezept einer perfekt organisierten Angstkampagne.

Für Laufzeitverlängerung und neue AKW kämpfen erstaunlicherweise nicht mehr direkt die deutschen Energiekonzerne, denn diese können rechnen. Für die Gefahrzeitverlängerung kämpfen insbesondere die Lobbygruppen und Parteien, die politisch die Hauptverantwortung für den Klimawandel, Ressourcenverschwendung und die Artenausrottung tragen. Je offensichtlicher es wird, dass wir den großen, globalen Wachstums-Krieg gegen die Natur gerade krachend verlieren, desto stärker setzen sie auf den Mythos der neuen Wunderwaffen. Dieser Mythos war auch im letzten Weltkrieg sehr effizient und kriegsverlängernd, änderte aber nichts an der Katastrophe. Der Streit um die Laufzeitverlängerung und um neue AKW ist getragen von der Hoffnung und Propaganda der „Wunderwaffe Atomkraft“, die ein zerstörerisches Weiter so ermöglichen soll. Ein Weiter so mit Weltraumtourismus, Superyachten, Überschallflugzeugen, Rohstoffverschwendung, unbegrenztem Wachstum und selbstverständlich ohne Tempolimit.

Hier zeigt sich auch eine Konfliktlinie, die aktuell viele ökologische und soziale Konflikte prägt. Nicht der Staat, sondern der Markt soll entscheiden, ob Atomkraftwerke, PFAS oder CO₂ gefährlich sind. Nach dieser marktradikalen Logik wären DDT, FCKW und Asbest immer noch nicht verboten.

Nach der Abschaltung der letzten deutschen AKW muss sich die Umweltbewegung noch stärker als bisher um die massiv bekämpfte Energiewende und um den Ausstieg aus den fossilen Energiequellen kümmern. Technischer Fortschritt und gute, nachhaltige, menschengerechte Technik könnten schon heute das gute Leben für alle Menschen der Welt ermöglichen, wenn es mehr Gerechtigkeit gäbe. Die Abschaltung der AKW ist Grund zur Freude, aber kein Anlass für Triumph, insbesondere auch so lange in Lingen die Brennelementfabrik noch arbeitet.

Im großen, globalen Krieg des Menschen gegen die Natur und damit gegen sich selber, (Atommüllproduktion, Klimawandel, Artenausrottung, Ressourcenverschwendung, Meeresverschmutzung …) haben wir mit dem mühsamen Atomausstieg in Deutschland Zerstörungsprozesse entschleunigt und einen kleinen, wichtigen Teilerfolg erzielt. Es lohnt, sich zu engagieren.

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      +      Unten    —        Kontakt/Impressum | Mitwelt 

Urheberrechtshinweise
Kopien, Texte und Textfragmente dieser Internetseiten dürfen nicht sinnentstellend verwendet werden. Ansonsten dürfen alle Texte, Grafiken und und Bilder an den ich die Rechte habe, bei Angabe der Quelle und Information an mich, natürlich verwendet werden.
Kopiert was das Zeug hält und legt viele viele Links zu dieser Seite

Abgelegt unter APO, Energiepolitik, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Gruß aus der Protestküche

Erstellt von Redaktion am 5. April 2023

Krimtataren haben in Warschau ein Lokal eröffnet

Von    :   Gabriele Lesser

Direkt gegenüber der russischen Botschaft. In drei Jahren wollen sie zurück, sofern die Russen dann abgezogen sind.

Wenn der russische Botschafter in Polen aus dem Fenster schaut, sieht er seit Kurzem die „Krym“. Davor wehen drei Flaggen – die ukrainische, tatarische und polnische. Keine russische. Nachts leuchtet weithin sichtbar der neonblaue Schriftzug und darüber das wie eine Krone wirkende goldene Tamga, das Siegel, das ursprünglich das Wappen des Krim-Khanats war. Geöffnet hat das Lokal täglich bis 22 Uhr.

„Wir wollten ein politisches Zeichen setzen“, sagt Ernest Suleymanov, der Inhaber. „Wir hätten unser Restaurant auch woanders in Warschau aufmachen können, aber die Lage hier ist politisch einfach nicht zu toppen.“ Seine Frau Elmira Seit-Ametova nickt und deutet aus dem großen Panoramafenster: „Rechts die Botschaft Russlands, links das Puschkin-Kulturinstitut und …“ Sie macht eine kleine Pause, richtet sich auf und deutet auf die Gäste an den kleinen Tischen: „… und mittendrin wir Krimtataren mit all den vielen Unterstützern aus Polen, der Ukraine, aus Usbekistan, eigentlich aus ganz Osteuropa.“

Sie schenkt aus einer kleinen Karaffe Kirschkompott ein, den Saft eingemachter Sauerkirschen. „Als wir das noch leerstehende Lokal renovierten, hatte ich erst große Angst, dass uns hier niemand finden würde.“ Ihr Mann nickt, legt seinen Arm um sie: „Aber bei uns isst man eben nicht einfach nur tatarisch, sondern politisch. Unsere „Krym“ – das ist die Küche des Protests!“

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukrai­ne hat sich die Gegend rund um die russische Botschaft in Warschau verändert. Direkt neben der herrschaftlichen Einfahrt steht seit einigen Monaten ein neues Straßenschild: „Allee der Opfer der russischen Aggression“. Hier finden immer wieder lautstarke Demos mit vielen blau-gelben Ukrainefahnen und Fotos von gefolterten und ermordeten Zivilisten statt.

„Eigentlich sind wir keine Köche“, erzählt der 54-jährige Suleymanov mit dem kurz geschnittenen Oberlippen- und Kinnbart. Er ist eigentlich Architekt. „Nach dem Maidan habe ich mich vor allem politisch engagiert.“ Als er vor neun Jahren gegen das russischen Referendum auf der Krim mobil machte, habe er fliehen müssen. Seine Frau ist eigentlich Künstlerin. Da beide in Polen keine Arbeit fanden, haben sie das Lokal geöffnet. „So ist das eben im Exil. Man muss sich irgendwie durchschlagen. Aber wir beklagen uns nicht“, sagt Seit-Ametova.

Ihr Mann nippt am Kirschkompott: „Unser Sohn wird es da sicher leichter haben. Er ist 22 und studiert jetzt hier in Warschau.“ Dabei wollen sie eigentlich in drei Jahren zurück auf die Krim. „Wir hoffen, dass die Russen dann abgezogen sind“, sagt Suleymanov. „Wenn nicht, müssen wir uns etwas Neues ausdenken.“

Quelle          :        TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Ambasada Rosji z oznaczoną tabliczkami aleją Ofiar Rosyjskiej Agresji wzdłuż ulicy Belwederskiej w Warszawie.

Abgelegt unter Europa, Friedenspolitik, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

KOLUMNE * IN RENTE

Erstellt von Redaktion am 4. April 2023

Von armen und reichen Freundinnen

File:Armut Bettler Obdachlos (12269249596).jpg

Eine Kolumne von Barbara Dribbusch

Manche Freundinnen unserer Kolumnistin sind chronisch krank und kriegen kaum Rente, andere haben geerbt. Wie geht man gut damit um?

Die kleine Geburtstagseinladung bei Vera hatte mir die Augen geöffnet: Wir müssen über Geld reden, erst recht im Alter. Ich hatte für Vera zum 70.Geburtstag ein, wie ich dachte, originelles Geschenk mitgebracht. Ein superleichter, faltbarer, teurer High-Tech-Camping-Stuhl war es. In Veras Mietshaus gibt es einen begrünten Hinterhof, sie hatte sich immer beklagt, dass dort keine Sitzgelegenheit existiere. Voilà! Dachte ich. Zu Veras Einladung in ihrer Einzimmerwohnung kam auch Gitta.

Gitta überreichte Vera einen Umschlag mit Geschenkband drumherum: „Ich dachte mir, das kannst du besser gebrauchen als irgendwelchen Schnickschnack“, sagte Gitta. Vera nahm den Umschlag mit einem verlegenen, aber auch erfreuten Lächeln an und bedankte sich. Kurz darauf sah ich, wie sie in der Küche den Umschlag öffnete und hineinlinste. Drinnen lagen ein 50-Euro- und ein 20-Euro-Schein, wie ich später erfuhr.

Mir dämmerte, dass Gitta das passendere Geschenk mitgebracht hatte. Wie konnte ich nur auf den doofen überteuerten Outdoor-Stuhl kommen? Vera ist schwer rheumakrank und lebt von einer kleinen Rente plus Grundsicherung, also auf Hartz-IV-Niveau. Sie hatte mir mal erzählt, wie schwierig es für sie sei, den Tierarzt für die Katze zu bezahlen, die ihr Ein und Alles ist. Ich hätte besser Geld schenken sollen, ganz einfach. Mit Freundin Hille sprach ich später über das Problem. Hille hat eine gute Rente, ist Erbin und schon lange mit Gisela, chronisch krank, Grundsicherungsempfängerin, befreundet.

„Da schämt man sich“

WerHatDerGibt demonstration Berlin 2020-09-19 61.jpg

Oft halten solche Freundschaften ja nicht, aber Hille hatte Gisi vor 40 Jahren in einer Psychiatrie-Ambulanz kennengelernt, die beiden sind inzwischen schon viele Kilometer zusammen durch Brandenburg gewandert und Hille hängt an Gisi, das weiß ich. Früher war das finanzielle Gefälle zwischen den beiden wohl auch nicht so gigantisch gewesen wie jetzt. „Ich kann’s dir jetzt sagen“, erzählte Hille, „ich hab einen Dauerauftrag eingerichtet für Gisi. 90 Euro in der Mitten jeden Monats, mit dem Erbe kann ich das auf Dauer durchhalten.“ Sie hatte zuvor Gisi immer mal wieder zwischendurch Geld geliehen, „aber frag mal eine Grundsicherungsempfängerin, wann sie dir das Geld zurückgeben kann. Bescheuert. Da schämt man sich“, schilderte Hille.

Quelle :          TAZ-online           >>>>>>         weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben     —       

Description Armut Bettler Obdachlos
Date
Source Armut Bettler Obdachlos 

Author blu-news.org
w:en:Creative Commons
attribution share alike
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0

*******************************

2.) von Oben     —       Demonstration unter dem Motto „Wer hat der gibt!“ für die Umverteilung von Reichtum am 19. September 2020 in Berlin.

Abgelegt unter Deutschland_DE, Medien, Mensch, Positionen, Rentenpolitik | Keine Kommentare »

Die Macht, NEIN zu sagen

Erstellt von Redaktion am 3. April 2023

ROSA ELEFANT IM RAUM

Quelle       :    RATIONALGALERIE

Autor: Uli Gellermann

Kayvan Soufi-Siavash redete jüngst am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin – dort wo die neue deutsche Demokratiebewegung ihren Anfang nahm. Mit seiner Rede ermunterte er die Teilnehmer der Kundgebung zur Selbstermächtigung. Seine Rede sollte verbereitet werden. Wer sie begreift, der ist reif für Veränderungen. Wer sie weitergibt, der verbreitet das Virus der Demokratie. Das kann sehr ansteckend wirken.

Worüber man in diesem Land nicht reden darf

„Ich war die Tage im Berliner Zoo auf der Suche nach einem Tier.

Einem Tier, das ich dort nicht finden konnte – obwohl es mir im täglichen Leben seit Jahren permanent begegnet.
Die Rede ist von diesem gigantischen rosa Elefanten, der seit dem Jugoslawienkrieg 1999 überall in der Republik im Wege herumsteht und den wir alle tagtäglich erkennen können, über den dieses Land aber nicht sprechen darf oder will.

Befragung im Polizeigewahrsam

Dieser rosa Elefant steht für die Erkenntnis, dass das, was wir Demokratie nennen, also die Herrschaft durch das Volk, volk-kommen ins Leere läuft. Und zwar zu allen Themen, zu denen wir, die Bürger, später zur Kasse gebeten werden – in dem Sinne, dass wir für sie einen Preis zu bezahlen haben.
Ob Bankenpolitik, Flüchtlingspolitik, NATO-Politik oder jüngst Gesundheitspolitik: Wir werden nie wirklich gefragt.
Und selbst wenn, so ist der Regierung unsere Antwort ziemlich egal. Sie handelt stets so, dass sie immer das Gegenteil von dem beschließt, was die Mehrheit abgestimmt hätte, HÄTTE man sie dazu direkt befragt.
Direkte Befragung findet in der BRD nur in Polizeigewahrsam statt.
Und auch nur für Otto Normalbürger, die sich durch Präsenz auf der Straße ungebeten demokratisch betätigen. Das Hochhalten des Grundgesetzes reichte dazu in den Corona-Hochzeiten.
Das HOCHHALTEN des Grundgesetzes galt ganz offiziell als eine unerlaubte politische Äußerung! Ich habe diesen Spruch von der Polizei, hier auf dem Rosa-Luxemburg-Platz mehrfach gehört.

Das Stück „Die Angepassten“

Was ich nicht gehört habe, war Widerspruch, z.B vom Theater Volksbühne im Hintergrund – im Gegenteil. Diese Institution war während der gesamten Corona-Zeit auf der Seite der Regierung und verhüllte seine Fassade wie Christo seinerzeit den Reichstag – nur dass es bei Christo Kunst war.
Bei der Volksbühne handelte es sich um Opportunismus: Dieses Haus hat seine Glaubwürdigkeit verspielt.
Der Vorhang ist gefallen und was wir sehen konnten, war das Stück „Die Angepassten“.

Mauer der Propaganda

Natürlich ist diese Kurzbeschreibung des Status quo in diesem Land eine für mich typische Verschwörungstheorie. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen. Muss man auch nicht, sie steht ja schon: in den Köpfen der meisten.
Es ist die Mauer der Propaganda, an der kontinuierlich gearbeitet wird.

Als freier Reporter in Weißrussland

Ich war die letzten Tage in Weißrussland.
Als freier Reporter mache ich mir generell selber ein Bild von der Lage. Das unterscheidet mich von den Hofberichterstattern und Atlantik-Brücke- Journalisten, die wir beim Tagesspiegel, der taz, bei FAZ, Spiegel und natürlich ARD und ZDF finden.
Diese Menschen sind so angepasst, dass sie Seymour Hersh für den Halbbruder von Julian Assange halten und sich fragen, warum der immer noch auf freiem Fuß ist.

Weißrussland hat nie vergessen, was Krieg bedeutet

Warum war ich in Weißrussland?
Es ging mir um die Frage, was weiß Russland, was wir nicht wissen und die Antwort habe ich ihnen mitgebracht:
Weißrussland hat nie vergessen, was Krieg bedeutet.

Ein Drittel der Weißrussen ermordet

Es gibt dort eine lebendige und vor allem aufrichtige Erinnerungskultur. So war ich in Chatyn – dem weißrussischen Chatyn, nicht zu verwechseln mit dem russischen Katyn.
Der Ort Chatyn steht für das Auslöschen von mehr als 200 Dörfern durch die Wehrmacht. Mehr als 200 Dörfer wurden buchstäblich dem Erdboden gleich gemacht. Die Menschen wurden in Scheunen gejagt und angezündet. Wer versuchte zu entkommen, der traf auf ein Maschinengewehr oder einen Flammenwerfer.
Insgesamt wurde ein Drittel der damals 10 Millionen Weißrussen ermordet. Frauen, Kinder, Säuglinge, Schwangere, Alte wurden systematisch vernichtet.
Dieses Verbrechen an den Weißrussen jährt sich in diesem Jahr zum 80sten Mal. An der Gedenkstätte waren Diplomaten und Medienvertreter aus aller Welt. Zehntausende von Weißrussen hatten sich wie jedes Jahr dort versammelt.
Nicht zu finden war auch nur ein deutsches Medium oder ein Vertreter der Republik unter Olaf Scholz.

Scholz kann sich nicht erinnern

Scholz kann sich entweder nicht erinnern, z.B. an Cum Ex, die Außenpolitik der SPD unter Willy Brandt – oder er macht in Washington gute Miene zum bösen Spiel, wenn ihm dort sein Chef Joe Biden erklärt, dass die BRD bei Nord Stream 2 bald in die Röhre schauen werde.

Zurück nach Weißrussland: Belarus wird vom Westen sanktioniert.
Weil es immer noch Kontakt zu seinem Nachbarn Russland hält. Weil es mit Russland spricht und weil der weißrussische Präsident kein lupenreiner Demokrat ist, der seinen Bürgern echte Freiheit vorenthält.

Friedensnobelpreis: 7 Länder in 8 Jahren bombardieren

Während der gesamten Corona-Zeit war etwa das Tragen von Masken in Weißrussland immer freiwillig.
Daran kann man erkennen, wes Geistes Kind dieser weißrussische Präsident ist. So wird das nie etwas mit dem Friedensnobelpreis. Dazu müsste er schon wie Obama 7 Länder in 8 Jahren bombardieren.

Russische Panzer durch McDonalds-Filiale ersetzen

In Weißrussland traf ich auf eine mich beschämende Gastfreundschaft. Zusammen mit 50 anderen deutschen Friedensaktivisten wurden wir herzlich begrüßt und konnten Blumen niederlegen.
Was ich nicht konnte, war offen darüber zu sprechen, wie der Westen aktuell mit der eigenen Geschichte umgeht.
In Deutschland werden Denkmäler abgebaut, welche an die Befreiung von den Nazis durch die Rote Armee erinnern und demontiert, was auch nur entfernt an Russland erinnert oder Russisch im Namen trägt. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die russischen Panzer vor dem Brandenburger Tor entfernt werden, um sie durch eine McDonalds-Filiale zu ersetzen.
Zur Befreiung von Auschwitz wurden die russischen Befreier, also die Nachfolger der Roten Armee, beim letzten Mal schon nicht mehr eingeladen.

Rolle Russlands fälschen.

Ich halte das für eine skandalöse und unfassbar geschmacklose Geste. Es ist die Vorstufe, die Rolle Russlands im Zweiten Weltkrieg zu fälschen.
Wer die wahre Geschichte des Zweiten Weltkriegs vergessen lassen möchte, plant, sie zu wiederholen.

100 Milliarden Euro großer Elefant

Dieser rosa Elefant ist nicht zu übersehen. Er ist 100 Milliarden Euro groß und nennt sich Sondervermögen.
Er kommt als Wiedereinführung der Wehrpflicht, Dienstpflicht genannt, durch die Tür. Die Sondervermögen wurden, wie seinerzeit die Kriegskredite, die den Ersten Weltkrieg erst ermöglichten, schon wieder durch die SPD bewilligt.
Wer hat uns erneut verraten? A-Sozial-Demokraten.

Abhängigkeit von den USA

Wir sind Lichtjahre von einer halbwegs eigenständigen Außenpolitik entfernt. Es gab sie einst unter Willy Brandt und Egon Bahr.
Heute leben wir in der vollkommenen Abhängigkeit von den USA. Spätestens seit dem Nord-Stream Anschlag der NATO auf das NATO-Mitglied BRD wissen wir, was Washington für Deutschland vorgesehen hat: Wir sollen – wie damals – der Führung bis in den Untergang folgen.

Deutschland ist als Kampfzone vorgesehen

Anders als unter der Regierung Helmut Kohl besteht die politische Elite der Bundesrepublik mittlerweile nur noch aus Erfüllungsgehilfen, die zu schlicht sind, um zu erkennen, dass der nächste große Krieg, der aktuell von westlichen Eliten vorbereitet wird, sich gegen Russland, aber vor allem gegen China richtet und auf der eurasischen Platte ausgetragen werden soll.
Deutschland ist dabei als Kampfzone vorgesehen und wird ohne Skrupel der USA geopfert werden: Deutschland kann weg. Es war als politischer Rivale stets eine Nervensäge und ist heute politisch so unterbelichtet, dass es beim eigenen Untergang auch noch aktiv mithilft. Mit Baerbock, Habeck und Co. haben wir bildungsferne Schichten in deutschen Führungspositionen.
Ein Selbstmordkommando, das den Sprenggürtel für ein Mode-Accessoire hält und bereit ist, den Knopf zu drücken, weil der diesmal grün lackiert ist.
Wer in Deutschland rechts abbiegen möchte, muss den grünen Pfeil nehmen.

Deutschland zum Abschuss frei

Wenn japanische Kamikazeflieger sich im Zweiten Weltkrieg aufgeopfert haben, geschah dies freiwillig und aus Loyalität zum eigenen Land.
Unsere Politiker geben Deutschland zum Abschuss frei, weil man ihnen wahrscheinlich in Washington erklärt hat, dass ein nicht mehr existierender Industriestandort Deutschland gut für das Klima sei. Nur so sei der Kurswechsel um 360 Grad möglich, wird sich Annalena denken …

BRD unter Rot-Grün schafft sich ab

Die BRD unter Rot-Grün schafft sich ab. Und Corona war dabei nur der Testlauf. Es ging nie um Gesundheit, es ging um das Einüben des Ausnahmezustandes: für den Kriegsfall.
Wie weit würden die Bürger sich an die neuen Regeln halten? Gegenseitiges Denunzieren bei Regelverstößen: Wer würde mitmachen? Und wer nicht ?
Das galt es herauszufinden und die Daten sind abgespeichert. Unterm Stich lief die Täuschung perfekt und nahezu jeder Widerstand wurde im Keim erstickt oder niedergeprügelt.
Die Rolle der Presse, der Polizei oder Justiz waren dabei mit wenigen Ausnahmen beschämend.

Marktkonforme Demokratie

Die Presse hat sich zum Propaganda-Werkzeug der Konzerne machen lassen. Die Konzerne sind die eigentliche Regierung. Wer was zu sagen hat, trifft sich in Davos. Da, wo’s einen Effekt hat, wenn etwas global beschlossen wird.
Wir leben in einer marktkonformen Demokratie, wie Merkel schon bestätigte. Gemeint war Konzernfaschismus, aber das traute sich Mutti nicht zu sagen.

Was bedeutet es eigentlich, Uniform zu tragen?

Die Polizei hat der Politik dabei geholfen, das Grundgesetz niederzuknüppeln, als sie Bürgern mit dem Schlagstock begegnete, die für ihre bis dato unveräußerlichen Grundrechte auf die Straße gingen.
Aber was bedeutet es eigentlich, Uniform zu tragen?
Diese Uniform repräsentiert nicht die Regierung, sie repräsentiert den Staat und seine Verfassung.
Der Staat wiederum sind wir: die Bürger. Und eben nicht eine übersichtliche korrupte Politkaste, die sich eher mit Lobbyisten trifft als mit den Wählern.

Polizisten für Aufklärung

Wenn Sie, liebe Polizisten, abends ihre Uniform ausziehen, erwachen Sie in dem Land, dem Sie zuvor geholfen haben, seine Bürger niederzuprügeln. In diesem Land leben Ihre Frau und Ihre Kinder.
Erkennen Sie, wie Sie benutzt werden?
Orientieren Sie sich in Zukunft an Kollegen, die es auch unter Ihnen gibt und schließen Sie sich diesen Kollegen an.
Ich spreche von den Polizisten für Aufklärung und bedanke mich für ihr mutiges Handeln.
Werte Polizisten! Ich hatte außerhalb der Corona-Demos immer wieder mit Ihnen zu tun und Sie machten stets einen super Job. Bei Corona wurden Sie leider vorgeführt.
Wachen Sie auf und stehen Sie auf der richtigen Seite der Geschichte! Das hat Vorteile. Sie können später ihren Kindern und Enkelkindern erklären: Ich habe nicht mitgemacht. Ich habe mich nicht missbrauchen lassen. Ich habe mich an meinen Eid erinnert, den ich auf mein Land, die Bundesrepublik Deutschland geschworen habe.
Sie haben nicht der aktuellen Regierung Ihre Treue geschworen, sondern der Bundesrepublik Deutschland. Einem Land, das vorgibt, demokratisch zu sein.

Erweiterte Verhörmethode

Und wo stand während der Coronazeit die Justiz?
Sie stand und steht, dort, wo sie auch bei Julian Assange oder Michael Ballweg stand und steht. Die Justiz hat das Unrecht unter Corona erst ermöglicht, indem sie der Politik jeden Wunsch erfüllte. Ähnlich wie US-Juristen seinerzeit erklärten, Waterboarding sei gar keine Folter, sondern nur eine „erweiterte Verhörmethode“ („enhanced interrogation technique“).
Auch die deutsche Justiz ist kein Garant für das Grundgesetz mehr. Sie ist im Gegenteil ein zuverlässiger Partner bei dessen Demontage.

Und wo standen die Künstler?

An der Volksbühne haben wir es gesehen. Die Volksbühne titelte damals: „Wir sind nicht Eure Kulisse“.
Stimmt, ihr seid die Bühne für staatliche Willkür. Ohne staatliche Subventionen gehen bei euch die Lichter aus.
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
Brecht würde brechen und Rosa Luxemburg darauf bestehen, eure Adresse in „Platz der Bücklinge“ umzubenennen.

Stay at home

Was ist aus der ZDF-Anstalt geworden?
Was aus den sogenannten Gangster Rappern in Berlin? Ihr seid „Stay at home“-homies!
Das hat mit NWA soviel zu tun wie Smudo mit Snoop Dog.

Respekt an Nena, Uwe Steimle oder Nicolai Binner

Wir, die Bürger, welche sich gegen die Willkür der Regierung gewehrt haben, sind mehr Gangster im Geiste, als ihr alle zusammen. Mein Respekt geht raus an Nena, Uwe Steimle oder Nicolai Binner.

Terroranschlag auf die Nord-Stream-Pipeline

Kommen wir zur zum Terroranschlag auf die Nord-Stream-Pipeline.
Hier handelt es sich vor allem um einen Anschlag auf die deutsche Industrie. Deutschland muss jetzt sein Gas um den x-fachen Preis in den USA und Norwegen einkaufen, während Russland sein Gas zu Höchstpreisen weltweit anbietet – und auch loswird.

Auf die deutsche Presse NULL verlassen

Wer wissen will, was Phase ist, kann sich auf die deutsche Presse NULL verlassen. Die deutsche Presse verbreitet, wo immer es von Washington gefordert wird, US-Propaganda.
Ohne das journalistische Urgestein Seymour Hersh wüssten die Deutschen nur das, was an Märchen von der Tagesschau in Umlauf gebracht wird.

Frage an den Mittelstand:

Wo bleibt da eigentlich Ihre Empörung? Man hat Sie gerade an die Konkurrenz verraten!
Wo bleibt Ihre Verbundenheit zu Ihrem Land, dem Standort Deutschland?
Hätten Sie noch die Güte, sich zu erheben!? Z.B. für ihre Belegschaft – Sie sind doch Familienunternehmen. Dann handeln Sie wie eine Familie: Stehen Sie füreinander ein, und füreinander auf. Papi und Mami machen den Anfang in einem Familienunternehmen. Sie zeigen sich loyal gegenüber ihrer Belegschaft und ihrem Land.

Investieren in die größten Profite

Die Großkonzerne kennen keine Loyalität. Für sie steht das D nicht für Deutschland, sondern für Dollar. Sie investieren immer dort, wo sie die größten Profite machen können. Die Großkonzerne folgen aktuell dem Ruf der USA, denn Amerika lockt mit billigen Energiepreisen und tollen Gewinnen.

Deutschland Kriegsgebiet

Und noch eine Frage an den deutschen Mittelstand: Warum sehen Sie zu, wie Deutschland über illegale Lieferungen von Kampfpanzern in ein Kriegsgebiet zur Kriegspartei wird?
Sollte der von unseren Medien vollkommen verzerrt dargestellte Ukraine-Krieg sich ausweiten, ist auch Ihr Standort, Ihr Unternehmen betroffen.

Der Ukraine-Krieg begann 2014

Der Ukraine-Krieg begann nicht mit dem illegalen Grenzübertritt der Russen unlängst in der Ukraine. Er begann 2014 mit dem illegalen Putsch der USA in Kiew und dem jahrelangen Beschuss der Region Donbass, um dort vor allem Ukrainer mit russischen Wurzeln zu vertreiben und zu töten.
Wer diesen Teil der Geschichte einfach weglässt, lügt – wie einst ein deutscher Kanzler, als er sagte, ab 5.45 Uhr werde „zurück“-geschossen.

USA: „Die einzige Weltmacht“

Der Krieg gegen Russland über den Hebel Ukraine war von Washington lange geplant und offen angekündigt.
Der langjährige US-Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski schrieb das Drehbuch zum Ukrainekrieg. Lesen Sie sein Buch über die USA: „Die einzige Weltmacht“.

Kennen Sie die Bilder von Berlin in der Stunde Null?

Jeder, der das erkennt und nicht aufsteht, nimmt billigend in Kauf, dass Deutschland erneut in eine militärische Auseinandersetzung mit Russland gerät.Können Sie sich noch an den Ausgang beim letzten Mal erinnern?
Kennen Sie die Bilder von Berlin in der Stunde Null?

Sind Sie IRRE, wenn Sie denken, es würde dieses Mal zu unseren Gunsten ausgehen??

Russland wird uns das nicht vergessen

Angela Merkel hat neulich offen zugegeben, das Minsker Abkommen hätte nur der Täuschung gedient. Ziel war es von Anfang an, die Ukraine aufzurüsten und fit zu machen für einen Stellvertreterkrieg gegen Russland.
Mit dieser Politik hat die Ex-Bundeskanzlerin die deutsche Diplomatie verraten.
Ist das unser Zeichen der Dankbarkeit für die Wiedervereinigung?
Russland wird uns das nicht vergessen.

Einen nuklearen Holocaust riskieren

An alle Scharfmacher in Regierung und bei der Presse: Wissen Sie was Krieg ist? Wohl kaum.
Wenn es nach mir ginge, würde man in diesem Land mal für lächerliche 7 Tage den Strom abstellen.
Glauben Sie mir, das, was binnen dieser Tage an Schaden entstünde, würde ausreichen, um ihnen eine Lektion zu erteilen.
Deutschland würde im Chaos versinken und Sie würden nie wieder auf die Idee kommen, in irgendwelchen Talkshows von einem „robusten Mandat“ zu faseln oder ernsthaft zu fordern, man sollte eine nukleare Antwort auf Putins Politik „nicht von vornherein ausschließen“, denn das wäre ein Zeichen von Schwäche.
Wer so etwas öffentlich von sich gibt, ist irre und riskiert einen nuklearen Holocaust. Er hat in Führungspositionen nichts verloren.

Milliarden kassiert für unerforschte Plörre

An dieser Stelle ein Wort zur Pharma-Industrie.
Die Pharma-Industrie hat es nach der Bankenkrise ebenfalls geschafft, Deutschland auszunehmen wie eine Weihnachtsgans. Sie hat für völlig unerforschte Plörre Milliarden kassiert und kommt mit keinem Cent für die Folgen bei den Opfern auf. Das ist ein Skandal.

Impfopfer mit irreparablen Schäden

Laut Lauterbach existieren offiziell 20.000 Impfopfer mit zum Teil irreparablen Schäden.
Zum Vergleich: Bei Contergan waren es 3000 und das Medikament wurde vom Markt genommen.
Pfizer-Biontech-Plörre bekommen Sie immer noch. Sie wird weiter verimpft, sogar an Kinder und Schwangere. Hier handelt es sich um ein Verbrechen, denn mit der Gesundheit der Bürger wird bewusst gespielt.
Die Bürger wurden von der eigenen Regierung zu Versuchskaninchen erklärt und der Scharlatan Lauterbach wird uns am Ende mit dem Satz kommen, den schon Mielke kurz vor Schluss von sich gab: „Ich liebe doch alle Menschen.“
Es wird Zeit für ein zweites Nürnberg, Herr Lauterbach – und an Herrn Spahn erinnern wir uns auch noch.

Hinterzimmer-Verträge sittenwidrig

Die Verantwortlichen gehören vor ein ordentliches Gericht und die Pharma-Industrie an den Kosten für die Opfer beteiligt. Ihre Hinterzimmer-Verträge sind sittenwidrig und wurden in Wahrheit nicht mit unabhängigen Volksvertretern abgeschlossen, sondern mit Lobbyisten, die man zuvor zu Spitzenpolitikern gemacht hatte.
Des Weiteren fordere ich, dass 50 % der GEZ-Gebühren in einen Opferfonds für Impfschäden fließen sollten. Die GEZ-Medien haben mit ihrer Impfpropaganda so viel Schuld auf sich geladen, dass sie dafür jetzt bezahlen müssen.

Zerstörung des Sozialstaates

Ein Wort an das, was sich Regierung nennt:
Die Aufgabe jeder Regierung besteht darin, das eigene Volk vor Schaden zu bewahren. Das bedeutet vor allem: alles für den sozialen Frieden im Inland und den Frieden mit einem Nachbarn zu tun.
Und was tut unsere aktuelle Bundesregierung?
Sie arbeitet aktiv an der Zerstörung des Sozialstaates. Sie öffnet Grenzen, ohne auch nur im Ansatz über die Folgen nicht geleisteter Integration nachzudenken.
Wie will sie die Millionen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge so in Deutschland einbinden, dass sich nicht unzählige Parallelgesellschaften bilden? Darauf hat sie keine Antwort.
Die Regierung benutzt Flüchtlinge. Unter anderem, indem sie seit Jahren vermeidet zu fragen, vor wem oder was diese Menschen eigentlich auf der Flucht sind. Die Antwort würde in den meisten Fällen nämlich lauten: vor einem aktuellen NATO-Krieg oder den hochsubventionierten Exportprodukten der EU.

System von fake-money ist nicht mehr zu retten

Die NATO ist ein Angriffsbündnis, dessen Ziel es ist, für die EU und die USA Märkte zu erobern. Würde die NATO mit ihrer „Außenpolitik“ aufhören, wäre übermorgen das Kapitel des Finanzkapitalismus zu Ende. Er würde noch schneller zusammenbrechen als WTC 7.
Vor wenigen Tagen stand die Großbank Credit Suisse kurz vor dem Untergang und konnte nur durch die UBS und später Blackrock vor dem Crash gerettet werden … vorübergehend.
Sehen wir der Wahrheit ins Auge: Dieses System von fake-money ist nicht mehr zu retten – game over.

Chinesische Wirtschaft ist der deutschen überlegen

Ein Wort zur Wirtschaft jenseits des Dollarraums. Als sich dieser Tage Putin mit dem chinesischen Staatschef traf, um stabile langjährige Wirtschaftsbeziehungen zu vereinbaren, musste jedem klar werden, was das für Deutschland bedeutet:
Wir sind mittelfristig raus.
Russland hat sich vom Exportland Deutschland abgewendet und kauft jetzt in China ein. Und glauben Sie mir, die chinesische Wirtschaft ist der deutschen überlegen.

Titanic verlassen

Welche Möglichkeiten haben wir in Deutschland, um nicht unterzugehen?
– Wir müssen die Titanic verlassen, solange die Rettungsboote noch zu Wasser gelassen werden können, oder besser: solange die USA diese Rettungsboote nicht gesprengt haben.
– Wir brauchen eine eigene europäische Perspektive und unabhängige Außenpolitik. Diese Politik kann sich nur am Frieden mit unseren Nachbarn orientieren. Wandel durch Handel sollte die deutsche Losung sein. Innerhalb einer US-hörigen, gelenkten Demokratie ist diese Politik nicht möglich. Sie wird sabotiert.
– Wir brauchen daher direkte Demokratie. Alle 4 Jahre sein Kreuz zu machen, ist eine Simulation von Demokratie.
– Parteiprogramme müssen betreffs ihrer Kernaussagen verpflichtend sein. Wer wie die Grünen mit dem Verbot von Rüstungsgütern in Krisengebiete wirbt, um nach der Wahl das Gegenteil zu tun, ist ein Betrüger. Die Wahl sollte wiederholt werden oder aber der Export verboten.

Wahlbetrug NACH der Wahl

In der Folgenlosigkeit für offensichtliche politische Täuschung liegt das Dilemma für den Verlust in das Vertrauen demokratischer Institutionen.
Bei uns findet der Wahlbetrug NACH der Wahl statt. Wir brauchen Wahlbeobachter zwischen den Wahlen, nicht nur davor.

Unsichtbaren Machtpyramide

Und zum Schluss zum Kern unseres Problems, von dem immer nur die Symptome behandelt werden: Unser Problem ist unser Geldsystem. Private Banken schöpfen Geld aus dem Nichts und haben dabei den Bezug zur Realwirtschaft vollkommen verloren. Alles basiert auf Zins- und Zinseszins. Diese Konstruktion führt zwangsläufig in den Krieg, denn es herrscht Wachstumszwang.
Dass wir ausgerechnet in einer Wirtschaftsnation wie der BRD nicht darüber sprechen dürfen, hat viele Gründe; der Wesentliche jedoch ist der politische Klimawandel – und der ist zu 100% vom Menschen gemacht. Allerdings von nur sehr wenigen Menschen. In einer für die meisten unsichtbaren Machtpyramide.

Krieg gegen die Menschheitsfamilie

Aktuell verfügen 8 (in Worten: acht) Menschen über das gleiche Vermögen wie die untere Hälfte der Menschheit, aktuell etwa 3.5 Milliarden Menschen.
In einer derart ungerechten Welt kann es keinen Frieden geben und wer eine derart ungerechte Welt nicht anprangert, ist an echtem Frieden nicht interessiert – im Gegenteil. Er benötigt die ungerechte Verteilung, um seinen Krieg gegen die Menschheitsfamilie führen zu können.

Bergpredigt unter 2G-Regeln

Wie hätte Jesus auf die eben genannten Zahlen reagiert? Hätte Jesus die Bergpredigt unter 2G-Regeln gehalten, wenn die römische Regierung das verlangt hätte? Hätte er die Stimme erhoben?
Fragen Sie sich, wann Sie zum letzten Mal die eigene Stimme erhoben haben, um gegen allgemeines Unrecht zu protestieren.

Sind Sie die Veränderung, die Sie sehen wollen?

Mein Rat: Folgen sie Ihrem Herz. Ihr Herz ist deutlich schwerer durch Propaganda zu manipulieren als Ihr sogenannter Verstand. Glauben Sie nicht alles, was Sie denken. Vertrauen Sie verstärkt dem, was Sie fühlen.

Experte für Ihr Inneres

Werden Sie ein Experte für Ihr Inneres und werden Sie aktiv.
Werden Sie Teil der Friedensbewegung – Teil der Friedhofsbewegung sind Sie schon. Überwinden Sie die Angst, mutig zu sein.
Machen Sie sich selber stolz, indem Sie die Empfehlungen der Regierung zurückweisen, die nur dazu dienen, Ihre Ohnmacht zu stabilisieren.
Sie sind nicht ohnmächtig – im Gegenteil: Sie haben die Macht, NEIN zu sagen. NEIN zu einer Politik, die nicht ehrlich ist. Einer Politik, die spaltet. Einer Politik, die ihnen erklärt, es wäre solidarisch, die eigenen Verwandten im Altenheim verrecken zu lassen, anstatt sie zu besuchen und sie menschliche Nähe und Würde spüren zu lassen. NEIN zu einer Politik, die Ihnen erklärt, mit dem Export von schweren Waffen würde man Kriege beenden. Einer Politik, die jeden gemachten Vorschlag für alternativlos erklärt.
Sie wissen, dass das alles gelogen ist.

„Du sollst nicht lügen“ – aber du sollst auch nicht schweigen, wenn Dritte es in Deinem Namen tun.

Was antwortete Ho Chi Minh während des Vietnamkrieges, als er von US-Reportern gefragt wurde, was er von westlicher Zivilisation halte?
Er antwortete:
„Ja, eine westliche Zivilisation wäre eine wirklich gute Idee.“

Urheberrecht

Die durch die Seitenbetreiber erstellten Inhalte und Werke auf diesen Seiten unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Die Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes bedürfen der schriftlichen Zustimmung des jeweiligen Autors bzw. Erstellers. Downloads und Kopien dieser Seite sind nur für den privaten, nicht kommerziellen Gebrauch gestattet.

*********************************************************

Grafikquelle :

Oben      —     Elephant from 14th-century Tibetan Thangka

Abgelegt unter Berlin, Kultur, Medien, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

„linksunten.indymedia“

Erstellt von Redaktion am 2. April 2023

Lehren aus dem Ende einer Fahnenstange

Reichsgerichtsgebaeude frontal.jpg

Nur wenige Vögel erhalten in diesen Land einen solch großen Käfig zur freien Verfügung gestellt.

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von Achim Schill

Überlegungen aus Anlass des Scheiterns der Verfassungsbeschwerden in Sachen „linksunten.indymedia“. 2017 hatte das deutsche Innenministerium verfügt: „Der Verein ‚linksunten.indymedia‘ läuft nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider und richtet sich gegen die verfassungsmässige Ordnung.“ (BAnz AT 25.08.2017 B1)

Was mit „Verein ‚linksunten.indymedia‘“ gemeint war, ergab sich aus einer begleitenden Presseerklärung des Ministeriums: „Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat heute die linksextremistische Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘ auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten und aufgelöst.“1Über dieses Verbot wurde ein längerer Rechtsstreit geführt, der kürzlich mit einer Entscheidung des deutschen Verfassungsgericht endete, die eine Nicht-Entscheidung war: Die von den seinerzeitigen AdressatInnen der Verbotsverfügung erhobene Verfassungsbeschwerden wurde „nicht zur Entscheidung angenommen“:„Die Verfassungsbeschwerden zeigen nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht bei der Auslegung und Anwendung des Fachrechts Verfassungsrecht verkannt haben könnte. […]. Hier stützen die Beschwerdeführenden ihre Rügen […] im Wesentlichen darauf, dass nicht das Bundesverwaltungsgericht, sondern die Verbotsverfügung ihre Grundrechte verletze. Eine mögliche Grundrechtsverletzung gerade durch die gerichtlichen Entscheidungen wird damit nicht substantiiert.“ (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/02/rk20230201_1bvr133620.html, Textziffer 12)

„Nicht substantiiert“ heisst soviel wie: Nicht prüffähig – zu den entscheidenden Fragen wurde nichts rechtsrelevantes Nachvollziehbares vorgetragen.)

Aus diesem Anlass habe ich ein längeres Interview mit Detlef Georgia Schulze, der/die schon seit Jahren immer wieder mal in linker Antirepressionsarbeit aktiv ist und sich auch akademisch mit Fragen der Rechtstheorie2 beschäftigt hat, geführt. Die (bisherigen) Antworten von dgs lassen sich in acht Thesen zusammenfassen, die ich hier zum Anlass für einige Erläuterungen und ergänzende Überlegungen nehmen möchte.

Für die Repression gegen die deutsche Linke wieder aus der Mottenkiste hervorgekramt:

Das sogenannte öffentliche Vereinsrecht

Seit Ende der 1960er waren Linke mit deutscher Staatsangehörigkeit in der BRD mit staatlicher Repression – abgesehen vom Demonstrationsstrafrecht – vor allem in Form

• des Radikalen-Erlasses von 1972, mit dem – vor allem linke – sogenannte „Extremisten“ aus dem Öffentlichen Dienst ferngehalten wurden, einerseits und

• des Sonderrechtssystem um die § 129 (Kriminelle Vereinigung) und § 129a des deutschen Strafgesetzbuches herum andererseits

konfrontiert. Zuvor war allerdings – im Kontext des KPD-Verbotes von 1956 – das sogenannte öffentliche Vereinsrecht3 von grosser Bedeutung für das Vorgehen des BRD-Staatsapparates gegen KPD-nahe Vereinigungen4. Seit den 1970er Jahren wurden das öffentliche Vereinsrecht dann vor allem für sog. ausländische und „Ausländervereine“ in der BRD von Bedeutung. Für „Vereine“, deren Mitglieder überwiegend oder ausschliesslich deutsche Staatsangehörige waren, verlor das öffentliche Vereinsrecht stark an Bedeutung – sodass vielen aus Anlass des ‚linksunten-Verbots‘ der Unterschied zwischen öffentlichen und bürgerlichem Vereinsrecht nicht bekannt war bzw. ihn nicht verstanden und nicht beachteten.

So hiess es zum Beispiel in einem Artikel bei de.indymedia: „Begründet wurde das polizeistaatliche Vorgehen mit hahnebüchenen Floskeln, ermöglicht durch einen vereinsrechtlichen Kopfstand: linksunten wurde kurzerhand zu einem Verein erklärt.“ (Jetzt erst recht: „Wir sind alle linksunten.indymedia!“, in: de.indymedia vom 11.09.2017; https://de.indymedia.org/node/13855)5

Nur so absurd war die diesbezügliche staatliche Begründung gar nicht – denn während im bürgerlichen Vereinsrecht Dinge wie Vorstand, Satzung und gegebenenfalls Eintragung ins Vereinsregister eine Rolle spielen, ist der Vereins-Begriff des deutschen öffentlichen Vereinsrechts nahezu konturlos:

„Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html; meine Hervorhebungen)

Leipzig Reichsgericht Sitzungssaal 02.jpg

Mit einer Empore des Orgelspieler? Aber haben Reichgebäude nicht immer nach den Religionen gerochen?

Mal abgesehen von der Frage des Vorliegens oder Nicht-Vorliegens der Verbotsgründe6 handelte es sich also weniger um behördliche Willkür als um unerfreuliches Gesetzesrecht. Dies nicht beachtet zu haben, dürfte dazu beigetragen haben, den vermeintlich leichten Weg7 zum Bundesverwaltungsgericht (in Leipzig) und dann zum Bundesverfassungsgericht (in Karlsruhe) gewählt zu haben – statt den politischen Widerstand gegen das Verbot zu organisieren.These 1: Es mangelte an einer expliziten Reaktion des alten BetreiberInnenkreisesEs gab kein klares Statement vom BetreiberInnen-Kreis zu der Verbotsverfügung. Dadurch fehlte es an einer Orientierung, wie man adäquat auf das Verbot hätte reagieren können. Erst wurde mittels einer Fotomontage auf das „Streisand-Effekt“ genannte Phänomen angespielt, dass der Versuch, etwas zu unterdrücken oder geheimzuhalten, manchmal gerade Aufmerksamkeit für die Sache oder Information erzeugt. Damit wurde immerhin ein gewisser rebellischer Geist gezeigt, dann war man „zur Zeit offline“ (also abwarten und Tee trinken) und dann stellte man den Betrieb einfach ein (die Zeitschrift „radikal“8 hatte trotz Repression für deutlich längere Zeit weitergemacht). Dann wurde Klage beim Bundesverwaltungsgericht erhoben (statt also auf eine gewisse Solidarisierungsbewegung zu setzen) und die öffentlichen Statements wurden den AnwältInnen überlassen (die ja im wesentlichen ein ‚professionelles‘ Herangehen haben und haben müssen, auch wenn sie politisch interessiert und parteilich sein sollten – ‚Die Institutionen sind mächtiger als die einzelnen Menschen‘9). Also ganz ehrlich: für eine politisch (durchdachte) Kampagne von ‚Linksradikalen‘ klingt das doch recht merkwürdig; um nicht zu sagen: widersprüchlich bis konfus.

These 2: Das juristische Vorgehen der VerbotsadressatInnen war von einem Widerspruch zwischen dem Wunsch, (offensiv) Klage gegen das Verbot zu erheben, und dem Wunsch, (defensiv) die strafrechtlichen Risiken zu minimieren, gekennzeichnet.

Vor einem Verwaltungsgericht wäre es wichtig gewesen, als Kläger offensiv die (vereins-)rechtlichen Interessen zu vertreten. Und dazu hätte man sich erst mal zu linksunten ‚bekennen‘ müssen. So ist so ist nun einmal die Regelung in Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 Grundgesetz10 und § 42 Absatz 2 Verwaltungsgerichtsordnung11. Diese Regelung kann zwar politisch in Frage gestellt und eine Änderung angestrebt werden. Aber – abgesehen von der Frage, ob die dann noch rechtzeitig für das linksunten-Verfahren gekommen wäre – wurde auch das nicht gemacht. Statt dessen wurden sich Illusionen gemacht.

Um aber das strafrechtliche Risiko zu minimieren – was legitim ist, aber (1.) nicht deutlich kommuniziert wurde und (2.) im Widerspruch zum aktiven/offensiven verwaltungsrechtlichen Klagen stand –, hatte man sich dazu entschlossen, mit linksunten nichts zu tun zu haben oder das eventuelle Zutunhaben jedenfalls in der Schwebe zu lassen12. Dadurch hat man es dem Bundesverwaltungsgericht aber verunmöglicht, die Rechtmässigkeit der Verbotsverfügung zu prüfen. Man kann nur vom einem Glück im im Unglück sprechen, dass das Verwaltungsgericht den Unterschied von Medium und HerausgeberInnenkreis anerkannte und zum Ausdruck brachte. Das könnte immerhin der Schlüssel dafür sein, zumindest das Medienverbot zurückzuschlagen (das es noch kein ‚neues linksunten‘ gibt, liegt nicht in erster Linie am Verwaltungsgericht13). Dafür die Vereinsförmigkeit des alten HerausgeberInnenkreises als gegeben anzusehen, sind allerdings die RichterInnen am Bundesverwaltungsgericht (und die GesetzgeberInnen des deutschen Vereinsgesetzes) in der Tat verantwortlich. Aber beide Frage (Rechtsschutzinteresse für eine Überprüfung der Verbotsgründe und Vereinsförmigkeit des Verbotsobjekts) müssen unterschieden werden.

These 3: Die Weite des vereinsgesetzlichen Vereins-Begriffs wurde ignoriert – und dadurch die Bedrohlichkeit/Durchsetzbarkeit des Verbotes unterschätzt.

§ 2 Absatz 1 Vereinsgesetz bestimmt: „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“14

Mit dieser Definition kann im Prinzip fast jeder Zusammenschluss von drei oder mehr Personen als „Verein“ deklariert werden. Und auch Medienherausgeber können natürlich vereinsförmig organisiert sein (z.B. die SPD als de facto-Herausgeberin15 des „vorwärts. Zeitung der deutschen Sozialdemokratie“ oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH als Verlegerin der FAZ16). Es ist also ein Irrglaube, dass Medienherausgeber aus grundrechtlichen Gründen vor Vereinsverboten geschützt wären. Diese Auffassung müsste vielmehr erst theoretisch entwickelt und argumentativ begründet werden. Denn frühere Verbote von ‚Medienorganisatinen‘ wurden vom Bundesverwaltungsgericht und der deutschen Rechtswissenschaft entweder gar nicht beanstandet oder jedenfalls nicht unter dem speziellen Gesichtspunkt, dass es sich um Verlage und Fernsehsender handelt.

Das einzige, wo hinsichtlich des Vereins-Begriffs vielleicht hätte angesetzt werden können, war das Definitionsmerkmal ‚Unterwerfung unter eine organisierte Willensbildung‘ (meine Betonung). Ich war (als Ex-Trotzkist) noch nie bei einer Gruppensitzung von autonomen Basisaktivisten dabei, aber selbst wenn jeder machen kann, was er/sie will, muss es so etwas geben wie eine koordinierte Willens- oder Beschlussfassung; sonst kommt man ja nicht zu Potte. Ob das dann ‚Unterwerfung unter eine organisierte Willensbildung‘ ist? Ich vermute, das BVerwG hat nicht ganz ohne Gründe, die Vereinsförmigkeit des BetreiberInnenkreises von linksunten bejaht. Nur die innenministerielle Namensverwechselung zwischen Medium und HerausgerberInnenkreis (der hiess nämlich nicht „linksunten.indymedia“, sondern „IMC linksunten“17), hätte dem Gericht allerdings auffallen können (die AnwältInnen der Betroffenen interessierte es aber anscheinend auch nicht)!

These 4: Das Verbot wurde als persönliches Wahlkampfmanöver de Maizières verharmlost18 und so auf die leichte Schulter genommen

Es stimmt zwar, dass dass das linksunten-Verbot auch eine Reaktion auf die Randale im Rahmen der Proteste gegen den G20-Gipfel 2020 in Hamburg war, und insofern konnte man es als staatsaktionistischen Exzess ansehen. Das ändert aber nichts daran, dass es trotzdem ein ernsthafter Angriff des deutschen Staates (oder zumindest einer Fraktion davon) auf eine linke Struktur war. Dieser Angriff hatte einen nicht unerheblichen politischen Schaden für die Linke insgesamt gehabt (und nicht nur publizistisch). Und das Beispiel Radio Dreyeckland, wo es kürzlich wegen des Setzens eines Links auf das Archiv von linksunten, zu Hausdurchsuchungen kam, zeigt, dass dieser Schaden bis heute noch Konsequenzen hat.

These 5: Es wurde auf die BMI-These vom „[e]rste[n] Verbot einer linksextremistischen Vereinigung“ hereingefallen.

Im Untertitel der das Verbot begleitenden Pressemitteilung (s. noch einmal Fussnote 1) behauptet das Innenministerium, es handele sich bei dem ‚linksunten-Verbot‘ um das „Erste Verbot einer linksextremistischen Vereinigung“19. Zweck der Falschbehauptung war vermutlich, einen Nachholbedarf an Repression gegen links zu behaupten.

Trotzdem übernahm Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk bei einem Vortrag am 10. Januar 2019 in der Kunsthalle Berlin-Weissensee20 die innenministerielle These.21 Zweck der Falschbehauptung in letzterem Fall vermutlich: Leute durch Dramatisierung / durch Postulierung einer neuen Qualität der Repression zu mobilisieren.

Richtiger war dagegen die Darstellung im Schattenblick: Dort wurde immerhin das vereinsrechtliche Vorgehen gegen Vereinigungen mit „aussenpolitische[n] Bezüge“ seit den 1970er Jahren erwähnt22; auch wurde das vereinsrechtliche Vorgehen (wenn auch nicht sonderlich klar erklärt) zu dem strafrechtlichen Vorgehen gemäss § 129a Strafgesetz, das vor allem in den 1970er und 1980er Jahren dominierte, ins Verhältnis gesetzt (wird dieser Vergleich expliziert zeigt sich: Lange Zeit gingen die BRD-Staatsapparate gegen rechte Strukturen maximal mit Vereinsverboten vor, während sie vor allem in den 1970er und 1980er Jahre mit der Keule der Anti-Terror-Gesetzgebung gegen links zuschlugen – also von wegen ‚Nachholbedarf für Repression gegen links‘…):

„Ausserhalb aussenpolitischer Bezüge, wie im Falle eines türkischen und eines palästinensischen Vereines, ist das Mittel des Vereinsverbotes bislang vor allem gegen islamistische und rechtsradikale Gruppierungen zur Anwendung gelangt. Die in der Pressemitteilung des BMI vom 25. August eigens als Unterüberschrift aufgeführte Zeile ‚Erstes Verbot einer linksextremistischen Vereinigung‘ signalisiert staatliche Handlungsbereitschaft gegen links, was auf rechten Portalen mit einiger Genugtuung quittiert wurde. Ob das BMI nicht zum Mittel des politischen Strafrechtes nach Paragraph 129 a gegriffen hat, weil es für die Qualifikation des wie ein öffentliches Medium agierenden Portals als terroristische Vereinigung nicht gereicht hätte, wurde dort nicht weiter kommentiert.“ (http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0298.html; Fortsetzung: http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0299.html)

Allerdings fehlte auch in dem Schattenblick-Artikel ein Hinweis auf das 1970 auf Landesebene (Baden-Württemberg) gegen die Heidelberger Ortsgruppe des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) verfügte Verbot23 und vor allem ein Hinweis auf die zahlreichen Vereinsverbote im Zuge der KommunistInnenverfolgung in der BRD der 1950er und 1960er Jahre. Diese Vereinsverbote wurde zwar zumeist ebenfalls auf Landes- (oder Regierungsbezirks-)Ebene verfügt; in zwei Fällen (der FDJ und der VVN) stellte die Bundesregierung Verbotsanträge beim Bundesverwaltungsgericht (Vereinsverbote waren damals anders geregelt als seit 1964 durch Inkrafttreten des Vereinsgesetzes):

„Am 29. September 1953 beschloss das Bundeskabinett, beim Bundesverwaltungsgericht einen Antrag gegen die FDJ in Westdeutschland auf Feststellung gemäss § 129a StGB [s. dazu den Anhang (S. 11)], Art. 9 Abs. 2 GG zu stellen, und beauftragte den Bundesminister des Innern mit der Durchführung des Verfahrens. Daraufhin hat der Bundesminister des Innern mit Schriftsatz vom 13. Oktober 1953, eingegangen beim Bundesverwaltungsgericht am 20. Oktober 1953, beantragt zu erkennen: Es wird im Sinne von § 129a StGB festgestellt, dass die Vereinigung ‚Freie Deutsche Jugend‘ gemäss Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland verboten ist.“ (https://research.wolterskluwer-online.de/document/3ba05f9c-3ecf-4545-b965-58812b91661f?searchId=46180141, Textziffer 4 – 5; meine Hervorhebung)

Diesem Antrag – betreffs FDJ – gab das Bundesverwaltungsgericht mit dem gerade zitierten Beschluss vom 16.07.1954 statt (ebd., Textziffer 23, 87).

Einen entsprechenden Verbotsantrag gegen die VVN stellte die Bundesregierung mit Schriftsatz vom 20.10.1959. Dieser war in der Kabinettssitzung am 16. September besprochen und gebilligt worden.

Allein schon bis 1959 (das Vereinsgesetz trat – wie schon gesagt – erst 1964 in Kraft) wurden auf Landes- oder Regierungsbezirks-Ebene 18 KPD-nahe Vereinigungen verboten.24 Eine Liste aller 327 zwischen Gründung der Bundesrepublik (de facto zwischen dem Jahr 1951) und in Kraft treten des Vereinsgesetzes von 1964 verfügten Vereinsverbote findet sich im Gemeinsamen Ministerialblatt 1966, 1 – 26. (Die Zahl ist u.a. deshalb so hoch, weil die Verbote – wie gesagt – zumeist auf Landes- oder auch nur Regierungsbezirksebene ausgesprochen wurden und demgemäss pro Verein mehrfach ausgesprochen werden ‚mussten‘.)

These 6: Der Versuch, die ursprüngliche innenministerielle Gleichsetzung von Medium und Mediums-HerausgeberInnen zu übernehmen und nur die rechtliche Bewertung umzukehren, war ein Fehler.

Man hatte sich darauf verlassen, dass Medienorganisationen vom Grundgesetz geschützt sind (Pressefreiheit); was sich als fataler Fehler herausgestellt hat. Und dadurch, dass man aus strafrechtlichen Gründen auch noch die Zugehörigkeit zum BetreiberInnenkreis nicht bekennen wollte, hatte man sich auch noch den verwaltungsrechtlichen Klageweg selber abgeschnitten. Und dann hat man auch noch beim BVerfG Beschwerde erhoben wegen der Verbotsverfügung, während es in Wirklichkeit darum hätte gehen müssen, Grundrechtsverstösse im Verwaltungsgerichtsverfahren zu prüfen.25 Viel unglücklicher kann es doch kaum laufen, oder?!

These 7: Die bürgerlichen bis linksradikalen Reaktionen auf das ‚linksunten-Verbot‘ waren von einem völlig undurchdachten Vorgehen geprägt.

Es hätte von Anfang einer klaren Festlegung bedurft, wie man auf das Verbot reagieren will. Verwaltungsgerichtsverfahren und nicht Nicht-Zugehörigkeit zum organisatorischen Zusammenhang schliessen sich jedenfalls aus. Im übrigen hätte man nicht den AnwältInnen die öffentlichen Statements überlassen dürfen, sondern das hätten die Medienaktivisten selbst machen müssen. Und dann hätte man mit einer klugen und argumentativen Öffentlichkeitsarbeit eine breite Solibewegung aufbauen können, die über den Kreis der ‚üblichen Verdächtigen‘ hätte hinausreichen können. Vielleicht hätten sogar linksliberale und reformistische Kräfte ihre Stimme erhoben. (Wegen Radio Dreyeckland stellte jetzt immerhin ein FDP-Abgeordneter eine Anfrage im baden-württembergischen Landtag und eine Grünen Abgeordnete verbreitete eine Presseerklärung.26)

These 8: Die linke Niederlage in dieser Auseinandersetzung war in erster Linie selbstverschuldet.

Es ist nicht garantiert, dass es mit einer besseren Strategie und Taktik erfolgreicher ausgegangen wäre. Aber zumindest wäre es sicher möglich gewesen, eine breitere Öffentlichkeit für dieses Thema zu interessieren. Die Reaktionen in den Medien nach G20 waren zwar von einer deutlichen Hysterie gegen ‚linke Gewalt‘ geprägt, aber mit einer politisch und juristisch fundierteren Gegenkampagne wäre es unter Umständen möglich gewesen, dieser Hysterie ein bisschen Wind aus den Segeln zu nehmen. Und wenn man auch noch Bündnispartner aus Spektren hätte gewinnen können, die deutlich über die autonom-basisaktivistische Szene hinausgereicht hätte, hätte der Druck verstärkt werden können, eine juristische Klärung herbeizuführen, die eher im ‚linken Sinne‘ gewesen wäre. Und dieser Bedarf einer Klärung besteht schon deshalb mit einer gewissen Dringlichkeit, weil das linksunten-Verbot ein Damoklesschwert für alle Medienschaffenden darstellt!

Auf das niemand den Zaun übersteigen möge und die Ruhe im geheiligten Raum stört.

Anhang:

Der damalige § 129a StGB hatte inhaltlich nichts mit dem 1976 neu geführten § 129a StGB über Terroristische Vereinigungen zu tun. Von in 1951 bis 1964 lautete § 129a StGB:

„(1) Hat das Bundesverwaltungsgericht oder das oberste Verwaltungsgericht eines Landes festgestellt, dass eine Vereinigung gemäss Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes verboten ist, so wird jeder, der die Vereinigung fortführt, den organisatorischen Zusammenhalt auf andere Weise weiter aufrechterhält, sich an ihr als Mitglied beteiligt oder sie sonst unterstützt, mit Gefängnis bestraft, soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwerere Strafe angedroht ist. (2) § 129 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet auf Antrag der Bundesregierung, das oberste Verwaltungsgericht eines Landes auf Antrag der Landesregierung.“27
Von 1964 bis 1976 war § 129a StGB nicht mit Inhalt belegt.28 Von 1951 bis 1964 gab es es – neben dem damaligen § 129a StGB – den § 90a StGB29 und von 1964 bis 1968 den § 90b StGB30, der eine Bestrafung unabhängig von einem vorhergehenden Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vorsah. Seit 1964 ist aber vor der Strafbarkeit immerhin ein exekutives Verbot erforderlich, das dann vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochten werden kann. Mit der gewissen Liberalisierung des Politischen Strafrechts 1968 trat dann an Stelle des § 90b StGB der § 85 StGB31, der – mit mehreren seitdem erfolgten Änderungen auch heute noch gilt32 und für das aktuelle Ermittlungsverfahren gegen zwei Redakteure von Radio Dreyeckland herangezogen wurde.

Fussnoten:

1 https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html / https://web.archive.org/web/20170825104801/https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html. 2 Siehe u.a.: • Rechtsstaat statt Revolution, Verrechtlichung statt Demokratie?: https://swisscovery.slsp.ch/permalink/41SLSP_NETWORK/6hf36h/alma991108234039705501 • Politisierung und Ent-Politisierung als performative Praxis: https://swisscovery.slsp.ch/permalink/41SLSP_NETWORK/6hf36h/alma991123628309705501 (darin ein Beitrag von dgs zum Thema: „Überlegungen zu einer antiessentialistischen Reformulierung des Verrechtlichungs-Begriffs“).

3 In der BRD gibt es einerseits ein zivilrechtliches Vereinsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und andererseits ein öffentliches (verwaltungsrechtliches) Vereinsrecht (im Vereinsgesetz); letzteres ist für Vereinsverbote und anderes Vorgehen der öffentlichen Verwaltung gegen Vereine von Bedeutung.

4 Siehe zur KommunistInnen-Verfolgung in der BRD der 1950er und 1960 Jahre u.a.: Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968: https://swisscovery.slsp.ch/permalink/41SLSP_NETWORK/6hf36h/alma991045865549705501.

5 Auch in dem von der Roten Hilfe kurz nach dem Verbot initiierten Aufruf „Gegen die Kriminalisierung linker Medien!“ hiess es pauschal: Es „wurde kurzerhand ein Verein konstruiert, der hinter linksunten.indymedia stecke und so verboten werden konnte. […]. Hinter jeder Internetseite u.a. kann ein Verein konstruiert werden“ (https://rote-hilfe.de/77-news/837-linksunten). Das Vereinsgesetz und der dortige weite Vereinsbegriff als (zumindest vom Bundesinnenministerium [BMI] beanspruchte) Rechtsgrundlage wurde gar nicht erst erwähnt (sich mit ihm und dessen Auslegung durch das BMI also nicht kritisch auseinandergesetzt), und das Wort „konstruiert“ schaffte mehr Verwirrung als Klarheit: • Das „konstruiert“ kann einmal in etwa im Sinne von ‚freie erfunden‘ (‚es wurden Beweis gefälscht‘ o.ä.) verstanden werden. Aber das ist im Falle „linksunten“ nicht geschehen.
• Das „konstruiert“ kann aber auch – vorsichtiger – im Sinne von ‚fragwürdige juristische Konstruktion / falsche Rechtsauffassung‘ verstanden werden. Warum ist der Unterschied wichtig? Aus folgendem Grund:
• Auch nach dem weiten Vereinsbegriff des Vereinsbegriffs sind zumindest mehrere Leute nötig, um von einem „Verein“ sprechen zu können. Dass es möglich sei, auch eine Einzelperson zu einem „Verein“ zu erklären, um damit einer von dieser Einzelpersonen betriebenen Webseite den Garaus zu machen, behauptet auch das deutsche Innenministerium nicht. • Eine ganz andere Sache wäre: Es gibt nur eine einzige natürliche Person als BetreiberIn und das Innenministerium
erfindet einfach drei Mit-BetreiberInnen hinzu. So aber verhielt es sich im Falle von linksunten nicht. Es ist ganz klar, dass der Umfang von technischen und moderatorischen Aufgaben, die für den Betrieb von linksunten.indymedia zu erledigen war, ein gewisse Anzahl von Leute erforderte und nicht allein oder zu zweit hätte bewältigt werden können.

6 „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmässige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_9.html)

7 „Aus juristischer Perspektive betrachtet ist das Verbot von Indymedia linksunten zweifelsfrei auf Sand gebaut.“ (Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V., Die Auseinandersetzung auch politisch führen, in: Rote Hilfe e.V. [Hg.], Verboten! Zur Kriminalisierung von Indymedia linksunten, Göttingen, 2018 [12 – 15 ‹12›]) Später heisst es dann in dem Text zwar unter anderem auch: „Die Gesetzesgrundlagen wurden […] von dem staatlichen Apparat erlassen, der darauf abzielt, die bestehenden Verhältnisse aufrecht zu erhalten.“ Aber wie beide Behauptungen zusammenpassen sollen, wird den LeserInnen nicht erklärt.
Auch wenn sich beide zitierten Sätze irgendwie widerspruchsfrei verbinden lassen sollten, bliebe trotzdem als entscheidendes Problem: Der erste Satz war unzutreffend. Es war und ist zwar möglich, das Verbot juristisch zu kritisieren – dies hätte dann allerdings auch (sorgfältig) getan und nicht nur postuliert werden müssen. Aber juristisch war das Verbot von Anfang nicht „auf Sand gebaut“; das Innenministerium hat(te) juristische Argumente, die nicht einfach lächerlich waren. These wie „zweifelsfrei auf Sand gebaut“ produzieren Rechtsillusionen fernab der Wirklichkeit.

8 Siehe zu dieser https://de.wikipedia.org/wiki/Radikal_(Zeitschrift) sowie https://www.nadir.org/nadir/archiv/Medien/Zeitschriften/radikal/20jahre/.

9 wie Johannes Agnoli (Zwanzig Jahre danach Kommemorativabhandlung zur „Transformation der Demokratie“, in: Prokla H. 62, März 1986, 7 – 40 [7]) mal Karl Marx als Statement zuschrieb.

10 „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.“ – Entscheidend ist hier das Wort „seinen“, womit StellvertreterInnenklage für Dritte nicht von der Garantie umfasst sind.

11 „Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.“ – Wiederum ist das „seinen“ (vor „Rechten“) das entscheidende Wort.

12 „Aus den uns bislang vorliegenden Unterlagen ist nicht ersichtlich, […] was die Betroffenen der Durchsuchungen damit zu tun haben sollen“ (https://www.nd-aktuell.de/artikel/1062169.indymedia-betreiber-klagen-vor-bundesgericht-gegen-behoerden.html).

13 Zwar würde ein neuer linksunten-HerausgeberInnenkreis in dem Risiko stehen, als sog. „Ersatzorganisation“ klassifiziert zu werden, aber jedenfalls bis zu einer solchen Klassifizierung wäre die Mitgliedschaft in der (vermeintlichen) „Ersatzorganisation“ als solche nicht strafbar. – Es gibt weitere juristischen Risiken; aber wie mit diesen umgegangen werden soll, wäre vor allem politisch zu diskutieren.

14 http://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html.

15 Die Wikipedia nennt den SPD-Generalsekretär Kevin Künert als Herausgeber (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Vorw%C3%A4rts_(Deutschland)&oldid=231124276) – Falls die Wikipedia Recht hat – ob das wohl Vorsicht vor einem Verbot ist? 😉

16 Dass es gemäss § 2 des deutschen Vereinsgesetzes nicht auf die Rechtsform ankommt, bedeutet, dass auch unternehmensrechtliche Gesellschaften in den öffentlich-rechtlichen Vereins-Begriff eingeschlossen sind (so spricht § 17 Vereinsgesetz ausdrücklich von „Wirtschaftsvereinigungen“).

17 https://web.archive.org/web/20200320103618/http://links-wieder-oben-auf.net/wp-content/uploads/2020/01/Bf_11_Antrag_ans_BMI__FIN.pdf. S. 38 f. Siehe auch • https://linksunten.indymedia.org/archiv/accounts/index.html und • den dort genannten account „IMC linksunten“ mit einer Liste der Artikel, die mittels dieses accounts gepostet wurden.

18 Siehe dazu: • „Begründet wurde das polizeistaatliche Vorgehen mit hahnebüchenen Floskeln, ermöglicht durch einen vereinsrechtlichen Kopfstand: linksunten wurde kurzerhand zu einem Verein erklärt. Dabei ist das widerliche Manöver so leicht zu durchschauen: Rache für die Riots während dem G20-Gipfel im Juni in Hamburg und …Wahlkampf.“ (Jetzt erst recht: „Wir sind alle linksunten.indymedia!“, in: de.indymedia vom 11.09.2017; https://de.indymedia.org/node/13855)
• „Für die Aufsicht der Medien wäre jedoch nicht der sich im Wahlkampf befindende Bundesinnenminister zuständig, sondern die einzelnen Medienanstalten der Bundesländer.“ (Verbot von linksunten – Update und Ausblick, in: de.indymedia vom 16.06.2018; https://de.indymedia.org/node/21948 [„Auf Basis der Veranstaltung ‚Pressefreiheit ausgehebelt – Zum Verbot von linksunten.indymedia‘ mit Rechtanwältin Kristin Pietrzyk wird ein Update und Ausblick zum Verbot von linksunten gegeben.“])
• Auch in dem schon erwähnten Aufruf „Gegen die Kriminalisierung linker Medien!“ war von einem „nach rechts offene Wahlkampfkalkül eines Ministers“ die Rede.

19 Am Ende des Textes der Presseerklärung hiess es dann etwas genauer (aber auch nicht zutreffend): „Es ist das erste Verbot einer linksextremistischen Vereinigung durch einen Bundesinnenminister.“ (meine Hervorhebung)

20 http://kunsthalle.kunsthochschule-berlin.de/wofuer/.

21 Am 28.12.2017 hatte sie dagegen beim Kongress des Chaos Computer Clubs präziser von „erste[s] Verbot eines Vereins, der nicht eingetragen war und dem linksradikalen Spektrum zugeordnet wurde, den das BMI jemals erlassen hat (https://media.ccc.de/v/34c3-8955-all_computers_are_beschlagnahmt#t=402, Min. 6:42 bis Min. 6:49), gesprochen. Ob dies zutrifft, ist allerdings auch fraglich, denn Deres (in: Verwaltungsrundschau 1992, 421 – 431 [430]) nennt bei manchen verbotenen Vereinen den Zusatz „e.V.“, bei GUPS, GUPA und DevSol (siehe folgende Fussnote 22) aber nicht. Auch im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.07.1994 zum Aktenzeichen 1 VR 10.93 wegen FEYKA (siehe ebd.) ist ebenfalls keine Eintragung erwähnt. (Auch im Gemeinsamen Ministerialblatt 1966, 1 – 26, das die Verbote bis zum Inkraftreten des Vereinsgesetzes – damit vor Verbotszuständigkeit des BMI nennt – ist nur teilweise der Zusatz e.V. genannt, wobei bei den KPD-nahen Vereinen aber anzunehmen ist, dass sie irgendeine Art von formeller Struktur hatten.)

22 Die Generalunionen Palästinensischer Studenten und Arbeiter (GUPS und GUPA) wurden 1972 und 1973 in der BRD verboten und als inländische Vereinigungen von AusländerInnen (§ 14 VereinsG im Unterschied zu § 15 VereinsG, der sich mit ausländischen Vereinen befasst, deren Organisation und Tätigkeit sich auf Deutschland erstreckt) klassifiziert wurden (Deres, in: Verwaltungsrundschau 1992, 421 – 431 [430 ‹Nr. 4: GUPS; Nr. 5 GUPA›].
Auch die Föderation der patriotischen Arbeiter- und Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland (FEYKA), deren Verbot 1993 verfügt wurde, wurde als Verein i.S.v. § 14 VereinsG klassifiziert („Der Ast. [= Antragsteller – und zwar eines Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz gegen das Verbot] ist ein Ausländerverein i.S. des § 14 I VereinsG.“ (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.07.1994 zum Aktenzeichen BVerwG 1 VR 10.93 in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1995, 587 – 590 [587; https://research.wolterskluwer-online.de/document/d1f06084-0885-4434-bd48-4e5c9fa82d2b, Textziffer 8]).
Laut Löwer (in: Münch/Kunig, Grundgesetz. Bd. 1, 20126, S. 842) wurden von Inkraftreten des Vereinsgesetzes (1964) bis Erscheinen des Kommentars 107 Vereinigungen auf Bundesebene und 78 auf Landesebene verboten, darunter auf Bundesebene 86 ausländische Vereine, die von Löwer nicht nach „rechts-“ und „linksextremistisch“ ausdifferenziert werden, sowie auf auf Bundesebene 4 und auf Landesebene 1 „linksextremistische“ Vereinigung, was sog. „Ausländervereine“ einschliesst. Das eine Verbot auf Landesebene ist das hier im Artikel weiter unten erwähnte Verbot des SDS Heidelberg (s. Fussnote 23); die vier Verbote auf Bundesebene sind die drei vorgenannten und ein weiteres Verbot. Anzunehmen ist, dass Löwer das 1983 verfügte Verbot von DevSol (bei Deres, a.a.O., S. 431 [Nr. 10]) als Verbot einer „linksextremistischen“ Vereinigung klassifizierte.
Unter den von Löwer genannten 86 ausländische Vereine befinden sich weitere „linksextremistische“ Vereinigungen, darunter der kurdische Fernsehsender Roj TV mit Sitz in Dänemark (s. dazu den Artikel von dgs vom 13.06.2019: https://de.indymedia.org/sites/default/files/2019/06/Kein_blosses_Schreckgespenst–FIN.pdf, S. 4 unten bis S. 6 oben).

23 Siehe: • Verfügung des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 24. Juni 1970. Verbot und Auflösung der Hochschulgruppe Heidelberg des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, in: Kritische Justiz 1970, 345 – 348; anschliessend bis S. 350 Anmerkungen dazu aus: Sonder-Info des AStA Heidelberg vom 29. 6.1970; https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0023-4834-1970-3-345/verfuegung-vom-24-06-1970-anmerkung-aus-sonder-info-des-asta-heidelberg-vom-29-06-1970-jahrgang-3-1970-heft-3?page=0 und dazu: • Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 5.8.1970, in: Kritische Justiz 1970, 351 – 359; https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0023-4834-1970-3-351/beschluss-vom-05-08-1970-jahrgang-3-1970-heft-3?page=0.

24 1. Freie Deutsche Jugend (FDJ); 2. Nationale Front (NF); 3. Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft (GDSF); 4. Demokratischer Frauenbund Deutschlands (DFBD); 5. Westdeutscher Flüchtlingskongress (WFLK); 6. Zentralrat zum Schutz demokratischer Rechte (ZR); 7. Sozialistische Aktion (SDA); 8. Komitee für Einheit und Freiheit im deutschen Sport; 9. Gesamtdeutscher Arbeitskreis für Land- und Fortwirtschaft (GALF); 10. Demokratischer Kulturbund Deutschland (DKBD); 11. Deutsches Arbeiterkomitee (DAK); 12. Arbeitsgemeinschaft demokratischer Juristen (ADJ); 13. Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN); 14. Friedenskomitee der Bundesrepublik Deutschland (FKdBD); 15. Westdeutsche Frauenfriedensbewegung (WFFB); 16. Einheitsverband der Kriegsgeschädigten; 17. Ausschuss für Rettung der Pfalz; 18. Tatgemeinschaft Frieden und Einheit (Hans Kluth, Die KPD in der Bundesrepublik. Ihre politische Tätigkeit und Organisation von 1945 – 1956, Westdeutscher Verlag: Köln/Opladen, 1959, 131 f.). Die teilweise kuriosen Namen erklären sich aus der damaligen gesamtdeutsch-neutralistischen politischen Orientierung der KPD.

25 Dass Bundesverwaltungsgericht hatte seinerseits nicht gesagt, dass die Verbotsverfügung vollständig rechtmässig sei, sondern sah sich durch den Umstand, dass nicht der alte BetreiberInnenkreis als Kollektiv, sondern die einzelnen AdressatInnen der Verbotsverfügung geklagt hatten, daran gehindert, zu prüfen, ob die Verbotsgründe des Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz im Fall linksunten vorlagen. In der Verfassungsbeschwerde hätte daher dargelegt werden müssen, warum es verfassungswidrig ist, dass das Bundesverwaltungsgericht es als notwendig ansieht, dass die jeweils verbotenen Vereine als Kollektive klagen.

26 „Auch im Landtag von Baden-Württemberg scheint es Zweifel zu geben, ob das Vorgehen der Staatsanwaltschaft so in Ordnung war. Catherine Kern, medienpolitische Sprecherin der grünen Fraktion, kündigt an, dass sie den Fall genau verfolgen werde: […]. Fragen hat auch der FDP-Abgeordnete Nico Weinmann, der sicher nicht im Verdacht steht, mit ‚linksunten.indymedia‘ zu sympathisieren.“ (Kontext: Wochenzeitung vom 22.03.2023; vgl. https://www.gruene-landtag-bw.de/presse/aktuelles/kern-aufklaerung-der-vorgaenge-muss-zuegig-kommen/ sowie https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP17/Drucksachen/3000/17_3558_D.pdf, S. 2, https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP17/Plp/17_0057_02022023.pdf, S. 3431 bzw. 47 und https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP17/Drucksachen/4000/17_4115.pdf.)

27 https://web.archive.org/web/20230131001643/https://lexetius.de/StGB/129a,12 / http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl151s0739b.pdf, S. 744.

28 https://web.archive.org/save/https://lexetius.de/StGB/129a,11.

29 https://web.archive.org/web/20230325184223/https://lexetius.de/StGB/90a,8 / https://web.archive.org/web/20230325153002/https://lexetius.de/StGB/90a,7 (1961 – 1964).

30 https://web.archive.org/web/20230131001643/https://lexetius.de/StGB/90b,6.

31 https://web.archive.org/web/20230131001643/https://lexetius.de/StGB/85,4.

32 http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__85.html.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —    Reichsgerichtsgebäude Leipzig (Bundesverwaltungsgericht)

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gerichtsurteile, Justiz-Kommentare, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Irgendwas mit Internet:

Erstellt von Redaktion am 1. April 2023

Privilegien kann man jetzt bei Twitter kaufen

Er ist aber im Besitz von soviel Cleverness sich nicht im Kreis der Politikerzlaien zu bewegen.

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Kolumne von 

Fünf Monate nach der Übernahme Twitters durch Elon Musk stehen bei der Plattform nun die größten Veränderungen an. Das bisherige Verifikationssystem wird abgeschafft, zukünftig können Privilegien gekauft werden. Willkommen im Kapitalismus.

Vor etwa elf Jahren schickte mir Twitter einmal eine Direktnachricht: „Wir bei Twitter würden gerne Deinen Account verifizieren. Klicke einfach auf den Link und folge der Anleitung.“ Damals war ich dort bereits einige Jahre auf Twitter aktiv und der Dienst hatte einige Zeit zuvor ein Verifikationssystem ausgerollt. Nutzer:innen konnten damit ihre Accounts verifizieren – anfangs durch das Unternehmen kuratiert, später waren auch Anträge möglich. Sie erhielten dann den blauen Haken.

Ich galt aus Sicht Twitters als öffentliche Person und betrieb mit @netzpolitik einen der bekannteren Account im deutschsprachigen Twitter. Ich klickte mich durch die Anleitung und kurze Zeit darauf zierte ein blauer Haken mein Profil. Nach welchen Kriterien das Unternehmen damals die Entscheidung traf, war mir unklar. Ich musste nicht einmal meinen Personalausweis hochladen.

Was der Haken genau bedeutete, war mir damals auch noch nicht klar. Ich sah es als eine Art Qualitätsmerkmal, das Twitter vergab. Der Haken wertschätzte dadurch aber auch viele Nutzer:innen, die zur Wertschöpfung der Plattform und dessen Ökosystem beitrugen.

Seitdem lebte ich mit dem blauen Haken, den auch immer mehr Nutzer:innen erhielten. Dazu gehörten vor allem Journalist:innen, Personen des öffentlichen Lebens und gewählte Abgeordnete, die auf der Plattform aktiv waren.

In der eigenen Twitter-Nutzung bemerkte ich nur einen Unterschied: Ich wunderte mich, wie das Geschäftsmodell von Twitter in der Realität funktionierte, weil ich selten Werbung sah. Irgendwann realisierte ich, dass ich durch den blauen Haken offensichtlich bei Laune gehalten wurde und hier eine Sonderrolle genoss.

Die anderen Privilegien bekam ich weniger mit. Ich war verifiziert und das zeigte Nutzer:innen an, dass hinter meinem Account auch tatsächlich meine Person stand. Und der blaue Haken hatte Auswirkungen darauf, wie mein Account für andere sichtbar war. Meine Inhalte wurden bei den algorithmischen Entscheidungssystemen bevorzugt behandelt, wenn Nutzer:innen eine algorithmisch-kuratierte Timeline wählten, die sogenannte „For you“-Ansicht.

Die zwei Nutzungsarten bei Twitter

Es gab und gibt bei Twitter vor allem zwei unterschiedliche Nutzungsgewohnheiten. Ich selbst bin im „Team Chronologisch“. Ich mag es, die Kontrolle darüber zu haben, was mir angezeigt wird. Bei anderen sozialen Netzwerken fühlte ich mich irgendwann früher oder später unwohl, wenn mir Inhalte bunt und intransparent zusammengewürfelt eingeblendet wurden und ich keinerlei Kontrolle über deren Zusammenstellung hatte. Was interessieren mich die Postings von Bekannten von vor einer Woche?

Aber Nutzer:innenforschung hat inzwischen ergeben, dass ich einer Minderheit angehöre. Viele Menschen ziehen eine vorsortierte Timeline vor, weil sie so ein besseres Nutzungserlebnis erführen. Das „Team Algorithmische Timeline“ ist von der chronologischen Timeline überfordert. Es möchte gerne vorsortiert etwas erleben. Immerhin haben alle bei Twitter – zumindest noch – die Freiheit, zwischen beiden Ansichten zu wählen.

Ob das so bleibt, ist derzeit völlig offen. Vor fünf Monaten hat Elon Musk die Macht bei Twitter übernommen. Und es vergeht kaum ein Tag, an dem es nicht zu Veränderungen kommt. Das allein reicht offenbar aus, um einen fast täglich erscheinenden Podcast zu füllen, wie Dennis Horn und Gavin Karlmeier mit „Haken dran – das Twitter-Update“ beweisen.

Mein Nutzererlebnis blieb seitdem erstaunlicherweise gleich. Nur eine Sache hat sich nachhaltig geändert: Ich sehe Werbung und zwar eine ganze Menge. Das ist umso erstaunlicher, als dass Twitter die meisten seiner Werbekunden in den vergangenen Monaten verloren hat.

Privilegien kann man jetzt kaufen

Eine der größten Veränderungen steht aber aktuell an: Das eingespielte Verifikationssystem wird abgeschafft, um das neue Bezahlsystem Twitter Blue zu promoten. Twitter Blue hatte Elon Musk als Produktneuerung eingeführt, nachdem er die meisten Werbekunden durch sein Geschäftsgebaren und seinen Kommunikationsstil verscheucht hatte. Für acht Euro – Apple-Nutzer:innen zahlen 30 Prozent mehr – kann nun jede:r einen blauen Haken erhalten. Und erhält damit weniger Werbung im eigenen Feed und eine bevorzugte Ausspielung auf der algorithmischen Timeline bei Anderen. Twitter-Nutzer:innen können sich also jetzt ein Privileg kaufen.

Das funktionierte bisher nicht so toll als Geschäftsmodell. Denn es gab bislang nicht allzu viele Menschen, deren Ego einen gekauften blauen Haken benötigt. Wer möchte schon Elon Musk finanziell unterstützen, nachdem er durch schlechte Geschäftsentscheidungen und sein verschwörungsideologisches und aggressives Kommunikationsverhalten die eine Lieblingsplattform kaputt macht? Wir helfen doch bereits mit unseren Inhalten und Daten. Noch. Und überhaupt: weniger Werbung? Wenn dann würde ich dafür bezahlen, gar keine Werbung mehr sehen zu müssen.

Nach dem blauen Haken ist vor dem blauen Haken

Um Twitter Blue weiter zu promoten, sollen jetzt alle bisherigen Haken-Nutzer:innen diesen verlieren. Das aktuelle „Dieser Account wurde im alten System verifiziert. Er ist möglicherweise (aber nicht unbedingt) beachtenswert“ soll bis zum 15. April abgeschaltet werden. Ich verliere dann meine Privilegien und kann sie mir zurückkaufen. Zumindest zum Teil und als Verifikationssimulation. Willkommen im Kapitalismus.

Ich lass mich überraschen, wie Twitter in zwei Wochen aussieht. Vielleicht ändert sich ja weiterhin nichts in meiner Nutzung, weil Twitter Blue eher geringe Auswirkungen auf meine chronologische Nutzung hat. Außer eben der vielen Werbung neuerdings.

Vor allem aber hoffe ich noch immer auf eine richtige Alternative zu Twitter. Dort hätte ich gerne Text in Echtzeit, chronologisch sortiert. Das Fediverse mit Mastodon und Co. sind als mögliche Alternativen herangewachsen – und besser als gedacht. Ein Viertel meiner Twitter-Timeline ist auch bereits drüben. Aber dreiviertel von ihnen sind es offensichtlich noch nicht. Dafür experimentieren WordPress und Meta aktuell mit Schnittstellen ins Fediverse, viele Werkzeuge werden nutzer:innenfreundlicher. Das macht Hoffnung auf eine blühende Zukunft ohne Elon Musk – und hoffentlich dann auch gänzlich ohne blauen Haken und Privilegien.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

********************************************************

Grafikquelle :

Oben       —     Inspired by book Shoshana Zuboff — The Age Of Surveillance Capitalism

Abgelegt unter Amerika, APO, Medien, Politik und Netz, Positionen | Keine Kommentare »

Kommerzielle-Staatstrojaner

Erstellt von Redaktion am 29. März 2023

Bidens Verordnung ist nur der erste Schritt

Bidenpetraeus.jpg

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von        :       

US-Behörden dürfen kommerzielle Staatstrojaner nur noch eingeschränkt nutzen. Das ist ein erster Schritt, darf aber nicht der letzte sein. Denn die Probleme mit staatlichem Hacken löst das nicht.

US-Behörden dürfen in Zukunft kommerzielle Staatstrojaner nur noch eingeschränkt nutzen. Das hat US-Präsident Joe Biden am Montag angeordnet. Ein Komplettverbot für die invasiven Hacking-Tools ist es nicht. Vor allem geht es um Staatstrojaner, von denen eine Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA ausgeht oder „ein erhebliches Risiko der missbräuchlichen Verwendung durch eine ausländische Regierung oder eine ausländische Person“. Dazu zählt laut der Anordnung, wenn ein Trojaner gegen US-Bürger:innen eingesetzt wurde oder damit Menschenrechtsverletzungen begangen werden.

Das dürfte das Aus für Staatstrojaner wie Pegasus oder Predator in den USA sein. Wie sie ist kaum ein größeres Trojaner-Unternehmen ohne Skandal. Regierungen überwachen mit den Staatstrojanern Dissident:innen oder setzen sie gegen Medienschaffende ein. Erst letzte Woche wurde bekannt, dass die griechische Regierung eine Managerin von Meta mit US-Staatsbürgerschaft abgehört haben soll. Schon vor zwei Jahren wurde bekannt, dass US-Diplomaten auf der Zielliste von Pegasus standen.

Was die Anordnung Bidens nicht verbietet: All die Hacking-Tools, die US-Behörden selbst entwickeln. Und Staatstrojaner von Herstellern, die noch nicht in autoritären Regimen gefunden wurden und die die USA als vertrauenswürdig einstufen.

Die Branche ist außer Kontrolle

Nicht nur der Pegasus-Skandal hat uns gezeigt: Die kommerzielle Staatstrojaner-Branche ist außer Kontrolle. Bidens Anordnung ist daher ein notwendiger erster Schritt, kann aber nicht der letzte sein.

Wenn wir nach Europa blicken, sehen wir: Ein Stopp für den Ankauf und Einsatz von Staatstrojanern ist überfällig. EU-Staaten hacken und überwachen damit ihre eigene Bevölkerung. Offenbar nicht immer nur, um Terrorist:innen zu fangen. In Polen oder Spanien etwa wurden Staatstrojaner bei politische Opponent:innen gefunden.

Doch selbst wenn alle Trojaner-Hersteller und die sie einsetzenden Regierungen Staatstrojaner stets nur zur Bekämpfung schwerster Verbrechen einsetzen würden: Das Grundproblem mit Staatstrojanern löst das nicht. Was bleibt, sind die Sicherheitslücken, die Hersteller nutzen, um Geräte zu infizieren und auszuspähen. Am wertvollsten dabei sind jene Lücken, die der Öffentlichkeit noch nicht bekannt sind. Und die Hersteller von Geräten und Software deshalb nicht schließen können.

Schwachstellen konsequent schließen

Sicherheitslücken offenhalten, um sie auszunutzen, gefährdet uns alle. Egal, wer das tut. Weder Staaten noch Staatstrojaner-Hersteller haben ein Monopol auf dieses Wissen. Sie können genausogut von gewöhnlichen Kriminellen gefunden und zum Schaden aller ausgenutzt werden. Der Handel mit Sicherheitslücken ist ein Markt. Und wer weiter Geld in dieses System spült, macht sich mitschuldig daran, dass es floriert.

Wenn der Pegasus-Ausschuss im Europaparlament seine Arbeit abschließt und einen Bericht und Empfehlungen vorlegen wird, muss ein Moratorium folgen. Und wir brauchen nicht nur ein Verbot kommerzieller Staatstrojaner, wir brauchen ein Verbot, Sicherheitslücken zu verschweigen – egal ob für staatliche oder kommerzielle Akteure.

Die Ampel hat sich vorgenommen, ein wirksames Schwachstellenmanagement einzuführen. Das darf nur heißen: Es muss verboten sein, Sicherheitslücken offenzuhalten. Alle Lücken, gleich wer sie findet, müssen schnellstmöglich geschlossen werden. Die Haltung von Bundesinnenministerin Faeser dazu ist nicht ganz so klar. Und das ist ein Problem. Die deutsche Regierung sollte es besser machen als die USA und Konsequenzen ziehen. Denn Staatstrojaner, die auf Sicherheitslücken beruhen, gefährden uns alle. Auch den Staat selbst.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

********************************************************

Grafikquelle :

Oben     —     Senator Biden gives his opening statement and questions U.S. Ambassador to Iraq Ryan Crocker and General David H. Petraeus at the Senate Foreign Relations Committee Hearing on Iraq.

Abgelegt unter International, Medien, Politik und Netz, Positionen | Keine Kommentare »

Her mit dem Unterhalt!

Erstellt von Redaktion am 28. März 2023

Unterstützung für Stiefmütter und -väter

Ein Debattenbeitrag von Elsa Koester

Als Stiefmutter trägt unsere Autorin Verantwortung für zwei kleine Menschen – auch finanziell. Doch der Staat behandelt sie, als sei sie kinderlos.

Was stimmt nicht mit meinem Kontostand? Da ist ein Minus, wo doch sonst immer ein Plus war? Ist das die Inflation? Denn meinen Lebensstil habe ich kaum geändert: Dieselbe Wohnung, kein Auto, und Restaurants, Bars und Reisen sind doch viel seltener geworden, seit der … richtig: Seit der Kids! Mein Kontostand leidet, seit ich Stiefmutter geworden bin. Wo ich vorher Miete nur für mein WG-Zimmer zahlte, zahle ich jetzt mehr Miete für eine Vierzimmerwohnung, in der mein Partner, ich und zeitweise die zwei Kinder leben. Wo ich vorher nur für meine Fischstäbchen zahlte, zahle ich jetzt Fischstäbchen für zwei kleine Menschen mit. Und der Staat? Gibt mir nichts dafür! Keine Stiefkinder-Freibeträge, keine Steuererleichterungen. Vom Kindergeld sehe ich nichts. Kinderzuschläge zahlt mir mein Arbeitgeber keine. Denn aus sozialstaatlicher Perspektive bin ich ja: kinderlos. Erklären Sie das mal meinem Konto.

Nun lässt sich das alles ja wunderbar erklären: Die Kinder, für die der Staat Unterstützung zahlt, sind ja nicht mehr geworden, es waren zwei, als sie nur zwei Eltern hatten, und es sind immer noch zwei, jetzt, wo sie zwei Eltern plus eine Stiefmutter haben. Die Freibeträge gelten also weiter für beide Eltern, und das Kindergeld geht an dasjenige „echte“ Elternteil, das das Kind gerade mehr betreut, und Kinderzuschläge gibt es bei den Arbeitgebern der Eltern meiner Stiefkinder eh keine. Ich mag zwar Stiefmutter geworden sein und immer mehr Verantwortung für die Kids tragen, aber finanziell bin ich aus der Elternsache raus: Das für die Kindersorge notwendige Geld landet bei den biologischen Eltern, also sollen sie auch zahlen.

Aber haben Sie mal mit einer Familie zusammengelebt? Das geht ja ungefähr so: Fünf Uhr abends, Heimweg, Whatsapp: „wir brauchen noch Fischstäbchen für heute Abend, ich schaff es nicht, hol noch den Kleinen ab“, „ok kauf ich“, „ah und Ketchup“, „ok“, dann die Stieftochter: „hey hab gehört du gehst einkaufen bitte sushipapier und die geilen onigiri und saft“, „ok“, „kaffee ist auch alle“, und guck mal, der Lieblingsjoghurt vom Kleinen, und ach ja, Klopapier und Olivenöl, zack, 40 Euro für einen ungeplanten Feierabendeinkauf. Und dann drei Tage später noch mal und dann noch mal. Machen Sie dann wirklich eine Liste? „1 Onigiri für Stieftochter, Saft“?

Und dann holen Sie sich das Geld von Ihrem Partner fein säuberlich wieder, wenn dieser gerade mit Kopfschmerzen auf dem Sofa liegt, weil sein Konto seit der Trennung ständig ins Minus rollt am Ende des Monats, seit zwei Eltern plötzlich zwei Wohnungen finanzieren müssen, und nicht mehr nur eine? Ich bringe das nicht übers Herz. Und ich bin ja auch Stiefmutter! Ich trage die emotionale Verantwortung für die kleinen Menschen, mit denen ich jetzt seit drei Jahren zusammenlebe. Warum sollte ich nicht auch finanziell Verantwortung übernehmen? Ich muss nach einer Trennung ja auch keinen Unterhalt für meine Stiefkids zahlen, heißt es. Ja, warum eigentlich nicht?

Das kleine Sorgerecht ist ein Witz: Wer es hat, darf gerade mal die Kleine von der Kita abholen

Mit Zeit. Anerkennung. Und Geld auf dem Konto

Diese Gesellschaft verändert ihr Familienleben. Die Ampelregierung hat das eigentlich längst verstanden: „Familien sind vielfältig. Sie sind überall dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, und brauchen Zeit und Anerkennung“, so steht es im Koalitionsvertrag. In Regenbogenfamilien tun sich häufig drei Eltern für ein Kind zusammen: Zwei Väter und eine Mutter, zwei Mütter und ein Vater. Und auch werdende Hetero-Eltern suchen sich manchmal eine dritte Elternperson, um die Familie für die Kinder zu vergrößern. Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP hat deshalb Pläne: Er möchte das „kleine Sorgerecht“ auf bis zu vier Elternpersonen ausweiten. Vier rechtliche Eltern? Wow!

undefined

Leider ist es so: Außer auf dem Koalitionspapier verändert sich überhaupt nichts. Zum einen ist das „kleine Sorgerecht“ ein Witz: Wer es hat, darf gerade mal die Kleine von der Kita abholen (geht auch so) und entscheiden, was der Kleine auf sein Brot bekommt. Zum anderen geht es da um Rechte, nicht um Geld. Finanzielle Unterstützung der multiplen Elternschaft? Da wartet man bei einer Regierung mit FDP-Beteiligung lange. Auch queere Mütter warten noch immer auf ihr Elterngeld und ihre Kinderfreibeträge – auf die Gleichstellung zu Heteromüttern also.

Den Liberalen geht es weniger um soziale Sicherheit als mehr um liberale Freiheit: Alles muss möglich sein im Zusammenleben, aber bitte ohne Verbindlichkeit, und kosten darf es auch nichts. Ihr wollt zu dritt ein Kind? Bitteschön, wir ermöglichen euch alles, wir sind ja liberal! Aber wie ihr das finanziert bekommt, das schaut doch bitte selbst. Und so ist die Frage der Familiengründung, der Trennung und der Familienneugründung als Patchworkfamilie in dieser Gesellschaft leider weiterhin eine soziale Frage. Wer zu wenig Geld hat, kann keine zwei Wohnungen finanzieren und bleibt womöglich als sich hassendes Elternpaar zusammen. Wer zu wenig Geld hat, kann als Stiefelternteil weniger Verantwortung für die Kinder übernehmen, als sie oder er das vielleicht möchte.

Quelle        :          TAZ-online          >>>>>       weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —          Hänsel und Gretel treffen die Hexe

Abgelegt unter Kultur, Medien, Regierung, Religionen | Keine Kommentare »

Fall Credit Suisse

Erstellt von Redaktion am 28. März 2023

Zitate für die Geschichtsbücher zum Fall Credit Suisse

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von        :      Urs P. Gasche / 

Es gab Schönredner, die heute nicht gern an ihre Aussagen erinnert werden. Und es gab Warner, die jetzt zu wenig zu Wort kommen.

Trotz der weltweiten Finanzkrise von 2008 hatten Behörden und Politiker die Eigenkapitalvorschriften für Banken zu wenig verschärft und unzulängliche Notfallpläne erarbeitet. Das genügte jedoch, dass einige Politiker und Experten der Öffentlichkeit Sand in die Augen streuten und zuliessen, dass Grossbanken mit Hilfe ihrer einflussreichen Lobby noch heute mit Fremd- und Eigenkapital weitgehend unbehindert hochriskante Wettgeschäfte eingehen können – auch unkontrolliert ausserhalb der Börsen (siehe «150 Billionen Franken Spekulationsgelder sind ausser Kontrolle»).

Unter anderem dies führte jetzt zum günstigen Verkauf der Credit Suisse an die Grossbank UBS, um damit «eine internationale Finanzkrise zu verhindern» (Urban Angehrn, Direktor der Finanzaufsicht Finma, am 26.3.2023 in der Sonntags-Zeitung).

Neben verharmlosenden Stimmen fehlten auch warnende nicht, aber die Politik überhörte sie. Infosperber dokumentiert eine Auswahl davon. Die Reihenfolge ist chronologisch und die Quellen geben den Ort der Zitate an.

Einige Verharmloser und Beruhiger

Thomas Jordan, Nationalbankpräsident:

«Um Staaten und Steuerzahler aus der Geiselhaft von Grossbanken zu befreien, gibt es grosse Fortschritte zu verzeichnen. Das betrifft zum Beispiel die Kapitalaufschläge.»

22.11.2012, Tages-Anzeiger

Markus Rohner, Chef Notfallplanung bei der UBS:

«Für die Abwicklungsfähigkeit gibt es ein sehr detailliertes Drehbuch. Es zeigt, wie man das systemkritische Geschäft in der Schweiz weiterführen kann, selbst wenn andere Teile des Konzerns abgewickelt werden müssten.»

6.6.2017, NZZ

Kommission der EU:

Die EU-Kommission zieht ihren Vorschlag für ein Trennbankensystem zurück, wonach die grössten Banken in der EU keinen Eigenhandel mehr hätten betreiben dürfen und diesen in eine selbständige Einheit ausgliedern müssen. Die Mehrheit im EU-Parlament habe argumentiert, dass die Finanzstabilität «mit anderen Massnahmen» angegangen worden sei.

26.10.2017, NZZ

Aymo Brunetti, Wirtschaftsprofessor an der Universität Bern:

«Für die Grossbanken UBS und CS ist das ‹Too big to fail›-Problem stark eingedämmt. Sie können in Konkurs gehen, ohne die ganze Volkswirtschaft mit in den Abgrund zu ziehen […] Bei den Grossbanken sollte technisch nun bald alles aufgegleist sein, dass man sie nicht mehr retten muss.»

1.9.2018, Tages-Anzeiger

Tobias Straumann, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich:

«Bei den Banken ist es recht gut gelungen, die Konsequenzen für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu ziehen, auch wenn man die Anforderungen an die Reserven ruhig noch verschärfen könnte.»

9.10.2022, Tages-Anzeiger

Aymo Brunetti, Wirtschaftsprofessor an der Universität Bern

«Wir befinden uns jetzt in einer fundamental anderen Situation als 2008: Die systemrelevanten Banken sind heute aufgrund der gesetzlichen Regulierung viel widerstandskräftiger. Und es existiert ein Rettungsplan für die systemrelevanten Teile im Falle eines Konkurses […] Dann muss der Staat nicht wieder eingreifen.»

10.10.2022 St. Galler Tagblatt

Stellungnahme von Professor Aymo Brunetti (erst am 27. März um 16.00 Uhr eingetroffen)

Die Frage, wie er heute zu diesem Zitat stehe, beantwortete Brunetti wie folgt:

«Zu dieser Aussage stehe ich. Dank der going concern Vorgaben, das heisst den deutlich erhöhten Kapital- und Liquiditätsvorschriften, wenn die Bank lebt, sind sie heute deutlich widerstandskräftiger. Das heisst nicht, dass sie jede Krise überleben können, aber dass sie deutlich mehr Krisen überstehen können als noch 2008. Ohne diese Vorgaben hätte es wohl schon in der Pandemie Finanzturbulenzen grösseren Ausmasses gegeben und die CS hätte den Sturm vom Herbst 2022 nicht überstanden. Der Rettungsplan für den gone concern, also wenn die Bank stirbt, existiert und ist von der FINMA für die Abspaltung des systemrelevanten Schweizer Teils akzeptiert, aber er wurde nicht aktiviert, weil sich eine weniger destabilisierende Lösung fand, als die Aufspaltung und Abwicklung. Damit hat der Staat in einer Güterabwägung hauptsächlich mit Liquiditätsstützung tatsächlich eingegriffen. Auf jeden Fall braucht es jetzt eine genaue Analyse, inwieweit eine Auslösung des Notfallplanes aus Sicht der globalen Finanzstabilität akzeptabel gewesen wäre und je nach Ergebnis deutliche oder weniger weitgehende, zusätzliche Regulierungen.»

Aufsichtsbehörde Finma und Schweizerische Nationalbankam 15. März, vier Tage vor dem Verkauf der CS an die UBS

«Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA und die Schweizerische Nationalbank SNB informieren, dass von den Problemen gewisser Bankinstitute in den USA keine direkte Ansteckungsgefahr für den Schweizer Finanzmarkt ausgeht. Die für die Schweizer Finanzinstitute geltenden strengen Kapital- und Liquiditätsanforderungen sorgen für die Stabilität der Institute. Die Credit Suisse erfüllt die an systemrelevante Banken gestellten Anforderungen an Kapital und Liquidität.»

15.3.2023, Communiqué der Finma und der Nationalbank

Tobias Straumann, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich, zwei Tage vor der CS-Pleite, nachdem die SNB 50 Milliarden-Franken Liquiditätshilfe sprach:

«Die Credit Suisse hat bis jetzt lediglich eine kurzfristige Liquiditätshilfe – einen Kredit – erhalten […] Die Regulierungen wurden ausgebaut, da haben wir sicher unsere Lehren gezogen […] Ich glaube nicht, dass es zu mehr Regulierungen kommen wird. Es gibt ja – anders als etwa im Nachgang der Finanzkrise von 2008 – kein systemisches Problem. Unter anderem dank den Regulierungen, die damals beschlossen wurden.»

18.3.2023, NZZ

Stellungnahme von Professor Tobias Straumann

Die Frage, wie er heute zu diesem Zitat stehe, beantwortete Straumann wie folgt:

«Während eines Bankruns sollte man nicht Öl ins Feuer giessen, vor allem wenn man nicht weiss, wie schlimm der Bankrun ist. Die Schweizer Behörden haben uns damals mit guten Gründen im Dunkeln gelassen, um die Situation bis zum Wochenende zu stabilisieren.

Weitere Regulierungen bringen meines Erachtens nichts. Man sollte den Leuten endlich mal ehrlich sagen, dass sich Bankenkrisen nicht verhindern lassen. Wir werden früher oder später auch mit der neuen UBS ein Problem haben. Es braucht kein neues Gesetz, sondern einen konkreten Plan, wie man in einer künftigen Krise umgehen muss. Wahrscheinlich muss man die UBS verstaatlichen und zerlegen.»

Etliche Warner

Peter V. Kunz, Wirtschaftsprofessor an der Universität Bern:

«Eine sinnvolle Regulierung der Finanzindustrie erscheint unerlässlich […] Doch ich war lange genug in der Wirtschaftsadvokatur tätig, um aus eigener Erfahrung zu wissen, dass eine detaillierte Regulierung die Rechtsunterworfenen (und deren Berater) umso mehr anspornt, Lücken zu finden oder zu erfinden. Keine Regulierung wird jemals so effizient sein wie die Kreativität der Wirtschaftsjuristen!»

2010, UniPress

Rudolf H. Strahm, früherer Preisübewacher:

«Man muss den spekulativen Eigenhandel der Grossbanken einschränken. Eigenhandel ist volkswirtschaftlich schädlich und dient nur dazu, die Boni der Investmentbanker aufzufetten. Und weiter muss man das Schattenbanking ausserhalb der Banken mit Hedgefonds und anderen hochspekulativen Finanz-Massenvernichtungswaffen der Finanzmarktaufsicht unterstellen. Denn sie stellen heute das global grösste Systemrisiko dar.»

20.9.2011, Tages-Anzeiger

Peter A. Fischer, Wirtschaftsredaktor NZZ:

«Das europaweit zu beobachtende Fehlen des politischen Willens, unsolide Institute abzuwickeln, ist viel gefährlicher als Mängel bei der Aufsicht […] Die Eigenkapitalausstattung der meisten Banken wirkt […] immer noch recht dünn. Bei den Grossbanken beträgt sie nun rund 5 Prozent.»

31.3.2012, NZZ

Harvay Rosenblum, Forschungschef der Federal Reserve Bank of Dallas:

«Die Problematik ‹Too big to fail› ist die grösste Gefahr für den Wohlstand Amerikas […] Die Grösse erhöht die Komplexität und diese dient letztlich der Verschleierung, so dass weder Geschäftsleitung noch Aufsichtsbehörden Schritt halten können. Als Folge davon sind Bilanzen der Grossbanken noch immer voller toxischen Aktiven […] Das Phänomen von ‹Too big to fail› ist eine Abart des Kapitalismus. Die Wahrnehmung, Marktregeln gälten nicht für die Reichen, Mächtigen und gut Vernetzten hat fatale Auswirkungen. Weder Rechenschaft abzulegen noch Verantwortung zu übernehmen, hat nichts mit Kapitalismus zu tun […] Die Lösung, Grossbanken zu verkleinern, ist günstiger als das Festhalten am Status quo.»

19.5.2012, NZZ

Donato Masciandaro, Wirtschaftsprofessor und Regulierungsspezialist an der Mailänder Elite-Universität Bocconi:

«Die Finanzbranche ist zu gross und zu sehr ineinander verwoben. Dagegen müsste man erstens die Finanzwelt kleiner machen und die Hebeleffekte verringern. Weil es unmöglich ist, die Risiken zu messen, muss die Dimension der Finanzaktivitäten verringert werden.»

27.6.2012, NZZ-Beilage

Gar Alperovitz, Professor für politische Ökonomie an der University of Maryland:

«Hochbezahlte Bank-Lobbyisten sorgen dafür, dass Grossbanken nie wirksam kontrolliert werden können wie andere Unternehmen […] Sehr grosse Konzerne (wie Grossbanken) können Regulierungen und Anti-Trust-Gesetze leicht umgehen. Henry C. Simons, führender Vertreter der Chicagoer Schule, sagte schon 1948, dass die meisten Konzerne ihre Grösse nicht damit rechtfertigen können, dass sie eine höhere Produktivität möglich machen. Simons folgerte: ‹Jeder Grosskonzern sollte entweder harten Wettbewerbsbedingungen unterworfen sein oder dann verstaatlicht werden›. Ich erinnere daran, dass die USA General Motors im Jahr 2009 verstaatlicht haben (Heute gehört GM mehrheitlich Investmentgesellschaften wie Blackrock, Vanguard u.a. Red.). Auch die AIG, eine der grössten Versicherungskonzerne, wurde nationalisiert (Heute gehört GM mehrheitlich Investmentgesellschaften wie Blackrock, Vanguard u.a. Red.).»

23.7.2012, New York Times

Rudolf H. Strahm, früherer Preisübewacher:

«Gewerkschafter Corrado Pardini und Christoph Blocher schlagen gemeinsam eine Trennung der Bankgeschäfte vor: in eine Geschäftsbank, welche die Volkswirtschaft mit Krediten versorgt, und eine Investmentbank, die spekulative Geschäfte mit Derivaten und Devisengeschäften abwickelt. Die USA praktizierten dies von 1933 bis 1999.»

17.9.2013, Tages-Anzeiger

Marc Chesney, Finanzprofessor an der Universität Zürich:

«Grossbanken sind zu wenig reguliert und in ein hochriskantes Wett-Casino verstrickt. Sie sollten im Rahmen eines Trennbankensystems in Investment- und Geschäftsbanken aufgetrennt werden. Die Eigenkapitalanforderungen für Banken sollten mindestens 20 bis 30 Prozent betragen. Over-the-Counter-Transaktionen sollten verboten sein. Sie schaffen zusätzliche Risiken. Derivative Produkte sollten über organisierte Börsen mit zentraler Clearingstelle gehandelt werden, wo sie kontrolliert, registriert und öffentlich gemacht würden. Der Kauf eines CDS (zur Risikoabsicherung) sollte das Halten eines darauf basierenden Wertschriftentitels bedingen. Rating-Agenturen sollten unter öffentlicher Kontrolle stehen.»

10.10.2013, Infosperber

Martin Hellwig, Direktor des Max-Planck-Instituts und Autor des Buches «Des Bankers neue Kleider»:

«Die neuen Mindestanforderungen der Banken nach ‹Basel III› sind völlig ungenügend, Banken sollten eine ungewichtete Eigenkapitalquote von 20 bis 30 Prozent vorweisen müssen.»

19.11.2013, Tages-Anzeiger

Martin Hellwig, Direktor des Max-Planck-Instituts und Autor des Buches «Des Bankers neue Kleider»:

«Die deutlich erhöhten risikogewichteten Eigenkapitalquoten sind manipulierbar […] Ganz wichtige Risiken werden überhaupt nicht erfasst […] Beispielsweise haben Kredite an Regierungen, also Staatsanleihen, die auf die lokalen Währungen lauten, ein Risikogewicht von null.»

29.8.2014, Tages-Anzeiger

Mark Dittli, Chefredaktor der «Finanz und Wirtschaft»:

«Es ist eine Utopie, dass man Banken einfach untergehen lassen kann wie jedes andere Unternehmen. Sie geniessen eine implizite Staatsgarantie […] Die beste Regulierung ist eine überdurchschnittlich robuste Eigenkapitaldecke. Sie wird an der Börse belohnt.»

Mark Dittli, Chefredaktor der «Finanz und Wirtschaft»

Robert U. Vogler, ehemaliger Pressesprecher der SGB (heute UBS):

«Wer glaubt, man könne im Zeitalter des weltweiten computergestützten Börsenhandels, rund um die Uhr, in letzter Minute noch einen Schutzschild vor den systemrelevanten Banken aufbauen, irrt gewaltig […] Ein Sockel massiver Eigenmittel ist dringende Voraussetzung für solide Banken (wohl mindestens ungewichtete 10 Prozent, besser noch etwas darüber).»

20.11.2015, NZZ

Neel Kashkari, Präsident der Federal Reserve Bank of Minneapolis:

«Genügend hohe Eigenkapitalpolster sind der einzige sichere erprobte Wert im Kampf gegen Krisen. Ich schlage eine ungewichtete Eigenkapitalquote von 25 Prozent vor.»

19.2.2016, NZZ / New York Times

Thorsten Polleit, Chefökonom von Degussa Goldhandel und Honorarprofessor an der Universität Bayreuth:

«In den Bilanzen der Banken in Europa stehen Verbindlichkeiten über rund 5400 Milliarden Euro, während deren liquide Mittel auf den Konten bei der EZB lediglich 680 Milliarden Euro betragen […] Das Problem ist so gross, dass es sich nicht mit den ‹bail-in›-Regeln lösen lässt.»

15.4.2016, NZZ

Hans Gersbach, Makroökonomie-Professor an der ETH Zürich:

«Es ist eine absolute Illusion zu glauben, dass sich internationale Grossbanken wie die UBS oder die Credit Suisse in einer Krise geordnet beerdigen lassen.»

21.12.2016, NZZ

Didier Sornette, Professor für Entrepreneurial Disks an der ETH Zürich:

«Ein wahnhafter Glaube an endloses Wachstum hat zu einer extremen Abhängigkeit der Realwirtschaft von der Finanzwelt geführt.»

9.8.2017, NZZ

Michael Ferber, Börsenredaktor der NZZ:

«Es ist davon auszugehen, dass der Markt auch zehn Jahre nach dem Beginn der Finanz- und Schuldenkrise voll ist mit komplexen, wenig transparenten Finanzinstrumenten […] Die Finanzhäuser verdienen an diesen komplexen und exotischen Instrumenten gut, weil sie diese bei Kunden als Innovation vermarkten und die Kosten verschleiern können.»

8.2.2018, NZZ

Hansueli Schöchli, NZZ-Wirtschaftsredaktor:

«Notfallpläne bedeuten nicht, dass sie in der Krise auch sicher funktionieren würden […] Aber es mag bedeuten, dass die Notfallpläne unter Umständen mit einer Wahrscheinlichkeit von deutlich mehr als 10 oder 20 Prozent funktionieren könnten.»

26.2.2020, NZZ

Monika Roth, frühere Bankverein-Vizedirektorin und dann Professorin für Compliance und Finanzmarktrecht an der Hochschule Luzern:

«Die CS-Skandale sind ein Desaster für den Schweizer Finanzplatz. Es ist völlig unklar, ob die Bank sich wieder aufrichten kann … Leider ist heute sogar die Abwicklung ein realistisches Szenario.»

31.7.2022, Blick

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —    Occupy movement at Paradeplatz in Zürich (Switzerland)

Abgelegt unter Europa, Finanzpolitik, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Xi Jinping in Moskau

Erstellt von Redaktion am 26. März 2023

Eine bessere Welt durch geteilte Zukunft

Putin-Xi meeting (2023).jpg

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Die Begenung von Xi Jinping und Vladimir Putin in Moskau war so spektakulär, dass sie von den parteihörigen Medien nicht unter den Teppich gekehrt werden konnte. Also gab es wilde Spekulationen und Phantasien über das Warum der Begegnung, ohnerichtig hinzuhören oder nachzulesen, was dort wirklich gesagt und getan worden ist. Man krallte sich lieber und wie immer an eigene Vorurteile.

Entgegen der westlichen Behauptung, dass bei dem Treffen das Thema Ukraine kaum oder nur am Rande angesprochen worden sei, haben Xi und Putin eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet und veröffentlicht, wonach die Krise in der Ukraine durch Dialog gelöst werden soll. Putin bekräftigte seine Bereitschaft, so schnell wie möglich einen Dialog mit der Ukraine aufzunehmen, und Xi betonte zum wiederholten Mal,dass er immer für einen Dialog eingetreten ist. Warum schweigen die westlichen Medien über dieses wichtige Ergebnis der Begegnung?

Über das eigentliche Thema der Begegnung schweigen sich die Politik und Medien ganz aus oder äußern sichnur verächtlich: die Friedenspolitik von Xi Jinping. Nachder Ankündigung auf der MünchnerSicherheitskonferenz und der Veröffentlicheung der GSI (Globale Sicherheitsinitiative) am 24. Februar und vo rdem Hintergrund der diplomatischen Vermittlung zwischen Iran und Saudi-Arabien demonstrierte Xi ohne Umschweif die schon deutlich gewordene Multipolarität der Weltordnung im Gegensatz zur Hegemonie der USA. China positioniert sich klar für eine bessere Welt durch eine geteilte Zukunft aller Menschen und Völker.

Anders als die USA, die jedes Problem und jeden Konflikt mit Waffengewalt angegangen und dann jämmerlich gescheitert sind, will China der Menschheit zu einer friedvollen, geteilten Zukunft verhelfen und kann das auch durch Taten belegen. Alle Realisationen im Rahmen der alten und der neuen Seidenstrasse sind friedvoll und zum Nutzen beider Vertragspartner. Die markantesten Beispiele in Europa sind Duisburg und Piräus als zukunftsrächtige Infrastrukturmaßnahmen zum Wohl der lokalen und regionalen Volkswirtschaft.

Sehen wur hier das wirkliche Foto aus Moskau ?

Das ist für China der Lösungsansatz für dieHerausforderungen in unserer Welt und für eine bessere Zukunft durch konzertierte Aktionen einer internationalen Gemeinschaft. „Das gemeinsame Interesse derMenschheit ist eine in Frieden geeinte und nicht geteilte und volatileame Welt“, sagt Xi seit nunmehr zehn Jahren. Und keiner im Westen hörte hin.So nutzt Xi die Bühne in Moskau, um deutlich zumachen, dass China mit befreundeten Staaten einen harmonischen Gegenpol zur Hegemonie der USA und ihrer Vasallen im Weltgeschehen bildet. Dabei ist das Leitmotiv einer Menscheit mit geteilter Zukunft so neu nicht, wenn man an Karl Marx mit seiner Aufforderungdenkt: Bürger aller Länder vereinigt euch! Und die Forderung nach Harmonie ist der chinesischen Kultur seit Konfuzius eigen. Die Gedanken dieser beidenAutoren sind heute Grundsäulen chinesischer Politik. Seit Moskau ist klar, dass die Weltornung nur noch multipolarkonzertiert wird und hoffentlich für eine bessere Welt mitgeteilter Zukunft.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —      President of the People’s Republic of China Xi Jinping meets with President of Russia Vladimir Putin at the official welcoming ceremony in the Grand Kremlin Palace in Moscow.

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Asien, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Politik und Banken

Erstellt von Redaktion am 25. März 2023

 Beruhigende Worte von Scholz und Macron sind wenig wert

File:2021-08-21 Olaf Scholz 0309.JPG

Es war immer schwer politischen Trollen zuzuhören, welche von Banken rein gar nichts verstehen – ansonsten wären sie Banker geworben.

Quelle      :        INFOsperber CH.

Urs P. Gasche /   

Um das Vertrauen in Grossbanken zu bewahren, müssen Behörden und Banker lügen. Sie würden lieber das labile Geldsystem fixieren.

Nach dem Zwangsverkauf der Credit Suisse an die UBS «herrscht nach wie vor Unsicherheit an den Börsen», meldete gestern Freitag, 24. März, die Schweizer Tagesschau. Die Aktien der Deutschen Bank beispielsweis hätten am Freitag 8,5 Prozent ihres Wertes verloren. Die Regierungschefs würden «versuchen zu beruhigen».

In Brüssel versammelte Regierungschefs sahen sich veranlasst, die Öffentlichkeit am Fernsehen zu beruhigen.

Olaf Scholz erklärte in der ARD-Tagesschau:

«Die Deutsche Bank hat ihr Geschäft grundlegend modernisiert und neu organisiert und ist eine sehr profitable Bank. Es gibt keinen Anlass, sich irgendwelche Gedanken zu machen.»

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zur gleichen Zeit im Fernsehen:

«Wir haben aus vergangenen Krisen gelernt. In der Eurozone sind die Banken heute am Solidesten, weil sie die Vorgaben für Solvenz und Liquidität, die nach der Finanzkrise von 2008 entstanden, am Gewissenhaftesten befolgen.»

Wie hiess es doch zum Kollaps der Credit Suisse: Sie habe überhaupt keine Liquiditätskrise gehabt. Es seien vielmehr die gestiegenen Zinsen gewesen, Probleme von US-Banken und Gerüchte in Social Media, welche die Grossbank ins Schleudern gebracht hätten.

Falls dies zutrifft, wäre dies ein Beleg dafür, auf wie wackeligen Füssen das gesamte Finanzsystem beruht. Denn steigende Zinsen waren längst vorauszusehen. Ebenso, dass etwa in den USA, Italien, Spanien oder Griechenland einzelne Banken ins Taumeln kommen können. Und Gerüchte in Social Media sollten abermilliardenschweren Grossbanken wohl nichts anhaben können.

Doch dies ist offensichtlich tatsächlich möglich, weil das Bankensystem ein klappriges Kartenhaus ist, das auf nahezu blindes Vertrauen der Sparer, Anleger und Investoren angewiesen ist. Aus diesem Grund dürfen Regierungen, Behörden – und natürlich auch die Banken selbst – nie reinen Wein einschenken.

Auch zu viele Experten befolgen dieses Gebot und warnen nicht rechtzeitig, wenn sie Schwachstellen und Gefahren analysieren. In der ARD-Tagesschau äusserte sich Hans-Peter Burghof, Finanzökonom an der Universität Hohenheim:

«Ich sehe keinen Grund für eine allgemeine Bankenkrise […] Die Banken werden von den Märkten schlecht behandelt.»

Vielleicht haben Experte Burghof, Macron und Scholz recht. Es wäre jedenfalls zu hoffen.

Aber ihre beruhigenden Worte sind nichts wert, weil sie auch so reden müssten, fallls es wirklich ernsthafte Anzeichen einer Bankenkrise gäbe.

Aus diesem Grund sollten die Medien solch beruhigende Aussagen von Behörden, Experten und Banker nicht zum Nennwert weiterverbreiten, sondern stets darauf hinweisen, dass keiner dieser Exponenten je die Wahrheit sagen würde, falls am Bankenhimmel düstere Wolken aufziehen.

Erst nach einem Kollaps können alle Fehler und vergangenen Warnzeichen aufgezählt werden.

Das Vertrauen, das nicht erschüttert werden darf

Das fast blinde Vertrauen in Grossbanken – und damit das Schönreden – muss heute aus folgenden Gründen unzumutbar gross sein:

  • weil Grossbanken nur fünf Prozent ihrer Milliarden-Verpflichtungen mit Eigenkapital gedeckt haben. Es braucht deshalb nur wenige Gross- oder Kleinkunden, die ihre Guthaben in kurzer Zeit zurückziehen.
  • weil Grossbanken mit ihrem eigenen bescheidenen Kapital und mit Kundengeldern hochspekulative Wettgeschäfte betreiben, deren Exzess der computerisierte Millisekunden-Handel darstellt.
  • weil Grossbanken viele riskante Geschäfte über Schattenbanken abwickeln. Weltweit seien 150 Billionen Dollar in spekulative Geschäfte investiert, die ausserhalb der Bilanzen und ohne jegliche Kontrollen abgewickelt würden, erklärte Finanzjournalistin und Buchautorin Myret Zaki in der Sendung «Infrarouge» des Westschweizer Fernsehens. Die Nominalwerte von sogenannten Derivaten, darunter unzählige sogenannte strukturierte Produkte, würden jetzt bei der UBS und CS zusammen etwa das Vierzigfache des Schweizer Bruttoinlandprodukts erreichen. Das sagte der Zürcher Finanzprofessor Marc Chesney in der gleichen Sendung.

Manifestation - Besançon - réforme des retraites - 19-01-2023 - Toufik-de-Planoise.jpg

Massnahmen die sich aufdrängen, damit fehlendes Vertrauen nicht so rasch zu einem Crash führt

Professor Chesney hat notwendige Massnahmen bereits vor zehn Jahren auch auf Infosperber aufgezählt. Keine davon wurde seither umgesetzt. Sie drängen sich mehr denn je auf, damit die Märkte wieder normal funktionieren:

  1. Die Eigenkapitalanforderungen für Banken sollten mindestens 20% bis 30% betragen.
  2. Die Banken sollten im Rahmen eines Trennbankensystems in Investment- und Geschäftsbanken aufgetrennt werden, wie dies durch den Glass-Steagall Act von 1933 während Jahrzehnten der Fall war und womit durchaus eine gewisse ökonomische Stabilität gewährleistet werden konnte.
  3. Die Finanzprodukte sollten, bevor sie auf den Markt kommen, zertifiziert werden, so wie dies bei anderen Produkten der Fall ist, wie zum Beispiel im Industrie-, Nahrungs- und Pharmasektor. Die Finanzüberwachungsbehörden sollten für die Vergabe solcher Zertifikate verantwortlich sein. Auf diese Weise würde die Verbreitung «giftiger» Produkte begrenzt.
  4. Die Verbriefungs-Praktiken sollten eingegrenzt werden.
  5. Die Verbreitung «giftiger» Produkte sollte ein Finanzdelikt darstellen, so wie es in allen anderen Wirtschaftszweigen der Fall ist oder zumindest sein sollte. Es würde sich um eine Straftat handeln, welche die wirtschaftliche und finanzielle Sicherheit verletzt.
  6. Das riesige Volumen von Derivaten erzeugt Systemrisiken für die Wirtschaft. Es sollte kontrolliert und drastisch reduziert werden. So könnte man vermeiden, dass die Absicherung bestimmter Produkte zu Wetten auf den Zusammenbruch von Unternehmen werden. Das ist bei den Kreditderivaten Credit Default Swaps oder CDS der Fall. Die meisten sichern keine Risiken ab, sondern sind reine Wettgeschäfte.
  7. Der Kauf eines CDS sollte das Halten eines darauf basierenden Wertschriftentitels voraussetzen, der gegen Verlust abgesichert werden soll.
  8. Die Aktivitäten von Hedge-Fonds oder von Private-Equity-Fonds sollten kontrolliert werden.
  9. Für die Führungskräfte von Banken sollten die Entschädigungssysteme auf der Grundlage von Bonuszahlungen durch Systeme ersetzt werden, die auch wirkliche Bestrafungen (malus) beinhalten. Heute sind es Aktienoptionen und hohe Abfindungen, die den Anreiz zum Eingehen von Risiken schaffen, die letztlich von anderen Teilen der Gesellschaft getragen werden: von Aktionären, Kunden, Arbeitnehmern, Rentnern und schliesslich von den Steuerzahlenden.
  10. Die Effektivität des Risikomanagements und des Risiko-Controllings der Banken sollte stark verbessert werden. Boni für Risiko-Controller wären viel nützlicher als solche für Händler.
  11. Eine Mikrosteuer auf allen elektronischen Zahlungen sollte eingeführt werden. Es geht nicht nur darum, dem Staat mehr Geld zukommen zu lassen, sondern darum, die Spekulation und die Volatilität durch Verteuerung einzudämmen. Wettgeschäfte mit High Frequency Trading würden dadurch begrenzt. (Siehe Dossier Mikrosteuer auf alle Geldflüsse.)
  12. Die Grösse der Banken sollte begrenzt werden. Das Problem des «too big to fail» ist gefährlich, weil es falsche Anreize erzeugt. Finanzinstitute gehen Risiken ein, ohne deren Konsequenzen tragen zu müssen, weil der Steuerzahler im Notfall zur Kasse gebeten wird. Es handelt sich dabei um eine Gratisversicherung auf Kosten der allgemeinen Bevölkerung statt auf Kosten der Verantwortlichen.
  13. Rating-Agenturen sollten unter öffentlicher Kontrolle stehen, weil ihre Macht der demokratischen Funktionsweise der Staaten schadet. Die 2008-Finanzkrise hat gezeigt, dass sie gescheitert sind, da sie Zombi-Banken mit guten Noten bewertet haben. Sie wurden von diesen Geschäftsbanken dafür gut entlöhnt.
  14. Der Inhalt des Unterrichts in Volkswirtschaftslehre und Finance muss gründlich überprüft werden.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —     Olaf Scholz, Politiker (SPD) – Zur Zeit Vizekanzler und Bundesminister der Finanzen der Bundesrepublik Deutschland. Außerdem ist er Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl 2021. Hier während einer SPD-Wahlkampfveranstaltung im August 2021 in München. Titel des Werks: „Olaf Scholz – August 2021 (Wahlkampf)“

Abgelegt unter Europa, Finanzpolitik, Medien, Positionen, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Den Kapitalismus kapiert

Erstellt von Redaktion am 23. März 2023

Das Guru-Business von Sahra Wagenknecht

Von Ambross Waibel

Sahra Wagenknecht ist ein wirtschaftlich erfolgreicher Guru. Die Partei Die Linke dagegen, der sie immer noch angehört, ist ein erledigter Fall.

Sahra Wagenknecht hat den Kapitalismus kapiert: Voraussetzung für erfolgreiches Unternehmertum ist immer, dass die eigenen, privat­wirtschaftlichen Aktivitäten möglichst lange üppig öffentlich subventioniert werden, möglichst ohne dass dafür eine Gegenleistung erbracht wird. Rund 750.000 Euro hat sie im vergangenen Jahr zusätzlich zu ihren Diäten eingenommen, wie zuerst der Spiegel berichtete. Der hatte vorher schon Wagenknechts Bundestagschwänzen pingelig recherchiert, sie war halt oft krank, und dann gab es, sagt sie, eben so „terminliche Kollisionen“ mit ihrem, sorry echt, Business, wie gesagt: Sie hat es verstanden.

Eine solche Diversifizierung der Einnahmequellen wird einem beim Start in die Selbstständigkeit auch von den entsprechenden Beratungs­stellen in den Businessplan reingeschrieben. Und inzwischen kann Wagenknecht selbstbewusst sagen: „Ich kann mir auch eine Perspektive als Schriftstellerin und Publizistin vorstellen.“ Mit anderen Worten, Richtung „ihrer“ Partei und denen, die sie gewählt haben: Danke, ihr Penner – für nichts!

Wobei man eben sehen muss, dass Wagenknecht nicht anders unterwegs ist als ein Guru, ähnlich dem guten alten Bhagwan. Dessen Sek­ten­an­hän­ge­r:in­nen fanden auch nichts dabei, wenn der Meister im Rolls-Royce vorfuhr – warum auch? Der Guru sorgt dafür, dass Menschen in einem Parallel­universum ihr Zuhause finden. Und wenn es ihnen dann erwartungsgemäß zerbröselt, dann suchen sie sich die nächste Gelegenheit zur Realitäts­flucht samt charismatischer Figur, von der sie sich betrügen lassen können: Denn die Verletzungen, die sie in der wirklichen Welt erfahren, sind viel schlimmer für sie als aller gefährlicher Quatsch, den die Wagenknechte dieser Welt sich ausdenken können.

Bundesparteitag DIE LINKE (35217549085).jpg

Wer den Kapitalismus nicht kapiert hat, ist die Linkspartei. Dabei dichtete schon der von Sahra Wagenknecht geschätzte Brecht: „Das Geld ist gut. Auf das Geld gib acht! Hast du Geld, musst du dich nicht beugen!“ Und die Linke muss sich beugen. Wer mit Menschen, die durch ihr Engagement in der Linken ihren Lebensunterhalt bestreiten, zu tun hat, der hört oft den Satz: Ach ja, die Sahra, die Wagenknecht, schlimm –, natürlich will ich da raus aus dieser schrecklichen Partei, aber ich hab halt noch keinen anderen Job. So schlicht ist es eben manchmal. Dass Wagenknecht die Linke als Tanzbären herumführt und damit sehr gut verdient, schadet ihr nicht, auch nicht moralisch; es schadet ausschließlich der Partei, die sie gewähren lässt, es macht sie moralisch ungeil, es riecht nach Feigheit und Verzweiflung.

WG-Streitigkeiten der 70er

Die ganze Wagenknecht-Diskussion ist im Grunde steril, erinnert in ihrer unendlich zähen Dumpfheit an WG-Streitigkeiten der 1970er Jahre: Einer hat geerbt, will ausziehen, aber die andern haben keine Kohle für die Kaution und quengeln rum.

Quelle          :          TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben       —     Karl Marx, The Prophet

Abgelegt unter Berlin, Medien, P. DIE LINKE, Positionen, Überregional | Keine Kommentare »

Banken und Politik

Erstellt von Redaktion am 22. März 2023

Die Silicon Valley Bank als das schwächste Glied

Der Hauptsitz der Silicon Valley Bank in Santa Clara, Kalifornien (2023).

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Tomasz Konicz

Die aktuellen Verwerfungen in der Finanzsphäre bilden nur das jüngste Kapitel der spätkapitalistischen Systemkrise.

Auf ein Neues? Der Zusammenbruch der Hausbank der IT-Industrie, der kalifornischen Silicon Valley Bank (SVB),1 scheint auf den ersten Blick eine neue Finanzkrise einzuleiten, die Erinnerungen an den Zusammenbruch der transatlantischen Immobilienblase in den Jahren 2007-09 wachruft.2 Mit dem kurz zuvor in Abwicklung übergegangenen Finanzinstitut Silvergate Capital, das sich auf Kryptowährungen spezialisierte, sowie der ebenfalls strauchelnden Signature Bank, droht dem gesamten Finanzsystem ein Flächenbrand, der durch eine umfassende Intervention der US-Politik – die in den vergangenen Jahrzehnten reichlich Erfahrungen beim Krisenmanagement sammeln konnte – abgewendet werden soll.3

Diese Bankenkrise schien somit zuerst vor allem Geldinstitute mit Verbindungen zur IT-Branche zu erfassen. Die SVB spezialisierte sich darauf, Startups der kalifornischen Technikbranche zu finanzieren. Die Bank geriet in Schieflage, nachdem sie Verluste im Umfang von 1,8 Milliarden Dollar beim Verkauf von Wertpapieren akkumulierte.4 Nachdem eine Notkapitalerhöhung gescheitert war und die Bank faktisch zahlungsunfähig wurde, übernahm die Absicherungs- und Aufsichtsbehörde „Department of Financial Protection and Innovation (FDIC) die Kontrolle über das Finanzinstitut. Die Krypto-Bank Silvergate Capital, die ebenfalls neue Technikunternehmen finanzierte, befindet sich ebenso in Liquidation.

US-Präsident Joe Biden und Finanzministerin Janet Yellen gaben sich in ersten öffentlichen Reaktionen alle Mühe, die derzeitigen Krisenmaßnahmen von der Herangehensweise Washingtons nach dem Platzen der Immobilienblase 2008 klar abzugrenzen.5 Yellen schloss eine staatliche Rettung der betroffenen Banken, ähnlich den berüchtigten Bailouts während der Finanzkrise 2008, in einem Fernsehinterview kategorisch aus. Das Bankensystem sei wirklich sicher und widerstandsfähig, erklärte die Finanzministerin unter Verweis auf die Finanzmarktreformen und zusätzlichen Regelungen, die in Reaktion auf die Finanzkrise 2008 implementiert worden sind – obwohl die Trump-Administration einen Teil dieser Regelungen wieder ausgesetzt hat.6

Präsident Biden versicherte in einer Ansprache, dass die US-Bürger sich auf ihr Finanzsystem verlassen könnten, da alle Bankkunden Zugang zu ihren Ersparnissen erhalten würden. In den Vereinigten Staaten sichert die FDIC Einlagen bis zu 250.000 US-Dollar ab, doch Biden kündigte an, alle Bankguthaben in unbegrenzter Höhe abzusichern und deren Auszahlung zu garantieren. Hierdurch will Washington offensichtlich einen Bankensturm verhindern. Der US-Präsident versprach, dass dem Steuerzahler infolge dieser Krisenmaßnahmen keinerlei Kosten entstehen würden, da der Einlagensicherungsfonds, in den die Finanzinstitute einzahlen, hierfür verantwortlich sei. Die Investoren hingegen, die in die betroffenen Finanzinstitute Kapital investiert hätten, seien ein Risiko angegangen und müssten nun ihre Verluste tragen. Das Management der in Abwicklung übergehenden Banken solle zudem entlassen werden, so der US-Präsident.

Die konkreten Krisenmaßnahmen Washingtons fallen indes bei Weitem nicht so populistisch aus, wie es der US-Präsident bei seiner Ansprache versprach. Washington muss dem strauchelnden Bankensektor irgendeine Art von Rettungsanker zuwerfen, um eine unkontrollierbare Eskalation zu vermeiden, wie sie nach der Pleite der Großbank Lehman Brothers 2008 in Form des “Einfrierens” der Finanzsphäre sich entfaltete (Die Kreditvergabe im Interbankenhandel kam damals nahezu zum Erliegen, da die Finanzmarktakteure sich untereinander nicht mehr trauten).7

File:Silicon Valley Bank, Temple, Arizona.jpg

Die Rettungsschnur, die von der Krisenpolitik diesmal dem zerrütteten spätkapitalistischen Finanzsektor zugeworfen wird, trägt den klangvollen Namen Bank Term Funding Program (BTFP).8 Im Kern handelt es sich hierbei um ein Kreditprogramm der US-Notenbank, im Rahmen dessen Banken auch bei manifesten Marktturbulenzen gegen Sicherheiten schnell mit Notkrediten versorgt werden sollen, um Zahlungsausfälle und Liquiditätsengpässe im Finanzsektor zu verhindern. Als Sicherheiten sollen von den Banken vor allem Staatsanleihen, aber auch hypothekenbesicherte Wertpapiere hinterlegt werden können. Der Clou an der ganzen Sache: die Papiere sollen zu ihrem Nennwert, nicht zu ihrem derzeitigen Marktwert als Sicherheiten fungieren.9 Für gewöhnlich müssen Banken ihre Wertpapiere zum Marktwert als Sicherheit hinterlegen, wenn sie von der Notenbank zusätzliche Liquidität erhalten wollen. Die Notenbank setzt somit faktisch den Marktmechanismus außer Kraft, um den zerrütteten Finanzsektor zu stabilisieren. Überdies können Banken das als Diskontfenster bezeichnete Krisenprogramm der Notenbank nutzen, bei dem Anleihen ohne die üblichen Abschläge als Sicherheiten für Kredite hinterlegt werden können.

Staatsanleihen werden, ähnlich wie Aktien, zu einem Marktwert gehandelt, der von ihrem Nennwert bei deren Begebung abweichen kann. Zinsentwicklung und Marktwert der Staatsanleihen verhalten sich dabei umgekehrt proportional. Bei sinkenden Zinsen steigen die Kurse der Anleihen. Umgekehrt verhält es sich bei einem steigenden Zinsniveau, bei dem die Anleihekurse sinken. Und dies ist ja auch logisch: Anleihen, die in einer Phase von Niedrigzinsen begeben worden sind, verlieren aufgrund ihrer niedrigeren Verzinsung in einer Hochzinsphase an Marktwert. Und genau diese Hochzinsphase, die die Notenbanken zwecks Inflationsbekämpfung angeleitet haben, hat zu einem massiven Wertverlust von Staatsanleihen geführt.

Abweichungen zwischen Nennwert und Marktwert von Staatsanleihen sind so lange unproblematisch, wie diese nicht vorzeitig veräußert werden müssen. Staatsanleihen werden ja für gewöhnlich als sichere Anlagen für niedrig verzinste, langfristige Investitionen verwendet. Problematisch wird es nur, wenn Banken aufgrund von Liquiditätsengpässen diese Wertpapiere vorzeitig in einer Hochzinsphase abstoßen müssen. Bei der im Silicon Valley tätigen SVB, wo besonders viele Unternehmen unter der Hochzinspolitik der Fed leiden und überdurchschnittlich oft auf ihre Einlagen zurückgreifen müssen, war gerade dies der Fall. Es waren somit verlustreiche Notverkäufe von US-Staatsanleihen,10 die zur Pleite der SVB führten. Gerüchte über Liquiditätsprobleme bei der IT-Bank lösten dann einen Bankensturm aus, bei dem Kunden binnen eines Tages 42 Milliarden Dollar abhoben.11

Die kalifornische IT-Bank bildete somit nur das schwächste Glied in einem labilen Finanzsektor, da sehr viele Finanzinstitute sich in einer ähnlichen Zwangslage befinden. Sie halten Unmengen von Staatsanleihen in ihren Bilanzen, die aufgrund der Inflationsbekämpfung der Notenbanken rasch an Wert verlieren. Wie groß ist das Problem? Die potenziellen Verluste bei Anleihen, die durch die zunehmende Diskrepanz zwischen Nennwert und Marktwert entstehen könnten, summieren sich laut der Financial Times gegenwärtig allein in den USA auf rund 600 Milliarden Dollar.12

Inzwischen zeichnen sich weitere Krisenkandidaten ab, wie etwa die US-Bank First Republic, die von mehreren Großbanken mit einer Liquiditätsspritze von 30 Milliarden Dollar stabilisiert werden musste.13 Zugleich griffen US-Banken massiv auf die Krisenkreditprogramme der US-Notenbank zurück. Die Fed pumpte über ihr Diskontfenster in einer Woche 152 Milliarden Dollar in den Finanzsektor, womit der bisherige wöchentliche Rekordwert von 111 Milliarden, kurz nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers 2008 erreicht, klar überboten wurde.14 Zum Vergleich: in der Woche vor der Pleite der Silicon-Valley-Bank haben US-Finanzhäuser nur 4,58 Milliarden Dollar über das Diskontfenster der Fed beansprucht.

Somit sind die massiven Wertverluste von Bankaktien in den vergangenen Tagen nur Ausdruck des akkumulierten Krisenpotentials, das zu einer entsprechenden Kapitalflucht führt. Der drohende Bankrott der Credit Suisse zeigt überdies, dass dieses latente Krisenpotenzial nicht auf die USA beschränkt ist. Die Aktien des angeschlagenen Schweizer Bankhauses sind regelrecht eingebrochen, es leidet unter massivem Kapitalabfluss,15 sodass es sich genötigt sah, bei der Schweizer Notenbank um ein “Zeichen der Unterstützung” zu ersuchen.16 Die Schweizer Währungshüter ließen sich nicht lumpen: 50 Milliarden Franken werden in das marode Finanzhaus gepumpt, um es vorläufig zu stabilisieren. Auch bei der eidgenössischen Nobelbank handelte es sich gewissermaßen um ein angeschlagenes Finanzinstitut, das im Gefolge einer Reihe von Skandalen und schlichten kriminellen Machenschaften schon vor einiger Zeit in schweres Fahrwasser geriet.

Damit scheint sich ein wichtiger Unterschied zwischen den gegenwärtigen Verwerfungen und dem Krisenschub von 2007-09 abzuzeichnen. Die große transatlantische Immobilienspekulation ging ja mit der massenhaften Emittierung zwielichtiger Subprime-Hypothekenverbriefungen einher, die nach dem Platzen der Blase ab 2007 sich als toxisch erwiesen und das Weltfinanzsystem gefährdeten. Diesmal sind es biedere, als risikolos geltende Staatsanleihen, die den betroffenen Banken zum Verhängnis zu werden drohen. Diese Papiere werden nicht zwecks Spekulation gekauft, wie es bei den zu “Wertpapieren” gebündelten Hypotheken während der Immobilienblase der Fall war, sondern als Sicherheiten – gerade in unsicheren Zeiten.

Und dennoch: Eigentlich handelt es sich bei diesem jüngsten „Finanzbeben“ bloß um das neuste Kapitel eines lang anhaltenden, systemischen Krisenprozesses,17 bei dem sich latente und manifeste Stadien abwechseln.18 Der starke Wertverfall bei Staatsanleihen ist einfach darauf zurückzuführen, dass sehr viele dieser Wertpapiere in einer lang anhaltenden Phase sehr niedriger Zinsen emittiert worden sind. Mit kurzen Unterbrechungen befand sich das Weltfinanzsystem seit 2008, seit dem Platzen der Immobilienblasen in den USA und der EU, in einer historisch einmaligen Nullzinsphase. Mit dieser Politik des „billigen Geldes“ haben die Notenbanken die Finanzsphäre stabilisiert, wobei die Nullzinspolitik mit umfassenden Aufkäufen von Schrottpapieren, den erwähnten, „toxischen“ Hypothekenverbriefungen, einherging.

Die Notenbanken sind somit zu Sondermülldeponien des Weltfinanzsystems verkommen, was an ihren aufgeblähten Bilanzen ersichtlich wird. Die EZB und die Fed haben in den vergangenen Jahren Wertpapiere im Billionenumfang aufgekauft,19 und somit faktisch Geld gedruckt. Diese „Liquidität“ der Notenbanken führte zur Ausbildung einer entsprechenden Liquiditätsblase,20 was die Weltwirtschaft stabilisierte und den Boom in der Finanzsphäre befeuerte, der in seiner überhitzten Endphase zu Absurditäten wie der Schwarmspekulation mit Meme-Aktien wie Gamestop21 führte. Die Krisenpolitik, mit der die Folgen der Immobilienblase bekämpft worden sind, legte somit die Grundlagen für die kommende Spekulationsdynamik.

Zudem wurden von den Notenbanken zunehmend schlicht Staatsanleihen aufgekauft, um die Defizitfinanzierung der Staaten – insbesondere in den USA und der Eurozone – zu ermöglichen. Staatsanleihen bilden das Rückgrat der Finanzsphäre, der „Markt“ dafür ist gigantisch, da die Staaten sich in den vergangenen Krisenschüben immer weiter verschulden mussten, um mittels Konjunkturprogrammen und sonstiger Krisenmaßnahmen das spätkapitalistische Weltsystem vor dem Kollaps zu bewahren. Allein der schon seit Monaten kriselnde Markt für US-Treasuries,22 der laut Financial Times unter latentem Liquiditätsentzug leidet (vulgo: Niemand will das Zeug kaufen), umfasst Papiere im Nennwert von rund 23,5 Billionen US-Dollar (Das sind 23 500 Milliarden!). Der aktuell drohende Krisenschub ist somit weitaus gefährlicher, als es den Anschein hat, da nun gewissermaßen das Fundament des Weltfinanzsystems, die Märkte für Staatsschulden der Zentrumsstaaten, brüchig geworden ist. (Näheres siehe: „Schuldenberge in Bewegung“)23

Und das ist eigentlich der springende Punkt: Es gibt hinsichtlich der konjunkturellen Auswirkungen keinen fundamentalen ökonomischen Unterschied zwischen den zwielichtigen Hypothekenverbriefungen aus der Ära der großen transatlantischen Immobilienspekulation und den drögen Staatspapieren, die nun dem Finanzsektor Probleme bereiten. Ob nun der private Sektor Subprime-Hypotheken aufnimmt, um hierdurch die Bauwirtschaft anzukurbeln und die Konjunktur zu befeuern, oder ob Staaten sich verschulden, um durch ihre Konjunkturprogramme und Investitionen die tolle „Wirtschaft“ am Leben zu halten, ist in dieser Hinsicht einerlei. In beiden Fällen wird Nachfrage im Hier und Jetzt generiert, wobei der Kredit einen Vorgriff auf künftige Kapitalverwertung darstellt. Der Hypothekennehmer muss seine Hypothek samt Zinsen genauso abstottern wie der Staat, vermittelst Steueraufkommen, seine Staatsanleihen bedienen muss. Wenn dies nicht mehr realistisch erscheint, dann platzen Spekulationsblasen, die entsprechenden Schuldenberge drohen einzustürzen – und es kommt zu Finanzkrisen.

Die immer wiederkehrenden Finanzkrisen sind somit Ausdruck eines krisengeplagten spätkapitalistischen Weltsystems, das zunehmend schlicht auf Pump läuft. Seit der Durchsetzung des Neoliberalismus in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts, die nur möglich war in Reaktion auf die Stagflationskrise der 70er,24 steigt die globale Verschuldung viel schneller an als die Weltwirtschaftsleistung.25 Gewissermaßen ist der Kapitalismus, der auf der Verwertung von Arbeitskraft in der Warenproduktion basiert, zu produktiv für sich selbst geworden; das System erstickt an seiner Produktivität, es fehlt ihm seit dem Aufkommen der IT-Industrie in den 80ern ein neues Akkumulationsregime, bei dem Lohnarbeit profitabel verwertet werden könnte. Die Produktivkräfte sprengen hierbei gewissermaßen die Fesseln der Produktionsverhältnisse, um Marx zu paraphrasieren.

Das Aufkommen eines globalisierten, neoliberalen Finanzmarktkapitalismus mitsamt einer regelrechten Finanzblasenökonomie ist somit eine Systemreaktion auf diese innere Schranke des Kapitals (Robert Kurz), das durch immer weitere Konkurrenz vermittelst Rationalisierung sich seiner eigenen Substanz, der wertbildenden Arbeit in der Warenproduktion, entledigt. Die fehlende Nachfrage wird hierbei gewissermaßen auf Pump generiert, was immer größere Instabilitäten und die an Intensität zunehmenden Krisen mit sich bringt. Bei diesem historischen Verschuldungs- und Krisenprozess spielen die Staaten als Krisenmanager eine immer wichtigere Rolle. Zum einen vermittelst der vielfachen Konjunkturprogramme, wie auch durch die Aufkäufe von Staatsanleihen und sonstigen Wertpapieren durch die Notenbanken, mit denen die Finanzsphäre stabilisiert und faktisch Geld gedruckt wurde. Die expansive Geldpolitik der Notenbanken ermöglichte die Ausbildung der entsprechenden Liquiditätsblase, bei der die in die Märkte gepumpte Liquidität zu einer Inflation der Wertpapierpreise führte. Bis die Inflation in der realen Wirtschaft kam.26

Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine fungierten letztendlich als äußere Trigger, die diese durch die lockere Geldpolitik der Notenbanken aufgepumpte Liquiditätsblase zum Platzen brachten. Die derzeitige Inflation speist sich somit aus mehreren Quellen: neben der Explosion der Preise für Energieträger im Gefolge des Ukraine-Krieges, den inflationären Folgen der voll einsetzenden Klimakrise (vor allem bei Nahrungsmitteln) und den Versorgungsengpässen während der Pandemie, ist der Preisauftrieb auch auf die Gelddruckerei der vergangenen Jahre zurückzuführen, die nach dem Platzen der Everything-Bubble in der Finanzsphäre sich nun in Form der reellen Teuerung manifestiert.27

Die Geldpolitik sah sich somit zu einem Kurswechsel genötigt, um die Inflation bekämpfen zu können. Die Zinsen wurden sukzessive angehoben, zumindest in den USA wurden die Anleiheaufkäufe durch die Notenbank zurückgeschraubt. Dass diese Politik des knappen Geldes, isoliert betrachtet, einigermaßen erfolgreich war, belegen die jüngsten Inflationszahlen aus den USA, wo die Teuerung inzwischen auf sechs Prozent gesenkt werden konnte – vor wenigen Monaten drohte den Vereinigten Staaten noch eine zweistellige Inflationsdynamik. Die mit 5,5 Prozent nur unwesentlich niedrigere Kerninflationsrate, bei der die Preise für Energieträger und Nahrungsmittel herausgerechnet werden, verdeutlicht überdies, dass der Preisauftrieb nicht nur durch die Schocks im Gefolge des Ukraine-Krieges und der Pandemie befeuert wird.28

Mit der Inflationsbekämpfung wurde aber zugleich der Finanzsphäre die Liquidität abgeschnitten und die im Spätkapitalismus systemisch notwendige Defizitbildung erschwert. Salopp gesagt, kann das System jetzt nicht mehr so einfach auf Pump laufen (Im vergangenen Jahr ist das globale Verschuldungsniveau sogar deutlich zurückgegangen, wie der IWF meldete.).29 Wenige Monate nach der großen geldpolitischen Wende zu einer restriktiven Geldpolitik befindet sich somit die Finanzsphäre wieder am Rande einer ausgewachsenen Bankenkrise, was nur auf den oben skizzierten, systemisch notwendigen Verschuldungszwang des hyperproduktiven spätkapitalistischen Weltsystems verweist.

Dieser Verschuldungszwang des krisengeplagten Spätkapitalismus lässt sich ganz konkret anhand der Bilanzen der Notenbanken nachvollziehen, die, wie dargelegt, immer mehr Wertpapiere und Staatsanleihen aufkaufen mussten, um durch diese indirekte Gelddruckerei das Weltfinanzsystem zu stabilisieren. Mit dem Aufkommen der Inflation und der geldpolitischen Wende zu einer Hochzinspolitik sollte damit Schluss sein. die Bilanzsumme der US-Notenbank ist in der Tat innerhalb der letzten Monate rasch zurückgegangen, da kaum noch neue Anleihen und Wertpapiere aufgekauft wurden. Die Bilanzsumme der Fed sank von ihrem Mitte 2022 erreichten Höchstwert von knapp neun Billionen US-Dollar auf 8,3 Billionen. Doch nach der Bankpanik der vergangenen Tage musste im Rahmen der oben geschilderten Krisenprogramme wieder massiv Liquidität in die Märkte gepumpt werden, sodass die Bilanz der Fed auf mehr als 8,6 Billionen anschwoll. Wenige Krisentage reichten somit aus, um Monate des graduellen Abbau der langsam auslaufenden Wertpapiere in der Notenbankbilanz zu revidieren. Die Notenbanken werden ihre Funktion als Sondermülldeponieren des spätkapitalistischen Finanzsystems einfach nicht los.30

In dieser sich immer deutlicher abzeichnenden geldpolitischen Sackgasse manifestiert sich die langfristige Ausweglosigkeit kapitalistischer Krisenverwaltung. Es ist eine regelrechte Krisenfalle,31 in der sich die Geldpolitik befindet, die faktisch nur den weiteren Weg in die unausweichliche Krisenentfaltung bestimmen kann: Deflation oder Inflation? Entweder lässt man der Inflation freien Lauf, um Konjunktur und Finanzmärkte zu stabilisieren, oder man wählt den Weg der Deflation, der mit einem Finanzmarktbeben eingeleitet würde – wovor etwa das Wall Street Journal jüngst warnte.32

Diese Aporie kapitalistischer Krisenpolitik,33 die nur auf die innere Schranke des an seiner Produktivität erstickenden Kapitalverhältnisses verweist, konnte bislang durch den anhaltenden globalen Schuldenturmbau überbrückt werden, dem die aktuellen Inflationsschübe nun ein Ende zu setzen drohen. Die Politik kann somit letztendlich nur die Form der unausweichlich anstehenden Entwertung des Werts bestimmen: entweder über den Weg der Inflation, der das Geld als allgemeines Wertäquivalent entwerten würde, oder über den Weg der Deflation, bei dem Kapital in seinen konstanten (Fabriken, Maschinen, Produktionsstandorte) und variablen Aggregatzuständen (Lohnarbeitende) entwertet würde.

https://www.patreon.com/user?u=57464083

https://konicz.substack.com/

1 https://www.ft.com/content/b556badb-8e98-42fa-b88e-6e7e0ca758b8

2 https://www.konicz.info/2007/03/05/vor-dem-tsunami/

3 https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-03/usa-silicon-valley-bank-janet-yellen-signature-bank-notenbank?utm_referrer=https%3A%2F%2Fnews.google.com%2F

4 https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/kursrutsch-cryptobanken-101.html

5 https://www.dw.com/de/us-regierung-sichert-einlagen-bei-pleite-banken/a-64964942

6 https://edition.cnn.com/2023/03/14/politics/facts-on-trump-2018-banking-deregulation/index.html

7 https://www.konicz.info/2009/09/11/produkt-der-krise/

8 https://www.ft.com/content/72c25414-aabe-432a-a785-a8b2bd6887f9

9 https://www.finanzen.net/nachricht/zinsen/mitteilung-us-notenbank-fed-wirft-rettungsleine-aus-kreditlinie-soll-banksystem-stabil-halten-yellen-optimistisch-biden-verspricht-einlagensicherheit-12249312

10 https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-03/usa-silicon-valley-bank-janet-yellen-signature-bank-notenbank/seite-2

11 https://edition.cnn.com/2023/03/14/tech/viral-bank-run/index.html

12 https://www.ft.com/content/5e444ba2-0afc-49e8-bfec-5fc17ef7ee39

13 https://www.faz.net/aktuell/finanzen/us-banken-stuetzen-first-republic-bank-mit-30-milliarden-dollar-18754703.html

14 https://www.manager-magazin.de/unternehmen/banken/bankenkrise-fed-gibt-ueber-notfallprogramme-derzeit-mehr-geld-aus-als-nach-lehman-pleite-a-ef292d06-47de-40eb-b8ee-e5ebb999d2db

15 https://www.ft.com/content/85f6768d-0a01-41a3-8925-1c636d3f7dbc

16 https://www.ft.com/content/0324c5a6-cecd-4fb3-85b3-7cdc99a33e4e

17 https://www.konicz.info/2021/11/16/zurueck-zur-stagflation/

18 https://www.konicz.info/2019/01/28/die-urspruenge-der-krise/

19 https://www.konicz.info/2022/12/09/geldpolitik-vor-dem-bankrott/

20 https://www.konicz.info/2015/08/26/die-grosse-liquiditaetsblase/

21 https://www.konicz.info/2021/01/30/hedge-fonds-gamestop-und-reddit-kleinanleger-die-grosse-blackrock-bonanza/

22 https://www.ft.com/content/bc7271f9-a0aa-4643-bed3-40d2d5ec80d1

23 https://www.konicz.info/2022/07/22/schuldenberge-in-bewegung/

24 https://www.konicz.info/2021/11/16/zurueck-zur-stagflation/

25 https://www.imf.org/en/Blogs/Articles/2022/12/12/riding-the-global-debt-rollercoaster

26 https://www.konicz.info/2021/08/08/dreierlei-inflation/

27 https://www.konicz.info/2022/09/03/the-walking-debt/

28 https://edition.cnn.com/2023/03/14/economy/cpi-inflation-february/index.html

29 https://www.imf.org/en/Blogs/Articles/2022/12/12/riding-the-global-debt-rollercoaster

30 https://www.federalreserve.gov/monetarypolicy/bst_recenttrends.htm

31 https://www.konicz.info/2022/12/09/geldpolitik-vor-dem-bankrott/

32 https://www.wsj.com/articles/bank-failures-like-earlier-shocks-raise-odds-of-recession-beb1e376

33 https://www.konicz.info/2011/08/15/politik-in-der-krisenfalle/

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —   Der Hauptsitz der Silicon Valley Bank in Santa Clara, Kalifornien (2023).

Abgelegt unter Finanzpolitik, International, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Krise, welche Krise ?

Erstellt von Redaktion am 21. März 2023

Die Situation ähnelt der „Flüchtlingskrise“ von 2015.

Die EU erschwert es zwischen Verbrecher und Politikrt-innen zu Unterscheiden

Ein Debattenbeitrag von Daniel Bax

Doch die Debatte über ukrainische Geflüchtete verläuft völlig anders. Der Grund dafür ist Rassismus. Ein Zwei-Klassen-Asyl widerspricht den Werten, für die Europa sich sonst so gerne rühmt.

Was für einen Unterschied die Herkunft geflüchteter Menschen doch macht! Deutschland sieht sich zum zweiten Mal in kurzer Zeit mit einer großen Fluchtbewegung konfrontiert. Doch es geht damit völlig anders um als beim letzten Mal. Bis vor einem Jahr lautete das Mantra noch, „2015“ dürfe sich nicht wiederholen. Nun erleben wir mit der Massenflucht aus der Ukraine eine vergleichbare Krise wie zwischen 2014 und 2016, als Hunderttausende vor den Kriegen in Syrien, Irak und Afghanistan nach Europa flohen. Aber niemand kritisiert, Scholz habe „die Grenzen geöffnet“, oder zieht in Zweifel, dass ihre Aufnahme grundsätzlich „zu schaffen“ ist. Niemand fordert eine „Obergrenze“ für Geflüchtete aus der Ukraine. Nicht einmal von einer „Flüchtlingskrise“ ist die Rede – und das, obwohl allein aus der Ukraine schon jetzt mehr neue Flüchtlinge in Deutschland gezählt wurden als zwischen 2014 und 2016 zusammen.

Gewiss: Auch jetzt ächzen Städte und Kommunen unter dem Andrang so vieler Menschen, die Schutz und ein Dach über den Kopf brauchen. Auch jetzt lud die Regierung deshalb wieder zu einem „Flüchtlingsgipfel“, wo um Geld und die gerechte Verteilung von Geflüchteten gestritten wurde. Und auch jetzt regt sich mancherorts Unmut und rechter Protest. Aber im Vergleich zu 2015 verläuft die Debatte vernünftig, rational und gesittet – ganz anders als zwischen 2014 und 2016, als Gewalt und Untergangsstimmung herrschten. Damals hetzte die rechtsradikale Pegida-Bewegung auf den Straßen gegen „Bahnhofsklatscher“ und „Invasoren“. Mehr als Tausend Angriffe auf Flüchtlingsheime registrierten die Behörden 2015, im Jahr darauf nochmals genauso viele.

Gauck Maske Siko 2014 (12268194593).jpg

Ich bin der Gauck – ich verspritze meine eigene Jauche

Namhafte Publizisten wie Rüdiger Safranski warfen der Regierung vor, Deutschland mit Flüchtlingen zu „fluten“. Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck salbaderte, unsere Herzen seien zwar weit, doch unsere Möglichkeiten begrenzt. Und Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo entschuldigte sich quasi dafür, dass die Medien anfangs zu viel Mitgefühl gezeigt hätten.

Jetzt, wo noch mehr Flüchtlinge als damals in Deutschland Zuflucht suchen, nur diesmal aus der Ukraine, sind diese Stimmen verstummt. Selbst der spärliche Rest der Pegida-Bewegung demonstrierte zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine nur noch für „Frieden“ und hetzte nicht gegen die Menschen, die von dort flüchten.

Es ist nun nicht so, dass Menschen aus der Ukrai­ne keinen Rassismus kennen würden. Vorbehalte gegen Ost­eu­ro­päe­r*in­nen haben in Deutschland eine lange Tradition. Noch im Jahr 2004 musste sich die damalige rot-grüne Bundesregierung von der CSU vorwerfen lassen, „Schwarzarbeit, Prostitution und Menschenhandel“ begünstigt zu haben, weil sie die Visa-Vergabe für Ukrai­ne­r*in­nen erleichtert hatte. Seit 2017 dürfen ukrainische Bür­ge­r*in­nen sogar visumsfrei nach Europa reisen.

Die geopolitische Lage ist der Grund dafür, dass sich der Wind gedreht hat. Seit dem 24. Februar vergangenen Jahres gehört die Ukraine zu Europa, wenn man der offiziellen Rhetorik glauben mag. Auf Grundlage der „Massenzustrom-Richtlinie“ der EU dürfen Flüchtlinge von dort seit dem 3. März 2022 frei nach Europa reisen. Dieser humanitären Willkommenskultur möchten sich nur wenige verschließen. Und anders als 2015, als die Hilfsbereitschaft in breiten Teilen der Bevölkerung nur anfangs sehr groß war, ist die positive Stimmung gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine auch nach einem Jahr noch fast immer ungetrübt.

Natürlich spielt es eine Rolle, dass vor allem Frauen und Kinder nach Deutschland kommen und sie vor einem Krieg in der Nähe fliehen. Aber der Hauptgrund, warum sie anders aufgenommen werden als viele Flüchtlinge vor ihnen, ist schlicht: Rassismus. Nirgendwo zeigt sich das so krass wie im Nachbarland Polen. 2015 wehrte sich Polen strikt dagegen, nur ein paar Tausend Flüchtlinge aufzunehmen, und wollte höchstens Christen Asyl gewähren. Noch im Herbst 2021 verhängte die Regierung an ihrer Ost-Grenze den Ausnahmezustand, weil dort ein paar Tausend Menschen aus dem Irak und Afghanistan campierten, die aus Belarus nach Europa gelangen wollten. Nun hat Polen in kurzer Zeit über 1,5 Millionen Menschen aus der Ukraine aufgenommen, so viel wie kein anderes Land in Europa. Polen kann also, wenn es will. Plötzlich ist es auch okay, dass Flüchtlinge einfach von dort aus weiterziehen, wohin sie wollen. Ukrainische Staats­bür­ge­r*in­nen dürfen sich frei in Europa bewegen und niederlassen. Selbst Ungarn, Tschechien oder Dänemark, die Flüchtlinge bisher mit Schikanen oder gar Stacheldraht abschreckten, nehmen jetzt Ukrai­ne­r*in­nen auf.

Quelle        —          TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —       cartoon I created about refugees trying to reach Lampedusa

Abgelegt unter Europa, Flucht und Zuwanderung, Kriegspolitik, Kultur, Medien | Keine Kommentare »

Ich – ich – ich – nicht

Erstellt von Redaktion am 21. März 2023

Wagenknecht und eine neue Partei

Sahra Wagenknecht. Leipziger Parteitag der Linkspartei 2018.jpg

Von Stefan Reinecke

Die Noch-Linke Sahra Wagenknecht will vielleicht eine Partei gründen. Linkspartei-Vize Katina Schubert fordert Sanktionen.

Sahra Wagenknecht will sich bis Ende des Jahres entscheiden, ob sie eine neue Partei gründet. Eine Partei, „die glaubwürdig für Frieden, Freiheit, soziale Gerechtigkeit eintritt, wird gebraucht“, sagte Wagenknecht bei „ZDFheute“. Allerdings zaudert die Noch-Linke und fürchtet, dass ihre Neugründung „schwierige Leute“ anziehen werde. Zudem müssen man „Strukturen aufbauen“ – offenbar kein Herzensprojekt der 53-Jährigen.

Wagenknecht klingt nicht sonderlich entschlossen, die Mühsal einer Parteigründung auf sich zu nehmen. „Ich kann mir auch eine Perspektive als Publizistin und Schriftstellerin vorstellen. Aber ich möchte gerne politisch auch noch etwas bewegen.“ Und weiter: „Ich möchte meine politische Laufbahn nicht mit einem Flop abschließen.“

In diesen Sätze ist etwas zu viel „ich“, um jene Kärrnerarbeit zu absolvieren, die das deutschen Parteiengesetz für die Gründung einer Partei vorsieht. In den Niederlanden wäre, was Wagenknecht vorschweben mag, einfacher zu haben. Die rechte Partij voor de Vrijheit hat eine überschaubare Zahl von Mitgliedern – eins, den Parteigründer Geert Wilders. So einfach geht es in Deutschland nicht.

Den Noch-GenossInnen in der Linkspartei geht Wagenknecht seit Monaten währende Koketterie mit der neuen Partei zusehends auf die Nerven. Gregor Gysi, der sich intensiv und erfolglos für eine Versöhnung der Abweichlerin mit der Parteispitze eingesetzt hatte und, anders als die Parteispitze, auch den Friedensaufruf von Wagenknecht und Alice Schwarzer unterstützt hatte, forderte Wagenknecht auf, sich zu entscheiden, anstatt „die Partei ewig zu quälen“.

In der Partei suchen viele nach einen Ausgang !

Auch Parteivize Katina Schubert drängt. „Wagenknecht muss sich jetzt entscheiden, ob sie gehen will, und dann muss sie auch die Partei verlassen. Jedes Spiel auf Zeit schadet der Partei“, so Schubert zur taz.

Schubert bedauert, dass die Sanktionsmöglichkeiten im deutschen Parteiengesetz „nicht sonderlich groß“ sind. Ein Parteiausschussverfahren „dauere ewig“.

Quelle       :          TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —       Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei Sahra Wagenknecht. Leipziger Parteitag der Linkspartei 2018. 1. Tagung des 6. Parteitages der Partei DIE LINKE. Vom 8. bis 10. Juni 2018. Tagungsort: Leipziger Messe, Congress Center Leipzig.

Abgelegt unter Berlin, Medien, P. DIE LINKE, Positionen | 8 Kommentare »

Vom Seco zu Nestlé:

Erstellt von Redaktion am 18. März 2023

Um die 40’000 Franken pro Sitzung

Lobby-Ablösung gefunden

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von     :    Pascal Sigg /   

Die ehemalige Seco-Direktorin soll in den Nestlé-Verwaltungsrat. Sie hat jahrelang im Dienst des Konzerns lobbyiert.

Ende April soll Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch in den Nestlé-Verwaltungsrat gewählt werden. Ineichen-Fleisch war bis Juli 2022 elf Jahre Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) in Guy Parmelins Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung. Zuvor war sie vier Jahre Schweizer Botschafterin und Delegierte für Handelsabkommen sowie Chefunterhändlerin der Schweiz bei der Welthandelsorganisation (WTO).

Nun soll der Schritt in die Privatwirtschaft folgen. Und der ist lukrativ. Die Zeitung «work» der Gewerkschaft «unia» hat berichtete kürzlich: «Die Nestlé-Verwaltungsrätinnen und -räte haben sich 2022 zu 11 Sitzungen getroffen, die durchschnittlich 2 Stunden und 55 Minuten dauerten. Dafür bekommen sie 280’000 Franken Honorar und 15’000 Franken Spesen im Jahr. Für den Einsitz in einem der Verwaltungsratsausschüsse kommen minimal 70’000 Franken und maximal 300’000 Franken hinzu. Ebenfalls pro Jahr. Zum Vergleich: Das Lohnmaximum für einen 100-Prozent-Job beim Bund liegt bei knapp 400’000 Franken.»

Im Namen der Schweiz in Südamerika für Nestlé lobbyiert

Ineichen-Fleisch kennt Nestlé bereits gut. Denn ihr Seco lobbyierte im Ausland wiederholt für die Interessen des Grosskonzerns – im Namen der Schweizer Eidgenossenschaft. Dies machten letztes Jahr Recherchen der NGO «Public Eye» bekannt (Infosperber berichtete). Ihnen zufolge versuchte das Seco die Regulierung von Nahrungsmitteln in Ländern wie Chile, Peru oder Ecuador im Interesse Nestlés zu beeinflussen. Besonders gut dokumentiert ist die letztlich erfolglose Einflussnahme in Mexiko.

Wegen der grassierenden Fettleibigkeit hatte Mexiko im Herbst 2016 einen «nationalen epidemiologischen Notstand» ausgerufen. Die Zahlen einer Gesundheitsstudie von 2020 zeigten: Unter den fünf- bis elfjährigen Kindern sind 38 Prozent übergewichtig oder gar fettleibig. Und unter den MexikanerInnen ab 20 Jahren sind 74 Prozent zu dick. Über ein Drittel der Erwachsenen ist fettleibig.

Auch in der Schweiz droht Nestlé eine Regulierung

Als Massnahme schlug der Gesundheitsausschuss der mexikanischen Abgeordnetenkammer fünf schwarze Stoppschilder vor, mit dem Schriftzug «Exceso», also «Übermass» – an gesättigten Fetten, an Kalorien, an Salz, an Transfetten, an Zucker. Zudem sollten mit Warnhinweisen versehene Produkte nicht mehr mit Comic-Figuren, Spielzeugen oder Berühmtheiten beworben werden. Dagegen wehrte sich Nestlé mithilfe der offiziellen Schweiz. Doch im Herbst 2020 trat die Regelung trotzdem in Kraft.

Selbst ausströmender Lobbygestank von Lindner FDP und Klöckner CDU konnte Nestle nicht von einen Arrangement mit den-r Politiker-in abhalten.

Seither haben weitere Länder wie Brasilien oder Kolumbien nachgezogen. Und auch in Deutschland und der Schweiz laufen ähnliche Bestrebungen. Die Sprecherin des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) aus Alain Bersets Departement des Innern sagte der SonntagsZeitung (Paywall) kürzlich: «Das BLV hat ebenfalls Pläne für eine Regulierung der an Kinder gerichteten Werbung». Die Behörde habe jahrelang erfolglos versucht, die Produzenten dazu zu bringen, entsprechende Lebensmittel freiweillig gesünder zu machen (Infosperber berichtete).

Ineichen-Fleisch dürfte also wissen, was bei Nestlé auf sie zukommt. Letzten Frühling sagte sie öffentlich über ihre Arbeit im Auftrag der Schweizer BürgerInnen: «Eine Hauptaufgabe meiner letzten elf Jahre als Seco-Direktorin war es, mehr Regulierung abzuwehren.»

Weiterführende Informationen

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —

Day 2 of the 10th WTO Ministerial Conference, Nairobi, 16 December 2015. Photos may be reproduced provided attribution is given to the WTO and the WTO is informed. Photos: © WTO. Courtesy of Admedia Communication.

Abgelegt unter Arbeitspolitik, Europa, Medien, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Flimmern + Rauschen

Erstellt von Redaktion am 16. März 2023

Frauen in medialen Führungspositionen

Eine Kolumne von Steffen Grimberg

Das ist erst der Anfang. Die Online-Veranstaltung #Gemeinsam nahm die Gleichstellung bei ARD und ZDF in den Fokus. Statt Steffen Grimberg schreibt darüber an dieser Stelle seine Mitbewohnerin.

Es muss 2016 oder 2017 gewesen sein. Der Mitbewohner erzählte mir davon, dass bei einer Versammlung der ARD-Intendant*innen der Chef einer großen Nordanstalt über ein hauseigenes Projekt zu „Teilzeit in Führungspositionen“ sprechen wollte. „Doch bevor er nur drei Sätze gesagt hatte, blökten ihm schon andere männliche Kollegen dazwischen.“ Mit Einwänden, „dass das nicht klappen könne, Führung sei fordernd und verlange den ganzen Mann. Wenn es sein müsse, ihretwegen auch die ganze Frau. Aber keine halben Sachen.“

Heute, fünf Jahre später, heißt die juristische Direktorin des WDR Katrin Naukamm und Caroline Volkmann. Den Job machen also zwei Frauen gemeinsam. Beim NDR leiten Anja Reschke und Sabine Doppler den Programmbereich Gesellschaft. Bei Radio Bremen teilen sich Brigitta Nickelsen und Jan Schrader die Direktion für Unternehmensentwicklung und Betrieb. Klappt also doch in Anstalten unseres deutschen Mutterlandes!

Im Übrigen auf immer mehr Ebenen, wie #Gemeinsam, eine Online-Veranstaltung zum Thema Gleichstellung in den öffentlich-rechtlichen Medienhäusern zeigte. Am Weltfrauentag haben sich hier erstmals jede Menge Frauen und endlich auch ein paar mehr Männer aus allen öffentlich-rechtlichen Anstalten vernetzt.

Es herrschen männlich geprägte Managementstrukturen

Die präsentierten Beispiele zeigen, dass es nicht nur um Top-Sharing geht. Denn auch unterhalb von ziemlich weit oben ist ziemlich viel los. Rebecca Zöller und Lydia Leiert, die beim BR den Bereich „Film digital“ verantworten, sprachen gar von einem „glücklichmachenden Arbeitsmodell“. Das außerdem fürs Unternehmen gut ist, weil es mehr als 100 Prozent der Arbeitsleistung einer Einzelposition bekommt“, so Zöller.

Und außerdem ließe sich dann an einer Position „Diversität leben und sich austauschen“, ergänzte Leipert. Gerade weil es eben nicht nur ein Mensch ist, die dort schaltet und waltet. Falls sich die damaligen Zwischenrufer von 2017 heute auf ihren Männer-Parkplätzen langweilen sollten, gibt es hier noch eine Leseempfehlung. Denn die beiden haben das Buch „Geteilt Arbeiten, doppelt Durchstarten – so funktioniert Jobsharing“ geschrieben.

Quelle       :         TAZ-online       >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Floaters caused by retinal detachments

Abgelegt unter Berlin, Kultur, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Wer bemerkt denn so was?

Erstellt von Redaktion am 13. März 2023

Covid-Impfstoffe: Das 32 Milliarden-Dollar-Geschenk

Wer- in der Politik kann schon ohne Geschenke leben ?

Quelle      :        INFOsperber CH.

Martina Frei /   

Entwicklungskosten von der Öffentlichkeit bezahlen lassen, Gewinne privatisieren – so gehen grosse Pharmafirmen vor.

Die Pharmafirmen Moderna und Pfizer haben mit ihren Covid-Impfstoffen bisher über 100 Milliarden Dollar eingenommen. Das ist 20-mal mehr als das Budget der Weltgesundheitsorganisation für die zwei Jahre 2020 und 2021. Und obwohl die Herstellung einer mRNA-Covid-Impfdosis nur etwa einen bis drei Dollar koste, hätten beide Pharmafirmen angekündigt, dass sie in den USA dieses Jahr 110 Dollar pro Dosis verlangen wollen.

Auf diese Diskrepanzen weist der Editorialist Victor Roy in der britischen Ärztezeitung «BMJ» hin. Anlass für seinen Artikel ist eine Recherche von US-Medizinern um den bekannten Pharmakologen Aaron Kesselheim im «BMJ». Sie ermittelten, wie viel Geld die öffentliche Hand in den USA in die Entwicklung der mRNA-Impfungen steckte: Mindestens 31’912’100’000 Dollar.

Risiko für die Firmen erheblich abgefedert

Während der Pandemie investierten die «National Institutes of Health», das US-Verteidigungsministerium und die «Biomedical Advanced Research and Development Authority» mindestens 2,366 Milliarden an Forschungsgeldern. Zudem leisteten sie 29,2 Milliarden Dollar an Garantiezahlungen für die (zu entwickelnden) Impfstoffe. Moderna und Pfizer erhielten Zusagen, dass ihnen Millionen von Impfdosen abgekauft würden. Indem die US-Regierung klinische Versuche von Moderna finanzierte, Kaufzusagen für die Vakzinen in grossen Stil machte etc., habe sie das Risiko für die Hersteller bei der Entwicklung der Impfstoffe massgeblich «de-riskiert», schreiben Kesselheim und seine Kollegen.

Im Verlauf von 35 Jahren vor der Pandemie bezahlten die US-Bürgerinnen und-Bürger über die drei erwähnten Institutionen demnach zusammen rund 337 Millionen Dollar, um die RNA-Technologie auf den Weg zu bringen, zum Beispiel in die Forschung an Lipid-Nanopartikeln. Diese Schätzung sei bewusst vorsichtig, schreiben Kesselheim und seine Kollegen. Vermutlich seien indirekt zusätzliche 5,9 Milliarden Dollar an Forschungsgeldern geflossen.

Moderna erhielt über 18,1 Milliarden Dollar an öffentlichen Geldern, Pfizer/Biontech rund 13,1 Milliarden, ergab die Recherche weiter. Trotz dieser grosszügigen Förderung sperren sich die Firmen dagegen, die Rohdaten ihrer Studien offen zu legen.

Produktionskosten für eine mRNA-Impfdosis: Maximal drei Dollar

Die Produktionskosten für eine Impfdosis belaufen sich laut dem «BMJ» auf einen bis drei Dollar. Bezahlt hätten die USA an Pfizer/Biontech im Jahr 2020 jedoch 19,50 Dollar, im Jahr 2021 waren es 24 Dollar und im Jahr 2022 für den bivalenten Booster rund 30 Dollar. Moderna habe anfangs rund 15 Dollar pro Impfdosis erhalten, im Jahr 2022 dann rund 26 Dollar.

Die mRNA-Impfstoffe seien eine bemerkenswerte Errungenschaft, findet Victor Roy. Ihre Entwicklung sei aber auch ein warnendes Beispiel dafür, wie wie das Innovationsrisiko durch die Gemeinschaft getragen wurde, während der Löwenanteil des Gewinns privatisiert und an die Aktionäre ausbezahlt wurde.

Mit den Steuereinnahmen fand noch keine Regierung das rechte Maß!

Mehr für Dividenden ausgegeben als für die Entwicklung neuer Medikamente

Die hohen Medikamentenpreise «sind nicht durch die Ausgaben der Industrie für Forschung & Entwicklung zu rechtfertigen», stellen die Autoren einer Analyse im «BMJ» zu Arzneimitteln fest. Ihnen zufolge gaben die grossen Pharmafirmen in jedem Jahr von 1999 bis 2018 mehr fürs Marketing und fürs Verkaufen ihrer Produkte aus als für die Forschung und Entwicklung. Damit setzten sie einen Trend fort, der schon 1975 festgestellt wurde. 

Auch in die Rückkäufe ihrer eigenen Aktien hätten die meisten mehr investiert als in die Forschung und Entwicklung. Die 14 grössten Pharmafirmen wendeten für solche Rückkäufe und für die Zahlungen von Dividenden von 2016 bis 2020 etwa 577 Milliarden Dollar auf – 56 Milliarden mehr, als sie für die Forschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe ausgaben. Die jährlichen Bezüge der Unternehmensleitungen seien in dieser Zeit um 14 Prozent gestiegen, berichtet das «BMJ». Dies vor dem Hintergrund, dass die meisten neu auf den Markt gekommenen Medikamente nur einen kleinen oder gar keinen Zusatznutzen gegenüber etablierten Wirkstoffen geboten hätten.

Einer anderen Analyse zufolge zahlten 18 grosse Pharmahersteller von 2006 bis 2015 ihren Aktionären mehr Dividenden aus, als sie in ihre Forschung investierten. Seit Jahrzehnten richteten Arzneimittelhersteller ihren Fokus darauf, den Aktienwert hochzutreiben, stellen die Autoren des Artikels im «BMJ» fest.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —     COVID-19 vaccination center, Lanxess-Arena Cologne

Abgelegt unter Europa, Gesundheitspolitik, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Opfer suchen Wahrheiten

Erstellt von Redaktion am 13. März 2023

Die Wahrheit ist stets das erste Kriegsopfer

File:Wallendorf (Luppe) Kriegsopfer 1939-1945.JPG

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Wir mögen es micht wahrhaben, aber wir leben in Kriegszeiten, mit einem Krieg vor der Haustüre, vorgeführt wie in einem Theater. Nur die heute Über-Achtzigjährigen haben noch eigene Kriegserfahrung und die Erinnerung, dass auch der Zweite Weltkrieg herbeigeredet worden ist, mit Lügen, falschen Versprechen, Illusionen.

Während Hitler sich der Verantwortung durch Selbstmord entzog, wollen z.B. US-Politiker ihre Hände seit dem Vietnam-Krieg in Unschuld waschen. So erklärte der seinerzeitige US-Verteidigungsminister McNamare noch 1995, dass er bis heute nicht wisse, was am 2. und 4. August 1964 im Golf von Tonkin geschah. Damals wurde von den USA wahrheitswiedrig behauptet, dass der US-amerikanische Zerstörer Maddox im Golf von Tonkin von nordvietnamesischen Torpedobooten angegriffen worden sei. Und das war genug, einen verheerenden Krieg in Vietnam auszulösen. Ein amerikanischer Freund, der deswegen eingezogen wurde, wusste nicht einmal, wo Vietnam lag und was er dort sollte. Seine Erfahrung war dann ein zerschossenes Bein und lebenslanges Humpeln. Und McNamara kann sich an den Grund für den grausamen Vietnamkrieg mit drei Millionen Toten nicht erinnern!

Seit Vietnam haben die USA mit Lügen, Unterstellungen und machtgeil Kriege im Irak bis hin in Afghanistan geführt und allesamt verloren. Und im Stellvertreterkrieg in der Ukraine geht es konsequent weiter. Die USA wissen immer ein paar Tage voraus genau, was Russland macht, halten sich zwar militärisch bedeckt im Hintergrund, stacheln aber die NATO und die Ukraine auf und heizen ihre Militärindustrie kräftig an. Russland verhält sich ebenso. So wiegeln sich die beiden Supermächte gegenseitig auf, bis irgendwann die Sicherung durchknallt und tausende unschuldiger Menschen ihr Leben lassen müssen.

Der Auslöser der heutigen Kriegssituation ist der Einfall von Russland. Der Grund dafür liegt jedoch Jahre zurück mit dem Vorrücken der NATO direkt an die russische Grenze und weltweit. Stets auf Druck und mit Machtphantasien der USA. Was, bitte, hat ein deutsches Kriegsschiff im Chinesischen Meer zu suchen? Und warum wird heute so infam gegen China als Feind Nr.1 gestänkert, obwohl China noch nie in seiner Geschichte kriegerisch gegen ein Land außerhalb seiner Grenzen vorgegangen ist?

Es sind wohl Bequemlichkeit und Bildungslücken, die uns immer wieder den kriegstreibenden Lügenmärchen insbesondere der USA Glauben schenken lassen. Bis wir uns dann verdutzt die Augen darüber reiben, dass wir unmittelbar selbst betroffen sind. Aber dann ist es zu spät! Es darf uns nicht kalt lassen, dass wir nach der anfänglichen Zusage der Bereitstellung von Kriegshelmen heute bei der Lieferung schwerster Waffen an die Ukraine angekommen sind. Dauernde Eskalation und immer kompliziertere Lügenmärchen haben uns an den Rand eines Krieges direkt bei uns manövriert.

Aber hinterher will es keiner gewesen sein. Pathetisch verkündet unser Bundespräsident, dass die Friedensdividende aufgezehrt sei. Mitnichten! Frieden ist eines der höchsten Güter und ohne wenn und aber anzustreben. Diese Wahrheit dürfen wir nicht von machtgeilen Politikern durch Kriegstreiberei oder gar Kriege massakrieren lassen. Und immer wieder fragen: Was ist Wahrheit und was ist Lüge?

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —      Wallendorf (Luppe) Kriegsopferdenkmal 1939-1945

Author Wikswat        :      Own work    /      Date    :   21 October 2018

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

*****************************

Unten     ––       We kill for FUN! (by Latuff).

Abgelegt unter International, Kriegspolitik, Kultur, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Palantir in Bayern:

Erstellt von Redaktion am 11. März 2023

Nicht eingesetzte Polizei-Software kostet Millionen

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von    :    

Ein technisches Gutachten soll den sicheren Betrieb der umstrittenen Polizei-Software Palantir belegen. Doch rechtlich fehlt noch immer die Grundlage für einen Einsatz. Für die nicht genutzte Software fließen derweil Lizenzgebühren in Millionenhöhe – nicht nur in Bayern.

Die Palantir-Software, die Bayern bei der Polizei einsetzen will, ist nach Ansicht des Fraunhofer Instituts in Fragen der IT-Sicherheit unbedenklich. Das verkündetete das Landeskriminalamt München unter der Überschrift: „Sicherer Betrieb ist möglich!“ Das Fraunhofer Institut hatte den Quellcode unter anderem auf Hintertüren und Datenabflüsse überprüft. Zuvor gab es Bedenken, ob die Daten von der bayerischen Polizei an das US-Geheimdiensten nahestehende Unternehmen Palantir abfließen könnten.

Mit der Quellcode-Untersuchung wurde das Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie (Fraunhofer SIT) beauftragt. Das Gutachten basierte laut dem LKA München auf einer „breiten und fundierten methodischen Vorgehen zur vollumfänglichen Prüfung der Software.“ Im Rahmen der Prüfung sei unter anderem eine umfassende Schwachstellenanalyse durchgeführt worden. Dazu gehöre neben manuellen Prüfungen und Penetrationstests auch ein Code-Scanner zur automatisierten Detektion von Schwachstellen.

Das Gutachten selbst wurde nicht veröffentlicht, sondern steht unter Verschluss, weil es sensible Angaben über die IT-Infrastruktur der Polizei und Geschäftsgeheimnisse von Palantir enthalte. Die technische Prüfung ist allerdings nur für die aktuelle Version gültig. Um zu wissen, was wirklich mit der Software passiert, müsste sie bei jedem Update erneut geprüft werden.

Palantirs Software soll unter dem Namen „Verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform“ (VeRA) bei der bayerischen Polizei eingesetzt werden. Das Verfahren in Bayern ist auch für andere Bundesländer von Belang, da Bayern einen Rahmenvertrag mit Palantir abgeschlossen hat. Der Einsatz in weiteren Bundesländern könnte dann auf dieser Grundlage folgen.

Zwar wurde die Software nach der 430.000 Euro teuren geheimen Untersuchung nun rein technisch als unbedenklich eingestuft. Davon unberührt sind aber starke verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Einsatz der Software, die Daten aus verschiedenen Datenbanken und Quellen zusammenführt und so ganz neue Möglichkeiten eröffnet, um Menschen ins Visier zu nehmen. Diese Bedenken lassen sich nicht durch eine Überprüfung des Quellcodes ausräumen.

„Kein Zeitplan“ für Rechtsgrundlage

In Hessen und Hamburg hatte das Bundesverfassungsgericht im Februar die rechtlichen Grundlagen für verfassungswidrig erklärt. Auf Anfrage von netzpolitik.org erklärt das Bayerische Staatsministerium des Innern: Die noch zu schaffende Rechtsgrundlage im Bayerischen Polizeiaufgabengesetz werde sich an den im Urteil des Bundesverfassungsgerichts getroffenen Aussagen orientieren.

undefined

Das Ministerium geht davon aus, dass „ein Einsatz sowohl zur Abwehr von konkreten oder konkretisierten (drohenden) Gefahren, als auch zur Verhütung von Straftaten im Vorfeld von (drohenden) Gefahren grundsätzlich zulässig ist“. Keine Aussage wollte das Ministerium dazu treffen, wann genau Bayern allerdings die neue Rechtsgrundlage anpeile oder wann VeRA eingesetzt werden könne. Dazu liege „noch kein Zeitplan vor“, schreibt ein Sprecher an netzpolitik.org.

Wann die Software zum Einsatz kommen wird, ist also in Bayern noch offen. Doch selbst wenn die Software nur in der Schublade liegt entstehen dem Bundesland Kosten in Millionenhöhe, wie der Bayerische Rundfunk recherchiert hat. Alleine seit dem Vertragsabschluss im Mai 2022 waren es laut Ministerium rund 3,2 Millionen Euro an Lizenzgebühren. Insgesamt sind in den ersten fünf Jahren bis zu 25 Millionen Euro fällig. Auch in Nordrhein-Westfalen (NRW) wird Palantir teuer, dort haben sich die Kosten gegenüber der Planung verdreifacht. Gegen den Palantir-Paragraf im Polizeigesetz von NRW läuft eine weitere Verfassungsbeschwerde.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

********************************************************

Grafikquelle :

Oben       —    Palantir

Abgelegt unter Berlin, International, Medien, Politik und Netz, Positionen | Keine Kommentare »

Auf der Straße

Erstellt von Redaktion am 11. März 2023

Auf der Straße – Braun geröstet

Von Joe Bauer

Es ist schon dunkel in der Stuttgarter Altstadt, als ich mich auf die Suche nach der Vergangenheit mache. Ich gehe durch die Richtstraße, eine düstere Kopfsteinpflasterschleuse, die bis Anfang des 19. Jahrhunderts Scharfrichtergäßle hieß.

Hier wohnte einst der Herr, der unliebsame Mitmenschen auf der benachbarten Hinrichtungsstätte, dem heutigen Wilhelmsplatz, einen Kopf kürzer machte. Die Gasse endet vor der Hauptstätter Straße, die das alte Stadtzentrum tranchiert und mit ihrem Namen ebenfalls auf die Enthauptungen hinweist. An dieser Ecke des Rotlichtviertels steht ein mitgenommener Bau, das Alte Armenhaus aus dem 16. Jahrhundert. Am Fenster klebt ein Plakat: Es soll saniert und ein „Geschichts- und Versammlungsort“ werden. „Eine künftige gastronomische Nutzung ist ausgeschlossen.“

Zuletzt war im Alten Armenhaus das Café Mistral, ein Milieu-Lokal. Bis 1991 hatten hier die Lichter der legendären Sissy-Bar geleuchtet. Dieses Etablissement im einst gut belebten Leonhardsviertel war Treffpunkt honoriger Herrschaften, die zwischen Drinks und Damen ihre Geschäfte abwickelten. Und Konrad Kujaus Stammlokal. Geführt wurde es von den Eltern des heute 56-jährigen Kfz-Meisters F., den ich seit vielen Jahren gut kenne. Als Jugendlicher hat er miterlebt, wie sich Kujau, oft im Gestapo-Look, das Bier in einem für ihn reservierten Krug mit aufgedrucktem SS-Totenkopf bringen ließ. Nazi-Reliquien standen damals im Luden-Milieu nicht unbedingt auf dem Index; am 20. April wurde auch gern mal auf „Adi“ angestoßen.

F. erzählt, dass er sich darüber aufgeregt habe, wenn der „Hitler-Tagebücher“-Fälscher Kujau in der Öffentlichkeit hofiert und als lustiges Schlitzohr verharmlost worden sei. In der Sissy-Bar habe er oft mit anhören müssen, wie der Kerl Nazi-Verherrlichungen und rassistische Beleidigungen abgesondert habe. „Conny“ habe sich gerühmt, ein Nazi zu sein. Fakt ist: Schon dank seines Militaria-Ladens mit Nazi-Devotonalien in der Schreiberstraße hatte er einschlägige Kontakte in die Fascho-Szene.

„Champagner-Conny“ fiel kaum auf

Im Mai 1983 gab es keine Zweifel mehr, dass Adolfs Kladden, die das Hamburger Magazin „Stern“ für mehrere Millionen Mark gekauft hatte, von Kujau geschrieben und gefertigt wurden. Jetzt, 40 Jahre später – 23 Jahre nach Kujaus Tod – hat der NDR die in alter deutscher Schreibschrift verfassten „Tagebücher“ transkribiert und veröffentlicht. Diese Enthüllung beweist, dass die „Stern“-Manager im Profitwahn unter Einfluss der Droge Hitler bereit waren, Texte zu veröffentlichen, die den Diktator und seine Gräueltaten verniedlichen. Hitler erscheint als schrulliger Typ, eigentlich ein guter Mensch, der seine Partnerin Eva Braun mit seinen Blähungen nervte – und von den Massenmorden an den Juden nichts wusste. Auszug: „23. Mai 1943: Sorgen macht mir unser Judenproblem. Nach den mir vorliegenden neuesten Meldungen will sie keiner haben.“ Kurzum: ein Akt von Holocaustleugnung.

Die Propaganda des Hamburger Magazins, die Geschichte des „Dritten Reiches“ müsse „teilweise neu geschrieben werden“, ist heute ein geflügeltes Wort. Und die aktuelle Aufklärung über Kujaus Machwerk umso brisanter, als erst vor einem Jahr der ehemalige „Stern“-Herausgeber Henri Nannen, ein gefeiertes Journalisten-Vorbild, als Lügner und antisemitischer Propaganda-Hetzer der Nazis enttarnt wurde. Der „Henri-Nannen-Preis“ für Journalismus wurde vor Kurzem in „Stern-Preis“ umbenannt. Der NSDAP-Insider Nannen hatte die Veröffentlichung der „Hitler-Tagebücher“ trotz seiner intern geäußerten Skepsis akzeptiert. Als der Bluff nach zwei Ausgaben mit dem „Führer“-Fake aufflog, trat er von „der aktiven Herausgeberschaft“ zurück.

Nachdem Kujau 1985 zu vier Jahren Haft verurteilt und wegen seiner angeschlagenen Gesundheit – Kehlkopfkrebs – nach drei Jahren entlassen wurde, habe ich ihn einige Male getroffen. Einen gemachten Mann mit zwei Gesichtern: mal ausgebuffter Plauderer, mal übellauniges Lügenmaul.

undefined

Als ich jetzt von den NDR-Enthüllungen las, wollte ich mich eigentlich nicht mehr mit dem Thema beschäftigen. Die Erinnerungen wirken unangenehm. Dunkle Flashbacks. Heute wissen nicht mehr allzu viele, wie es Anfang der achtziger Jahre war, in der Stadt zwischen Wald und Reben, zwischen Hängen und Würgen, nach Mitternacht ein geöffnetes Lokal jenseits des Rotlichts zu finden. Die Altstadt war ein Zufluchtsort für Nachtgestalten aller Art. Der Stuttgarter Dörflichkeit zum Trotz hatte sich eine durchaus urbane Szene gebildet, eine Subkultur, in der Betuchte und Loser, Gangster und Juristen, Künstler und Kleindealer in denselben Kneipen und Kaschemmen saßen. Da fiel auch „Champagner-Conny“ kaum auf, wenn er brandneue Hunderter als Trinkgeld spendierte.

Mit Hakenkreuzen und Dollarzeichen in den Augen

Quelle         :           KONTEXT -Wochenzeitung          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —       Konrad Kujau, author of the Hitler-Diaries, King of Forger and Fright of all Historians, in front of one of his Works. This photo was shot in 1992 in his Galerie in Stuttgart, Germany.

Abgelegt unter Baden-Württemberg, Bücher, Medien, Positionen, Überregional | Keine Kommentare »

Kolumne-Fernsicht-Israel

Erstellt von Redaktion am 11. März 2023

Meuterei in den Reihen von Israels Militär

Vogelbeobachtung (8618362879).jpg

Von Hagai Dagan

Der Protest gegen den Plan, Israel in eine Diktatur zu verwandeln, hat eine neue Stufe erreicht.

Neben aggressiven Konfrontationen mit der Polizei gaben komplette Einheiten von Reservisten bekannt, dass sie sich nicht mehr zum Dienst einfinden würden, wenn man sie ruft. Damit bekam der verbreitetste Konsens in Israel einen Riss: der Armeedienst. Der Wehrdienst sollte stets „über der Politik“ stehen. Jetzt erschüttert die Politik selbst diese ungeschriebene Regel.

Parallel zu diesen Entwicklungen stellen auch in Deutschland die aktuellen geopolitischen Veränderungen eine bisher weit verbreitete Einstellung zur Armee auf den Kopf. Folge dreier Kriege – zweier Weltkriege und des Kalten Kriegs – war eine tiefe Verachtung jeglichem Militarismus gegenüber. Weite Teile der deutschen Gesellschaft wurden zu Pazifisten. Entsprechend reduzierte man die Armee auf das Minimum, und Deutschland wurde zu einer Wirtschaftsmacht ohne wirklich schlagkräftige Armee. Dieses Modell bekam infolge des Balkankriegs und der amerikanischen Invasion in Afghanistan erste Macken, doch erst jetzt, infolge des Dramas, das sich in der Ukrai­ne abspielt, ändert es sich grundsätzlich. Viele Deutsche merken, dass die pazifistische Haltung nicht länger mit moralischer Verantwortung vereinbar ist. So ist die Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz, 100 Milliarden Euro in die Modernisierung der Armee zu investieren, nicht nur eine pragmatische Entscheidung angesichts der neuen Gefahrenlage, sondern sie hat auch eine moralische Seite.

Ich muss zugeben, dass mir als Sohn von Holocaust­überlebenden Namen wie „Einheit zur Verteidigung des Vaterlands“ oder der Begriff „Führungsmacht“, wie ihn Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht erwähnte, Unbehagen verschaffen. Ebenso stimmten mich die Nachrichten über Sympathie für die radikalen Rechten in den Reihen bestimmter Armeeeinheiten nicht gerade froh. Doch auch in Israel tendiert ein großer Teil junger Soldaten dazu, sich mit rechten Parteien zu identifizieren, die mindestens so radikal sind wie die in Deutschland, wenn nicht noch radikaler. Es sind die Reservisten – die älteren – nicht die jungen Soldaten, die ihren Widerstand gegen die Regierung zum Ausdruck bringen.

Hommage an White Power

Einem Artikel in der Los Angeles Times entnahm ich, dass bei einer Veranstaltung zur Anwerbung junger Soldaten Rockmusik gespielt und über universale Werte gesprochen wurde. Das ist komplett verschieden zu dem religiös-nationalistischen Ton, der die militaristische Rhetorik ausmachte, als ich selbst Rekrut war. Später fand ich mich zum Glück in einer Einheit von komplett weltlichen Computer-Nerds wieder. Derselbe Artikel berichtet über deutsche Soldaten, die vor zwei Jahren im Rahmen einer Nato- Militärübung in Litauen marschierten und dabei ein Lied zu Ehren von Hitlers Geburtstag sangen,

Quelle       :          TAZ-online          >>>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

Abgelegt unter Deutschland_DE, Medien, Nah-Ost, Positionen | Keine Kommentare »

Worst-Case-Szenarien II

Erstellt von Redaktion am 10. März 2023

Über aufgeklärten Katastrophismus und Analphabet*innen der Angst

File:Schoolchildren examine replica of 'Fatman' atomic bomb at the Nagasaki Atomic Bomb Museum, Nagasaki, Japan.tif

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von       :        MAS

„Gewalt gegen Gewalt funktioniert nicht. Sie dürfen den Krieg gar nicht erst anfassen, denn er ist infektiös wie ein Virus.“ Alexander Kluge.

Vor zwei Jahren habe ich hier einen Artikel über das geleakte Strategiepapier des deutschen Innenministeriums veröffentlicht, in dem ich eine Parallele zum „catastrophisme éclairé“ von Jean-Pierre Dupuy zu entdecken meinte (1).Dieses interne Papier wurde von einem bislang anonym gebliebenen Expertenteam aus Virologen, Epidemiologen, Medizinern, Wirtschafts- und Politikwissenschaftlern mit dem Ziel erarbeitet, unterschiedliche Szenarien der Ausbreitung des Coronavirus zu analysieren, unabhängig von ihrer jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeit. Falls nichts unternommen werde, rechne man mit „über einer Millionen Toten im Jahr 2020 – für Deutschland allein.“ Insofern sei 1.) der „Worst Case (.) mit allen Folgen für die Bevölkerung in Deutschland unmissverständlich, entschlossen und transparent zu verdeutlichen“; 2.) die „Vermeidung des Worst Case (.) als zentrales politisches und gesellschaftliches Ziel zu definieren“; und 3.) den Bürger*innen klar zu machen, „dass folgende Massnahmen nur mit ihrer Mithilfe zu ihrem Wohl umgesetzt werden müssen und können.“ (2)Bei den Kritiker*innen war damals von Panikmache die Rede. Viele, auch ich, stiessen sich an der formulierten Absicht, mittels drastischer Schilderungen – von den Krankenhäusern abgewiesene Schwerkranke sterben „qualvoll um Luft ringend zu Hause“, Kinder bringen ihre Eltern ins Lebensgefahr, „weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen“ usw. – eine „Schockwirkung“ (3) erzielen zu wollen, um Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung für die ergriffenen Massnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehen herzustellen.

Der aufgeklärte Katastrophismus im Sinne Dupuys besteht genau in dieser Schockwirkung, in einem negativen Gesellschaftsentwurf, „der die Form eines fixen Zukunftsbilds annimmt, das man nicht will“ (4). Dieser Entwurf muss katastrophal genug sein, um abstossend zu wirken, und glaubwürdig genug, um zum Handeln zu bewegen. Insofern muss die geringe Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gefahr in eine Gewissheit verwandelt werden, man muss, wie Dupuy empfiehlt, vom schlimmsten Szenario ausgehen, „um den maximalen Schaden auf ein Minimum zu reduzieren“, damit das Unaufhaltsame nicht eintrifft. (5) Die Voraussage zeitigt selber Wirkung – jene nämlich, sich selbst zu dementieren.

Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: Kürzlich wurde der Gesundheitsminister bei Lanz in die Mangel genommen, nach dem üblichen 4-gegen-1-Prinzip (den Moderator eingerechnet). Markus Grill warf Lauterbach vor, sich einer „Rhetorik der Angst“ bedient zu haben, als er etwa am 18. April 2021 folgenden Tweet postete:

„Es gibt jetzt die Möglichkeit, in den nächsten 6 Wochen noch einmal weit über 10.000 Menschen meist im Alter von 40-60 J zu retten, mit letztem strengen Lockdown. Oder sind wir dafür nicht bereit, weil uns die Einschränkungen 10.000 Tote nicht wert sind. Dann hätten wir versagt.“

Der Lockdown blieb aus. Nach sechs Wochen informierte sich der Chefreporter beim Robert-Koch-Institut: Es waren in Wirklichkeit „nur“ 700 Tote. Sein Fazit: „Ich finde es sowieso eine relativ schlechte Art (…) zu kommunizieren, ein Arzt nimmt Patienten eigentlich unbegründete Ängste. Und ich finde auch ein Politiker sollte nicht mit Ängsten operieren, die möglicherweise auf sehr wackligen Beinen stehen.“

Lauterbach verteidigte die Prognose, berief sich auf die ihm damals vorliegenden „hochkomplexen Modellrechnungen“ renommierter Wissenschaftler wie Michael Meyer-Hermann und Viola Priesemann, die – wie Grill sofort einwarf – „oft kolossal danebenlagen“.

So funktioniere Wissenschaft, entgegnete Lauterbach, und verwies später auf das „Präventionsparadox“. Gegenüber Heribert Prantl wurde er in seiner Verteidigung grundsätzlicher:

„Was ich wirklich ablehne und falsch finde, dass also eine Warnung vor dem, was wirklich stattfinden kann – schwere Erkrankung, Todesfolge, Long Covid usw. –, (…) dass man das im Nachhinein als eine Panikmache abtut“. (6)

Man kann Lauterbach vieles vorwerfen, – eines aber nicht: Die Pandemie wie Trump oder Bolsonaro bagatellisiert zu haben. Er wirkt tatsächlich ein wenig wie der Unglücksprophet aus Günther Anders Parabel „Die beweinte Zukunft“, an Noah, den einsamen Rufer in der Wüste, der für seine Botschaft auf die Zeitform der vollendeten Zukunft zurückgreifen musste.

Zunächst ist es natürlich richtig, dass die Datenlage bezüglich der getroffenen Corona-Massnahmen mangelhaft war. Der vom Bundestag beauftragte Bericht des Corona-Sachverständigenrates vom Juli 2022 hat längst bestätigt: „Insgesamt ist ein Zusammenhang zwischen der Höhe der Inzidenz und der Massnahmenstärke nicht erkennbar.“ (7)

Doch indem wir das wissenschaftliche Nichtwissen betonen, schreibt Jean-Pierre Dupuy (8), gerät die Katastrophe aus dem Blick und hält uns davon ab, verantwortlich zu handeln.Die grösste Schwierigkeit besteht in unserer Unfähigkeit zu glauben, dass der schlimmste Fall tatsächlich eintreten wird. Je grösser die Katastrophen erscheinen, für um so unwahrscheinlicher werden sie gehalten, bevor sie eintreten, doch um so selbstverständlicher erscheinen sie, sobald sie eingetreten sind – eine Erfahrung, auf die bereits Henri Bergson im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg hingewiesen hat.

„Trotz meines Schockes, und meines Glaubens, dass ein Krieg selbst im Fall eines Sieges eine Katastrophe wäre, fühlte ich (…) eine Art von Bewunderung für die Leichtigkeit, mit der der Wandel vom Abstrakten zum Konkreten vonstatten ging: Wer hätte gedacht, dass eine so ehrfurchtgebietende Möglichkeit mit so wenig Aufhebens in die Wirklichkeit eintreten würde? Dieser Eindruck von Einfachheit überwog alles.“ (9)

„Katastrophen zeichnen sich durch eine in einem gewissen Sinne inverse Zeit aus“, schlussfolgert Dupuy. „Als ein Ereignis, das aus dem Nichts hervorbricht, wird die Katastrophe möglich nur durch ihre „Selbstermöglichung“ (um einen Begriff Sartres zu verwenden, der in diesem Punkt ein Schüler Bergsons war). Und das ist genau die Quelle unseres Problems. Wenn man einer Katastrophe vorbeugen will, dann muss man an ihre Möglichkeit glauben, bevor sie eintritt. Wenn es andererseits gelingt ihr vorzubeugen, dann versetzt ihr Nichteintreten die Katastrophe ins Reich des Unmöglichen und die Vorsichtsmassnahmen werden im Nachhinein als sinnlos angesehen.“ (10)

Wer sich heute angesichts des Kriegs in der Ukraine vor einer möglichen Eskalationsdynamik fürchtet, die sich bis hin zum Einsatz taktischer Atomwaffen erstreckt, wird von Expert*innen dahingegen beruhigt, bloss einem Putinschen Narrativ aufzusitzen. Florence Gaub sagt etwa bei Maischberger:

„Ich tue mich ein bisschen schwer mit diesem Worst Case Szenario, was hier davongaloppiert mit uns. Wenn wir von Atomwaffen reden, reden wir immer über ein superhypothetisches Szenario. Sie sind nur einmal beziehungsweise zweimal, aber in ganz kurzer Zeit hintereinander, zum Einsatz gekommen. Die ganze Literatur zum Thema Abschreckung sagt, die Hauptfunktion ist, dass man damit drohen kann. Und das macht Putin die ganze Zeit. Und hier in Deutschland funktioniert das tatsächlich sehr gut.“ (11)

Es funktioniert sogar so gut, dass Prof. Dr. Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, den Deutschen eine psychische Krankheit namens „Eskalationsphobie“ attestieren zu müssen glaubt:

„Von aussen betrachtet, ist die Berliner Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine von einer Angst vor Eskalation beherrscht, die in kaum einem anderen Land des Westens in dieser Intensität so zu beobachten ist. Während in anderen Hauptstädten mehr und mehr überlegt wird, welche Waffensysteme die Ukrainer benötigen, um die nächste russische Offensive abzuwehren oder um die russischen Truppen gar aus dem Land zu vertreiben, dreht sich die deutsche Debatte in geradezu hektischer Weise darum, wie man jede Eskalation vermeiden kann, weil sonst der dritte Weltkrieg ausbricht. Dabei ist es Russland, das in der Ukraine eskaliert, weil es dort unbedingt gewinnen will. Und ohne Bereitschaft des Westens, diese Eskalation mit einer überlegten, stufenweisen Gegen-Eskalation zu beantworten, wird es keinen Frieden in der Ukraine geben.“ (12)

Das ist ein klarer Fall von „Apokalypse-Blindheit“ (Günther Anders). Was kann man diesen – nochmals Günther Anders – „Analphabeten der Angst“ entgegnen?

Sich vor allem nicht so sicher zu sein, was Putin nun will oder nicht will, was er letztlich tun oder nicht tun wird. Wir wissen nicht, ab wann für ihn die rote Linie überschritten sein wird, welche „Gegen-Eskalation“, ob dies nun Panzer- oder Kampfjetlieferungen an die Ukraine sind, zum Einsatz taktischer Atomwaffen führen könnte. Dieses Wissen ist keinem Standardwerk über den Kalten Krieg oder Modellrechnungen atomarer Bedrohungsszenarien zu entnehmen. Es aufgrund dieser Ungewissheit einfach darauf ankommen zu lassen, wäre fatal; dann verhielte man sich in der Tat so, „als ob die Katastrophe selbst die einzige faktische Grundlage dafür bilden würde, die Katastrophe prognostizieren zu können.“ (13)

Folglich muss diese prinzipielle Ungewissheit – das ist das „Aufgeklärte“ an Dupuys Katastrophismus – in eine Gewissheit verwandelt und vom schlimmsten anzunehmenden Fall ausgegangen werden, um diesen verhindern zu können.

Ansonsten wird es übermorgen zu spät sein.

Fussnoten:

(1) „Worst-Case-Szenarien“ 07.02.2021: https://www.xn--untergrund-blttle-2qb.ch/gesellschaft/coronavirus-worst-case-szenarien-6245.html

(2) https://fragdenstaat.de/dokumente/4123-wie-wir-covid-19-unter-kontrolle-bekommen/, S.1.

(3) https://fragdenstaat.de/dokumente/4123-wie-wir-covid-19-unter-kontrolle-bekommen/, S. 13.

(4) Dupuy zit. Walter Francois: Katastrophen: eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert. Reclam Verlag: Stuttgart 2010, S. 274f. Die beiden Werke von Jean-Pierre Dupuy, die sich diesem Thema widmen – Pour un catastrophisme éclairé. Quand l’impossible est certain, Seuil: Paris 2004 und Petite métaphysique des tsunamis, Seuil: Paris 2005 –, wurden noch nicht ins Deutsche übersetzt. Dupuy hat inzwischen über andere Katastrophen publiziert: La guerre qui ne peut pas avoir lieu: essai de métaphysique nucléaire, Desclée de Brouwer: Paris/Perpignan 2018 und La catastrophe ou la vie: pensées par temps de pandémie, Seuil: Paris 2021.

(5) Dupuy zit. n. Francois a.a.O., S. 274.

(6) Markus Lanz vom 9. Februar 2023. Zu Gast: Politiker Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte Markus Grill, Ärztin Dr. Agnes Genewein und Journalist Heribert Prantl. ZDF-Mediathek: https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-9-februar-2023-100.html

(7) Evaluation der Rechtsgrundlagen und Massnahmen der Pandemiepolitik. Bericht des Sachverständigenausschusses nach § 5 Abs. 9 IFSG: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/S/Sachverstaendigenausschuss/220630_Evaluationsbericht_IFSG_NEU.pdf, S. 70.

(8) Vgl. Jean-Pierre Dupuy: „Aufgeklärte Unheilsprophezeiungen. Von der Ungewissheit zur Unbestimmbarkeit technischer Folgen“. In: Gerhard Gamm, Andreas Hetzel (Hg.): Unbestimmtheitssignaturen der Technik. Eine neue Deutung der technisierten Welt. Transcript Verlag: Bielefeld 2005, S. 81–102, hier: 93.

(9) Bergson zit. n. Dupuy a.a.O., S. 94.

(10) Dupuy a.a.O., S. 94f.

(11) Erich Vad und Florence Gaub: Wie der Ukraine-Krieg beendet werden könnte. 22.02.2023. ARD-Mediathek: https://www.ardmediathek.de/video/maischberger/erich-vad-und-florence-gaub-wie-der-ukraine-krieg-beendet-werden-koennte/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL21lbnNjaGVuIGJlaSBtYWlzY2hiZXJnZXIvMTRiZTE5MGUtMTk5Yy00YTM2LTllMjMtZjllZjQ2NzM1NzZh

(12) Joachim Krause. „Eskalationsphobie – eine deutsche Krankheit“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 7. Februar 2023.

(13) Dupuy a.a.O., S. 93.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —       File:Schoolchildren examine replica of ‚Fatman‘ atomic bomb at the Nagasaki Atomic Bomb Museum, Nagasaki, Japan.tif

Author OKJaguar         /        Source   :     Own work        /       Date     :      16. April   2019

Abgelegt unter Gesundheitspolitik, Medien, Positionen, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Aufbegehren im Iran

Erstellt von Redaktion am 9. März 2023

 Die Ruhe vor dem Sturm im Iran

Abgelegt unter Asien, Medien, Mensch, Positionen, Religionen | Keine Kommentare »

Die Diktatur des Verzichts

Erstellt von Redaktion am 9. März 2023

Die ideologische Mobilisierung der Massen zu Verzicht

Sitz in Hannover

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Iwan Nikolajew

Zur Kriegswirtschaft und Krieg, exemplarisch dargestellt an Ulrike Herrmann.

  1. Prolog

Mit dem Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes flüchtet die Bourgeoisie in Krieg, Wirtschaftskrieg und Kriegswirtschaft. Der naturwüchsig entstehende multipolare Weltmarkt, vor allem in seiner ersten Phase, ist tief geprägt von Krieg und Kriegswirtschaft und damit von schweren Angriffen auf das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse. Der zentrale Krieg des Kapitals ist immer der Klassenkrieg gegen die Arbeiterklasse, d.h. der Klassenkrieg, bzw. der Klassenkampf, ist die zentrale Achse des Kapitalismus. Und jeder Krieg ist ein Krieg gegen die Arbeiterklasse, jede Kriegswirtschaft ist ein Krieg gegen die Arbeiterklasse, jeder Wirtschaftskrieg ist ein Krieg gegen die Arbeiterklasse. Die bürgerlichen Ideologen mobilisieren für Krieg und Kriegswirtschaft, beides ist voneinander nicht zu trennen. Ulrike Herrmann steht exemplarisch für die bürgerliche Mobilisierung zu Krieg, Wirtschaftskrieg, Kriegswirtschaft.

  1. Diktatur des Verzichts

Mit dem neuen Krisenschub der Großen Krise steht der Verzicht der Arbeiterklasse wieder im Mittelpunkt der Klassenauseinandersetzung. Die Forderungen nach Opfer, die gebracht werden müssen, werden lauter und beziehen auch Menschenopfer, ob durch Unterversorgung oder auf dem Schlachtfeld, mit ein. Verzicht ist ein Opfer zugunsten höherer Ziele. Diese Opfer, dieser Verzicht, darf vom bürgerlichen Staat eingefordert, erzwungen, werden. Der bürgerliche Staat übt die Zwangsgewalt über die Arbeiterklasse aus. Wer nicht „freiwillig“ verzichtet, wird zum Verzicht gezwungen.

Das Kapital flüchtet in Krisenzeiten in die „Nation“. Die “Nation“ ist eine Zwangs- Opfergemeinschaft der Arbeiterklasse, wo die Arbeiterklasse auf dem Altar der Akkumulation ihr gesellschaftlich notwendiges Reproduktionsniveau opfern soll, während das Kapital nichts opfert als die Arbeiterklasse. In der „Nation“ wird die Arbeiterklasse zum Opfer konditioniert; Opfer für die „Nation“ sind notwendig und alternativlos. Die „Nation“ selektiert die Opfer. Widerstand gegen diese Politik ist ein „Angriff auf die nationale Sicherheit“. Der bürgerliche Staat als ideeller Gesamtkapitalist erklärt die „nationale Sicherheit“ zum zentralen Paradigma seiner Politik und unterscheidet so nur noch über „Freund“ und „Feind“, denn die „nationale Sicherheit“ kennt nur „Freund“ oder „Feind“, aber keine andere Kategorie wie „Opposition“ oder „Neutralität“. Der „Feind“ kann nicht geduldet, er muß vernichtet werden. Eine „neutrale“ Position zur „nationalen Sicherheit“ bzw. „Staatssicherheit“ kann es nicht geben. Entweder man dient zum Wohle der „nationalen Sicherheit“ oder aber man steht gegen die „nationale Sicherheit“. Ein Drittes gibt es nicht. Wer für die „nationale Sicherheit“ steht ist ein „Freund“ und darf am Leben bleiben; wer gegen die „nationale Sicherheit“ steht, ist ein „Feind“ und darf nicht am Leben bleiben. In letzter Instanz bedeutet unter einem Regime der „nationalen Sicherheit“ „Freund“ nichts Geringeres als Leben und „Feind“ ist ein synonym für Tod. Opfer ist Verzicht. –für die Arbeiterklasse: Verzicht auf Momente gesellschaftlich notwendiger Reproduktion und damit indirekt auch ein Verzicht auf Leben. Die Arbeiterklasse hat nichts Überflüssiges, auf das sie verzichten könnte. Im Durchschnitt ermöglicht ihr gesellschaftlich notwendiges Reproduktionsniveau nur die Existenz als Lohnarbeiter. Jeder Verzicht senkt das Reproduktionsniveau der Ware Arbeitskraft unter das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau und gefährdet die Reproduktion der Ware Arbeitskraft als Ware Arbeitskraft, gefährdet die soziale und physische Existenz der Arbeiterklasse, ist somit ein Angriff auf das Leben des Lohnarbeiters. Die „soziale Sicherheit“ der Arbeiterklasse steht im Widerspruch zur „nationalen Sicherheit“ des Kapitals, die immer nur „Sicherheit der Akkumulation von Kapital“ und damit nur „Sicherheit von Ausbeutung“ sein kann. Das Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse garantiert nur das gesellschaftliche Überleben als Arbeiterklasse. Dieses gesellschaftliche Überleben ist nicht mit dem physischen Überleben zu verwechseln, denn das gesellschaftliche Überleben ist gesellschaftlich-historisch und nicht physisch bestimmt. Das gesellschaftliche Überleben bzw. die Reproduktion der Arbeiterklasse ist eine historische Entwicklung und Produkt von Klassenkämpfen. Das physische Minimum reicht zum Überleben der Ware Arbeitskraft nicht aus

Die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Ware Arbeitskraft realisiert sich unter der politischen Form der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie, denn nur dort kann die Arbeiterklasse Eroberungen im Kapitalismus machen und verteidigen, nur dort kann sie über ihre proletarischen Massenorganisationen eine relative proletarische Gegenmacht entwickeln und im Durchschnitt sogar langsam ein wenig das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Ware Arbeitskraft erhöhen, damit die Abnutzung der Ware Arbeitskraft im Ausbeutungsprozeß tendenziell kompensiert wird. Hingegen verlangt eine „Politik der nationalen Sicherheit“ nach einer Form des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus), denn diese läßt keinen Raum für proletarische Eroberungen im Kapitalismus, zerstört offen oder verdeckt die reformistischen proletarischen Massenorganisationen. Eine Verzichtspolitik in Form einer Deflationspolitik kann nur realisiert werden, wenn eine Form des bürgerlichen Ausnahmestaates diese Politik absichert. Einen „demokratischen Verzicht“ gibt es nicht, nur ein autoritärer antidemokratischer Verzicht ist möglich und wird notfalls erzwungen, wenn sich die Arbeiterklasse nicht „freiwillig“ unterwirft.

Deshalb die verstärkten Notstandsdiskussionen seit 2019, tendenziell parallel mit dem neuen Krisenschub der Großen Krise seit Herbst 2019. Notstand heißt Verzicht. Mit der „Corona-Krise“ realisiert sich die erste Phase des Notstands. Die „Corona-Krise“ ist nur die erste Phase der notwendigen Entwertung des Kapitals im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate als durchschnittliche Bewegungsform des Kapitals und fällt mit der Corona-Pandemie zusammen, welche nur ein zufälliger Auslöser der notwendigen Entwertung des Kapitals ist. Wäre es nicht die Corona-Pandemie, wäre es ein anderer Auslöser. Das Kapital reagiert mit dem Notstand, weil deutlich ist, daß hinter dem Schleier der Corona-Krise tiefergehende Krisenprozesse, Entwertungsprozesse, ablaufen, welche durch die Corona-Pandemie zufällig aktiviert wurden und versucht vermittels Notstand die Entwertungsprozesse unter Kontrolle zu halten. Die zweite Phase der Entwertungsprozesse wird durch den Ukraine-Krieg eingeleitet, der zu einem tendenziellen Energienotstand führt, da der transatlantische antirussische Wirtschaftskrieg, vor allem die EU, von ihrer Energieversorgung abschneidet. Die Entwertungsprozesse des Kapitals haben eine Größenordnung erreicht, daß sie eine Neuzusammensetzung des Kapitals- Neuzusammensetzung des Kapitals erzwingen und dies erfordert auch eine Neuzusammensetzung des bürgerlichen Staates in der Form des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus). Diese Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse realisiert sich auf internationaler Ebene, in Form einer neuen Weltmarktstruktur und einer neuen internationalen Ordnung, d.h. in einer Neuzusammensetzung der imperialistischen Kette. Hier geht es konkret um die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette, denn nur ein Hegemon kann diese ordnen und konkret ausrichten, dieser imperialistischen Kette eine gewisse Stabilität geben und damit auch der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Nur ein Hegemon innerhalb der imperialistischen Kette kann die Akkumulation des Kapitals weltweit tendenziell stabilisieren und die bürgerliche Klassenherrschaft festigen. Eine stabile Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse verlangt nach einem Hegemon innerhalb der imperialistischen Kette, welcher dort als Schiedsrichter fungiert und die innerimperialistischen Konflikte regelt und vor allem entscheidet. Der bisherige US-Hegemon hat seine herausragende Position innerhalb der imperialistischen Kette durch die Große Krise seit 2007/2008 verloren. Das mehrwertheckende US-Kapital ist zu schwach, um den Überbau des fiktiven Kapitals zu tragen; der US-Imperialismus muß sich erst wieder Re-Industrialisieren. Die Schwäche der US-Mehrwertproduktion versuchte der US-Imperialismus schon präventiv vor dem Ausbruch der Großen Krise mit politischen Aktionen zu überspielen und zu kompensieren. Der US-Dollar war Weltgeld und damit hatte der US-Imperialismus das Privileg sich in seiner eigenen Währung zu verschulden. Die hohen Doppeldefizite konnte nur auf diese Weise der US-Imperialismus finanzieren und damit hängt der US-Imperialismus am US-Dollar. Jedoch konnte der US-Dollar nur solange Weltgeld bleiben, wie es gelingt, den US-Dollar bzw. das US-Kapital insgesamt, mit Wert zu unterfüttern. Eine Bedrohung des US-Dollar ist damit eine Bedrohung der „nationalen Sicherheit“ der USA. Der Ausgriff des US-Imperialismus auf die strategischen Rohstoffe, vor allem Öl und Gas, des Mittleren Ostens in der Operation Syriana zur „Neuordnung“ des Mittleren Ostens diente zur Unterfütterung des US-Dollar mit Wert. Legitimiert wurde diese Operation Syrien durch die vom US-Imperialismus inszenierten Terroranschläge des 11. September 2001. Diese US-Kolonialkriege richteten sich indirekt gegen die schärfsten Weltmarktkonkurrenten des US-Imperialismus, gegen den russischen Imperialismus und gegen China. China sollte von seiner Mineralölversorgung aus dem Mittleren Osten abgeschnitten werden und Rußland sollte sein Einflußfeld in Eurasien verlieren. Mit der Niederlage der US-Kolonialkriege im Mittleren Osten ist dann auch die indirekte imperialistische Konfrontation mit dem russischen Imperialismus zu Ende und transformiert sich tendenziell immer näher einer offenen imperialistischen Auseinandersetzung, wie jetzt in der Ukraine. Die Zeit der Kolonialkriege ist vorbei. Es beginnt die Zeit der imperialistischen Großkonflikte. Und auch der US-chinesische Konflikt wird immer unmittelbarer. Auch hier steht eine unmittelbare Auseinandersetzung kurz bevor. Mit dem Scheitern der US-Kolonialkriege im Mittleren Osten verliert der US-Imperialismus auch seine Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette. Die nun folgende notwendige Großauseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus und China ist schon eine Auseinandersetzung über die nachhegemoniale Rolle des US-Imperialismus innerhalb der imperialistischen Kette. Über die US-Kolonialkriege als indirekte US-Auseinandersetzung mit China und Rußland sollten China und Rußland weiterhin im US-garantierten neoliberalen Weltmarkt gefangen gehalten werden. Mit dem Scheitern dieser US-Politik brach der neoliberale Weltmarkt zusammen und transformierte sich naturwüchsig in den multipolaren Weltmarkt. Die Flucht nach vorn des US-Imperialismus in eine extrem expansionistische Politik als Kompensation für die sozioökonomische Schwäche führte notwendig in den Abgrund und an den Rand des Dritten Weltkrieges. Nur eine Revitalisierung der US-Mehrwertproduktion Anfang des 21. Jahrhunderts hätte die US-Hegemonie gesichert. Stattdessen expansionierte der US-Imperialismus in eine Sackgasse. Als erste Reaktion auf den Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes und der realen Existenz des multipolaren Weltmarktes griff das Kapital weltweit tendenziell auf die Kriegsökonomie zurück. Diese autoritären Tendenzen manifestieren sich seit dem Jahr 2020 in der „Corona-Krise.“ Die „Corona-Krise“ ist nur der oberflächliche Ausdruck für den letzten Krisenschub der Großen Krise, welcher im Jahr 2020 den neoliberalen Weltmarkt zusammenbrechen ließ. Seitdem ist der Weltmarkt durch tendenziellen Kriegsökonomien geprägt und damit auch durch Wirtschaftskriege. Über die Wirtschaftskriege wird zentral die multipolare Weltmarktkonkurrenz ausgetragen, sie sind keine Ausnahme, sondern die Norm. Der Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes produziert notwendig „Feinde“. Konkurrenten werden zu „Feinden“. Ein Notstandsstaat wird notwendig, um in der multipolaren Weltmarktkonkurrenz bestehen zu können, denn die Not der Akkumulation verlangt nach einem Notstandsstaat und somit nach einer Not der Arbeiterklasse, denn nur die Not der Arbeiterklasse kann die Not der Akkumulation verhindern. Der Notstand wird zur „neuen Normalität“ und reflektiert konkret-spezifisch die Herausbildung des multipolaren Weltmarktes und der multipolaren Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Die imperialistische Kette spaltet sich in imperialistische Blöcke auf. Multipolare Weltmarktkonkurrenz ist eine imperialistische Blockkonkurrenz. Es kommt zu einer internen Vereinheitlichung eines jeden imperialistischen Blocks bei gleichzeitiger Desintegration im Verhältnis zu anderen imperialistischen Blöcken, welche somit zu „Feinden“ werden. Zwischen den verschiedenen imperialistischen Blöcken gibt es nur noch eine geringe ökonomische Verflechtung und damit nur noch geringe gemeinsame Interessen. Dann steigert sich die Konkurrenz zur Feindschaft. Mit der Ukraine-Krise kappt der deutsche Imperialismus erst einmal alle seine ökonomischen Verbindungen mit dem russischen Imperialismus und läßt nur noch einen geringen ökonomischen Austausch zu. Der Wirtschaftskrieg zerstört die ökonomischen und politischen Bindungen zwischen Rußland und Deutschland und beschädigt sogar die kulturellen Beziehungen. Der Ukraine-Krieg setzt eine Feindschaft zwischen dem deutschen und russischen Imperialismus und damit potentiell den Krieg, konkret, den Dritten Weltkrieg. Mit der aufziehenden imperialistischen Kriegsgefahr zieht auch der Notstand auf, konkret in der Form des Energienotsandes, da der deutsch-transatlantische Wirtschaftskrieg die deutsche Energieversorgung stark beschädigt. Handel zwischen den imperialistischen Blöcken wird im Prinzip als „Gefahr für die nationale Sicherheit“ eingestuft.

undefined

Pressekonferenz von „Totalverweigerern des Wehrdienstes“ aus Ost- und Westdeutschland mit Renate Künast (AL), Januar 1990

Ideologisch wird der Energienotstand auch versucht als Klimanotstand zu rechtfertigen, als die „Neue Normalität“. Damit wird dann ideologisch der transatlantische antirussische Wirtschaftskrieg und auch der Ukraine-Krieg gegen Rußland zum Klimakrieg bzw. Klimanotstandskrieg, zu einem „guten Wirtschaftskrieg“ bzw. „guten Krieg“. Rußland wird zum „äußeren Feind“ ideologisch aufgerüstet. Nicht nur wegen dem Ukraine-Krieg, welcher die transatlantische Hegemonie beseitigt, bzw. die „Werte des Westens“, sondern auch, weil Rußland fossile Energieträger im großen Maßstab exportiert. Diese beiden Momente fallen im antirussischen Feindbild zusammen, „Klimazerstörer“ und gleichzeitig „Aggressor“. Deshalb unterzeichnet Ulrike Herrmann auch Aufrufe, die „Waffen für die Ukraine“ fordern und gleichzeitig fordert sie den „Klimanotsand.“ Es ist das unheilige Band von „Corona-Notstand“, „Klimanotstand“, „Energienotstand“ und imperialistischen Ukraine-Krieg, welches die Arbeiterklasse fesseln und zum Verzicht zwingen soll und repräsentiert an der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse den Krisenschub der Großen Krise. Es entsteht ein Notstandskapitalismus, der ideologisch nicht mehr als Kapitalismus bezeichnet werden darf, sondern als „Überlebenswirtschaft“ in die ideologische Sprachregelung der Bourgeoisie eingeführt wird. So wird der Notstandskapitalismus zur „Überlebenswirtschaft“, welche den Kapitalismus ersetzten soll. Welche die Gesetzmäßigkeiten sind, welche die „Überlebenswirtschaft“ zur eigenständigen Produktionsweise machen, bleibt offen. Da der „ökologische Fußabdruck“ des Kapitalismus zu groß ist, droht er automatisch zusammenzubrechen und kann nur durch eine „Überlebenswirtschaft“, durch eine Notstandsökonomie, ersetzt werden.

„Die nächste Epoche wird daher eine „Überlebenswirtschaft“ sein müssen, die den Kapitalismus überwindet“ (Ulrike Herrmann: Raus aus der Wachstumsfalle, in Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/2022, S. 57 ff, im fortfolgend abgekürzt mit Ulrike Herrmann)

Real ist die „Überlebenswirtschaft“ nur eine kapitalistische Notstandsökonomie, eine „Rationierungsökonomie“ im Sinne einer kapitalistischen Kriegswirtschaft. Auch eine Notstandsökonomie bricht nicht mit dem Wertgesetz, daß Wertgesetz wird nur modifiziert, indem es bürokratisch überformt wird. Doch das Privateigentum an Produktionsmitteln, die unabhängig voneinander existierenden Privatarbeiten für einen anonymen Markt, wird nur modifiziert, nicht aber angetastet. Neben die Rationierung durch das Wertgesetz tritt die bürokratische Rationierung des bürgerlichen Staates als ideellen Gesamtkapitalisten. Über eine Rationierung durch den bürgerlichen Staat wird dann die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Ware Arbeitskraft drastisch abgesenkt, entwertet. Das Ziel soll sein, daß nur so viel produziert wird, wie recycelt werden kann.

„Auch mangelt es nicht an Visionen, wie eine ökologische Kreislaufwirtschaft aussehen könnte, in der nur noch so viel verbraucht wird, wie sich recyceln lässt, Stichworte sind unter anderem Tauschwirtschaft, Gemeinwohlökonomie, Konsumverzicht, Arbeitszeitverkürzung oder bedingungsloses Grundeinkommen“ (Ulrike Herrmann: a.a.O)

Politisch geht es um den Konsumverzicht der Arbeiterklasse und damit um die qualitative Absenkung des gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse. Auffällig ist, daß hier sehr detailliert sich über den Sektor II der Volkswirtschaft, dem Sektor der privaten Konsumtion, ausgelassen wird, nicht aber über den Sektor I, dem Sektor, wo Produktionsmittel produziert werden und welcher das Akkumulationszentrum des Kapitalismus ist. Es geht also zentral um die Rationierung des Konsumwaren produzierenden Sektors, nicht aber um die Rationierung des Produktionsmittel produzierenden Sektors. Im Resultat: Es geht damit also um die Rationierung der Arbeiterklasse, nicht aber um die Rationierung des Kapitals. Natürlich kann man nicht dauerhaft die Akkumulation der beiden Sektoren voneinander entkoppeln, doch zeitweise und tendenziell ist dies über eine Kriegswirtschaft möglich und wird im Falle kapitalistischer Kriege auch so realisiert. Es geht also nicht um eine langfristige und systematische ökologisch-soziale Reformpolitik, sondern um einen Notstand gegen die Arbeiterklasse, wobei die ökologische Dimension nur die Funktion hat, den Notstand zu legitimieren.

„Um sich das „grüne Schrumpfen“ vorzustellen, hilft es, vom Ende her zu denken. Wenn Ökostrom knapp bleibt sind Flugreisen und private Autos nicht mehr möglich. Banken werden ebenfalls überflüssig, denn Kredite lassen sich nur zurückzahlen, wenn die Wirtschaft wächst. In einer klimaneutralen Wirtschaft würde niemand hungern- aber Millionen von Arbeitnehmern müssten sich umorientieren. Zum Beispiel würden sehr viel mehr Arbeitskräfte in der Landwirtschaft und auch in den Wäldern benötigt, um die Folgen des Klimawandels zu lindern“ (Ulrike Herrmann: a.a. O.)

Bei Ulrike Herrmann zielt der Notstandskapitalismus auf eine Schockpolitik und verlangt damit eine Notstandsdiktatur. Ihre ideologische Position wird das Kapital nicht teilen, denn es ist äußerst wirr und konfus. Ein Zurück in den Feudalismus wird es nicht geben, keine De-Industrialisierung und keine Politik a la Pol Pot in Kambodscha, sondern unter dem Schild eines „ökologischen Notstandes“ wird ein klassisch kapitalistischer Notstand exekutiert. Es geht dem Kapital nur um die Propaganda einer Schockpolitik, zumindest als Drohung. Dies ist der reale Kern in den bizarren Ausführungen einer Ulrike Herrmann, die reale Drohung des Kapitals, welches Ulrike Herrmann benutzt, um die Notwendigkeit des „progressiven Verzichts“ in den Massen, vor allem im Kleinbürgertum, zu verankern. Eine Politik a la Ulrike Herrmann würde eine enorme Massenarbeitslosigkeit und Massenverelendung bedeuten und den Tod von Millionen Menschen. Eine feudale Landwirtschaft wird nicht achtzig Millionen Einwohner Deutschland ernähren können. Es ist ein Programm für einen Völkermord, denn unter der Bedingung, daß nur so viel produziert werden darf, wie recycelt werden kann, reicht die Produktion nicht für die ganze Bevölkerung aus. Damit wäre dann der ökologische Fußabdruck reduziert, in dem die Bevölkerung reduziert wird. Bevölkerungsreduktion= Reduktion des ökologischen Fußabdrucks. Nicht ganz so radikal, aber auch noch radikal genug, wird die herrschende Klasse in diese Richtung marschieren, indem sie mit einer Schockpolitik droht. Um das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse drastisch zu senken, reicht schon die Drohung mit einer Schockpolitik aus. Die Arbeiterbürokratie wird alles versuchen dies zu verhindern und dem Kapital Angebote unterbreiten, „freiwillig“ das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse abzusenken, um so gesellschaftliche Verwerfungen durch eine offene Klassenkonfrontation zu vermeiden und kleine Zugeständnisse auszuhandeln. Eine „Politik auf Grundlage eines „ökologischen Fußabdrucks“ ist der ideologische, verzerrte Ausdruck für eine reale Schockpolitik des Kapitals. Als Exempel dient die Zerstörung des bürokratisch entarteten Arbeiterstaates Sowjetunion, welcher über eine Schockpolitik zerstört wurde. Nur durch den Rückgriff auf die Subsistenzwirtschaft vermittels einer Datschenökonomie konnte unter großen Schwierigkeiten die nachsowjetischen Bevölkerungen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion überleben. Es gab eine hohe Sterblichkeit und ein tiefer Einbruch in die Bevölkerungsstruktur. Auch die medizinische Versorgung brach weitgehend zusammen, ebenfalls die gesamten Transferleistungen. Ohne weiteres ist die nachsowjetische Schockpolitik das objektive Muster für Ulrike Herrmann und ebenso für das deutsche Kapital.

Das Jahr 2022 ist auch in Deutschland ein Jahr der Schockpolitik. Noch nie seit dem Bestehen der BRD gab es einen derartigen hohen Reallohnverlust, einen inflationären Kaufkraftverlust, der noch höher bei den Beziehern sozialer Transfereinkommen ist, exemplarisch bei Hartz IV. Im Hartz IV-System droht nun der „Überlebenskampf“ noch härter zu werden, er wird immer mehr zum Kampf auf Leben und Tod. Das „Überleben“ in Hartz IV-Bezug wird immer unmöglicher gemacht, es droht der Tod. Das System der privaten Armenspeisungen („Tafel“-System) reicht nicht mehr aus, Hartz IV zu ergänzen. Armut, Energiearmut dehnen sich immer weiter aus. Auch ist die medizinische Versorgung nicht mehr gewährleistet, da viele Medikamente nicht mehr ohne weiteres erhältlich sind. Alles Tendenzen einer Schockpolitik. Und alle diese Tendenzen einer Schockpolitik werden von der Arbeiterbürokratie akzeptiert. Es wird kein Widerstand organisiert, im Gegenteil, wo es proletarischen Widerstand gegen eine Schockpolitik gibt, wird versucht, diesen zu zerstören. Die Gewerkschaftsbürokratie schloß bewußt Tarifverträge ab, die weit unter den inflationären Tendenzen liegen und konnte den Widerstand gegen eine solche reaktionäre Gewerkschaftspolitik verhindern. Statt das Kapital für die inflationären Tendenzen verantwortlich zu machen, macht die Gewerkschaftsbürokratie die „Politik“, also die Politik des bürgerlichen Staates, der ideeller Gesamtkapitalist ist, verantwortlich und verweigert sich einer Konfrontation mit dem bürgerlichen Staat. Jedoch ist die Gewerkschaftspolitik nicht auf das Kapital beschränkt, sondern es gibt auch Tarifverhandlungen für die Lohnarbeiter des bürgerlichen Staates. Gewerkschaften haben immer ein „politisches Mandat“. Aber die Gewerkschaftsbürokratie weigert sich, dieses „politische Mandat“ wahrzunehmen, da sie die Schockpolitik des Kapitals unterstützt, denn sie fürchtet die gewaltsame Zerschlagung der Gewerkschaften und kapituliert. Die Schockpolitik kommt nicht erst, sie wird schon seit Anfang 2022 exekutiert und ist seitdem Gegenwart. Eine Gegenwart, die jedoch nicht thematisiert werden soll. Die Frage ist nur, ob das Kapital die Schockpolitik radikalisieren wird oder diese zurücknimmt. Bis jetzt ist es der Bourgeoisie gelungen, die Exekution der ersten Tendenzen der Schockpolitik zu de-thematisieren. Es gibt keine veröffentlichte Diskussion zum gegenwärtigen Stand der deutschen Entwicklung. Die Bourgeoisie gibt ihre Schockpolitik als „alternativlos“ aus. Nun ist Krieg, nun ist Wirtschaftskrieg, die „Werte“ wurden durch den „äußeren Feind“ Rußland angegriffen. „Wir“ müssen uns verteidigen und deshalb hat jeder jedes Opfer zu akzeptieren. Wer sich weigert zu opfern, wird zum Opfern gezwungen, indem er selbst zum Opfer wird. Wer diesen transatlantischen antirussischen Wirtschaftskrieg nicht als „alternativlos“ sieht, wird von der Bourgeoisie als „innerer Feind“ betrachtet und auch so behandelt. Nur der „innere Feind“ kennt „Alternativen“. Daran kann man den „Feind“ erkennen. Der „Freund“ hingegen erkennt die „Alternativlosigkeit“ an. Diese „Alternativlosigkeit“ zur Feindschaft gegen den „inneren und äußeren Feind“, die „Alternativlosigkeit“ zum Krieg, die „Alternativlosigkeit“ zum Wirtschaftskrieg, die „Alternativlosigkeit“ zu Verzicht und zum Opfer im Namen der „Nation“ und/oder der „Werte“. Die Bourgeoisie schwört die Arbeiterklasse auf eine „Politik der Opfer“ ein. Das Opfer soll „alternativlos“ sein.

Auch bei Ulrike Herrmann ist die Entwicklung zu Verzicht und zum Opfer „alternativlos.“

„Diese Sicht (das grüne „Schrumpfen“, I.N) auf die Zukunft mag radikal erscheinen, aber sie ist wahrsten Sinn des Wortes „alternativlos“. Wenn wir die emittierten Treibhausgase nicht auf netto null reduzieren, geraten wir in eine „Heißzeit“, die ganz von selbst dafür sorgt, dass die Wirtschaft schrumpft. In diesem Klimachaos käme es wahrscheinlich zu einem Kampf aller gegen alle, den unsere Demokratie nicht überleben würde“ (Ulrike Herrmann: a.a.O)

Aus Angst vor dem Tod Selbstmord begehen. Denn auch das „grüne Schrumpfen“ beseitigt die „Demokratie“, denn ein solches Programm führt zur Massenverelendung und Massentod und kann nur antidemokratisch-diktatorisch umgesetzt werden. Gerade bei dem „grünen Schrumpfen“ bricht der Kampf aller gegen alle aus und zerstört die „Demokratie“, kann nur in einer Form des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) unter Kontrolle gehalten werden. Wenn das „grüne Schrumpfen“ willkürlich als „alternativlos“ gesetzt wird, wird auch der bürgerliche Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) notwendig alternativlos. Wer alternative Positionen zur Alternativlosigkeit bezieht, wird zum „Feind“ erklärt. Alternativlos ist nur der Befehl. Wer den Befehl mißachtet, ist ein „Feind“ und muß vernichtet werden. Der Notstandsstaat ist dann die „Regierung der nationalen Einheit“ bzw. die „Regierung der Solidarität“ gegen die Arbeiterklasse. Solidarität ist für das Kapital ein anderes Wort für Verzicht und Opfer der Arbeiterklasse und zeichnet den „Freund“ aus, bzw. „Solidarität“ ist für die Bourgeoisie Solidarität mit dem Kapital. Wer gegen das Kapital Front macht, ist dann „unsolidarisch“ und damit der „Feind“.

„Schrumpfen ohne Chaos zu erzeugen… Zum Glück bietet die Geschichte dafür ein Vorbild. Ausgerechnet die britische Kriegswirtschaft taugt als Anregung, wie sich eine klimaneutrale Welt geordnet anstreben ließe“ (Ulrike Herrmann: a.a.O.)

Offen propagiert Ulrike Herrmann die stumm ablaufenden Tendenzen zur Kriegsökonomie. Eine Kriegsökonomie ist eine Kriegserklärung an die Arbeiterklasse, ein Großangriff auf die notwendige gesellschaftliche Reproduktion der Arbeiterklasse, ein Großangriff auf die Eroberungen der Arbeiterklasse im Kapitalismus. Konkret heißt Kriegsökonomie für die Arbeiterklasse Rationierung ihrer gesellschaftlich notwendigen Reproduktion. Die Rationen liegen unterhalb der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion der Ware Arbeitskraft. Damit sind die Waren nicht frei verkäuflich, Qualität und Quantität ist limitiert. Es werden nur geringe Quantitäten produziert. Rücksicht auf individuelle Fälle wird nicht genommen. Die Rationierung einer Kriegswirtschaft bezieht sich auf die gesamte gesellschaftliche Reproduktion, Nahrungsmittel, Wohnen, Mobilität, Kultur und Freizeit, Bildung, medizinische Versorgung etc. Rationierung heißt immer auch Selektion. Es wird nur eine Grundversorgung garantiert und die Grundversorgung garantiert nicht die individuelle Reproduktion der Ware Arbeitskraft. So bietet die Rationierung auch in der medizinischen Versorgung nur eine Grundversorgung, nicht mehr. Es gibt kein Recht mehr auf eine der Krankheit angemessene medizinische Behandlung, sondern nur noch den Anspruch auf eine medizinische Grundversorgung. Wer mit der medizinischen Grundversorgung nicht auskommt, hat Pech und muß sich seinem Schicksal fügen, wird in letzter Konsequenz dem Tod überantwortet. Auch das ist die Rationierung einer Kriegswirtschaft. Es wird das Leben überhaupt rationiert, bzw. „lebenswertes Leben“ vom „lebensunwerten Leben“ selektiert. Eine Ration ist ein qualitatives und quantitatives durchschnittliches Mindestniveau, ist somit eine Selektion aus einem großen bisher vorhandenen Kreis von Lebensmitteln zur gesellschaftlich notwendigen Reproduktion, selektiert zwischen zentralen und peripheren Lebensmitteln zur gesellschaftlich notwendigen Reproduktion. Eine Durchschnittsration für einen Durchschnittslohnarbeiter, je nach Branche, jedoch nur dann, wenn der Durchschnittslohnarbeiter je nach Branche eine bestimmte Durchschnittsproduktivität für das Kapital erzielt. In einem Krieg wird die Lohnarbeiterschaft an die Front oder Heimatfront mobilisiert; die Arbeitslosigkeit wird mit militärischen Mitteln gegen die Arbeiterklasse abgebaut. Wer dennoch arbeitslos ist, bzw. nirgendwo eingesetzt werden kann, ist als überflüssig selektiert und dem wird dann die Ration vorenthalten. Wer „überflüssig“ ist, ist ein „Feind“.

In einer Kriegswirtschaft werden die Arbeiter zu Arbeitssoldaten, das Arbeitsverhältnis wird real zum Arbeitsdienst, die Arbeiterklasse wird dienstverpflichtet. Lohnarbeit ist dann Dienst, Arbeitsdienst, Wehrdienst und real auch damit ein Teil der Wehrpflicht. Und nur derjenige Lohnarbeiter erhält die ihm zustehende Ration, wenn er als Arbeitssoldat fungiert, seine Pflicht als Arbeitssoldat erfüllt. Die Rationierung ist immer an die militärische oder paramilitärische Pflichterfüllung gebunden. Wer seine Pflicht nicht erfüllt, erhält keine Ration und wird auf diese Weise sanktioniert, in letzter Konsequenz bis in den Tod. Rationierung ist ein Moment der inneren Militarisierung.

Eine Kriegswirtschaft ist ein Moment des Ausnahmezustandes, des Notstandes, bzw. setzt den Notstand-Ausnahmezustand voraus und damit den Kriegszustand. Der normale zivile Zustand der Gesellschaft wird beseitigt und damit auch die Verfassung außer Kraft gesetzt. Die individuellen und kollektiven Grundrechte gelten nicht mehr. Eine Kriegswirtschaft ohne den Ausnahmezustand gibt es nicht. Wenn Ulrike Herrmann für eine Kriegswirtschaft eintritt, dann tritt sie auch für den Notstand, für den Ausnahmezustand, ein und damit für die Beseitigung aller individuellen und kollektiven Grundrechte, die von der Arbeiterklasse erkämpft worden sind, dann tritt sie für die innere Militarisierung der bürgerlichen Gesellschaft ein. Mit dem „Corona-Notstand“ begann sich dieses autoritäre Programm tendenziell in die Wirklichkeit zu übersetzten. Der Energienotstand führt dies fort. Ulrike Herrmann war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. In einer Kriegswirtschaft wird nicht nur unmittelbar das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse rationiert, sondern auch die Mehrwertproduktion und damit vermittelt dann ebenfalls das Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse.

Eine Kriegswirtschaft zerstört die relative Tarifautonomie der Gewerkschaften. Der bürgerliche Staat alleine entscheidet über die Höhe der Rationen und ihre Bedingungen und es gibt keine Verhandlungen zwischen Kapital und Gewerkschaften über die Lohnhöhe etc. Die Gewerkschaften sind für das Kapital kein Verhandlungspartner und auch nicht für den bürgerlichen Staat. In einer Kriegswirtschaft diktiert das Kapital vermittelt über den bürgerlichen Staat der Arbeiterklasse die Ausbeutungsbedingungen. Das Diktat ersetzt Tarifverhandlungen und Tarifverträge. Entweder die Gewerkschaften vertreten weiterhin die Interessen ihrer Mitglieder, d.h. die allgemeinen Interessen der Arbeiterklasse, dann werden sie für die Bourgeoisie und damit auch für den bürgerlichen Staat in Notstandsform zum Feind und werden vom bürgerlichen Staat offen terroristisch zerschlagen, oder aber die Gewerkschaften lassen sich in den bürgerlichen Staat als Arbeitsfront einbauen. Unabhängige Gewerkschaften gibt es in einer Kriegswirtschaft nicht. Die Gewerkschaftsbürokratie, welche die Gewerkschaften kontrolliert, wird sich in dieser Frage immer für die Unterwerfung unter die Bourgeoisie entscheiden und sich in den bürgerlichen Staat einbauen lassen. Es hängt von der Gewerkschaftsbasis ab, ob sie den Kurs der Gewerkschaftsbürokratie in Richtung Integration in den bürgerlichen Staat passiv mitträgt und wie sich die Gewerkschaft gegen den bürgerlichen Staat verteidigt. Somit hängt es vom Zustand der Zersetzung innerhalb der Gewerkschaft ab, welchen Weg die Gewerkschaft in einer Kriegswirtschaft einschlägt. Für die Arbeiterklasse ist die Kriegswirtschaft der Feind. Die Gewerkschaft, wie die Arbeiterklasse insgesamt, benötigt mindestens einen bürgerlichen Staat in parlamentarisch-demokratischer Form um sich gesellschaftlich notwendig reproduzieren zu können und verteidigt deshalb diese Form des bürgerlichen Staates gegen den bürgerlichen Ausnahmestaat.

Unter dem Deckmantel eines „Energienotstandes-Klimanotstandes“ versucht das Kapital eine Form des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) gegen die Arbeiterklasse zu aktivieren. Die Bourgeoisie schürt deshalb im Kleinbürgertum Ängste nach einer „Klimakatastrophe“. Der Begriff „Klimakatstrophe“ bereitet den Begriff „Klimanotstand“ vor. Mit dem „Klimanotstand“ gegen die „Klimakatastrophe“ ist die Parole der Bourgeoise. Hingegen die Arbeiterklasse: Mit „Klimademokratie“ bzw. „ökologischer Demokratie“ gegen die ökologische Krise. Dies wäre der „Weg von unten“ und dies wäre der rationale Weg politische Probleme und dazugehören auch ökologische Probleme, zu lösen. Doch genau dies versucht die Bourgeoisie präventiv zu verhindern. Ökologische Krisen dürfen nur, wie alle anderen Krisen auch, von „oben“ „gelöst“ werden, denn sonst wäre die bürgerliche Klassenherrschaft gefährdet. In dieses Muster fällt auch der „Corona-Notstand“, welcher den „Klimanotstand“ bzw. den Energienotstand und damit den Ukraine-Krieg politisch vorbereitet. Mit dem „Corona-Notstand“ begann die Kriegsökonomie, der „Lockdown“ der Volkswirtschaften führte auch zu einem massiven sinkenden Energieverbrauch und zu einer beispiellosen Verelendung der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums. Es gelang der Bourgeoisie den „Corona-Notstand“ gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen. Der „Corona-Notstand“ war das Exempel für den Krieg gegen den russischen Imperialismus, der ideologisch sich als „Krieg für das Klima“ tendenziell und konkret-spezifisch widerspiegelt, denn er ist ein Krieg gegen die „fossilen Energien“ und der Energienotstand dann der erste Schritt in eine „nicht-fossile“, angeblich ökologisch „saubere“ Energieproduktion. Der „Feind“ ist dann nicht der Kapitalismus, nicht der Imperialismus, sondern lediglich der „fossile Kapitalismus“, der „fossile Imperialismus“. Rußland würde in diesem Blickwinkel dann den „fossilen Kapitalismus“, den „fossilen Imperialismus“ repräsentieren, der das „Klima“ zerstört, also in moralischen Kategorien „böse“ ist, während der transatlantische Kapitalismus, der transatlantische Imperialismus, als „gut“ gewertet wird, da er ja angeblich auf alternative Energiegewinnung, die klimaschonend sein soll, setzt. Ideologisch kurzgefasst: Rußland zerstört das Klima und der transatlantische Imperialismus, besonders Deutschland, schützt das Klima. Dann erscheint der Ukraine-Krieg als „Klimakrieg“, statt als das was er ist, als imperialistischen Krieg zur Neuaufteilung der Welt. Dann geht der „Klimanotstand“ ohne weiteres in den „Kriegsnotstand“ über. Der „Corona-Notstand“ diente zur Akzeptanz des Notstands überhaupt, führte zur „Politik der nationalen Sicherheit“. Und „Klimafragen“ sind nun „Fragen der nationalen Sicherheit“ und der „Klima-Krieg“ in der Ukraine ist eine „Frage für die nationale Sicherheit“ auch für den deutschen Imperialismus.

Mit dem „Corona-Notstand“ zog auch eine ideologische Mobilisierung für die Interessen des deutschen Imperialismus ein. Die Meinungsfreiheit wurde drastisch eingeengt. Nun wurde die Staatsmeinung alternativlos. Wer die Staatsmeinung anzweifelte, zweifelte angeblich die „Wissenschaft“ an und wurde zum „Feind“. Die „Wissenschaft“ als Institution wurde von alternativen Positionen zur Staatsmeinung gesäubert und so konnte sich dann der bürgerliche Staat auf die vorab gesäuberte „Wissenschaft“ berufen. Es wurde nicht nur die Institution Wissenschaft als Moment der ideologischen Staatsapparate des bürgerlichen Staates von alternativen Positionen gesäubert, sondern die gesamte bürgerliche Gesellschaft. Im Ergebnis kam es zu einer deutlichen Entpolitisierung der bürgerlichen Gesellschaft. Wer Positionen bezog, welche im Gegensatz zur gerade herrschenden Staatsmeinung lagen, mußte mit Repression rechnen, mußte mit beruflichen Nachteilen rechnen. Das Ziel des „Corona-Notstandes“, die Entpolitisierung der Massen, wurde weitgehend erreicht und eröffnet dann den Weg in den Energienotstand, welcher verbunden ist mit einem Machtkampf mit dem russischen Imperialismus zur Aufteilung Eurasiens, was direkt in den Dritten Weltkrieg führen kann. Mit den gleichen Methoden des „Corona-Notstandes“ steuert die Exekutive die ideologische Mobilisierung in den Energienotstand und damit auf den „äußeren Feind“ Rußland, wie auf den „inneren Feind“ der angeblichen „Rußlandversteher“. Zum „inneren Feind“ des „Rußlandsverstehers“ zählt jeder, der sich dem Verzicht verweigert. Während sich der bürgerliche Staat seit der „Corona-Krise“ immer weiter politisiert, zwingt er dadurch der Arbeiterklasse und dem Kleinbürgertum die „Entpolitisierung“ auf. Der bürgerliche Staat in Notstandsform beansprucht ein Politikmonopol und enteignet die bürgerliche Gesellschaft in der politischen Diskussion- und Entscheidungsfindung. Ein „Feind“ ist der, welcher nicht die Staatsmeinung teilt. Die „richtige“ Meinung oder auch die Wahrheit, spricht angeblich durch den bürgerlichen Staat in Notstandsform bzw. allgemein durch die Instanzen und Institutionen der bürgerlichen Klassengesellschaft und damit auch durch das individuelle Kapitalkommando. Auf diesem Wege wird die „korrekte“ Meinung oder die Wahrheit zum Befehl. Wer sich der Staatsmeinung verschließt, schließt sich dann selbst aus der bürgerlichen Gesellschaft aus, erklärt sich selbst zum „inneren Feind“. Die „Alternativlosigkeit“ des Notstandsstaates, die „Alternativlosigkeit“ der Kriegswirtschaft wird notfalls immer repressiv hergestellt. Wer sich den Befehlen des Notstandsstaates widersetzt ist ein „Feind“ und wird auch als „Feind“ vernichtet. Politisierung der Massen ist dann ein Verbrechen, ein Meinungsverbrechen und wird repressiv bekämpft. Die Staatsmeinung ist die „nationale Sicherheit“. Eine Verweigerung der Staatsmeinung ist ein Angriff auf die „nationale Sicherheit“.

Eine Kriegswirtschaft erscheint immer in einer Form des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) und produziert automatisch einen „inneren Feind“, wie auch einen „äußeren Feind“, d.h. Kriegswirtschaft produziert Wirtschaftskrieg und Krieg, ist ein Moment des Wirtschaftskrieges bzw. des Krieges, setzt den Krieg und/oder Wirtschaftskrieg als Lösung politischer Probleme ein. Mit der Waffe Kriegswirtschaft wird die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Arbeiterklasse angegriffen. Bezüglich des zweiten imperialistischen Weltkrieg wird dies von Ulrike Herrmann ausdrücklich bestätigt.

„Der Konsum fiel damals um ein Drittel- und zwar in kürzester Zeit. Dieser enorme Rück- und Umbau macht die britische Kriegswirtschaft zu einem faszinierenden Modell für heute: Der deutsche Verbrauch muss nämlich ähnlich drastisch sinken, wenn das Klima gerettet werden soll“. (Ulrike Herrmann: a.a. O)

Eine Schockpolitik im Namen der „nationalen Sicherheit“ und die Zerschlagung der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung, wenn diese sich widersetzen. Auf jeden Fall eine autoritäre Krisenlösung, statt einer demokratischen Krisenlösung. Für Ulrike Herrmann ist Krieg und Wirtschaftskrieg eine Lösung der Probleme, während die Arbeiterklasse Krieg und Wirtschaftskrieg ablehnt, denn die Probleme werden dann nicht kleiner, sondern größer. Nach dem Zusammenbruch der bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten Osteuropas 1989 fielen auch dort die Löhne um ungefähr den gleichen Wert und leiteten eine beispiellose Verelendung ein und führte zum vorzeitigen Tod. Die Lebenserwartung fiel drastisch. Nur über einen kurzen Zeitraum läßt sich so ein Einbruch aushalten, mittelfristig geht er an die Substanz. Statt einer Lebensstandardabsicherung gibt es nur eine Mindestsicherung und auch die nur, wenn Gehorsam geleistet wird. Es kommt zum „Teilen innerhalb der Klasse“, zum „Sozialismus in einer Klasse“. Die Kernbelegschaften verzichten zu Gunsten der Randbelegschaften. Dabei bleibt der Profit außen vor. Innerhalb der Arbeiterklasse wird der soziale Ausgleich zwischen den Kern- und Randbelegschaften finanziert, wobei die Lohnquote als Ganzes sinkt. Sinkende Lohnquote und Umverteilung von den Kernbelegschaften zu den Randbelegschaften gehen gleichzeitig vonstatten. Als Ganzes verschlechtert sich die gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Arbeiterklasse drastisch und kann nur eine bestimmte Zeit konstant gehalten werden. Das Kapital sieht die Kriegswirtschaft natürlich als eine Wohltat an.

„Die staatlich verordnete Gleichmacherei erwies sich als ein Segen: Ausgerechnet im Krieg waren die unteren Schichten besser versorgt als je zuvor. In Friedenszeiten hatte in Drittel der Briten nicht genug Kalorien erhalten, weitere 20 Prozent waren zumindest teilweise unterernährt. Nun, mitten im Krieg, war die Bevölkerung gesund wie nie, wobei die „Fitness der Babys und Schulkinder besonders hervorstach“ (Ulrike Herrmann: a.a.O.)

Es waren vor allem die Kolonien des britischen Imperialismus, welche die Last des Krieges und der Kriegswirtschaft trugen. Und es war eine bewußte politische Entscheidung des britischen Imperialismus ca. vier Millionen Menschen in Indien verhungern zu lassen (Hungersnot von Bengalen), eine Hungersnot zu organisieren, weil man die Nahrungsmittel nach Britannien ausführte. Auf Kosten Indiens, auf Kosten von vier Millionen Inder, welche durch Hunger ermordet wurden, konnte die britische Kriegswirtschaft der britischen Arbeiterklasse Rationen zukommen lassen, welche die Heimatfront politisch stabilisierte. Die „Fitness“ der britischen Schulkinder und Babys während des zweiten imperialistischen Weltkrieges, die Ulrike Herrmann aufführt, kontrastiert mit dem Hungertod der indischen Schulkinder und Babys. Diese toten indischen Babys und Schulkinder sind der Preis für die „fitten“ britischen Schulkinder und Babys. Die britische Kriegswirtschaft organisierte einen Völkermord in Indien, um den deutschen Hitler-Imperialismus niederzuschlagen, den Angriff des deutschen Imperialismus nach einer Neuverteilung der Welt abzuwehren. Auch die britische Kriegswirtschaft ist ein Produkt eines britischen Rassismus und Sozialdarwinismus und keine „zivile Kriegswirtschaft“, keine „Kriegswirtschaft mit humanen Antlitz“, sondern eine normale Kriegswirtschaft mit all ihren mörderischen Konsequenzen für die Arbeiterklasse. Ulrike Herrmann teilt ohne weiteres die sozialdarwinistischen und rassistischen Positionen der britischen Kriegswirtschaft des zweiten imperialistischen Weltkrieges und stellt sie als Modell für die heutigen Krisen dar. „Die Schrumpf-Wirtschaft“ einer Ulrike Herrmann impliziert einen Völkermord durch eine Hungerpolitik. Auch eine Kriegswirtschaft hebt das Wertgesetz nicht auf, sondern modifiziert es nur, indem das Wertgesetz sich verstärkt konkret-spezifisch im bürgerlichen Staatsapparat reproduziert. Diese kapitalistische Kriegswirtschaft ist keine Planwirtschaft, sondern bleibt eine kapitalistische Ökonomie, welche nur im Kriegsfall vom bürgerlichen Staat in Notstandsform überwölbt wird. Das Kapital fällt die zentralen Entscheidungen nach der Profitlogik und der bürgerliche Staat vermittelt abstrakt die gefällten Entscheidungen des atomisierten Kapitals. Ebenso die britische Kriegswirtschaft des zweiten imperialistischen Weltkrieges. Gerade im Krieg durch die Kriegswirtschaft kann das Kapital Extraprofite realisieren, die in Friedenszeiten nicht möglich sind. Konsequent verkennt Ulrike Herrmann den Klassencharakter der britischen Kriegswirtschaft, wie den Klassencharakter des Kapitalismus überhaupt, wenn sie schreibt:

„Die britische Kriegswirtschaft könnte ein solches Modell liefern: Sie zeigt, wie eine private Planwirtschaft die zivile Produktion geordnet schrumpfen kann- und wie sich dann knappe Güter rationieren lassen, damit der soziale Frieden erhalten bleibt.“ (Ulrike Herrmann: a.a.O.)

Die britische Kriegswirtschaft hat den „sozialen“ Frieden nicht erhalten, sondern repressiv erzwungen und vor allem auf Kosten des Völkermordes in Indien. Für Indien bedeutete die britische Kriegswirtschaft keinen „sozialen Frieden“, sondern „sozialen Vernichtungskrieg“. Es ist imperialistischer Zynismus, dies zu „übersehen“. Ebenso zynisch ist es, vom „sozialen Frieden“ im zweiten imperialistischen Weltkrieg zu sprechen. Auch da ist der „soziale Friede“ nichts anderes als der Klassenkrieg der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse; die Ruhe an der Heimatfront ermöglich erst den imperialistischen Krieg. Und die Ruhe an der Heimatfront wird repressiv erzwungen. Wer sich gegen die britische Kriegswirtschaft auflehnte, wurde mit Repression überzogen, Gefängnis oder Todesstrafe waren auch da die letzten Mittel. Aber das paßt gut ins Bild für die Gegenwart. Ebenso die „geordnete Schrumpfung“ der zivilen Produktion damals wie heute. Auch heute wird wieder daran gedacht die zivile Produktion zu „schrumpfen“, aber nicht als Selbstzweck, um das „Klima“ zu retten, sondern um die Produktionskapazitäten für die Aufrüstung zu nutzen. Kanonen statt Butter. Aber das übersieht Ulrike Herrmann. Oder vielleicht doch nicht? Wenn sie Waffen für die Ukraine fordert, müssen diese auf Kosten der zivilen Produktion produziert werden. Dann machen ihre Ausführungen zu britischen Kriegswirtschaft Sinn. Ebenso auch das „geordnete Schrumpfen“ der britischen Kriegswirtschaft, welches in Indien die „Schrumpfung“ der Bevölkerung über eine Politik des geordneten Hungertodes einschloss. Auch wenn sich Ulrike Herrmann nicht bewußt ist, sie bewegt sich auf einer Grenzlinie zum Faschismus und zum imperialistischen Krieg, der schnell in einen Dritten Weltkrieg abgleiten kann. Die Kriegswirtschaft im allgemeinen und die britische Kriegswirtschaft im Besonderen ist keine Überwindung des Kapitalismus, sondern die extremste und aggressivste Form des Kapitalismus, die sich herausbilden kann. Es ist bizarr, mit dem Modell einer Kriegswirtschaft den „sozialen Frieden“ bewahren zu wollen, gar mit einer Kriegswirtschaft emanzipatorische Ziele anzustreben, die Ökologie und das Klima schützen zu wollen. Eine Kriegswirtschaft ist in ihrem Wesen nach eine Ökonomie der Zerstörung und Vernichtung, von Material, Menschen und Ökologie und kann nicht emanzipativ umgestaltet werden. Kriegswirtschaft bedeutet Krieg und kein Frieden. Nur eine zivile Friedenswirtschaft steht für den Frieden.

Mit dem Umweg über die „Klimafrage“ propagiert objektiv Ulrike Herrmann den Klassenkrieg der herrschenden Klasse gegen die Arbeiterklasse, den imperialistischen Krieg, und trägt zur ideologischen Mobilisierung in den Dritten Weltkrieg bei.

Die multipolare Weltmarktkonkurrenz, welche auch vermittels Wirtschaftskriegen und imperialistischen Kriegen ausgetragen wird, verlangt dann auch Autarkiepolitik und Aufrüstung und so dehnt sich der militärisch-industrielle Komplex weiter aus. Bisher wird der Aufrüstungspolitik ein ziviler Mantel umgehängt. Ulrike Herrmann ist ein Beispiel dafür. Aber mit der Zeit wird die Arbeiterklasse an die Kriegswirtschaft gewöhnt und dann zieht die Bourgeoisie ihren zivilen Mantel aus und die Uniform kommt zum Vorschein. Statt „Klimaschutz“ marschiert dann die „nationale Sicherheit“.

Das Diktat des Verzichts über Rationierung und Notstand kommt nicht aus dem Nichts. Es gibt eine Vorgeschichte und diese Vorgeschichte beginnt mit Hartz IV. Mit der Implantation von Hartz IV vollzog sich seit den Jahren 2003/2004 ein qualitativer Bruch in der deutschen Klassengeschichte seit dem Ende des zweiten imperialistischen Weltkrieges. Über Hartz IV wurden bestimmte Teile der industriellen Reservearmee rationiert, ihre gesellschaftliche Reproduktion wurde vom Rest der industriellen Reservearmee und erst Recht von der aktiven Arbeiterarmee abgespalten. Die Bewegung der Lohnhöhe der aktiven Arbeiterarmee bestimmt auch die Höhe der sozialen Transferleistungen und damit auch die Höhe der sozialen Transferleistungen der industriellen Reservearmee. Hier setzt der historische Bruch vermittels Hartz IV ein. Im Hartz IV-Sektor bestimmt nun nicht mehr die Bewegung der Lohnhöhe die Höhe der sozialen Transferleistung Arbeitslosengeld II, sondern Hartz IV als soziale Transferleistung wird von der Bewegung der Lohnhöhe entkoppelt und damit einer Rationierung unterzogen. Mit Hartz IV steigt langsam das deutsche Kapital in die Rationierung von sozialen Transferleistungen ein. Das Hartz IV-System ist das gesellschaftliche Laboratorium der deutschen Bourgeoisie für eine Politik der Rationierung, für eine Politik des Verzichts. Auf diese Weise gewinnt die deutsche Bourgeoisie einen ungefähren Überblick, wie die Arbeiterklasse auf eine aufgezwungene Verzichtspolitik reagiert. Erst die aus diesen Erfahrungen von Hartz IV gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen eine umfassende Rationierungspolitik und stellen auch damit die materielle Grundlage für eine Kriegswirtschaft dar. Ulrike Herrmann greift nicht so sehr auf die britische Kriegswirtschaft des zweiten imperialistischen Weltkrieges zurück, sondern auf Hartz IV und fordert die Ausweitung von Hartz IV auf die gesamte Gesellschaft. Über Hartz IV wird der Konsum drastisch gesenkt und automatisch wird der Energieverbrauch radikal gesenkt. Stormsperren, Dunkelheit und Kälte sind schon immer im Hartz IV-System heimisch. Auf diese Weise ist der „ökologische Fußabdruck“ eines Hartz IV-Empfängers sehr klein, gefährlich klein, denn es findet keine gesellschaftlich notwendige Reproduktion der Ware Arbeitskraft mehr statt, denn die durchschnittliche Lebenserwartung eines Hartz IV-Empfängers liegt unter der durchschnittlichen Lebenserwartung der Gesellschaft. Hartz IV ist die Reduktion des „ökologischen Fußabdrucks“ in Richtung Nirgendwo, in Richtung 0, durch die Absenkung der durchschnittlichen gesellschaftlichen Lebenserwartung in Richtung 0, bzw. in Richtung Nirgendwo. Über die Absenkung der durchschnittlichen gesellschaftlichen Lebenserwartung in Hartz IV-Bezug wird auch der „ökologische Fußabdruck“ abgesenkt. Dabei fällt der Tod mit dem Wert 0 zusammen, d.h. kein „ökologischer Fußabdruck“ findet statt und „Überleben“ hat den Wert 1 mit einem mindest „ökologischen Fußabdruck“. Die Frage nach dem „ökologischen Fußabdruck“ ist somit eine Frage über Leben und Tod. Der „ökologische Fußabdruck“ als Ausdruck der „Natur“ steht dann gegen „Gesellschaft“, denn „Gesellschaft“ steht für Zivilisation, Geschichte und Entfaltung des Individuums und seiner Bedürfnisse in der historischen Entwicklung der Gesellschaft. Wenn der „ökologische Fußabdruck“ bzw. die „Natur“ als zentral gesetzt wird, muß die „Gesellschaft“ verzichten, muß die „Gesellschaft“ reduziert werden, muß die Bevölkerung reduziert werden, denn eine entwickelte Gesellschaft, welche auch eine quantitative und qualitative entwickelte Bevölkerung voraussetzt hat immer einen hohen „gesellschaftlichen Fußabdruck“. Das „geordnete“ Schrumpfen, von dem Ulrike Herrmann positiv spricht, beginnt bei Hartz IV, aber endet nicht da. Es gibt noch viel Raum für eine Radikalisierung von Hartz IV, hat aber real nichts mit der britischen Kriegswirtschaft des zweiten imperialistischen Weltkrieges zu tun, sondern mit dem Klassenkampf heute. Damit geht es zentral um die Absenkung der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion der Arbeiterklasse oder anders ausgedrückt, es geht um die Absenkung des „gesellschaftlichen Fußabdrucks“, denn der „ökologische Fußabdruck“ ist nur ein anderer Ausdruck für den „gesellschaftlichen Fußabdruck“.

Natur ist nicht außerhalb der Geschichte, sondern ein Moment der Geschichte, die Naturgeschichte wird überwölbt von der Menschheitsgeschichte. Somit trägt die Natur immer den gesellschaftlichen Stempel der jeweiligen Produktionsweise, hat einen jeweiligen Klassencharakter. Natur ist keine Negation von Geschichte bzw. Gesellschaft, sondern mit Geschichte und Gesellschaft vermittelt. Es gibt keine „natürliche“ Grenze des Kapitalismus, sondern der Kapitalismus ist selbst seine „natürliche“ Grenze. Der Kapitalismus wird nicht aus ökologischen Gründen zusammenbrechen, sondern nur durch den Klassenkampf. Nicht die „Natur“ begrenzt den Kapitalismus, sondern der Kapitalismus begrenzt nicht nur die Natur, sondern produziert sie auch konkret als Mittel der Akkumulation von Kapital. Im Kapitalismus gibt es keine „Natürlichkeit“, gibt es nur die Bewegung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und nur diese produzieren den Mangel in der Arbeiterklasse und nicht die „Grenzen der Natur“. Die „Grenzen der Natur“ bzw. der „ökologische Fußabdruck“ ist der mystifizierende Ausdruck der Selbstbewegung des Werts und verweist real auf die Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Akkumulation. Der Wert ist die Natur des Kapitalismus und damit der Klassenkampf, „Natur“ ist Wert und Wert ist „Natur“. Wenn das Kapital von den „Grenzen der Natur“, vom „ökologischen Fußabdruck“ spricht, spricht es von einer tiefen Krise des Kapitalismus und vom Klassenkampf. Nur in diesen ideologischen Formen kann das Kapital seine Krise aussprechen.

File:Protest - "Hartz 4 macht nackig".JPG

Und Hartz IV ist ein Produkt des Klassenkampfes, den das Kapital für sich entschieden hat. Erst vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Krisenschubs der Großen Krise läßt sich die Bedeutung von Hartz IV ablesen. Hartz IV war immer ein Sonderrechtssystem im parlamentarisch-demokratischen bürgerlichen Staat. Das Hartz IV-System war immer ein tendenzielles Notstandssystem für bestimmte Segmente der industriellen Reservearmee, wo die parlamentarisch-demokratische Klassenjustiz durch ein Sonderrecht ersetzt wurde. Es gibt nur eine schwach ausgeprägte parlamentarisch-demokratisch juristische Kontrolle über das Hartz IV-System. Die Bedürftigkeitsprüfung ist das Tor zum Hartz IV-Reich. Bevor jemand Hartz IV beziehen kann, muß die „Bedürftigkeit“ nachgewiesen werden und dies bezieht sich dann auf die „Bedarfsgemeinschaft“. Ist das Vermögen und/oder Einkommen der Bedarfsgemeinschaft zu hoch für den Bezug von Hartz IV, wird diese soziale Transferleistung solange verweigert, bis das Vermögen aufgebraucht oder das restliche Einkommen der „Bedarsfsgemeinschaft“ den Hartz IV-Regelungen entspricht. Nicht das mittellose Individuum steht im Mittelpunkt des Hartz IV-Systems, sondern die „Bedarfsgemeinschaft“. Auf diesem Wege wird die Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld II niedrig gehalten. Erst einmal soll die Arbeiterklasse, konkret in der Bedarfsgemeinschaft, ihre Umverteilung untereinander organisieren (Sozialismus in einer Klasse), bevor der bürgerliche Staat soziale Transferleistungen zustimmt.

Über die Arbeitspflicht wurde auch gleichzeitig eine Beweislastumkehr eingeführt. Damit ist ein zentraler Pfeiler der parlamentarisch-demokratischen Klassenjustiz zerstört. Bisher mußte der bürgerliche Staat nachweisen, daß eine angebotene Arbeit zumutbar war. Nun muß der Hartz IV-Empfänger beweisen, daß die ihm angebotene Arbeit unzumutbar ist. Dies ist in der Klassenrealität jedoch nicht möglich. Nun muß der isolierte erwerblose Lohnarbeiter gegenüber dem bürgerlichen Staat nachweisen, daß die ihm vom Arbeitsamt angebotene Arbeit unzumutbar ist. Ein Scheitern ist unausweichlich. Wer eine angebotene Arbeit ablehnt, erhält Sanktionen, die das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau noch weiter absenken, als es ohnehin schon ist. Die Beweislastumkehr gilt nur im Harz IV-System, nicht jedoch im restlichen Rechtssystem. Noch. Über das Dogma der „nationalen Sicherheit“, der „Staatssicherheit,“ droht dieses Sonderrecht in alle Sektoren des bürgerlichen Staates Fuß zu fassen. Die Existenz eines Sonderrechtssystems innerhalb der parlamentarisch-demokratischen Klassenjustiz ist immer gefährlich für die Arbeiterklasse. Entweder dieses Sonderrechtssystem wird zurückgedrängt oder es dehnt sich aus, nicht sofort, aber in historischer Perspektive. So ist es mit dem Hartz IV-System. Der aktuelle Krisenschub der Großen Krise läßt das Kapital wieder auf das Hartz IV-System blicken und das Interesse des Kapitals an Hartz IV nimmt wieder zu, läßt das Hartz IV-System als Modell für eine neue Phase der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse zu. Während das Hartz IV-System der Notstand für bestimmte Sektoren der industriellen Reservearmee war, wird über den „Corona-Notstand“ und den Energienotstand das repressive Netzt über die gesamte bürgerliche Gesellschaft geworfen.

Das Hartz IV-System beinhaltet nicht nur den Arbeitszwang, d.h. den Zwang jede angebotene Arbeit ohne Qualifikationsschutz und Tarifschutz anzunehmen und Beweislastumkehr in der Frage der Zumutbarkeit der angebotenen Arbeit, sondern dieser Zwang wird vermittels der Sanktionsrepression auch realisiert. Wird eine angebotene Arbeit verweigert, wird die Regelleistung um einen bestimmten Prozentwert gekürzt, solange, bis das „Existenzminimum“ formal erreicht, bzw. real und teilweise auch formal unterschritten wird. Es gab viele Klagen gegen das System der Sanktionen, die Gerichtsinstanzen leiteten die Klagen an das Bundesverfassungsgericht weiter, dieses leitete die Klagen wieder zurück und dies gute fünfzehn Jahre lang, bis das Bundesverfassungsgericht sich herabließ, eine „Grundsatzentscheidung“ in Sachen Sanktionspraxis zu fällen. Aber diese „Grundsatzentscheidung“ ist keine, denn sie blieb offen. Auf der einen Seite wurde die Sanktionshöhe eingeschränkt, nur bis auf das „Existenzminimum“, auf der anderen Seite ist es erlaubt, daß „Existenzminimum“ auch zu unterschreiten. Das Bundesverfassungsgericht verweigerte also eine Grundsatzentscheidung, so daß das Hartz IV-System nicht angetastet wurde. Die Willkür bei der Sanktionspraxis blieb erhalten. Es wurde lediglich das Hartz IV-System modifiziert, aber nicht angetastet. So kann man bis heute weiterhin in die Obdachlosigkeit hinein sanktioniert werden, wenn man sich beharrlich weigert, die angebotene Arbeit anzunehmen. Vorher kann man der „gemeinnützigen Arbeit“ als „Arbeitserprobung“ zugeführt werden. Die Kommunen haben dafür einen eigenen Arbeitsdienst eingerichtet. Wer sich dann der „Arbeitserprobung“ im Arbeitsdienst verweigert, fällt ebenfalls den Sanktionen zum Opfer. Der kommunale Arbeitsdienst ist die „demokratische Zwangsarbeit“. Es besteht kein Arbeitsverhältnis, sondern nur ein Sozialrechtsverhältnis, d.h. es gibt nur eine „Aufwandsentschädigung“ statt Lohn und nur die wenigsten Arbeitsgesetze gelten. Außerdem darf kein Betriebsrat gewählt werden und die Gewerkschaft darf zwar organisieren, nicht aber zum Arbeitskampf aufrufen, darf dort ihre historische Funktion nicht erfüllen. Im kommunalen Arbeitsdienst ist die Entrechtung der Arbeiterklasse am höchsten ausgebildet. Das Ziel des Hartz IV-Systems ist es, durch die Repression die industrielle Reservearmee in den zweiten prekären Arbeitsmarkt (Verschränkung von Niedriglohn und Niedrigsozialleistungen) zu transformieren, in die aktive Arbeiterarmee einzureihen. Damit wird der Druck innerhalb der Kernbelegschaften der aktiven Arbeiterarmee drastisch erhöht, die Absenkung der gesellschaftlichen Reproduktion der Arbeiterklasse im ersten Arbeitsmarkt zu akzeptieren. Es wird so zu weiten Teilen die relative Tarifautonomie der Gewerkschaften ausgehebelt und die Reallöhne beginnen zu sinken. Erst mit der Zerstörung von Hartz IV erhalten die Gewerkschaften ihre relative Tarifautonomie wieder und damit ihre Handlungsfreiheit, welche in Erhöhung der Reallöhne umgesetzt werden würde. Hartz IV fesselt die Gewerkschaften und dies schlägt sich in einem sinkenden Reallohn wieder. Eine erfolgreiche Tarifpolitik baut auf den Trümmern des Hartz IV-Systems auf; eine erfolgreiche Tarifpolitik muß auf die Zerstörung des Hartz IV-Systems setzten.

Doch die Repression des Hartz IV-Systems bezieht sich nicht nur auf die Arbeit, sondern bezieht alle Reproduktionssphären der Hartz IV-Bezieher mit ein. Es findet eine engmaschige Kontrolle der Wohnungen der „Bedarfsgemeinschaft“ über Hausdurchsuchungen und Razzien statt, um sicherzustellen, daß nur minimale Transferleistungen gewährt werden. Dazu wurden eigenständige Ermittlungsdienste gegründet, welche auch auf Denunziation hin tätig werden. Jede „Bedarfsgemeinschaft“ ist gezwungen, den Hilfebezug so schnell wie möglich zu beenden. Es ergibt sich daraus eine „soziale Sippenhaft“. Alle Mitglieder der „Bedarfsgemeinschaft“ müssen Arbeit aufnehmen, nicht nur der Antragsteller auf Arbeitslosengeld II. Dies erhöht noch einmal mehr den Druck auf die aktive Arbeiterarmee, da das Arbeitsangebot weiter erhöht wird und dadurch der Lohn der aktiven Arbeiterarmee weiter herabsinkt. Da die gesellschaftlich notwendige Reproduktion über Hartz IV nicht ausreicht, müssen die Hartz IV-Bezieher auch auf die freiwillige Unterstützung der „Tafeln“ ausweichen, um ihr „Überleben“ sicherzustellen. Ebenso findet ein „Profiling“ statt, bzw. ein Verhör um die Person psychologisch auszuleuchten und nach dem Persönlichkeitsprofil zu selektieren.

Hartz IV ist die „friedensähnliche“ Kriegswirtschaft in Friedenszeiten für Segmente der industriellen Reservearmee. Es wundert dann auch nicht, wenn das Kapital in einem tiefen Krisenschub auf diese Waffe Hartz IV zurückgreift, um diese Waffe zu verallgemeinern und über die gesamte bürgerliche Gesellschaft ausdehnen will. Der Rückgriff von Ulrike Herrmann auf die britische Kriegswirtschaft im zweiten imperialistischen Weltkrieg ist überflüssig, ist nur ein rhetorischer Rückgriff, real greift Ulrike Herrmann auf die Rationierung des Hartz IV-Systems zu. Die zentrale Losung von Ulrike Herrmann lautet real: Hartz IV für alle als Lösung der „Klimakrise“. Dies ist dann auch ein Gebot der „nationalen Sicherheit“. Widerstand gegen Hartz IV ist dann Widerstand gegen die „nationale Sicherheit“, Anschlag auf die „nationale Sicherheit“, denn die „Klimakrise“ wird nicht nur von Ulrike Herrmann in den Rang einer „Gefahr für die nationale Sicherheit“ erhoben und Rationierung ist dann eine notwendige Maßnahme, um die „Gefahr für die nationale Sicherheit“ abzuwenden. Auf diese Weise wird auch das Hartz IV-System objektiv als „klimaschonend“ geadelt. Das Klima über Hartz IV wird „geschont“ auf Kosten der untersten Schichten der Arbeiterklasse. Die untersten Schichten der Arbeiterklasse werden nicht geschont im Gegenteil, sie werden geopfert. Das Kapital wird nicht vom Hartz IV-System lassen. Die formale Auflösung von Hartz IV in das „Bürgergeld“ ist nur eine Modifikation von Hartz IV. Das Hartz IV-System wird auf den multipolaren Weltmarkt ausgerichtet, dadurch, daß die Höhe des Schonvermögens steigt, denn der gegenwärtige Krisenschub mit dem antirussischen Wirtschaftskrieg wird auch zu Massenentlassungen der Kernbelegschaften führen. Um Widerstand präventiv zu verhindern, wird das Hartz IV-System tendenziell mehr auf die Kernbelegschaften ausgerichtet, soll den sozialen Absturz ins soziale Nichts zumindest zeitweise abfedern. Mit Zuckerbrot und Peitsche verallgemeinert sich die Rationierung der Arbeiterklasse.

Hartz IV konnte nur mit Hilfe der Gewerkschaftsbürokratie durchgesetzt werden. Die damalige rotgrüne Regierung unter Bundeskanzler Schröder stellte den Gewerkschaften ein Ultimatum: Entweder akzeptieren die Gewerkschaften Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen und dies bedeutet die weitgehende Zerstörung des Flächentarifvertrages, oder der bürgerliche Staat setzt gesetzliche Öffnungsklauseln durch. Die Frage der Öffnungsklauseln existiert nicht in einem Vakuum, sondern ist gleichzeitig mit der Implantation von Hartz IV vermittelt. Eine Kapitulation in der Frage der Öffnungsklauseln bezieht sich nicht nur auf die Öffnungsklauseln, sondern ebenfalls auf das zentrale Moment Hartz IV. Wenn schon in der Frage der Öffnungsklauseln der bürgerliche Staat einen Generalangriff auf die Gewerkschaften startet, dann erst Recht dann, wenn die Gewerkschaften sich weigern, Hartz IV zu akzeptieren. Hinter der Frage der Öffnungsklauseln verbirgt sich die Frage nach Hartz IV. Ohne Frage ist das Ultimatum des bürgerlichen Staates an die Gewerkschaften ein Angriff auf das verfassungsmäßige Recht der Koalitionsfreiheit, auf die relative Tarifautonomie der Gewerkschaften und kann nur mit Massenaktionen der Mitgliedschaft und der Arbeiterklasse beantwortet werden, bis hin zum Generalstreik. Doch die Gewerkschaftsbürokratie kapitulierte in beiden Fragen und arbeitete zusammen mit dem Kapital (hier besonders die Bertelsmann-Stiftung) und dem bürgerlichen Staat das Hartz IV-System aus und damit wurden tendenziell die Gewerkschaften zu einer Arbeitsfront. Es gab viele und auch große Massendemonstrationen gegen Hartz IV, doch es gelang nicht, eine autonome Massenmobilisierung auch gegen die repressive Politik der Gewerkschaftsbürokratie zu organisieren. Letztlich konnte die Gewerkschaftsbürokratie die Kontrolle über die Anti-Hartz IV-Proteste behaupten und diese dann ins Leere laufen lassen. Es gab keine Gegenkraft, welche die Massenproteste gegen Hartz IV organisieren konnte. Die Gewerkschaftsopposition innerhalb der Gewerkschaften war zu schwach, um die Gewerkschaftsbasis zu mobilisieren. Nur aus diesen Gründen war die Unterwerfung der Gewerkschaftsbürokratie unter das Diktat des Kapitals erfolgreich. Die repressive Integration der Gewerkschaften in festere Bahnen innerhalb des korporatistischen Blocks aus Kapital, bürgerlicher Staat und Gewerkschaftsbürokratie hatte Erfolg; die Gewerkschaften wurden deutlich diszipliniert, was sich dann auch zukünftig auswirkte. Ohne auch nur formalen Widerspruch trug die Gewerkschaftsbürokratie nach Hartz IV alle Projekte des deutschen Imperialismus mit und so ist es auch nicht verwunderlich, daß die DGB-Bürokratie auch aktiv den „Corona-Notstand“ mittrug. Hartz IV war nur der Anfang.

Die großflächige und tiefe Rationierung in Deutschland wurde erstmals nach dem Ende des zweiten imperialistischen Weltkrieges ab dem 13. und 17.März 2020 eingeleitet. Objektiv bezieht sich Ulrike Herrmann auf den „Corona-Notstand“, auch wenn sie sich subjektiv auf die britische Kriegswirtschaft des zweiten imperialistischen Weltkrieges bezieht. Der „Corona-Notstand“ griff tief in den proletarischen Klassenalltag ein; die individuellen und kollektiven Grundrechte wurden auf unbestimmte Zeit aufgehoben oder eingeschränkt und gleichzeitig eine Deflationspolitik betrieben. Die Kurzarbeit bedrohte die gesellschaftliche Reproduktion der Arbeiterklasse. Der „Corona-Notstand“ führte zu einem Schub proletarischer Massenverarmung. Noch negativer vom „Corona-Notstand“ war das traditionelle Kleinbürgertum betroffen. Hier gab es kaum eine finanzielle Kompensation durch den bürgerlichen Staat, so daß die Verelendung voll durchschlug. Vor allem dem traditionellen Kleinbürgertum im Dienstleistungssektor wurde durch die Notstandsregelungen die soziale Existenz entzogen. Der soziale Zusammenbruch des traditionellen Kleinbürgertums war die materielle Basis für die Anti-Corona-Proteste. Das Kleinbürgertum begann wild um sich zu schlagen, forderte seine sozialen Rechte zurück, forderte seinen Neoliberalismus zurück. Aber nicht mehr. Es gab keine egalitäre Forderung, keine antikapitalistische Forderung. Das traditionelle Kleinbürgertum wollte seine alte Position zurück, alles andere war ihm egal. Über den „Corona-Notstand“ gelang es dem Kapital zwischen Arbeiterklasse und Kleinbürgertum vertieft zu spalten, diese gegeneinander auszuspielen. Nur mit egalitären und antikapitalistischen Forderungen wären die Anti-Corona-Proteste erfolgreich gewesen, hätten die Arbeiterklasse aktivieren können. Jedoch mit elitären Forderungen nach alten sozialen Positionen im neoliberalen Kapitalismus wird ein Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Kleinbürgertum verhindert. Die Last des „Corona-Notstandes“ trug zu großem Teilen das „traditionelle Kleinbürgertum“.

Über den „Corona-Notstand“ wurde die Arbeiterklasse auf den Krieg, auf die Kriegswirtschaft, vorbereitet. Die individuellen und kollektiven Rechte der Verfassung wurden von der Arbeiterklasse erkämpft und nicht vom der Bourgeoisie gewährt. Diese individuellen und kollektiven Rechte im Kapitalismus sind die proletarischen Eroberungen im Kapitalismus und müssen vom Proletariat verteidigt werden, wenn es seine gesellschaftlich notwendige Reproduktion verteidigen will. Es ist die Aufgabe der proletarischen Massenorganisationen, allen voran der Gewerkschaften, diese proletarischen Eroberungen im Kapitalismus zu verteidigen. Doch auch hier kapitulierte die DGB-Gewerkschaftsbürokratie und unterstützte die Bourgeoisie bei ihrem „Corona-Notstand“ gegen die Arbeiterklasse und fiel der Arbeiterklasse abermals nach Hartz IV bei einer zentralen Frage in den Rücken.

Unter dem „Corona-Notstand“ wurde die Rationierung einer „friedensähnlichen“ Kriegswirtschaft verwirklicht. Ganze Branchen wurden zwangsweise heruntergefahren, die Lohnarbeiter in Kurzarbeit abkommandiert. Der Einzelhandel wurde ganz geschlossen bzw. konnte nur minimal geöffnet werden, in dem vor allem die Kundenfrequenz rationiert wurde, wie auch das Sortiment in Quantität und Qualität. Auch die Armutsversorgung der „Tafeln“ wie die Schulspeisungen wurden eingestellt. Schulen, Universitäten und Bibliotheken wurden geschlossen und es gab nur noch „Digital- Unterricht. Damit brach der Ausbildungsbetrieb zusammen und die Leistungsdefizite an den Schulen werden noch Jahre zu spüren sein, treiben ganze Jahrgänge in eine prekäre Zukunft. Auch dies ist eine Rationierung. Kultureinrichtungen wurden einfach geschlossen. Auf den Straßen durfte man nur alleine oder zu zweit, oder im engen Familienkreis aufhalten. Mehr als drei Personen führte zu einem Polizeieinsatz. Damit war es auch gleichzeitig möglich, jede Demonstration zu verbieten, wie auch Streikposten, sollte ein Streik möglich werden. Auch das Verhalten in den Häusern und Wohnungen wurde rationiert. Es durfte nur eine bestimmte Personenanzahl, meist die Kernfamilie, sich in den Wohnungen aufhalten. Besuche, auch in der weiteren Familie, wurden verboten. Denunziationsstellen zur Überwachung dieser Notstandsmaßnahmen wurden in den Staatsapparaten eingerichtet. Ganz allgemein gab es eine Ausgangssperre, wo niemand mehr ohne Ausnahmegenehmigung auf der Straße sein durfte. Es wurden auch Verordnungen erlassen, daß niemand ohne Genehmigung seine Heimatgemeinde verlassen darf, bzw. diese nur zur Arbeit verlassen darf, aber nicht zu privaten Zwecken. Als Illustration des „Corona-Notstands“ ist es genug. Es ist evident, daß dies eine „friedensähnliche“ Kriegswirtschaft darstellt und damit das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse drastisch abgesenkt wurde. Die Kriegswirtschaft ist also keine Drohung für die Zukunft, sondern sie hat sich bereits im „Corona-Notstand“ 2020 bis 2022 realisiert und dies mit Unterstützung der DGB-Bürokratie, welche den „Corona-Notstand“ gegen die Arbeiterklasse verteidigt hat. Die weitere Verelendung der Arbeiterklasse wurde von der DGB-Bürokratie vollumfänglich akzeptiert, statt das Niveau der gesellschaftlichen Reproduktion der Arbeiterklasse zu verteidigen.

Über den „Corona-Notstand“ wurde die Arbeiterklasse auf den gegenwärtigen imperialistischen Konflikt mit Rußland vorbereitet. Die „friedensähnliche“ ideologische Mobilisierung auf den „Feind“ wurde mit dem „Krieg gegen Corona“ eingeleitet. Das SARS-Corona-Virus wurde zum Feind erklärt und gleichzeitig jegliche Kritik an dem „Corona-Notstand“ galt von da an als „Feindhandlung“. Es wurde ein „Freund-Feind“-Denken in die bürgerliche Gesellschaft implantiert und über den „Corona-Notstand“ fanden erste Schritte der inneren Militarisierung statt. Befehl und Gehorsam, statt Diskussion und Meinungsfreiheit. Eine Kultur der Zensur setzt sich seit dem „Corona-Notstand“ durch; es wird die Anzahl der „Tabu-Themen“ ausgeweitet, neben der Israel-Palästina-Problematik sind es jetzt auch noch der „Corona-Komplex“ und der Ukraine-Krieg und damit auch der deutsche transatlantische Wirtschaftskrieg gegen Rußland. Wenn man bei diesen Themen, die sehr weitgefaßt werden, nicht die Staatsmeinung vertritt, kann Repression drohen. Hier wird keine Abweichung von der Staatsmeinung geduldet. Wer von der Staatsmeinung abweicht, begeht ein Verbrechen, ist ein „Extremist“ und damit ein potentieller Terrorist. Eine Diskussion ist nicht erwünscht. Nicht über diese Themen. Über andere Themen darf diskutiert werden, doch nicht über die „Tabu-Themen“, denn dies wäre eine Gefahr für die „nationale Sicherheit“.

Nicht umsonst wird wieder eine Politik der Berufsverbote aktiviert. Unter dem Vorwand die „rechte Gefahr“ im bürgerlichen Staatsapparate zu bekämpfen, werden die Berufsverbote wieder aktiviert und letztlich gegen die Arbeiterklasse eingesetzt. Mit der Neuauflage der Berufsverbote sollen „Extremisten“ bekämpft werden. Was ein „Extremist“ ist, ist unbestimmt und so kann jeder als „Extremist“ erfaßt werden, wer von der Staatsmeinung abweicht und damit eine potentielle „Gefahr für die nationale Sicherheit“ darstellt. Es wird ausdrücklich darauf abgestellt, daß auch Verhalten unterhalb eines Straftatbestandes erfaßt wird. Hier geht es damit explizit um die Disziplinierung der staatlichen Lohnarbeiter im bürgerlichen Staatsapparat. Wer nicht aus dem bürgerlichen Staatsapparat gesäubert werden will, gehorcht den Befehlen und unterwirft sich. Die Zensur der Meinungsbildung zielt vor allem auf die Selbstzensur, auf die Schere im Kopf. Zensur ist nicht nur Zensur der Meinung, sondern auch immer Zensur des konkreten Verhaltens. Jedoch sind die Berufsverbote nicht auf den bürgerlichen Staatsapparat beschränkt, sondern greifen auch organisch auf die Akkumulationssphäre über. Der bürgerliche Staat ist lediglich der Eisbrecher in der Frage der Berufsverbote. Vor allem im Sektor der „kritischen Infrastruktur“ sind diese Berufsverbote leicht durchzusetzen, denn dort wird konkret die „nationale Sicherheit“ exekutiert und erst Recht im militärisch-industriellen Komplex. Wenn die Bedeutung der „nationalen Sicherheit“ weiter zunimmt und damit der Notstandsstaat sich verwirklicht, werden die Berufsverbote auch in dem Sektor des Kapitals aktiviert, welches nicht zum militärisch-industriellen Komplex oder der „kritischen Infrastruktur“ gehört, denn dann wird auch dort die demokratisch-parlamentarische bürgerliche Klassenjustiz durch das Sonderrecht ersetzt. Wenn die Loyalität, die Treue zum „Staat,“ die erste Bedingung eines Arbeitsverhältnisses und des Zugangs zu sozialen Transferleistungen wird, eine positive Gesinnung zu Staat und Gesellschaft verlangt wird, kann jeder vermeintliche Bruch der Loyalität“ als Verrat, als Verbrechen, Gesinnungsverbrechen geahndet werden. In einer Kriegswirtschaft gibt es nur Befehl und Gehorsam, wird der „äußere Feind“ und „innere Feind“ bekämpft, die Kriegswirtschaft selbst ist nur Mittel zum Zweck und damit eine Waffe, eine Waffe gegen die Arbeiterklasse, sie ist damit nicht die Lösung des Problems, sondern ein Teil des Problems. Seit dem „Corona-Notstand“ wird die Arbeiterklasse vermehrt auf Befehl und Gehorsam ausgerichtet. Der Befehl „Maske auf“ bezieht sich nur oberflächlich auf Abwehrmaßnahmen gegen die SARS-Corona-Pandemie, real jedoch geht es um „Gasmaske“ auf. Die Aufforderung die „richtige Haltung“ einzunehmen bereitet den Befehl: „Achtung“ (Stramm stehen) vor, aber auch „Rührt Euch“ (eine gelöste Haltung einnehmen). Auf diesem eindeutig zweideutigen Weg breitet sich niedrigschwellig die innere Militarisierung aus. Die bürgerliche Propaganda arbeitet spielerisch. Sie versucht das antimilitaristische Massenbewußtsein mit Ironie zu überwinden, indem an militaristische Erzählungen des zweiten Weltkrieges ironisch angeknüpft wird und mit der SARS-Corona-Pandemie ins Verhältnis gesetzt werden. Über diese Karikatur der „alten“ militaristischen Erzählungen im Verhältnis zur SARS-Corona-Pandemie werden neue Durchhalteparolen in oberflächlicher unernster Form kreiert, jedoch verdeckt unter dieser Hülle der Komik entfalten sie ihre Kraft uns greifen so ins Unbewußte oder Halbbewußte ein. Der „Corona-Notstand“ war die langsame Gewöhnung an den Notstand überhaupt, d.h. an die „Neue Normalität“ des Kapitalismus. Mit dem Ukraine-Krieg verschwindet der Unernst des „Corona-Notstandes“ und im Ernstfall des Energienotstandes und der Rezession, verbunden mit den Kriegsgefahren des Dritten Weltkrieges, wird der Notstand fordernder und auch die Propaganda. Nun wird offen der „Krieg gegen das Böse“ eingefordert, auch Verluste und Verzicht. Wer sich dem widersetzt wird mehr oder minder offen zum „Feind“ erklärt, auch wer eine Entspannungspolitik mit Rußland befürwortet, wird „zum inneren Feind“ und steht mit dem „äußeren Feind“ Rußland im Bunde. Die Atomisierung der Arbeiterklasse und des gesellschaftlichen Widerstands im „Corona-Notstand“ führt zu dem gegenwärtigen niedrigen Niveau des Widerstands gegen imperialistische Kriegsgefahr und Schockpolitik, denn durch den „Corona-Notstand“ wurden die widerständigen gesellschaftlichen Strukturen zerschlagen und verstaatlicht, d.h. die vielfältigen widerständigen politischen Strukturen, die bis 2019 bestanden, haben sich weitgehend im „Corona-Notstand“ aufgelöst. Weitgehend verstaatlicht und militarisiert wurde die „Zivilgesellschaft“ und gegen jeden proletarischen Widerstand ausgerichtet. Die zentralen NGO´s („Nichtregierungsorganisationen) sind unter staatlicher politischer und finanzieller Kontrolle, sowie unter finanzieller und politischer Kontrolle des Monopolkapitals. Widerständige „NGO`s“ werden mit Repression überzogen. Es gab also im Rahmen des „Corona-Notstandes“ eine Gleichschaltung bzw. Selbstgleichschaltung des sogenannten „NGO-Sektors“, welcher nicht mit dem „Corona-Notstand“ endet, sondern im Energienotstand fortgesetzt wird. Es ist die Aufgabe der sogenannten „NGO´s“ den Notstandsstaat über den Ruf nach einem „Klimanotstand“ zu legitimieren.

Der Energienotstand ist die Fortsetzung des „Corona-Notstands“ auf höherer Stufenleiter mit dem Ziel einer Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse (Oberflächenausdruck dieser Tendenz im Fraktionskampf des Kapitals zwischen „ fossilem“ und „nicht fossilen“ Kapital) in Form der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft und findet erst in einer hochentwickelten Kriegswirtschaft zu sich selbst. Im Notstand und damit in der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft werden die atomisierten Massen durch den Notstandsstaat von oben zusammengefaßt und konzentriert. Jede proletarische Selbstorganisierung ist vom Standpunkt der Bourgeoisie dann Feindhandeln, ebenso wie jede passive Verweigerung der Befehle. Im bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) geht es nur um das Überleben, das nackte Überleben und dies nur für die, welche für das Kapital als Ausbeutungsmaterial herhalten können.

Wer nicht als Ausbeutungsmaterial dienen kann, im Ausbeutungsprozeß vorzeitig verschlissen wurde, oder niemals von Beginn des Lebens an als Ausbeutungsmaterial fungieren kann, ist für das Kapital ein „sozialer Feind“, denn diese relative Übervölkerung steht außerhalb der Wertproduktion und ist damit ein Abzug vom gesellschaftlichen Mehrwert. Die Bourgeoisie behält sich für den „sozialen Feind“ die Euthanasie vor. Nicht nur wer sich aktiv und damit subjektiv der Ausbeutung verweigert ist ein Feind“, sondern auch jemand, wer objektiv nicht in der Lage ist, ausgebeutet zu werden. Kanada geht in dieser Frage voran. Dort wurde eine „freiwillige“ Euthanasie organisiert. Zuerst galt diese für Menschen mit unheilbaren Krankheiten, wurde dann aber auch schnell ausgedehnt, auf psychische Krankheiten und dann Langzeiterkrankungen und damit auch auf Behinderte und auch auf nicht Volljährige. Wer sich für den Tod entscheidet, wird bei seinem Selbstmord assistiert. Der „freiwillige“ Selbstmord ist ein Produkt des strukturellen und stummen Zwangs der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die sich an der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse als sozialer Zwang übersetzten. Kanada ist unter den Metropolen das Land mit den niedrigsten Sozialleistungen und will seine Sozialleistungen noch weiter absenken. Über die Politik der „freiwilligen“ Euthanasie können die Sozialleistungen noch weiter reduziert werden. Es werden sogar gezielt Behinderte zum „assistierten Selbstmord“ aufgefordert, wenn sie Sozialleistungen beantragen. Dies trifft auch ehemalige Militärangehörige mit einer Behinderung. Eine Kriegswirtschaft führt gerade einen Krieg gegen die „Überflüssigen,“ gegen den „sozialen Feind“. Kanada marschiert in dieser Frage voran. Von da aus ist es auch nicht weit, von der „freiwilligen“ Euthanasie zur „Zwangs-Euthanasie“ überzugehen, denn die „freiwillige“ Euthanasie ist nur ein Zwischenschritt zur „Zwangs-Euthanasie“ und bereitet sie vor. Der „assistierte Selbstmord“ bereitet den Massenmord vor. Ganz im Sinne einer Kriegswirtschaft, denn diese setzt auf „Bevölkerungsreduktion“. Krieg ist Bevölkerungsreduktion, der eigenen Bevölkerung, wie der Bevölkerung des Feindes und die Kriegswirtschaft stellt die Infrastruktur für diese Art der „Bevölkerungsreduktion“ dar. Der Krieg erhöht kurzzeitig den ökologischen Fußabdruck um langfristig durch die „Bevölkerungsreduktion“ diesen abzusenken. Krieg, Kriegswirtschaft und „Bevölkerungsreduktion“ gehören zusammen. Der „Feind“ wird reduziert, wird vernichtet. Dem „sozialen“ Feind wird auch nicht das „nackte Überleben“ gesichert, ihm wird das Recht auf Leben abgesprochen. Der „soziale Feind“ kann auch kapitalistisch produziert werden, indem eine systematische Hungerpolitik, wie es der britische Imperialismus in Indien während des zweiten imperialistischen Weltkrieges exekutierte, realisiert werden kann. Eine ganze Bevölkerungsgruppe kann als Opfer bürokratisch erfaßt, vom Rest der Bevölkerung selektiert und vernichtet werden, wenn der politische Widerstand der Arbeiterklasse dies nicht verhindert.

Um den „sozialen Feind“ zu vernichten, ist es vorher notwendig den „politischen Feind“ zu vernichten, denn der „politische Feind“ verhindert die Vernichtung des „sozialen Feindes“. Die Kriegswirtschaft stellt dann die Waffen dafür bereit, um den „politischen Feind“ zu bekämpfen und zu vernichten; die Kriegswirtschaft selbst ist eine Waffe, um den „politischen Feind“ der Vernichtung zuzuführen. Eine Kriegswirtschaft verlangt nach einer „Säuberung“ der Betriebe von „potentiellen Sicherheitsrisiken“ und „potentiellen Risikopersonen“ über die Waffe Berufsverbot. Der potentielle „politische Feind“ muß auch gleichzeitig in die soziale Figur des „sozialen Feindes“ transformiert werden, dann ist er der gedoppelte Feind, zieht die konzentrierte Repression des bürgerlichen Notstandsstaates auf sich. Eine „Säuberung“ der Betriebe von „politisch unzuverlässigen Lohnarbeitern“ kann auch in einer Säuberung der sozialen Transfersysteme von diesem Personenkreis ausarten. Der Krieg, die Kriegswirtschaft, duldet keinen Widerspruch. Die ideologische, fiktive ökologische Kriegswirtschaft der Ulrike Herrmann ist in Wirklichkeit die ganz normale kapitalistisch-imperialistische Kriegswirtschaft und dient nicht der „Klimarettung“ oder der „Menschheitsrettung“, sondern im Gegenteil der „Menschheitsreduzierung“ oder „Menschheitsvernichtung“, konkret der Vorbereitung des Dritten Weltkrieges an Hand des Ukraine-Krieges. Ulrike Herrmann befürwortet den Ukraine-Krieg durch Waffenlieferungen an die NATO-Ukraine gegen Rußland und dies geht nicht ohne Kriegswirtschaft. Ideologisch wird diese aggressive imperialistische Politik mit dem „Klimaschutz“ legitimiert. Mit dem „Klimaschutz“ in den Dritten Weltkrieg. Mit dem „Klimaschutz“ in den Notstandsstaat, mit dem „Klimaschutz“ in die Schockpolitik und Aufrüstung, mit dem „Klimaschutz“ in die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft. Die „guten“ Werte und die „gute Absicht“ rechtfertigen Verarmung, Repression und Krieg, auch den Dritten Weltkrieg- zumindest in den Augen der deutschen Bourgeoisie und in den Augen von Ulrike Herrmann. Der „Klimaschutz“ ist dafür die Generalklausel. Es geht Ulrike Herrmann nicht um den „Klimaschutz“, der ist nur Vorwand, es geht ihr um den Ausbau der nationalen und internationalen Machtstellung des deutschen Imperialismus. Ulrike Herrmann ist eine gewöhnliche Propagandistin des deutschen Imperialismus, ideologische Steigbügelhalterin eines dritten Griffs zur Weltmacht durch den deutschen Imperialismus mit dem Ziel, dem deutschen Imperialismus eine politische und soziale Massenbasis zu organisieren. Der Rekurs von Ulrike Herrmann auf die britische Kriegswirtschaft des zweiten imperialistischen Weltkrieges zeigt offen das reaktionäre und rassistische Gesicht des imperialistischen „Klimaschutzes“. „Klimaschutz“, „Umweltschutz“ gibt es nicht im Kapitalismus. Es bedarf schon der proletarischen Weltrevolution und der Diktatur des Proletariats. Ulrike Herrmann gehört zur Siegfrieden/Endsiegs-Fraktion der deutschen Bourgeoisie. Sie steht sogar einem Verständigungsfrieden, wie er von dem Wagenknecht/Schwarzer Aufruf gefordert wird, welcher mit fast 600.000 Unterschriften unterstützt wird und sich in einer Großdemonstration in Berlin am 25. Februar mit über 50.000 Teilnehmern materialisierte, ab. Dieser Aufruf soll die große Massenunzufriedenheit kanalisieren und die Massenlegitimation für Verhandlungen mit dem russischen Imperialismus stellen, denn umso länger der Krieg dauert, desto vorteilhafter ist es für den russischen Imperialismus. Mit der längeren Dauer des Ukraine-Krieges wird der russische Imperialismus militärisch, ökonomisch und politisch stärker als der der deutsche Imperialismus, bzw. als der transatlantische imperialistische Block. Ein Siegfrieden/Endsieg führt in den Zusammenbruch oder in den Dritten Weltkrieg. Der Verständigungsfrieden soll das schlimmste für den deutschen Imperialismus verhindern, denn die Orientierung auf den Siegfrieden/Endsieg über den russischen Imperialismus schwächt den deutschen Imperialismus, statt ihn zu stärken. Eine Verständigung mit Rußland stabilisiert den deutschen Imperialismus, eine Entscheidung für die Endsiegs/Siegfrieden Option mit Kriegswirtschaft, gefährdet das Gleichgewicht des deutschen Imperialismus.

  1. Der proletarische Weg

-Der Hauptfeind steht im eigenen Land: Generalstreik gegen Krieg und Krise

-Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, ansetzend an der alltäglichen Sabotage der Ausbeutung, ebenfalls in der „Kritischen Infrastruktur“ und international organisiert

-Gleitende Lohnskala gegen die Inflation

-Arbeiterkontrolle über die Betriebe

-Aufbau proletarischer Hundertschaften gegen die Repression des bürgerlichen Staates und seiner neofaschistischen Organisationen

Iwan Nikolajew Hamburg im März 2023 Maulwurf/RS

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —     Sitz in Hannover

Abgelegt unter Deutschland_DE, International, Kriegspolitik, Medien, Regierung | Keine Kommentare »

Europaweite Umfrage:

Erstellt von Redaktion am 8. März 2023

Zwei Drittel aller Jugendlichen gegen Chatkontrolle

undefined

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von    :   

Die Chatkontrolle-Verordnung fällt auch bei jenen durch, die sie angeblich schützen soll. Mit großer bis überwältigender Mehrheit lehnen Jugendliche die Durchsuchung von Chats und Mails ab, hat eine repräsentative Umfrage in Europa herausgefunden.

Zwei Drittel aller Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren sind dagegen, dass Anbieter ihre Mails und Chatnachrichten durchsuchen, nur jeder fünfte hält das für angemessen. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage unter 8000 Jugendlichen aus 13 Ländern in Europa hervor, die der europäische Dachverband digitaler Bürgerrechtsorganisationen EDRi und die Piratenpartei im Europaparlament in Auftrag gegeben haben.

Die Umfrage zeigt auch, dass 80 Prozent der Jugendlichen sich nicht wohl dabei fühlen würden, politisch aktiv zu sein oder ihre Sexualität zu erkunden, wenn Unternehmen oder Behörden ihre digitale Kommunikation überwachen könnten, um nach sexuellem Kindesmissbrauch zu suchen. Bei einer Frage nach wirksamen Methoden um Jugendliche vor Schaden im Internet zu schützen, gaben nur 2 Prozent an, dass das Scannen der privaten Kommunikation ein wirksames und angemessenes Mittel sei, während jeweils ein gutes Drittel eine Verbesserung der Medienkompetenz oder verbesserte Meldemechanismen favorisierten.

Seit gut neun Monaten verhandelt die EU einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Die Pläne der EU-Kommission beinhalten viele bedenkliche Vorhaben – wie NetzsperrenAlterskontrolle und Chatkontrolle. Internet-Dienste sollen auf Anordnung die Kommunikation ihrer Nutzer:innen durchleuchten, um Hinweise auf sexualisierte Gewalt gegen Kinder zu finden. Für Deutschland sitzt das Innenministerium am Verhandlungstisch im Ministerrat. Das ist das zweite EU-Organ, das nun neben dem Parlament seine Position ausarbeiten muss. Noch immer ist sich die Bundesregierung nicht einig, die Ampel streitet seit Monaten – und das Innenministerium ist nur zu wenig Zugeständnissen bereit.

Zwei Drittel nutzen verschlüsselte Messenger

Von den Befragten nutzen etwa zwei Drittel verschlüsselte Messenger-Apps wie WhatsApp oder Signal, nur 16 Prozent wären einverstanden, in Zukunft keine verschlüsselten Kommunikations-Apps mehr nutzen zu dürfen. Eine Mehrheit der Jugendlichen will weiterhin anonym chatten und über solche Apps auch mit Personen über 18 Jahren kommunizieren können.

Für mehr als zwei Drittel ist es wichtig bis sehr wichtig, sich auch mit Personen über 18 Jahren auszutauschen. Sollten Jugendliche keine solchen Kommunikations-Apps mehr nutzen können, gehen mehr als 80 Prozent davon aus, dass sie auf jeden Fall oder vielleicht einen Erwachsenen finden, der die App für sie registriert.

Jeder dritte befragte Jugendliche hat schon einmal intime Fotos von sich über Messenger und ähnliches verschickt. Diese Zahl ist wichtig, weil die EU-Verordnung vorsieht, dass unbekanntes Material von Minderjährigen zu automatisierten Meldungen führen soll. In Europa leben derzeit etwa 140 Millionen Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre.

Privatsphäre ist Jugendlichen wichtig

„Junge Menschen schätzen ihre Privatsphäre“, sagt Andreea Belu von EDRi über die Ergebnisse. Konstantin Macher von Digitalcourage warnt gegenüber netzpolitik.org davor, dass die im Rahmen der Chatkontrolle-Verordnung vorgeschlagenen Maßnahmen „Jugendliche daran hindern würden, sich politisch zu engagieren und ihre Identität in einem entscheidenden Lebensabschnitt zu erkunden.“

Ella Jakubowska von EDRi, die zuletzt als Sachverständige im Deutschen Bundestag eingeladen war, sagt:

Da die Verhandlungen derzeit in vollem Gange sind, ist es wichtig, dass alle Mitglieder des Europäischen Parlaments auf die Ergebnisse dieser Umfrage hören. Junge Menschen profitieren in hohem Maße von Privatsphäre und Sicherheit im Internet und zählen darauf, dass die Abgeordneten einen Vorschlag ablehnen, der ihr digitales Leben angreifen würde.

Digitalcourage, das Teil des europaweiten Bündnisses „Stop Scanning Me“ ist,  sieht nun Handlungsbedarf. Die Umfrage zeige, dass junge Menschen die Massenüberwachungsmaßnahmen in der CSA-Verordnung ablehnen und ihr Anspruch auf ein sicheres und privates Internet geschützt werden müsse. In einer Pressemitteilung heißt es:

Das Europäische Parlament hat die Möglichkeit, die Stimme junger Menschen zu stärken und ihr Recht auf Selbstbestimmung zu gewährleisten. Der Deutschen Bundesregierung und dem Bundestag kommen dabei Schlüsselrollen zu. Das Kindeswohl ist ein Schlüsselprinzip des Rechts und dazu gehört auch, jungen Menschen zuzuhören, wenn es um die Welt geht, die sie sich wünschen.

Die Kampagne „Stop Scanning Me“, der sich mittlerweile 125 Organisationen aus ganz Europa angeschlossen haben, sammelt derzeit mit einer Petition Unterschriften gegen die Chatkontrolle.

Rohdaten:
Die Rohdaten der Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Episto in Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Belgien, der Tschechischen Republik, Spanien, Österreich, Schweden, Italien, Polen, Ungarn, der Slowakei und Griechenland durchgeführt hat, sind auf den Servern von EDRi verfügbar.

Update 15:02 Uhr:
In einer früheren Version stand, dass YouGov die Umfrage durchgeführt hätten, es war aber das Meinungsforschungsinstitut Episto.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

********************************************************

Grafikquelle :

Oben       —     Menschen mit Smartphones

Abgelegt unter Deutschland_DE, Medien, Positionen, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Ein Schloss in Meseberg

Erstellt von Redaktion am 6. März 2023

In welcher Welt leben wir eigentlich?

undefined

In einer Welt aus Steinen sitzen Politiker-innen zum Schlemen nur selten  alleine ! Der Adel wurde ausgemistet um sich selber in die gemachte Nester zu setzen.

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Mit Stolz prahlen unsere Politiker von Demokratie und internationaler, regelbasierter Ordnung, haben aber ganz offenbar eine sehr eigenwillige Vorstellung von dem, was sie da propagieren. Die betroffene Bevölkerung unseres Landes fragt sich zunehmend, in welchem Land sie eigentlich lebt.

Vor der Wahl alles schön und gut und friedlich. Nach der Wahl bellikös innerhalb der Regierung und kriegtreibend nach aussen. Andere Meinungen werden riguros verrissen, gleichgültig, ob aus dem eigenen Land oder z.B. aus China. Allen voran unser bis dahin eher schüchterner und zaudernder Kanzler mit seiner ‚Zeitenwende‘, die keine ist. Aber der Begriff ist ja so eingängig und vielfach verwendbar! Gegenüber den ruchlosen Kriegen der USA gegen andere Länder und Völker ist der Ukrainekrieg ein Rollentausch insofern, als jetzt eben Russland über ein anderes Land herfällt und nicht die USA.

Mit welcher Chuzpe wird da ein ‚Aufstand für den Frieden‘ abgewürgt!? All die kriegstreibenden und sich aufgeklärt gebärdenden Politiker kennen ganz offenbar den Satz von Voltaire nicht: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würdemein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“ Und wie ist das mit § 5 GG, wonach jeder das Recht hat, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten? Das ist ein Grundsatz von Demokratie, den unsere Politiker gerne nach Gutdünken missachten.

Und in der Dunstwolke des Kanzlers seine Außenministerin mit ihren regelbasierten Forderungen. Dabei sollte sie doch wissen: Andere Länder, andere Sitten, oder wie schon von Heinrich Heine vieldeutig formuliert: Neue Länder, neue Vögel, neue Vögel, neue Lieder. Aber nein, alle müssen nach der internationalen, regelbasierten Ordnung der USA tanzen, wo Gewalt, Rassismus und Ungleichheit das Leben der Menschen bestimmen. Dabei ist die regelbasierte Ordnung wieder ein solcher doppelt gemoppelter Scheinbegriff, denn Ordnung ohne Regel ist Chaos. Aus einer eher sympathischen Grünen ist eine tolpatschige Vertreterin unserer Politik im Ausland geworden.

Und was soll die einstündige Schmuserunde von Biden und Scholz in Washington auf Kosten der Bevölkerung, ohne diese über Zweck und Ergebnis aufzuklären? Gehört es etwa auch zur regelbasierten, internationalen Ordnung, sich still und leise neue Befehle aus den USA zu holen?

Und wollen wir wirklich in einem Land leben, in dem Lohnabhängige durch hohe Inflation immer weniger für ihre Arbeit erhalten? Ganz zu schweigen von denjenigen, die auf Bürgergeld angewiesenen sind und so noch weniger haben als das trickreich kleingerechnete Minimum für ein menschenwürdiges Leben in einem Land, in dem ein überforderter Wirtschaftsminister durch Holterdiepolteraktionen unser Leben auf lange Sicht drastisch verteuert hat. Die Milliarden für NATO und Kriege im Ausland müssten dringend für die Nöte im eigenen Land eingesetzt werden. Aber das scheint der regelbasierten Ordnung zu widersprechen. Demokratie an Krücken!

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —     Schloss Meseberg von Süden

******************************

Unten      —       Sánchez Scholz Meseberg 2022 (4).jpg

Urheber Pool Moncloa/Borja Puig de la Bellacasa   /      Quelle   : https://www.lamoncloa.gob.es/multimedia/galeriasfotograficas/presidente/Paginas/2022/300822-sanchez-scholz.aspx
© Der Urheberrechtsinhaber dieser Datei, Gobierno de España, erlaubt es jedem, diese für jeden Zweck zu benutzen, vorausgesetzt, dass der Urheberrechtsinhaber ordnungsgemäß genannt wird. Weiterverbreitung, Abänderungen, kommerzielle Nutzung sowie jede andere Verwendung sind gestattet.

Namensnennung:

Ministry of the Presidency. Government of Spain

Abgelegt unter Brandenburg, Kultur, Medien, Positionen, Überregional | Keine Kommentare »

Machterhalt um jeden Preis:

Erstellt von Redaktion am 4. März 2023

Erdoğan, Assad und das große Beben

Wie unter Schweinen füttern die Großen ihre Kleinen auf das Diese rund, fett und träge werden.

Von  :   Kristin Helberg

Das Jahrhundertbeben vom 6. Februar 2023 im Süden der Türkei und im Norden Syriens kannte weder Grenzen noch Nationalitäten. Es machte keinen Unterschied zwischen türkischen und syrischen Staatsbürgern, zwischen Einheimischen, Geflüchteten und Binnenvertriebenen, zwischen Türken, Arabern und Kurden.

Die Unterschiede, die bei der Bewältigung der Katastrophe und im Umgang mit den Betroffenen zutage treten, sind menschengemacht. Zunächst schienen Opfer und Helfer zusammenzurücken. Rettungsteams aus Dutzenden Ländern strömten in die Türkei, syrische Vereine in Europa sammelten Geld- und Sachspenden. Die internationale Solidarität half, politische Gräben zu überwinden. Nach Monaten der Feindseligkeiten empfing der türkische Außenminister seinen griechischen Amtskollegen im Erdbebengebiet, aller territorialen Streitigkeiten zum Trotz. Die seit mehr als dreißig Jahren geschlossene türkische Grenze nach Armenien wurde für die Erdbebenhilfe des Nachbarlandes geöffnet, obwohl beide Länder nicht einmal diplomatische Beziehungen unterhalten. Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi telefonierte zum ersten Mal überhaupt mit Syriens Machthaber Bashar al-Assad, Jordanien schickte erstmals seit 2011 seinen Außenminister nach Damaskus.

Aber kann das Erdbeben auch die in der Südtürkei und in Nordsyrien verlaufenden Konfliktlinien aufbrechen? Kann es die verhärteten Fronten zwischen den Kriegsparteien im Syrienkonflikt aufweichen? Und wird es die humanitäre Not in den Vordergrund rücken – egal, wer die Bedürftigen sind und wo sie leben? Es sieht nicht danach aus. Immer wieder werden Hilfskonvois, die innerhalb Syriens von einem Einflussgebiet in ein anderes fahren wollen, blockiert. Nach zwölf Jahren Kriegswirtschaft steht an jedem Checkpoint eine Miliz oder Armeeeinheit, die sich bereichert und einen Teil der Lieferung für ihre eigenen Leute beansprucht. Mal fordert das Regime 40 von 100 Diesellastwagen für sich, mal verlangen extremistische Gruppen 40 Prozent der Güter, mal müssen sämtliche Hinweise auf die kurdische Herkunft der Ladung entfernt werden.

Hilfe über innersyrische Konfliktlinien hinweg gestaltet sich deshalb mühsam, sinnvoller ist die Unterstützung über die Türkei – auch aus geographischen Gründen, schließlich liegen die am schwersten vom Erdbeben betroffenen Gebiete direkt an der syrisch-türkischen Grenze.

Die Führungen in Ankara und Damaskus versuchen jedoch, die Krise für sich zu nutzen. Recep Tayyip Erdoğan will wiedergewählt, Assad rehabilitiert werden – der türkische Präsident kämpft im Inneren, Syriens Machthaber nach außen. Ihr Krisenmanagement zielt deshalb darauf ab, die eigene Position zu stärken, was am besten auf Kosten des jeweils anderen geht. Kein Schulterschluss in der Not, sondern Machterhalt um jeden Preis.

Die Rolle der westlichen Sanktionen

Während Erdoğan die interne Kritik an seiner Führung rechtzeitig vor den anstehenden türkischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen mit der Verhängung des Ausnahmezustands zum Schweigen bringen möchte, bemüht sich Assad um Normalisierung. Ausführlich berichten syrische Staatsmedien über Solidaritätsbekundungen und Hilfslieferungen aus dem Ausland – stets verbunden mit dem Hinweis, dass westliche Sanktionen die Versorgung der Erdbebenopfer behindern würden. Die Botschaft an die Syrerinnen und Syrer ist klar: Seht her, wir sind nicht allein, nur die Amerikaner und Europäer wollen uns zerstören.

Hatay Province, Turkey

Die Realität ist jedoch eine andere. Anders als im Irak in den 1990er Jahren gibt es im Falle Syriens keine umfassenden UN-Sanktionen, sondern nur Beschränkungen seitens der EU und der USA. Das Regime kann also mit Dutzenden anderen Ländern handeln, die Rohstoff- und Warenimporte aus Russland, Iran und China sicherten Assad in den vergangenen Jahren das Überleben. Für Europäer und Amerikaner ging es 2011 darum, ein Zeichen gegen die brutale Niederschlagung der Proteste zu setzen. Sie verhängten zwei Arten von Sanktionen – gegen Individuen und gegen Sektoren. Die einen zielen gegen mehrere Hundert Einzelpersonen, Unternehmen und Organisationen, die Assads Machtzirkel und dem Sicherheitsapparat nahestehen und für dessen Menschenrechtsverletzungen mitverantwortlich sind oder davon profitieren. Sie schränken den Handlungsspielraum der herrschenden Elite durchaus ein, auch wenn sie das Verhalten des Regimes insgesamt kaum beeinflussen können.

Die sektoralen Sanktionen betreffen bestimmte Wirtschaftsbereiche wie die Öl- und Gasindustrie, das Bankensystem, den Kraftwerksbau, Informationstechnologie zur Internet- und Telefonüberwachung sowie Militär- und Luxusgüter. Sie haben durchaus unbeabsichtigte negative Auswirkungen auf die Bevölkerung, vor allem im Zahlungsverkehr und bei der Energieversorgung. Deshalb sollten sie in Absprache mit der syrischen Zivilgesellschaft regelmäßig angepasst werden. Landwirtschaftliche Produkte, humanitäre Hilfe sowie Medikamente und medizinische Ausrüstung unterliegen dagegen keinen Sanktionen.

Experten verschiedener Institutionen fordern eine effektivere Umsetzung der gezielten Sanktionen, um die sektoralen Beschränkungen zum Teil aufheben zu können.[1] Denn während das Regime die Sanktionen umgeht, indem es Briefkastenfirmen mit komplexen Eigentumsverhältnissen schafft und Frachtschiffe umbenennt, leiden kleine bis mittlere Unternehmen sowie die Zivilbevölkerung unter den pauschalen Einfuhrverboten. Smart sanctions müssten Assads Schlupflöcher und Umgehungsinstrumente ins Visier nehmen, statt ganze Sektoren lahmzulegen, heißt es in den Berichten. Ein Beispiel ist der Finanzmarkt: Aus Angst vor westlichen Strafmaßnahmen lassen Banken häufig keinerlei Transaktionen mit Syrienbezug zu, selbst Spenden für die Erdbebenopfer verzögerten sich, wenn bei Überweisungen das Stichwort „Syrien“ angegeben werde, melden Hilfsvereine. Diese „Übererfüllung“ von Sanktionen schadet vor allem der notleidenden Bevölkerung und Nichtregierungsorganisationen.

Die darüber hinaus gehenden amerikanischen Bestimmungen im Rahmen des sogenannten Caesar Syria Civilian Protection Act, die seit 2020 in Kraft sind und sich gegen Dritte richten, die mit regimenahen Unternehmen oder Institutionen Geschäfte machen oder in Regimegebieten investieren wollen, wurden kurz nach dem Erdbeben für sechs Monate aufgehoben. Eine Geste des guten Willens seitens des US-Finanzministeriums, die Banken, Speditionen, Versicherungsgesellschaften sowie Fracht- und Logistikfirmen die Sicherheit gibt, für ihre Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Erdbebenkatastrophe nicht bestraft zu werden.

Hilfsmaßnahmen für die syrischen Opfer werden folglich nicht von westlichen Sanktionen verhindert, sondern vom Regime erschwert. Seit Jahren leiden die Menschen unter der Misswirtschaft und den mafiösen Strukturen des Assad-Regimes sowie den Folgen der jahrelangen Zerstörung durch die syrische und russische Luftwaffe. Transparency International erklärte Syrien Anfang des Jahres zum korruptesten Land des Nahen Ostens. Eine generelle Aufhebung der Sanktionen würde deshalb keineswegs zu einer besseren Versorgung der Menschen führen, sondern die klientelistischen Strukturen des Regimes stärken.

Endet Assads diplomatische Isolation?

In Wirklichkeit sind es die USA und die EU – allen voran Deutschland –, die die Menschen in den Regimegebieten seit zwölf Jahren über die Hilfsprogramme der Vereinten Nationen versorgen. Diese von Assad zum eigenen Machterhalt instrumentalisierte milliardenschwere humanitäre Hilfe will das Regime nun um weitere Millionen für die Erdbebenopfer aufstocken. Es besteht darauf, dass internationale Unterstützungsangebote mit Damaskus koordiniert werden, was bedeutet, dass nicht nach Bedürftigkeit, sondern nach Loyalität verteilt wird. „Was ihr nach Damaskus schickt, ist für uns verloren“, warnte ein Helfer im Norden per Videobotschaft.

Dennoch unterstützen viele Länder das Assad-Regime direkt – nicht nur enge Verbündete wie Russland, Iran, die Hisbollah und China oder arabische Nachbarn auf Versöhnungskurs wie Irak, Libanon, Oman, Algerien und, allen voran, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Assad bereits im März 2022 zum Staatsbesuch empfingen. Auch bislang zögerliche Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien und Katar schickten Hilfe, sogar Italien flog humanitäre Güter über Beirut ein. Manche Regierung scheint die Erdbebenkatastrophe als Feigenblatt nutzen zu wollen, um den Gesprächsfaden mit dem syrischen Regime nach Jahren der Funkstille wieder aufzunehmen. Wer seine Beziehungen mit Damaskus ohnehin normalisieren wollte, hat jetzt eine günstige Gelegenheit.

Auch die Tatsache, dass die UN selbst bei einer Tragödie dieses Ausmaßes darauf bestehen, alles mit dem syrischen Regime zu regeln, hat Assads Position international gestärkt. Statt Nothilfe – etwa in Form von Baggern, Bergungsgerät, Generatoren, Treibstoff, Zelten und Wasseraufbereitung – von Anfang an großzügig und ohne das übliche bürokratische Prozedere über den zunächst einzigen Grenzüberhang Bab al-Hawa nach Nordsyrien zu lassen, dauerte es vier Tage, bis der erste UN-Konvoi mit regulärer humanitärer Hilfe die Menschen erreichte. Weitere Übergänge in Bab al-Salam und al-Rai passierten die UN-Lastwagen erst, als Assad eine Woche nach dem Beben ihrer dreimonatigen Nutzung zustimmte. Dabei kontrolliert nicht das Regime diese Grenzposten, sondern die oppositionelle Syrische Nationale Armee (SNA), Erdoğans islamistische Söldner, die in dem türkisch besetzten Gebiet zwischen Afrin und Jarablus als verlängerter Arm Ankaras fungieren. Aber weil das Assad-Regime formal der offizielle Vertreter Syriens bei den Vereinten Nationen ist, sprechen UN-Funktionäre stets in Damaskus vor – auch wenn es um humanitäre Hilfe für oppositionelle Regionen geht.

So erschien Assad mit seiner Zustimmung auf einmal als großzügiger Retter in der Not – und das, obwohl er nichts von „seiner“ Hilfe abgeben musste, sondern nur erlaubt hatte, die vom Westen finanzierte UN-Unterstützung auch seinen Landsleuten in Nord-Aleppo zugute kommen zu lassen. Für das Regime offenbar ein lohnendes Zugeständnis: ein wenig mehr UN-Hilfe für die „Terroristen“ in Nordsyrien, dafür aber die internationale Erkenntnis, dass es sich lohnt, mit Assad zu reden. Nach tagelanger Kritik an ihrer Arbeit fühlten sich die Vereinten Nationen in ihrer Strategie der Einbindung bestätigt.

Entscheidend für die Zukunft der Erdbebengebiete in Syrien wird sein, wie sich das Verhältnis zwischen Ankara und Damaskus entwickelt. Hält Erdoğan an der Besatzung Nordsyriens fest? Oder zieht er seine Truppen aus den zum Teil schwer zerstörten Gebieten ab und überlässt seine oppositionellen Statthalter ihrem Schicksal bzw. Assad? Wird er das Gebiet der Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyrien (AANES) – vereinfachend als kurdische Selbstverwaltung oder Rojava bezeichnet – weiter mit Drohnen und Artillerie angreifen lassen, um das PKK-nahe kurdische Autonomieprojekt zu zerstören? Oder einigt er sich lieber mit Assad auf eine schleichende Übernahme der Region durch das Regime? Und was wird aus den Millionen syrischen Geflüchteten in der Türkei? Wohin sollte die Regierung in Ankara sie zurückschicken, wenn auf der syrischen Seite der Grenze schon jetzt Millionen Menschen kein festes Dach über dem Kopf haben? Erdoğans Plan, in den türkisch besetzten Gebieten entlang der Grenze Unterkünfte für zurückkehrende Syrerinnen und Syrer zu bauen, hat sich durch das Erdbeben erledigt – die türkische Baubranche wird in nächster Zeit mit dem Wiederaufbau in der Südtürkei beschäftigt sein.

Quelle        :       Blätter-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Im Uhrzeigersinn von oben links: Eingestürzte Gebäude in der Provinz Hatay (zwei Bilder), Rettungsaktionen in Nordwestsyrien, die japanische Flagge auf Halbmast vor der Botschaft in Ankara und eine Zeltstadt in Kahramanmaraş

Abgelegt unter Medien, Mensch, Nah-Ost, Regierung, Schicksale | Keine Kommentare »

Antje Vollmers Vermächtnis

Erstellt von Redaktion am 3. März 2023

Was, wenn statt Baerbock Antje Vollmer Aussenministerin wäre?

Antje Vollmer (8592931976).jpg

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von        :    Heribert Prantl   

Statt Frieden herbeizubomben, wäre es erfolgversprechender, eine Bereitschaft zum Verhandeln herbeizuverhandeln.

Wie sähe die deutsche Aussenpolitik aus, wenn nicht Annalena Baerbock, sondern ihre grüne Parteifreundin Antje Vollmer Aussenministerin wäre? Welche deutsche Beteiligung am Ukraine-Krieg hätte Vollmer gebilligt? Wie hätte ihre Nothilfe für das überfallene Land ausgesehen? Und welche diplomatischen Initiativen würde sie als Ministerin betreiben, um einen Weg zum Frieden zu finden?

Antje Vollmer ist eine exzellente Mediatorin, sie war eine grosse politische Vermittlerin und Versöhnerin. Sie gehört zu den Frauen, die die grüne Partei ganz wesentlich geprägt haben, Urgestein sagt man dazu. Heute gehört Vollmer dort eher zum Abraum. Sie verzweifelt am bellizistischen Kurs ihrer Partei – wie sie soeben in einem politischen Testament dargelegt hat*. Vollmer ist fast 80 Jahre alt und sehr krank. Sie blickt in ihren vermächtnishaften Darlegungen zurück auf die politischen Fehler, die seit 1989 gemacht worden sind, und sie kämpft mit der Ratlosigkeit, wie man jetzt mit den Folgen der Fehler umgehen soll.

Vollmer vermittelte einst zwischen den Fundis und den Realos, sie trieb den innerparteilichen Erneuerungsprozess voran. Ihr erstes grosses politisches Versöhnungsthema war die RAF; sie versuchte, den Terrorismus durch Dialog zu beenden, und das ist ihr auch mit einer vom damaligen Bundesjustizminister Klaus Kinkel und vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker getragenen Versöhnungsinitiative gelungen. Ihr zweites Versöhnungsthema war die Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen.

Wie könnten Mediation und Vermittlung im Ukraine-Krieg aussehen? Es ist Fastenzeit, Vorbereitung auf Ostern, auf das Fest des Friedens und der Auferstehung. Der Frieden liegt nicht als Geschenk im Osternest, so dass man ihn nur auspacken müsste. Man muss ihn entwickeln, ihn erarbeiten, so wie das vor 375 Jahren im Westfälischen Frieden gelungen ist. Selbst das Reden gegen Wände kann ein Gespräch eröffnen. Der Krieg bringt den Frieden nicht, auch demjenigen nicht, der ihn gewinnt. Siegen? Verlieren? Frieden ist das Einzige, was es zu gewinnen gibt – so hat es Heinrich Böll gesagt. Und ich wünsche mir, dass wir, wenn wir über den richtigen Weg zum Frieden ringen, nicht rhetorisch Krieg miteinander führen.

Der Frieden in der Ukraine ist ein noch ungelegtes Ei. Solange das so ist, kann man aber schon mal das Nest dafür bauen, man kann die Materialien dafür sammeln und darüber verhandeln, wie man verhandeln könnte, man kann darüber reden, wie man miteinander reden könnte. Das wünsche ich mir. Man kann Verhandlungsbereitschaft auch herbeiverhandeln. Das ist erfolgversprechender als der Plan, Frieden herbeizubomben.

Ich wünsche Ihnen eine Fastenzeit, in der man über Wörter und über Werte wie «Besinnung» und «Umkehr» nachdenken und daraus Kraft schöpfen kann.

__________________
Dieser Kommentar des Kolumnisten und Autors Heribert Prantl erschien am 26. Februar 2023 als «Prantls Blick» in der Süddeutschen Zeitung.

*Antje Vollmers Vermächtnis einer Pazifistin:
«Was ich noch zu sagen hätte»

Die Ex-Vizepräsidentin des Bundestags kritisiert die Grünen dafür, dass sie sich vom Pazifismus abgewendet haben. In diesem Essay in der Berliner Zeitung formulierte sie am 23. Februar 2023 ihr politisches Fazit.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —         Dr. Antje Vollmer (Publizistin, Bündnis90/DieGrünen), Foto: <a href=“http://www.stephan-roehl.de“ rel=“nofollow“>Stephan Röhl</a> Foto: Stephan Röhl Veranstaltung „25 Jahre Forschungsjournal (Neue) Soziale Bewegungen“ in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin

Abgelegt unter Berlin, Medien, P.Die Grünen, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Die Politisierung des Wetters

Erstellt von Redaktion am 1. März 2023

Demokratie in Deutschaland: Alle Macht geht nicht vom Volk aus.

undefined

Narrenhände beschmierten Glas und Wände ?

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Tomasz Konicz

Der Umgang mit der Letzten Generation zeigt, was der Staat für die kommenden Massenproteste gegen die Klimapolitik plant – Kriminalisierung und Repression.

Vorbeugende Aufstandsbekämpfung – auf diesen etwas in Vergessenheit geratenen Begriff brachten Kritiker in den vergangenen, neoliberalen Dekaden all die Strafrechtsverschärfungen und Polizeigesetze, die derzeit gegen Klimaschützer Anwendung finden. Mehrere Wochen Knast mussten etwa Aktivisten der Protestgruppe „Letzte Generation“ im sogenannten Präventivgewahrsam erdulden, da laut richterlichem Beschluss Gefahr bestehe, dass sie sich erneut an Blockadeaktionen in München beteiligen könnten.

Dass Menschen „vorbeugend“ im Gefängnis landen können, ist eine relativ neue Strafrechtsverschärfung, die 2018 im Rahmen des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes im Eilverfahren von der CSU durchgepeitscht wurde. Damals regte sich noch Protest gegen diese polizeistaatlichen Gesetzesverschärfungen, die den bürgerlich-rechtsstaatlichen Grundsatz aushöhlen, wonach Bürger nur für nachweislich begangene Straftaten mit Gefängnisstrafen belegt werden dürfen. Etliche zivilgesellschaftliche Organisationen reichten damals Verfassungsbeschwerde ein – vergebens. Diese Regelung zum Präventivgewahrsam, die vorher aus gutem Grund im bundesdeutschen Strafrecht nicht vorkam, weckt nämlich Erinnerungen an die Schutzhaft der Nazis.

In den vergangenen Jahren haben die meisten Bundesländer ähnliche Regelungen eingeführt, die in der geschichtsvergessenen öffentlichen Debatte längst zur „Normalität“ geronnen sind. An der aktuellen Repression und Medienkampagne gegen die Blockierer der Letzten Generation kann somit das Ineinandergreifen von Strafrechtsverschärfungen, polizeistaatlichen Tendenzen, schleichendem Demokratieabbau und der sozioökologischen Krisendynamik des Spätkapitalismus studiert werden. Deswegen ist der Begriff „vorbeugende Aufstandsbekämpfung“ so passend. Die kapitalistischen Funktionseliten trauten schon vor einer halben Dekade ihrem eigenen System nicht; sie hatten ein schärferes Krisenbewusstsein als weite Teile der krisenblinden deutschen Linken. Der Staatsapparat bildete schon in der neoliberalen Ära ein instrumentelles, autoritäres und repressives „Krisenbewusstsein“ aus, das ganz auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in der Dauerkrise ausgerichtet ist.

Längst werden weitere Strafrechtsverschärfungen diskutiert. Wirtschaftslobbyisten und Politiker der CDU und FDP fordern, Klima-Aktivisten generell für 30 Tage in Gewahrsam nehmen zu können. Die CSU fabuliert von einer „Klima-RAF“, während Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) laut über Gefängnisstrafen für Klimademonstranten nachdenkt. Eingebettet sind diese repressiven Vorstöße in eine rechte Medienkampagne, bei der Klimaaktivisten für Verkehrsunfälle verantwortlich gemacht werden, die bei den Blockadeaktionen passieren. Hinzu kommen lautstark in den Medien verbreitete Umfragen, denen zufolge ein Großteil der Bevölkerung die Protestformen der „Letzte Generation“ ablehne.

Es handelt sich offensichtlich um eine Kampagne der üblichen rechten Verdächtigen von Springer („Klima-Chaoten!“), über CDU/CSU („Fünf Jahre Haft!“) bis zur AfD („Klimaextremisten“) gegen die Klimaschützer, die auch schlicht die Gunst der Stunde nutzen, um die Klimabewegung dauerhaft zu schwächen und möglichst rasch neue Repressionsinstrumente zu etablieren. Während die Justizminister von Bund und Ländern Anfang Dezember darüber diskutierten, ob die in Bayern praktizierte Präventivhaft gegenüber den „Klimaklebern“ bundesweit zur Anwendung gelangen solle, ging die Justiz Mitte des Monats in einer bundesweiten Razzia gegen die Letzte Generation vor. Der Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung laut Paragraf 129 Strafgesetzbuch. Die Aktionen zivilen Ungehorsams, die von der Letzten Generation praktiziert werden, könnten somit tatsächlich in die Nähe terroristischer Akte und des berüchtigten Paragrafen 129a („Bildung terroristischer Vereinigungen“) gerückt werden.

undefined

Wann werden die Nichtwähler-innen in der Überzahl sein ?

Die Zeit dafür ist günstig. Denn es ist kalt. Mit der winterlichen Witterung und dem Krieg in der Ukraine verdrängen die Sorgen um die Heizkosten und die strauchelnde Wirtschaft die Angst vor der Klimakatastrophe. Der Horrorsommer 2022 gerät in der Bevölkerung, die dank kulturindustriellen Dauerbombardements ein öffentliches Erinnerungsvermögen von wenigen Wochen hat, schlicht in Vergessenheit. Die Vielfalt der ökologischen, sozialen und politischen Verwerfungen, in denen sich die kapitalistische Systemkrise manifestiert, führt schnell zu Orientierungslosigkeit und einem regelrechten crisis hopping, sobald die systemischen Krisenursachen ausgeblendet bleiben.

Im vergangenen Sommer, als die Flüsse Europas trocken lagen, als die Feuer wüteten und als die Hitze zahlreiche Todesopfer forderte, wäre ein solches Vorgehen gegen die Klimabewegung unmöglich gewesen. Die durch Hetzkampagnen generierten Mehrheiten, die sich nun hinter den Rufen nach härterem Strafen manifestieren, wären schlicht nicht zustande gekommen. Mit einer Repressionskampagne im „Winter“, also in der dunklen Jahreszeit, die angesichts von Temperaturen von knapp 20 Grad zur Jahreswende kaum noch ihren alten Namen verdient, nutzt die Rechte schlicht ein Zeitfenster zur Schaffung neuer, autoritärer Fakten. Die Entdemokratisierung und das Einüben neuer Repressionsmethoden müssen deshalb etabliert werden, bevor das nächste Extremwetterereignis die Menschen mit aller Macht daran erinnert, dass die Klimakatastrophe munter voranschreitet.

Das Wetter ist somit zu einem politischen Faktor geworden – es bringt Vorteile, die Witterung beim politischen Vorgehen zu berücksichtigen. Das liegt vor allem daran, dass die jahrzehntelang geübte Argumentation, wonach Klima und Wetter zwei verschiedene Dinge seien, nicht mehr greift. Zu deutlich manifestiert sich die Klimakrise in den konkreten Wetterphänomenen, als dass diese Halbwahrheit, die von Klimaleugnern gerne instrumentalisiert wurde, noch überzeugen könnte (Kein einziges extremes Wetterereignis weist sich ja selbst als Folge der Klimakrise aus). Die Repression der Klimabewegung muss zu einer Jahreszeit erfolgen, in der die Bevölkerung sich sorgt, wie die Wohnung zu heizen sei, ohne in Privatinsolvenz zu geraten.

Dieser politische Hebel kann aber auch von progressiven Kräften betätigt werden. Die nächste Feuer-, Hitze-, und Dürresaison kommt bestimmt, was auch die inzwischen katastrophale Züge annehmende Klimakrise zwangsläufig ins Zentrum der öffentlichen Debatte rücken wird. Und das werden die Witterungsverhältnisse sein, unter denen die Klimabewegung in die Offensive gehen kann, weil bei unerträglicher Hitze die meisten Menschen, die nicht über eine Klimaanlage verfügen, ganz selbstverständlich viel Verständnis für radikale Protestformen aufbringen werden. Das Wetter ist somit hochpolitisch geworden. Die alte, vom verkürzten Klassenkampfdenken geprägte 68er-Parole, wonach alle vom Wetter reden, nur die Linke nicht, muss somit ins Gegenteil verkehrt werden: Alle werden vom Wetter reden, es in das politische Kalkül und ihre aktivistischen Planungen als wichtigen Faktor aufnehmen.

Deswegen verfehlen die Verweise auf schlechte Umfragewerte der Klimabewegung, mit denen linksliberale Medien oder die Opportunisten und „Bewegungsmanager“ der Linkspartei die Klimablockierer von ihren den kapitalistischen Betriebsablauf störenden Protestformen abbringen wollen, den Kern dieser politischen Wetterdynamik. Das Gerede vom „Bärendienst“, den die Letzte Generation der Klimapolitik erweise, ist hohl. Die Klimakrise wird sich gänzlich unbeeindruckt von der Meinung des deutschen Bürgers weiter entfalten, was dann auch die Stimmung in der Bevölkerung kippen lassen wird – ähnlich den klimatischen Kipppunkten des globalen Klimasystems. Schon die verheerende Flutkatastrophe, die die Bundesrepublik 2021 mitten im Bundestagswahlkampf traf, kann durchaus als ein politischer Faktor, der den Grünen Auftrieb verschaffte, begriffen werden.

Die Klimakrise wird bei ihrem Voranschreiten der Klimabewegung weiteren Zulauf bescheren – und das hat seine simple Ursache vor allem darin, dass der Kapitalismus aufgrund seines Wachstums- und Verwertungszwangs schlicht nicht in der Lage ist, die Klimakrise irgendwie zu bewältigen. Kapital ist der sich selbst verwertende Wert. Es ist das Geld, das durch Verfeuerung von Energie und Rohstoffen in der Warenproduktion zu mehr Geld werden muss. Kapital kann sich an nahezu alles anpassen, nur nicht an sich selbst. Deswegen steigen global die CO2-Emissionen weiter an, wobei dieser Emissionsanstieg nur durch Weltwirtschaftskrisen kurzfristig unterbrochen wird.

Das Festkleben auf den Straßen, das die Letzte Generation praktiziert, ist eine aus dem Mut der Verzweiflung geborene Protestform, die instinktiv den alltäglichen kapitalistischen Betriebsablauf stört – Sie steht in scharfem Kontrast der nachgerade entwaffnenden politischen Naivität der Gruppe, die Appelle an die politischen Funktionsträger richtet, die Klimakrise doch bitteschön zu lösen. Sogar der Verfassungsschutz musste trotz der aktuellen rechten Kampagne feststellen, dass diese Gruppe nicht „extremistisch“ ist, da sie schlicht „Funktionsträger zum Handeln auffordert“. Das Problem bei dieser Herangehensweise besteht aber offensichtlich darin, dass die politischen Funktionsträger aufgrund der obig genannten kapitalistischen Systemwidersprüche nicht in der Lage sind, der Klimakrise sinnvoll zu begegnen.

Ohne Systemtransformation, ohne Überwindung des kapitalistischen Wachstumszwangs ist eine Bekämpfung der Klimakrise unmöglich. Der Kapitalismus ist außerstande, effektive Klimapolitik zu betreiben. Dieser simple, von der Wertkritik seit Jahren thematisierte Zusammenhang hat sich inzwischen, allen Widerständen zum Trotz, auch in der Linken herumgesprochen. Und dies müsste nun auch praktische Konsequenzen nach sich ziehen. Statt der Spaltung der Klimabewegung durch Einteilung in „gute“ und „schlechte“ Protestformen Vorschub zu leisten, käme es somit einerseits darauf an, dieses sich ausformende, radikale Krisenbewusstsein in der Klimabewegung zu verallgemeinern, um die Diskrepanz zwischen den radikalen Protestformen und den naiven Forderungen zu überwinden.

Bislang erfuhren in der Linken die ob ihrer Naivität belächelten „Klimakleber“ vor allem Kritik hinsichtlich der öffentlichen Wahrnehmung ihrer Aktionen, wobei es sich zumeist um „soziale“ Modifikationen der linksliberalen Mahnungen handelte, wonach die Straßenblockaden die Stimmung gegenüber der Bewegung in der Bevölkerung kippen lassen würden. Zumeist griff man dabei – insbesondere im gewerkschaftsnahen Spektrum der Linkspartei – auf das Bild des Arbeiters zurück, der aufgrund einer Straßenblockade zu spät zur Arbeit komme. Tatsächlich illustriert die kapitalistische Klimakrise, dass es kein „revolutionäres Subjekt“ gibt, dass die Lohnabhängigen, die als „variables Kapital“ im Verwertungsprozess fungieren, ein binnenkapitalistisches Interesse daran haben, den Verwertungsprozess des Kapitals, der ihre ökologische Zukunft zerstört, zu prolongieren, um ihre soziale Gegenwart zu sichern. Dieser monströse Widerspruch könnte nur aufgelöst werden, wenn die Lohnabhängigen nicht mehr lohnabhängig sein wollten.

Der reaktionären, pseudolinken Kritik an der Letzte Generation, wie sie insbesondere vom Krisenopportunismus der Linkspartei praktiziert wird (siehe Konkret 10/2022), müsste eine radikale Kritik gegenübergestellt werden, die gerade auf die Herausbildung eines radikalen Krisenbewusstseins als conditio sine qua non emanzipatorischer Praxis abzielt: dass die Systemtransformation eine Voraussetzung ist, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Bei der Verteidigung der disruptiven Praxis der „Letzte Generation“ gilt es, ihre politische Naivität zu kritisieren. Gerade da es leider kein Revolutionäres Subjekt gibt, ist die Frage des Krisenbewustseins entscheidend: Ohne Bewusstsein darüber, dass das Kapital in seinem Verwertungszwang die Ursache der Klimakrise ist, ist ein emanzipatorischer Verlauf der anstehenden gesellschaftlichen Umbrüche nicht möglich. Der disruptiven Aktion muss die Einsicht in die Überlebensnotwendigkeit der Systemtransformation folgen.

Nur wer Macht in Händen hält, kann nötigende Einflüsse auf Andere ausüben.

 

Auch wenn es angesichts der Realitäten im Land, angesichts der allgemeinen Regression und Apathie in der Linken illusorisch erscheinen mag, so hat eine solch radikale Transformation der Klimabewegung durchaus Erfolgsaussichten. Die spätkapitalistische Ideologieproduktion befindet sich in einer strategischen Defensive, da sie letztendlich darauf hinausläuft, die Bevölkerung mit dem Verlust ihrer ökologischen Lebensgrundlagen zu versöhnen. Und ob dies dem Medienbetrieb samt Kulturindustrie gelingt, ist doch sehr die Frage. Die Einsicht der „Letzte Generation“, bei ihren Protesten ums kollektive Überleben zu kämpfen, muss somit nur auf die systemische Ebene gehoben werden, anstatt die Proteste als solche zu kritisieren. Immer deutlicher wird es sich in den kommenden Jahren abzeichnen, dass gerade ein Festhalten am Kapitalismus extremistisch ist – und nicht dessen Überwindung.

Dieser sich offen abzeichnende Abgrund, in den der Spätkapitalismus in seiner Agonie taumelt, lässt perspektivisch Ideologie überflüssig werden. Irgendwann wird das zerrüttete System sich Ideologie auch in den Zentren nicht mehr leisten können. Die Gefahr blanker Repression, nackter Gewaltherrschaft, mit der das System selbst in seinem Kollaps jedwede emanzipatorische Alternative erstickte, nimmt gerade aufgrund der Unmöglichkeit eines kapitalistischen Klimaschutzes rasch zu. Und es dürften gerade die kommenden extremen Wetterereignisse sein, die den Kampf um den Verlauf der Transformation, die sowohl emanzipatorischen Schüben wie auch staatlichen Repressionsmaßnahmen Auftrieb verschaffen dürften. Es sind nicht nur die absurd anmutenden Bemühungen des Apparats, aus den brav-bürgerlichen „Klimaklebern“, die sich bei ihren Aktionen schlicht auf das Grundgesetz berufen, eine kriminelle Vereinigung zu konstruieren, die in diese Richtung deuten.

Somit müsste andererseits der Fokus progressiver und emanzipatorischer Kräfte auf dem Kampf gegen repressive, postdemokratische Tendenzen in Staat und Politik liegen. Nahezu zeitgleich mit dem Vorgehen gegen die Letzte Generation ist eine bizarr anmutende Verschwörung von Reichsbürgern, Adligen und ehemaligen Spezialkräfte-Kommandeuren der Bundeswehr ausgehoben worden, die nichts weniger als einen Staatsstreich in Deutschland plante. Diese Verhaftungen dürften einen (vorläufigen?) Warnschuss an all die rechten Seilschaften und Netzwerke im tiefen, brauen Staat der BRD darstellen, die angesichts der sich entfaltenden Krise ihre Chance wittern werden, mittels Faschismus ihr „Deutschland“ zu retten. Schon die Flüchtlingskrise ließ entsprechende Putsch-Planungen in Staat und Justizapparat der BRD aufkommen – und die Klimakrise dürfte diese faschistischen Tendenzen zur Etablierung einer offen terroristischen Krisenform kapitalistischer Herrschaft verstärken. Der Kampf um die Aufrechterhaltung der krisenbedingt schrumpfenden demokratischen Manövrierräume ist somit allein schon deswegen notwendig, damit nicht irgendwann die bloße Suche nach Systemalternativen zur kapitalistischen Dauerkrise als „extremistisch“ eingestuft und mit „Präventivhaft“ – oder dem bloßen Verschwindenlassen – bedacht wird.

erschien gekürzt in Konkret 02/2023

Tomasz Konicz schrieb in konkret 1/23 über den Rohstoffhunger des „grünen“ Kapitalismus

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —    Die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes, die Grundrechte (Ursprungsfassung), am Jakob-Kaiser-Haus in Berlin

Abgelegt unter Kultur, Medien, Regierung, Umwelt | Keine Kommentare »

Pipelines Nord-Stream 1+2

Erstellt von Redaktion am 28. Februar 2023

«USA zerstörten Nord-Stream, damit Scholz keine Wahl mehr hat»

undefined

Quelle      :        INFOsperber CH.

Urs P. Gasche /   

Laut US-Journalist Seymour Hersh wollten die USA verhindern, dass Deutschland im kalten Winter die Pipeline nutzt. Eine Nachlese.

Dieser Artikel legt nahe, dass die USA und Norwegen den Terrorakt in der Ostsee ausführten und nicht Russland. Damit stellt sich Infosperber nicht auf die Seite des Kriegsführers Putin, sondern versucht, im Fall Nord-Stream den Tatsachen so nahe wie möglich zu kommen. Das Schweigen der deutschen Regierung darf die Öffentlichkeit nicht akzeptieren.

27.9.22 Ursula von der Leyen
© U.v.d.L.

Am Tag nach dem Anschlag twitterte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: «Jede vorsätzliche Störung der aktiven europäischen Energieinfrastruktur ist inakzeptabel und wird zu den schärfstmöglichen Reaktionen führen.» Seither herrscht Schweigen. Von «scharfen Reaktionen» ist keine Rede mehr.

Bereits vor der Sabotage floss kein Erdgas mehr durch die alte Ostsee-Pipeline Nord-Stream 1. Und die neue Pipeline Nord-Stream 2 war noch nicht in Betrieb. Seymour Hersh erklärte am 14. Februar in einem Interview mit der Berliner Zeitung1:

«Nord Stream 2 wurde von Deutschland selbst auf Eis gelegt, nicht durch Sanktionen […] Das Weisse Haus befürchtete, dass Deutschland und Westeuropa die gewünschten Waffen nicht mehr liefern würden und dass der deutsche Bundeskanzler die Pipeline wieder in Betrieb nehmen könnte – das war eine grosse Sorge in Washington.»

Die USA hatten die Sabotage der Erdgasleitungen bereits einige Zeit vorher angekündigt. Nach dem erfolgreichen Terrorakt äusserten sich die USA offiziell sehr erfreut.

Seymour Hersh: «von langer Hand geplante Sabotage-Aktion»

Die USA hätten mit Hilfe Norwegens in einer verdeckten und von langer Hand geplanten Sabotage-Aktion die beiden Leitungen am 26. September 2022 gesprengt. Sie hätten verhindern wollen, dass Deutschland bei einer Gas-Knappheit im Winter 2022/23 doch wieder günstiges russisches Gas aus Russland importiert.

Zu diesem Schluss kam der US-Investigativjournalist Seymour Hersh, der seit Jahrzehnten Machenschaften der US-Administrationen aufdeckt. Unter dem Titel «How America Took Out The Nord Stream Pipeline» beschreibt er, wie die USA die Geheimaktion von langer Hand vorbereiteten und dann zusammen mit norwegischen Spezialeinheiten durchführten. Bereits im Juni 2022 hätten US-Marinetaucher im Rahmen einer NATO-Sommerübung namens BALTOPS 22 die fernauslösbaren Sprengsätze an den Pipelines angebracht, die drei Monate später ferngesteuert drei der vier Nord-Stream-Pipelines zerstörten.

Hersh stützt sich nach eigenen Angaben auf eine Quelle, welche über direkte Kenntnisse der Einsatzplanung verfügt. Es ist nachvollziehbar, dass die Auskunftsperson geheim bleiben möchte. Denn wer in den USA Staatsgeheimnisse verrät, riskiert das Schicksal eines Edward Snowden oder eines Julian Assange.
(Der vollständige Bericht von Hersh ist am Schluss verlinkt)

«Behauptung ist komplett falsch»

Nach Veröffentlichung von Hershs Recherchen dementierte Adrienne Watson, eine Sprecherin des Weissen Hauses, umgehend: «Das ist falsch und frei erfunden.» CIA-Sprecherin Tammy Thorp doppelte nach: «Diese Behauptung ist komplett falsch.»

In der Schweiz übernahmen grosse Medien wie die NZZ oder die Tamedia-Zeitungen die Dementis der USA und informierten nur spärlich über die Vorbereitungen und den Ablauf der Sprengungen, wie sie Hersh recherchierte und darstellt.

Medien, die von Hersh die Offenlegung der Quelle und Dokumente verlangen, verdächtigten handkehrum Russland als Urheber, ohne selbst dazu auch nur Indizien zu haben.

Einige  britischen Zeitungen verbreiteten bereits am 27. September, einen Tag nach dem Terrorakt, es sei ein russischer Angriff gewesen. Auch deutsche Medien vertraten diese These.

Am gleichen Tag titelte die NZZ auf der Frontseite: «Dänische Regierung geht bei Ostseepipelines von Sabotage aus Russland aus.» Die Zeitung fragte weder nach der Quelle noch nach Beweis-Dokumenten.

Der CDU-Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Bundestag, Roderich Kiesewetter, erklärte gegenüber dem Handelsblatt, es handle sich um einen gezielten Sabotageakt, der «durchaus in die von Staatsterrorismus geprägte und hybride Vorgehensweise Russlands passen würde».

Am 1. Oktober schrieb Stephan Israel, Redaktor des Tages-Anzeigers, in einem Leitartikel für die Tamedia-Zeitungen, Wladimir Putin sei der «Hauptverdächtige». Eine Quelle oder einen Beleg nannte Israel nicht. Es gehöre zur russischen Desinformationspolitik, dies abzustreiten. Der Leitartikel hob als Schlagzeile heraus: «Der Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines ist auch eine indirekte Kriegserklärung an den Westen.»

Am 2. Oktober schrieb Auslandredaktor Markus Bernath in der NZZ am Sonntag:

«Der offenkundige Sprengstoffanschlag auf die Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee könnte von einer Spezialeinheit des russischen Militärs ausgeführt worden sein […] Der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines – schreibt man ihn den Russen zu – hat noch eine andere, gefährlichere Botschaft: Moskau droht dem Westen damit indirekt weitere Sabotageakte gegen essenzielle Be­reiche der Infrastruktur an. Datenleitungen oder andere Pipelines am Meeresboden, ­Bohrinseln im Meer, Cyberangriffe auf Windenergieanlagen. Vieles ist vorstellbar, vieles sehr verwundbar.»

Ebenfalls am 2. Oktober berief sich die Sonntags-Zeitung auf den ehemaligen Chef des deutschen Nachrichtendienstes BND sowie auf die Denkfabrik Rand Corporation, um die These zu unterstützen, dass wahrscheinlich Russland die Anschläge verübte. Die Rand Corporation arbeitet in den USA für das Militär.

Bereits am 28. September zitierten die Tamedia-Zeitungen wie Tages-Anzeiger, Der Bund usw. einen nicht genannten «norwegische Militärexperten» und titelten auf den Frontseiten in der halben Schweiz:

«Der Westen wirft Russland Sabotage vor.»
Weiter im Artikel: «Der Westen hat Russland für die Lecks in den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee verantwortlich gemacht. ‹Lecks an drei Orten, die so weit voneinander entfernt liegen, können nur die Folge von Sabotage sein›, erklärte ein norwegischer Militärexperte.»

Am 5. Oktober stützte sich die NZZ offensichtlich auf den gleichen «norwegischen Militärexperten» und schrieb: «Der Westen hat Russland für die Lecks in den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee verantwortlich gemacht.»

Und der Tages-Anzeiger, ebenfalls am 5. Oktober:

Fast alle Indizien sprechen für einen Terrorakt der USA

Eigentlich läuteten von Beginn weg alle Alarmglocken und wiesen darauf hin, dass nicht Russland, sondern die USA oder nordische NATO-Verbündete die Sprengungen durchführten. Folgende starke Indizien und Argumente zeigten in diese Richtung.

1. Präsident Joe Biden hat eine Sabotage angekündigt

Am 7. Februar 2022, knapp drei Wochen vor der russischen Invasion in der Ukraine, traf Biden in seinem Büro im Weissen Haus mit Bundeskanzler Olaf Scholz zusammen. Bei der anschliessenden Pressekonferenz sagte Biden wörtlich

«Wenn Russland einmarschiert, wird es kein Nord Stream 2 mehr geben, wir werden dem Projekt ein Ende setzen.» Und als eine Reporterin fragte, wie genau er das zu tun gedenke, da das Projekt vor allem unter deutscher Kontrolle stehe, sagte Biden nur: «Ich verspreche, dass wir in der Lage sein werden, es zu tun.»

CNBC berichtete am 7. Februar darüber unter dem Titel «Biden says Nord Stream 2 won’t go forward if Russia invades Ukraine, but German Chancellor demurs» («Biden sagt, Nord Stream 2 werde nicht gebaut, wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, aber der deutsche Bundeskanzler widerspricht»).

Unabhängig vom russischen Einmarsch in die Ukraine hatten sich die USA wiederholt und deutlich gegen den Bau von Nord-Stream 2 ausgesprochen. Drei Wochen vor Bidens Pressekonferenz verkündete Staatssekretärin Victoria Nuland bei einem Briefing des Aussenministeriums im Wesentlichen dieselbe Botschaft:

«Ich möchte Ihnen heute ganz klar sagen: Wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, wird Nord Stream 2 so oder so nicht vorankommen.»

Und schliesslich erklärte US-Aussenminister Antony Blinken an einer Pressekonferenz im September zu einer möglichen Energiekrise in Westeuropa:

«Es ist eine enorme Chance, die Abhängigkeit von russischer Energie ein für alle Mal zu beenden und damit Wladimir Putin das Erdgas als Mittel zur Durchsetzung seiner imperialen Pläne zu entziehen. Das ist sehr bedeutsam und bietet eine enorme strategische Chance für die kommenden Jahre.»

2. Motive und Nutzen

Wie in jedem Kriminalfall gilt es zu fragen, wem die Zerstörung der Pipelines nützt und welche Motive hinter dem Anschlag stehen könnten.

Russland hätte sich durch die Beschädigung der eigenen Infrastruktur selbst der Möglichkeit beraubt, die Gasversorgung als Druckmittel zu verwenden. Zudem verliert Moskau mittelfristig die Möglichkeit, die Pipelines in Betrieb zu nehmen, um Einnahmen aus dem Gasexport in Milliardenhöhe zu generieren.

Klar den grössten wirtschaftlichen und geopolitischen Nutzen von der Zerstörung der Pipelines haben die USA. Denn die Energiepartnerschaft zwischen Russland und Deutschland wird entscheidend geschwächt. Bereits seit 2017 wollten die USA die Nord Stream-Pipelines verhindern und eigenes Fracking-Gas nach Europa exportieren. Mit einem Sanktionsgesetz verpflichtete der US-Kongress die US-Regierung sogar, den Bau einer zweiten deutsch-russischen Gasleitung in der Nordsee zu verhindern, um ihr teureres US-Fracking-Gas nach Europa exportieren zu können. Unternehmen und Banken, welche die Gasleitung Nord-Stream 2 unterstützen, konnten seither mit Sanktionen belegt werden. Im Gesetz, das der US-Kongress im Jahr 2017 verabschiedete und das Sanktionen gegen Investoren von Nord-Stream 2 vorsieht, heisst es wörtlich: «Die US-Regierung legt grössten Wert auf den Export amerikanischer Energieträger und auf die Schaffung amerikanischer Jobs.»

Es ist im Interesse der US-Wirtschaft, Konkurrenten auf dem Weltmarkt keine billige Energie zu überlassen, wenn das einheimische Fracking-Gas viel teurer ist. Falls die deutsche Wirtschaft von dem viel teureren Flüssiggas abhängig wird, werden deutsche Erzeugnisse weniger konkurrenzfähig. Und Milliarden Euro, die zuvor für Energielieferungen nach Russland gingen, gehen jetzt zu einem grossen Teil in die USA.

3. Eine «False-Flag-Operation» 

Weil Russland an einer Zerstörung der Pipelines offensichtlich kein Interesse haben konnte, verbreiteten westliche Think-Tanks, Russland habe mit dem Sabotage-Akt eine «False-Flag-Operation» beabsichtigt. Damit ist ein in den 50er-Jahren von der CIA entwickeltes Täuschungsmanöver des Militärs oder des Geheimdienstes gemeint, den Gegner (hier die USA oder die NATO) fälschlicherweise als Urheber darzustellen, um dies als Vorwand für eigene Militärschläge zu nutzen.

Russland habe also den Sabotage-Akt ausgeführt, um ihn der NATO in die Schuhe zu schieben und ihn als Anlass für Vergeltungsmassnahmen zu nutzen. Russlands Militär war jedoch längst in der Ukraine und brauchte keinen «Vorwand», um weiter vorzustossen, um einen Luftkrieg anzufangen oder eine taktische Atomwaffe zu zünden, was Russland bisher nicht tat.

Bereits unmittelbar nach der Sprengung der Pipelines erklärte die polnische Regierung als erste, es handle sich möglicherweise um eine russische Provokation. Es folgte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak auf Twitter: «Das grossflächige ‹Gasleck› an Nord Stream 1 ist nichts anderes als ein von Russland geplanter Terroranschlag und ein Akt der Aggression gegenüber der EU.»

Am 28. September zitierte der Tagesspiegel Podoljak: Er halte eine «False Flag»-Aktion Russlands für «denkbar».

Am 1. Oktober zitierte die NZZ am Sonntag eine neue Quelle, um die Vermutungen auf Russland zu richten:

«Für Sascha Dov Bachmann, einen Theore­tiker des hybriden Krieges, ist klar, dass dies eine Operation ‹unter falscher Flagge› war, eine Tat ganz in der Tradition militärischen Denkens der Sowjetunion und Stalins, um die Öffentlichkeit im Westen wie im eigenen Land in die Irre zu führen…»

4. Weitere Indizien in Richtung USA als Akteur

  • Zum Zeitpunkt der Sabotage befanden sich viele US-Kriegsschiffe in der Ostsee und östlich von Bornholm, wo ein grosser US-Kampfverband im Rahmen der NATO operierte. Er könnte dafür gesorgt haben, dass die Sabotage ausgelöst wurde und die Urheber verdeckt blieben.
  • Anstatt sofort Ermittlungen zu beginnen, teilte die deutsche Bundesregierung am 11. Oktober 2022 mit, die Untersuchungen der Vorfälle vor Ort würden «gerade erst beginnen». Diese Verzögerung ist erklärungsbedürftig, denn es handelt sich um einen Terrorakt. Und es geht auch um Haftungsansprüche.
  • Russische Experten wurden daran gehindert, bei den Untersuchungen vor Ort dabei zu sein.
  • Norwegen und Schweden weigern sich bis heute, die Ergebnisse ihrer Untersuchungen bekannt zu geben. Die deutsche Bundesregierung weigert sich ihrerseits zu sagen, welche Schiffe der NATO und Russlands sich in der Nähe des Tatorts aufhielten.
  • Politiker und Medien setzen sich mit den Recherchen von Seymour Hersh nicht auseinander, sondern zielen auf die Person (was nach gängiger PR-Regel bedeutet, dass man sich mit Argumenten und Fakten nicht auseinandersetzen will): Es handle sich um einen 85-jähriger Mann, der die Täterschaft Assads für ein Giftgasattentat verneint habe. Hersh stütze sich bei seiner Nord-Stream-Recherche auf eine einzige Quelle, würde seinen Informanten nicht nennen und keine Dokumente als Beweis vorlegen, lauten die Gründe für die Skepsis. In ihren Online-Ausgaben verlinkten viele Medien nicht einmal auf der Bericht von Hersh.
    «Ein Starjournalist auf Abwegen» titelte die NZZ. Hersh vermische «Phantasie mit Fakten». Und als schlagenden Beweis für die Unseriosität von Hersh meinte Korrespondentin Katja Müller, die These von Hersh werde «vor allem von regierungsnahen russischen Medien verbreitet». In den USA würde diese These kaum aufgenommen.
    Die Tamedia-Zeitungen wie beispielsweise Tages-Anzeiger, Der Bund oder Zürcher Oberländer übernahmen einen Kommentar von Stefan Kornelius, Redaktor der «Süddeutschen Zeitung»: Hersh verbreite eine «spektakuläre, aber unplausible These» und betreibe «ein Geschäft mit der Konspiration». Auf die konkrete Darstellung von Hersh ging Kornelius nicht ein.
    Kornelius ist Mitglied der «Atlantik-Brücke», die unter anderem eine militärpolitische Brücke zwischen den USA und Deutschland schlagen will, und sass einige Jahre – wie heute die in den Medien präsenten Professor Carlo Masala und Marie-Agnes Strack-Zimmermann – im Beirat der «Bundesakademie für Sicherheitspolitik», die organisatorisch zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung gehört und laut Statuten die Bundesregierung berät, also die selbe Bundesregierung, deren Politik die Medien kritisch hinterfragen sollten (siehe Infosperber: Redaktoren im Dienste von Nato-Organisationen).
    Es fällt auf, dass die «Süddeutsche Zeitung» Hersh noch im Januar 2019 als den «wichtigsten US-Investigativjournalisten» lobte. Nun verbreitet sie, Hersh «drohe die Spur zu verlieren» und verbreite «Konspiration».
    Noch am 3. Mai 2022 leitete der «Bayrische Rundfunk» eine Sendung über Hersh mit den Worten ein: «Reporterlegende Seymour Hersh – Stachel im Fleisch der Mächtigen. Er bringt ans Tageslicht, was die Mächtigen verbergen: Kriegsverbrechen, Korruption, Umweltfrevel. Die Enthüllungen der Reporterlegende zeigen der Weltöffentlichkeit das hässliche Gesicht der USA.»

5. Offizielle Reaktionen

Medien, welche als Hauptverdächtigen für die Sabotage vorschnell Russland ausmachten, sollte etwas später wenigstens stutzig machen, dass westliche Exponenten die Zerstörung der Pipelines begrüssten.

Sogar schon wenige Tage nach der Sprengung der Pipelines erklärte US-Aussenminister Antony Blinken an einer Pressekonferenz, Putin sei jetzt ein wichtiges Machtmittel genommen worden. Die Zerstörung der Pipelines sei eine ungeheure Chance – eine Chance, Russland die Möglichkeit zu nehmen, die Pipelines als Waffe einzusetzen.

Am 30. September, nur vier Tage nach dem Pipeline-Anschlag, twitterte der ukrainische Finanzmarktspezialist Bohdan Kucheriavyi2 erfreut: «Die Sabotage der Nord-Stream verschafft neue Möglichkeiten.»

26. Januar 2023 zeigte sich auch Victoria Nuland erfreut, bekannt durch ihren Ausspruch «Fuck the EU». Während einer Anhörung des Ausschusses für auswärtige Beziehungen des Senats sagte sie zu Senator Ted Cruz: «Wie Sie bin auch ich, und ich glaube auch die Regierung, sehr erfreut zu wissen, dass Nord Stream 2 jetzt, wie Sie sagen, ein Haufen Metall auf dem Meeresgrund ist.»

Am 27. Januar 2022 bedankte sich der frühere polnische Verteidigungs- und Aussenminister Radoslaw Sikorski in einem Tweet bei den USA: «Thank you, USA.»

Peinlicher Faktencheck der ARD

«Sprengstoff in Pflanzenform unwahrscheinlich»: Wohl wahr, aber das hat Seymour Hersh nicht behauptet. Stoff in Pflanzenform unwahrscheinlich» dementierten die Faktenchecker der ARD Seymours Hershs Beschreibung des Attentats. Hersh habe behauptet, die Taucher hätten den plastischen Sprengstoff C4 «in Form von Pflanzen auf den vier Pipelines mit Betonschutzhüllen» platziert. Laut Experten sei «die These, der Sprengstoff sei in Pflanzenform angebracht worden, ‹abenteuerlich›», verbreiteten die Faktenchecker.

Nord-Stream-Office-Zug.jpg

Später mussten die ARD-Faktenchecker zurückkrebsen: In Hersh Originaltext heisst es: «…plant shaped C4 charges». Die Faktenchecker übersetzten dies mit «Sprengstoff C4 in Form von Pflanzen». Nur: «Plant» bedeutet in diesem Fall «platzieren» und nicht «Pflanze».

Olaf Scholz: «Man kann es nur vermuten»

Während eines TV-Bürgerdialogs Anfang Februar nahm der deutsche Bundeskanzler das Wort «USA» nicht in den Mund:

«Wer die Pipeline gesprengt hat, kann man vermuten, aber weil wir ein Rechtsstaat sind, vermuten wir nicht, sondern sagen nur dann etwas ganz Präzises, wenn wir das beweisen können. Auch wenn hier fast alle denken, wie das ist, darf man sich nicht in Spekulationen ergehen.»

Hinter dieser Maxime versteckt sich Scholz wohl deshalb, weil es um Vorwürfe an die Adresse der USA geht. Bei Vorwürfen gegen Russland oder China, geschweige denn gegen die Oppositionsparteien gilt dieser hehre Grundsatz der endgültigen Beweisbarkeit, um eine fast sichere Vermutung auszusprechen, offensichtlich nicht.

Das Zitat wurde am 27.2.2023 ergänzt
2 Hier wurde der Tweet anfänglich irrtümlicherweise Exxon Mobil zugeordnet

_______________
NACHTRAG vom 28.2.2023
Im obigen Artikel kritisierte ich die zitierten Zeitungen, weil diese Seymour Hersh als unglaubwürdig darstellten, ohne dass sie überhaupt darüber informierten, was denn Hersh herausgefunden zu haben glaubt. Unterdessen melden einige Medien Zweifel, ob Details des von Hersh beschriebenen Ablaufs des terroristischen Anschlags zutreffen. Es kann sein, dass Hersh den genauen Ablauf absichtlich mit Fehlern darstellte, damit seine Quelle schwieriger identifiziert werden kann. Es kann auch sein, dass Hersh über den Ablauf falsch informiert ist. Bei ihren Zweifeln stützten sich beispielsweise die Faktenchecker der ARD auf den Pressesprecher der norwegischen Streitkräfte und auf einen dänischem Datenanalysten.
Die taz macht es sich einfach, wenn sie aufgrund von fehlerhaften Details die Kernaussagen von Hersh als «umplausibel» disqualifiziert.
Weder die taz noch die ARD-Faktenchecker haben Hersh Gelegenheit gegeben, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.
Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck stufte die Ermittlungen als «geheimdienstlich» ein. Weder die deutschen noch die dänischen noch die schwedischen oder norwegischen Ermittler geben ihre Ergebnisse bekannt. Gäbe es auch nur Hinweise dafür, dass Russland für den Terrorakt verantwortlich ist, wären entsprechende Ergebnisse wohl längst bekannt gemacht worden.
Im obigen Artikel sind eine ganze Reihe deutlicher Indizien aufgezeigt, welche nahelegen, dass die USA beim Anschlag federführend waren.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —       Karte der Nord-Stream-Pipelines

***************************

2.) von Oben       —     Ceremony of opening of gasoline Nord Stream. Among others Angela Merkel and Dmitry Medvedev

Abgelegt unter Energiepolitik, International, Medien, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Die USA in ihren Kokon

Erstellt von Redaktion am 25. Februar 2023

Die USA haben sich in einen Kokon von Ignoranz und Selbstherrlichkeit eingesponnen

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Die Münchener Sicherheitskonferenz (MSC) 2023 ist der letzte eklatante Beweis für die Ignoranz, Arroganz und Selbstherrlichkeit der USA auf der internationalen Bühne.

Nachdem Wang Yi, einer der höchsten politisch verantwortlichen Repräsentanten Chinas auf der Konferenz eine Friedensinitiative seines Staates für die Ukraine angekündigt hatte, faselt der US-Außenminister A. Blinken nur noch von Waffenlieferungen Chinas an Russland. Für wie blöde hält Blinken die Konferenzteilnehmer eigentlich? Und was soll die geheimgehaltene aber gleichwohl ebenso aufgeblasene wie nichtssagende Stipvisite von Biden in Kiew? Das war mitnichten „Der wichtigste Besuch in der Geschichte der Ukraine“ (Selensky) angesichts einer monoton und emotionslos von Biden vom Blatt abgelesenen Aussage: „Ein Jahr später steht Kiew. Und die Ukraine steht. Die Demokratie steht.“ Da hat er wohl nicht richtig hingeschaut, nichts als hohle, hehre Worte zu einem Krieg, den Biden mit Geld und Waffen, natürlich unter US-Führung, bis zu seinem bitteren Ende und solange es sein muss führen will. Ist das wirklich der Präsident der USA oder nur das willfährige Sprachrohr der Neocons im Weißen Haus, die immer wieder erratisch blinken?

Und wenn unsere Leitmedien und/oder auch wir das nicht richtig einordenen können oder wollen, gibt es jetzt China als die neue große Macht, die den USA durch Taten weltweit Paroli bietet, aber eben nicht auf militärischem Gebiet. Und China tritt auf der internationalen Bühne immer selbstsicherer auf und sagt ganz offen, dass vor allem Ignoranz und Vorurteile die USA in ihre Paranoia bezüglich der Entwicklung Chinas und die hysterischen Reaktionen bis hin zu einer ideologischen Kriegsführung auf wahllos allen Gebieten getrieben hat. Nicht nur bezüglich China sind die Aktionen der USA nicht sachlich fundiert, sondern beruhen weit überwiegend auf Ignoranz und Selbstherrlichkeit gegenüber anderen Ländern und Völkern. Die USA fühlen sich allen anderen überlegen: America First (and forever)!

Das ist der Kokon, in dem sie sich wohlfühlen. Von Mitverantwortung für das Wohl und die Entwicklung der Welt gleichberechtigten Völker keine Spur! Ganz im Gegenteil! Nach dem Gespräch mit Wang auf der MSC beschwerte sich Blinken, dass China sich nicht entschuldigt hätte. Wofür? Haben sich denn die USA für ihre Greueltaten in Japan, Korea, Vietnam, Irak, Iran bis hin zur jämmerlichen Zerstörung von North Stream entschuldigt?

Aber vielleicht haben sich die USA unter dem Schutz von fast 800 Militärstützpunkten rund um die Welt ja nur deshalb in ihren Kokon eingenistet, um nur ja den Niedergang ihrer Hegemonie nicht zu sehen und ihre Brut gegen Freund und Feind zu schützen. Erstaunlich dabei, das unsere führenden Politiker vasallenartig den USA nacheifern, wohl wissend, dass Dummheit und Stolz auf einem Holz wachsen. Und so hegen und pflegen auch sie den US-Kokon und verpassen die großen Umbrüche unserer Zeit mit ihrer Entwicklung zu einer offenen Welt mit gleichberechtigten Völkern.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —   Kokon einer Vierfleckkreuzspinne

Abgelegt unter Deutschland_DE, International, Kultur, Medien | Keine Kommentare »

Kosovo und Serbien:

Erstellt von Redaktion am 24. Februar 2023

Kosovo und Serbien: Vor der nächsten Eskalation?

Abgelegt unter Europa, Kultur, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Guantanamo-Entlassungen

Erstellt von Redaktion am 23. Februar 2023

Guantanamo-Entlassungen: Die USA in der Verantwortung

undefined

Quelle      :        INFOsperber CH.

Daniela Gschweng / 

Das Leben eines ehemaligen Guantanamo-Häftlings ist eine fortgesetzte Gefangenschaft ohne Rechte und ohne Perspektive.

Viele ehemalige Guantanamo-Häftlinge führen ein elendes Leben. Den Terror-Stempel werden sie nicht mehr los, obwohl einige wohl nie ein Verbrechen begangen haben. Die USA kümmern sich kaum um ihren Verbleib.

Sabri al-Qurashi sei ein begabter Maler, schreibt die Journalistin Elise Swain, die sich über Monate per Internet mit dem ehemaligen Guantanamo-Häftling unterhalten hat. Für den «Intercept» berichtet sie über sein Leben in Kasachstan, wo er bis heute keinen Aufenthaltsstatus und damit auch keine Rechte hat. Der Jemenit malt ruhige Landschaftsbilder, aber auch Szenen aus der Gefangenschaft. Die Malerei helfe ihm, die Hoffnung nicht zu verlieren, sagt er.

Von Saudi-Arabien über Kandahar nach Guantanamo

2014 wurde al-Qurashi nach 13 Jahren aus Guantanamo entlassen. Ein freier Mann ist er bis heute nicht. Eigentlich, sagt er, sei es «jetzt genauso schlimm wie in Guantanamo, in vielerlei Hinsicht sogar noch schlimmer». Im US-Gefangenenlager in Kuba habe er gewusst, dass die Gefangenschaft enden würde. Ob sein jetziges Leben, das man nur als elend beschreiben kann, sich jemals zum Besseren wendet, weiss er nicht.

Festgenommen wurde der heute 52-Jährige auf einer Geschäftsreise nach Pakistan, die ihn nach Aufzeichnungen des Journalisten Andy Worthington auch nach Afghanistan führte. Er sei unterwegs gewesen, um Parfümöle bei den Herstellern zu kaufen, sagt al-Qurashi. Die Reise endete im US-Gefängnis von Kandahar. Von dort wurde er nach Guantanamo geflogen. «Der schlimmste Tag in meinem Leben», sagt er.

Der «Intercept» nimmt an, dass ein Warlord oder die afghanischen Polizei al-Qurashi verkauft hat. Die US-Armee bezahlte kurz nach 9/11 hohe Summen für mutmassliche Taliban- oder Al Kaida-Mitglieder. Ob er jemals ein Verbrechen begangen hat, ist unklar.

Ohne Anklage oder Prozess

Ende Dezember 2014 wurde er mit zwei anderen Jemeniten im Zuge einer geheimen Abmachung nach Kasachstan gebracht. Zuvor gab es ein Treffen mit Vertretern Kasachstans. Ein Transfer in den Jemen sei aufgrund der politischen Situation nicht möglich gewesen, schreibt der «Intercept». Eine Anklage oder einen Prozess gab es nie.

Laut der «New York Times» erklärte «ein hochrangiger Beamter der Obama-Regierung», dass insgesamt fünf nach Kasachstan umgesiedelte Ex-Gefangene «nach der Überstellung in jeder Hinsicht freie Männer seien».

In al-Qurashis Bericht für den «Intercept» klingt es anders. Nach einer Beobachtungszeit von zwei Jahren sei er ein freier Mann mit allen Rechten, hätten die US-Behörden versprochen. Und Kasachstan sei immerhin ein muslimisches Land. Die kasachischen Behörden seien gut ausgestattet, um die Überwachungsaufgaben zu übernehmen, die seine Entlassung erfordere. Ein Leben als normales Mitglied der Gesellschaft liege vor ihm. Al-Qurashi hoffte, seine Frau wiederzusehen oder zu sich holen zu können.

Als Sans-Papiers gestrandet

Nichts davon wurde wahr. Al-Qurashi hat keinerlei legalen Aufenthaltsstatus in Kasachstan und kann sich nicht frei bewegen. Als Sans-Papiers kann er keine Post bekommen oder absenden, kein Geld empfangen, nicht arbeiten, nicht reisen. Nicht einmal die unmittelbare Umgebung kann er allein verlassen. Wenn er das möchte, muss er den Roten Halbmond kontaktieren, der ihm eine Begleitung zur Verfügung stellt. Manchmal wartet er tagelang.

Der Rote Halbmond finanziert Lebensmittel und Wohnung und begleitet ihn. Soziale Kontakte zu knüpfen, hat der Ex-Häftling aufgegeben. «Die Regierung schikaniert jeden, mit dem ich in Kontakt komme», erzählt er. Sie warne Kontaktpersonen vor dem gefährlichen Terroristen. Er wolle niemanden in Schwierigkeiten bringen und habe deshalb aufgehört, sich mit anderen zu treffen.

«Sie haben keine Rechte»

Über die Jahre habe er mehrmals versucht, einen Besuch seiner Frau oder anderer Familienangehöriger zu arrangieren. Vergeblich. Als «Illegaler» dürfe er keinen Besuch bekommen. «Sie haben keine Rechte», hätten die kasachischen Behörden ihm gesagt. Der Rote Halbmond verhandelt seit Monaten über einen kurzen Besuch seiner Frau. «Ich versuche, nicht aufzugeben, aber alles ist gegen mich», sagt al-Qurashi.

undefined

Es sei schwer, die Verzweiflung nach zwei Jahrzehnten in Gefangenschaft nicht zuzulassen. «Jetzt lebe ich, als wäre ich tot, und man sagt mir, ich sei frei, obwohl ich es nicht bin», schrieb er in einem Chat. Die Reporterin erlebte ihn in unzähligen WhatsApp-Videoanrufen dennoch als positiv und herzlich und humorvoll, schreibt sie.

«Jetzt lebe ich, als wäre ich tot, und man sagt mir, ich sei frei, obwohl ich es nicht bin.»

Sabri al-Qurashi, ehemaliger Guantanamo-Häftling

Vor vier Jahren wurde al-Qurashi auf der Strasse überfallen und im Gesicht verletzt. Eine Anzeige sei nicht möglich, schliesslich sei er illegal da, sagten die Behörden. Von dem Vorfall hat er eine Gesichtslähmung zurückbehalten, die chirurgisch behandelt werden müsste. Bisher hat er Akupunktur bekommen und ein Glas mit Blutegeln.

Von den insgesamt fünf Guantanamo-Häftlingen, die von den USA nach Kasachstan geschickt wurden, leben nur noch zwei dort. Muhammad Ali Husayn Khanayna wollte sich dem «Intercept» gegenüber nicht äussern. Asim Thabit Al Khalaqi, der dritte Jemenit, starb vier Monate nach der Ankunft in Kasachstan überraschend an einer schweren Krankheit. Angehörige werfen den Ärzten ärztliche Kunstfehler vor.

Lotfi bin Ali, ein Bürger Tunesiens, gab mehrere Interviews über sein desolates Leben in Kasachstan und wurde nach Mauretanien umgesiedelt. 2021 starb er dort an einer Herzkrankheit, von der man wusste; laut dem «Intercept», weil er keine adäquate Behandlung bekam. Die US-Behörden habe es nicht gekümmert, sagte sein ehemaliger Anwalt, Mark Denbeaux. Über den Verbleib von Adel Al-Hakeemy, ebenfalls Tunesier, ist nichts bekannt.

Wie wichtig ein ordentliches Gerichtsverfahren ist

Diese Lebensgeschichten zeigen einmal mehr, wie unmenschlich es ist, Menschen ohne ordentliches Gerichtsverfahren jahrelang festzuhalten, und wie gross der Wert eines ordentlichen Gerichtsverfahrens ist. Weder Schuld noch Unschuld der fünf nach Kasachstan Geschickten wurde jemals festgehalten. Die USA stuften sie wohl als geringes Risiko ein. Die Männer tragen dennoch das Stigma des gefährlichen Terroristen.

Auch bei den Gefangenen, die verurteilt wurden, bestehen erhebliche Zweifel an deren Schuld. Der Anfang Februar freigelassene Majid Khan beispielsweise berichtete mehrmals von Folter durch die CIA. Der Pakistaner wird in Zukunft in Belize in Mittelamerika leben.

Die US-Behörden bemühen sich mit Unterbrechungen seit Jahren, das Guantanamo-Gefängnis zu leeren und die heute noch eingesperrten 34 Gefangenen loszuwerden. Aber es ist eben das: ein Loswerden.

Eine Verantwortung, die keiner tragen will

Wer nach der Entlassung die Verantwortung für ehemalige Guantanamo-Häftlinge trägt, ist unklar. Das US-Aussenministerium, zunächst interessiert an einer sicheren Unterbringung ehemaliger Gefangener ausserhalb der USA, sieht seine Pflicht nach der zweijährigen Überwachungsfrist als getan an.

Die Verantwortung gehe an die Aufnahmeländer über, erklärte ein Sprecher des US-Aussenministeriums. Man ermutige alle Gastregierungen, ihre Verantwortung auf humane Weise und unter Berücksichtigung angemessener Sicherheitsmassnahmen wahrzunehmen. Die kasachische Botschaft in den USA reagierte auf eine Anfrage des «Intercept» nicht.

Inhumane Behandlung auch in anderen Ländern

Mit dem Ende der Regierung Obama stellten die USA auch die diplomatischen Bemühungen des Aussenministeriums zu ehemaligen Guantanamo-Häftlingen ein. Die Trump-Administration löste die für Umsiedlungen zuständige Stelle auf, die Ex-Häftlingen grundlegende Menschenrechte hätte garantieren können.

Länder wie Kasachstan, die Vereinigten Arabischen Emirate und Senegal nutzten diese Lücke aus. Die Emirate schickten Ex-Häftlinge ins Gefängnis, Senegal schob einen Ex-Gefangenen nach Libyen ab.

Seit August 2021 gibt es wieder eine US-Stelle für «Guantanamo Affairs», die mit der Diplomatin Tina Kaidanow besetzt ist. Al-Qurashis Anwalt Greg McConnell hat eine Anfrage an Kaidanow gerichtet. Das Personal sei sehr freundlich, sagt er zum «Intercept». Antworten habe er schon lange nicht mehr erhalten.

Die USA müssen Verantwortung übernehmen

Das bisher einzige Angebot der kasachischen Regierung ist laut al-Qurashi eine Reise zurück in den Jemen. Das könnte gegen das internationale Recht der Nichtzurückweisung verstossen, ordnet die Menschenrechtsspezialistin Martina Burtscher gegenüber dem «Intercept» ein. Im Jemen sei al-Qurashi wegen des Terror-Stigmas ein leichtes Ziel der dort agierenden Gruppierungen. Bisher weigert er sich, in den Jemen zu reisen. Für die USA hat die Unterbringung der verbliebenen Gefangenen Priorität.

Al-Qurashis Probleme sind nicht einzigartig. Rund 30 Prozent der ehemaligen Guantanamo-Häftlinge, die in Drittländer gebracht wurden, hätten keinen legalen Status, sagte die US-Organisation Reprieve vor einem Jahr.

Ohne sinnvolle Massnahmen der USA werde sich in dieser Angelegenheit auch nichts bewegen, sagt Mansoor Adayfi, ein anderer Jemenit, der 14 Jahre in Guantanamo eingesperrt war. 2018 wurde er nach Serbien entlassen. Obwohl er eine Aufenthaltsgenehmigung hat, fühlt er sich in Belgrad nicht sicher und wird noch immer überwacht. Er hat einige Folgeerkrankungen der Haft, die ihn einschränken, dokumentierte der «Intercept». Die serbische Regierung drohe regelmässig damit, die Unterstützung einzustellen. 2021 schrieb Adayfi an einem Buch mit dem Titel «Life After Guantánamo». «Welches Leben?», fragt man sich.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —      Eingang zum Camp Delta

Abgelegt unter Amerika, Kriegspolitik, Kriminelles, Medien, Regierung | Keine Kommentare »

Vom Pfuschen + Wegsehen

Erstellt von Redaktion am 21. Februar 2023

Ein postideologischer Totalitarismus

Quelle     :      Streifzüge ORG. / Wien 

Von Tove Soiland

Zur politischen Immunisierung des Pandemieregimes. Zuweilen konnte man sich in den vergangenen zwei Jahren nur wundern, mit welcher Selbstverständlichkeit der Großteil der Linken davon überzeugt war, mit ihrer vorbehaltlosen Unterstützung der rigorosesten staatlichen Corona-Maßnahmen auf der politisch richtigen Seite zu stehen, auf der linken nämlich.

Man habe der Wissenschaft zu folgen, hieß es, es sei ein Gesundheitsnotstand, alles andere sei irrational. Als hätte es in Deutschland nie eine problematische Indienstnahme der Medizin gegeben, die sich in das Gewand von Wissenschaftlichkeit und Fortschritt kleidete – was uns eigentlich die politische Pflicht auferlegte, genau in diesem Feld besonders wachsam und vorsichtig zu sein. Doch die Mehrheit der Linken tut bis heute das Gegenteil: Wer berechtigte Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Maßnahmen äußert, deren Wirksamkeit nie evidenzbasiert untersucht wurde, wird kurzerhand in die rechte Ecke gestellt, das Gespräch verweigert; Rückfragen an die Zweckmäßigkeit von Massenimpfungen, ja, überhaupt die Frage, warum die Impfung der einzige Ausweg aus der Krise sein soll, wird mit dem Hinweis auf „die Wissenschaft“ als reaktionäre Anti-Fortschrittshaltung von rechten Esoterikern und Sozialdarwinisten abgetan – obwohl namhafte Wissenschaftler seit Beginn der Krise darauf hinwiesen, dass eine Impfung gegen Corona-Viren als Mittel der Immunisierung der Bevölkerung nicht funktionieren werde. Doch an einer ernsthaften wissenschaftlichen Auseinandersetzung scheint man merkwürdigerweise gerade im linken Lager bis heute nicht wirklich interessiert. Stattdessen ist man mit Worten rasch zur Hand und nimmt es mit der Logik nicht allzu genau: Wer angesichts des Corona-Regimes von Diktatur spricht, verharmlost wahre Diktaturen und ist damit ein Holocaust-Leugner. Eine Mutter, die ihr Kind nicht impfen lassen will, als Nazi zu beschimpfen, ist aber kein Problem und auch, dass damit die Frage des Antisemitismus völlig sachfremd instrumentalisiert wird. Hauptsache man wähnt die Moral auf seiner Seite. Jedenfalls beansprucht dieser linke Diskurs, in Sachen Schutz der Bevölkerung der einzig legitime Standpunkt zu sein und seine Vertreter sind überzeugt davon, mit dieser Haltung rechtes Gedankengut abzuwehren. Doch stimmt das? Und ist es tatsächlich so klar, wer hier letztendlich rechten Interessen dient?

Nur schon, dass diese Frage kaum zu stellen ist, geschweige denn irgendwo in linken Zusammenhängen in Ruhe diskutiert werden kann, muss aufhorchen lassen. Dabei gäbe es viele Fragen. Das Frappanteste ist, wie weitgehend sich die Linke seit Beginn der Corona-Krise aus ihren angestammten Kritikfeldern, allen voran der Kritik an den internationalen Organisationen der Globalisierung, verabschiedet hat, sodass man zuweilen den Eindruck bekommt, ihre Haltung sei nicht mehr von derjenigen des WEF und seines Begründers Klaus Schwab zu unterscheiden. Dass durch die Maßnahmen, nicht durch das Virus, weltweit mit 20 Millionen mehr Hungertoten zu rechnen ist, wie Oxfam schon im letzten Sommer warntei, dass die Impfallianz GAVI, von der auch die jetzige Impfkampagne ausgeht, in ihrer Vergangenheit immer wieder mit problematischen Impfaktionen Schlagzeilen machte – u.a., indem sie in Indien und Afrika Impfungen gleichzeitig mit der Massensterilisierung von Frauen verbanden und deshalb jahrelang in der Kritik von feministischen Organisationen stand; ja, dass ganz generell die von der WHO verordnete Corona-Politik, wie Toby Green in seinem Buch The corona consensus. The new politics of global inequality darlegt, global gesehen, zu einer massiven Verschärfung der eh schon skandalös grossen sozialen Ungleichheit führtii; dass all dies kein Thema für die Linke mehr sein soll, hat etwas Unfassbares. Weil es um den Schutz der Bevölkerung geht? Aber um was für einen Schutz kann es sich dabei handeln, wenn weltweit ein Großteil der Bevölkerung seiner Existenzgrundlage beraubt wird, wenn, wie die FAO berechnet, durch die Corona-Maßnahmen weltweit 70-161 Millionen mehr Menschen hungerniii, und, wie die UNO berechnet, 140 Millionen Kinder zusätzlich in Armut gestürzt werden?iv Um welches Leben also geht es, wenn von der „Rettung von Leben“ die Rede ist? Nur um weißes? Und ist das kein Rassismus? Und ist es sozialdarwinistisch oder gar rechts, solche Fragen zu stellen – und nicht vielmehr links?

Angesichts dieser weltweiten Umverteilung von unten nach oben lässt sich jedenfalls nicht sagen, dass die westlichen Staaten in ihrem Corona-Regime den Kapitalinteressen in die Quere gerieten. Ja, es ist umgekehrt nicht von der Hand zu weisen, dass viele der Maßnahmen – ob bewusst dafür eingesetzt oder nicht, sei einmal dahingestellt – der Durchsetzung eines neuen Akkumulationsregimes dienen. Umso erstaunlicher ist es, dass die gleichzeitig immer autoritärer werdende Staatsform kein Thema mehr sein soll. Denn dieses autoritäre Regime setzt etwas fort oder fügt sich jedenfalls problemlos darin ein, was schon seit längerem als autoritärer Neoliberalismus bezeichnet wird: Eine illiberale Version des Neoliberalismus (falls dies nicht überhaupt seine Grundform ist ist), die sehr gut, wenn nicht sogar noch besser ohne das auskommt, was wir gemeinhin als bürgerliche Freiheit bezeichnen. Der digitalisierte Mensch im Homeoffice, der sich von Amazon beliefern lässt und der gelernt hat, sein Dasein auf die warenförmige Befriedigung von Bedürfnissen zu reduzieren, in dieser digitalen Dystopie braucht es keine Sphäre des Politischen mehr, da Experten die Steuerung, die dann auch nicht mehr politisch sein wird, übernommen haben werden – auch die Steuerung des Fußvolkes von Heloten, die die materielle Basis dieser Dystopie bereitstellen. Wir sind immer noch im Kapitalismus und der Staat stellt sich immer noch, mit autoritären Mitteln, in dessen Dienst, aber sein Gesicht hat sich verändert.

Wir haben es so betrachtet mit dem – verwirrenden – Umstand zu tun, dass der Staat in seinem autoritären Charakter den Kapitalinteressen dient, womit er der Definition eines rechten autoritären Staates entspricht, ohne dass er es dabei nötig hat, auf das zurückzugreifen, was wir gemeinhin als rechte Ideologien bezeichnen: offene Rassismen, konservative Werthaltungen und ein Anti-Egalitarismus. Im Gegenteil: Dieser Staat kommt im Gewand der political correctness daher, seine Exponenten sind geschmeidig smart, nicht fanatisch polternd, und sie sprechen viel vom Guten für die Welt. Sie sprechen von Inklusion, auch wenn sie dabei einen Gutteil der Bevölkerung von fast allem, was an gesellschaftlichem Leben noch verblieben ist, ausschließen – und dies alles im Namen des Fortschritts. Dieser Staat – und dieser Kapitalismus – braucht die alten Insignien rechter Ideologien ganz einfach nicht mehr. Im Gegenteil: Ich meine, dass rechte Ideologien überhaupt disfunktional zu den Erfordernissen der heutigen Kapitalakkumulation geworden sind.

Wenn wir wie gebannt, und ich würde sagen mit einer guten Portion moralischer Selbstgerechtigkeit, auf die Szenen starren, die sich zuweilen am Rande der Corona-Maßnahmen-kritischen Demonstrationen abspielen, verpassen wir es, dieses Auseinandertreten von rechter Ideologie und rechtem Staat zu verstehen und die Gefahr wahrzunehmen, die von letzterem ausgeht: von einem Staat, der sich zunehmend in Richtung von etwas entwickelt, das ich in Anlehnung an den italienischen Psychoanalytiker Massimo Recalcati als postideologischen Totalitarismus bezeichnen möchte.

(Doch auch wenn wir eine Gefahr von rechts befürchten: Es ist absolut unverständlich, warum die Linke, die seit Anfang der Corona-Krise nichts Besseres zu tun weiß als mit dem moralischen Zeigefinger auf rechts zu zeigen, sich weigert anzuerkennen, dass die Politik der weltweiten Verelendung, die das Corona-Regime bedeutet und die die Linke offen mitträgt, der beste Nährboden für rechte Bewegungen ist, weil rechte Ideologien dort greifen, wo Menschen in eine ökonomisch ausweglosen Situation geraten sind. Es ist die Linke, die mit ihrer Haltung das Feld der berechtigten Kritik der Rechten überlassen hat, weil sie sich weigern, irgendetwas in Frage zu stellen, obwohl die Ungereimtheiten sich längst bis zum Himmel türmen. Sie sind verantwortlich für einen Zulauf nach rechts, wenn es ihn denn geben wird.

Doch die neue Gefahr wird nicht von dort, von rechts kommen. Sie scheint mir vielmehr in dieser neuen postideologischen Konstellation zu liegen: Vielleicht müssten wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass der heutige Staat zwar autoritär ist, dass er mit diesem Autoritarismus dem Kapital dient und demnach der Definition eines rechten Totalitarismus entspricht, ohne dass er sich dabei klassisch rechtsextremer Ideologie bedient.)

Die hypermoderne Gesellschaft negiert den Mangel, um die totale Askese zu akzeptieren

Mit dem Begriff des Postideologischen verbindet die marxistische Lacan-Rezeption ganz allgemein jene „ideologische“ Konstellation, die der kapitalistischen Produktionsweise am adäquatesten ist. Dabei greifen diese Ansätze auf eine Feststellung Lacans zurück, dass der kapitalistischen Produktionsweise eine totalitäre Tendenz inhärent ist, deren Autoritarismus sich gerade nicht aus der Verpflichtung auf ein höheres Ideal, dem „ideellen“ Gehalt der deshalb so genannte Ideologie, herleitet, sondern umgekehrt aus dem Schwinden oder Bedeutungsverlust jeglichen Ideals. Dass der im Zuge des fortschreitenden Kapitalismus vorangetriebene Untergang der väterlichen Autorität ein Vakuum hinterließ, das in Gestalt des Führers von einer pervertierten Vater-Figur, dem Vater der Urhorde, wie Freud ihn nannte, wieder eingenommen werden konnte, dies ist eine These, die viele psychoanalytisch orientierte Zeitdiagnosen des Nationalsozialismus teilen. Auch Lacan steht in dieser Tradition, indem er bereits in seiner Dissertation von 1938 festhält, dass Freud nur deshalb die Rolle des Vaters ins Zentrum seines Denkens stellen konnte, weil dessen Bedeutung zu seiner Zeit bereits im Untergang begriffen war. Doch anders als die Theoretiker der vaterlosen Gesellschaft interessiert Lacan sich für den mit diesem Schwinden verbundenen Zusammenbruch der symbolischen Dimension. Es ist nicht länger der „Diskurs des Herrn“, also die traditionell ödipale Konstellation mit ihren Gesetzen und Verboten, auch nicht seine Pervertierung in Form eines Urvaters; es ist vielmehr die mit dem Schwinden des Namens des Vaters verbundene Aufhebung der „symbolischen Kastration“, die in Lacans Gegenwartsdiagnose eine Tendenz zum Totalitären aufweist. Denn das Schwinden der symbolischen Schranke lässt das Reale in den Vordergrund treten mit seinem Versprechen einer totalen Ermöglichung: dem uneingeschränkten, da nicht symbolisch vermittelten Zugangs zum Genießen, aber auch der totalen Administrier- und damit Optimierbarkeit des Lebens. Diese psychoanalytische Version der Biopolitik hebt ein totalitäres Moment hervor, das in der Auslöschung der Dimension des Subjektes liegt. Dies nicht so sehr deshalb, weil die Biopolitik in ihrem Allgemeinheitsanspruch das Individuum überrollt, sondern weil diese Ermöglichung in ihrer Ent-grenzung das Subjekt einem Zwang zur grenzenlosen Optimierung unterwirft, die seinem Begehren nach einer Dimension jenseits des reinen Lebens keine Rechnung trägt. Das Postideologische reduziert das Dasein auf die Immanenz des Lebens und entkleidet es so jeder transzendenten Dimension. In der Wüste des Realen sind wir zum Biotop geworden.

Erstaunlicherweise hat der italienische Psychoanalytiker Massimo Recalcati bereits vor fünfzehn Jahren in Anlehnung an Lacans Überlegungen die These aufgestellt, dass der postideologische Totalitarismus sein bevorzugtes Tätigkeitsfeld auf dem Gebiet der Gesundheit findet und er prägte dafür den Begriff des „hypermodernen Hygienismus“.v Recalcati verbindet damit eine Macht, die, von einem „hochspezialistierten Wissen“ angeleitet, die Führung des Lebens technisch-wissenschaftlichen Praktiken zugänglich machen will. Dabei greift diese „horizontale Regierung des Lebens“ nicht auf offene Formen von Gewalt zurück, sondern auf aseptische Evaluations- und Auswertungsverfahren. Sie hat nicht die Form repressiven Verbote, sondern „jene der fälschlicherweise als fortschrittlich verstandenen einer allgemeinen Quantifizierung des Lebens“. Dieser Drang zur Vermessung hat jedoch den fatalen Effekt, dass das Begehren verschwindet. Er vergisst die Dimension einer strukturellen Versehrtheit des Lebens und versucht stattdessen, „nach Maßgabe einer verrückten moralischen Pädagogik“, anzugeben, welches das richtige Verhältnis zum Glück ist. Diese in Recalcatis Worten „Ideologie des Wohlbefindens“, die uns auf das Prinzip des Guten verpflichtet und worin das „hygienische Ideal der Gesundheit“ das einzige noch verbleibende Ideal ist, lässt der „antihedonistischen Dimension“ des Begehrens, das nicht einfach nach dem reinen Wohlergehen strebt, keinen Raum. Denn es gibt kein richtiges Maß für das Begehren, es gibt, wie Recalcati festhält, „keine Möglichkeit anzugeben, was das richtige Verhältnis zum Realen wäre, was das allgemeingültige Maß für ‚Glück‘ wäre, weil das Glück nie nach einer vorgegebenen normativen Skala bewertet werden kann, die allgemein gültig wäre. Wenn dies geschieht – und es geschieht heute mittels einer propagandistisch verbreiteten Medikalisierung der Gesundheit –, so sind wir, wie Lacan stets betont, nur noch einen Schritt von jener ‚innerlichen Katastrophe‘ entfernt, die wir Totalitarismus nennen.“

Liest man Recalcatis Text vor dem Hintergrund der vergangen zwei Jahre, so muss es einem erscheinen, wie wenn er eine Dystopie vorweggenommen hat, die nun real geworden ist. Denn das Corona-Regime trägt alle Züge eines hypermodernen Hygienismus: Nicht nur ist hier das szientistische Wissen zu einem „unerhörten Imperativ des Guten“ geworden, der uns die Gesundheit als neue soziale Pflicht auferlegt; in seinem Rigorismus kann dieser Imperativ auch jederzeit in sein Gegenteil kippen: in ein technokratisch-aseptisches Verständnis von Gesundheit, das uns krank macht.vi Die erbarmungslose Akribie, mit der die Gesundheit verfolgt wird, gleicht in dieser Janusköpfigkeit einem profanen Glauben an das Leben, der trotz seines Glaubenscharakters sich von jeglicher Transzendenz entbindet. Was wir hier vor uns haben, ist jene von Lacan beschriebene grausame Dimension des Über-Ichs, das in seiner puristischen Verfolgung des moralisch Richtigen an ein obszönes Genießen stößt: Die Verzichtsleistung, die das Über-Ich fordert, wird in ihrer Absolutheit ihrerseits triebhaft. Genau dieser Kollaps von Genießen und Askese ist aber der für Lacan problematische Effekt des Untergangs des Symbolischen überhaupt. Und so muss man sich fragen, ob die Corona-Maßnahmen in ihrer Rigidität und Maßlosigkeit nicht Ausdruck davon sind, dass das im Symbolischen verworfene Gesetz nun im Realen wiederauftaucht: ein reales Gesetz oder ein Zusammenfallen von Gesetz und Realem, in der das Gesetz nur noch in seiner sinnlosen-grausamen Dimension erscheint. Die im Symbolischen verworfene Schranke kehrt als reale wieder. Jedenfalls hat dieses Nebeneinander von totaler Ermöglichung, die geradewegs in einen Lockdown führt, viel mit dem zu tun, was Lacan als die dem Diskurs des Kapitalismus eigene Aufhebung der symbolischen Kastration bezeichnet: sie eröffnet unendliche Möglichkeitsräume, in denen alles zum Stillstand kommt.

Dass dies auch eine, wenn für uns auch vollkommen neue Form des Totalitären ist, scheint die Linke nicht nur zu verkennen, sondern auch, dass sie längst selbst zu dessen wichtigster Promotorin geworden ist. Womit sie sich ganz in die Logik des Diskurses des Kapitalismus stellt, dem sie sich offenbar vollumfänglich verschrieben hat – selbst dann, wenn dieser sich zunehmend eines autoritären Staat bedient und damit eigentlich dem entspricht, was sie selbst als rechts bezeichnen würde.

1 Toby Grenn: The Covid Consenus. The new politics of global Inequality. London: Hurst 2021, vgl. dazu auch: https://www.realclearpolitics.com/video/2021/11/09/ghanaian_professor_the_catastrophic_impact_of_western_covid_lockdown_policy_in_ghana.html (26.02.22)

https://www.oxfam.org/en/research/hunger-virus-multiplies-deadly-recipe-conflict-covid-19-and-climate-accelerate-world, Juli 2021 (26.02.2022), darin heist es: „A year and a half since the Covid-19 pandemic began, deaths from hunger are outpacing the virus.”

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-un-ernaehrungsbericht-hunger-100.html Der Bericht der Vereinten Nationen vom Juli 2021 und der FAO hält fest: Es gibt insgesamt 720-811 Mio. Hungernde weltweit, seit Pandemiebeginn gibt es eine Zunahmen von 70-161 Mio., das ist rund 1/19 der Weltbevölkerung.

https://www.unicef.org/media/86881/file/Averting-a-lost-covid-generation-world-childrens-day-data-and-advocacy-brief-2020.pdf (26.02.2022)

5 Alle Zitate sind dem Aufsatz (ital. Orig. 2007) entnommen: Massimo Recalcati: Das Verschwinden des Begehrend und der postideologische Totalitarismus, in: Tove Soiland, Marie Frühauf, Anna Harmann: Postödipale Gesellschaft, S. 331-362. Wien/Berlin: Turia und Kant 2022 (im erscheinen).

6 Merkwürdigerweise scheint Recalcati selbst diesen Schluss nicht zu ziehen, denn er ist ein unumwundener Befürworter der strengsten Corona-Massnahmen.

Der Text erschien im Neuen Deutschland

Copyleft

„Jede Wiedergabe, Vervielfältigung und Verbreitung unserer Publikationen ist im Sinne der Bereicherung des allgemeinen geistigen Lebens erwünscht. Es gibt kein geistiges Eigentum. Es sei denn, als Diebstahl. Der Geist weht, wo er will. Jede Geschäftemacherei ist dabei auszuschließen. Wir danken den Toten und den Lebendigen für ihre Zuarbeit und arbeiten unsererseits nach Kräften zu.“ (aramis)

siehe auch wikipedia s.v. „copyleft“

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   

 Politik, News, Bundesparteitag Die Linke: die neu gewählten Parteivorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler

*********************************

2.) von Oben         —     Eine grafische Darstellung von Lock-down während Covid-19

*********************************

Unten        —   Aufkleber eines Impfkritikers an einer Müllbox in Heikendorf.

Abgelegt unter Europa, Gesundheitspolitik, Kultur, Medien | 1 Kommentar »

„The Länd“ am Arm

Erstellt von Redaktion am 20. Februar 2023

Radikalenerlass: „Wir geben erst auf, wenn wir in die Kiste gehen“

Das wäre doch das rechte Verlies für politische „Leerer Banausen“!

Von Oliver Stenzel

Winfried Kretschmann hat Betroffene des Radikalenerlasses zu einem Gespräch empfangen. Sie fordern vom Land: eine Entschuldigung, Rehabilitierung und Einrichtung eines Fonds zur Entschädigung. Anfangs lächeln sie noch.

Es ist eisig kalt, aber die Sonne scheint. Und sorgt mit dafür, dass die Stimmung heiter ist. Zumindest ein bisschen. Rund 20 Menschen stehen vor der Pforte der Villa Reitzenstein, wo das baden-württembergische Staatsministerium seinen Sitz hat und der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Die vor dem Tor Stehenden sind grob in seinem Alter, alle zwischen 70 und 80 Jahre alt, die meisten tragen große Pappschilder um den Hals: „Sigrid Altherr-König. Lehrerin. Berufsverbot von 1983 bis 1996. 13 Jahre als Verfassungsfeind abgestempelt.“ Oder: „Klaus Mausner. Beruf: Kunsterzieher. 1972: Ausbildungsverbot (in Baden-Württemberg nicht zur Referendar-Ausbildung zugelassen wg. DKP-Mitgliedschaft).“

Alle hier eint, dass der Staat sie einst als Verfassungsfeinde betrachtete, als potenziell gefährliche Radikale, und dass er sie deswegen mit Hilfe des 1972 beschlossenen „Radikalenerlasses“ vom Staatsdienst fernhielt. Mal vorübergehend, wie Altherr-König. Mal ein Leben lang, wie Mausner oder den Lehrer Andreas Salomon. Salomon, geboren 1949, ist aus dem bayerischen Rosenheim angereist, hat aber in Freiburg studiert und in Rastatt sein Referendariat gemacht. Nachdem er in Baden-Württemberg auch aus einer nicht-staatlichen Schule geflogen war, als dort sein Berufsverbot für öffentliche Stellen bekannt wurde, ging er nach Bayern, „ins Exil“, wie er sagt, fand eine Stelle an einer Privatschule, lebte aber ständig in der Angst, seine Geschichte würde auch dort bekannt und zum Jobverlust führen. Warum sah ihn der Staat als Gefahr? Weil er in der Hochschulgruppe des „Kommunistischen Bundes Westdeutschlands“ (KBW) aktiv war.

Betroffene in prekären finanziellen Verhältnissen

Die Gruppe steht vor der Villa Reitzenstein, weil sie eingeladen wurde vom Ministerpräsidenten – der in seiner Studienzeit ebenfalls Mitglied im KBW war. Mehrere Monate, nachdem eine vom Land in Auftrag gegebene Studie zum Radikalenerlass (Kontext berichtete) fertig geworden ist, hat Kretschmann am 19. Januar einen offenen Brief an die Betroffenen veröffentlicht und diesen zugleich ein Gespräch angeboten. Der Brief ist zwar inhaltlich enttäuschend (Kontext berichtete), unter anderem, weil Kretschmann nur sein „Bedauern“ äußert und kein Wort über eine Entschuldigung oder gar Entschädigung verliert. Die Einladung hat aber doch leise Hoffnung, geweckt, dass sich im direkten Gespräch vielleicht etwas ergeben, ein Prozess in Gang gebracht werden könnte. Und wenn es nur ein Mini-Schritt ist.

„Einerseits sehen wir, dass er Bedauern geäußert hat. Andererseits erwarten wir Rehabilitation, vollumfänglich“, sagt Sigrid Altherr-König. „Denn wir haben eine legale politische Tätigkeit ausgeübt. Und wir erwarten eine Entschädigung, denn viele von uns leben im Alter in prekären finanziellen Verhältnissen.“ Ein Fonds solle dafür eingerichtet werden, fordern die Betroffenen.

500.000 bis 600.000 Euro habe ihn bislang das Berufsverbot gekostet, hat Salomon überschlagen, weil er als Angestellter deutlich weniger verdiente als ein Beamter. Aber die will er gar nicht ausgeglichen haben, „mir würde es reichen, wenn mir der Unterschied zwischen meiner Rente und der Pension, die ich hätte bekommen müssen, bezahlt würde“, betont er. 1.500 Euro monatlich sei die Differenz.

Brezeln, Brötchen und „The Länd“ am Arm

Von 15 bis 16 Uhr ist das Gespräch mit dem Ministerpräsidenten anberaumt, gegen 14:45 Uhr werden Betroffene und Pressevertreter:inne allmählich herein gebeten. Die Pappen und Transparente bleiben vor dem Tor. Stattdessen bekommen alle ein Besucherschildchen zum Umhängen, auf dessen gelben Bändchen steht „The Länd“, der Claim der jüngsten Imagekampagne des Landes. „Wenn wir nur einen Teil des Geldes für die Kampagne für einen Entschädigungsfonds hätten“, sagt eine Betroffene. 21 Millionen Euro hat „The Länd“ gekostet. Zwei Millionen Euro in einem Entschädigungsfond wären schon eine große Hilfe, hat die Initiative gegen Berufsverbote ausgerechnet.

Baden-Württemberg – ein Land in dem alles Grüne ergraut !

Die Karawane zieht nun die Treppen hoch in die Villa, wird von Hauspersonal freundlich empfangen und in den prächtigen Gobelin-Saal geleitet. Tische und Bestuhlung in Carréform, man sitzt sich gegenüber, Brezeln, Brötchen und Getränke stehen da. Dann kommt Kretschmann, geht reihum, gibt jeder und jedem die Hand, manchmal werden ein paar Takte gesprochen, viel gelächelt. Eine kurze Begrüßung vom Ministerpräsidenten, dann müssen die Pressevertreter:innen raus.

Eine Stunde Gespräch ist anberaumt, am Ende sind es fast eineinhalb. Als die Tür aufgeht und die Betroffenen herauskommen, lächelt keiner mehr.

Andreas Salomon, der aus Bayern Angereiste, ist der erste, der etwas in die Kameras und Mikros sagt: „Wir sind alle schwer enttäuscht von dem, was gerade abgelaufen ist.“ Kretschmann sei von dem, was er in seinem offenen Brief geschrieben habe, um keinen Millimeter abgerückt. „Und er war nicht bereit, auf unsere Forderung nach einer Entschuldigung, einer Rehabilitierung und nach der Einrichtung eines Fonds einzugehen“. Salomon hat einen dicken Hals, mehrere Minuten redet er ohne Pause. „Der Ministerpräsident hat gerade gesagt, der Radikalenerlass sei ein Fehler gewesen, aber nicht ein Fehler von ihm. Und wir haben gesagt: Wenn Sie das als Fehler betrachten, dann ist doch notwendig, dass dieser Fehler korrigiert wird. Wir sind alle in einem Alter, in dem wir nicht mehr warten können.“ Die Betroffenen wären mit der symbolischen Einrichtung eines Fonds zufrieden gewesen, sagt Salomon, „wenn da wenigstens eine Bewegung hineingekommen wäre.“ Kretschmann hätte die Möglichkeit gehabt, „vor den anderen Ministerpräsidenten Deutschlands deutlich zu machen: Ich als grüner Ministerpräsident bin fortschrittlicher als die anderen. Ich setze mich ein, dass dieses Unrecht wieder zurückgenommen wird, und dass diesen Leute zu ihrem Recht verholfen wird.“

Kretschmann: Rechtsstaat verhindert Entschädigung

Quelle       :          KONTEXT: Wochzeitung-online      >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —      Ansicht der Villa Reitzenstein (Haupteingang)

Abgelegt unter Baden-Württemberg, Medien, P.Die Grünen, Positionen | Keine Kommentare »

Sterben für kein Land?

Erstellt von Redaktion am 19. Februar 2023

Wer ist bereit, für den Donbas selber zu sterben, wer?

2014-04-15. Протесты в Донецке 001.jpg

Quelle      :        INFOsperber CH.

Marc Chesney /   

Das Recht auf Verteidigung versus das Recht auf Leben. Der Krieg ist eine Wette mit dem Einsatz von Millionen Menschenleben.

upg. Grosse Medien informieren viel über Argumente, die dafür sprechen, der Ukraine zu ermöglichen, sämtliche von Russland besetzten Gebiete zurückzuerobern. Deshalb lässt Infosperber zur Meinungsbildung ergänzend Stimmen zu Wort kommen, von denen man in grossen Medien wenig liest und hört. Heute den Zürcher Finanzprofessor Marc Chesney,

Keine der vorgeblich demokratischen Regierungen fragt ihre Bürger, ob sie bereit wären, sich für den Donbas oder die Krim eventuell zu opfern. Deshalb sollten sich alle ganz persönlich diese Frage stellen. Wer im Namen des Rechts auf Selbstverteidigung, das jedem Land zusteht, auf Krieg drängt, sollte sich überlegen, welche Folgen dieser Krieg für sie selber, ihre Familien und ihr privates Umfeld haben könnte.

Wer sein Recht auf Leben und Achtung als unabdingbar einstuft, sollte seine Stimme erheben. Ohne dass es weder bei uns noch in der Ukraine eine demokratische Aussprache darüber gegeben hätte, befinden wir uns jetzt auf einem gefährlichen, ja apokalyptischen Kurs.

Ein paar Dutzend Einzelpersonen, kriegerische Minister, Generäle, Waffenproduzenten und Financiers stecken ihre Köpfe hinter verschlossenen Türen in Ramstein, Davos oder anderswo zusammen und beschliessen, eine Wette darüber einzugehen, wie Vladimir Putin auf die kürzlich beschlossenen Lieferungen von Kampfpanzern – und womöglich auf künftige Lieferungen von Kampfflugzeugen – an die Ukraine reagieren wird. Der Einsatz der Wette ist das Leben von Millionen, ja Milliarden Menschen.

Einige «akkreditierte Kommentatoren» wetten, dass er rational agieren werde, andere (manchmal die gleichen, bloss zu einem späteren Zeitpunkt) räumen ein, dass seine Reaktion nur schwer vorhersehbar sei. Politische «Verantwortungsträger» wie Emmanuel Macron betonen, die Lieferung von schweren Waffen mache ihr Land nicht zur Kriegspartei, andere, dass sie sich de facto bereits im Krieg gegen Russland befänden. So sagte Annalena Baerbock, Grünenpolitikerin und deutsche Aussenministerin kürzlich: «Wir führen einen Krieg gegen Russland».

Bundeskanzler Scholz wiederum hat zur Lieferung von Leopard-2-Panzern und generell von schweren Waffensystemen an die Ukraine erklärt, dass «niemand genau sagen kann, was eine gute oder schlechte Entscheidung ist».

Kurzum, es herrscht heilloses Durcheinander.Offensichtlich haben diejenigen, die mit dem Leben ihrer Bevölkerung Poker spielen, keinen Durchblick. Dann sollten sie besser davon absehen, solche schwerwiegenden Entscheidungen zu treffen. Sie heizen damit das Kriegsgeschehen an, erst recht angesichts der Tatsache, dass die genannten Panzer mit panzerbrechenden Langstrecken-Sprengköpfen aus abgereichertem Uran bestückt werden können. Sollten diese abgefeuert werden, käme das für Russland dem Einsatz von schmutzigen Atombomben gleich.

Falls die NATO keine solche Geschosse liefert, ist es wahrscheinlich, dass die ukrainische Regierung versucht, sie sich auf dem Schwarzmarkt zu beschaffen und auf Kommandozentralen oder Ortschaften auf russischem Staatsgebiet abzufeuern.

Solche Entscheide der Führenden der westlichen Welt sind verantwortungslos und verstossen gegen den gesunden Menschenverstand. Oft sind es radikale Ideologen, die die Erinnerung an das vom Zweiten Weltkrieg bewirkte Leid nicht weiter berührt. Sie haben Zugang zu geräumigen Atomschutzbunkern. Die Gefahren und das Leiden, das der aktuelle Konflikt insbesondere für die vor Ort verbliebenen Ukrainer bedeutet, lässt sie gleichgültig.

Sie sehen strategische und finanzielle Chancen – Frieden steht nicht auf ihrer Tagesordnung.

Für eine Handvoll Panzer mehr

Eine Regierung sucht die andere zu überbieten. In einem ersten Schritt sagen Dänemark, die baltischen Staaten und Spanien zu, einige Exemplare des Leopard 2 zu liefern, Deutschland und Polen je 14. Wer bietet mehr bei dieser internationalen, von der NATO orchestrierten Versteigerung? Bald schon wird es um die Lieferung von Kampfjets gehen!

Wie ist es denn um die Legitimität von Regierungen bestellt, die solche folgenschweren Entschlüsse ohne jegliche demokratische Konsultation fassen und dabei ihrer Bevölkerung nicht einmal einen minimalen Schutz garantieren können?

In der Schweiz machen kantonale und Bundesbehörden – anders als während den Jahrzehnten des Kalten Kriegs ­– keine öffentlichen Angaben zum Bevölkerungsschutz und Bereitschaft von angemessen ausgestatteten Schutzbunkern. Dieser Mangel an Vorbereitung ist inakzeptabel.

Das Scheitern eines ausbeuterischen Systems

Die fehlende demokratische Legitimation für die Eskalation in der Ukraine und der fehlende minimale Schutz der Bevölkerung sind ein Bruch des Gesellschaftsvertrags, der im Übrigen schon vor langem vollzogen wurde. Alle wichtige Warnsignale stehen auf Rot: Konflikt in Europa mit Gefahr einer nuklearen Eskalation, Erderwärmung, Verlust der Artenvielfalt, extreme soziale Ungerechtigkeiten usw. Es ist das grundlegende Scheitern eines ausbeuterischen Systems, das die Menschen nur als Produktionsfaktoren ansieht, welche in Kriegszeiten ungefragt zu Zerstörungsfaktoren werden und deren eigene Vernichtung dabei in Kauf genommen wird. In diesem System verkommen die Beziehungen der Menschen untereinander und auch ihr Verhältnis zur Natur zur Ware. Es ist an der Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen, bevor dieses System uns in seinen Zusammenbruch mitreisst. Um es mit den Worten von Jean Jaurès kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs zu sagen: «Der Kapitalismus birgt in sich den Krieg wie die Wolke das Gewitter.»

Diese kriegstreiberischen Tendenzen stossen selten auf offene Ablehnung. Prekarität und Dauerberieselung durch die Medien machen Menschen gefügig und teilnahmslos. Eine ständige Flut völlig unerheblicher Schlagzeilen und Nachrichten – der Rücktritt von Roger Federer, die Fussball-Weltmeisterschaft, die Enthüllungen von Messi und Mbappé, der Tod der englischen Königin, die frühen Memoiren von Prinz Harry – lenken die Aufmerksamkeit ab und tragen zur allgemeinen Gehirnwäsche bei.

In fast allen Medienkanälen dominiert martialische Propaganda. Wie kann man nur einen Augenblick lang rechtfertigen, für einen ukrainischen oder eben russischen Donbas die Existenz ganzer Bevölkerungen aufs Spiel zu setzen?

Der sogenannte gerechte Krieg ist nur ein Krieg und nichts anderes als das, ein unerträglicher Konflikt, der enorme Gefahren für die Menschheit birgt. Wer auf beiden Seiten des Kugelhagels dagegen aufstehen und für das Leben eintreten will, dem sei an das Diktum erinnert: «Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.»

___________
Dieser Artikel erschien am 31.01.2023 in «Le Temps». Bearbeitung der deutschen Fassung durch Infosperber.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —     Protests in Donetsk   (Donbas )

Abgelegt unter Asien, Europa, Kriegspolitik, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Querfront-Alarm

Erstellt von Redaktion am 19. Februar 2023

DIE LINKE:  –  Querfront-Alarm

Quelle:    Scharf  —  Links

Kommentar von Edith Bartelmus-Scholich

Am 24. Februar jährt sich der Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Kriegs gegen die Ukraine zum ersten Mal. Zu diesem Jahrestag fordern Alice Schwarzer, Sahra Wagenknecht und knapp 70 Erstunterzeichner:innen mit einer Online-Petition Olaf Scholz auf sich unter Verzicht auf Waffenlieferungen an die Ukraine für eine diplomatische Lösung einzusetzen. (1)

Das Spektrum der ErstunterzeichnerInnen reicht von Todenhöfer und Gauweiler, General Erich Vad über Margot Käßmann bis hin zu den früheren parteilosen Bundespräsidentenkandidaten der LINKEN Trabert und Butterwegge. Für den 25. Februar rufen die ErstunterzeichnerInnen zu einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor auf.

Sehr bald nach Veröffentlichung der Petition erhielt diese öffentliche Unterstützung aus der AfD. Bekannte Rechtsextremisten wie Jürgen Elsässer, Tillschneider und Chrupalla signalisierten Zustimmung und begannen nach Berlin zu mobilisieren.

Rechtsoffenes Manifest

Die Inhalte des „Manifests für den Frieden“ erlauben es Rechten und Rechtsextremen dieses zu unterstützen. Auf jede Forderung, die z.B. der AfD zuwiderlaufen würde, wurde verzichtet. Konkret bedeutet das, es fehlen die Forderung nach Abzug der russischen Truppen ebenso wie eine Forderung nach Sanktionen gegen die russischen Oligarchen und Putins Machtapparat. Es fehlen Forderungen zur Aufnahme von Geflüchteten und zur Solidarität mit Menschen, die sich in Russland gegen den Krieg stellen. Auch die Aufnahme von Deserteuren wird nicht gefordert.

Es fehlen zusätzlich Forderungen nach Abrüstung der Bundeswehr und nach einem Rückbau der Rüstungsindustrie in Deutschland. Auch das Sondervermögen der Bundeswehr wird nicht kritisiert. Es ist kein Zufall, dass alle diese Forderungen im Text fehlen. Der Verzicht darauf ist der politische Preis, der zu zahlen ist, wenn auch Reaktionäre wie Gauweiler, Todenhöfer und Vad unterzeichnen sollen. Und natürlich findet sich auch nirgendwo die Ansage: Nazis, Rechtspopulisten, „Querdenker“ sind nicht willkommen!

Mit der Querfront aus der Krise der Partei?

Wagenknecht und Teile des rechtsextremen Spektrums bewegen sich seit Jahren aufeinander zu – allerdings in unterschiedlicher Weise. Wagenknecht experimentiert seit langem mit unterschiedlichen Formen der Querfront. Die Querfront als Bündnis mit der Führung rechter Parteien lehnt sie ab. Was sie regelmäßig praktiziert ist eine „Querfront von unten“, wenn sie sich in populistischer Manier mit rechten Narrativen an die Basis und die WählerInnen rechter Parteien wendet. Grundlage dafür ist die „Querfront im Denken“, die sie vertritt; denn ideologisch hat sie schon vor Jahren die Seiten gewechselt. Ihre Werte sind heute Nation, Leitkultur, Leistungsgesellschaft und Klassenzusammenarbeit. Rechte Ideen werden von ihr in eine rhetorisch linke Matrix eingewoben und dabei wird ein Transformationsprozess in Gang gesetzt, in dessen Verlauf linke Ideen völlig eliminiert werden. Dazu erklärt Wagenknecht ihre Vorgehensweise sei eine Strategie Wählerinnen und Wähler der AfD wieder für DIE LINKE zu gewinnen. Die Mehrzahl ihrer Anhänger:innen in der Partei DIE LINKE verbindet damit Hoffnungen auf bessere Wahlergebnisse.

Längst eine Ikone der Rechten

Aus rechten und rechtsextremen Kreisen erfährt Wagenknecht viel Anerkennung. Mehr als 50 Prozent ihre Follower in den Sozialen Medien bekennen sich zu einer rechten Weltanschauung. Sie wird als geeignete Partnerin für eine Querfrontstrategie angesehen. Jürgen Elsässer, der Herausgeber des rechtsextremen Magazins Compact, selbst von der radikalen Linken zur extremen Rechten gewechselt und seit Jahrzehnten gut bekannt mit Wagenknecht und deren Ehemann Lafontaine, propagandiert die Zusammenarbeit von Linkspartei und AfD unter Führung von Wagenknecht und Weidel. Und Elsässer ist nicht allein. Im letzten Landtagswahlkampf plakatierte die AfD in Sachsen-Anhalt mit dem Bild und einem migrationsfeindlichen Zitat von Wagenknecht.

Die Querfront wird konkret

Nun hat also Wagenknecht mit einem Alleingang ein rechtsoffenes Manifest mit zum Teil rechtsbürgerlichen Bündnispartner:innen veröffentlicht und ihrem Aufruf schließen sich bekannte Rechtsextreme an. Gleichzeitig wirbt sie massiv um die Unterstützung ihrer Initiative durch die Partei DIE LINKE. Nachdem sie allerdings auf einer parteiöffentlichen Sitzung des Parteivorstands am 16.2. nicht zugesagt hat, bekannte Rechtsextreme durch die Polizei von der Demonstration entfernen zu lassen, distanzierte sich der Parteivorstand inhaltlich von ihrer Kundgebung.

Zwischenzeitlich ist einigen der bürgerlichen Erstunterzeichner:innen klar geworden, dass sie in Gefahr laufen mit Rechtsextremen am gleichen Projekt zu arbeiten. Mit Professor Johannes Varwick hat sich ein Erstunterzeichner bereits von der Initiative zurückgezogen. Nun sieht sich auch Wagenknecht veranlasst zu sagen, dass Rechtsextreme auf der Kundgebung nicht willkommen sind. Diese Aussage kommt spät. Noch am 15.2. hatten Schwarzer und Wagenknecht in einem Spiegel-Interview betont, dass selbstverständlich jede Person an der Kundgebung teilnehmen könne. Und Wagenknechts Ehemann, Oskar Lafontaine, hat ebenfalls per Videobotschaft „alle“ zu der Veranstaltung eingeladen (2).

In der Partei DIE LINKE mobilisieren trotz eines eindeutigen Beschlusses des Parteivorstands einzelne Gliederungen, allen voran der Landesverband Bayern, zu der Kundgebung nach Berlin. Sie werden dort gemeinsam mit Rechtsextremen demonstrieren und in der Praxis die Querfront begründen. Auch, wenn es nur eine Minderheit in der Partei DIE LINKE sein wird, ist damit ein Tiefpunkt erreicht. Wer als Linke oder Linker nicht in die Querfront will, muss dagegen halten.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —    Foto: DIE LINKE NRW / Irina Neszeri

Abgelegt unter Deutschland_DE, Medien, P. DIE LINKE, Positionen | 6 Kommentare »

Kolumne-Fernsicht-Israel

Erstellt von Redaktion am 18. Februar 2023

Von moralischen Bedenken keine Spur

Vogelbeobachtung (8618362879).jpg

Werden sie nicht von den politischen Pappkameraden der West-Welt in ihren Unrecht gestützt?

Von Hagai Dagan

Empathie für das ukrainische Leid ist bei der israelischen Regierung nicht erkennbar. Sie fühlt sich Putin näher und bleibt bei Mehrdeutigkeiten.

Bei dem deutschen Zögern, Angriffspanzern an die Ukraine zu liefern, spielen einerseits klare pragmatische Interessen eine Rolle. Niemand möchte Europa in einen Krieg ziehen, außerdem gibt es wirtschaftliche Überlegungen. Umgekehrt liegen auch der Entscheidung für die Panzerlieferung klare Interessen zugrunde. Da ist das Bündnis mit den USA, die Verpflichtungen als Nato-Mitgliedstaat, die Stellung Deutschlands innerhalb Europas und mehr. All dem zur Seite stehen moralische Bedenken.

Niccolò Machiavelli ging davon aus, dass Staaten und Herrscher keinen moralische Kriterien unterliegen. Glücklicherweise hatte er nicht unbedingt recht damit. Im Fall von Deutschland lässt sich sagen, dass sowohl der Widerwille, Angriffswaffen zu liefern, als auch die Entscheidung, es doch zu tun, mit Überlegungen einhergehen, die als historisch-moralisch bezeichnet werden können: Einerseits die Sorge vor einer Situation, die zu den beiden Weltkriegen führte – Deutschland als europäische Militärmacht in direkter Konfrontation mit Russland –; anderseits die Weigerung, tatenlos zuzusehen, wenn große Nationen kleinere vernichten wollen.

Das israelische Dilemma in dieser Frage – davon ausgehend, dass überhaupt irgendjemand ein solches empfindet – ist ganz anderer Art. Vorsichtig ausgedrückt gibt es vorläufig keinerlei Anzeichen dafür, dass die aktuelle Regierung in einem wie auch immer gearteten Bereich moralische Erwägungen anstellt. Alles, was bisher geschieht und was erklärtermaßen noch geschehen soll, sei es im Bereich der Siedlungen, der Flüchtlinge, des Staatsrechts oder der Gewaltenteilung, um nur einige zu nennen, signalisiert Habgier, Chauvinismus und jüdische Überlegenheit.

Hommage an White Power

Wenn überhaupt von Moral gesprochen werden kann, dann wäre das auf religiöser Seite dieses Regimes eine biblische Moral im Sinne von „alles, was Gott sagt, ist richtig und gut“ und auf weltlicher Seite eine Art reduzierter Utilitarismus, frei nach Jeremy Bentham: Alles, was gut für unsere Leute ist, muss gut für alle sein. Und wenn nicht – dann sollen sie David Grossman lesen und sich jammernd in die Ecke eines Tel Aviver Cafés verziehen.

Keine Empathie

Mit Blick auf die Ukraine hält sich Benjamin Netanjahu bislang vage an Erklärungen, die offenbar darauf abzielen, die Liberalen im Westen zu beruhigen. Empathie für das ukrainische Leid ist weder bei ihm noch bei seinen Regierungspartnern erkennbar. Strategische Überlegungen hinsichtlich militärischer Handlungsfreiheit auf syrischem Gebiet spielen eine Rolle. Allerdings hat der Krieg gegen die Ukraine Russland weitgehend als Papiertiger entlarvt. Und doch weigert man sich in Israel entsprechend umzudenken und betrachtet Russland stattdessen als eine Macht, mit der behutsam umzugehen ist. Unter diesen pragmatischen Überlegungen verbirgt sich jedoch etwas tieferes Psychologisches: So lassen Äußerungen der israelischen Rechten vermuten, dass sie sich Putin sehr viel näher fühlen als Selenski. Sie bewundern die Stärke und Gnadenlosigkeit des Russen.

Quelle        :       TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

Abgelegt unter Deutschland_DE, Medien, Nah-Ost, Positionen | Keine Kommentare »

Sprache als Klimakiller

Erstellt von Redaktion am 16. Februar 2023

2-Grad-Ziel, Umwelt, CO2-Äquivalente, Kompensation: 

Ein Debattenbeitrag von Ute Scheub

Viele Klimabegriffe sind verharmlosend oder sachlich falsch. Ein Plädoyer für klügere Sprache. Autos, Kühe und Reisfelder werden verrechnet, obwohl Verbrenner völlig andere Auswirkungen haben als Kühe.

Zu langsam, zu ineffektiv, zu häufig wirkungslos – die Pariser Klimaziele von „deutlich weniger als im Schnitt 2 Grad plus“ werden von keinem Land der Welt erreicht. So beurteilt die globale Klimabewegung die Maßnahmen der nationalen Regierungen rund um den Globus. Die fossile Lobby ist viel zu stark, die Regierungen sind zu sehr mit ihr verbandelt oder trauen sich zu wenig. Aber ein wenig ist auch die Klimawissenschaft verantwortlich – aufgrund ihrer Sprache.

Es fing bereits an mit dem Begriff „Klimawandel“. US-Wissenschaftler der 1970er und 1980er nannten das Phänomen immerhin noch „Treibhauseffekt“. Treibhäuser sind heiß, das begreifen Menschen intuitiv. Aber „Klimawandel“? Ach, irgendwas ändert sich doch immer. Und Wandel klingt nach Lustwandeln, nach Spaziergang in lauschigen Wandelhallen.

Dann, einige Zeit später, das „2-Grad-Ziel“. Gefühlt sind zwei Grad Unterschied nicht der Rede wert: Schon allein der Wärmeunterschied zwischen Tag und Nacht ist größer. Abermillionen von Menschen haben die dramatischen Konsequenzen von „plus 2 Grad“ nie verstanden. Das Rechnen mit globalen Mittelwerten, die auch Ozeane, sprich 70 Prozent der Erdoberfläche, miteinschließen, verschleiert das Wesentliche der Klimakatastrophe: Extremwetter und Landzerstörungen. Also Hitzewellen, Dürren, Wüstenbildung, Überflutungen, Meeresanstieg, Unberechenbarkeit von Jahreszeiten und Ernten, Unsicherheit von Leben überhaupt. Wäre als Kernbotschaft vermittelt worden, dass lokal viele höhere Temperaturen entstehen und somit Welternährung und Lebenssicherheit auf der Kippe stehen, wäre die Wirkung weit größer gewesen.

Sodann der Begriff „negative Emissionen“. „Negativ“ ist ein negativ besetztes Wort, „Emissionen“ auch. „Negative Emissionen“ müssen also etwas besonders Schreckliches sein. Was, es geht um Treibhausgas-Speicherung? Warum nennt man das dann nicht so? Der Begriff „Umwelt“ wiederum ist nicht den Klimawissenschaften anzulasten, weil schon älter, aber ebenfalls verhängnisvoll. Alles, was lebendige Natur ist, pulsierendes Leben, quirlige Artenvielfalt, wird in ein menschenzentriertes Wort gequetscht. Um-Welt, das ist die Welt um den Menschen herum, seine Bedürfnisse und Interessen. De facto eine Un-Welt, weil der Begriff leugnet, dass Menschen ohne Natur nicht existieren können. Um-Welt, das ist die fatale Fortsetzung des Bibelspruchs: „Macht euch die Erde untertan!“ Der Spruch wurde über Jahrhunderte benutzt, und bis heute gelten Tiere, Pflanzen und Ökosysteme juristisch als Dinge. Eine verdinglichte „Umwelt“ ist viel leichter zu erobern, auszubeuten und zu zerstören als das lebendige Subjekt einer „Mitwelt“ mit ihren nichtmenschlichen Mitgeschöpfen, die ihren Eigenwert in sich selbst trägt.

„CO2-Äquivalente“ ist ein weiterer Problembegriff. Er suggeriert, dass man alle Treibhausgase mit CO2 gleichsetzen und verrechnen könne. Dabei haben Lachgas, Methan und Stickoxide völlig unterschiedliche biologische Kurz- und Langzeitwirkungen. Auch Wasserdampf ist ein Treib­hausgas. Die Erfindung der „CO2-Äquivalente“ dient dazu, Computersimulationen für die Wirkung von Klimamaßnahmen zu erstellen. Sie führt aber auch dazu, dass Autos, Kühe und Reisfelder als CO2-Emissionsquellen mit Mooren oder Wäldern als CO2-Emissionssenken verrechnet werden – obwohl Verbrennermaschinen eine völlig andere Wirkung haben als Kühe. Die wegen ihres Methan-Rülpsens als „Klimakiller“ geschmähten Rinder etwa können mittels nachhaltiger Weidesysteme jede Menge CO2 auf Weiden speichern helfen.

Mit anderen Worten: Über die rein quantitative Verrechnung mittels „CO2-Äquivalenten“ gehen entscheidende qualitative Unterschiede verloren. Das wirkt sich zugunsten von großtechnischen Vorschlägen und Scheinlösungen aus und zulasten von natürlichen Klimalösungen. Inzwischen ist überall zu lesen, dass „wir“ nicht mehr umhinkommen, in Form der CCS-, DACCS- oder BECCS-Technik CO2 abzuscheiden und unterirdisch zu lagern. Auch der grüne Vizekanzler Robert Habeck redet so daher.

Quelle           :        TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

********************************************************

Grafikquelle :

Oben       — Karikatur: „Technischer Fortschritt“: Rückholung von Kohlenstoffdioxid (Stichworte: CO2, Energie, Technik, Klima)

Abgelegt unter Energiepolitik, International, Medien, Positionen, Umwelt | Keine Kommentare »

Ein Jahr Russischer Krieg

Erstellt von Redaktion am 15. Februar 2023

Ein Jahr russischer Angriffskrieg: – Das Elend der linken Legenden

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Montage of the 2022 Russian invasion of Ukraine

Abgelegt unter Asien, Europa, Kriegspolitik, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Chatkontrolle: Faktencheck.

Erstellt von Redaktion am 12. Februar 2023

So führt EU-Kommissarin Ylva Johansson die Öffentlichkeit in die Irre

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von      :       

Im Interview mit dem SPIEGEL verteidigt EU-Kommissarin Johansson die von der EU geplante Chatkontrolle. Dabei sagt sie drei Mal die Unwahrheit und verbreitet mindestens sieben Mal irreführende Aussagen.

In den vergangenen beiden Tagen war die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson in Berlin. Anlass ihrer Reise: die umstrittenen EU-Pläne zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Auf ihrer Agenda standen dabei Treffen mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP).

Derzeit diskutiert der Ministerrat der EU über das Vorhaben, besonders umkämpft sind dabei die Pläne zur sogenannten Chatkontrolle. Nach dem Willen der EU-Kommission sollen künftig Anbieter von Diensten im Internet auf Anordnung die Inhalte von Nutzer:innen durchleuchten müssen – um sie etwa auf Darstellungen sexualisierter Gewalt oder Grooming zu scannen.

Nach einer Phase mit widersprüchlichen Aussagen positioniert sich Deutschland mittlerweile klarer gegen eine Schwächung oder Umgehung von Verschlüsselung. Wie die Gespräche der Kommissarin mit den Bundesminister:innen liefen, ist bislang nicht bekannt. Justizminister Buschmann twitterte danach: „Wir sind uns in der Bundesregierung einig: Chatkontrollen lehnen wir ab. Eine anlasslose Überwachung privater Kommunikation hat in einem Rechtsstaat nichts zu suchen“.

Außerdem schrieb Buschmann: „Deshalb lehnen wir generelle flächendeckende Überwachungsmaßnahmen privater Korrespondenz gerade auch im digitalen Raum ab.“ Ins Auge stechen dabei die überspezifischen Worte „anlasslos“, „generell“ und „flächendeckend“. Befürworter:innen der Chatkontrolle weisen immer wieder darauf hin, dass die Überwachung lediglich gezielt und auf Anordnung passieren würde. Offensichtlich lässt der Justizminister an dieser Stelle noch Spielraum offen.

Faktencheck des SPIEGEL-Interviews

Flankiert wurde Johanssons Berlin-Visite von einem Interview mit dem SPIEGEL (€). Darin verteidigte sie die Kommissionspläne mit Nachdruck. An mindestens zehn Stellen sind ihre Aussagen jedoch irreführend oder schlicht falsch. Wir haben uns die Aussagen der Kommissarin deshalb genau angeschaut:

1. „Ich habe nicht vor, die Überprüfung von digitaler Kommunikation auszuweiten“

Das ist falsch. Der Entwurf der EU-Kommission sieht vor, dass Online-Anbieter auf Anordnung sogar private Chats durchleuchten müssen. Verdachtsmeldungen sollen sie an ein EU-Zentrum weiterleiten. Dieses EU-Zentrum müsste erst noch geschaffen werden. In diesem Zentrum sollen dann amtliche Sichter:innen die verdächtigen Inhalte überprüfen und Falschmeldungen aussortieren. Es handelt sich um eine neue Infrastruktur und reihenweise neue Angestellte – also eindeutig eine Ausweitung.

Bisher durchleuchtet nur eine handvoll sehr großer Diensteanbieter Inhalte. Sie tun das freiwillig, wobei fraglich ist, ob sie das rechtlich überhaupt dürfen. Johansson selbst sagt dazu: „Heute tun viele Unternehmen, was sie für richtig halten, ohne dass dies mit unseren Datenschutzbestimmungen übereinstimmt.“ In Zukunft sollen jegliche Diensteanbieter zur Durleuchtung von Inhalten verpflichtet werden können. Diese Anbieter durchsuchen momentan auch nur unverschlüsselte Inhalte auf ihren Servern. In Zukunft sollen sie auch verschlüsselte Inhalte durchsuchen, und das möglicherweise auch auf Endgeräten wie Smartphones.

Die E-Privacy-Richtlinie verbietet das Durchleuchten privater Kommunikation, weil die Vertraulichkeit privater Kommunikation ein Grundrecht ist. Manche Anbieter wollen aber die Daten ihrer Nutzer:innen trotzdem nach Hinweisen auf Missbrauch durchsuchen, also gibt es seit Juli 2021 eine temporäre Ausnahme dieser Regel. Darin geht es um „Online-Material über sexuellen Missbrauch von Kindern“. Mit ihrem neuen Entwurf will die Kommission aber auch die Suche nach unbekanntem Material und Grooming verpflichtend machen. Grooming nennt man es, wenn Erwachsene zu Kindern Kontakt anbahnen.

2. „Letztes Jahr gab es weltweit 32 Millionen Meldungen der Unternehmen über sexuellen Kindesmissbrauch“

Das ist irreführend. Offenbar bezieht sich Johansson an dieser Stelle auf die Arbeit einer US-amerikanischen Organisation namens NCMEC („National Center for Missing and Exploited Children“). Das NCMEC sammelt von großen Online-Anbietern Hinweise auf sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Die Zahl von rund 30 Millionen eignet sich aber nicht, um die Anzahl potenzieller Opfer auch nur annähernd abzuschätzen. Mehr als 90 Prozent der Meldungen kommen allein von Meta, also dem Konzern, zu dem Facebook, Instagram und WhatsApp gehören. Davon wiederum sind ein Großteil Duplikate, also Aufnahmen, die wieder und wieder geteilt werden. Hier haben wir ausführlich analysiert, was die Zahlen des NCMEC aussagen – und was nicht.

3. „Ohne meine neue Gesetzgebung wird es diese Meldungen nicht mehr geben“

Das ist irreführend. Die von der EU geplante Chatkontrolle ist nicht zwingend nötig, damit die erwähnten Verdachtsmeldugen weiter fließen. Weniger invasive Lösungen sind möglich. So arbeitet das NCMEC aktuell auch ohne Zugriff auf Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation. Die Sichter:innen werten nicht alle Verdachtsmeldungen selbst aus. Laut einem EU-Bericht sichten sie lediglich Fälle aus den USA. Meldungen aus anderen Ländern leiten sie weiter. Viele Fälle aus der EU landen bei der europäischen Polizeibehörde Europol. Von dort können die Meldungen dann zu den Mitgliedstaaten gehen; in Deutschland greifen die Landeskriminalämter die Meldungen auf.

4. „Sehen Sie, ich fordere die großen Unternehmen heraus. Die wollen nicht reguliert werden“

Das ist irreführend. Die geplante Verordnung beschränkt sich nicht auf „große Unternehmen“ wie Google, Apple oder Meta. Sie betrifft potentiell alle Internet-Dienste. Die Kritik an der Chatkontrolle lässt sich auch nicht auf eine Lobbykampagne aus der Industrie reduzieren. Es geht nicht nur um die Interessen großer Unternehmen sondern um Grundrechte. Kritik an den Vorschlägen äußern viele: Die Datenschutzbeauftragten der EU-Länder inklusive dem deutschen Bundesdatenschutzbeauftragtender Bundesratmehrere Ministeriender UN-MenschenrechtskommissarKinderschutz- und Journalist:innenverbände sowie Bürgerrechtler:innen.

5. „Sie sind die Einzigen, die den sexuellen Missbrauch von Kindern im Internet stoppen können“

Das ist falsch. Online-Anbieter zum Durchleuchten von Kommunikation zu zwingen, ist keinesfalls das einzige Mittel gegen Gewalt an Kindern. Das Internationale Netzwerk für Kinderrechte hat in einem Bericht zahlreiche Lösungen skizziert, wie Kindern besser geholfen werden kann. Dazu gehören Meldemechanismen, mit denen sich Minderjährige wehren oder Hilfe anfordern können, wenn sie belästigt werden oder verstörende Inhalte sehen. Vor allem aber müssten verschiedene Akteur:innen zusammenarbeiten, wie die Kinderschützer:innen erklären. Dazu gehören etwa Ermittlungsbehörden, Sozialarbeiter:innen, Betroffenenhilfe, Schulen und ärztliche Praxen. Dafür fehlen aber oftmals Ressourcen.

Auch in Deutschland sind beispielsweise Jugendämter oft in Personalnot und fordern eine bessere Ausstattung. Das würde die Situation für Kinder ganz unmittelbar verbessern, unabhängig davon, ob sie von physischer oder digitaler Gewalt betroffen sind.

6. „Es geht um viele Kinder, die wir retten können“

Das ist irreführend. Kinder retten kann das geplante Gesetz wohl nur in Ausnahmefällen. Von der automatisch generierten Verdachtsmeldung im Netz bis hin zum Kind in Not ist es ein extrem langer Weg. Warum das so ist, haben wir hier Schritt für Schritt erklärt. Statt einer Rettung für Kinder steckt hinter der Chatkontrolle vielmehr eine systematische Nacktbildersammlung, die beispielsweise auch einvernehmlich erstellte Aufnahmen zwischen Jugendlichen umfasst.

Anschaulich wird das Problem, wenn man zum Vergleich Zahlen des US-amerikansichen NCMEC heranzieht. Im Jahr 2021 hat die Organisation 85 Millionen Aufnahmen registriert. Doch bloß in 4.260 Fällen hat das NCMEC daraufhin Ermittlungsbehörden informiert, mit dem Verdacht, dass die Beamt:innen damit etwas anfangen können. Das entspricht 0,005 Prozent der registrierten Aufnahmen – beziehungsweise 0,05 Promille.

„Kinder und Jugendliche sind vor allem im eigenen Umfeld der Gefahr sexueller Gewalt ausgesetzt. Bei rund drei Viertel der Fälle geschieht das in der eigenen Familie oder im sozialen Nahfeld.“ Das sagt das zuständige Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dort kann der Staat Kinder „retten“, dort kann Prävention sehr viel bewirken.

7. „Es gibt Erkennungstechnologie, die so eingesetzt werden kann, dass die Verschlüsselung erhalten bleibt“

Das ist irreführend. Das Interview-Team des SPIEGEL hat das allerdings auch direkt im Gespräch angemerkt. Hinter der Aussage steckt eine technische Spitzfindigkeit. Bei Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation können nur Sender:in und Empfänger:in eine Nachricht lesen. Wer die Daten auf dem Weg abfängt, sieht nur Zeichensalat. Bleibt also die Möglichkeit, Inhalte vor oder nach dem Ende-zu-Ende-verschlüsselten Versand zu überprüfen. Genau dafür gibt es Lösungen, die im Rahmen der Chatkontrolle diskutiert werden, zum Beispiel Client-Side-Scanning. In diesem Fall wird der sicher verschlüsselte Versand der Nachricht nicht angerührt, die Nachricht aber vor dem Versand gescannt. Für betroffene Nutzer:innen bringt das keinen Vorteil: Ihre Chats sind nicht mehr privat; die Vertraulichkeit von Kommunikation und die Integrität von IT-Systemen wird verletzt.

8. „Es ist vielmehr so, als würde man einen Polizeihund Pakete beschnuppern lassen, ob sich darin Kokain verbirgt“

Das ist irreführend. Zwar geht es sowohl bei Chatkontrolle als auch bei der Kontrolle durch Spürhunde um das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Da hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Digitale Kommunikation ist oft intensiv und intim. Sie passiert oft mehrfach täglich; Chats sind elementarer Bestandteil vieler enger Beziehungen. Der Zugriff auf digitale Kommunikation ist ungleich invasiver als der Zugriff auf Pakete. Hinzu kommt, dass sich digitale Kommunikation massenhaft durchsuchen lässt. So viele tierische Spürnasen könnte man gar nicht finden, selbst wenn man die Hunde aus allen Tierheimen der Welt rekrutiert.

Der Vergleich scheitert auch beim Client-Side-Scanning, also dem Durchleuchten der Inhalte vor dem Versand: Um im Bild zu bleiben, würde der Polizeihund dann nicht mehr an den Paketen auf dem Weg zu ihren Empfänger:innen schnüffeln. Der Hund wäre dann immer dabei, wenn wir in der Wohnung die Pakete einpacken.

9. Zur Frage nach den Gründen für den Widerstand in Deutschland: „Das müssten Sie mir erklären“

Das ist irreführend. Johansson tut hier so, als würde sie die Argumente nicht kennen. Dabei ist der Widerstand, der aus Deutschland kommt, gut begründet und greift zahlreiche Argumente auf, die selbst die EU-eigene Datenschutzaufsicht ausführlich in englischer Sprache dargelegt hat. Durch ihre zur Schau gestellte Unkenntnis diskreditiert Johansson die grundlegende Kritik von Politiker:innen und Zivilgesellschaft. Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich, dass sie sich damit nicht auseinandergesetzt hat. Immerhin hat sich Johansson diese Woche mit deutschen Spitzenpolitiker:innen getroffen, um über die Chatkontrolle zu sprechen – ohne Briefing dürfte keine EU-Kommissarin eine solche Reise antreten.

10. „Dann wird es ab 2024 keinen Schutz mehr vor sexuellem Kindesmissbrauch im Netz geben. Weil dann die dafür nötigen Instrumente in der EU verboten sein werden.“

Das ist falsch. Johansson bezieht sich an dieser Stelle wohl darauf, dass die aktuell geltende Verordnung zur „Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“ im August 2024 ausläuft. Diese Leerstelle soll dann der neue Entwurf der Kommission füllen, der auch die Chatkontrolle umfasst. Doch selbst wenn dieser Entwurf scheitert oder sich verzögert, wird die EU in Sachen Kinderrechte nicht in ein Vakuum stürzen. Zum Beispiel regelt auch das neue Digitale-Dienste-Gesetz (DSA), wie Plattformen mit sogenanntem Missbrauch umgehen sollen. Demnach sollen sie unter anderem leicht zugängliche Meldemechanismen haben, Hinweise auf illegale Inhalte bearbeiten, Verdachtsmeldungen an Behörden weitergeben und missbräuchliche Nutzer:innen sperren. Für sehr große Plattformen gibt es verschärfte Regeln, demnach sollen sie etwa bewerten, welche Risiken ihre eigenen Dienste bergen und etwas dagegen unternehmen.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

********************************************************

Grafikquelle :

Oben       :          Ylva Johansson, Minister for Employment and Integration of Sweden Photo: Annika Haas (EU2017EE)

Abgelegt unter Debatte, Europa, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Die stille Fachkräftereserve

Erstellt von Redaktion am 10. Februar 2023

In Deutschland fehlen Arbeitskräfte. Viele. 

Ist das Land wieder dort, wo sich Doktoren, Professoren lieber in der Politik tummeln, anstatt Verantwortung für ihre Wähler-innen zu übernehmen?

Ein Debattenbeitrag von Maike Rademaker

 Mit familienfreundlichen Strukturen ließen sich Hunderttausende Frauen aus der Teilzeitfalle holen. Wo bleibt die Pflicht für Betriebskindergärten für Bürohaus und Industriepark?

Die ersten Betriebe schließen temporär, wie Bäckereien und Restaurants. Lieferungen dauern länger, Verwaltungen kommen nicht nach, Investitionen werden überdacht – überall fehlen Mitarbeitende. Von Monat zu Monat schwellen die Klagen der Unternehmen an: Wir brauchen Fachkräfte, Arbeitskräfte. Bald. Viele. Denn das ist erst der Anfang der demografischen Entwicklung.

Gut, dass es rund 840.000 Arbeitskräfte gibt, die diese Lücken füllen können. Und das nicht nur in den Metropolen, sondern überall. Sie sind qualifiziert, motiviert und sprechen meist sehr gut Deutsch. Es sind: Frauen. Wenn alle Frauen mit Kindern unter sechs Jahren so viel arbeiten könnten, wie sie wollten, gäbe es 840.000 Arbeitskräfte mehr, zitierte Bundesfamilienministerin Lisa Paus unlängst eine Umfrage. Und es dürften weit mehr sein: Jede zweite Frau, insgesamt neun Millionen, arbeitet in Deutschland Teilzeit; Millionen von ihnen in Mini-midi-irgendwas-Jobs. Ein wahrer Schatz für die Wirtschaft. Und einer, den man heben könnte, wie die Fachkräftestrategie der Bundesregierung erkennt: Man wolle steuerliche Anreize zur Teilzeitbeschäftigung senken, sich die Minijobs anschauen und für eine bessere Kinderbetreuung sorgen.

Aber sie setzt es nicht um. Seit Jahren nicht. Frauen sind hier keine stille Reserve für Fachkräfte, sondern für Kinderbetreuung, Pflege, Haushalt. Wie beim Ehegattensplitting. Die in Europa fast einzigartige (nur Luxemburg und Polen leisten sich ähnliche Modelle) systematische Benachteiligung des schlechter verdienenden Eheteils, ergo Frauen, wird seit Jahrzehnten kritisiert. Schweden hat sie schon 1970 abgeschafft.

Und Deutschland? Bleibt dabei. „Mehr Fairness“ bei diesem Steuerverfahren, wie es im Koalitionsvertrag heißt, bedeutet schön weiter „nicht ganz fair“. Sogar bewusst verschlimmert hat die Ampel die Minijobs. Statt sie – auch das ein europäisches Unikat – endlich abzuschaffen oder zumindest auf Rent­ne­r*in­nen und Studierende zu beschränken, weitet sie den Anreiz für Minijobs aus.

Obwohl bekannt ist, dass damit Hunderttausende Vollzeitjobs zerstückelt wurden, auf Kosten der Sozialversicherung. Obwohl die Jobs nachweislich nicht in bessere Stellen führen. Obwohl bekannt ist, dass Minijobs und ähnliche Teilzeitmodelle für Millionen Frauen die vorprogrammierte Altersarmut sind. Die Augen fest verschlossen, wurde mit dem Mindestlohn der Minijob auf 520 Euro monatlich ausgeweitet. Und parallel der Midijob für Arbeitgeber ein wenig teurer gemacht – noch ein Anreiz für diese, Minijobs anzubieten.

ist freie Journalistin für Text und Audio, mit Schwerpunkt Wald, Umwelt und Arbeitsmarkt. Sie war Redakteurin bei der taz, der „Financial Times Deutschland“ und Pressesprecherin des DGB.

ArnoFunke.jpg

Die Tische für die „Schleimis“ waren in diesem Land immert sehr reichlich gedeckt!

Ja, viele Frauen wollen Teilzeit arbeiten. Aber dafür gibt es ein Teilzeitgesetz. Das reicht in anderen Ländern auch. Bleibt die dritte Baustelle: Kinderbetreuung. Während jede Krise in der Automobilbranche immer neue politische Gipfel produziert, reihen sich bei der Kinderbetreuung die Schlagzeilen stumpf und gipfelfrei aneinander: Es fehlen 384.000 Kita-Plätze. Es fehlen 100.000 Betreuerinnen. Es fehlt die Verwaltungsvereinbarung, damit 3,5 Milliarden Euro für die Ganztagsbetreuung abgerufen werden können. Ja, es wird gebaut, mit Milliarden. Aber es reicht einfach nicht. Beim Immobilienbau gilt die Stellplatzverordnung für Parkplätze – wo bleibt die Pflicht für Betriebskindergärten für Bürohaus und Industriepark?

Aber nicht nur die Politik handelt nicht. Unternehmen und Gewerkschaften sind genauso in der Verantwortung: Wer als Arbeitgeber glaubt, eine Stellenanzeige mit Sternchen und m/w/d-Hinweis reicht, um Frauen anzusprechen, irrt. Pünktlicher Dienstschluss, planbare Schichten, Homeoffice-Regelungen, ÖPNV-Erreichbarkeit und, ja, Betriebskitas können da vermutlich mehr bewirken als ein Startbonus und ein Dienstwagen. Und in den Tarifrunden wird zwar eifrig allerlei für Ältere und Azubis gefordert – aber selten für Frauen. Auch kein gesellschaftliches Problem ist offenbar, dass 2020 insgesamt 1,7 Milliarden Überstunden im Jahr geleistet wurden, Corona hin oder her, und davon die Hälfte unbezahlt. Zumindest die unbezahlten Überstunden wären bei der Kinderbetreuung besser investiert.

Also besser eine Politik für Frauen als Einwanderung von Fachkräften? Nein. Ohne Einwanderung ist die demografische Katastrophe, auf die wir zurasen, nicht zu lösen. Es geht ebenso wenig darum, Frauen in Vollzeitjobs zu zwingen. Es geht darum, dass insbesondere Mütter überhaupt die Wahl haben zu entscheiden, ob und wie viel sie arbeiten und wie viel Zeit sie mit ihrer Familie verbringen. Denn, Emanzipation hin oder her, sie betreuen die Kinder. Sie sind die Alleinerziehenden. Und sie sind Fachkräfte.

Quielle      :      TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Pressetermin nach der Sendung „Hart aber Fair“ am 23. September 2019. Thema der Sendung: „Neue Nase, neues Leben – wie gefährlich ist der Boom bei Schönheits-Operationen?“ Foto: Prof. Dr. Karl Lauterbach, SPD, Arzt, Gesundheitsexperte; stellv. Fraktionsvorsitzender

Abgelegt unter Medien, Positionen, Regierung, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Land ohne Führung

Erstellt von Redaktion am 10. Februar 2023

Das Schweigen des Kanzlers

Von Albrecht von Lucke

Die bitterste Enttäuschung und der größte Rückschlag für die gesamte Politik war nach meiner Meinung der Rückschlag in der Frage der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft.“ So bilanzierte Konrad Adenauer 1966, ein Jahr vor seinem Tod, das in seinen Augen größte Scheitern seiner Karriere im Gespräch mit dem Journalisten und späteren „Blätter“-Mitherausgeber Günter Gaus.[1] Und in der Tat: Wie recht der erste Kanzler der Republik damit hatte, erleben wir dieser Tage. Gäbe es heute tatsächlich eine funktionierende Europäische Verteidigungsgemeinschaft, gäbe es auch ein konzertiertes Vorgehen der Europäer – und damit kein stets verspätetes Agieren speziell der deutschen Bundesregierung, genauer: des Kanzlers, bei der Unterstützung der Ukraine.

„Wie können wir als Europäerinnen und Europäer, als Europäische Union in einer zunehmend multipolaren Welt als unabhängige Akteure bestehen?“, stellt Olaf Scholz selbst in seinem jüngst im US-amerikanischen Strategiemagazin „Foreign Affairs“ erschienenen Artikel „Die globale Zeitenwende“ die weit über den Ukrainekrieg hinausgehende zentrale Frage.[2] Und er gibt darin für sich und seine Regierung folgende Antwort: „Deshalb strebt Deutschland danach, ein Garant europäischer Sicherheit zu werden, so wie es unsere Verbündeten von uns erwarten, ein Brückenbauer innerhalb der Europäischen Union.“ Vergleicht man diesen Anspruch mit dem tatsächlichen Agieren des Kanzlers, kommt man zu einem fatalen Ergebnis: Von einem Brückenbauer innerhalb der EU kann keine Rede sein. Bald ein Jahr nach Beginn des Krieges ist das Verhältnis zu den Osteuropäern schwer beschädigt und auch um die so wichtige deutsch-französische Freundschaft ist es, 60 Jahre nach Abschluss des Élysée-Vertrages, denkbar schlecht bestellt. Und auch Scholz‘ Anspruch, ein Garant europäischer Sicherheit zu werden, wurde durch sein konkretes Verhalten wiederholt konterkariert. „Es ist an der Zeit, dass wir mehr Verantwortung übernehmen und Führung zeigen, um diese Ziele zu erreichen“, heißt es ebenfalls im neuesten SPD-Strategiepapier.[3] Gemessen daran ist speziell der Kanzler bisher gescheitert.

Im Kern geht es seit dem Beginn des russischen Eroberungskrieges am 24. Februar um die Überlebensfähigkeit der Ukraine. Die deutsche Politik leidet dabei unter einem eklatanten Kommunikations- und Erklärungsdefizit des Kanzlers. Seit seiner auch international beachteten Zeitenwenderede erweckte Scholz‘ anhaltendes Schweigen den Eindruck, dass er nicht bereit ist, die von ihm versprochene Führungsrolle zu übernehmen. Dabei leistet Deutschland durchaus eine massive Unterstützung der Ukraine, militärisch wie zivil. Doch bis heute ist weitgehend unklar, was die wirkliche strategische Ausrichtung der Scholzschen Politik ist. Will der Kanzler nur dafür sorgen, dass die Ukraine sich verteidigen kann? Oder will er es ihr ermöglichen, auch von Russland okkupierte Gebiete zurückzuerobern?

Um tatsächlich überzeugend zu sein, bedürfte es zunächst einer klaren Einschätzung der strategischen Lage, um davon ausgehend in einem zweiten Schritt zu bestimmen, welche Waffenlieferungen in welchem Umfang erforderlich sind – und auch geleistet werden können, ohne dass sich Deutschland selbst verwundbar macht.

Vor Russlands Frühjahrsoffensive

Tatsächlich ist die Lage am Boden dramatisch. Russland hat seine aktuelle Mobilmachung weitgehend abgeschlossen, Wladimir Putin stehen nun wieder enorme Mengen an neuen Soldaten zur Verfügung, die er ohne Rücksicht auf Verluste in den Kampf zu schicken bereit ist. Mit Beginn des Frühjahrs droht daher nach allgemeiner Einschätzung eine große russische Offensive, während der ukrainischen Armee zunehmend die Munition ausgeht. Die Zeit drängt also. Vor diesem Hintergrund ist es dringend erforderlich, die für die Ukraine bestmögliche Verteidigung zu organisieren. Doch seitens der Bundesregierung war ein entsprechendes Handeln lange nur bedingt zu erkennen. Zugespitzt formuliert musste man den Eindruck gewinnen, dass der Kanzler Dimension und Dramatik der von ihm selbst ausgerufenen Zeitenwende offenbar selbst nicht richtig begriffen hatte. Denn Olaf Scholz praktizierte stets viel zu lange das Gegenteil des Gebotenen, nämlich äußerste Zurückhaltung.

Nichts hat dies deutlicher gezeigt als die verheerende Leopard-Debatte. Mit der langen Nicht-Lieferung dieser Kampfpanzer stand die Fähigkeit der Ukraine zur Verteidigung des verbliebenen eigenen Territoriums in Frage, zumal da jetzt ja noch die Ausbildung der ukrainischen Soldaten erforderlich ist – und all das zu einem Zeitpunkt, da es ob einer möglichen massiven russischen Übermacht vielleicht auf wenige Tage ankommt.

Insofern ist vor allem eines unerklärlich, warum nämlich seitens der gesamten EU, aber nicht zuletzt seitens der selbsterklärten Führungsmacht Deutschland nicht bereits viel früher ein möglicher Einsatz von Kampfpanzern geprüft wurde.

Ja, mehr noch: Da der von Berlin bereits gelieferte Schützenpanzer Marder gerade in der Offensive nur im Verbund mit einem Kampfpanzer optimal agiert – während letzterer die gegnerischen Panzer bekämpft, bringt der leichtere Marder die Soldaten an die Frontlinie –, warf das Zurückhalten des Leopard die Frage auf, ob die Bundesregierung die Ukraine bei der Rückeroberung ihrer verlorenen Gebiete überhaupt unterstützen will. Das aber konterkarierte das Versprechen des Kanzlers, die Ukraine mit allem zu versorgen, was erforderlich ist. Oder, wie es im „Foreign Affairs“-Artikel heißt: „Die Welt darf nicht zulassen, dass Putin seinen Willen durchsetzt. Wir müssen Russlands revanchistischem Imperialismus Einhalt gebieten.“

Völlig zu Recht stellt der Kanzler bei seinem Agieren stets die Gefahr einer möglichen gar atomaren Eskalation in Rechnung. Allerdings zeigt der Fall von Cherson, dass selbst die Rückeroberung eines von Russland bereits annektierten Gebiets durch die Ukraine nicht dazu geführt hat – trotz der wiederholten Ankündigung Putins. Das gleiche gilt für die Lieferung von Mardern und anderen Panzern wie dem Gepard durch Deutschland. Insofern spricht sehr wenig dafür, dass es sich nach der Leopard-Lieferung anders verhält. Im Gegenteil: Laut einem Bericht des langjährigen Russland-Korrespondenten der „Newsweek“ gibt es schon seit Anfang März 2022 Gespräche zwischen den USA und China, um eine Eskalation des Krieges zu vermeiden. Dabei soll Peking mehrfach – und entscheidend – mäßigend auf Russland eingewirkt haben.[4]

Dennoch ist auch Scholz‘ zweite Leitlinie grundsätzlich richtig, nämlich stets nur in Absprache mit den Alliierten, insbesondere den Amerikanern, zu operieren. Indem der Bundeskanzler die Lieferung des Leopard davon abhängig machte, dass die USA ihren Kampfpanzer Abrams liefern, ging er voll ins Risiko – am Ende mit Erfolg. Allerdings, und das ist die Schattenseite seines Agierens, hat Scholz durch sein anhaltendes Zögern die öffentliche Meinung speziell in Ost-Europa massiv gegen sich aufgebracht. Gerade durch das Verschleppen der Entscheidung entstand der Eindruck, dass letztlich alles von Deutschland, abhängt. Sprich: Der Kanzler hat kommunikativ das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte. Hätte Scholz am Ende nicht doch der Leopard-Lieferung zugestimmt, wäre Deutschland als der Hauptverantwortliche für eine mögliche Niederlage der Ukraine angesehen worden. Das dürfte am Ende den entscheidenden Ausschlag für die Leopard-Lieferung gegeben haben.

Wofür steht Olaf Scholz?

Denn nach wie vor ist ein langer Abnutzungskrieg wahrscheinlich, der zunehmend auch in den die Ukraine unterstützenden Staaten entschieden wird. Wie steht es um die Solidarität, lautet die Frage. Welches Regime nutzt sich schneller ab? Es geht also auch um die Resilienz der Systeme: Ist der demokratische Westen oder der autoritäre Osten durchhaltefähiger?

Quelle       :          Blätter-online          >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Prime Minister Mateusz Morawiecki and the German Chancellor Olaf Scholz

Abgelegt unter Deutschland_DE, Medien, P.SPD, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Kolumne-La dolce Vita

Erstellt von Redaktion am 9. Februar 2023

Anschlag von Hanau: – Aufklärung nicht in Sicht

Von    :    Amina Aziz

Seit drei Jahren geht es in Hanau mit der Klärung kaum voran. Und: Der rassistische Terror ist nicht vorbei – denn da ist noch der Vater des Täters.

„Der Friedhof ist meine Wohnung geworden“, erzählt Emiş Gürbüz. Sie ist die Mutter von Sedat Gürbüz. Ihr Sohn ist eines der neun Opfer des rassistischen Terrors von Hanau vor drei Jahren.

Sedat gehörte die Shishabar Midnight, einer der Tatorte. Über 1.070 Tage hat sie gezählt, seit ihr Sohn nicht mehr bei ihr ist, sagt Emiş Gürbüz bei der Eröffnung der Ausstellung zum Anschlag im Hanauer Rathaus (läuft noch bis 18. März). Auf dem Friedhof spreche sie mit ihrem Sohn, erzähle ihm von den Jahreszeiten. Manchmal streite sie sich mit Sedat, weil er sie alleingelassen habe.

Drei Jahre, über 1.070 Tage später, geht es mit der Klärung offener Fragen nur schleppend voran, wenn überhaupt. Aufgeklärt werden muss die „Kette des Versagens“, wie die Hinterbliebenen offene Fragen im Kontext der Tat nennen. Die Kette ist lang und Polizei und Justiz sind ihre Glieder. Fragen wie die nach dem nicht erreichbaren Notruf und dem verschlossenen Notausgang an einem der Tatorte sind hinlänglich bekannt.

City sign HANAU am Main - panoramio.jpg

Zuletzt hat der Generalbundesanwalt gemauert, als er unter anderem die Aufnahmen eines Polizeihubschraubers als geheim einstuft. Sie seien im Hanauer Untersuchungsausschuss nicht bewertbar. Doch die Aufnahmen waren zu dem Zeitpunkt bereits für alle öffentlich im Internet zugänglich. Das Bundesverwaltungsgericht gab am Montag bekannt, dass der Generalbundesanwalt die Akten zum Anschlag weitgehend ungeschwärzt an den Untersuchungsausschuss übergeben muss.

Kette des Versagens

Ein weiteres Glied in der Kette des Versagens ist auch der unhaltbare Umstand, dass der Vater des Täters seit drei Monaten trotz gerichtlich erwirktem Näherungsverbot, Serpil Temiz, der Mutter des getöteten Ferhat Unvar, auflauert. Hier muss dringend die Sicherheit der Angehörigen gewährleistet werden.

Quelle        :         TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben     —    Kostüm von Danilo Donati für „Il Casanova“, Film von Federico Fellini en 1976, Schauspieler Donald Sutherland. – Anita Ekberg – Giulietta Massina et Marcello Mastroianni / Kostüme, Accessoires, Dessins, Dekore, Scénarios, Fotografien, Montage, Postproduktion.

Abgelegt unter Hessen, Kriminelles, Medien, Regierung | 1 Kommentar »

Erinnerungen an Corona

Erstellt von Redaktion am 8. Februar 2023

Das zerfranste Ende der Pandemie

Von Anne Dierkhoff

Die Maskenpflicht ist größtenteils abgeschafft – war’s das jetzt mit Corona? Um zu verstehen, was wir durchgemacht haben, müssen wir zurückblicken.

Die Apothekerin sagte: „Ach, die Maske haben Sie in 20 Minuten durchgeatmet, das nützt dann auch nichts.“ Also stieg ich maskenlos in den Zug, 12. März 2020. Drei Stunden unentspannte Fahrt. Ich versuchte nichts anzufassen, lehnte mich kaum richtig an, hielt den Schal vor den Mund und fand alles einfach nur unheimlich. War es nicht überhaupt verantwortungslos, meine Eltern zu besuchen, nachdem ich am Abend vorher in einem vollen Restaurant gegessen hatte?

Immerhin sehen wir jetzt den gesellschaftlichen Abgrund

Diese ganz neue Art extremer Verunsicherung: Mich traf sie beim Lesen eines Facebook-Posts aus Bergamo. Ein Arzt berichtete von dystopisch wirkenden Schreckensszenarien: sein ganzes Krankenhaus ein einziges Coronalazarett, Sterbende auf allen Fluren. Ich konnte es nicht mehr wegschieben, wie noch zwei Wochen zuvor auf der Berlinale, mit mehr als 1.000 Menschen in einem Kinosaal.

Entschuldigen Sie die Rückblicksorgie! Aber offenbar ist der Zeitpunkt dafür gekommen. Die Maskenpflicht ist so gut wie weg, die Reste im Gesundheitsbereich hört man schon wackeln. Und wer Corona hat, ohne zu husten, darf in der Mehrzahl der Bundesländer seit Kurzem trotzdem unter Leute (was soll schon passieren?). Was auch immer das Virus noch vorhat, die offizielle Botschaft lautet: Es ist vorbei, hat ja auch lang genug gedauert.

Wir werden uns viel zu verzeihen haben

Echt jetzt: Ich hatte mir das Ende schöner vorgestellt. Und den Mittelteil nicht so furchtbar. Zum Glück wird die Geschichte portionsweise gelebt – und ertragen. Wenn in den ersten Wochen jemand gesagt hätte: Genießt die Angst vor der noch so diffusen Bedrohung und euer Maskennähen, das ist der gemütliche Teil – ich hätte es nicht hören wollen.

„Wir werden einander viel verzeihen müssen“, sagte Jens Spahn, als er noch Gesundheitsminister war. Ich hab nachgesehen: Es war am 22. April 2020. In Coronazeitmessung ist das also 1.000 Jahre her. Bremen führte gerade als letztes Bundesland die Maskenpflicht im Nahverkehr und beim Einkaufen ein. Und Christian Drosten warnte davor, dass der schöne Vorsprung in der Pandemie­bekämpfung, den Deutschland durch die schnelle Reaktion im März erreicht habe, wieder verloren gehen könnte. Warum? Weil die Geschäfte wieder aufmachen durften; jedenfalls die bis zu einer Größe von 800 Quadratmetern, Sie erinnern sich vielleicht.

Die Wirtschaft kann nicht ewig stillstehen, auch außerhalb der Lebensmittelbranche muss Geld verdient werden: Damit fingen die Debatten um die richtigen Maßnahmen an, die seitdem so häufig ihren Namen gar nicht mehr verdienten. Kurz nach den Baumärkten durften auch Friseursalons wieder öffnen, aber vorerst ohne Wimpernfärben. Ja, das haben wir erlebt. Natürlich hatte Spahn recht: In einer derartigen Krise, die aber mal richtiges Neuland für die Gesellschaft war, passieren auch Fehler. Weil man noch nicht genug wusste, weil es aber gleichzeitig um Leben und Tod ging. Nichtstun wäre der größte Fehler gewesen.

Der 22. April 2020, der Tag von Spahns Verzeih-Prophezeiung, war übrigens auch der Tag, an dem das Paul-Ehrlich-Institut die klinische Prüfung eines ersten Corona-Impfstoffskandidaten zuließ. Und zwar den „des Mainzer Unternehmens Biontech“, wie es noch ordentlich ausbuchstabiert wurde. Von heute aus gesehen liest sich das so unschuldig, da steckt noch nichts von all dem drin, was diese Impfung bald bedeuten würde – in ihrem Dasein als Lebensretterin, Gamechanger und Hassobjekt.

Die emotionale Wucht des Impfthemas

„In der Krise zeigt sich der Charakter“, noch ein Politiker­zitat. Helmut Schmidt kann aber unmöglich der Erste gewesen sein, der das gesagt hat – zu offensichtlich ist der Wahrheitsgehalt. In dieser Krise entwickelten alle Menschen eine Art Corona­persönlichkeit, und wozu das führen konnte, das war doch der größte Schock: die emotionale Wucht, mit der die Themen Masken, Maßnahmen und vor allem Impfung Familien spalten und Freundschaften beenden konnten: So genau hatte man sich doch gar nicht kennenlernen wollen. Auch im Großen nicht – Hass-Explosionen bei Demos der selbsternannten Querdenker? Nein, danke! Immerhin verdanken wir ihnen Erkenntnisse über einen gesellschaftlichen Abgrund, der sich davor leichter ignorieren ließ.

Und wo stehen wir jetzt? Mehr als 165.000 Menschen sind allein in Deutschland wegen Corona gestorben. Geimpft ist längst, wer es sein will, infiziert waren die meisten zusätzlich. Und es kommen immer noch Menschen dazu, deren Leben nach einer Infektion nicht mehr dasselbe ist.

Quelle      :        TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —     Karikatur von Gerhard Mester zum Thema: Klima und Zukunft (Stichworte: Klima, Zukunft, Lemminge, Umwelt, Umkehr, Trend) – Umkehren!? Jetzt, wo wir so weit gekommen sind!?!

*****************************

Unten     —   Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin am 29. August 2020.

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gesundheitspolitik, Kultur, Medien, Regierung | 3 Kommentare »

Das Leben im FDP – Clan

Erstellt von Redaktion am 6. Februar 2023

Tamedia überspielt Strack-Zimmermanns Interessenkonflikte

Strack-Zimmermann.jpg

Nur ein munteres Farbenspiel? Das Grau verdeckt das Republikanische Braun ?

Quelle      :        INFO Sperber CH.

Von       :    Urs P. Gasche /   

Tages-Anzeiger, Bund etc. portraitierten die FDP-Politikerin, ohne ihre militärpolitischen Engagements beim Namen zu nennen.

Sie sei «Scholz’ mächtigste Gegenspielerin», titelten die Tamedia-Zeitungen am 3. Februar. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann kritisiere «des Kanzlers Zögerlichkeit schärfer als jede Opposition». Der Berliner Korrespondent Dominique Eigenmann bezeichnete die 64-Jährige als «schlagfertig und streitbar, sachlich und kompetent». Kritiker meinen, dass Strack-Zimmermann weniger sachlich als emotionalisierend rede.

Wer die Meinung äussere, schrieben die Tamedia-Zeitungen weiter, Strack-Zimmermann würde Deutschland «in eine militärische Auseinandersetzung hineinreden», wie es etwa der «bekennende Pazifist Rolf Münzenich» tue, der kritisiert die FDP-Frau nicht etwa, sondern er «ätzt».

Ihr Engagement in militärpolitischen Organisationen übergehen die Tamedia-Zeitungen. Lediglich in einem einzigen Satz erwähnte Eigenmann, dass «andere» versuchen würden, «sie als Lobbyistin der Rüstungsindustrie zu diffamieren».

Einen Tag nach dem Tamedia-Zeitungen titelte der Blick ebenfalls: «Sie ist Kanzler Scholz’ gefährlichste Gegenspielerin». Auch der Blick erwähnte nur kurz, viele würden Strack-Zimmermann für eine Rüstungslobbyistin halten: «Beweise dafür gibt es allerdings nicht.»

Ob Lobbyistin oder nicht: Es geht um mögliche Interessenkonflikte. Um welche es sich handelt, erfahren die Leserinnen und Leser der Tamedia-Zeitungen und des Blick nicht. Deshalb sei dies hier nachgeholt.

Der militärisch-industrielle Komplex

Eigentlich müssten Medien bei Militär- und Rüstungsfragen besonders scharf auf mögliche Interessenkonflikte schauen und Verbindungen zu Lobby-Organisationen offenlegen. Denn in Ländern mit einer starken Rüstungsindustrie ist kaum eine Lobby mächtiger und einflussreicher als die Rüstungslobby. Sie finanziert Think-Tanks und sponsert zahlreiche Organisationen und Universitäts-Fakultäten. Sie neigt dazu, militärische Gefahren hochzuspielen, um Parlamentarier zu möglichst hohen Rüstungsausgaben zu verleiten und ihr lukratives Geschäft anzukurbeln. Ihr Informationsvorsprung ist enorm.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist in drei wichtigen Lobby-Organisationen der Rüstungsindustrie aktiv:

  1. In der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik DWT
  2. In der Deutschen Atlantischen Gesellschaft DAG
  3. Im Förderkreis Deutsches Heer FKH

1. Die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik DWT

Strack-Zimmermann ist Mitglied des Präsidiums der DWT.

Diese Organisation der Rüstungs-Lobby knüpft Kontakte zu Mitgliedern des deutschen Bundestags. Lobbypedia schreibt über die DWT: «Die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT) ist ein von der Rüstungsindustrie dominierter Verein, bei dessen Treffen und Diskussionsrunden Vertreter der Rüstungsindustrie, Bundestagsabgeordnete sowie Mitarbeiter des Bundesverteidigungsministeriums Fragen der Rüstungspolitik und Wehrtechnik erörtern […] Der Rahmen der DWT erlaubt der Rüstungsindustrie, bereits im Vorfeld parlamentarischer Entscheidungsprozesse, informell Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen. Dabei werden die Rüstungsunternehmen neben ihrem Sachverstand zwangsläufig auch ihre Interessen an aufwändigen Rüstungsprojekten einbringen. Das dauerhafte Zusammenwirken von Rüstungsunternehmen und Parlamentariern birgt die Gefahr, dass rüstungspolitische und wehrtechnische Entscheidungen von den zuständigen parlamentarischen Gremien faktisch in intransparente Gesprächsrunden verlagert werden, in denen es an der gebotenen Distanz zwischen den Abgeordneten und der Rüstungsindustrie mangelt.»

«Themen der Zeit» schreibt über den «Rüstungs-Lobbyismus im Ukraine-Krieg»:

«Im Vorstand der ‹Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik› ist der Rüstungskonzern Rheinmetall durch den Technologie-Chef Klaus Knappen vertreten. Als leitender Beamter der Bundeswehr ist Wolfgang Gäbelein im Vorstand eingebunden, seines Zeichens Amtschef des Planungsamts der Bundeswehr. Des Weiteren ein Unternehmensberater für Militär und eine Führungskraft des Weltraumlagezentrums für die Bundeswehr sowie ein IT-Spezialist für Streitkräfte und der Generalbeauftragte einer Container-Firma für das Militär.»

Im Beirat der DWT sind nach Angaben von lokalkompass.de Vertreter von Rheinmetall, Daimler und IVECO-Magirus (Militärfahrzeuge), Lockheed Martin International, Kraus Maffei Wegmann, Diehl und Airbus (Militärhubschrauber, Trägerraketen etc.), aber auch von Thales (Radaranwendungen, Satellitensysteme und Sicherheitstechnik), der Flensburger Fahrzeugbau (Panzer und Militärfahrzeuge), Dr. Müller-Elektronik (Luftfahrt und Raumtechnik, Kabeltechnologie), Rohde und Schwarz (Flugsicherung und Funkkommunikationssysteme), Plath (Funkaufklärung für die Rüstungsindustrie) sowie der Mönch-Verlag für Waffen- und Militärzeitschriften.

2. Der Förderkreis Deutsches Heer FKH

Strack-Zimmermann ist Mitglied des Präsidiums.

Zweck des FKH ist nach eigenen Angaben «das gemeinsame Bemühen um eine leistungsfähige nationale Industriebasis für die Ausrüstung des Deutschen Heeres und der deutschen Landstreitkräfte insgesamt» sowie «die Förderung der transatlantischen Zusammenarbeit».

Präsident ist Wolfgang Köpke, Generalmajor a.D. Die beiden Vizepräsidenten sind Ralf Ketzel, Vorsitzender der Geschäftsführung des Waffenkonzerns Krauss-Maffei Wegmann und Henning Otte, CDU-Bundestagsabgeordneter.

Die weiteren Mitglieder sind auf der Webseite nicht veröffentlicht.

Laut Lobbycontrol zählt der Förderkreis Deutsches Heer (FKH) neben der «Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V.» (GSP) und der «Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik e.V.» (DWT) zu den wichtigsten Lobby-Verbänden der deutschen Rüstungsindustrie.

3. Die Deutsche Atlantische Gesellschaft

Seit Mai 2022 ist Strack-Zimmermann Vizepräsidentin der DAG.

Nach eigenen Angaben verfolgt die Gesellschaft folgende Ziele:

«Die Deutsche Atlantische Gesellschaft hat sich zur Aufgabe gemacht, das Verständnis für die Ziele des Atlantischen Bündnisses zu vertiefen und über die Politik der NATO zu informieren. Sie setzt sich für eine Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO und eine enge Bindung zu den beiden nordamerikanischen Demokratien ein.»

Präsident ist Christian Schmidt, bis 2021 CSU-Bundestags-Abgeordneter. Im Vorstand sitzen neben etlichen Bundestagsabgeordneten auch ehemalige Generäle und andere hohe Militärs, pensionierte Manager der Rüstungsindustrie wie beispielsweise Werner Dornisch und der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs, dessen SPD-Kreisverband in Hamburg Spenden der Rüstungskonzerne Rheinmetall und Krauss-Maffei entgegennahm. Im Vorstand sitzt ebenfalls Veronika Fucela, Präsidentin der «Youth Atlantic Treaty Association Germany». Diese hat nach eigenen Angaben zum Ziel, «den öffentlichen Dialog über die NATO und die transatlantischen Beziehungen in der jüngeren Generation in Deutschland zu fördern.» Im Vorstand ist ebenfalls Jana Puglierin, Leiterin des «European Council on Foreign Relations» (ECFR). Dieser «Think-Tank» wird finanziert von Aussenministerien verschiedener Länder Europas, dem deutschen Verteidigungsministerium und von Privaten wie den Open Society Foundations, dem Bundesverband der deutschen Industrie, verschiedenen Konzernen und der Bill & Melinda Gates Foundation. Der ECFR ist Partner der Mercator-Stiftung.

Medien machen mögliche Interessenkonflikte nicht transparent

Bei Strack-Zimmermann geht es nicht um Bestechlichkeit, aber um fehlende Sensibilität für Befangenheit und offenkundige oder mögliche Interessenkonflikte. Als führendes Mitglied dieser Organisationen verpflichtet sich Strack-Zimmermann, sich für deren Zwecke einzusetzen.

Darauf weisen die für Transparenz und Demokratie eintretende Initiative «Lobbycontrol» mit ihrer Internetplattform «Lobbypedia» sowie die Internetplattform «Abgeordnetenwatch» und die internationale Antikorruptionsorganisation «Transparency International» hin. Die Rüstungsindustrie verfüge über «sehr enge und privilegierte Zugänge ins Parlament».

Auch im ARD-Faktencheck heisst es: «Die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik und der Förderkreis Deutsches Heer zählen neben der Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V. (GSP) zu den wichtigsten Lobby-Verbänden der deutschen Rüstungsindustrie.» Die Antikorruptionsorganisation Transparency International warnte in den vergangenen Jahren immer wieder vor einer möglichen Einflussnahme der Rüstungsindustrie auf politische Entscheidungsprozesse.

Im deutschen Bundestag nahm Strack-Zimmermann wie folgt Stellung:

«Selbstverständlich bin ich als ehemalige Sprecherin für Verteidigungspolitik und nun als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses ständig im Austausch mit der Bundeswehr, der Rüstungsindustrie und daran angeschlossenen Verbänden. Das gehört zu meinem Job, und sofern alles transparent ist, ist daran auch nichts Anstössiges.»

Auf ihrer Webseite deklariert Strack-Zimmermann die Mitgliedschaften in den drei oben genannten Organisationen. Sie seien «ehrenamtlich».

Ob Lobbyistin, Interessenvertreterin oder Interessenkonflikte: Viele Leserinnen und Leser erwarten, dass grosse Medien wie Tages-Anzeiger, Der Bund, Berner Zeitung oder Blick über die engen Beziehungen von Marie-Agnes Strack-Zimmermann mit der Rüstungsindustrie nicht so oberflächlich oder bagatellisierend hinwegsehen, sondern sie transparent machen.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —    Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Stell­vertretende Vorsitzende FDP, Bürgermeisterin Düsseldorf

Abgelegt unter Deutschland_DE, Medien, Nordrhein-Westfalen, P.FDP, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Proteste-Letzte Generation

Erstellt von Redaktion am 3. Februar 2023

Es geht nicht um Mehrheiten

Ein Debattenbeitrag von Phillipp Ruch – Gründer des Zentrums für Politische Schönheit

Der Letzten Generation wird schadenfroh vorgehalten, fast alle Deutschen lehnten ihren Protest ab. Aber aggressivem Widerstand geht es um Lärm.

Die deutschen Proteste für eine beherztere Erdschutzpolitik fanden in Lützerath einen vorläufigen Höhepunkt. Auf der einen Seite die Personen, die die Erde schützen wollen, auf der anderen Seite die, die sie scheinbar mit aller Gewalt weiter aufreißen wollen. Selten gab es einen Ort, der als Symbol besser taugte für – oder gegen – unser Lernen, unser mögliches Umdenken und für oder gegen die politische Schubumkehr. Die Protestierenden forderten eine Full-Stop-Mentalität und warfen sich selbst ins Getriebe. Die Politik versagte und hielt gar nichts an.

Einige Politiker verstiegen sich stattdessen zu der steilen These, dass das kleine Örtchen Lützerath – das immerhin mit brachialen Methoden dem Kohleabbau zum Opfer fallen soll – „nicht das richtige Symbol“ sei. Hubertus Heil und Robert Habeck wurden nicht müde, die These vom falschen Ort und falschen Symbol in die Fernsehkameras zu wiederholen (das Argument scheint zu sein, dass es ohne sie selbst noch viel schlimmer gekommen wäre). Aber nur weil Politiker eine These der interessierten Öffentlichkeit einzureden versuchen, wird sie nicht wahrer.

Es gibt kein besseres Symbol in Deutschland für den Kamikaze-Kollaps-Kurs, auf dem wir uns als Weltbevölkerung befinden. Und es gibt keinen prädestinierteren Ort für die deutsche Politik, ihr Nichtlernen, Nichtumdenken und Nichtumsteuern noch einmal symbolisch zu demonstrieren. In den Diskussionen um radikalen Protest hat sich in den letzten Jahren immer wieder das Vorurteil eingeschlichen, der Erdschutzprotest wolle doch die Mehrheit der Gesellschaft von der Richtigkeit der eigenen Ziele überzeugen. Ob beim klebenden Protest auf den Autobahnzufahrten, dem Bewerfen von Panzerglasrahmen mit Tomatensuppe oder den linksradikalen Stammesparolen in Lützerath – das seien alles falsche Mittel!

Wer das Gute wolle, müsse das Richtige tun. Schon interessant, dass niemand auf die Idee kommt zu fragen, ob das schaufelnde Monstrum, das da ganze Landstriche in Mondlandschaften verwandelt, das „richtige Mittel“ oder das „richtige Symbol“ sei. Stattdessen werden der letzten Generation relativ schadenfroh Umfrageergebnisse an den Kopf geworfen, nach denen zwischen achtzig und neunzig Prozent der Bevölkerung diese Form des Protests ablehnen. Ich wurde in der Vergangenheit selbst immer wieder mit dem Vorurteil konfrontiert, dass radikaler Widerstand doch letztlich „der falsche Weg“ sei, um eine Gesellschaft vom „eigentlich“ richtigen Anliegen zu überzeugen (bei unseren Aktionen zum Massenertrinken im Mittelmeer beispielsweise).

Es geht um eine Keimzelle des Widerstands

Aber geht es radikalem Widerstand überhaupt darum, die Mehrheit von der Richtigkeit des eigenen Tuns zu überzeugen? Es klingt immer sehr demokratisch, irgendeine Mehrheit überzeugen zu wollen. Aber dieser Wunsch wäre oft naiv. Es geht bei radikaleren Maßnahmen um Licht in der Finsternis, um eine Keimzelle des Widerstands oder darum, eine Einheit zu durchbrechen. Vielleicht muss man sich von der Vorstellung verabschieden, dass aggressiver Widerstand überhaupt sonderlich demokratisch ist. Aber wenn er für den Humanismus kämpft – und nichts anderes tun die Klimaschutzproteste, letztlich geht es mit dem Kollaps des Erdklimas sehr direkt um den Kollaps unserer Zivilisation –, wird dieser Protest auch dann richtig sein, wenn ihn 95 Prozent der Gesellschaft in irgendwelchen Forsa-Umfragen ablehnen.

Ich möchte das Problem dahinter noch etwas pointieren: Es ist Luisa Neubauer oder Carla Hinrichs vielleicht nicht egal, ob die Mehrheit der Gesellschaft von der Richtigkeit ihrer „Anliegen“ überzeugt ist, aber sie sind keine protestantischen Sektenanführerinnen, denen es darum ginge, die große Mehrheit von der Richtigkeit zu überzeugen. Sie wissen, dass das Ziel, die Obergrenze von 1,5 Grad Erderwärmung einzuhalten, richtig ist. Wir alle wissen das. Nicht nur eine Mehrheit in Deutschland, praktisch die ganze Menschheit. Deshalb hat es auch eine überwältigende Mehrheit in Paris beschlossen. Bloß ist das ein paar Jahre später eben egal, wenn es noch irgendwo Kohle aus der Erde herauszubrechen gibt.

Sand im Getriebe

Warum dem Protest nun nachgesagt wird, Mehrheiten für Dinge zu benötigen, die demokratisch längst beschlossen sind, bleibt das Geheimnis der pseudodemokratischen Taschenspieler-Philosophie-Trickbetrüger, die solche Forderungen erheben. Es muss befriedigend sein, sich über den politischen Protest zu beugen, um ihn zu belehren, was richtig und was falsch ist. Aber wenn den Protestierenden das Ziel nur angedichtet wird, eine Mehrheit der Öffentlichkeit überzeugen zu wollen und sie das gar nicht wollen: Was wollen sie dann?

Quelle          :        TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —     Funeral of a refugee by the Centre for Political Beauty (Zentrum für politische Schönheit), Berlin-Gatow, Germany

Abgelegt unter Berlin, Kultur, Medien, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Medien-Kampagne für Leos

Erstellt von Redaktion am 3. Februar 2023

Momentaufnahmen aus der deutschen Öffentlichkeit im Januar 23

So zeigen sie Kreuze ganz putzig und munter wie unter Adolf – nur bunter

Quelle:    Scharf  —  Links

Von    : DR. Renate Dillmann

Die deutsche Regierung hat sich für die Lieferung von Leopard-Panzern in die Ukraine und damit für ein Fortschreiten der Eskalation entschieden, die der Westen – rücksichtslos gegenüber weiteren Opfern oder atomaren Risiken – in seinem „Krieg gegen Russland“ (Annalena Baerbock) betreibt. Vorausgegangen war eine außerordentliche Kampagne in den deutschen Mainstream-Medien mit klarer Stoßrichtung. Unter dem Deckmantel „Information“ wurde Stimmung gemacht für die Lieferung von Kampfpanzern, vierzehn Tage lang, 24/7.

Deutsche Medien befeuern den Kriegswillen

Ich zitiere wirklich nicht gerne einen deutschen General, auch wenn er inzwischen außer Dienst ist. Aber wo Harald Kujat Recht hat, hat er Recht: „In diesem Informationskrieg kann man zu einem Kriegsteilnehmer werden, wenn man sich Informationen und Argumente zu eigen macht, die man weder verifizieren noch aufgrund eigener Kompetenz beurteilen kann.“

Tatsächlich kann von sachhaltigen Informationen und verifizierbaren Nachrichten zu den Interessen der Kriegsparteien und zum Stand der militärischen Auseinandersetzung in diesem Land, das sich seines öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seiner freien Presse rühmt, nur sehr ausnahmsweise die Rede sein. Das aber wäre die Basis, um überhaupt ein fundiertes Urteil zu fällen. Wer so etwas haben will, muss schon in der Jungen Welt oder den alternativen Online-Medien (German Foreign PolicyOvertonTelepolisNachdenkseiten99:1 u.ä.) suchen oder politische Analysen in der Konkret oder dem Gegenstandpunkt nachlesen.

Die Mainstream-Medien haben offenbar andere Ziele. Von Kriegsbeginn an haben sie – neben den grünen Fundamentalisten (gerade die ehemaligen „Realos“ sind nämlich welche!) – dafür gesorgt, einen moralischen Kreuzzug gegen Russland zu initiieren.

In dem steht Gut gegen Böse, die Freiheit gegen die Repression, unsere – neuerdings „queere“ – Lebensart gegen die slawische Homophobie, gediegene Regeln und Werte des Westens gegen einen (zwar gewählten, aber egal:) „Autokraten“ Putin, den „Irren aus dem Kreml“ bzw. den „Massenmörder“.

Kriegsverbrechen begehen in dieser Darstellung nur Russen. Nur die russischen Rekruten desertieren in Scharen, während die Ukrainer angeblich aus freien Stücken ihre Heimat verteidigen (seltsam nur, dass die Ukraine ein Gesetz zur Zwangsrekrutierung aller Männer zwischen 18 und 60 erlassen hat, und seltsam auch, dass man in Deutschland nicht wenige ukrainische Männer im waffenfähigen Alter sieht, die offensichtlich vor der Zwangsrekrutierung geflohen sind).

Nazis spielen unseren Medien zufolge in der Ukraine keine wesentliche Rolle und die Demokratie in diesem Land ist anders als die im schlimmen Russland lupenrein. Dass im letzten Jahr elf weitere Parteien (die Kommunistischen Partei hatte es schon 2014 erwischt) verboten wurden, die Medien des Landes völlig gleichgeschaltet sind und geringste Zweifel an den offiziellen Aussagen reichen, um strafrechtlich verurteilt zu werden, ist wohl angesichts des ganzen Kriegstrubels irgendwie durchgerutscht.

Dafür wurde als Täter bei der Sprengung von Nord Stream 2 von den deutschen Medien mit bemerkenswerter Logik Russland, der Eigentümer der Pipeline, ermittelt – Motto: Die Russen sind ja sowieso für jeden Mist verantwortlich, auch wenn es Null Sinn macht. Ebenso bemerkenswert, dass in Deutschland die Anweisung der Bundesregierung, „im Sinne des Staatswohls“ könnten hier keine weiteren Auskünfte erfolgen, von unseren unbeugsam der Wahrheit verpflichteten Journalist:innen einfach geschluckt wurde. Zum Glück gibt es in diesem Land nämlich keine staatliche Zensur! Daher herrscht zu diesem Thema seit bald fünf Monaten in der deutschen Presse ganz freiwillig dröhnendes Schweigen, während fünf ukrainische Demonstranten vor einem russischen Konsulat gleich eine Meldung im Lokalblatt wert sind.

Unser Friedensengel Annalena stellt sich derweil furchtlos und kameraversiert vor die ukrainischen Frauen und Kinder und verkündet lauthals, dass sie keine Angst vor Putins Atombombe hat. Das ist für die Qualitätspresse kein Anlass, zum Geisteszustand der Außenministerin kritisch nachzufragen, sondern man unterstützt diese vielmehr bei den bereits üblichen Umdefinitionen, die sich Bert Brecht zur Verhöhnung der bürgerlichen Presse nicht besser hätte ausdenken können: Unsere Waffen schützen Leben. Und in George Orwells „1984“ steht es ja auch schon: Krieg ist Frieden.

Da „wir“ ja bei den Waffengattungen inzwischen ordentlich vorangekommen sind, gilt nach Adam Riese: je mehr Panzer und je tollere Panzer, desto mehr Leben schützen sie. Jegliches Zögern empfindet man in den deutschen Redaktionen deshalb prinzipiell als völlig unverständlich.

Tatbestand Desinformation

Wie man sieht, ist schon das ganze Jahr 2022 ein munterer demokratischer Diskurs mit sehr verschiedenen Meinungen unterwegs gewesen. Andererseits, und das ist jetzt wirklich erschreckend: Es gab mitten in diesem „brutalen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Putins“ Stimmen von Leuten, die so weiter gemacht haben wie immer. Sie haben nach Ursachen gefragt – als seien die mit dieser Verurteilung nicht hinreichend geklärt; sie dokumentieren die Vorgeschichte, ziehen Vergleiche mit dem Verhalten westlicher Staaten in ähnlichen Fällen, untersuchen die vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen mitgeteilten Informationen, denken über die laufenden Waffenlieferungen und die Konsequenzen einer weiteren Eskalation nach, fahren in die Donbass-Gebiete und machen dort ungefragt Reportagen usw. usf. – was nicht als investigativer Journalismus gelobt wird, sondern sofort die Frage aufwirft: Geht’s noch?

Nein, das geht nicht – und die betreffenden „Desinformanten“ werden entsprechend belehrt. Natürlich nicht in einer Debatte, in denen sie ihre Informationen vortragen und ihre Position begründen könnten und ihre Kritiker dann dagegen argumentieren würden. Soviel Freiheit für die Feinde der Freiheit – und nichts anderes sind ja die „Putinversteher“, zu denen man sie im ersten Schritt erklärt hat, – darf nicht sein, denn dann könnte ja der gesamte Freiheitsstall zusammenbrechen. Also werden sie, wenn man sie ausgemacht hat, dort fertig gemacht, wo man sie treffen kann: Entzug der Vortragsräume, der Publikationsmöglichkeiten, der Jobs, zur Not auch per Anzeige und Geldstrafe.

Ein paar Beispiele:

• Ulrike Guérot wurde wegen eines Buchs, das vom Standpunkt des europäischen Friedensprojekts aus für diplomatische Lösungen mit Russland argumentiert und bis gestern völlig d’accord mit den deutschen Idealen war, öffentlich gebrandmarkt; der Professorin werden Konsequenzen in der Hochschule angedroht. Gabriele Krone-Schmalz, langjährige ARD-Korrespondentin in Moskau, wollte über die Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs informieren („Russland und die Ukraine“) und bekam neben Schmähungen in der Mainstream-Berichterstattung wie im Internet Probleme mit Vortragsräumen.

• Patrik Baab, ein Journalist, der im Donbass Reportagen gemacht und dabei auch über die Referenden berichtet hat, wurde mit Entzug seiner Lehraufträge in Berlin und Kiel bestraft. Der Vorsitzende des DJV (Deutscher Journalistenverband) Frank Überall sah übrigens keinen Anlass, dagegen tätig zu werden – im Gegenteil: „Propaganda für einen Kriegsverbrecher ist per Definition keine journalistische Tätigkeit.“ Wer aus einem Feindesland berichtet, ist demnach Helfershelfer des Feindes und wird zurecht sanktioniert (und zwar nicht, wie sonst üblich, mit Ignoranz und Nichtabdrucken seiner Beiträge, sondern mit Entzug seiner Lehraufträge, ganz gleich, mit welchen Themen die sich beschäftigen).

• Der Friedensaktivist Heinz Bücker wurde zu einer Geldstrafe von 2.000 €, ersatzweise 40 Tage Haft plus Verfahrenskosten, verurteilt. „Sein Vergehen? Er hatte bei einer Rede anlässlich des 81. Jahrestages des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 2022 erklärt, man müsse ,offen und ehrlich versuchen, die russischen Gründe für die militärische Sonderoperation in der Ukraine zu verstehen‘. Diese Aussage, so die Begründung im Strafbefehl vom 3. Januar 2023 …, billige ,den völkerrechtswidrigen Überfalls Russland (sic!) auf die Ukraine‘ und hätte ,das Potential, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern und das psychische Klima in der Bevölkerung aufzuhetzen.‘“ (NachDenkSeiten) Die Logik ist also: 1. Wer begreifen will, billigt damit bereits. Und 2. Wer billigt, hetzt auf. Das sind doch mal klar vorgezeichnete Grenzen der Meinungsfreiheit.

• Gegen die für Ende März geplante Veranstaltung von Daniele Ganser zur „Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs“ in den Dortmunder Westfalenhallen wird öffentlich Sturm gelaufen – alle Parteien, vor allem die Grünen, bis hin zur Antifa und der „Partei“; als Vorwurf werden frühere antisemitische Äußerungen ins Feld geführt (gemeint ist der vor Jahren geäußerte Verdacht Gansers, dass es sich bei Nine-Eleven um einen „Inside Job“ unter der Bush-Administration gehandelt haben könnte, bei dem auch der Mossad-Geheimdienst mit im Spiel war).

Das alles auszugrenzen, totzuschweigen oder zu verbieten, ist selbstverständlich nicht die Putinsche Repressionslogik, sondern das ist die nötige Selbstverteidigung unserer demokratischen Werte gegen Menschen, die diese Werte so wenig zu schätzen wissen, dass sie keinen Atomkrieg dafür riskieren wollen, und die nicht an die lebensschützende Rolle von Panzern glauben.

Kampagne für Panzer

Soweit war die vorzügliche Stimmung in der Republik bereits gediehen, als die Kampagne für den nächste Eskalationsschritt, die Lieferung von „Leopard-Panzern“ in die Ukraine, los ging. Die blieb ab dann für fast vierzehn Tage lang erstmal die Nachricht Nr. 1 in Fernsehen und Zeitungen, bis die so genannte „Hängepartie“ „endlich“ beendet war.

Die Kampagne operierte mit allem, was aufzubieten war. Zunächst wurden Meldungen vom anstehenden Problem „fehlender“ Lieferungen im nüchternen Ton der Nachrichtensprecher:innen aufgefahren. Dann folgten Interviews mit den üblichen Verdächtigen, Strack-Zimmermann natürlich an vorderster Front und gleich mehrfach, aber auch Oppositionsführer Merz sowie Koalitionspolitiker, die bereit waren, ihr unfassbares „Unverständnis“ über den zaudernden Kanzler in Worte zu fassen.

Ein Leopard 2A6 beim Schuss

Weiter allabendlich Meldungen, wer in aller Welt sich bereits dafür ausgesprochen hatte, dass Deutschland endlich liefert – am 23.1. waren es demnach eine Reihe britischer Parlamentsabgeordneter und der lettische Ministerpräsident, Stimmen also, die man sonst eher nicht zu hören bekommt. Dazu die Ankündigungen verbündeter Staaten, wie Polen, die deutschen Panzer auch ohne die deutsche „Endverbleibsgenehmigung“ zu liefern – eine Ankündigung, die von den deutschen Medien nicht als dreister Vertragsbruch gewürdigt, sondern als Zeichen der Dringlichkeit interpretiert wurde.

Im Wirtschaftsforum Davos wurde – folgt man der Berichterstattung hierzulande – dieses Jahr auch nicht viel anderes diskutiert als die Frage nach den … Sie wissen schon. Und wenn Isabel Schayani mitten aus dem ukrainischen Kampfgetümmel sendete, gaben die von ihr interviewten Ukrainer in ihren Wohnungen wie Schützengräben zum Besten, dass nur „Leopards“ ihnen aus ihrer miesen Lage helfen können.

Alles in allem wuchs also „der Druck auf Olaf Scholz“ (ZDF-Heutejournal 23.1.). „Der Druck wuchs“ (wieder mal ein schönes „Geistersubjekt“!), weil die deutschen Mainstream-Medien ihn Tag für Tag erhöht haben. Hier wurde nicht über Politik berichtet, sondern Politik gemacht – ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie in diesen Redaktionen die Formel von der „4. Gewalt“ aufgefasst wird. Offenbar waren sich die Entscheider in Berlin in der Frage der Lieferungen eine Zeitlang nicht so ganz einig und die hiesige Presse sah sich aufgerufen, mit ihrem entschieden-vorwärtsweisenden Kriegsmoralismus nachzuhelfen.

Gleichzeitig zielte die Kampagne auf die deutsche Öffentlichkeit. Die war nämlich bis zur letzten Woche tatsächlich noch mehrheitlich der Meinung, dass Deutschland keine weiteren „schweren Waffen“ liefern solle, in Ostdeutschland dachten sogar zwei Drittel so. Nun steht es pari pari, 46 % sind dafür, 46% dagegen. Die Medien können sich also gratulieren – auch wenn die Meinung der deutschen Bevölkerung in diesen Fragen natürlich letztlich sowieso nicht von Belang ist (bestens zu sehen am Afghanistan-Krieg, gegen den sich zwanzig Jahre lang (!) eine deutliche Mehrheit ausgesprochen hat und der trotzdem problemlos Jahr für Jahr im Bundestag verlängert wurde).

Kanzler Scholz hatte vierzehn Tage lang wieder einmal keine gute Presse. Von „Zaudern“ und „Zögern“ war die Rede; er galt als Ursache für die „Hängepartie“, die deutsche Regierung wurde als „peinlicher Partner“ tituliert und Scholz sah wie üblich neben seiner von keinem Zweifel angekränkelten Außenministerin matt aus, wenn man die Regierung – wie in Demokratien üblich – am Kriterium von Führungsstärke misst. Andererseits heißt die Botschaft am Ende: Die Regierung hat es sich mit einer so schwerwiegenden Entscheidung keineswegs leicht gemacht, verdient also unser unbedingtes Vertrauen.

Und deshalb haben jetzt alle Bedenkenträger die Klappe zu halten, jedenfalls, wenn sie NATO-kritisch sind. Denn ansonsten ist die Lage ja noch gar nicht klar. Man fragt sich jetzt sogar, ob die Ukraine nicht schon zu sehr ruiniert ist, um Russland zu ruinieren; ob sie auch wirklich alles auftragsgemäß erledigt; ob nicht zu viel Korruption im Kiewer Regime herrscht, von der man neuerdings aus der deutschen, nicht aus der russischen Presse erfährt! Und – Überraschung – selbst die FAZ (28.1.2023) kennt Bedenken: „Man kann die westliche Strategie nicht nur an den Interessen der Ukraine ausrichten, das war schon immer ein Defizit von Teilen der deutschen Debatte. Kein Wunder also, dass nun als erste Strack-Zimmermann in Argumentationsnöte gerät.“

Umgekehrtes Spiel

Denn kaum war die Entscheidung für die Lieferung der „Leos“ gefallen, ging es andersrum los mit den besorgten Nachfragen der Presse. Hat die Bundeswehr eigentlich noch genug Panzer? Und könnten die Konsequenzen für Deutschland nicht doch einigermaßen dumm ausfallen, nukleare Gegenreaktion und so? Muss am Ende gar verhandelt werden?

Das Lustige (oder vielleicht auch gar nicht Lustige): Diese Argumente gab es selbstverständlich auch alle vor „der Entscheidung“. Da allerdings wurden sie von unseren liberalen und staatsfernen Journalist:innen aus dem nationalen „Diskurs“ – es gibt wirklich schöne Begriffe für eine Kampagne mit dem Inhalt „Mehr Panzer für die Ukraine und zwar schnell!“ – sauber ausgegrenzt.

Harald Kujat, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, aber auch Erich Vad, langjähriger Berater von Angela Merkel, beides natürlich hartgesottene Patrioten, die die Welt und ihre „Lage“ gewohnheitsmäßig daraufhin betrachten, wie die deutschen Interessen in ihr vor- bzw. vorankommen, hatten mit ihren Kommentaren zum aktuellen Kurs der deutschen Regierung in den Mainstream-Medien keine Chance. Kujat hat seine Bedenken dann in der Schweizer Online-Zeitschrift „Zeitgeschehen im Fokus“ zum Besten gegeben (das Overton-Magazin hat das Interview dann ebenfalls gebracht), Erich Vad in der Alice-Schwarzer-Zeitschrift „Emma“ (die bereits den „Offenen Brief an Scholz“ mit-initiiert hatte).

Halten wir für den Moment die Erkenntnis fest: Die Presse kann wirklich erheblich mehr als lügen!

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —     Leopard 2 mit einem Unterwasserfahrschacht für die Donau-Durchquerung in Münchsmünster

Abgelegt unter Deutschland_DE, Kriegspolitik, Medien, Positionen | 3 Kommentare »

Agora statt Sneakerladen

Erstellt von Redaktion am 2. Februar 2023

Für Städte könnte das eine Chance sein

Galeria Kaufhof Köln (4022-24).jpg

Ein Debattenbeitrag vin Svenja Bergt

Galeria Karstadt Kaufhof ist mal wieder in der Krise und die Einkaufsmeilen klagen zunehmend über Leerstand. Manche Einkaufsstraßen bieten nicht einmal in nennenswertem Umfang attraktive Sitzgelegenheiten.

An Feiertagen und eigentlich schon an einem ganz gewöhnlichen Sonntag könnte man in vielen Innenstädten, Fußgängerzonen oder Shoppingmalls einen Science-Fiction-Film drehen. Eine von diesen Weltuntergangsdystopien, in denen sich böse Roboter, Aliens oder Lavamassen durch die Straßen schieben. Doch weit und breit kein Mensch. Die Rollgitter des Mode-Flagshipstores heruntergelassen, das Innere des Kaufhauses dunkel und die Bildschirme des Elektronikmarkts blinken ihre Werbung einsam in die Winterdämmerung. Konsumorte, die ohne Konsum ihre Daseinsberechtigung verloren haben.

Das jüngste Wiederaufflammen der Dauerkrise beim Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof – alleine das Namenskonglomerat erzählt die Geschichte des Desasters – bringt es wieder in Erinnerung: das Sterben der Innenstädte. Lange schon wird beklagt, dass die betroffenen Einkaufszonen nicht nur längst mausetot, sondern bereits zu Fossilien geworden sind und wieder ausgegraben werden müssten.

Und so finden die Pa­lä­on­to­lo­g:in­nen bei der Untersuchung der Fossilien gleich eine Reihe an Todesursachen. Da wären: Die weitgehende Vereinheitlichung der Einkaufsstraßen mittels immer gleicher Ketten, so dass man, mit verbundenen Augen ausgesetzt, nach dem Abnehmen der Augenbinde auf Anhieb kaum sicher sagen könnte, ob man sich nun in Essen, Ulm oder Leipzig befindet. Die Verlagerung des Einkaufserlebnisses auf die grüne Wiese, was leider weder zu Vielfalt noch zu alternativen Konzepten in den Stadtzentren führte. Die Profitgier der Investor:innen, die auf eine zu vermietende Innenstadtfläche lieber den vierten Flagshipstore setzen, weil der mehr Umsatz und damit mehr Profit für die Im­mo­bi­li­en­ei­gen­tü­me­r:in­nen bringt als ein Café oder eine Bücherei. Der Online-Handel, der die Parameter Verfügbarkeit, Auswahl und Bequemlichkeit viel besser adressieren kann als jeder Laden vor Ort.

Schauen wir uns einmal um: Orte zum Verweilen? Zum Zusammenkommen? Orte ohne Konsumdruck? Manche Einkaufsstraßen bieten nicht einmal in nennenswertem Umfang attraktive Sitzgelegenheiten. Und wenn, dann gerne diese Bänke mit Armlehnen in etwa 40 Zentimetern Abstand, auf dass ja niemand auf die Idee kommt, sich dort hinzulegen. Von Orten mit Aufenthaltsqualität jenseits der Zehn-Minuten-Fast-Food-Pause zwischen Schuhladen und Drogeriekette ganz zu schweigen.

Und nun die beiden Meteoriten, die ultimativ für das Aussterben der shoppingzentrierten Monokulturen sorgen könnten: die Pandemie. Und die Inflation. Zwar zeigten die Januar-Zahlen des GfK-Konsumbarometers eine leichte Steigerung der Kauflaune. Doch das Niveau bleibt niedrig. Viele Menschen halten ihr Geld zusammen – freiwillig oder gezwungenermaßen. Die Marktforschung konstatiert, dass der Preis als Kaufargument in einem Rutsch auf Platz eins gelandet ist – Geschmack oder Qualität sind abgestiegen. Rund 70 Prozent der Kommunen klagen laut dem EHI Retail Institute über Leerstand in den Einkaufszonen. Und Galeria Karstadt Kaufhof plant einen massiven Stellenabbau und Filialschließungen.

Doch vor diesen Entwicklungen und den Folgen schließen viele Beteiligte lieber die Augen. Galeria Karstadt Kaufhof soll – nach einem ordentlichen Schrumpfungsprogramm – in einigen Jahren wieder schwarze Zahlen schreiben. Aus Unternehmensperpektive ist diese Strategie nachvollziehbar, auch Firmen haben systemische Selbsterhaltungsbestrebungen.

Was nicht nachvollziehbar ist, ist die Weigerung in weiten Teilen der Politik, jenseits punktueller Projekte darüber nachzudenken, was für die Konsumorte jenseits des Bekannten möglich wäre. Wie es weitergehen soll, wenn an die Stelle des Überkonsums etwas anderes treten muss. Was es bedeutet, wenn die über Jahrzehnte festgefahrene Funktion der Innenstadt als kommerzielles Zentrum zunehmend obsolet wird.

Denn aus kapitalistischer Sicht kann man die Veränderungen zwar bedauern – aus gesellschaftlicher Sicht sind sie begrüßenswert. Schließlich wird so Raum frei. Nicht nur physischer Raum. Sondern auch Raum, darüber nachzudenken, welche Funktionen, welchen Sinn eigentlich solche stadtpolitisch attraktiven Orte erfüllen sollten. Von Kultur über Wohnen bis zur Nahversorgung gibt es da einiges, was für eine Gesellschaft gewinnbringender wäre als eine Abfolge exklusiver Sneakers-, Elektronik-, und Interiorläden.

Quelle      :      TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —       Galeria Kaufhof Köln. Hohe Str./Ecke Gürzenichstr. Ehemals „Warenhaus Leonhard Tietz“ Architekt: Wilhelm Kreis.

Abgelegt unter Deutschland_DE, Köln, Medien, Positionen, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Die Kriegsfurie der CDU

Erstellt von Redaktion am 1. Februar 2023

Die Tiefschattenseite der EU-Sonnenkönigin v.d. Leyen

Giten Tag Friedrich – kann ich dir einen Pascha leyen

Ukronazi-Freundin. Kriegstreiberin. An die Spitze gehievt, nicht gewählt. Eine westeuropäische Groteske.

Quelle      :      Ständige Publikumskonferenz der öffentlichen Medien e.V.

Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, ohne Charisma und mit Spitznamen (in Deutschland) „Flinten-Uschi“, ist unheilbar „krank“. Das Kriegsfieber hat sie gepackt, ein bösartiges Symptom der russophoben Hirnhautreizung. Gegen die politische Enzephalitis gibt es keine Therapie. Zur Begrenzung der Ansteckungsgefahr wären Amtsenthebung und strikte Quarantäne erforderlich. Könnte Westeuropas Bevölkerung direkt wählen, wäre das möglich. Die EU laboriert aber nun an einer US-affinen Kommissionspräsidentin, die das höchste westeuropäische Amt gerne zur Verfolgung Washingtoner und persönlicher Anliegen missbraucht. Ein Musterfall von ideeller (und materieller?) Ruchlosigkeit.

Als Vorspeise eine kleine, nur leicht anrüchige Geschichte, kennzeichnend Madame. Sie besitzt neben anderen Immobilien ein herrschaftliches Landgut im niedersächsischen Beinhorn bei Celle. Es ist mit standesgemäßer Viecherei ausgestattet, ein Pony gehörte einst auch dazu. Jetzt nicht mehr, denn im September wurde das arme Luxustier von einem Wolf gerissen. Der Böse treibt seit langem sein Unwesen in der Region. Wölfe stehen jedoch unter Naturschutz.

Uns‘ Uschi setzte alle Hebel in Bewegung. Zuvorderst eine veterinäramtliche DNA-Untersuchung am privaten Pony zwecks Feststellung der „Täterschaft“. Mündend in die Einschaltung „ihrer“ EU-Kommission:

„Ich habe die Dienststellen der Kommission angewiesen, eine eingehende Analyse der Daten durchzuführen.“

„L’État, c’est moi!“, „Der Staat, das bin ich!“, behauptete der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. So auch das selbstherrliche Auftreten v.d. Leyens: Europa, das bin ich! Die EU-Kommission habe „angesichts der steigenden Zahl von Wolfsrudeln in Deutschland und Europa“ zu prüfen, ob der Status für die bislang streng geschützten Wölfe gelockert und die Tiere zügiger zum Abschuss freigeben werden könnten.

Fürsorge für alle Weidetierhalter – oder bloß das persönliche, emotionale Verlangen nach Genugtuung für den schmerzlichen Verlust?

„Die ganze Familie ist fürchterlich mitgenommen.“

hatte v.d. Leyen nach dem Tod des Ponys bekundet. Da musste natürlich die EU-Kommission ran, es trauerten ja nicht Hinz und Kunz. Klar?

Auf einem anderen Blatt

Weniger mitgenommen zeigt sich vdL, wenn ukrainische Menschenleben gewaltsam, oft auf grauenhafte Weise, beendet werden. Dann kann „Flintenuschi“ schon mal perverses Wohlgefallen äußern:

„Es ist beeindruckend, wie sie unsere Werte verteidigen, mit allem, was sie haben, bis zu ihrem Leben“,

schwärmte sie über ihre ukrainischen Neonazi-Freunde in Kiew. 100 000 ukrainische Soldaten sind nach ihren Angaben bereits gefallen, eine Äußerung, die sie wegen der Verärgerung des Selenskyj-Regimes sogleich zurücknahm und in der schriftlichen EU-Veröffentlichung löschen ließ. Gleichviel, inzwischen gibt es ohnehin Expertenaussagen über weit höhere Zahlen von ukrainischen Gefallenen:

„… derzeit 150.000, und es ist klar, dass ihre Bestände an Artillerierohren, Granaten und gepanzerten Fahrzeugen weitgehend erschöpft sind.“

Ohnehin ungenannt blieben die bisher 6 630 getöteten und 10 577 verletzten Zivilisten – und die unbekannte Zahl der russischen Gefallenen.

Kommissionspräsidentin v.d. Leyen ist Bannerträgerin der transatlantischen Drahtzieher und Kriegsgewinnler, die kurz nach Beginn der „Schlacht“ die Ukrainer von eigenständigen Friedensverhandlungen abgebracht und das Motto ausgegeben hatten: „Kämpfen bis zum letzten Ukrainer“. Ihre grausamen Menschenopfer dienen nicht der Freiheit einer demokratischen Ukraine (von Freiheit und Demokratie kann dort ohnehin keine Rede sein). Es passt in den Rahmen des propagandistischen Feindbildes, das diese Plutokraten-Dynastie und ihre politischen Erfüllungsgehilfen brauchen, um von inneren Schwierigkeiten ihres Herrschaftssystems und seinem Demokratiedefizit abzulenken.

Die Kriegsfurie

Ursula v.d. Leyen:

„Unsere unerschütterliche Unterstützung für die Ukraine wird nicht nachlassen …“

Panzerlieferungen inklusive. Kein Wort darüber, wie dieser Krieg am Verhandlungstisch beendet werden könnte. Unter der stahlhelmgleichen Betonfrisur ist kein Platz für Nachdenklichkeit und Suche nach friedlichen Lösungen. Mögen doch weiterhin Menschen verrecken, solange nur andere, vorzugsweise die aus v.d. Leyens gesellschaftlicher Klasse, sich daran dumm und dämlich verdienen.

Notabene: Der EU-Außenbeauftragte Borell gab die Tageslosung aus:

„Wir werden der Ukraine bis zum Sieg helfen.“

Verlogen und voller Demagogie unterstützen diese Figuren den Krieg:

„Die Ukrainer verteidigen nicht nur ihr Land, sondern auch die Grundprinzipien der Charta der Vereinten Nationen, der Grundrechte und des Völkerrechts.“

Klar doch. Wenn die Ukrainer das nicht machten, stünde „der Russe“ an der Atlantikküste und hätte längst alle westeuropäischen Frauen zwischen 13 und 73 vergewaltigt. Auf dieser Linie agitieren ganz wie einst die deutschen Monopolmedien, voran der öffentlich-rechtliche Bezahlrundfunk und die Büchsenspanner der ARD-aktuell:

„Wenn Deutschland will, dass dieser Freiheitskampf erfolgreich bleibt, dann muss es jetzt – abgestimmt mit den Bündnispartnern – schneller schweres Gerät liefern. Und eben auch: Kampfpanzer.“

Freiheit ist eben immer die Freiheit der Gleichgeschalteten, das hat die Journaille verinnerlicht. Das Flaschenlager der ARD in Hamburg-Lokstedt bildet keine Ausnahme.

Vorgeblich will vdL das dem EU-Steuerzahler abgenommene Geld

„gegen Korruption und für den Aufbau von Rechtsstaatlichkeit

in der Ukraine einsetzen, genauer: es zur Stabilisierung des bis ins Mark korrupten Staates und seines dito Präsidenten Selenskyj veruntreuen. Es handelt sich demnächst um einen Gesamtbetrag von 18 Milliarden Euro. Dass ausgerechnet v.d. Leyen das Wort „Korruption“ in den Mund nehmen kann, ohne dass bei ihr der Blitz einschlägt, beweist: Es gibt keine Gerechtigkeit, weder im Himmel noch auf Erden.

Bevor sie dank Angela Merkels Mogeleien mit Unterstützung von Ungarns Viktor Orbán aus Berlin nach Brüssel wegbefördert wurde, hatte vdL als Verteidigungsministerin unter schwerem Korruptionsverdacht gestanden. Ihre Gegenstrategie: Totalamnesie und Löschung aller verräterischen Daten auf ihrem Diensttelefon.

Uschis Sündenregister

2016 wurde bekannt, dass der Konzern McKinsey auf Veranlassung der Ministerin mit Beraterverträgen in Millionenhöhe gesalbt worden war, ohne vorherige Prüfung der Wirtschaftlichkeit, fallweise sogar ohne Ausschreibung. Die Rede war von 208 Millionen Euro. Typisch für v.d. Leyens unseriösen Stil: Sie machte die vormalige McKinsey-Managerin Katrin Suder zu ihrer Staatssekretärin.

David v.d. Leyen, ältester Sohn der EU-Chefin, war von 2015 bis 2019 als Associate der McKinsey&Company am Gewinn des Unternehmens beteiligt. Behauptet wird, dass der 36-jährige Sprössling nun über ein persönliches Vermögen von 3 Millionen Euro verfügt. Mamma mia.

Obwohl die Verstöße bei Vergabe der Beraterverträge erwiesen sind, blieb v.d. Leyen ungeschoren. Auch seitens der ARD-aktuell. Fatalistischer Tagesschau-Text

„Eins steht fest: Die Daten sind futsch.“

Trotz der mutmaßlich kriminellen Datenlöschung gingen die ARD-aktuell-Regierungsfunker nicht auf kritische Distanz. Was Wunder.

Der Apfel fällt nicht weit vom Pferde

Europas Gesicht und Stimme? Armes Europa. Ursula v.d. Leyen dagegen stammt aus vermögendem, einflussreichem Elternhaus. Es hat sie nachhaltig geprägt. Vater Ernst Albrecht war lange Zeit Niedersachsens Ministerpräsident, berüchtigter Lobbyist der Einführung kommerzieller Medien, eifernder Unterstützer  einer Zerschlagung der seinerzeitigen Drei-Länder-Anstalt Norddeutscher RundfunkBefürworter von staatlicher Folter und schweigender Mitwisser des Sprengstoffanschlags auf das Celler Gefängnis im Jahr 1978, ein vom Verfassungsschutz selbst als vorgeblicher RAF-Terrorakt inszeniertes Verbrechen.

Der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident Dr. Ernst Albrecht mit seiner Tochter Dr. Ursula von der Leyen, Bundesfamilienministerin.

Einfluss und Vermögen ihres Vaters erlaubten es dem Töchterlein, wiederholt das Studienfach zu wechseln und schließlich als „Langzeitstudentin“ nach 11 Jahren ein Medizinstudium zu beenden, das sie später mit einer wissenschaftlich anspruchslosen, dürftige 62 Seiten umfassenden und zu 43,5 Prozent abgeschriebenen Doktorarbeit „krönte“. Obwohl die Universität die Plagiate bestätigte, beließ sie der einflussreichen Abschreiberin den Doktortitel. Fadenscheinige Begründung des Uni-Senats: Die Plagiate seien nur ein „minderschwerer Fall“. Der Namensgeber der Universität Hannover, Gottfried Wilhelm Leibniz, dürfte seither im Grab rotieren.

Reden wir lieber über die ungeahndeten Geldskandale der in den Hochadel eingeheirateten „Flintenuschi“.

Alle von der EU eingesammelten Gelder für den weltweiten Kampf gegen Covid-19 – wir reden von 9,8 Milliarden Euro – gingen an Bill Gates beziehungsweise an Organisationen seines Einflussbereichs; eine überzeugende Begründung dafür fehlt.

Die EU hat allein bei BioNTech-Pfizer mindestens 2,4 Milliarden Dosen Impfstoff gekauft. Der Preis wird offiziell nicht genannt, doch gibt es Hinweise: 20 Dollar pro Dosis, insgesamt demnach 48 Milliarden Euro. Den Deal hat v.d. Leyen in persönlichen SMS mit Pfizer-Chef Albert Bourla eingefädelt.

Das EU-Parlament verlangte Einsichtnahme in diesen SMS-Verkehr. Kaltschnäuzig erklärte V.d. Leyens Behörde jedoch, solche digitalen Dokumente würden nicht archiviert. Inzwischen liegt der Fall bei der EU-Staatsanwaltschaft. Doch keiner ihrer Ermittler dürfte der Präsidentin wirklich heftig auf die Zehen steigen und sie zwingen können, ihre gezinkten Karten auf den Tisch zu legen.

Politisch unverwundbar

Der Fall ist noch nicht abgeschlossen, aber auch dieser Kelch wird an der First Lady vorübergehen. Das Meinungsoligopol, Tagesschau & Co. inbegriffen, berichtet eh nur halbherzig über den skandalös kriminellen Vorgang. Anders die bewussten, kritischen Medien. Sie informierten umfassend. Aber eine Deutungshoheit wie der Mainstream haben sie eben nicht. Das wird systematisch verhindert, sie werden verfassungswidriger Zensur unterworfen. mit steuerrechtlichen Tricks schikaniert, administrativ unter Druck gesetzt und von Staats wegen ausgespäht. So wird die breite Öffentlichkeit an einer freien, eigenständigen Meinungsbildung gehindert.

Ursula v.d. Leyen muss keine kritische Kontrolle seitens ARD-aktuell und des restlichen öffentlich-rechtlichen Rundfunks fürchten. Sie ist bestens vernetzt mit den Mächtigen dieser Welt. Der „Atlantic Council“ zeichnete sie anno 2021 aus. Beim Milliardärs-Geheimclub der „Bilderberger“ und beim Weltwirtschaftsforum WEF ist sie begehrter Gast.

Der Arzt und Mikrobiologe Peter Piot ist ihr Duzfreund. Seit Beginn der Corona-Pandemie auch ihr Berater, der nach ihren Worten

„… bei globalen Gesundheitsthemen alle relevanten Stakeholder kennt – die meisten persönlich. Sein Netzwerk von Wissenschaftlern bis hin zu Politikern, von den Chefs großer Pharmakonzerne bis hin zu führenden NGO-Aktivisten, sucht seinesgleichen. Das macht seine Ratschläge für die Politik besonders wertvoll.“

Verständlich (aber trotzdem ihre Informationspflicht verletzend) ist, dass sich die Mainstream-Journaille mit Einflussreichen von solchem Kaliber nicht anlegt. Das ist karrieredienlicher.

Bezeichnend für v.d. Leyens Empfänglichkeit ist ihre Brüsseler „Umbauaffäre“: Für die Präsidentin war im zentralen Verwaltungsgebäude der Brüsseler Behörde ein luxuriöser Wohnschlafraum mit Bad hergerichtet worden, Kosten: 72000 Euro. Für eine private Unterkunft in Brüssel stehen einer Präsidentin 4185 Euro monatliche Zulage zu. „Großmütig“ verzichtete v.d. Leyen mit Blick auf ihren amtlichen Wohnschlafraum auf 1500 Euro und streicht „nur“ 2685 Euro Zulage zu ihrem knappen Salär von über 30.000 Euro ein.

Dieser Frau ist nichts zu peinlich. Auch nicht die Inanspruchnahme eines Privatjets zur Bewältigung eines Katzensprungs von nur 50 Kilometern.

Madame sitzt im Glashaus und wirft trotzdem mit Steinen. Über die neueste Korruptionsaffäre im EU-Parlament klagte sie im Deutschlandfunk-Interview scheinheilig, es sei

„unendlich schmerzhaft, dass einige Abgeordnete sich offensichtlich mit krimineller Energie korrumpieren ließen“ 

Dass ein DLF-Journalist zu v.d. Leyens offensichtlicher Schamlosigkeit nichts anmerkte, versteht sich von selbst. Wegschauen können ist Befähigungsnachweis für Hofberichterstatter des beitragsfinanzierten Rundfunks.

Ein Kübel Gift

Das DLF-Gespräch hatte es in jeder Hinsicht „in sich“. Ein ordentlicher Happen Russenhass war auch dabei:

„Putin hat versucht, uns brutal zu erpressen auf dem Thema Energie.“

Beim „minderschweren Fall“ von Betrugsversuch mit einer abgekupferten Doktorarbeit verlor v.d. Leyen nur ihre Ehre und beschädigte das Ansehen eines Uni-Senats. Als EU-Kommissionspräsidentin den russischen Präsidenten fälschlich der „Erpressung“ zu bezichtigen, schadet hingegen Millionen EU-Bürgern. Darauf, dass jetzt aus Russland kein Gas mehr kommt, hatten es v.d. Leyen und EU-Kommission bereits vor zwei Jahren angelegt. Es passte ihnen nicht, dass Putin günstige und langfristige Lieferverträge anbot, was zu Preisrückgängen auf dem Gas-Markt geführt hatte.

Die EU-Führung plante ein Verbot langfristiger Verträge mit Russland.

Putin warnte:

„Wir haben mit … der Europäischen Kommission gesprochen, und alle ihre Aktivitäten zielten darauf ab, die sogenannten langfristigen Verträge auslaufen zu lassen. Es ging ihr um den Übergang zum Spot-Gashandel. Und wie sich heute herausgestellt hat, ist es offensichtlich, dass diese Praxis ein Fehler ist.“

Die EU-Führung aber wollte die russische Gasprom unbedingt drücken und westlichen Gasanbietern Marktanteile zuschustern. Die Gasprom hatte es seit zwei Jahren kommen sehen. Dass die EU-Politik auf dem Spotmarkt wahre Mondpreise für Flüssiggas aus USA einbringen würde, war marktzwangsläufig.

Russland bot trotz aller Spannungen weiter langfristige, günstige Lieferverträge an. Ungarn nutzte die Chance. Das passte der EU natürlich nicht. Es widerlegte v.d. Leyens giftige Behauptung, Putin manipuliere und erpresse.

EU-Präsidentin v.d. Leyen will damit verschleiern, dass ihre vollkommen missratene Energiepolitik uferlosen Schäden verursacht und bezichtigt deshalb Putin:

„Die Preise sind natürlich durch diese Manipulation von Putin exorbitant gestiegen, waren im August am höchsten Punkt. Heute sind sie über 80 Prozent gefallen, im Vergleich zum August.“

Methode: „Haltet den Dieb!“

Der Einkaufspreis für Gas ist zwar gefallen, aber die Nachlässe werden nicht weitergegeben. Der Verbraucherpreis im Vorjahr, mit 25 Cent auf absolutem Höchststand, liegt jetzt bei 14 Cent; das sind noch immer 100 Prozent über dem Niveau im Januar vorigen Jahres von 7 Cent.

„Unfähig und ein bisschen kriminell“

Ein Fazit. Gleichgültig, ob es ihre persönlichen Machenschaften, die Führung ihrer Amtsgeschäfte oder externe politische Vorgänge betrifft, Frau v.d. Leyen lügt wie gedruckt, wenn es ihr und ihrer politischen und persönlichen Corona in den Kram passt. Der Journalist, Satiriker und EU-Parlamentarier Martin Sonneborn knöpfte sich die Präsidentin gründlich vor:

„Als Sie Ihren Dienst hier antraten, dachte ich, Sie seien lediglich unfähig und ein bisschen kriminell. Inzwischen weiß ich, dass Sie auch beeindruckend moralfrei sind. An den Außengrenzen sterben täglich Flüchtlinge, Fracking-Gas und Atomkraft sind nachhaltig, und Sie löschen Ihre SMS zu den Milliarden-Zahlungen an Pfizer. Mir fällt zur EU nichts mehr ein. Außer: Wir sollten Europa nicht den Leyen überlassen!

Stimmt.

Ursula v.d. Leyen und ihre Gesinnungsfreunde repräsentieren den transatlantischen Ungeist, seine tragische, auszehrende Wirkung auf die gute Substanz und die Zukunft des Alten Europa. Diese Albtraum-EU-Präsidentin, mitverantwortlich für die Verlängerung des Ukraine-Krieges, gäbe es nicht – wahrscheinlich auch das ganze undemokratische, pompöse, aggressive, scheußliche EU-Konstrukt nicht –, wenn die Völker Westeuropas nach transparenten Meinungsbildungsprozessen, frei vom Einfluss der USA, in direkter Wahl über ihr Schicksal hätten entscheiden dürfen.

So darf und wird es auf Dauer nicht bleiben.

Quellen

https://www.agrarheute.com/land-leben/identifiziert-wolf-toetete-herbst-leyens-pony-601035
https://www.judid.de/eu-kommission-will-schutzstatus-fuer-woelfe-ueberpruefen/
https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/wolf-reisst-ursula-von-der-leyens-pony-dolly-18514538.html
https://germany.representation.ec.europa.eu/news/eu-kommissionsprasidentin-von-der-leyen-ukraine-verteidigt-beeindruckend-unsere-werte-2022-05-20_de
https://www.rnd.de/politik/von-der-leyen-100-000-tote-ukrainische-soldaten-ansprache-sorgt-fuer-irritation-BFHX6742Y42DY5MHLM2RCIJV7E.html
https://www.n-tv.de/politik/100-000-tote-Soldaten-Ukraine-ist-irritiert-article23754488.html
https://bigserge.substack.com/p/russo-ukrainian-war-the-world-blood?r=7ct73
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1297855/umfrage/anzahl-der-zivilen-opfer-durch-ukraine-krieg/
https://www.theguardian.com/commentisfree/2022/apr/28/liz-truss-ukraine-war-russia-conservative-power?CMP=twt_gu#Echobox=1651158610
https://de.finance.yahoo.com/nachrichten/leyen-eu-ukraine-so-lange-120624747.html
https://www.berliner-zeitung.de/news/ursula-von-der-leyen-fordert-kampfpanzer-fuer-ukraine-li.267564
https://lostineu.eu/borrell-wir-helfen-der-ukraine-bis-zum-sieg/
https://www.boerse.de/nachrichten/Von-der-Leyen-fuer-Panzerlieferungen-an-die-Ukraine/34487819
https://www.tagesschau.de/kommentar/waffenlieferungen-ukraine-115.html
https://germany.representation.ec.europa.eu/news/eu-kommissionsprasidentin-von-der-leyen-ukraine-verteidigt-beeindruckend-unsere-werte-2022-05-20_de
https://www.capital.de/wirtschaft-politik/wie-mckinsey-bei-der-bundeswehr-zu-auftraegen-kam
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-ursula-von-der-leyen-plant-millionenbudget-fuer-berater-a-1082706.html
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/katrin-suder-neue-vorwuerfe-gegen-ex-staatssekretaerin-im-verteidigungsministerium-a-8c3e9b9a-5030-4861-a386-087e1a4caefa
https://www.epochtimes.de/politik/deutschland/david-von-der-leyen-mckinsey-und-auftraege-aus-dem-verteidigungsministerium-a2666304.html
https://www.networthacademy.me/david-von-der-leyen-age-net-worth/
https://www.tagesschau.de/inland/berateraffaere-109.html
https://www.juraforum.de/lexikon/datenveraenderung
https://www.deutschlandfunk.de/oeffentlich-rechtlich-vs-privat-100.html
https://das-blaettchen.de/2012/07/folter-ganz-demokratisch-14268.html
https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/1987/-,panorama12350.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Ursula_von_der_Leyen
https://www.uni-hannover.de/de/universitaet/profil/leibniz/
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/qanda_20_958
https://www.finanzen.net/nachricht/aktien/lieferung-bis-2023-biontech-pfizer-impfstoff-eu-kauft-bis-zu-1-8-milliarden-weitere-dosen-10114774
https://de.statista.com/infografik/23690/preise-fuer-eine-dosis-ausgewaehlter-covid-19-impfstoffe/
https://netzpolitik.org/2022/100-000-unterschriften-von-der-leyen-soll-chats-mit-pfizer-chef-offenlegen/
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/131360/Von-der-Leyen-wegen-SMS-an-Pfizer-zu-Impfdeal-unter-Druck
https://www.derstandard.de/consent/tcf/story/2000140063063/ermittlungen-wegen-eu-impfstoffkaeufen-was-bisher-bekannt-ist
https://linkezeitung.de/2022/10/23/grenzenlos-die-korruption-der-ursula-von-der-leyen/
https://www.labournet.de/interventionen/grundrechte/kommunikationsfreiheit/netzzensur/der-krieg-bedroht-auch-die-pressefreiheit-fuer-das-recht-rt-und-sputnik-zu-boykottieren-gegen-staatliche-zensur/
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169076.gemeinnuetzigkeit-nachdenkseiten-verlieren-gemeinnuetzigkeit.html
https://mmm.verdi.de/beruf/hausdurchsuchung-bei-radio-dreyeckland-86457
https://www.sueddeutsche.de/politik/berliner-verfassungsschutz-kenfm-ken-jebsen-1.5306180
https://www.atlanticcouncil.org/news/press-releases/atlantic-councils-distinguished-leadership-awards-gala-to-honor-ursula-von-der-leyen-dua-lipa-albert-bourla-ugur-sahin-and-ozlem-tureci/
https://www.infosperber.ch/politik/welt/die-geheime-macht-der-bilderberg-gruppe/
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wef-2023-weltwirtschaftsforum-davos-1.5732650
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/SPEECH_21_3288
https://www.handelsblatt.com/politik/international/72-000-euro-fuer-zimmer-eu-kommission-verteidigt-kosten-fuer-von-der-leyens-einzimmer-wohnung/25477986.html
https://www.tagesspiegel.de/politik/von-der-leyen-fliegt-50-kilometer-im-privatjet-5125504.html
https://www.deutschlandfunk.de/interview-der-woche-ursula-von-der-leyen-100.html
https://www.economist.com/the-economist-explains/2021/10/27/could-europe-manage-without-russian-gas
https://www.businessworldreport.com/europe-financial-news/eu-aims-to-scrap-long-term-gas-supply-contracts/
https://www.cnbc.com/2021/10/06/europe-made-mistake-in-ditching-long-term-gas-deals-putin.html
https://www.spglobal.com/commodityinsights/en/market-insights/latest-news/natural-gas/042921-gazprom-sees-2021-european-gas-exports-in-range-of-175-183-bcm-burmistrova
https://www.forbes.com/sites/ianpalmer/2021/08/19/why-lng-exports-from-the-us-are-off-to-the-moon/
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/gas-ungarn-gazprom-ukraine-krieg-russland-100.html
https://www.tageblatt.lu/nachrichten/international/bruesseler-milliarden-poker-gegen-orban/
https://www.deutschlandfunk.de/interview-der-woche-ursula-von-der-leyen-100.html
https://energiemarie.de/gaspreis
https://www.telepolis.de/features/Europa-nicht-den-Leyen-ueberlassen-7265667.html
https://www.deutschlandfunk.de/volksabstimmung-in-den-niederlanden-referendum-als-102.html
https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-europalexikon/177232/referenden-zum-eu-vertrag/

Anmerkung der Autoren:

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —         Secretary of Defense Ash Carter is speaks with German Defense Minister Ursula von der Leyen and Atlantik-B. Chairman Friedrich Merz as he arrives at the Allianz Forum in Berlin, Germany, as part of a European trip June 22, 2015. Secretary Carter is traveling in Europe to hold bilateral and multilateral meetings with European defense ministers and to participate in his first NATO ministerial as Secretary of Defense. (Photo by Master Sgt. Adrian Cadiz/Released)

Abgelegt unter Europa, Medien, P.CDU / CSU, Positionen | 1 Kommentar »

Welt der Hungernden

Erstellt von Redaktion am 31. Januar 2023

Mehr Umverteilung verhindert Extremismus

Quelle      :        INFO Sperber CH.

Von       :     Felix Gnehm /   Forderungen nach einer Reduktion von Ungleichheit sind wissenschaftlich begründet, sagt der Direktor von Solidar Suisse.   — psi. Dies ist ein Gastkommentar von Felix Gnehm, Direktor von Solidar Suisse.

Extreme Ungleichheit bewegt die Gemüter. Nach der Veröffentlichung des neuen Oxfam Reports über die weltweit extreme Ungleichheit äusserte sich die NZZ im Kommentar «Oxfam: Die Beschäftigung mit den Reichen zeigt zunehmend obsessive Züge» zur wachsenden Ungleichheit und zur Idee der steuertechnischen Umverteilung, um weltweite Armut zu verringern. Nur liess sich die Zeitung als Quintessenz zur Aussage verleiten, Oxfams Beschäftigung nehme obsessive Züge an, anstatt sich dem Problem der wachsenden Ungleichheit und damit verbunden den Problemen in unserem Wirtschafts- und Steuersystem anzunehmen.

Ein kleiner Prozentsatz würde genügen

Die Wahrheit ist: Der jährlichen Finanzierungslücke der globalen Entwicklungsagenda 2030 von 2,5 Billionen US-Dollar steht ein globales Privatvermögen von 463 Billionen US-Dollar gegenüber. Es bräuchte also jährlich lediglich 0,005 Prozent des verfügbaren Privatvermögens, um weltweit allen Menschen Zugang zu sauberem Wasser, menschenwürdiger Arbeit, gesunder Ernährung, Bildung oder Gesundheit zu verschaffen. Dass sie stattdessen Social-Media-Plattformen kaufen, sich im Raketenwettfliegen betätigen oder im Pazifik dem Eskapismus frönen, sei dahingestellt. Wir sollten uns jedoch erstens fragen, welche Auswirkungen extreme Ungleichheit auf Gesellschaft und Wirtschaft hat, und zweitens, welchen Grad von Ungleichheit wir in unseren Gesellschaften wollen.

IWF: Steuerpolitik als wirksames Werkzeug

Zu den Auswirkungen stellte sogar Chinas Präsident Xi Jinping fest: «Das Problem der Einkommensungleichheit verschärft das Wohlstandsgefälle und führt zum Zusammenbruch der Mittelschicht, zu sozialer Spaltung und zu politischer Polarisierung, was den Populismus verschärft. China muss entschlossene Anstrengungen unternehmen, um eine Polarisierung zu verhindern und um soziale Harmonie und Stabilität zu verwirklichen.» Er muss es wissen, steht Chinas unbestrittenen Erfolgen mit höheren Durchschnittseinkommen dank Wirtschaftswachstum eine massive Verschärfung von wirtschaftlicher und soziopolitischer Ungleichheit gegenüber. So sehr China als Poster-Boy der Armutsreduktion gelobt wird, so ohnmächtig steht der neue ökonomische Superstar den jährlich über zehntausend öffentlichen Protesten der unzufriedenen Bevölkerung, den 99 Prozent, gegenüber.

Unsere Forderung nach einer Reduktion von Ungleichheit entspringt also weniger einer obsessiven Fixierung auf Superreiche als soliden politischen und wirtschaftswissenschaftlichen Handlungsempfehlungen. Die Weltbank hält fest, dass eine hohe und anhaltende Ungleichheit «nicht nur moralisch falsch, sondern auch ein Symptom für eine kaputte Gesellschaft ist». Sie führe zu verfestigter Armut, ersticktem Wachstum und sozialen Konflikten.

Folgerichtig rät der Internationale Währungsfonds (IWF), die Ungleichheit zu bekämpfen, und empfiehlt einen Mix aus politischen Instrumenten, die den Eintritt in den Arbeitsmarkt ermöglichen und faire und sozialverträgliche Arbeitsmarktbedingungen gewährleisten. Dies führe die notwendigen Korrekturen der Ungleichheiten durch Umverteilung herbei. Länder, die mehr für Bildung, Gesundheit und Sozialschutz ausgeben und ein stärker umverteilendes Steuersystem haben, sind im Durchschnitt erfolgreicher bei der Verringerung der Ungleichheit. Dabei hält der IWF die Steuerpolitik für das agilste und wirksamste Instrument zur Eindämmung von Ungleichheiten.

Die aktuelle Zunahme von Superreichtum und Ungleichheit kann bei weitem nicht als unproblematisch bezeichnet werden. Es verwundert daher nicht, dass sich die Positionen von so verschiedenen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Entwicklungsagenturen wie Solidar Suisse, Oxfam, Weltbank, IWF, SECO und DEZA hier decken. Alle unterstützen das nachhaltige Entwicklungsziel Nummer 10 der UNO-Agenda 2030, nämlich «die Ungleichheit innerhalb von und zwischen Staaten zu verringern».

Ungleichheit fördert den Radikalismus

Karte des Anteils an Menschen, die chronischen Hunger erleiden (2021) – dunkelblau: <2,5 %, hellblau: 2,5–4,9 %, grün: 5–14,9 %, orange: 15–24,9 %, rot: 25–34,9 %, dunkelrot: >35 %, grau: keine Daten

Der anlässlich des WEF publizierte Oxfam-Report zeigt auf, dass wir seit der Covid-19-Pandemie sogar in die entgegengesetzte Richtung gehen und uns vom Soll-Zustand weit entfernen. Solidar Suisse hält es für ein grosses gesellschaftliches Problem, dass sich auch das Vermögen der 41 Schweizer Milliardär*innen seit Beginn der Pandemie bis November 2022 um 52 Prozent erhöht hat.

Wie wenig Steuern müsste man nun abschöpfen, um beispielsweise das Solidar-Schwerpunktland Burkina Faso aus der Krise zu führen. Der bitterarme Sahelstaat verfügt über jährliche Staatseinnahmen von höchstens drei Milliarden Schweizer Franken. Verzweifelt kämpft das Land gegen die Radikalisierung von jungen Menschen, die sich in der Folge zu lokalen Terrortrupps rekrutieren lassen, anstatt die Schulbank zu drücken.

Je mehr Menschen es gibt, die hungern, kein Wasser haben, es nicht vermögen, ihre Krankheiten zu behandeln und ihre Kinder zur Schule zu schicken, desto schlechter ist der Zustand einer Gesellschaft. Wenn nun in derselben Gesellschaft das Vermögen der Reichsten ständig zunimmt, wächst verständlicherweise auch die Unzufriedenheit. Dies ist gefährlich, denn sie bildet den Nährboden für politische Radikalisierung und Populismus. Auch hier: Wissenschaftliche Untersuchungen machen als Grund von Radikalisierung die soziopolitische und wirtschaftliche Ungleichheit aus. Extreme Ungleichheit ist also tatsächlich ein Problem. Störend ist nicht, dass wenige Menschen ganz viel besitzen, sondern, dass so viele Menschen so viel weniger besitzen als die wenigen Superreichen.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —      Ein Arzt misst den Armumfang eines unterernährten Kindes in der Demokratischen Republik Kongo

****************************

Unten        —        Karte des Anteils an Menschen, die chronischen Hunger erleiden (2021) – dunkelblau: <2,5 %, hellblau: 2,5–4,9 %, grün: 5–14,9 %, orange: 15–24,9 %, rot: 25–34,9 %, dunkelrot: >35 %, grau: keine Daten

Allice Hunter – Hunger Map 2021 | World Food Programme. Empty map: File:World map (Miller cylindrical projection, blank).svg

Abgelegt unter APO, International, Medien, Positionen, Sozialpolitik | 1 Kommentar »

Die Zweifel sind angemessen

Erstellt von Redaktion am 26. Januar 2023

Deutschland will Kampfpanzer liefern

File:Kampfpanzer Leopard 2A4, KPz 4.JPG

Ein Debattenbeitrag von Pascal Beucker

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich entschieden, Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu liefern. Das ist eine schwierige, aber richtige Entscheidung. Zu keinem Zeitpunkt wären Linke auf die Idee gekommen, vom Vietkong zu fordern, sich den USA zu unterwerfen.

Deutsche Panzer rollen für den Sieg? Wenn das nur so einfach wäre. Nein, die Lieferung von ein paar Leopard-2-Panzern wird der Ukraine nicht den Sieg gegen Russland bescheren. Das zu behaupten, beruht entweder auf Unkenntnis über die schlechte militärische Lage oder Scharlatanerie. Tatsächlich ist die Ukraine in einer Situation, in der sie neues militärisches Material dringend braucht, um den Krieg gegen Russland nicht zu verlieren. Das ist ein wesentlicher Unterschied.

Dass es sich Bundeskanzler Olaf Scholz – anders als die gelb-grün-schwarze Salonfeldherr:innen-Fraktion um Agnes Strack-Zimmermann, Anton Hofreiter und Friedrich Merz – nicht so leicht mit seiner Entscheidung gemacht hat, war angemessen. Sehr genau abzuwägen, was dem jeweiligen Kriegsverlauf entsprechend an Unterstützung der Ukraine notwendig, sinnvoll und verantwortbar ist, ist genau das, was die Bürgerinnen und Bürger von ihrem Regierungschef verlangen können.

Waffenlieferungen sind nichts, über das öffentlich auf einem Basar gefeilscht werden sollte, sondern sie bedürfen sehr sorgsamer politischer und militärischer Abwägung. Jetzt hat Scholz seine Entscheidung in Abstimmung mit den USA getroffen. Und die ist – auch wenn dieses Zugeständnis jemandem, der in der Friedensbewegung sozialisiert wurde, äußerst schwerfällt – unter den gegebenen Verhältnissen wohl richtig. Denn die Lieferung bedeutet keine Eskalation des Krieges, sondern sie steigert die Chance, dass die Ukraine nicht von Russland okkupiert wird. Der Kampf bleibt auch so noch schwer genug, der Ausgang des Krieges ist völlig offen.

Gleichwohl werden die Panzerlieferungen des Westens die bittere Folge haben, dass Russland den Krieg weiter eskalieren wird. Denn das entspricht der russischen Militärstrategie. Das muss jedem und jeder bewusst sein. Die Konsequenz daraus kann allerdings nur sein, zum Schutz der Menschen in der Ukraine so viele Flugabwehrsysteme wie möglich zu liefern. Auch wenn es sekundär in der öffentlichen Diskussion erscheint, ist das für die Menschen in der Ukraine noch wesentlich wichtiger als die Lieferung von irgendwelchen Panzern.

Putins „rote Linie“

Wenn die USA und die Staaten der Europäischen Union ihre militärische Unterstützung nicht ausweiten, ist die Ukraine verloren. So einfach ist das. Leider. Zu behaupten, mit der Lieferung von Kampfpanzern westlicher Bauart würde eine „rote Linie“ überschritten, ist dabei eine lächerlich formalistische Argumentation, die einerseits die bisherigen umfangreichen deutschen Lieferungen an die Ukraine ausblendet, zum anderen unangemessen überheblich ist, weil es die Kampfkraft der zahlreichen Kampfpanzer sowjetischer Provenienz im ukrainischen Einsatz unterschätzt. Das Problem ist nur, dass in dem gegenwärtigen Abnutzungskrieg deren Einsatzfähigkeit zur Neige geht.

Wie auch immer: Putin definiert seine „rote Linie“ rein nach Gutdünken. Die Entscheidung, Kampfpanzer aus deutscher Produktion in eine Kriegsregion zu liefern, darf nie eine einfache sein, schon gar nicht, wenn es um ein Gebiet geht, in dem einst die deutsche Wehrmacht gewütet hat. Vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit ist es auch völlig legitim, wenn die Linkspartei lautstark Waffenlieferungen gänzlich ablehnt.

Wobei jeder und jede, der oder die für immer mehr und immer schwerere Waffenlieferungen eintritt, sich ohnehin bewusst sein sollte, dass er oder sie auf Kosten vieler ukrainischer Menschenleben falsch liegen kann. Fehlender Zweifel ist in Kriegszeiten höchst gefährlich. Und immerhin entspricht die Ablehnung immer weitergehender Waffenlieferungen der Auffassung eines großen Teils der deutschen Bevölkerung, die ernst zu nehmen ist. Das beruht vor allem auf der Angst, Deutschland könnte in den Krieg gezogen zu werden.

Zur Wahrheit gehört: Niemand im Westen weiß, was und wo Putins „rote Linie“ ist. Russland hat die Kapazitäten, mit seinen Atomwaffen die Welt zu zerstören. Dass der Kampf um die Ukraine Putin zur Vernichtung der Menschheit treiben könnte, ist allerdings mehr als unwahrscheinlich – aber gleichwohl leider nicht undenkbar. Gerade diejenigen, die ihn zu einem „Irren“ erklären, mit dem nicht mehr verhandelt werden könnte, sollten ein solch irrationales Handeln nicht von vorneherein ausschließen. So unbefriedigend es ist, es bleibt nichts anderes, als Wahrscheinlichkeiten abzuwägen.

Auch Atommächte können verlieren

Dazu zählt, dass die Argumentation der Linkssfraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali im Gleichklang mit Sahra Wagenknecht mehr als fragwürdig ist, eine Atommacht könne generell keinen Krieg verlieren. Das erscheint schon arg putinpropagandistisch. Denn, und das müssten beide wissen, es ist historisch schlicht falsch: Die Niederlagen der USA in Vietnam und der Sowjetunion sowie der USA in Afghanistan sind schlagende Gegenbeispiele.

Gut und richtig ist das Insistieren der Linkspartei auf ein stärkeres deutsches Engagement für eine Verhandlungslösung. Aber dabei darf nicht ignoriert werden, dass es zuvorderst Russland ist, das keinerlei ernsthafte Verhandlungsbereitschaft erkennen lässt. Stattdessen propagiert das Putin-Regime unverdrossen, an seinen imperialistischen Kriegszielen ohne Abstriche festzuhalten, also an der Unterwerfung der Ukraine.

War 2

Einer größeren Glaubwürdigkeit der Linkspartei würde es zudem dienen, wenn sie sich unabhängig von der Frage der Waffenlieferungen unzweideutig auf die Seite der Überfallenen stellen würde und stets zuvorderst den vollständigen Rückzug Russlands aus der Ukraine fordern würde. Unabhängig davon, ob man es für realistisch hält. Es geht schlicht um eine klare Haltung. Und daran mangelt es Wagenknecht & Co.

Wer meint, wie unlängst die Linkspartei-Abgeordnete und Wagenknecht-Getreue Sevim Dagdelen, die Befürwortung deutscher Waffenlieferungen sei vergleichbar mit der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten 1914, steht jedenfalls zumindest ideologisch im Sold des faschistoiden Putin-Regimes.

Ja, es stimmt, dass an jedem Tag, an dem dieser Krieg noch andauert, zahlreiche Menschen ihr Leben verlieren. Aber was ist die Konsequenz daraus? Dass die Ukraine schnellstmöglich kapitulieren soll? Zu keinem Zeitpunkt wären Linke auf die Idee gekommen, vom Vietkong zu fordern, sich den USA zu unterwerfen. Obwohl bis zu vier Millionen Menschen letztlich im Vietnamkrieg ihr Leben verloren haben. Davon sind wir im Ukraine-Krieg noch weit entfernt.

Bittere Ambivalenz

Quelle        :        TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —    Im Zuge einer Road-Show zeigte das Österreichische Bundesheer im Dornbirner / Hohenemser Steinbruch den Kampfpanzer Leopard 2A4. Er ist das Hautwaffensystem der österreichischen Panzertruppe. Als Hauptwaffe verfügt der Panzer über eine 120 Millimeter Kanone. Die starke Motorisierung sorgt trotz der starken Panzerung für die enorme Beweglichkeit des Fahrzeuges.

Author böhringer friedrich          /      Source    :       Own work      /     Date       :    1 October 2011

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license.

***************************

Unten       : War 2

Abgelegt unter Asien, Debatte, Europa, Kriegspolitik, Medien, Positionen | 1 Kommentar »

Ästhetisierung der Politik

Erstellt von Redaktion am 26. Januar 2023

Quasi-faschistische Meta-Politik als Anti-Politik?

File:Alex Jones DC Press Conference 2018.jpg

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von     :    Jonathan Eibisch

Im Folgenden Beitrag wird der von manchen Journalist*innen gelegentlich aufgeworfenen Frage nachgegangen, ob sich der rechte Mob anarchistischen Praktiken und Motiven bedient und es sich damit um eine Anti-Politik im anarchistischen Sinne handeln würde.

Am 09.01. stürmten tausende aufgebrachte Anhänger*innen von Jair Bolsonaro das Kongress-Gebäude in Brasilia. Sein Rivale Lula da Silva, der bereits 2003 bis 2011 Präsident war, hatte den Faschisten im zweiten Wahlgang mit äusserst knappem Vorsprung abgelöst. Bolsonaro – beziehungsweise seinem politischen Netzwerk – war es in den Jahren zuvor wie nur Trump gelungen, ein Bündnis aus Unternehmern, Militärs und Evangelikalen zu schmieden. Insbesondere Letztere waren entscheidend dafür, die Aufmerksamkeit armer Favela-Bewohner*innen vom sozialen Elend auf jenseitige Heilsversprechen zu lenken und damit Stimmen für die Reaktionären generieren. Auch der Wahlkampf verlief äusserst schmutzig, wobei die Polarisierung der Gesellschaft das grösste südamerikanische Land zu einem Pulverfass werden liess. So blockierten etwa unzählige LKW-Fahrer, die Bolsonaro unterstützen, den Verkehr – ein spürbarerer und kostspieligerer Protest als jede Latschdemo, auf der noch so viel Unmut herausgerufen wird…Abgesehen davon, dass die Einsetzung der neuen Regierung in Brasilien am 01.01. geschah, wiederholt der aufgebrachte Mob gewissermassen den Sturm auf das Kapitol in Washington DC, der zwei Jahre zuvor, am 06.01.2021 stattgefunden hatte. Wer sich erinnert: Irgendwie hatte es die Polizei nicht wirklich geschafft, die wütenden Rechtsradikalen davon abzubringen, in das Regierungsgebäude zu stürmen, dort Einrichtungsgegenstände zu zertrümmern und die heiligen Symbole des Staates zu schänden. Selbiges geschah in Brasilien, nur eben nicht unter blau-rot-weissen Farben, sondern mit grün-gelben.Wer erinnert sich noch an den seltsamen Q-Anon-Schamenen „Jake Angeli“? Was uns in besseren Zeiten ein lautes Lachen aus dem Hals locken sollte, verbreitet sich via Internet wie Gift in die Rest-Herzen und -Hirne verängstigter und verblödeter politischer Idiot*innen. Und das auch in der BRD. So haben auch wir unsere paranoiden und narzisstischen Propagandist*innen des Wahnsinnes, wie Attila Hildmann und den von ihm mitgetragenen „Sturm auf den Reichstag“ am 29.08.2020 gegen die vermeintliche „Corona-Diktatur“.

Manche Lesende werden sich daraufhin irritiert fragen: Was ist denn da los? Staats-Verachtung, Parlaments-Besudelung, direkte Aktionen – ja haben wir es hierbei etwa Anarchist*innen zu tun? Die Antwort lautet nein. Und gleichzeitig stimmt es, dass die neue Rechte ihre aufgehetzten Ultras zum eigenmächtigen Handeln anstachelt, welches damit nicht mehr als Markenzeichen des Anarchismus schlechthin gelten kann. Selbstbestimmung ist allerdings etwas anderes: Denn das scheinbar kopflose Handeln der Vigilant*innen unterliegt gleichwohl einer gewissen Steuerung der Affekte durch für sie mitverantwortliche Verschwörungsprediger wie Alex Jones oder die zahlreichen bekannten oder anonymen rechte Influencer und Hetzer.

Faschisten kopieren, wo sie können und instrumentalisieren, was immer sie unter die Finger kriegen, für ihre Zwecke. Und das nicht erst seit der Ära der von einigen Medien so bezeichneten „Anti-Politiker“ wie Trump und Bolsonaro, die sich selbst als underdogs im politischen Establishment inszenieren, während sie aggressive Protagonisten der besitzenden und herrschenden Klassen sind. Aufgrund der ökologischen Katastrophe, sozialen Verelendung, schwindenden Kapitalverwertung und Gleichheitsforderungen verschiedener Minderheitsgruppen, verliert das um seinen Status bangende Bürgertum im Rechtspopulismus seine Contenance, wie wir weltweit sehen.

So lässt sich also fragen, ob es bei diesen Entwicklungen tatsächlich um eine Anti-Politik von Rechtsaussen handelt, wie ab und zu verschiedene Journalist*innen es formulieren. Immerhin werden unliebsame, aber dennoch zuvor als legitim erachtete, politische Verfahren, Institutionen und Symbole mit Füssen getreten. Demokratischen Politiker*innen wird respektlos begegnet, wenn ihnen nicht direkt mit dem Galgen gedroht wird (eine insbesondere in Sachsen ausgeprägte, verrohte Sitte).

Die Distanzierung geschieht ebenso kognitiv wie emotional. Geglaubt wird an einen bunten Flickenteppich aus allen möglichen Verschwörungsmythen und Stammtischparolen, während wirre Germanen-Sekten und Reichsbürger-Stämme aus dem Boden spriessen, wo man gehofft hat, zumindest ein Quäntchen mehr Geschichtsbewusstsein zu finden. Da ist auch – wie etwa bei Alexander Dugin – die Rede von einer Neugründung der Gesellschaft. Nur eben, dass diese enorm homogen und rassistisch, anti-modern und militaristisch, homophob und queer-feindlich sein soll. Eine klare Ständegesellschaft mit autokratischem Staat für das 21. Jahrhundert erstrebt das Bündnis der Reaktionären.

Doch eine Annahme, hierbei bestünden irgendwie Parallelen zum Anarchismus, kann nur treffen, wer sich nicht mit diesem beschäftigt. Vor allem verbleiben solcherlei Annahmen in einem liberal-demokratischen Verständnis von Politik, welches sich aber als völlig unzulänglich erweist, um gesellschaftliche Entwicklungen in Umbruchszeiten adäquat zu erfassen. Abgesehen von der Adaption anarchistischer Praktiken und Narrative durch Rechtspopulist*innen seit dem sogenannten „Anarcho-Kapitalismus“ bis hin zum verkorksten „National-Anarchismus“, handelt es sich bei Quasi-Faschismus und Anarchismus um grundlegende Gegensätze.

Und in dieser Rolle bezieht sich der Anarchismus selbstredend nicht auf die bestehende parlamentarische Demokratie oder will die bürgerliche Gesellschaft oder den liberalen Kapitalismus verteidigen, sondern die soziale Revolution gegen den Faschismus ins Feld führen. Dies bedeutet eine Kritik an verstaatlichter Politik zu üben und zu praktizieren, während zugleich im Streben nach Autonomie andere Beziehungen und Institutionen aufgebaut werden. Dazu gilt es sich bisweilen notgedrungen auch auf das politische Terrain zu begeben – aber mit aller gebotenen Skepsis ihm gegenüber. Dies ist die anarchistische (Anti-)Politik. Aus rechtspopulistischer Sicht tritt sie für einen „Great Reset“ ein, der allerdings durch organisierte und entschiedene soziale Bewegungen umgesetzt wird, statt das er das geheime Werk vermeintlicher Welteliten wäre.

Mit der quasi-faschistischen Meta-Politik dagegen soll ja in keiner Weise Politik als vermachtetes Terrain mit extrem ungleich verteilten Machtressourcen problematisiert, geschweige denn abgeschafft werden. Den konformistischen Rebell*innen geht es vielmehr darum, nach unten zu treten, die eigenen Privilegien mit Gewalt zu verteidigen und Schwächere (ob Migrant*innen, arme oder queere Menschen, Klimaschützer*innen, Feministinnen oder kritische Intellektuelle) gänzlich aus der Politik auszuschliessen. Keine institutionell vermittelte, sondern direkte politische Herrschaft ist das Ziel. Mit dem Quasi-Faschismus soll also durch Politik umso mehr Staatlichkeit – als zentralisierendes, autoritäres und hierarchisches Prinzip – in alle gesellschaftlichen Bereiche durchgesetzt werden. Meta-Politik wird daher zwar vom aufgehetzten Fussvolk durchgeprügelt, nicht aber durch die Bewohnenden eines Landes im demokratischen Sinne. Dabei definiert sich das Fussvolk der herrschenden Ordnung – trotz strategisch platzierter Quoten-Schwarzen, -Frauen, -Schwulen – im Wesentlichen nach ethnischer Zugehörigkeit und hegemonialer Untertanenkultur.

Anhänger*innen quasi-faschistischer Meta-Politik zielen daher auf die Ästhetisierung der Politik und ihre Vertiefung in alle gesellschaftliche Bereiche ab. Sie wollen Staatlichkeit total machen, um in ihrer menschlichen Verkommenheit und Entfremdung zumindest einen geringen Anteil an der politischen Herrschaft zu erhalten. Mit anarchistischer Anti-Politik soll der Politik dagegen vor allem etwas entgegengesetzt werden, um diese auf ihr Terrain zu verweisen und in anderen Bereichen gesellschaftliche Transformation anzustrengen: In den Individuen, dem Soziale, der Ökonomie, Gemeinschaften, Kultur, Ethik oder Utopie werden Bezugspunkte gesucht, wie Gesellschaft sonst verändert und gestaltet werden kann. Durch quasi-faschistische Meta-Politik mutiert staatliche Politik dagegen zum grausamen Selbstzweck – und offenbart damit das ihr innewohnende Monster kratós, die nackte Staatsgewalt, welche Souveränität aus sich selbst heraus schöpft. Durchgreifen, durchregieren, durch-reglementieren soll sie, koste es, was es wolle.

Auch wenn Reflexe in diese Richtung verständlich sind, ist es leider keine Lösung, sich darüber erschrocken in kapitalistischen Konsummöglichkeiten, romantischen Subkulturen, intellektueller Schöngeistigkeit oder exzessiver Weltflucht zu verlieren. Vielmehr gilt es, sich aktiv zur Wehr zu setzen und Orientierung für die Möglichkeiten einer libertär-sozialistische Gesellschaftsform zu gewinnen. Aus diesem Grund ist der Anarchismus nicht apolitisch oder unpolitisch, sondern eben (anti-)politisch. Weil sie Positionen beziehen, sind Anarchist*innen in der Lage in Widersprüchen zu handeln.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —    Der Radiomoderator und Verschwörungstheoretiker Alex Jones an einer Pressekonferenz in Washington D. C., März 2018.

Author Jaredlholt       /   Source     :    O10 April 2018, 09:49:2510 April 2018, 09:49:25wn work        / Date     :

 

Abgelegt unter Arbeitspolitik, International, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Schule muss anders

Erstellt von Redaktion am 26. Januar 2023

Zuviele Lehrstoff ohne entsprechende Inhalte

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von     :      Meinhard Creydt

Gegen die Mangelwirtschaft im Schulwesen regt sich Widerstand. Weniger Opposition gilt dem gar nicht so heimlichen „heimlichen“ Lehrplan, der aus den Strukturen der Schule folgt.

Seit zwei Jahren gibt es in Berlin eine Kampagne, die „Schule muss anders“ heißt. In ihr sind Eltern, Schülerinnen, Lehrkräfte, Sozialarbeiterinnen und Erzieherinnen engagiert. Sie organisieren Veranstaltungen und Demonstrationen für die Ziele „Mehr Personal und mehr Ausbildungsplätze“, „Teams aus unterschiedlichen Berufen an die Schulen“, „Mehr Zeit für Beziehung und Team – Entlastung für alle“. Nach Angaben des Deutschen Lehrerverbandes fehlen 2022 bundesweit 40.000 Lehrer. Die Schulbauten sind häufig in marodem Zustand. Das Lehramtsstudium und eine gründliche didaktische Ausbildung gelten den Bildungsbehörden faktisch zunehmend als unnötiger Luxus. Sie halten eine behelfsmäßige Anlernung im Schnellverfahren für ausreichend. Laut DPA-Meldung vom 28.7.2021 sind mittlerweile in Berlin bereits 7.000 „Quereinsteiger“ unter den 33.000 Lehrer. Einer Forsa-Umfrage zufolge geben zwei von drei Schulleitungen bundesweit an, dass Quereinsteiger nicht systematisch pädagogisch vorqualifiziert werden – an Grundschulen sagen das sogar drei von vier Schulleitern (Hoock 2019). Die in der Kampagne „Schule muss anders“ Engagierten wollen in Berlin eine breite „Bildungsbewegung“ auf die Beine stellen. Angesichts der Misere wären eigentlich bei ihren Demonstrationen 15.000 Teilnehmer statt der bisher regelmäßig knapp 1.500 zu erwarten. Die materielle Misere steht allerdings so im Vordergrund, dass Zurückhaltung herrscht in Bezug auf weitergehende Kritik an Formen und Strukturen der Schule. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf die Schule ab der 5. Klasse.

Stoff-Fülle, Zusammenhangslosigkeit und Wechsel der Themen im Stundentakt

Die Stoff-Fülle, die in den Unterrichtstag gedrängt wird, sorgt für Zeitdruck und Hektik. Ein Pädagogikprofessor aus Linz schreibt: „Selbst die Grundregeln der Lernpsychologie werden nicht berücksichtigt: Man kann maximal 4 Stunden konzentriert lernen – verteilt auf den ganzen Tag. Wenn man eine einstündige Lerneinheit hinter sich hat, ist das Gehirn bis zu zwei Stunden lang damit beschäftigt, diese Inhalte abzuspeichern“ (Stangl 2003). Gewiss bestehen Schulstunden aus verschiedenen Phasen. Schüler nehmen nicht die ganze Zeit etwas Neues auf. Gute Lehrer räumen dem abwechslungsreichen Üben Zeit ein. Wer die Stoff-Fülle kritisiert, gerät leicht in das Fahrwasser, Bildungsansprüche zu reduzieren. Das Argument, man habe für seine spezielle Berufstätigkeit viele Schulinhalte nicht gebraucht, legt einen problematischen Maßstab an. Häufig resultiert die Überforderung auch daraus, dass vor lauter Stoff die Fächer den Schülern nicht didaktisch so nahegebracht werden können, dass sie ein Verständnis und eine Wertschätzung für den spezifischen Zugang zu einem Teil der Wirklichkeit erlangen. Geschieht das nicht, so stöhnen Schüler zu Recht darüber, dass sie mit den Kernfächern kaum zu Rande kommen, und erfahren „Nebenfächer“ als zusätzlich überfordernde Zumutung.

Etwas wissen sollen Schüler schon. Die Schule gewöhnt sie aber häufig daran, dass ihrem eigenen weiteren Nachfragen und -forschen enge Grenzen gesetzt sind. Kaum beginnen Schüler, sich in etwas zu vertiefen, steht bereits der nächste Lernstoff oder ein anderes Lernfach auf der Tagesordnung. „Die Schüler hüpfen von Thema zu Thema, von Stoff zu Stoff. Es ist ihr Problem, ob sie den Informationssalat jemals unter einen Hut bekommen. Keinen kümmert es“ (Waldrich 2007, 51). Schüler werden an die Zusammenhangslosigkeit des Wissens gewöhnt. Ein Thema wie z. B. England kommt zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Schulfächern (Englisch, Geschichte, Geographie, Sozialkunde) verdünnt und vereinseitigt vor. Einerseits wird Wissensdurst mobilisiert. Ohne ihn ließen sich keine Kenntnisse erwerben. Andererseits wird der Appetit auf Wissen immer wieder gestoppt.

Der Wechsel der Themen im Stundentakt bereitet Schüler darauf vor, keine „Umschaltschwierigkeiten“ haben zu sollen bei völlig disparaten Anforderungen. „Schüler und Lehrer dürfen sich geradezu nichts ‚unter die Haut gehen lassen’, sie dürfen sich nicht ernsthaft auf die Materie einlassen, sie sind sonst für die nächste Stunde nicht mehr fit. […] Die Stundeneinteilung verhindert, dass die geistigen Gehalte irgend tiefer in den Kern der Person eindringen“ (Rumpf 1966, 160f.). Auch Jahrzehnte später ist der Anteil des fächerübergreifenden Unterrichts klein, der ein Thema aus verschiedenen Perspektiven behandelt. Absprachen zwischen Lehrern über die Behandlung eines Themas in verschiedenen Fächern stoßen auf viele Hindernisse. Die Zersplitterung des Wissens entspricht einer Gesellschaft mit hoher Arbeitsteilung und Spezialisierung. Das Wissen bleibt fragmentiert und beschränkt sich häufig auf pragmatisch, technisch oder sozialtechnologisch zu lösende Fragen. Experten wissen viel über wenig. „Das Ganze existiert […] überhaupt nicht“ für sie (Waldrich 2007, 81).

Diese Schule bereitet auf eine Existenz vor, „in der auf sich ständig ändernden Märkten höchste Flexibilität, Wechsel und rapide Anpassung zweckdienlich sind“ (Ebd., 100). Schülergehirne ähneln dann Festplatten, auf denen allerhand gespeichert ist sowie die Routine, die Kenntnisse bei passender Gelegenheit abrufen zu können.

Prozessbezogene Kompetenzen

Eine Gegentendenz zur Dominanz von abfragbarem Wissen besteht in prozessorientierten Kompetenzen. Schüler sollen in Bezug auf ein ihnen präsentiertes offenes Problem selbständig die Lösungswege auswählen und ihre Vorgehensweise begründen können. In den bundesweit 2005 neu formulierten Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz wurde diesen langfristigen Kompetenzen ein gleichwertiger Rang neben den inhaltsorientierten Zielen eingeräumt. Folgerichtig testen die obligatorisch vorgesehenen Vergleichs-Arbeiten („Vera“) in der 3. und 8. Klasse im großem Umfang prozessorientierte Kompetenzen. Faktisch wird oft auf die VERA-Testung kurzfristig trainiert. Lehrer üben dann die VERA-Aufgaben der letzten Durchläufe, um sich nicht zu „blamieren“. Dies widerspricht jedoch einer langfristig anzulegenden Entwicklung von prozessorientierten Kompetenzen. Sie haben gewiss ihren Wert, zu ihrer Überschätzung besteht aber kein Anlass. Zum Problem werden sie, wo es um mehr geht als um isolierte Aufgaben und deren jeweilige „Lösung“. (Dem Alltagspragmatismus gilt das als das non plus ultra bzw. als unübersteigbar. Zur Fragwürdigkeit des Alltagspragmatismus vgl. Creydt 2022.) In Bezug auf psychische, soziale und gesellschaftliche Probleme sind übergreifende Strukturen zu begreifen. Erst das ermöglicht eine Antwort auf „die Frage, warum jeweils gerade dieses und kein anderes Problem sich stellt oder gestellt wird, aus welchen Zusammenhängen das Aufkommen des Problems selbst wieder zu verstehen ist“ (Holzkamp 1976, 354). Die im günstigen Fall kreative „Lösung“ bestimmter einzelner Probleme ist häufig ein Vorgehen, das das Bewusstsein für die not-wendige Transformation des jeweiligen „Ganzen“ blockiert. Diese Herangehensweise passt zu einer Situation, in der die Nutznießer des jeweiligen familiären, organisatorischen oder gesellschaftlichen Systems wissen: „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, müssen wir zulassen, dass sich alles verändert“ (Giuseppe Tomasi di Lampedusa).

Umfassendes Lernen

Folgen Schülern intensiv ihrem inhaltlichem Interesse an einem Thema und vertiefen sie sich in es, so können sie angesichts der Eile des Durchmarschs durch den Lernkanon in anderen Fächern ins Hintertreffen geraten. Der ständige Zeitdruck führt zur oberflächlichen Behandlung der Themen. Er fördert die Immunisierung gegen Inhalte. Es kommt zum „Verlust ihrer subjektiven Bedeutsamkeit“ (Boenicke u. a. 2004, 16). Das „vorzügliche Lernkind“ gleicht einem Schwämmchen, „welches das wieder von sich gibt, was es ohne besondere Verwendung ins Ich aufgespeichert hat“ (Robert Musil). Tiefere Dimensionen des Stoffs zu erschließen erfordert affinitives im Unterschied zu definitivem Lernen (Galliker). „‚Affinitive’ Zu- und Abwendungen“ sind im Unterschied zu „‚definitiven’ gekennzeichnet durch […] ein ‚Sich-Zurücklehnen’, Übersicht-Gewinnen, […] die Aufhebung von Festlegungen und Beschränkungen durch das In-den-Blick-Nehmen des ‚Ganzen’“ (Holzkamp 1995, 328). „Thematisch dominiertes expansives Lernen ist demnach […] immer auch ein Prozess der Vermeidung von Einseitigkeiten, Fixierungen, Verkürzungen, Irrwegen, Sackgassen beim Versuch der Gegenstandsannäherung. Dies wiederum kann nicht durch eine angespannte operative Lernplanung und konsequente Zielverfolgung o. ä. gelingen“ (Ebd., 480f.).

Benotung und instrumentelles Verhältnis zu den Unterrichtshalten

Der Unterricht gewöhnt die Schüler häufig an eine Zielverschiebung. Das Kriterium ist dann nicht mehr, „was von der Sache her und für sich selbst betrachtet bedeutsam ist.“ Stattdessen lautet nun die Frage: „Was bekomme ich dafür, wenn ich mir etwas einpräge, diese Handlung ausführe, mich so und so verhalte oder wenigstens ein bisschen so tue“ als ob ? (Waldrich 2007, 93, vgl. a. 22).

Die Benotung legt es Schülern nahe, nicht zu viel Mühe in Themen zu ‚investieren’, die sich nicht in relevanten Noten ‚auszahlen’ bzw. von darauf bezogenen Aktivitäten ‚ablenken’. Die Benotung erschwert es dem Schüler in einer dem Lernen abträglichen Weise, sich Rechenschaft abzulegen von seinem Nichtwissen, statt es zu vertuschen. Schon in der Schule lernen Schüler vor allem, eine Leistung eigener Art zu erbringen. Sie gewöhnen sich daran, etwas oft Unangenehmes und für sie Uneinsichtiges (das Lernen eines ‚Stoffes’, dessen Bedeutung ihnen oft nicht klar ist) hinter sich zu bringen, weil sie vorrangig über die erzielte Note etwas vom Lernen ‚haben’. Soweit Schüler auswählen können, werden sie aufgrund der schulischen Dominanz der Note über den Inhalt jenen Stoff vorziehen, bei dem sie (durch Vorwissen oder Neigung etc.) leichter eine gute Note erzielen. Das Nachsehen haben diejenigen Inhalte, von denen sie vielleicht gern mehr wüssten, dies aber eben auch mehr Arbeit nach sich zöge. Damit aber nicht genug. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen wird auch in puncto schulisches Wissen gern so getan, als ob es sich nur um Mittel handele, über die das souveräne Subjekt später frei verfügen könne, wenn es die Lehrjahre hinter sich und die „Herrenjahre“ erreicht habe. Diese Fiktion sieht von den abträglichen Effekten des instrumentellen Verhältnisses zu Inhalten auf die Subjektivität ab. „Wer die Schule durchlaufen hat, dem fällt oft gar nicht mehr auf, dass ihm auch ein ganzes Stück seiner Lebendigkeit und des wirklichen Interesses an der Welt genommen wurde. Wie kommt es sonst, dass auch Akademiker häufig keine Bücher lesen, dass ihnen philosophische oder weltanschauliche Fragen gleichgültig sind“ (Waldrich 2007, 93). Der Satz „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir“ bekommt angesichts dieser negativen Effekte schulischer Sozialisation eine bittere Bedeutung.

Der heimliche Lehrplan

Der gegenwärtige Schulunterricht erhebt „die Schnelligkeit der Auffassens und der Aufgabenbewältigung, die Kürze der Reaktionszeit bei der Anforderungserfüllung u. ä. schuldisziplinär zu einem inhaltlich nicht gedeckten, abstrakten Wert, der das Weiterkommen oder Zurückbleiben der Schülerinnen/Schüler unmittelbar beeinflusst“ (Holzkamp 1995, 482). Lernpsychologisch ist das fatal. „Für das Lernen ist wichtig: Gelernt wird immer dann, wenn positive Erfahrungen gemacht werden“ (Spitzer 2002, 181). Die Möglichkeiten des Gehirns lassen sich nur nutzen, wenn es nicht durch negativen Stress abgelenkt und absorbiert wird. „Wenn wir […] wollen, dass unsere Kinder und Jugendlichen in der Schule für das Leben lernen, dann muss eines stimmen: die emotionale Atmosphäre beim Lernen“ (Spitzer 2003). Der Zeitdruck schadet dem Lernen. Es wirkt eher lernhemmend. Für die Schule aber hat er eine wichtige Funktion. Er ist auf „die Verstärkung, wenn nicht auf die Herstellung von Leistungsunterschieden angelegt […] und auf deren Verfestigung. […] Der institutionelle Effekt des Lernens pro Zeit besteht darin, an den Schülerinnen und Schülern Unterschiede im Wissen herzustellen oder vorhandene zu verstärken“ (Nüberlin 2002, 11).

Selektion

Dass bei den Angstträumen Erwachsener das Thema Schule einen so großen Raum einnimmt, ist ein deutliches Indiz für die dort erlebte Versagensangst. Wie in anderen zentralen Bereichen der Gesellschaft stehen einzelne Leistungsanforderungen im Vordergrund zulasten der Entwicklung des Individuums. In der Schulklasse ergibt sich faktisch eine Hierarchie zwischen besseren und schlechteren Schülern. „Zurück bleibt dann nicht nur das Unvermögen, nicht Englisch sprechen zu können, sondern ein gestörtes Selbstvertrauen. […] Die Ich-Stärkung des Schülers, wichtigstes pädagogisches Ziel, wird verfehlt“ (Singer 1981, 172). „Der Lehrer glaubt Mathematik zu lehren, tatsächlich aber lehrt er diese Schüler Misserfolg, Demütigung, Beschädigung des Selbstwertgefühls“ (Singer 1998, 153). Die Selektion ist umso unerbittlicher, desto weniger Fördermaßnahmen für „leistungsschwächere“ Schüler vorgesehen sind bzw. an ihnen gespart wird.

Die Schule bereitet auf ein Geschäfts- und Erwerbsleben vor, in dem es darum geht, besser zu sein als die anderen. Neben den offiziellen Lerninhalten gibt es den gar nicht so heimlichen „heimlichen Lehrplan“. Zu ihm gehören der Zweifel bzw. die Furcht, die anderen seien „viel besser und perfekter, jedenfalls immer dabei, uns zu überflügeln. Wir sehen uns auf einer Leiter, die wir niemals ganz erklimmen können, ständig vom Absturz bedroht. Oben stehen diejenigen, ‚die etwas erreicht haben?. Wir hassen sie im Grunde unserer Seele, wollen zugleich aber auch ganz dort oben sein“ (Ebd., 40). Gute Lehrer bemühen sich zwar darum, dass Schüler, die leichter Zugang zu einem Unterrichtsstoff finden, anderen helfen, die sich dabei schwerer tun. Die Schüler haben im durch Konkurrenz um Noten dominierten Unterricht aber wenig Raum dafür, Hilfe und Kooperation zu entwickeln. Die mangelnde innere Ichstärke ist der Marktwirtschaft dienlich. Die Ichschwäche und das Rivalisieren bilden zwei Seiten einer Medaille: „Der Ehrgeizige ist weder seiner selbst noch der Verlässlichkeit der existenziellen Zustimmung der anderen sicher. Wie das in seinem Bestätigungsbedürfnis letztlich nicht ganz befriedigte Kind reagiert er mit verstärkter Anstrengung“ (Buchkremer 1972, 28). Status- und Karriereerfolge sollen dafür sorgen, dass der innere Mangel nicht gespürt wird. Zwar versuchen gute Lehrer, Schülern nicht nur abfragbaren Stoff beizubringen, sondern zu ihrer persönlichen Entwicklung beizutragen. Gewiss gibt es in Schulen immer wieder Reformbemühungen, die beabsichtigten, die benannten Probleme anzugehen. Im Endeffekt können sie sich nicht durchsetzen. Die Gegenkräfte und -tendenzen bleiben stärker.

Politische Relevanz der Kampagne „Schule muss anders“

Diese Kampagne steht in einer Reihe mit Bewegungen, die das Allgemeine (die Formen und Strukturen der Gesellschaft) ausgehend vom besonderen Feld, in dem die Arbeitenden jeweils tätig sind, infrage stellen können. Im Gesundheitswesen Arbeitende bemerken, wie dessen gegenwärtige Strukturen einer sorgsamen Krankenbehandlung oft entgegenstehen. Mit der Landwirtschaft Befasste nehmen war, dass die kapitalistischen Geschäftskriterien dem pfleglichen Umgang mit der Natur und der Qualität der landwirtschaftlichen Produkte abträglich sind. Zugleich ergeben sich aus den besonderen Tätigkeitsfeldern der Arbeitenden soziale Beziehungen zu denjenigen Teilen der Bevölkerung, die in besonderem Maße an diesem Bereich interessiert sind. Bei der Schule sind das die Eltern. Es handelt sich nicht einfach um einen Protest gegen Zumutungen, sondern um Personen, die Kompetenzen und Qualifikationen haben.

In der Gesellschaft entstehen solche auf die Arbeitsinhalte bezogenen Bedürfnisse und ein derartiges professionelles Ethos, die zu den herrschenden gesellschaftlichen Zwecken und Formen in Differenz und Gegensatz geraten können. Zugrunde liegt ein Widerspruch: Die Arbeitenden haben Qualifikationen und Reflexionsvermögen entwickelt. Sie ermöglichen es ihnen zu sagen: Ausgehend von dem, was wir gelernt haben und was wir können, sind wir imstande, mit unseren Arbeiten und Tätigkeiten sowie mit unseren Kompetenzen uns sinnvoller auf die Adressaten der Arbeit zu beziehen, als dies unter den Imperativen einer kapitalistischen Ökonomie möglich ist.

Der Protest stellt dann keine bloße Ansichtssache dar. Er ist bei den genannten Gruppen anders geerdet – in ihrem professionellen Ethos bzw. in ihren die Generativität betreffenden menschlichen Vermögen. John Kotre unterscheidet zwischen biologischer Generativität (dem Großziehen eigener Kinder), elterlicher Generativität (dem Sich-Kümmern um fremde Kinder), technischer Generativität (der Weitergabe und Vermittlung von Fertigkeiten und Wissen an die nächste Generation) sowie kultureller Generativität (der Weitergabe, Vermittlung und Transformation kultureller Werte) (Psychologie Heute 4/2001, S. 26f.). Sie schließt auch das Inhalte-Weitergeben bzw. -Weiterentwickeln ein.

Schule muss wirklich anders

Genauso wie es in Berlin – besonders vor dem Enteignungs-Volksentscheid – eine Mieterbewegung gibt, kann eine Gesundheits- oder eine Bildungsbewegung an Zustrom gewinnen. Solche Bewegungen entstehen in einer Gesellschaft, deren Bruttosozialprodukt wächst, während zentrale Bereiche, die für die Entwicklung der menschlichen Vermögen wesentlich sind (wie z. B. das Bildungswesen), in schlechtem Zustand bleiben. Im Bruttosozialprodukt gelten alle Inhalte gleich bzw. sind in ihm gleich gültig. Es steigt, wenn z. B. mehr Produkte schnell schnell veralten bzw. leicht kaputt gehen und mehr Ersatzkäufe stattfinden. (Einer 2013 erschienenen Studie über „Geplante Obsoleszenz“ (also über vorsätzlich in die Produkte eingebauten Verschleiß) zufolge könnten die Verbraucher pro Jahr 100 Mrd. Euro sparen, wenn sie „nicht ständig neue Produkte kaufen, weil die alten zu früh kaputtgehen“, Süddeutsche.de, 20.3. 2013). Das Bruttosozialprodukt ist das Pseudonym des abstrakten Reichtums. Er orientiert sich an der Akkumulation des Kapitals. Die Vorherrschaft dieses abstrakten Reichtums schadet auch den Schulen. Die skizzierten Strukturen des Unterrichts entsprechen einer Gesellschaft, in der im Alltag – nicht am Sonntag – das Individuum als „Humankapital“ gilt. Es muss danach streben, sich auf Arbeitsmärkten als verwertbar zu erweisen (‚employability?). Vielerlei Lernstoffe entwickeln „eine selbst objektive Seite oder Qualität, die an uns haftet“, aber „nicht eigentlich uns“ (Simmel 1986, 207).

Diejenigen, die „Schule muss anders“ wollen, können es nicht dabei belassen, die Beschränkung der Schule durch knappe Mittelzuweisung zu bekämpfen. Gewiss würde sich einiges am Lernen ändern, gäbe es kleinere Klassen, mehr Förderunterricht, Teams aus unterschiedlichen Berufen u. ä. Lehrer sind sich schnell einig darüber, dass „eigentlich“ mehr Geld in das Schulwesen gehört. Brisant werden Kontroversen im „Kollegium“ aber erst, wenn es um die Frage nach den Strukturen des Schulunterrichts geht. Die not-wendige qualitative Veränderung wird sich nicht als Wirkung der quantitativen Erweiterung (mehr Lehrer, Sozialarbeiter usw.) einstellen. Um den skizzierten Gegensatz zwischen zentralen Formen der Beschulung und dem guten Leben zu überwinden bedarf es – wir belassen es bescheiden bei einer Aussage über die Bildungsanstalten – nicht nur eines „mehr“ an Schule, sondern einer anderen Schule.

Literatur:

Boenicke, Rose; Gerstner, Hans-Peter, Tschira, Antje 2004: Lernen und Leistung. Vom Sinn und Unsinn heutiger Schulsysteme. Darmstadt

Buchkremer, Hansjosef 1972: Ehrgeiz. Stuttgart

Creydt, Meinhard 2022: Die Fehler des Alltagspragmatismus. In: Telepolis, 8.1.2023

Holzkamp, Klaus 1976: Sinnliche Erkenntnis – Historischer Ursprung und gesellschaftliche Funktion der Wahrnehmung. Kronberg

Holzkamp, Klaus 1993: Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt M.

Hoock, Silke 2019: „Der härteste Umbruch meines Lebens“. In Der Spiegel Job&Karriere, 11.04.2019

Nüberlin, Gerda 2002: Selbstkonzepte Jugendlicher und schulische Notenkonkurrenz. Herbolzheim

Rumpf, Horst 1966: 40 Schultage. Tagebuch eines Studienrats. Braunschweig

Simmel, Georg 1986: Philosophische Kultur. Berlin

Singer, Kurt 1981: Maßstäbe für eine humane Schule. Frankfurt M.

Singer, Kurt 1998: Die Würde des Schülers ist antastbar. Reinbek bei Hamburg

Spitzer, Manfred 2002: Lernen, Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Heidelberg

Spitzer, Manfred 2003: Medizin für die Pädagogik. In: Die Zeit, Nr. 39

Stangl, Werner 2003: Lernen wurde aus der Schule ausgelagert. In: Die Furche, Wochenzeitung

Waldrich, Hans-Peter 2007: Der Markt, der Mensch, die Schule. Köln

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —     Bushaltestelle Kremenholl/Paulstraße in Remscheid

Abgelegt unter Bildung, Debatte, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Wissen durch Betrug

Erstellt von Redaktion am 24. Januar 2023

Kriminelle Wissenschaftler betrügen mit Künstlicher Intelligenz

Euro coins and banknotes.jpg

Quelle      :        INFO Sperber CH.

Martina Frei /   

Zehntausende von vermeintlich wissenschaftlichen Arbeiten werden so fabriziert. Akademiker bezahlen dafür.

«Diese Machenschaften greifen um sich wie ein Krebsgeschwür. Wir steuern auf eine Krise zu. Das dürfen wir nicht einfach weiterlaufen lassen», sagt Bernhard Sabel, und dabei klingt der Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg ernsthaft besorgt.

Ende 2020 hörte der Professor zum ersten Mal von den «Paper mills», auf Deutsch «Papiermühlen». Diese Schreibstuben, von denen niemand weiss, wer dahintersteckt, offerieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ihre Dienste.

Die Kunden können wählen: Wer sein Forschungsprojekt abgeschlossen hat, übergibt seine Daten der «Papiermühle», die dann das Manuskript schreibt und für die Publikation in einer Fachzeitschrift sorgt. «Das kostet etwa 1’000 Euro», sagt Bernhard Sabel, der sich verschiedene Angebote angesehen hat.

Für 26’000 Euro gibts eine frei erfundene «wissenschaftliche» Publikation

Für rund 8’000 Euro erfindet die «Papiermühle» kurzerhand ein Manuskript, schreibt es und publiziert es in einem Wissenschaftsverlag. Als Autor oder Autorin fungieren die Kunden.

«Der prospektive Autor muss nur noch ein bestimmtes Fachgebiet nennen, eventuell auch ein paar Schlüsselwörter oder Methoden angeben und ein Journal auswählen», heisst es in einem Artikel im «Laborjournal».

Das «Rundum-Paket» ist Sabel zufolge für 17’000 bis 26’000 Euro zu haben. Für diesen Preis liefert eine «Papiermühle» den Entwurf für ein Forschungsprojekt, führt angeblich die Experimente durch – die in Wahrheit aber nie stattfinden – schreibt mit den erfundenen Daten ein Manuskript, fügt Bilder und Grafiken ein, schickt es (entgegen der allgemeinen Praxis) an mehrere wissenschaftliche Zeitschriften gleichzeitig – und bekommt von einer Redaktion den Zuschlag für die Publikation. Angesichts von über 50’000 wissenschaftlichen Zeitschriften ist die Auswahl gross.

«Da hat sich eine richtige Industrie entwickelt»

«Je renommierter die Zeitschrift, desto höher der Preis», sagt Sabel. «Fälschungen hat es zwar immer schon gegeben und wird es immer geben. Aber die massenhafte, globale, industrielle Herstellung von komplett erfundenen wissenschaftlichen Artikeln – das ist neu und sehr besorgniserregend. In den letzten Jahren hat sich da eine richtige Industrie entwickelt.»

Geschrieben werden diese Fake-Studien und -Fachartikel von Künstlicher Intelligenz (KI), die an Millionen von Artikeln trainiert wurde. Manchmal leisten Wissenschaftler dabei Redaktionshilfe.

«Die Texte sind so ausgefeilt, dass das keiner mehr erkennen kann.»

Bernhard Sabel, Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg

«Ich war schockiert, als ich kürzlich bei einem Kongress erfahren habe, wie gut KI solche Fachartikel schreibt», sagt Sabel. «Früher enthielten die von KI verfassten Manuskripte noch sprachliche oder logische Fehler – jetzt sind die Texte so ausgefeilt und von so hoher Qualität, dass das keiner mehr erkennen kann.»

Eine andere Masche der «Papiermühlen»: Sie übersetzen beispielsweise russische Fachartikel und reichen die Übersetzung bei einer englischsprachigen Fachzeitschrift ein.

Sabel weiss von einem KI-Test in den USA, bei dem eine wissenschaftliche Publikation, die dem italienischen Kernphysiker Enrico Fermi anno 1938 zum Nobelpreis verhalf, mit KI übersetzt, aufbereitet und dann an eine renommierte Fachzeitschrift geschickt wurde. «Sie wurde als publikationswürdig angenommen, aber nicht publiziert, weil das Ganze nur als Test gedacht war.»

Dutzende von Fachrichtungen sind betroffen

Vor allem in der Medizin und in den Computerwissenschaften stellten die Artikel aus Papiermühlen ein grosses Problem dar. «Das sind keine Einzelfälle», sagt Sabel, der sich im erweiterten Präsidium des Deutschen Hochschulverbands mit dem Thema befasst. Dutzende andere Fachrichtungen seien ebenfalls betroffen, darunter die Psychologie, Soziologie, Betriebswirtschaft/Marketing, Agrarwissenschaften und sogar die Philosophie.

Kurz nachdem er zum ersten Mal von «Papiermühlen» erfahren hatte, entdeckte Sabel, dass in der neurowissenschaftlichen Zeitschrift, deren Chefredaktor er ist, von etwa 200 überprüften Artikeln zehn bis 15 problematisch gewesen seien. «Wir waren stärker betroffen, als ich mir das hätte vorstellen können. Das hat mich nicht ruhen lassen.»

In neurowissenschaftlichen Fachzeitschriften, schätzt Sabel, sind rund zehn Prozent der veröffentlichten Artikel «hochgradig verdächtig». Der eindeutige Beweis, dass eine Arbeit aus einer «Papiermühle» stamme, gelinge nur in Einzelfällen. Meist wisse man dies eben nicht mit Sicherheit, sagt Sabel.

Von 1’000 medizinischen Fachartikeln waren 238 mutmasslich fabriziert

Zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen zog er Stichproben: Von 1’000 Artikeln, die in zehn medizinischen Fachzeitschriften erschienen waren, drängte sich bei 238 der Verdacht auf, dass sie fabriziert waren. «Diese Arbeiten stammten vor allem aus China, Indien, dem Iran, der Türkei und Russland.»

Vollständig gefälschte Arbeiten würden wahrscheinlich durch die üblichen Verfahren des Peer-Review oder nach der Veröffentlichung durch die Peer-Evaluierung aufgedeckt, sagt Edwin Charles Constable, Präsident der Expert:innengruppe für Wissenschaftliche Integrität der Akademien der Wissenschaften Schweiz. «Beim Lesen einer solchen Arbeit bekommt man oft ein Bauchgefühl, dass etwas nicht stimmt.»

Doch da widerspricht Sabel heftig.

«Das Problem ist fundamental und es wächst seit zehn, fünfzehn Jahren.»

Bernhard Sabel, Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg

Mittlerweile hat der Psychologe mit seinem Team mehr als 13’000 wissenschaftliche Artikel unter die Lupe genommen. «Die Ergebnisse haben uns überrascht», sagt er, will aber nicht mehr verraten, bis die Arbeit durch unabhängige Gutachter geprüft und veröffentlicht ist. Nur so viel: «Das Problem ist fundamental und es wächst seit zehn, fünfzehn Jahren.»

Die Gutachter gehen den «Papiermühlen» auf den Leim

Dazu trägt auch das sogenannte «open access publishing» bei, also der freie Online-Zugang zu wissenschaftlichen Artikeln, ohne teure Abos von Fachzeitschriften. Dank freiem Zugang kann beim «open access» mit geringem Aufwand, ohne Redaktions-, Vertriebs- und Druckkosten, viel mehr publiziert werden. «Alle freuten sich über den Zuwachs – auch die wissenschaftlichen Verlage, akademischen Institutionen und Staaten», sagt Sabel. Dass «open access» auch Wind auf die «Papiermühlen» war, damit rechnete niemand.

«Papiermühlen-Detektive» schätzen, dass Tausende oder Zehntausende von angeblichen wissenschaftlichen Publikationen bloss erfunden sind – trotzdem bestanden alle diese Phantasie-Artikel den peer-review-Prozess durch Gutachter von international akzeptierten Wissenschaftsjournalen.

Angesichts von circa 2,8 Millionen wissenschaftlichen Artikeln, die jedes Jahr veröffentlicht werden – Tendenz steigend — erscheinen selbst ein paar Zehntausend Fakes wenig. Doch niemand kennt die Dunkelziffer. Manche Schätzungen gehen sogar von über 400’000 fabrizierten Artikeln jährlich aus, etwa die Hälfte in der Biomedizin.

Jeder vierte eingereichte Artikel war vermutlich erfunden

Und wenn doch einmal eine solche «Papiermühlen»-Arbeit irgendwo nicht zur Publikation angenommen wird, dann erscheint sie halt in einer anderen Fachzeitschrift. Das ergab die Nachverfolgung von 13 dubiosen Fachartikeln, die zuvor beim Verlag «FEBS Press» abgelehnt worden waren. Laut einer Mitarbeiterin von «FEBS Press», auf sich die das Wissenschaftsmagazin «Nature» berief, nahm die Anzahl der Arbeiten, die aus Papiermühlen stammten, in den letzten Jahren massiv zu.

Bei der Fachzeitschrift «Molecular Brain» war jeder vierte Artikel, der dort zur Publikation eingereicht wurde, vermutlich frei erfunden. Der Wissenschaftsverlag Elsevier gab «Nature» gegenüber an, seine Mitarbeitenden würden jedes Jahr Tausende von «Papiermühlen»-Artikeln erkennen und vor der Publikation herausfischen.

Publizieren – oder Stipendium zurückzahlen

Die Kunden der «Papiermühlen» stammen aus China, Russland, dem Iran, Japan, Indien, Korea, den USA und weiteren Ländern.

«Chinesische Wissenschaftler, die mit chinesischen Staatsstipendien in hiesigen Laboren arbeiten, müssen in China Verträge unterschreiben. Wenn sie bestimmte Ziele nicht erreichen, müssen sie das Stipendium zurückzahlen. Solche Ziele sind oft Publikationen. Als ‹Bürgen› stehen auf diesen Verträgen Eltern oder Verwandte. Man kann sich vorstellen, was passiert, wenn bei einem solchen Forschungsaufenthalt die Publikationen ausbleiben. Da wird dann auch schon mal ‹fabriziert›, teilweise offensichtlich mit Duldung der Laborleiter, die dem Mitarbeiter helfen möchte, das Gesicht zu wahren», erläutert Ulrich Dirnagl, Gründungsdirektor des «Centre for Responsible Research QUEST» in Berlin. Dirnagl beschäftigt sich dort seit Jahren damit, wie die wissenschaftliche Qualität erhöht werden kann.

Im Visier: Chinesische Ärztinnen und Ärzte

Zu mahlen begannen die «Papiermühlen» vermutlich etwa im Jahr 2010. «China wollte zur führenden Wissenschaftsnation aufsteigen», sagt Sabel. Entsprechend sei der Druck auf chinesische Akademiker enorm gestiegen. «Das Ganze ist aber auch in anderen Ländern ein Problem, allerdings nicht in diesem Ausmass.» Eine besondere Zielgruppe der «Papiermühlen» sind chinesische Mediziner.

Laut dem Wissenschaftsmagazin «Nature» verfügte beispielsweise die Gesundheitsbehörde von Bejing im Jahr 2020, dass nur noch Chefärztin oder -arzt werden kann, wer auf mindestens drei wissenschaftlichen Artikeln als Erstautorin fungiert. Mindestens zwei solche Erstautorenschaften braucht es für die Beförderung zum Stv., doch im Spitalalltag bleibt keine Zeit, um sich akademische Meriten zu verdienen.

Oft würden sich zehn oder mehr Autoren aus derselben Institution die Kosten für die «Papiermühle» teilen, weiss Sabel. Manchmal stammten die angeblichen Autoren auch aus Abteilungen, die mit dem Thema der Publikation nichts zu tun haben.

In der Schweiz seien fabrizierte Publikationen «meiner Meinung nach bisher überhaupt kein Problem. Aber sie könnten in Zukunft eines werden», sagt Constable.

«Papiermühlen» untergraben die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft

Das Grundübel, sind sich Fachleute einig, ist der Druck auf die Forschenden weltweit. Wer Karriere machen will, muss in möglichst hochrangigen Fachzeitschriften viel publizieren und von anderen zitiert werden. Die Autoren würden oft auf den realen oder imaginären Publikationsdruck reagieren, dem sie von ihren Institutionen ausgesetzt seien. Optimal wäre eine koordinierte Reaktion auf der Ebene der internationalen Akademien und Fördereinrichtungen, sagt Constable, «aber wie immer steckt der Teufel im Detail».

«Wir sollten den Publikationsdruck wieder auf ein normales Mass runterfahren und nicht nur die Quantität, sondern vor allem auch die Qualität bewerten», findet Sabel und warnt: «Die Folgen der kriminell erworbenen Publikationen sind katastrophal, weil sie die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft untergraben. Das schadet dem Vertrauen in die Wissenschaft. Es beschädigt auch die Reputation akademischer Institutionen. Und es ‹verschmutzt› unser Weltwissen. Die Gefahr ist, dass wir uns später nicht mehr sicher sind, welche wissenschaftlichen Ergebnisse stimmen und welche erfunden sind.»

Möglicher Einfluss auf die Wirtschaft

Zudem zieht das Ganze immer weitere Kreise, wenn ahnungslose Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern solche fake-Publikationen in ihren Arbeiten zitieren, sich auf sie berufen und davon ausgehend womöglich neue Studien mit Krebs-, Alzheimer- oder anderen Patienten beginnen. Ein einziger Fall könne zehn, Hunderte oder Tausende von Artikeln bei verschiedensten Verlagen berühren, zitierte «Nature» einen Pressesprecher des «PLOS»-Verlags.

Fabrizierte Publikationen könnten auch die wirtschaftliche Entwicklung beeinflussen, befürchtet Sabel. Wenn afrikanische Staaten zum Beispiel nicht mehr wüssten, welcher Dünger bei einer bestimmten Bodenbeschaffenheit der beste sei, weil gefakte Arbeiten falsche Resultate vorgaukeln, dann könne sich das unmittelbar auf die Ernte auswirken.

Durch engagierte Chefredaktoren wie Sabel trete nun «das ganze Ausmass dieser Vermüllung» ans Tageslicht, schrieb Dirnagl im «Laborjournal». Doch Fachleute sehen es anders: Das, was jetzt sichtbar werde, sei ziemlich sicher bloss die Spitze des Eisbergs.

Rekorde bei der Anzahl zurückgezogener Artikel

Sabel etwa geht davon aus, dass bisher vielleicht ein Prozent oder weniger der gefakten Arbeiten auffliegt und zurückgezogen wird. Wenn gewiefte «Papiermühlen»-Detektive einen Verdacht äusserten, seien die Chancen auf einen Rückzug höher.

Etwa jede vierte verdächtigte Publikation wurde gemäss Recherchen von «Nature» zurückgenommen. Das führte in den letzten beiden Jahren zu hunderten von Rücknahmen. Verglichen mit den Vorjahren, erreichten die Retraktionen damit Rekordzahlen. Einige Beispiele:

  • Das «European Review for Medical and Pharmacological Sciences» hat seit 2020 mehr als 180 Artikel zurückgezogen.
  • Die altehrwürdige und erste Pharmakologie-Zeitschrift der Welt, das «Naunyn–Schmiedeberg’s Archives of Pharmacology» zog über 300 Artikel zurück, weil die Autoren die Originaldaten auf Anfrage nicht vorlegten. 30 Prozent aller Artikel, die bei dieser Fachzeitschrift im Jahr 2020 eingereicht wurden, waren demnach fabriziert. Einige der zurückgezogenen Artikel wurden später mit leicht verändertem Titel und anderen Autorinnen und Autoren in anderen Fachzeitschriften publiziert.
  • Im Januar 2021 zog «Royal Society of Chemistry Advances», eine Zeitschrift der «Königlichen Gesellschaft für Chemie», 68 solcher vermeintlicher Fachartikel zurück. Alle Arbeiten stammten von Autorinnen und Autoren aus China.
  • Im Oktober nahm das «Journal of Cellular Biochemistry» 129 Artikel zurück, die aus «Papiermühlen» stammten.
  • Im Dezember 2021 kam es zum Massenrückzug bei «SAGE»: 122 Arbeiten waren betroffen. Im Februar 2022 nahm «IOP Publishing» auf einen Schlag 350 Fachartikel zurück, im September 2022 stieg die Anzahl auf fast 500, berichtete «Retraction Watch».

Viele Wissenschaftler ahnen nichts und Journale foutieren sich darum

Leider würden sich aber viele Fachzeitschriften noch immer gar nicht um das Problem kümmern oder die nötigen Rücknahmen verschleppen, kritisiert Dirnagl. «Die Verlage sind nicht immer besonders hilfreich», bestätigt Constable. Und die Autorinnen oder Autoren dieser Publikationen sind meist unkontaktierbar.»

Sabels Erfahrungen zeigen, dass die meisten Wissenschaftler von diesem Problem noch nie gehört haben. Selbst der Präsident einer grossen medizinischen US-Fachgesellschaft mit 50’000 Mitgliedern habe völlig verblüfft reagiert. Als Sabel ihm das Ganze darlegte, entfuhr ihm ein: «Wow, I had no idea.» Auf deutsch: «Davon hatte ich keine Ahnung.»

Ein Problem für den Wissenschaftsjournalismus

Auch Journalistinnen und Journalisten haben kaum eine Möglichkeit, solche pseudo-wissenschaftlichen Artikel zu erkennen. Denn über die Methoden, mit denen Wissenschaftler wie Bernhard Sabel den «Papiermühlen»-Publikationen auf die Schliche kommen, äussern sie sich nur sehr vage. Der Grund: Die Mitarbeitenden in den «Papiermühlen» und auch die KI würden sofort mitlesen und ihre kriminellen Methoden anpassen, um weniger enttarnt zu werden. 

Hinweise auf eine fabrizierte Arbeit können zum Beispiel sein, 

  • dass Abbildungen gefälscht sind
  • dass Textplagiate nachweisbar sind
  • dass Autorinnen und Autoren auf Anfrage der Fachzeitschrift keine Originaldaten zur Verfügung stellen
  • dass keine Identifizierungsnummern der Autorinnen und Autoren genannt werden (sogenannte ORCID-ID).

_____________________

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —     A picture of some Euro banknotes and various Euro coins.

Abgelegt unter International, Kriminelles, Kultur, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Der Fall : Inna Zhvanetskaya

Erstellt von Redaktion am 23. Januar 2023

Die verschwundene alte Dame

Impfverweigerer in Dublin

Von Minh Schredl

Die 85-jährige Komponistin Inna Zhvanetskaya, eine ukrainische Jüdin, sollte gegen ihren Willen in eine Psychiatrie eingewiesen und geimpft werden. Seitdem „Querdenken“-nahe Medien den Fall aufgegriffen haben, ist die schwerkranke Frau verschwunden – und „Freiheitsaktivisten“ freuen sich.

Am vergangenen Montag berichtete mit „Fox News“ der meistgesehene Nachrichtenkanal der USA über einen Fall aus Stuttgart: „German court tries to force COVID vaccine on Holocaust survivor (Deutsches Gericht versucht Holocaust-Überlebender Covid-Impfstoff aufzuzwingen)“. Auch die „Jerusalem Post“, eine konservative Tageszeitung aus Israel, empört sich unter beinahe identischem Titel. Ein Kommentator hat unter den Text „Impfung macht frei“, geschrieben. Was um Himmels Willen ist passiert?

Die Jüdin Inna Zhvanetskaya, 1937 im ukrainischen Winnyzja geboren, wohnt im Stadtteil Stuttgart-Feuerbach und ist gesundheitsbedingt auf Pflege angewiesen. Ihre Betreuerin stellte beim Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt einen Antrag, die 85-Jährige in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses oder einer Pflegeeinrichtung unterzubringen. Dabei sollte sie – auch gegen ihren Willen – gegen Covid-19 geimpft werden. Zhvanetskaya wurde im Zuge des Verfahrens von einem Facharzt für Neurologie begutachtet, der ihr Demenz, eine organisch wahnhafte Störung, ein narzisstisches Größenselbstbild und Logorrhoe (krankhafte Geschwätzigkeit) attestierte. Mit Beschluss vom 6. Dezember 2022 genehmigte das Amtsgericht den Antrag auf Unterbringung – und die Einwilligung der Betreuerin in die „ärztliche Zwangsmaßnahme“, nach internistischer Prüfung der Impffähigkeit zwei Impfungen zur Grundimmunisierung gegen Covid 19 durchzuführen.

Zuerst berichtete das in Österreich ansässige Portal „Report24“ über den Fall. Autor Willi Huber macht klar, wie sich die Berichterstattung dort von den „Mainstream-Medien“ unterscheidet – in der eigenen Wahrnehmung zumindest: „Auf der einen Seite steht uneigennützige Menschenliebe, auf der anderen Niedertracht, Korruption und Gier.“ Am 10. Januar war hier zu lesen: „Morgen wird sie abgeholt: Deutsches Gericht verurteilt Holocaust-Überlebende (85) zu Zwangsimpfung.“ Im Text dazu ist ein Video mit Zhvanetskaya zu sehen, das die Komponistin mutmaßlich in ihrer Wohnung zeigt: Eine Frau mit langem weißem Haar, die vor einer Bücherwand sitzt. Sie berichtet unter anderem, dass sie ohne ihre Musik sterben würde. „Als Jüdin zählt sie zu den Überlebenden des Holocaust“, schreibt „Report24“. „Bis zu ihrem achten Lebensjahr mussten sie und ihre Familie davor zittern, ob sie abgeholt, deportiert und möglicherweise ermordet werden.“ Gegen Ende des Artikels heißt es: „Die Berufsbetreuerin hat Frau Zhvanetskaya mitgeteilt, so unser Wissensstand, dass sie morgen, am 11. Jänner 2023 abgeholt und vermutlich auch zwangsgeimpft werden soll.“

Das Who-is-Who der „Querdenker“schaltet sich ein

Die Geschichte verbreitete sich wie ein Lauffeuer. In Telegram-Kanälen empören sich bekannte Figuren der „Querdenken“-Szene: Etwa der Schwindelarzt Bodo Schiffmann, der inzwischen ein Hotel in Tansania betreibt. Oder die Anwältin Beate Bahner, die kürzlich eine Ärztin vor Gericht verteidigte, die in 4247 Fällen falsche Maskenatteste ausgestellt haben soll und sich neben einer Haftstrafe auch ein Berufsverbot einfing. Der Stuttgarter Arzt und Ex-AfDler Heinrich Fiechtner verbreitete, hier solle eine Holocaust-Überlebende weggeschleppt werden, um „dann potenziell tödliche Substanzen in sie hineinzuspritzen“.

Fiechtner teilte mit seinen über 20.000 Followern auch den ungeschwärzten Gerichtsbeschluss. Darin steht nicht nur Zhvanetskayas Wohnanschrift, sondern auch die ihrer Betreuerin. Genau wie die Vorsitzende Richterin am Amtsgericht Bad-Cannstatt wird sie seit der Veröffentlichung belästigt und bedroht. Martin Sichert, der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, sagt, er habe gegen die beiden Anzeige erstattet, denn: „Niemand sollte gegen seinen Willen zur Teilnahme an einem medizinischen Experiment – egal welcher Art, auch nicht der Corona-Gentherapie – gezwungen werden.“

Alexander Wallasch, der früher regelmäßig Texte für taz, „Süddeutsche“ und die „Zeit“ verfasste, später bei „Tichys Einblick“ kolumnierte und heute auf seinem Blog „noch unzensierter, schärfer, freier“ schreibt, führte ein ausführliches Gespräch mit dem Anwalt Holger Fischer. Dieser sagt, dass Zhvanetskaya ihn als anwaltlichen Bevollmächtigten beauftragt hat: „Man kann das sogar als dementer Mensch. Man kann sogar, wenn man vergessen hat, dass man schon einen Anwalt hat, noch einen Anwalt beauftragen und noch einen.“ Einen Teilerfolg hatte Fischer mit einem Eilantrag beim Stuttgarter Landgericht, der die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses aus Cannstatt insgesamt, also inklusive der Unterbringung in einer Psychiatrie, aussetzen sollte.

Charleroi - station Janson - Les psy - 01.jpg

Dieser Fall erinnert an Gustl Mollath aus Nürnberg über welchen wir ausfühlich berichteten: 

Mollath, ein Fall aus Bayern

Mollaths Sieg in Karlsruhe

Demo für Gustl Mollath

Gustl Mollath ist in Freiheit

*************************************************

Als sie abgeholt werden sollte, war die Wohnung leer

Ausgesetzt wurde allerdings nur die Impfung. Ob die „ärztliche Zwangsmaßnahme“ einer Corona-Impfung im vorliegenden Fall nun legitim wäre oder nicht, ist dadurch nicht geklärt. Es heißt erst einmal nur, dass das Landgericht den Erfolg der Beschwerde nicht für ausgeschlossen hält. Die Einweisung der Frau in eine geschlossene Unterbringung wurde hingegen nicht ausgesetzt und eigentlich hätte die 85-Jährige am 11. Januar unter Begleitung der Polizei zuhause abgeholt werden sollen.

Im Beschluss des Amtsgerichts Bad-Cannstatt heißt es dazu: Die „Zuführung zur Unterbringung“ dürfe „erforderlichenfalls [mit] Gewalt“ erfolgen, und die „Wohnung der Betroffenen“ dürfe „auch ohne ihre Einwilligung […] gewaltsam geöffnet, betreten und durchsucht werden“. In der Begründung führt das Gericht aus: „Die Betroffene muss geschlossen untergebracht werden, weil sie massiv verwahrlosen würde und ihre dringend notwendige ärztliche Versorgung, auch der organischen Erkrankungen sowie eine regelmäßige Tabletteneinnahme nicht gewährleistet ist.“ Durch ihre geistige Behinderung fehle ihr „jegliche Alltagskompetenz“, sie bedürfe „ärztlicher Behandlung, die derzeit ohne geschlossene Unterbringung nicht geschehen kann“. Die Betroffene besuche, „da sie krankheitsbedingt den Überblick verloren hat, verschiedene Ärzte, die ihr sich teils widersprechende Medikamente verschreiben.“ Neben Adipositas leide Zhvanetskaya an heftigen Ödemen, die dringend behandelt werden müssten.

Doch als sie abgeholt werden sollte, war die Wohnung leer. Auf dem Portal „Reitschuster“ ist am gleichen Tag zu lesen: „Die Dame konnte an einem geheimen Ort in Sicherheit gebracht werden“, denn „offenbar sind die Freiheits-Aktivisten der Polizei zuvorgekommen“. Allerdings dürfe „schon jetzt als sicher gelten, dass die Staatsgewalt bei der Suche nach Zhvanetskaya – anders als in anderen Fällen – weder Kosten noch Mühen scheuen wird.“

Die Polizei sucht aber gar nicht

Quelle         :             KONTEXT-Wochenzeitung        >>>>>         weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —     A protest against COVID-19 vaccines in Dublin, Ireland, in November 2021.

Abgelegt unter Baden-Württemberg, Bayern, Gesundheitspolitik, Medien, Regierung | Keine Kommentare »

Kriege ohne Grenzen

Erstellt von Redaktion am 22. Januar 2023

Heftige Kämpfe in Oblast Saporischschja

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Tomasz Konicz

Hat die drohende russische Offensive in der Südukraine bereits begonnen?

Aus dem Südosten der Ukraine, aus der Region Saporischschja, werden derzeit heftige Kämpfe gemeldet. Laut ukrainischen Medien wurden in dieser zwischen den Donbass und dem Dnjepr gelegenen Region in den vergangenen Stunden besonders starke Artillerieangriffe Russlands verzeichnet, während russische Stellen Geländegewinne und die Eroberung von Ortschaften melden. Sprecher der ukrainischen Armee bezeichneten die Lage im Donbass und Saporischschja als „schwierig“, so die Kiew Post.1

Russische Medien sprechen von etlichen eingenommenen Dörfern und einen Vorstoß auf die Stadt Orichiw, die eine strategische Rolle spielt.2 Orichiw sei demnach ein zentraler regionaler Verkehrsknotenpunkt, der russische Angriffe in Richtung der Großstadt Saporischschja erleichtern könnte. Eine erfolgreiche russische Offensive entlang des Ostufers des Dnjepr würde die ukrainischen Armee im Donbass von ihren Versorgungslinien abschneiden. Die ukrainischen Verteidigungslinien in Saporischschja sollen an etlichen Stellen durchbrochen worden sein, was mit den blutigen Kämpfen um die ostukrainische Stadt Bachmut in Zusammenhang stehen dürfte.

Um Bachmut zu halten, hat die ukrainische Armeeführung Truppen aus etlichen Frontabschnitten abgezogen – und so die ukrainischen Verteidigungspositionen vielerorts zwangsläufig geschwächt. Vor Kurzem sind Einschätzungen des Bundesnachrichtendienstes (BND) zur militärischen Lage im Osten durchgesickert, laut denen sich die ukrainische Armee inzwischen in einer schwierigen Lage befindet.3 Demnach verliert die Ukraine allein in Bachmut, das längst symbolisch aufgeladen ist, täglich eine „dreistellige Zahl an Soldaten“. Überdies drohten bei einem Verlust der Stadt „weitere Vorstöße ins Landesinnere“ der russischen Truppen, da die gesamte ukrainische Verteidigungslinie aufgegeben werden müsste (siehe hierzu auch „Kiews verpasste Chance?“)4.

Mörderischer Wettlauf

Die Angriffe der russischen Söldner-Truppen um Bachmut gehen derweil mit unverminderter Intensität weiter. Die ukrainische Armee muss nun entscheiden, wie sie ihre verbliebenen Reserven einsetzen wird: im Donbass, um weiterhin Bachmut zu halten und einen Rückzug auf eine neue Verteidigungslinie bei Slowjansk/Kramatorsk weiter zu verzögern, oder in Saporischschja, um den russischen Vormarsch in Richtung Norden aufzuhalten. Zudem verfügt Moskau weiterhin über hohe Reserven, die noch in die Schlacht geworfen werden können. Mehrere hunderttausend Mann, die bislang noch nicht in die Kämpfe eingegriffen hätten, stünden demnach dem Kreml für weitere Angriffe zur Verfügung. Ukrainische Stellen sprachen gegenüber US-Medien von rund 200 000 Mann.5 Andere Schätzungen, die den derzeit einberufenen Jahrgang von Wehrpflichtigen im Fall einer allgemeinen Mobilmachung durch den Kreml berücksichtigen, kommen auf mehr als 500 000 Mann.

Die plötzlichen Angriffe des russischen Militärs in der strategisch entscheidenden Region Saporischschja – wo Russland zu Beginn der Invasion eine Landbrücke zwischen Donbass und der Krim erobern konnte, scheinen im Zusammenhang mit den jüngst beschlossenen westlichen Waffenlieferungen zu stehen, die mitunter sehr wirkungsvolle Systeme beinhalten.6 Zwar blockierte Berlin die Lieferung deutscher Panzer, doch wird Kiews bald weitreichende Artilleriesysteme (GLSDB) erhalten,7 die den russischen Nachschub und die Kommandosysteme effektiv stören können. Der Kreml will offensichtlich nun seinen imperialistischen Eroberungszug intensivieren, solange die neuen Waffensysteme noch nicht auf dem Schlachtfeld zum Einsatz kommen, was aufgrund der schwierigen Lieferung und notwendigen Ausbildungszeit mitunter Wochen, wenn nicht Monate dauern kann.

Es ist faktisch ein mörderischer Wettlauf zwischen westlichen Waffenlieferungen und russischen Vormarschbemühungen, bei dem der Kreml die ohnehin geplante Offensive gerade in der Region zu entfachen scheint, in der Russland am verwundbarsten ist. Die Region Saporischschja wäre auch ein wichtiges Ziel für eine ukrainische Gegenoffensive, bei der die Landbrücke zwischen Donbass und der Krim zurückerobert würde, was eine Vorbedingung jeglicher Offensivbemühungen gegen die Krim wäre.

Russland hat die Krim schon 2014 okkupiert und später auch formell annektiert. Mitte Januar ließen US-Medien aber durchblicken, dass die Vereinigten Staaten künftig der Ukraine auch dabei helfen wollen, die Krim direkt anzugreifen – die Moskau längst als russisches Territorium betrachtet.8 Bislang weigerte sich Washington, Kiew entsprechende Waffensysteme zu liefern. Moskau schient gerade durch diese Überlegungen getriggert worden zu sein, um in einer – eventuell verfrühten? – Offensive in Saporischschja diese ukrainische Offensivoption zunichtezumachen.

https://www.patreon.com/user?u=57464083

https://konicz.substack.com/

1 https://www.kyivpost.com/post/11362

2 https://twitter.com/rybar_en/status/1616486643090718743

3 https://www.deutschlandfunk.de/bnd-besorgt-ueber-lage-im-osten-100.html

4 https://www.konicz.info/2023/01/19/kiews-verpasste-chance/

5 https://thehill.com/policy/defense/3818361-russia-is-planning-a-major-offensive-heres-what-that-might-look-like/

6 https://www.nytimes.com/2023/01/19/podcasts/the-daily/ukraine-russia-war-weapons.html

7 https://mil.in.ua/en/news/stryker-and-glsdb-to-enter-new-aid-package-from-us-to-ukraine-politico/

8 https://www.nytimes.com/2023/01/18/us/politics/ukraine-crimea-military.html

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —       Map of Zaporizhzhia Oblast showing the rough zones of occupation during the southern offensive of the 2022 Russian invasion of Ukraine, as of August 2022. Ukraine (    ) has maintained control over the north of the oblast, including the areas around the cities of ZaporizhzhiaHuliaipole and Orikhiv. The Russian occupation (    ) extends throughout the entire southern part of the oblast, including the major cities of MelitopolBerdiansk and Enerhodar.

Abgelegt unter Asien, Europa, Kriegspolitik, Medien | Keine Kommentare »

Nord-Stream-Anschlag

Erstellt von Redaktion am 15. Januar 2023

Keinerlei Hinweise auf russische Täter

Datei:Nord Stream gas leaks 2022.svg

Quelle      :        INFO Sperber CH.

Von   :    German Foreign Policy /   

Führende US-Medien und Regierungsbeamte aus Europa äussern erstmals öffentlich Zweifel, dass Russland hinter dem Anschlag steckt.

Drei Monate nach den Anschlägen auf die Erdgas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 weisen zum ersten Mal Mitarbeiter westlicher Regierungen die Behauptung, Russland könne für den Sabotageakt verantwortlich sein, öffentlich zurück. Schon kurz vor den Weihachtsfeiertagen hatte die «Washington Post» berichtet, «zahlreiche» Regierungsmitarbeiter vermuteten «privat», Moskau habe mit den Anschlägen nichts zu tun. Die Zeitung zitierte einen Beamten aus Europa mit der Einschätzung, es gebe «zum gegenwärtigen Zeitpunkt» keinerlei Hinweis auf eine russische Täterschaft. Diese Einschätzung gründe sich, hiess es, auf Gespräche mit 23 Quellen aus Diplomatie und Geheimdiensten.[1]

Ein Beamter aus Westeuropa wird sogar mit der Aussage zitiert: «Die Überlegung, dass Russland es war, hat für mich nie Sinn ergeben.» Wie die «Washington Post» berichtet, beruht die Skepsis nicht bloss darauf, dass an den Tatorten keinerlei Hinweise auf russische Täter gefunden worden seien, sondern auch darauf, dass die gewöhnlich umfassende US-Spionage beim Abhören russischer Stellen bis heute keinerlei Hinweise auf eine Mitwisserschaft aufgespürt habe. Das sei recht ungewöhnlich.

Hohe Reparaturkosten

Wenige Tage später legte die «New York Times» nach. Die Zeitung schrieb, die Nord Stream AG, die die Pipeline Nord Stream 1 betreibe, habe begonnen, die Reparatur der Leitungen in den Blick zu nehmen. Dies habe eine Person mit detaillierter Kenntnis über die Vorgänge berichtet.[2] Zuvor hatte Moskau entsprechende Pläne zwar nicht bestätigt, sie jedoch auch nicht dementiert. Der stellvertretende russische Ministerpräsident Alexander Nowak hatte im Interview mit der russischen Nachrichtenagentur TASS mitgeteilt, Spezialisten stuften die Reparatur als «technisch machbar» ein; unklar sei aber, wie viel sie kosten würde.[3]

Der «New York Times» zufolge beläuft sich eine Schätzung auf rund eine halbe Milliarde US-Dollar. Die Zeitung weist darauf hin, es leuchte nicht wirklich ein, dass Russland eine Erdgasleitung zerstöre, nur um sie anschliessend für hohe Summen wieder instand zu setzen. Dies gelte umso mehr, als Moskau weiterhin Transitgebühren für die noch getätigten Erdgaslieferungen durch Pipelines an Land zahlen müsse – und zwar an den Kriegsgegner, die Ukraine.[4] Hinzu komme, dass Moskau mögliche Gaslieferungen durch die Nord-Stream-Pipelines nun nicht mehr als Lockmittel nutzen könne.

Europas Erdgaslücke

Tatsächlich läge eine solche Nutzung im russischen Interesse. Laut jüngsten Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA) stehen die Staaten Europas im nächsten Jahr bzw. im nächsten Winter vor einer Versorgungslücke von rund 30 bis 60 Milliarden Kubikmetern Erdgas; wo diese herkommen sollen, ist völlig unklar.[5] Gedeckt werden könnten sie durch die Pipeline Nord Stream 1, deren Durchleitungsvolumen rund 55 Milliarden Kubikmeter jährlich erreicht. Die «New York Times» zitiert nun einen leitenden Mitarbeiter von Gazprom mit der Äusserung: «Warte bloss einen einzigen kalten Winter ab, und sie werden um unser Gas betteln.»[6] Die Möglichkeit, in einer akuten Notlage doch noch auf die Nord-Stream-Pipelines zurückzugreifen, ist durch die Anschläge zunichte gemacht worden.

Hinzu kommt, dass Branchenexperten es durchaus für möglich halten, dass die Staaten Europas in Zukunft wieder russisches Pipeline-Gas in grösserem Umfang importieren. Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet, gingen bei einem Fachtreffen, das das Oxford Institute for Energy Studies Anfang Dezember organisiert hatte, nur 40 Prozent aller Anwesenden davon aus, der Ausstieg Europas aus russischem Erdgas werde auf Dauer Bestand haben. 40 Prozent waren vom Gegenteil überzeugt.[7] Der Grund: Ohne kostengünstiges Erdgas könnten zentrale Branchen der europäischen Industrie nicht überleben.

Kanadas Sanktionen erschweren Reparatur

Würde eine Reparatur der Pipeline Nord Stream 1 die Wiederaufnahme der Lieferungen zumindest theoretisch ermöglichen, so hat Kanada entsprechenden Überlegungen Ende 2022 einen weiteren Schlag versetzt: Es hat Sanktionen wieder aktiviert, die es speziell verhindern, eine im kanadischen Montreal überholte Siemens-Turbine, die für den Betrieb von Nord Stream 1 benötigt wird, nach Russland zurückzubringen.[8] Das erhöht den Aufwand für eine Instandsetzung der Erdgasleitung zusätzlich. Hätte Ottawa eine etwaige Reparatur der Pipeline nicht im Blick, ergäbe die Aktivierung der Sanktionen zum Nachteil einer zerstörten Erdgasleitung wenig Sinn.

«Eine plausible Erzählung vorlegen»

Nicht nur in führenden US-Medien wird eine russische Täterschaft mittlerweile als recht unwahrscheinlich eingestuft. Auch «Leute im Berliner Regierungsbetrieb», so wird berichtet, stellten «unter der Hand Fragen …, die für Unruhe in der Nato sorgen könnten»: Hätten nicht «die Ukraine und Polen mit grösstem Nachdruck von Deutschland den Verzicht auf die Nord-Stream-Leitungen gefordert?»[9] Ein nicht namentlich genannter hochrangiger Militärexperte wiederum wird mit der Aussage zitiert, man möge «sich gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn irgendwann mitten im Krieg herauskäme, dass ein Nato-Staat bei der Bombardierung der umstrittenen Pipeline geholfen oder von entsprechenden Plänen gewusst habe, ohne sie zu verhindern».[10]

Der Druck auf die deutsche Regierung steigt, erste Ergebnisse der Ermittlungen zu den Nord Stream-Anschlägen bekanntzugeben, «weil die wilden Spekulationen in dieser unklaren Situation nicht ungefährlich sind», sagte der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums.[11] Auch der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen), verlangt, die Bundesregierung müsse «Transparenz schaffen oder wenigstens eine plausible Erzählung der Ereignisse vom 26. September vorlegen».

Schiffe mit ausgeschaltetem Transponder

Erschwert wird die Angelegenheit durch die exzessive Geheimhaltungspraxis Schwedens, dessen Behörden laut Berichten nicht einmal die verbündeten NATO-Staaten über Resultate ihrer Ermittlungen informieren. Zu den Rätseln um die Anschläge auf die Pipelines gehört nicht zuletzt, woher die beiden grossen Schiffe kamen, die laut Recherchen des Magazins «Wired» in den Tagen unmittelbar vor den Anschlägen nicht weit von den Tatorten kreuzten und dabei ihre Transponder ausgeschaltet hatten.[12] Bemerkenswert ist, dass noch niemand Belege für die Behauptung präsentiert hat, es seien russische Schiffe gewesen. Die Grösse der Schiffe und die Dichte der NATO-Aufklärung in der Ostsee lässt Unkenntnis über das maritime Geschehen unweit der strategisch wichtigen Insel Bornholm als nicht besonders wahrscheinlich erscheinen. Bekannt ist jedoch, dass sich Kriegsschiffe der schwedischen Marine kurz vor dem Tatzeitpunkt gleichfalls in der Nähe der Tatorte aufgehalten hatten. Die schwedische Marine hat dies sogar eingeräumt und als Ursache nicht näher bestimmte Massnahmen der Seeraumüberwachung angegeben.[13] Ob dabei üblicherweise die Transponder ausgeschaltet werden, ist nicht bekannt.

FUSSNOTEN:
[1] Shane Harris, John Hudson, Missy Ryan, Michael Birnbaum: «No conclusive evidence Russia is behind Nord Stream attack». washingtonpost.com, 21.12.2022.
[2] Rebecca R. Ruiz, Justin Scheck: «In Nord Stream Mystery, Baltic Seabed Provides a Nearly Ideal Crime Scene». nytimes.com, 26.12.2022.
[3] Michael Maier: «Nord Stream: Repariert Russland heimlich die Pipeline?» berliner-zeitung.de, 02.01.2023.
[4] Rebecca R. Ruiz, Justin Scheck: «In Nord Stream Mystery, Baltic Seabed Provides a Nearly Ideal Crime Scene». nytimes.com, 26.12.2022.
[5] S. dazu Die Erdgaslücke.
[6] Rebecca R. Ruiz, Justin Scheck: «In Nord Stream Mystery, Baltic Seabed Provides a Nearly Ideal Crime Scene». nytimes.com, 26.12.2022.
[7] Javier Blas: «Can Europe’s Energy Bridge to Russia Ever Be Rebuilt?» bloomberg.com, 12.12.2022.
[8] Darren Major: «Ottawa revokes sanctions waiver on Nord Stream gas turbines». cbc.ca, 14.12.2022.
[9], [10] Daniel Goffart: «Erst bombardieren, dann reparieren?» wiwo.de, 01.01.2023.
[11] Christopher Ziedler: «100 Tage nach den Gaslecks: Rätselraten um die Nord-Stream-Sabotage geht weiter». tagesspiegel.de, 03.01.2023.
[12] «’Dark Ships› Emerge From the Shadows of the Nord Stream Mystery». wired.co.uk, 11.11.2022.
[13] Svenska marinens fartygsrörelser I området: «Inte en slump». svt.se, 03.10.2022.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —  Karte der Explosionen, die an den Nord-Stream-Pipelines am 26. September 2022 verursacht wurden.

Verfasser FaktenOhne Voreingenommenheit1      /      FactsWithoutBias1     /

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International Lizenz.

Abgelegt unter Energiepolitik, Europa, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Coffin, Swanstrom (2013)

Erstellt von Redaktion am 13. Januar 2023

 35 Jahre “How does HIV-1 cause AIDS?” unbeantwortet

Dia Mundial de Luta contra a Aids – Assinatura da Declaração de Paris (51717507947).jpg

Von Johannes Kreis

Im Januar 2023 jährt sich zum zehnten Mal die Veröffentlichung von Coffin und Swanstrom zur mutmaßlichen Pathogenese von HIV (nicht AIDS!) und die dort gestellte und weiterhin offene Frage „How does HIV-1 cause AIDS?“. Diese Frage war in 2013 schon mehr als 25 Jahre alt und unbeantwortet.

John Coffin und Ronald Swanstrom sind 100% Konsenswissenschaft und vollkommen unverdächtig irgendetwas zu leugnen.

John Coffin ist Professor für Molekularbiologie und Mikrobiologie an der Tufts University, School of Medicine, in Boston (MA), Mitglied der National Academy of Sciences der USA, und er war PhD Student bei Howard Temin, der für die Entdeckung des Reverse Transkriptase Enzyms den Nobelpreis bekam.

Ronald Swanstrom ist Professor für Biochemie an der UNC Medical School in Chapel Hill (NC), Mitglied der American Academy of Mikrobiologe und außerdem Mitglied des Diversant Komitees.

  • Coffin, Swanstrom, “HIV Pathogenesis: Dynamics and Genetics of Viral Populations and Infected Cells”, Cold Spring Harb Perspect Med. 2013 Jan; 3(1), https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3530041/
  • “HOW DOES HIV-1 CAUSE AIDS?  As is apparent from this article and the rest of the collection, in the 25+ years since its discovery, we have learned an enormous amount about HIV, but we still cannot answer the one big question: How does HIV-1 cause AIDS?”

Even if we knew the mechanism of HIV-mediated cell killing, we would not know how HIV-1 causes CD4+ T-cell decline and AIDS in humans. The observation that virus and cell turnover rates in various SIVs in their natural hosts (such as SIVsm in sooty mangabeys), which do not progress to AIDS, are essentially identical to those in humans, who do progress, implies that cell killing alone cannot account for AIDS pathogenesis. Indeed, this result is consistent with the high natural turnover rate of activated effector memory helper T cells, the primary target for HIV-1 infection, on the order of 1010 cells per day, of which only a small fraction are infected after the initial primary infection phase.”

Die Frage ist in 2023, nach mehr als 35 Jahren, weiterhin nicht beantwortet. Es sind viel zu wenige CD4 Zellen mit HIV infiziert und es werden tägliche einige Milliarden CD4 Zellen neu gebildet, um eine Abnahme der CD4 Zellenzahl, dem zentralen Kennzeichen des AID Syndroms, durch HIV zu erklären. Die Öffentlichkeit erfährt von diesem ganz fundamentalen Problem der Virushypothese des AID Syndroms weiterhin nichts und die Fachwelt, die sogenannten scientific community, ergeht sich seit mehr als 3 Jahrzehnten in beliebige Spekulationen zu diesem Thema. Der letzte Stand ist, dass das Problem komplizierter sei, als angenommen („Apoptosis mediated by HIV infections is more complex than previously thought“), siehe unten.

Experimentell ist seit 35 Jahren klar, dass bei dem echten AID Syndrom in der Mehrzahl die nicht mit HIV infizierten CD4 Zellen sterben, die sogenannten Bystander-Zellen. Es war von Anfang an klar, dass nur ganz wenige CD4 Zellen überhaupt infiziert sind. Man kann dazu sogar Robert Gallo als Co-Autor zitieren (Human T-lymphotropic Virus Type III, HTLV-III, ist ein alter Name für HIV-1),

  • Harper et al., “Detection of lymphocytes expressing human T-lymphotropic virus type III in lymph nodes and peripheral blood from infected individuals by in situ hybridization”, PNAS 1986, 83 (3) 772-77, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC322947/

“In this paper, we directly demonstrate the presence of HTLV-III-expressing lymphocytes in primary lymph nodes and peripheral blood from AIDS and ARC patients using a highly sensitive in situ hybridization method that makes use of high specific activity RNA probes. HTLV-III-infected cells are present in both types of lymphoid tissue at very low frequency (<0.01% of mononuclear cells) and therefore cannot comprise the lymph node hyperplasia in HTLV-III-associated lymphadenopathy,”

Nur 2 Jahre vorher, im April 1984 waren eben jener Robert Gallo  und die damalige Gesundheitsministerin der USA, Margaret Heckler, vor die Presse getreten und hatten verkündet, dass das AID Syndrom durch einen übertragbaren Virus verursacht würde und nichts mit jahrelangem Drogen- und Medikamentenmißbrauch, Mangelernährung und multiplen Geschlechtskrankheiten zu tun hätte. Das waren die objektiven Befunde bei den betroffenen Populationen von Homosexuellen, siehe unten.

Die Wissenschaft hat 1984 eine ungeheure Hypothek aufgenommen, es sind Hunderte Milliarden von US-Dollar seit 1984 mit dieser Hypothek verdient worden, und die Wissenschaft kann bis heute, 2023, nicht liefern. Hier von „Der Wissenschaft“ zu sprechen, ist mit Bezug zu damals nicht ganz korrekt, denn es gab damals zahlreiche Kritiker der ohne Beweis verkündeten Virushypothese des AID Syndroms. Die Kritiker wurden nach und nach ausgegrenzt und als Leugner diffamiert. Fördermittel wurden mit der Begründung verweigert, die Kritiker des HIV=AIDS Dogmas arbeiteten unwissenschaftlich. Aber, was könnte unwissenschaftlicher sein, als den mutmaßlichen Stand der Wissenschaft vom Gesundheitsminister verkünden zu lassen. Gemeint ist hier Margaret Heckler und nicht der Politclown Karl Lauterbach.

Da man aber HIV, als mutmaßlich neuen Erreger aus einer Zoonose, als Ursache für das erstmalig ab 1981 auftretende AID Syndrom vorgegeben hatte, muß man irgendeinen unbekannten Mechanismus postulieren, der irgendwie von außen (also ohne Infektion der Zelle) die CD4 Zelle tötet. Es gibt nicht den geringsten Beweis für einen solchen von außen von HIV induzierten Zelltod. Retroviren töten keine Zellen, weder von innen noch von außen. Das war der Grund warum man sie in den 1970er und 1980er Jahren als Kandidaten für das Auslösen von Krebs betrachtet hat. Krebszellen sterben gerade nicht, sondern sie vermehren sich ungebremst. Vgl. Peter Duesberg, Mitglied der National Academy of Sciences der USA und frühzeitiger Kritiker des HIV=AIDS Dogmas,

Eine größere Veröffentlichung, die sich umfassender mit dem Bystander-Rätsel der HIV=AIDS Hypothese befasst hat, stammt aus 2017. Auch diese Veröffentlichung löst das Rätsel nicht.

With a limited number of infected cells and vastly disproportionate apoptosis in HIV infected patients, it is believed that apoptosis of uninfected bystander cells plays a significant role in this process.”

The number of HIV infected cells in patients is relatively low and cannot solely account for the loss of CD4 cells in vivo. Hence, it is believed that the loss of CD4 cells during HIV infection is due to the process of bystander apoptosis induction.”

Apoptosis mediated by HIV infections is more complex than previously thought. A role of both host and viral factors in this phenomenon is becoming increasingly evident.”

Es ist seit mehr als 3 Jahrzehnten dokumentiert, dass viel zu wenige CD4 Zellen infiziert sind, als dass eine Verringerung der CD4 Zellenzahl, wie sie beim AID Syndrom beobachtet wird, durch eine Infektion dieser Zellen mit HIV zu erklären wäre.

“Nonetheless, a number of important issues concerning the pathogenesis of HIV infection remain unresolved. For example, it remains unclear how CD4+ T cells are lost after HIV infection. The low frequency of infected cells seen even in advanced infection implies that a direct cythopathic effect of HIV on infected CD4+ T cells cannot explain their disappearance.

  • Muro-Cacho et al. „Analysis of apoptosis in lymph nodes of HIV-infected persons. Intensity of apoptosis correlates with the general state of activation of the lymphoid tissue and not with stage of disease or viral burden.“, J Immunol May 15, 1995, 154 (10) 5555-5566; https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/7730654
“Taken together, these results indicate that the increased intensity of the apoptotic phenomenon in HIV infection is caused by the general state of immune activation, and is independent of the progression of HIV disease and of the levels of viral load”
  • Finkel et al. „Apoptosis occurs predominantly in bystander cells and not in productively infected cells of HIV- and SIV-infected lymph nodes.“, Nat Med. 1995 Feb;1(2):129-34, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/7585008

We show here, using in situ labelling of lymph nodes from HIV-infected children and SIV-infected macaques, that apoptosis occurs predominantly in bystander cells and not in the productively infected cells themselves.”

“However, these attributes – singly and in combination – are shown here to be inadequate to explain the latency, immunological damage, and clinical dynamics of the disease of AIDS. The virological paradigm cannot explain the disease-free period (clinical latency); the mechanism and dynamics of CD4 T cell loss; the reason for the onset of disease at a given time-point; the relationship of CD4 T cell loss to AIDS-type disease; nor the idiosyncratic constellation of immunological and clinical phenomena that comprise AIDS as a unique syndrome.”

The mechanism by which HIV causes depletion of CD4+ T cells in infected individuals remains unknown. Numerous theories have been proposed, but none can fully explain all of the events observed to occur in patients”

Die sogenannte Wissenschaft hat keine Ahnung, wie HIV-1 zu dem AID Syndrom führen soll. So wie die moderne Medizin aufgestellt ist, muß sie das auch nicht. Denn der positive Test definiert die Krankheit. Das letzte Beispiel dazu ist die sogenannte Corona-Virus-Krankheit (Corona Virus Disease, COVID). An dieser „erkrankt“ die weitüberwiegende Mehrzahl der Betroffenen symptomlos, nachdem ein Test positiv war.

Das AID Syndrom gibt es wirklich. Aber es hat nichts mit einem mutmaßlich neuen Virus aus einer ohne Beweis unterstellten Zoonose zu tun, sondern es geht auf jahrelangen Antibiotika- und Drogenmißbrauch, Mangelernährung, sowie multiple Infektionen mit sexuell übertragbaren Krankheiten durch vielfachen, über Jahre praktizierten ungeschützten Analverkehr zurück,

“Results of our study suggest that white Southern male homosexuals without clinical evidence of AIDS who patronize „gay bars“ may have significant zinc deficiency and moderately depressed T-helper/T-suppressor cell ratios. No single causative factor could be identified to explain the significantly low zinc and elevated copper levels measured in whole blood, as well as the depressed OKT4/OKT8 cell ratios. Seventy-four percent of the homosexual male subjects were „recreational“ drug abusers, 81% used inhalant nitrites routinely, and 41% routinely treated themselves with antibioticsEighty-one percent practiced active and/or passive penile-oral insertion, and 55.5% practiced both active and passive anal intercourse. Of the latter, 19% reported anal bleeding. Clinically inapparent, though statistically significant, borderline immunodeficiency and aberrant zinc and copper levels may be a consequence of multiple factors comprising the gay bar life-style.

Nach einem positiven Test behandelt man die Therapieopfer mit schweren Zellgiften und der Kreis schließt sich. Denn die vielfältigen Gewebeschäden, die diese Zellgifte hervorrufen, schiebt man dem Virus unter. Zu einer Übersicht der schweren Nebenwirkungen vgl.

Bleeding Events

Bone Density Effects

Bone Marrow Suppression

Cardiac Conduction Effects

Cardiovascular Disease

Cholelithiasis

Diabetes Mellitus and Insulin Resistance

Dyslipidemia

Gastrointestinal Effects

Hepatic Effects

Hypersensitivity Reaction

Excluding rash alone or Stevens-Johnson syndrome

Lactic Acidosis

Lipodystrophy

Myopathy/Elevated Creatine Phosphokinase

Nervous System/Psychiatric Effects

Rash

Renal Effects/Urolithiasis

Stevens-Johnson Syndrome/Toxic Epidermal Necrosis

Diese Liste ist eher zu kurz als zu lange, da einige hochgiftige Substanzen wie Didanosin (ddI), Stavudin (d4T), Fosamprenavir (FPV), Indinavir (IDV), Nelfinavir (NFV), Saquinavir (SQV) und Tipranavir (TPV) nicht mehr verwendet werden. Diese wurden still und heimlich vom Markt genommen. Zuvor waren sie jahrelang im Einsatz, mit katastrophalen Konsequenzen für diejenigen, die mit ihnen behandelt wurden. Aber es war hochprofitabel für alle anderen Beteiligten.

Nur wenige Autoren geben zu, dass sie keine Ahnung haben, ob die schweren Schäden auf die „Therapie“ oder den HI Virus zurückgehen, vgl.

 

“A shift from AIDS-related causes of morbidity and mortality to non-AIDS causes such as non-AIDS malignancyliver cirrhosisend stage renal disease and serious cardiovascular events occurred in HIV patients nearly one decade ago due to use of potent antiretroviral therapy.”

Everyone in our investigation was taking suppressive ART. Thus, we can only speculate whether the grade 4 events are due to underlying HIV disease or to ART.

Man unterstellt eine „HIV disease“, also keine opportunistische Infektionen, die für das AID Syndrom kennzeichnend sind, und Vorzeige-Virologen wie Jürgen Rockstroh, ehemaliger Präsident der European AIDS Clinical Society (EACS), fabulieren von einem erhöhten Entzündungslevel aufgrund von HIV.

„Liegen bereits Erkenntnisse vor, ob eine langjährige Infektion und Einnahme der Tabletten verstärkt zu bestimmten Begleiterkrankungen führen?

Es gibt verschiedene Forschungsprojekte, die sich mit dieser Frage beschäftigen. Wir wissen, dass BluthochdruckDiabetes Mellitus und Osteoporose häufiger und bereits in jüngerem Lebensalter auftreten. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass bei Infizierten – auch wenn sie mit Medikamenten die Viruslast gering halten – das Immunsystem ständig stimuliert wird. Das löst eine Entzündungsreaktion aus, die all diese Erkrankungen begünstigt.“

Das kann nicht mal mehr als Spekulation gelten, denn die beobachteten Schäden entsprechen 1:1 den bekannten Nebenwirkungen der sogenannten „antiretroviralen Therapie“. Diese Nebenwirkungen haben nichts mit den opportunistischen Infektionen zu tun, wie sie beim echten AID Syndrom auftreten. Einige Autoren bezeichnen diese Befunde als „non-HIV co-morbidities” oder „non-infectious co-morbidities“ und lassen offen was sie verursacht, außer, dass HIV nicht die Ursache ist.

  • Maggi et al., “Clusterization of co-morbidities and multi-morbidities among persons living with HIV: a cross-sectional study.”, BMC Infect Dis. 2019 Jun 25;19(1):555, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31238916

“Non-HIV co-morbidities included: cardiovascular diseasediabetes mellitushypertensiononcologic diseasesosteoporosis, probable case of chronic obstructive pulmonary disease (COPD), hepatitis C virus (HCV) infection, psychiatric illnesskidney disease.”

“Table 1 – Characteristics of 1087 patients enrolled in the Cluster Project: Years since ART initiation 9.0 (4.0–16.0)”

“The most frequent co-morbidity was dyslipidemia (55.3%), followed by hypertension (31.4%), COPD (29.4%), hepatitis C virus (HCV) infection (25.4, 5.5% with detectable HCVRNA), psychiatric illness (10.3%), diagnosis of osteopenia/osteoporosis (10.1%), diabetes (6.1%), and renal impairment (4.8%); 95 (8.7%) subjects had history of non-AIDS-defining cancer. Forty-nine patients (4.5%) had pCVD events.“

“Our data evidence that, in spite of mean age lower than 50, co-morbidity was the rule among our PLWH (82%)and that more than 50% of our patients were multi-morbid. Moreover, about 30% of them had three or more chronic non-HIV related conditions, thus confirming recent data provided by other studies in the field.”

  • Hernández et al., “Increased incidences of noninfectious comorbidities among aging populations living with human immunodeficiency virus in Ecuador: a multicenter retrospective analysis.”, HIV AIDS (Auckl). 2019 Apr 1;11:55-59, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31114389

“The average age at HIV diagnosis was 34.1 years old and cART in average was started 15.9 months after HIV-diagnosis. Recruited patients were receiving cART for an average of 59.2±40.2 months. Only 9.9% (n=50) of the patients did not show any NICMs [noninfectious comorbidities]. Diabetes and pre-diabetes was found in 6% (n=30) and 16.3% (n=82) patients, respectively; however, dyslipidemia and overweight/obesity was frequent, as they affected 41.4% (n=208) and 36.4% (n=183) patients, respectively.”

Conclusion: Prevalence of NICMs among subjects under cART was greater than that reported among the Ecuadorian general population, therefore specific public health actions are required to make patients aware of and prevent NICMs among PLHIV in Ecuador.”

Zentraler Bestandteil aller Kombinationspräparate gegen HIV (nicht AIDS!) sind Nukleosid- oder Nukleotidanaloga. Diese schädigen die Mitochondrien, also die Energielieferanten der Zellen, und führen so zu einer Vielzahl Gewebeschäden. Die Literatur dazu kann als gefestigt bezeichnet werden.

“In 1988, the suggestion that the first antiretroviral drug, zidovudine, was the potential cause of muscle pathology in HIV-infected persons resulted in structural and biochemical patient studies demonstrating acquired mitochondrial dysfunction. Assessment of subsequent nucleoside analog reverse transcriptase inhibitor (NRTI) antiretroviral drugs has indicated that mitochondria are a common target of NRTI toxicity in multiple tissues, leading to a wide variety of pathology ranging from lipodystrophy to neuropathy. Overwhelmingly, these complications have emerged during post-licensing human studies.”

“Millions of patients have been treated with mitochondrially toxic NRTIs and these drugs remain the backbone of antiretroviral rollout in much of sub-Saharan Africa.”

Neben dieser Stoffklasse gibt es weitere Stoffklassen, die in den Kombinationspräparaten enthalten sind. Diese hören auf Phantasienamen wie Proteaseinhibitoren oder Integraseinhibitoren. Ritonavir gehört zu den Proteaseinhibitoren und ist auch in Paxlovid enthalten, dass gegen die Corona-Virus-Krankheit 2019 (COVID-19) eingesetzt wird. Proteaseinhibitoren sind kaum wasserlöslich und es sind Menschen Nierensteine entnommen worden, die vollständig aus Ritonavir bestanden.

Existing literature shows a strong relationship between HIV protease inhibitors (PIs) and risk of developing nephrolithiasis, with stones composed predominantly of drug crystals.1–6 Most of these cases have been reported with the use of PIs: indinavir and atazanavir, with or without ritonavir boosting.”

Here, we describe the development of a renal stone composed entirely of ritonavir. This case is especially unique given that this stone was passed 2 years after the patient had stopped using ritonavir.”

Sowohl Proteaseinhibitoren als auch Integraseinhibitoren erzeugen schwere Schäden. Für Proteaseinhibitoren ist die Literatur gefestigt, bei Integraseinhibitoren wartet man seit 2007 auf Langzeitstudien (fängt aber schon mal mit der lebenslangen „Therapie“ an).

“Osteopenia and osteoporosis are unique metabolic complications associated with protease inhibitor-containing potent antiretroviral regimens, that appear to be independent of adipose tissue maldistribution.”

The literature involving renal adverse effects and antiretroviral therapy is most robust with protease inhibitors, specifically atazanavir and indinavir, and includes reports of crystalluria, leukocyturia, nephritis, nephrolithiasis, nephropathy and urolithiasis. Several case reports describe potential nephropathy (including Fanconi syndrome) secondary to administration of abacavir, didanosine, lamivudine and stavudine.”

 “However, this side effect is not due to a direct dysfunction of the kidneys. Zalcitabine was withdrawn from the market because of this risk. Indinavir, a protease inhibitor, is soluble only in very acidic solutions. Consequently, the small fraction that is excreted in the urine precipitates and can be responsible for uro-nephrolithiasis, leukocyturia, cristalluria, obstructive acute kidney failure, and acute or chronic interstitial nephritis.

Zu Integraseinhibitoren vgl.

Overall, in 85 patients (15.3%), DGV was stopped. In 76 patients (13.7%), this was due to intolerability. Insomnia and sleep disturbance (5.6%), gastrointestinal complaints (4.3%) and neuropsychiatric symptoms such as anxiety, psychosis and depression (4.3%) were the predominant reasons for switching DGV.”

Stand 2021 wartet man, nachdem man seit 2007 diese Substanzklasse an Menschen eingesetzt hat (Raltegravir, FDA Zulassung für Kinder ab 2 Jahren, auf der WHO Liste der „essential medicines“), weiterhin auf Langzeitstudien, vgl.

“Longer term studies are required to understand the metabolic impact of INSTIs, secondary to weight gain. Evidence suggests that INSTIs, when used with TAF, contribute to metabolic syndrome and may have long-term risks of diabetes.”

Zu den Schäden durch Integraseinhibitoren kann man sogar Hendrik Streeck zitieren, der auch auf Langzeitstudien Integraseinhibitoren wartet, Stand 2019.

We noticed a significant decrease in respiration of cells treated with dolutegravir (DLG) or elvitegravir (EVG) and a switch from polyfunctional to TNF-α–dominated “stress” immune response. There was no effect on glycolysis, consistent with impaired mitochondrial function. We detected increased levels of mitochondrial ROS and mitochondrial mass. These findings indicate that EVG and DLG use is associated with slow proliferation and impaired respiration with underlying mitochondrial dysfunction, resulting in overall decreased cellular function in CD4+ T cells.”

“Although the clinical relevance of these findings is unclear, future cohort studies where INSTI-based regimens are used over many years would be warranted to determine potential long-term toxicity.”

Aber Herr Streeck als linientreuer Vertreter der Konsenswissenschaft spricht natürlich von einer „großartigen Klasse von Medikamenten“, vgl.

  • Der Standard, „Integrase-Inhibitoren – Die potenziellen Nebenwirkungen von HIV-Medikamenten“, 24. Juni 2019https://www.derstandard.at/story/2000105217472/die-potenziellen-nebenwirkungen-von-hiv-medikamenten
  • „Die neuen Labordaten legen nahe, dass INSTI möglicherweise nicht so sicher sind wie bislang gedacht. Die Forscher fanden heraus, dass sie einen starken Effekt auf die Aktivität von Immunzellen haben und insbesondere die Aktivität und Funktion von CD4-T-Helferzellen reduzieren. Da das HI-Virus selbst CD4-Helferzellen angreift und zerstört, ist es fraglich, ob diese Medikamentenklasse die beste Wahl zur dauerhaften Therapie von HIV ist.“

Welt-Aids-Tag PHOTO DU JOUR DU MERCREDI 1. DEZEMBER 2021.jpg

„Zusätzlich wurden in mehreren kürzlich durchgeführten Studien INSTI mit einer signifikanten Gewichtszunahme in Zusammenhang gebracht werden. „INSTI sind eine großartige Klasse von Medikamenten und haben weltweit Millionen von Menschen geholfen. Unsere Studie fordert jedoch eine erhöhte Pharmakovigilanz für eine potenziell schwerwiegende Langzeittoxizität dieser Substanzen“ sagt Streeck. „Angesichts der weit verbreiteten Nutzung von INSTI sind prospektive Studien erforderlich, um die breiteren klinischen Auswirkungen unserer Ergebnisse zu bestimmen.““

Eine mutmaßlich antiretrovirale Stoffklasse gegen HIV (nicht AIDS!), die die Aktivität von CD4 Zellen beeinträchtigt, und Herr Streeck spricht von einer „großartigen Klasse von Medikamenten“? Man hätte „weltweit Millionen von Menschen geholfen“, aber von einer „potenziell schwerwiegenden Langzeittoxizität dieser Substanzen“ weiß man 2019, d.h. 12 Jahre nach der Einführung, angeblich weiterhin zu wenig? Und die „weit verbreitete Nutzung“ von Integraseinhibitoren ist jetzt die Begründung dafür, dass „prospektive Studien erforderlich“ sind, d.h. mit noch zu erhebenden, neuen Daten? Warum nimmt man nicht die schon bekannten Daten und setzt die Behandlung mit diesen hochtoxischen Substanzen aus? Die Krise macht es möglich. Der Konsenswissenschaft nach sind wir im Jahr 43 einer HIV Pandemie (nicht AIDS-Pandemie!), gerechnet ab 1981, und in der Krise muß man eben Abstriche bei der Sicherheit machen, oder genauer, man vertagt Studien zur Arzneimittelsicherheit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Für die Medikamentensicherheit gilt das Gleiche, wie für die ganz fundamentalen, offenen Fragen der Theorie, „How does HIV-1 cause AIDS?“.

Hier zeigen sich die Qualitäten, die es aktuell braucht, um Professor für Virologie mit Schwerpunkt HIV zu werden. Warum fragt niemand Herrn Streeck, wie er die Frage von Coffin und Swanstrom (2013) beantwortet, „How does HIV-1 cause AIDS?“. Er ist doch der große Experte.

Die Schäden durch Proteaseinhibitoren sind auch in HIV-neg. gemessenen Menschen nach wenigen Wochen(!) zu beobachten, u.a. Störungen des Stoffwechsels. Das weiß man seit 20 Jahren.

“In the absence of HIV infectiontreatment with indinavir for 4 weeks causes insulin resistance independent of increases in visceral adipose tissue or lipid and lipoprotein levels.”

“Compared to previously performed studies of identical design using single doses of indinavir and lopinavir/ritonavir, a hierarchy of insulin resistance was observed with the greatest effect seen with indinavir followed by ritonavir and lopinavir/ritonavir, with little effect of amprenavir.”

Dennoch läßt man Ritonavir, trotz schwerer Nierenschäden und Stoffwechselstörungen, in Paxlovid verpackt, nach einer Notfallzulassung im Dezember 2021, auf die Menschheit los. Eine unterstellte Krise macht es möglich.

Und Herr Rockstroh fantasiert (Stand 2019), dass Diabetes und Osteoporose bei jungen HIV+ gemessenen Menschen in „Therapie“ auf ein ohne Beweis unterstelltes erhöhtes Entzündungsniveau zurückginge. Warum hat Frau Dörhöfer von der Frankfurter Rundschau ihn nicht einmal gefragt, wie er die Frage von Coffin und Swanstrom (2013) beantwortet? Weiß Frau Dörhöfer nichts von dem Riesenloch in der Virustheorie des AID Syndroms?

Zu Veröffentlichungen aus 2022 zu den schweren Nebenwirkungen der mutmaßlichen „antiretroviralen Therapie“, die vielfach weiterhin dem HI Virus untergeschoben werden, vgl.

Both Atripla and Triumeq caused mitochondrial dysfunction, specifically efavirenz and abacavir. Additionally, transcriptome sequencing (RNA-seq) demonstrated that both Atripla and Triumeq caused differential regulation of genes involved in immune regulation and cell cycle and DNA repair. Collectively, our data demonstrate that cART, independent of HIV, alters the MDM phenotype. This suggests that cART may contribute to cell dysregulation in PLWH that subsequently results in increased susceptibility to comorbidities.”

Die ohne Beweis unterstellten “HIV diseases” wären umso ausgeprägter, je länger der Mensch die „antiretrovirale Therapie“ nimmt. Es sei noch einmal betont, dass diese sogenannten „HIV diseases“ nichts mit den opportunistischen Infektionen des echten AID Syndroms zu tun haben. Sie entsprechen 1:1 den vielfach dokumentierten Nebenwirkungen der sogenannten „Therapie“.

Our data suggest that longer ART exposure was associated with increased risk of dyslipidemia, hypertension, and osteopenia/osteoporosis, hence the presence of multimorbidity, possibly due to the exposition to more toxic antiretrovirals. We observed different comorbidities, according to ART exposure and age.”

Seit 30 Jahren werden schwere Leberschäden durch die “antiretrovirale Therapie” dokumentiert, so auch in 2022,

“Subgroup analysis by HAART status showed a higher pooled prevalence of hepatotoxicity among HIV patients taking HAART (23.63%) than among HAART naive patients (7.29%).”

“According to these findings, the use of HAART has significantly increased hepatotoxicity in HIV-infected patients.”

Von 100 “Therapie”-naiven Menschen, d.h. Menschen, die noch keine Substanzen gegen HIV (nicht AIDS!) eingenommen haben, zeigten sich bei 15 bzw. 28 Menschen schweren Leberschäden nach 4 bzw. 24 Wochen nach Beginn der Behandlung, vgl.

  • Abongwa et al., “Risk factors of severe hepatotoxicity among HIV-1 infected individuals initiated on highly active antiretroviral therapy in the Northwest Region of Cameroon”, BMC Gastroenterol. 2022; 22: 286, published online 2022 Jun 3, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9166462/

“A total of 100 drug-naive patients aged between 18 and 61 years were recruited. They were put on Tenofovir/Lamivudine/Efavirenz [TDF/3TC/EFV] (64), Zidovudine/ Lamivudine/Efavirenz [AZT/3TC/EFV] (22), and Zidovudine/Lamivudine/Nevirapine AZT/3TC/NVP (14) and monitored for 6 months and blood samples drawn. Alanine aminotransferases (ALT), aspartate aminotransferases (AST), and alkaline phosphatase (ALP) were analyzed by enzymatic methods and used to classify levels of hepatotoxicity.”

“A total of 37 (37%) and 49 (49%) patients presented with hepatotoxicity while 15% and 28% had severe hepatotoxicity at 4 and 24 weeks respectively.”

Angesichts dieser, seit Jahrzehnten dokumentierten schweren Schäden durch die „antiretrovirale Therapie“, ist es deutlich zu wenig, ständig neue Studien zu fordern.

Weil einige Menschen zu schnell nach Beginn der Behandlung mit diesen Zellgiften starben, hat man das Immunrekonstitutionssyndrom erfunden. Diesem frei erfundenen Phänomen nach, wäre die „Therapie“ so erfolgreich, dass die Menschen durch ein zu schnelles Wiedereinsetzen des Immunsystems versterben.

“This phenomenon is known as a multitude of names including “immune reconstitution inflammatory syndrome (IRIS)”, “immune reconstitution or restoration disease” (IRD) or immune reconstitution syndrome” and includes various forms of a clinical deterioration as a consequence of a rapid and dysregulated restoration of antigen specific immune responses causing an exuberant inflammatory reaction and a cytokines storm. This was first noted following the introduction of zidovudine monotherapy in the early 1990s, […].”

Dieser monströse Humbug geht auf die Zeit zurück, als man Menschen mit 1500 mg AZT (Zidovudin) pro Tag(!) über Monate behandelte. Das kann man nicht überleben, gleichgültig wie schlecht der Körper AZT metabolisiert.

Millionen von Menschen wurden kaputt „therapiert“ und die Wissenschaft kann nach mehr als 35 Jahren immer noch nicht die zentrale Frage beantworten, nämlich, wie verursacht HIV-1 das AID Syndrom? („How does HIV-1 cause AIDS?“)

Der fehlende Zusammenhang zwischen dem AID Syndrom und HIV ist gut dokumentiert, die schweren Nebenwirkungen der “Therapie”-Substanzen sind gut dokumentiert, sogar die Dosisabhängigkeit der Schädigungen durch die „Therapie“ ist dokumentiert. Hier an dem Beispiel der mutmaßlichen HIV-Prophylaxe (nicht AIDS-Prophylaxe!) mit Emtricitabin/Tenofovir in zwei unterschiedlichen Tenofovir-Formulierungen. Nur, die beiden Formulierungen in Tabletten mit 300 mg Tenofovir Disoproxil Fumarat (TDF, enthalten in Truvada) und Tabletten mit 25 mg Tenofovir Alafenamid (TAF, enthalten in Descovy) entsprechen einer Dosisreduktion von Tenofovir um den Faktor bezogen auf das Molekulargewicht. Vgl. zu der „Medikamenten“-Studie,

  • Study to Evaluate the Safety and Efficacy of Emtricitabine and Tenofovir Alafenamide (F/TAF) Fixed-Dose Combination Once Daily for Pre-Exposure Prophylaxis in Men and Transgender Women Who Have Sex With Men and Are At Risk of HIV-1 Infection (DISCOVER)”, Gilead Sciences, 2016 – 2020,  https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02842086

Und siehe da, es wird, bei der Prophylaxe(!), eine erhebliche Verbesserung der Nierenwerte und der Knochenmineraldichte (bone mineral density, BMD) bei Menschen beobachtet, die von Truvada auf Descovy gewechselt sind, vgl.

  • Results from DISCOVER Trial Provide Bone and Renal Safety Profile Data from Participants who Switched from Truvada for PrEP® to Descovy for PrEP.”, Conference Reports for NATAP, IDWeek October 3 -7, 2018, San Francisco, CA, http://www.natap.org/2019/IDWeek/IDWeek_61.htm

“Improvements were statistically significant as early as Week 4 of the trial. At Week 48, eGFRCG increased by 3.9 mL/min from baseline for those randomized to F/TAF and decreased by 0.6 mL/min in those who continued to receive F/TDF (p<0.001).”

“Participants who were randomized to switch to F/TAF experienced statistically significant improvements in BMD of the hip and spine compared with those randomized to continue F/TDF. In addition, participants taking F/TAF for PrEP were significantly less likely to develop osteopenia of the spine.”

Aber man darf es nicht diskutieren. Es darf keine Diskussion geben, weil die moderne Wissenschaft und die Profite, die an ihr hängen, von der fehlenden Diskussion leben. Denn sobald es eine Diskussion gibt, sind Zweifel erlaubt. Und die Bevölkerung darf nicht lernen zu zweifeln. Sie soll weiterhin an die hochprofitablen Rundum-Sorglos-Pakete gegen mutmaßlich neue Killerviren durch eine Zoonose glauben.

Was tatsächlich passiert, ist, dass Menschen aufgrund eines beliebigen Tests als krank definiert werden und danach langsam an der „segensreichen Therapie“ zugrunde gehen.

Es kann nicht weitere 35 Jahre der Zustand der Wissenschaft bleiben, dass jede Diskussion mit dem Hinweis abgelehnt wird, es bestehe weitgehender Konsens der „Experten“ zu der Richtigkeit einer Theorie, unabhängig davon, wie groß die Löcher in der Theorie sind.

Es ist aber richtig zu sagen, dass in dem Fall der Virushypothese des AID Syndroms die (falsche) Theorie bei allen, außer den HIV+ gemessenen Menschen, zu Ansehen und Wohlstand geführt hat. HIV+ gemessenen Menschen waren hier nur Mittel zum Zweck. Und sei es nur, dass sich einige Berufsgutmenschen, z.B. bei der Deutschen AIDS Hilfe, als aufrechte Kämpfer gegen Stigmatisierung und Ausgrenzung profilieren konnten. Während die betroffenen HIV+ gemessenen Menschen langsam an AZT & Co zugrunde gingen, bewarben Organisationen dieser Art, zusammen mit den sogenannten HIV-Schwerpunktärzten und teilweise gefördert von den Pharmaindustrie, die „antiretrovirale Therapie“ als „im Allgemeinen gut verträglich“ und mahnten zur Therapieadhärenz, also des strikten Einhaltens des Therapieplans. Wenn die Behandlungen im zweistelligen Prozentbereich wegen zu schweren Nebenwirkungen abgebrochen werden müssen, kann man wohl kaum von „im Allgemeinen gut verträglich“ sprechen. Es fällt sehr schwer zu glauben, dass die Berufsgutmenschen oder die HIV-Schwerpunktärzte von der tatsächlichen Situation und den schweren Problemen, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis, nichts wissen.

Gleichzeitig hat man die „segensreiche Wirkung“ der „highly active antiretroviral therapy“ maßlos übertrieben. In einer Studie aus 2022 zeigten 23,8% von „therapierten“ Prostituierten in Burkina Faso nach Start der „Therapie“ keinen signifikanten Anstieg der CD4 Zellenzahl, trotz behaupteter Unterdrückung der HIV Viruslast („immunovirological discordance“), vgl.

“Among the 123 HIV-1 infected FSW having at least 12 months follow-up on ART, 105 (85.4%) achieved HIV-1 RNA suppression. Among the latter 25 gained less than 100 CD4 + T cells within 12 months follow-up. The IVD rate [immunovirological discordance] was 23.8% (95%CI 16.04%–33.11%).“

Der Theorie nach dürfte das gar nicht passieren, denn der Virus wurde ja unterdrückt. Schaut man aber auf das Experiment, so war schon 2006 klar, dass es fast keinen Zusammengang zwischen der CD4 Zellenzahl und der HI Viruslast gibt, hier an dem Beispiel von HIV+ gemessenen Menschen, die nicht „therapiert“ wurden.

“Despite this trend across broad categories of HIV RNA levels, only a small proportion of CD4 cell loss variability (4%-6%) could be explained by presenting plasma HIV RNA level.“

Gegen die Arbeit von Rodriguez et al. gab es seinerzeit schwere Widerstände, denn zum einen zieht sie die virale Ursache der Abnahme der CD4 Zellenzahl (zentrales Kennzeichen des AID Syndroms) in Zweifel. Zum anderen stellt sie die Sinnhaftigkeit der „Therapie“ in Frage, nämlich gegen HIV zu „therapieren“ (nicht gegen AIDS!), wenn die Veränderung der HIV Viruslast nur einen Bruchteil der Veränderung der CD4 Zellenzahl erklärt, siehe auch oben Wenceslas Bazié et al. (2022).

Vgl. dazu eine Antwort von Konsenswissenschaftlern mit starken Verbindungen zur Pharmaindustrie in dem dazugehörigen Editorial im JAMA. Dem Tenor nach kann es durchaus sein, dass die fehlenden, mehr als 90% Erklärbarkeit der Veränderung der CD4 Zellenzahl durch nicht-virale Faktoren verursacht ist. Dann wäre der HIV Plasmalevel (weniger als 10% Effekt) eben nur die Spitze des Eisbergs. Es spräche aber nichts dagegen, die verbleibenden, mehr als 90% nicht-virale Ursache auch zu therapieren, wenn es denn Substanzen dafür gäbe und man damit auf dem „Erfolg“  der „antiretroviralen Therapie“ aufbaute, vgl.

  • Henry et al., „Editorial – Explaining, predicting, and treating HIV-associated CD4 cell loss: after 25 years still a puzzle.“, JAMA, Sep 27, 2006, 296(12), p. 1523-5, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17003402

“What factor(s) explain the other 90%? Twenty-five years into the HIV epidemic, a complete understanding of what drives the decay of CD4 cells—the essential event of HIV disease—is still lacking. Direct and indirect effects of HIV infection, not fully measured by plasma HIV RNA levels, reverberate through a host’s unique genetic and immunologic environment.”

“Therapies focused on some of the nonviral factors (discussed above) may start to address the bulk of the “iceberg” below the tip of the measureable plasma HIV level.”

“Discovering and developing therapies that target key nonviral factors has the potential over the decades ahead to build on the success of antiretroviral therapy and expand access to sustainable effective therapy.”

Financial Disclosures:

Dr Henry reports that he conducts research funded by the National Institutes of Health, the Centers for Disease Control and Prevention, Bristol-Myers Squibb, Serono, Thera, and Pfizer; is on the speakers bureau for GlaxoSmithKline, Bristol-Myers Squibb, Roche, and Gilead; has received honoraria from GlaxoSmithKline, Bristol-Myers Squibb, and Gilead; and has been a consultant for GlaxoSmithKline, Bristol-Myers Squibb, and Gilead.

Dr Tebas reports that he receives grant support from the National Institutes of Health, Pfizer, Roche, VIRxSYS, Tibotec, Primagen, Gilead, VGX, and Wyeth; has received honoraria from Bristol-Myers Squibb and GlaxoSmithKline; and has been a consultant for Bristol-Myers Squibb and Primagen.

Dr Lane reports that he has received research support from Novartis and is a co-inventor in a US government–held patent of interleukin 2 for use in HIV infection.”

Was will man bei einer nicht-viralen Ursache therapieren? Was soll der Sinn einer Therapie für die „Spitze des Eisbergs“ sein? Welchen Sinn macht eine HIV-Therapie (nicht AIDS-Therapie!) überhaupt, wenn die CD4 Zellenzahl nicht nennenswert von der HIV Viruslast abhängt? Und was war 2006 an diesem Ergebnis von Rodriguez et al. überraschend, wenn man das schon lange bekannte Bystander-Zellen Rätsel berücksichtigt, d.h. die Tatsache, dass man in 2006 schon 20 Jahre lang wußte, dass viel zu wenige CD4 Zellen mit HIV infiziert sind, um das AID Syndrom mit HIV zu erklären? Berücksichtigt man diesem Umstand, dann hätte bei Rodriguez et al. ja gar nichts anderes herauskommen können. Die wenigen mit HIV infizierten Zellen machen eben nichts aus.

Aber wir sprechen hier nicht nur von einer wissenschaftlichen Theorie, die falsch ist. Sondern wir sprechen auch von Millionen von Menschen, die man zu Krüppeln „therapiert“ hat. Das ist in seiner Monstrosität nicht fassbar.

Wissenschaftlich ist man nach 35 Jahren ist nicht einen Schritt weiter, außer dass es hunderttausende von Arbeiten zu HIV (nicht AIDS!) gibt, die wild spekulieren, was eigentlich in der Natur passieren müßte. Da war der Phantasie keine Grenzen gesetzt, solange man nicht vom rechten Glauben abfiel und das HIV=AIDS Dogma anzweifelte. Der einzige Fortschritt war, die Dosen in der „Therapie“ dramatisch zu senken und allzu giftige Substanzen vom Markt zu nehmen. Und siehe da, die so behandelten Menschen leben länger.

Die mutmaßliche HIV-Pandemie (nicht AIDS-Pandemie!) war Blaupause für alle nachfolgenden Fakedemien, die nach demselben Muster abliefen:  einen neuen Erreger aus einer Zoonose postulieren (von welchem Tier kann offen bleiben), einen entsprechenden Test aus dem Hut zaubern, die Gefährlichkeit des mutmaßlich neuen Erregers an einer schwer vorerkranken Population festmachen (vorzugsweise Intensivpatienten), das Versterben ausschließlich dem positiven Test zuordnen, WHO, FDA, CDC, NIH, etc. medial Amok laufen lassen, Katastrophenmodellierungen von „Experten“ verbreiten lassen, Wunderpräparate (zur Therapie oder Prophylaxe) aus dem Ärmel schütteln, absahnen.

Bei SARS-CoV2 zauberte man innerhalb weniger Wochen einen Test aus dem Hut und innerhalb von 2 – 3 Monaten war man weltweit im Panik-Modus. Die Impfungen standen dann innerhalb eines Jahres flächendeckend, weltweit bereit, d.h. inklusive der Produktionskapazitäten für Milliarden von Impfstoffdosen. Aber ohne Sicherheitsprüfung, denn dafür ist in der Krise keine Zeit.

Das lief bei SARS-CoV2 deshalb wie geschmiert, weil die internationalen Strukturen und Abläufe dafür schon jahrzehntelang bestanden und man in den ausgetretenen Pfaden von früheren, mutmaßlich neuen Erregern aus einer Zoonose gewandert ist: HIV, BSE, SARS(1), MERS, diverse Schweine- und Vogelgrippen bis zu den klammheimlich wieder verschwundenen Affenpocken. Letzteres ist besonders merkwürdig, denn der Theorie nach müßten wir hier wieder vor einer Katastrophe stehen.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     — O Secretario Estadual da Saúde, Jean Gorinchteyn, do Governo do Estado de São Paulo, em Dia Mundial de Luta contra a Aids – Assinatura da Declaração de Paris Ort: São Paulo/SP Daten: 01/12/2021 Foto: Governo do Estado de São Paulo

************************

2.) von Oben     —         Kanyabayonga, Nord-Kivu, Demokratische Republik Kongo: Der Welt-AIDS-Tag wird heute, am 1. Dezember 2021, unter dem Motto „Beendigung der Ungleichheiten“ begangen. AIDS stoppen. Pandemien stoppen. Bei dieser Gelegenheit haben sich MONUSCO-Friedenstruppen aus Indien den lokalen Bemühungen angeschlossen, um die Bevölkerung von Kanyabayonga auf diese Pandemie aufmerksam zu machen. In der Demokratischen Republik Kongo leben derzeit rund 510.000 Menschen mit HIV, von denen über 300.000 Frauen, etwas mehr als 125.000 Männer und rund 70.000 Kinder sind. Foto MONUSCO/Kraft

Abgelegt unter Gesundheitspolitik, International, Kultur, Medien | Keine Kommentare »

Mexicos Atomisierte Gewalt

Erstellt von Redaktion am 12. Januar 2023

Mexico – Ein Staat in der Gewalt der Drogen Mafia 

Ciudad.de.Mexiko.Stadt.Distrito.Federal.DF.Paseo.Reforma.Skyline.jpg

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Tomasz Konicz

Im mexikanischen Bürgerkrieg niederer Intensität verschwimmen die Grenzen zwischen Staat und Drogenkartell zusehends.

Es waren bürgerkriegsartige Zustände, unter denen ein hochrangiges Mitglied des größten Drogenkartells der Welt, des Cártel de Sinaloa, in der Nähe der mexikanischen Stadt Culiacán Anfang Januar verhaftet wurde.1 Die Pistoleros des Kartells setzten hochkalibrige Waffen ein,2 sie errichteten Straßensperren, entzündeten Barrikaden und griffen den Flughafen der ostmexikanischen Stadt an, während die Armee mehrere tausend Mann mobilisierte und Kampfhubschrauber einsetzte,3 um Stellungen des Kartells zu beschießen. Insgesamt 29 Tote, hierunter zehn Militärangehörige und 19 Kartellmitglieder, sind bei den Kämpfen verzeichnet worden,4 die nach der Festnahme von Ovidio Guzmán entbrannten. Ovidio Guzmán ist einer der Söhne des berüchtigten Kartellbosses Joaquín „El Chapo“ Guzmán, unter dessen Führung das Sinaloa-Kartell zu einem milliardenschweren, global illegal operierenden Drogenkonzern aufstieg. „El Chapo“, der mehrmals aus mexikanischen Gefängnissen fliehen konnte, bevor er 2016 abermals verhaftet und an die USA ausgeliefert wurde, verbüßt seit 2017 eine Haftstrafe in einer US-Haftanstalt. Seinem Sohn droht ebenfalls die Auslieferung.

Die New York Times (NYT)5 sah das spektakuläre und blutige Vorgehen der mexikanischen Regierung gegen das Sinaloa-Kartell im Zusammenhang mit der Mexiko-Visite von US-Präsident Joe Biden im Rahmen des Nordamerika-Gipfels Anfang Januar.6 Biden befindet sich in der Frage der Migrationspolitik verstärkt unter dem Druck des rechten Flügels der Republikaner, die dem US-Präsidenten vorwerfen, die Grenze nicht genügend zu „schützen“ – und hierdurch die Verfassung verletzt zu haben.7 Washington könnte somit versuchen, diesen innenpolitischen Druck auf die ungeliebte Administration des populistischen Präsidenten López Obrador8 weiterzureichen. Und die Verhaftung von Guzmán Junior könnte einem Geschenk an Biden im Vorfeld des Nordamerikagipfels gleichkommen.

Es sei ein PR-Sieg für Obrador, wenige Tage vor dem Treffen mit Biden, bemerkte die NYT hierzu. Die Verhaftung gleiche einer „Nachricht an die Vereinigten Staaten, dass Mexiko den Krieg gegen die Drogen fortführt“, so ein Sicherheitsberater gegenüber der US-Zeitung. Doch würde dieser spektakuläre Coup nichts an der Struktur des Sinaloa-Kartell ändern oder gar zu einem Rückgang der Gewalt und des Drogenschmuggels führen. Ovidio sei überdies der „am wenigsten begabte“ der vier Söhne von „El Chapo“, gegen die US-Behörden ermitteln.9 Zudem sollten mit der Verhaftung, die unter massivem Einsatz von Militärpersonal durchgeführt wurde, Lehren gezogen werden aus einer gescheiterten Verhaftung von Ovidio Guzmán vor drei Jahren, als dieser nach der Ingewahrsamnahme wieder freigelassen wurde, nachdem Kartellmitglieder die Polizeikräfte in Culiacán übermannten und mehrere Polizisten als Geiseln nahmen.10

Läuft wie geschmiert

Dabei sind es nicht nur die hohen militärischen und sicherheitspolitischen Risiken für ganze Ortschaften und Regionen, die solche spektakulären Einsätze von Sicherheitskräften gegen Kartellprominenz zu Ausnahmen machen, die weltweit Wellen schlagen. Aufgrund der allgegenwärtigen Korruption im mexikanischen Staatsapparat, der von Informanten der in Geld schwimmenden Kartelle durchsetzt ist, sind verdeckte Operationen gegen die mafiösen Netzwerke kaum realisierbar. Bei einem Volumen von 40 Milliarden Dollar,11 das der US-Drogenmarkt umfassen soll, handelt es sich bei den führenden Kartellen um milliardenschwere Verwilderungsformen von Konzernen, die sich Politiker und Militärs genauso kaufen können, wie modernste Waffen und Kommunikationstechnik. Die Sicarios (Auftragskiller) der Kartelle sind immer besser bezahlt und oftmals besser ausgerüstet als die Polizeikräfte, die gegen sie vorgehen sollen. Mexikos führende Mafiabosse sind zu Milliardären aufgestiegen.

Und die mit Geld geschmierten Tentakel der mafiösen Netzwerke reichen ganz tief in den mexikanischen Staat hinein. Es ist bei solchen Einsätzen gegen die Kartelle so, als ob der korrupte mexikanische Staatsapparat auch gegen sich selbst vorgehen müsste. Für die Drogenbosse sind es die sprichwörtlichen Peanuts, mit denen selbst hochrangige Staatsfunktionäre gekauft werden können. Auf monatlich 250 000 Dollar soll sich die Bestechungssumme belaufen, mit der hochrangige Justizfunktionäre dazu gebracht werden, die Drogengeschäfte zu protegieren. Diese Information stammt aus einem Leak aus den Servern des mexikanischen Verteidigungsministeriums. Aktivisten haben im Herbst 2022 mehrere Terabytes an geheimen Daten des Militärs aus dessen Netzwerk entwendet und veröffentlich. Aus den Dokumenten geht auch hervor, dass mexikanische Militärangehörige mitunter ihre Waffen an die Drogenkonzerne verkaufen und oftmals „geheime Absprachen“ zwischen Kartellmitgliedern und Militärs getroffen werden.12

Bewegungen von Polizeikräften werden den Mafia-Netzwerken von ihren Maulwürfen mitunter im Voraus mitgeteilt. Wobei insbesondere das Sinaloa-Kartell in seiner Aufstiegsphase die Kunst der Bestechung perfektionierte und sich selbst an der konkreten „Bekämpfung“ konkurrierender Drogenbanden beteiligte – in Kooperation mit Polizeikräften und Militär. Vor rund 13 Jahren verstärkten Bundespolizei und Militär in der Grenzstadt Ciudad Juarez ihre Präsenz, im Rahmen des Krieges gegen die Drogen, der schon damals landesweit Tausende von Menschenleben jährlich kostete. Zugleich ging das Sinaloa-Kartell ungestört dazu über, die logistisch wichtige Grenzstadt zu den USA zu übernehmen und die Konkurrenz blutig auszuschalten.13 Das Juarez-Kartell sah sich in einem Zweifrontenkrieg gegen Staatsorgane und Sinaloa-Kartell, wobei Zeugenaussagen den Austausch von Informationen zwischen Armee und Sinaloa-Kartell belegen. Die Drogenhändler gaben Infos an die Polizei weiter, damit diese ihre Konkurrenz verhaften konnte, während das Militär den Killern des Kartells den Aufenthaltsort ihrer „Ziele“ mitteilte.

Selbst wenn die mexikanischen Behörden gegen Drogenhändler vorgehen, so kann der äußere Eindruck durchaus trügen. Die erfolgreiche Bestechungs- und Korruptionstaktik von „El Chapo“, die sein Kartell dominant machte, konnte auch schlicht empirisch verifiziert werden: anhand der Verhaftungszahlen der mexikanischen Behörden, bei denen die Mitglieder des Sinaloa-Kartell unterrepräsentiert waren.14

Zetas – Staatsorgane wechseln die Fronten

Die Grenze zwischen Drogen-Rackets und staatlichen Repressionsorganen verschwimmt in Mexiko zusehends, was Ausdruck der krisenbedingten staatlichen Erosionsprozesse ist. Staatliche Zugriffe auf führende Kartellbosse sind gerade deswegen so riskant, weil innerhalb der morschen staatlichen Strukturen die Grenzen zwischen Racket und Leviathan kaum noch auszumachen sind.

Mit den Zetas ist in Mexiko in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts eine Mafia-Formation entstanden, deren historischer Kern tatsächlich den staatlichen Repressionsorganen entstammte.15 Ende der 90er desertierten Dutzende von Elitesoldaten der Grupo Aeromóvil de Fuerzas Especiales (GAFE), um als Killer und Bodyguards des in Revierkämpfe verwickelten Golf-Kartells zu arbeiten. Diese zu Hitmen mutierten Spezialkräfte, die nun ein Vielfaches ihrer staatlichen Bezüge verdienten, waren mitunter von den USA in Aufstandsbekämpfung und urbaner Kriegsführung ausgebildet worden. Ein Teil des Staatsapparates wechselte schlicht die Front im Drogenkrieg, um sein repressives Know-how im ewigen Bandenkrieg an den Meistbietenden zu verkaufen.

Doch das reichte den ehemaligen GAFE-Spezialkräften, die sich als Zetas bezeichneten, bald nicht mehr – sie machten sich spätestens 2010 in einem blutigen Bandenkrieg vom Golf-Kartell selbstständig.16 Es folgte ein kometenartiger Aufstieg der berüchtigten Los Zetas, die binnen weniger Jahre zur größten kriminellen Organisation Mexikos wurden, um 2012 während eines Dauerkrieges um Transportkorridore für den Drogenschmuggel und Territorien kurzfristig sogar das Sinaloa-Kartell zu überflügeln. Die Zetas – die Gründungsmitglieder nahmen Kampfnamen an, die aus dem letzten Buchstaben des Alphabets und einer die Stellung in der Hierarchie angebenden Zahl (Z1, Z2, etc.) bestanden – setzten faktisch Methoden der „schmutzigen“ Aufstandsbekämpfung ein, um rasch zu expandieren.

Die mörderischen, in der Spätphase des Kalten Krieges in Mittelamerika praktizierten Repressionsmethoden, mit denen linke Guerillabewegungen bekämpft wurden, verselbstständigten sich im Rahmen illegaler Profitmaximierung. Die Zetas setzten auf die militärische Kontrolle ihres Territoriums, um nicht nur den Drogenhandel, sondern alle Formen illegaler Einnahmen (Schutzgeld, Waffenhandel, Prostitution, etc.) zu monopolisieren. Hierbei konnten sie nicht nur wegen ihrer Überlegenheit bei militärischer Organisation, Informationsbeschaffung und Waffentechnik expandieren, sondern gerade durch eine regelrechte Terror- und Massakertaktik. Nicht Bestechung, sondern nackter Terror war das bevorzugte Mittel der Zetas, die öffentlich zur Schau gestellte Exekutionen, Folter, brutale Hinrichtungsmethoden und Massaker an Zivilisten (etwa die Hinrichtung von 72 Migranten 2010)17 im Drogen-Bürgerkrieg Mexikos etablierten.

Atomisierung und Brutalisierung

Der Aufstieg der Zetas führte somit zu einer Brutalisierung des mexikanischen Drogenkrieges, da alle konkurrierenden Kartelle, wollten sie überleben, auf ähnliche Taktiken zurückgreifen mussten. Die staatsterroristischen Repressionsmethoden, entwickelt in den 80ern beim schmutzigen Krieg gegen die Guerillas Mittelamerikas, die von den ehemaligen GAFE-Spezialkräften bei ihrem Kampf um die Drogenmärkte quasi „privatisiert“ wurden, erfuhren ihre Verallgemeinerung durch Nachahmung. Evident wird dies etwa beim Cartel Jalisco New Generation (CJNG).18 Das CNJG weist ebenfalls eine starke paramilitärische Komponente auf, inklusive militärischer Spezialisierung von Sicario-Gruppen, die beim Kampf gegen die Zetas ausgeformt wurde. Der ursprüngliche Name dieses Kartells, dass weitgehend die Struktur und das Vorgehen der Zetas kopierte, lautete „Los Mata Zetas“ – „Diejenigen, die die Zetas töten“.19 CNJG soll inzwischen zur zweitgrößten kriminellen Organisation Mexikos aufgestiegen sein. Paramilitärische Gruppen, die sich ebenfalls als mit Verbindungen zu Sicherheitskräften, die einstmals auszogen, um die Drogenhändler extralegal hinzurichten, sollen mitunter in den Strukturen der Kartelle aufgegangen sein.

Central Nuclear en México

Infolge der Brutalisierung des Drogenkrieges fallen auch immer neue zivilisatorische Schranken, der scheinheilige „Ehrenkodex“ der früheren Kartell-Generationen ist längst Geschichte. Inzwischen kommen selbst Minderjährige, mitunter Kinder, als Sicarios der Kartelle zum Einsatz.20 Die Zahl der Toten in diesem permanenten Bandenkrieg stieg folglich von wenigen Tausend jährlich zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf rund 20 000 im Jahr 2018.21 In den ersten vier Jahren der Präsidentschaft von López Obrador, der auf die Kartelle zugehen und mittels Verhandlungen und Kompromissen die Gewalt eindämmen wollte, sind sogar 140 000 Todesopfer zu beklagen gewesen.22 Ein nicht erklärter, molekularer Bürgerkrieg tobt in Mexiko, mit unklaren, permanent wechselnden Fronten, bei dem immer neue Allianzen geformt werden, während die kriminellen Organisationen selber unbeständig sind, sich in permanentem Wandel befinden, untergehen, spalten, von Veteranen neu gegründet werden, ohne dass eine Hegemonie errichtet werden kann.

Mexikos Drogenkrieg ist das Paradebeispiel für anomische Gewaltherrschaft, die in Wechselwirkung mit staatlicher Erosion in der Systemkrise um sich greift. Die Zetas, die einstmals aufgrund ihrer militärischen Organisation und terroristischer Methoden dominant waren, sind nach internen Spaltungen und äußeren Angriffen nur noch ein Schatten ihrer selbst.23 Und selbst beim mächtigen Sinaloa-Kartell finden permanent Revier- und Machtkämpfe sowie Abspaltungsversuche statt24 – zu viele kriminelle Rackets drängen in den lukrativen Markt, als dass hier eine stabile Machtstruktur entstehen könnte. Es entstehen immer neue Gruppen, was einer Atomisierung der Gewalt gleichkommt.25 Das Elend treibt viele junge Männer trotz der Todesgefahr in den Drogenkrieg. Ein altes Kartellsprichwort sagt: „Lieber ein Jahr als König, als ein Leben als Bettler.“

Extremistischer Kapitalismus und Plünderungsökonomie

Von linksliberaler Seite wird angesichts der monströsen Dimensionen dieses molekularen Bürgerkriegs die weitgehende Legalisierung von Rauschmitteln und ein Ende des US-Kriegs gegen die Drogen gefordert. Die Austrocknung des Absatzmarktes im Norden soll den Kartellen das Rückgrat brechen. Und tatsächlich handelt es sich bei den Kartellen einerseits um eine extremistische Form kapitalistischer Profitjagd, der keinerlei staatliche Grenzen gesetzt werden. Die Drogenbosse Mexikos agieren faktisch als Unternehmer, als Kapitalisten, die Profitmaximierung jenseits jeglicher rechtlichen Schranken betreiben und den barbarischen Kern kapitalistischer Vergesellschaftung offenlegen. Die Trockenlegung ihres milliardenschweren US-Markts durch dessen Legalisierung würde den mexikanischen Mafia-Netzwerken ihre größte Einnahmequelle nehmen. In einem verarmten Land wie Mexiko üben die Drogenmilliarden eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus.

Doch es steht zu befürchten, dass die Drogenbanden und Netzwerke infolge weiterer Mutationen schlicht ihre Geschäftsfelder verlagern würden, wenn Drogen legalisiert werden sollten – die anomische Gewalt wird dem mexikanischen Spätkapitalismus erhalten bleiben, deren Ziele würden sich aber wandeln. Diese Tendenzen sind bereits zu beobachten, da Drogen längst nicht mehr das einzige Geschäftsfeld der Kartelle bilden. Die mörderischen, illegal operierenden Kapitalisten Mexikos haben längst die schwindenden natürlichen Ressourcen als lukrative Einnahmequelle entdeckt. Ein schrankenloser, mafiöser Extraktismus ist die Folge.

Illegaler Holzanbau unter dem Schutz der Maschinengewehre der Sicarios, der Aufbau ökologisch ruinöser Avocado-Plantagen unter Kartellkontrolle und die kaum verhüllte Kooperation zwischen Politik und Kartell – diese destruktiven Umtriebe waren auch in der südmexikanischen Stadt Cherán allgegenwärtig, bevor sich deren indigene Bewohner zum bewaffneten Selbstschutz entschlossen und Mafia wie Polizei und Politiker aus der Stadt vertrieben.26 Ein Bewohner brachte die Stimmung in der Stadtbevölkerung gegenüber Journalisten auf den Punkt: „Wir haben den Behörden, die ja eigentlich für unser Wohl verantwortlich waren, nicht mehr vertraut. Es wurde so viel Holz geraubt, dass ihre Untätigkeit immer mehr Fragen aufwarf. Es gab einen Pakt und viel sprach dafür, dass kriminelle Gruppen und Regierung inzwischen ein und dieselben waren.“

Der extremistische Kapitalismus geht somit in eine ökologische Plünderungsökonomie über, bei der Kartell-Holzfäller wie Heuschrecken eines in seiner Agonie von jeder staatlichen Einschränkung entfesselten Kapitals über letzte ökologische Ressourcen herfallen. Eine Drogenlegalisierung geht nicht weit genug. Das Einzige, was dieser selbstzerstörerischen, verwilderten Form spätkapitalistischer Ausbeutung ein Ende bereiten würde, wäre die emanzipatorische Systemtransformation.

https://www.patreon.com/user?u=57464083

https://konicz.substack.com/

1 https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/mexiko-el-chapo-sohn-kaempfe-101.html

2 https://twitter.com/justartsndstuff/status/1611082214866837512

3 https://twitter.com/nw3/status/1611488300610605079

4 https://twitter.com/justartsndstuff/status/1611093806794825748

5 https://www.nytimes.com/2023/01/05/world/americas/el-chapo-son-ovidio-guzman-mexico.html?searchResultPosition=1

6 https://www.nbcnews.com/politics/joe-biden/biden-makes-first-trip-president-us-mexico-border-administration-impos-rcna64808

7 https://www.reuters.com/world/americas/biden-visit-mexico-border-push-migrants-republicans-are-his-biggest-wall-2023-01-08/

8 https://www.nzz.ch/international/mexikos-praesident-zieht-mit-tausenden-anhaengern-durch-die-hauptstadt-ld.1714362?reduced=true

9 https://abc7.com/el-chapo-son-sinaloa-cartel-guzman-los-chapitos/11355575/

10 https://www.nytimes.com/2019/10/18/world/americas/mexico-cartel-chapo-son-guzman.html

11 https://www.latimes.com/nation/la-na-el-chapo-money-20190122-story.html

12 https://www.npr.org/2022/10/14/1129001666/data-leak-exposes-mexico-military-corruption-including-collusion-with-drug-carte

13 https://www.npr.org/2010/05/19/126890838/mexicos-drug-war-a-rigged-fight

14 https://www.npr.org/2010/05/19/126906809/mexico-seems-to-favor-sinaloa-cartel-in-drug-war

15 http://www.narconews.com/Issue37/article1305.html

16 https://insightcrime.org/mexico-organized-crime-news/zetas-profile/

17 https://www.theguardian.com/world/2010/aug/25/mexico-massacre-central-american-migrants

18 https://mexiconewsdaily.com/news/jalisco-cartel-presence-28-states/

19 https://insightcrime.org/mexico-organized-crime-news/jalisco-cartel-new-generation/

20 https://www.vice.com/de/article/jgmpmy/mexikanische-kartelle-rekrutieren-jetzt-auch-kinder-als-killer

21 https://justiceinmexico.org/wp-content/uploads/2019/04/Organized-Crime-and-Violence-in-Mexico-2019.pdf

22 https://www.vaticannews.va/en/world/news/2022-12/mexico-homicides-increase-drug-cartels.html

23 https://insightcrime.org/news/analysis/mexico-zetas-criminal-powerhouse-fragmented-remnants/

24 https://themazatlanpost.com/2020/03/30/after-months-of-internal-war-el-mayo-zambada-lost-control-of-the-sinaloa-cartel-to-the-children-of-el-chapo/

25 https://www.bakerinstitute.org/sites/default/files/MEX-doc-Timeline_Cartel_0.pdf

26 https://www.deutschlandfunkkultur.de/drogenkartelle-mexiko-mafia-100.html

https://www.konicz.info/2023/01/11/atomisierte-gewalt/

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —     Gebäude am Paseo de la Reforma in Colonia Cuauhtémoc und Colonia Juarez in Mexiko-Stadt, Mexiko.

Abgelegt unter Amerika, Energiepolitik, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Der Gesundheitsmarkt

Erstellt von Redaktion am 11. Januar 2023

Notbetrieb als Normalfall

Wer bitte näselt das Wort zum Sonntag?

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Suitbert Cechura

Im Gesundheitswesen folgt Reform auf Reform – damit alles beim Alten bleiben kann, nämlich bei einer marktwirtschaftlichen Logik, die nach staatlicher Aufsicht schreit.

Der Gesundheitsminister ist zurzeit ständig gefordert. Zuerst musste er die Krankenhausfinanzierung neu justieren, um Über- bzw. Unterversorgung oder den Umgang mit dem Pflegenotstand wieder ins Lot zu bringen. Dann fehlte das Personal auf den Kinderstationen und Lauterbach empfahl die Verschiebung knapper Kontingente von den Erwachsenen- auf die Kinderstationen. Als weiteres Problem kam hinzu, dass viele Medikamente in den Apotheken fehlten – schließlich ein Notruf aus den Notfallambulanzen, die Überforderung signalisierten.

Erklärt wurde der eskalierende Notstand mal durch das Treiben der Krankheitserreger, z.B. durch die herrschende Epidemie der Atemwegserkrankungen, dann aber auch – Überraschung! – damit, dass ein Zuviel an Ökonomie zu konstatieren sei (https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/karl-lauterbach-will-arzneikrise-stoppen-oekonomie-zu-weit-getrieben,TOZyfJK). Ein bemerkenswerter Gegensatz, den der Fachmann aus dem zuständigen Bundesministerium hier aufmacht!

Gesundheit als notwendige Kost: Senken!

Ökonomie, also das Wirtschaftsleben, kann ganz unterschiedlich gestaltet werden. Das betrifft auch die Abteilung, in der man sich mit der Frage befasst, wie eine Gesundheitsversorgung am besten zu organisieren und welcher Aufwand dafür zu betreiben ist. Mit dem Stichwort Ökonomie ist aber – nicht nur hierzulande – etwas Spezielles gemeint. Das Ziel der herrschenden Ökonomie besteht ja nicht einfach darin, die Bürger mit den lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen zu versorgen, die Versorgung stellt vielmehr ein Mittel der Bereicherung dar. Rendite ist das Kriterium für den einzelnen Betrieb, Wirtschaftswachstum heißt das für den Standort – und das drückt aus, dass der Reichtum gemessen in Geld wachsen soll. In einer derartigen Kalkulation sind die Aufwendungen für Gesundheit Kosten, die niedrig zu halten sind, die es z.B. verbieten, Krankenhauskapazitäten nur für immer mal wieder auftretende Epidemien vorzuhalten, ohne dass sie ständig genutzt werden.

Und damit ist schon der zentrale Punkt der Gesundheitsversorgung angesprochen: Sie ist eine Dienstleistung, die bezahlt wird, also ein Geschäftsartikel wie alles in dieser Gesellschaft. Die Aufwendungen für die Gesunderhaltung der Bürger gelten demnach auch als eine Last. Gesundheitsversorgung ist natürlich immer mit einigem Aufwand verbunden, doch wenn es der Zweck wäre, dass sich der Aufwand am Wohlergehen der Menschen orientiert und nicht am Wirtschaftswachstum in Form der Vermehrung von Geldvermögen, dann würde man ihn nicht als eine Last empfinden und dementsprechend einstufen. Anders in dieser Gesellschaft, in der die Aufwendungen für die Gesundheit als Belastung für den Staat, die Wirtschaft und die Bürger gelten und Letzteren zur Last gelegt werden.

Gestrichen werden kann dieser Kostenfaktor allerdings nicht. Die Gesunderhaltung der Bürger ist notwendig, denn sie werden ge- und verbraucht. Ersteres als Basis dieser Gesellschaft in den verschiedenen Funktionen als Arbeitskraft, Staatsdiener oder etwa als Mütter, die den Nachwuchs der Nation sicherstellen. Verbraucht werden sie durch die Belastungen im Arbeitsleben, durch verschmutzte Atemluft, durch die mit Giften belasteten Lebensmittel etc., was sich alles in den Statistiken zu den Zivilisationskrankheiten nachlesen lässt. Also braucht es für das Funktionieren dieser Gesellschaft ein leistungsstarkes Gesundheitssystem, das eben wie alles kostet.

Inzidenz-D.jpg

Die betreffenden Kosten werden weitgehend von den Bürgern selbst getragen, und zwar in Form von gesetzlich vorgeschriebenen Krankenversicherungen. Die Zahlung der Beiträge hat der Gesetzgeber so geregelt, dass sie anteilig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu tragen sind. Sie bilden einen Bestandteil der Lohnkosten, die als Kosten die Gewinnkalkulation belasten. Für die Arbeitnehmer sind sie schlichtweg Abzüge vom Lohn oder Gehalt, die sie praktischer Weise erst gar nicht zu sehen bekommen, sondern die nur als Rechengrößen auf ihrem Gehaltszettel erscheinen. Da es in dieser Gesellschaft auf das Wachstum der Wirtschaft ankommt, soll diese aus Sicht der Politik durch den Kostenfaktor Gesundheit nicht allzu sehr belastet werden. Deshalb sind die Aufwendungen in diesem Bereich in Grenzen zu halten, auch wenn sie notwendig sind.

Eine Last stellen die Aufwendungen für Gesundheit auch für den Bundeshaushalt dar, schließlich sind mit den Kassenbeiträgen der Arbeitnehmer nicht alle Kosten abzudecken, zumal der Staat hier seinerseits auch andere Anliegen (Familienhilfe!) mitversichert. Deshalb ist es ein staatliches Anliegen, einerseits eine Gesundheitsversorgung sicherzustellen, andererseits dies möglichst kostengünstig zu gestalten.

Gesundheitsversorgung als Dienstleistung: Effektivieren!

Weil der Gesundheitszustand der Bevölkerung die Basis der Herrschaft berührt, ist Gesundheitsversorgung staatliches Anliegen. Einige Länder haben daher einen staatlichen Gesundheitsdienst eingerichtet – und weil der kostet, fällt er oft sehr schäbig aus. Deshalb befinden sich z.B. die Beschäftigten des staatlichen Gesundheitswesens in England gerade im Streik. In Deutschland sollen die Kosten für die Gesundheit eine Quelle der Bereicherung sein, weshalb die Sache als Gesundheitsmarkt organisiert ist. Der hat nur einen Schönheitsfehler: Das private Gewinninteresse beißt sich mit dem staatlichen Anliegen einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung. Schließlich geht es dem Staat um die Funktionstüchtigkeit seiner Bürger und den Dienstleistern um ihr Einkommen, d.h. um ihren Gewinn. Von der Erbringung der Gesundheitsleistungen in privater Hand verspricht sich der Staat zudem einen kostenbewussten Einsatz der Mittel. Um diese sehr unterschiedlichen Anforderungen unter einen Hut zu bringen, bedarf es vielfältiger staatlicher Regelungen.

Das beginnt mit der Qualität der Leistungserbringer. Der Staat überlässt die Gesundheitsversorgung nicht irgendwelchen Quacksalbern, auch wenn er diese nicht verbietet (ihnen sogar mit ihren esoterischen und ähnlichen Angeboten ein eigenes Marktsegment überlässt), sondern übernimmt Ausbildung und Zulassung zu den Medizinberufen in seine eigene Regie. So soll gewährleistet sein, dass die Gesundheitsversorgung seiner Bevölkerung nach wissenschaftlichen Maßstäben erfolgt. Damit schafft er sich aber zugleich eine Kaste von Menschen, die exklusiv über das medizinische Wissen der Gesellschaft verfügen und diese Stellung wirtschaftlich ausnutzen können. Also bedarf es der Vorschriften über die Höhe ärztlicher Honorare, die einerseits den Ärzten ein hohes Einkommen sichern sollen, andererseits die Zahlungsfähigkeit der Bürger nicht zu sehr strapazieren. Mit der ist es ja nicht gut bestellt, und ärztliche Leistungen können trotz gewisser Beschränkungen schnell die Bürger überfordern, ruinieren oder von ärztlichen Leistungen ganz ausschließen. Also gibt es eine Versicherungspflicht für alle Bürger, auch für Selbstständige.

Abhängig Beschäftigten traut der Staat wegen ihrer Einkommensquelle sowieso keine selbstständige Versicherung zu, weshalb er ihnen eine gesetzliche Krankenversicherung vorschreibt. Damit hat er eine Zweiklassengesellschaft der Patienten geschaffen, die als unterschiedlich Zahlungskräftige auf dem Gesundheitsmarkt Dienstleistungen nachfragen. Die Mehrheit der gesetzlich Versicherten tritt zwar als Kunde auf diesem Markt in Erscheinung, bezahlt wird die Leistung aber durch die Versicherungen, so dass ein Dreiecksverhältnis zwischen Patienten, Arzt bzw. Krankenhaus und den Versicherungen existiert.

Die gesetzlichen Krankenversicherungen sind eigenartige Gebilde, als Körperschaften öffentlichen Rechts sollen sie sich wie Wirtschaftsunternehmen in Konkurrenz zueinander bewähren. Dabei werden ihre Einnahmen weitgehend gesetzlich bestimmt und auch die zu erbringenden Leistungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegt. Sie gelten als selbstbestimmte Organe des Gesundheitswesens, weil Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter in ihren Aussichtsräten sitzen, regeln können sie allerdings vor allem die eigenen Verwaltungskosten (inklusive erstaunlich hoher Vorstandsgehälter).

Eingerichtet ist der Gesundheitsmarkt als ambulante Versorgung durch die niedergelassenen Ärzte und als stationäre Versorgung durch die Krankenhäuser. Um sicherzustellen, dass die praktizierenden Ärzte sich nicht nur dort niederlassen, wo es ein zahlungskräftiges Publikum gibt, existiert eine Beschränkung der Eröffnung von Praxen, die mit den gesetzlichen Kassen abrechnen wollen. Über die Kassenärztlichen Vereinigungen wird die Zulassung zu einem Versorgungsgebiet geregelt, sie sind für die Sicherung der ambulanten Versorgung zuständig.

Anders sieht es im Bereich der stationären Versorgung aus, für deren Sicherstellung die Länder zuständig sind. Zwar kann jeder ein Krankenhaus eröffnen, der über entsprechende Mittel verfügt; um aber an der Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen teilzuhaben, bedarf es der Aufnahme in den Krankenhausplan des Landes. Über die Investitionszuschüsse steuern die Länder ihre Krankenhausplanung. Sie bestimmen durch die Investitionen wo Stationen erweitert werden, wo Neubauten entstehen oder Großgeräte angeschafft werden. Insofern gibt es ein Zwei-Säulenmodell der Krankenhausfinanzierung: Die laufenden Kosten für Personal und Sachmittel bestreiten die Krankenkassen, die Investitionen für Gebäude und Großgeräte haben über die Länder zu erfolgen, die sich in zunehmendem Maße dieser Verpflichtung entziehen, was als Investitionsstau in der Öffentlichkeit beklagt wird.

Um zu einer einheitlichen kostengünstigen Versorgung zu gelangen, versucht die Politik dies durch finanzielle Anreize im Rahmen ihrer Planung zu verwirklichen.

Planung durch Anreize: Profite mit Zweckbindung

Preise sind in der Marktwirtschaft Mittel der Unternehmen, ihren Gewinn zu realisieren und die Konkurrenz aus dem Markt zu drängen; Preise im Gesundheitswesen haben aber einen völlig anderen Charakter. Auch wenn der Staat plant und bestimmte gesundheitspolitische Ziele verfolgt, erstattet er den Akteuren oder Leistungserbringern nicht einfach den dafür notwendigen Aufwand. Preise und Finanzierungen im Gesundheitsmarkt sollen Anreize sein. Diese sollen die Leistungserbringer auf die staatlichen Ziele verpflichten – und zwar aus Eigennutz. Der Staat setzt mit seinen Finanzierungsmodellen Krankenhäusern wie niedergelassenen Ärzten die Maßstäbe für deren Kalkulation, bei der es nicht einfach um die beste medizinische Versorgung der Bürger geht, sondern um die Steigerung der Einkünfte.

Diese Form der Planung mag manchen an die Wirtschaftsweise der DDR erinnern – nicht zu Unrecht. Eine solche Planung hat immer wieder erwünschte wie unerwünschte Wirkungen, weil die Interessen staatlicher Gesundheitsplanung und der privatwirtschaftlichen Krankenhausbesitzer nicht zusammenfallen. Wenn jetzt z.B. allseits, sogar offiziell von Regierungsseite, über die Fallpauschalen geklagt wird, so muss man doch als Erstes festhalten, das diese ein staatliches Ziel radikal erreicht haben. Schließlich waren die Pauschalen nicht einfach an dem Aufwand der Krankenhäuser für eine Behandlung bei einer bestimmten Diagnose orientiert, sondern sollten die Krankenhäuser durch die Art der Bezahlung dazu zwingen, ihre Kosten zu senken.

Berechnet wurden Durchschnittswerte für die Behandlungskosten einzelner Krankheiten und der Festlegung der Fallpauschalen zu Grunde gelegt. Damit war von Anfang an klar, dass eine Vielzahl vor allem der kleineren Krankenhäuser rote Zahlen schreiben würden und folglich schließen müssten. Die neue Bezahlung führte zu einer radikalen Kostensenkung in den Krankenhäusern, deren Hauptkostenbestandteil die Löhne sind. Bereiche wie Reinigung der Stationen, Krankenhausküchen oder -wäschereien wurden outgesourced und damit von den Tarifen des öffentlichen Dienstes in die der Billiglohnsektoren herabgestuft. Bei den Pflegekräften wurde in einem Maße gespart, dass die Kliniken – mit Mangelernährung, Wundliegen etc. – zu einem gefährlichen Ort für Patienten wurden.

Deshalb wurden die Pflegekosten im Rahmen einer Reform der Reform aus den Fallpauschalen herausgenommen und zu einem eigenen Budget umgewandelt, damit die Pflege in den Häusern einigermaßen gewährleistet ist. Doch trotz dieser Reform warnte die AOK-Chefin Carola Reimann Herz- und Krebskranke, dass bei der Wahl der falschen Klinik Lebensgefahr bestünde. (Bild 23.12.22) Private Anbieter haben Krankenhäuser als lukrative Geldanlage entdeckt und dabei die Geschäftsgelegenheiten genutzt. Alle Häuser haben versucht, für sich das Beste herauszuholen, z.B. – da sich die einzelnen Fälle unterschiedlich rechnen – wenig lukrative Bereiche wie Kinderabteilungen geschlossen und andere, in denen leicht Geld zu verdienen ist, ausgebaut. Diese Entwicklungen gehören genauso zu dieser Planungsweise wie die angestrebten Kosteneinsparungen. Das wird aber nun als eine Fehlentwicklung beklagt, obgleich es Resultat dieser Form der Krankenhausplanung ist. Schließlich sind die Häuser ja gefordert, als Wirtschaftsunternehmen zu kalkulieren, was sie entsprechend den staatlichen Vorgaben getan haben.

Von Reform zu Reform: Ver(schlimm)-Besserung als Dauerzustand

Nicht nur die Krankenhäuser sind von dieser Art der Planung im Gesundheitswesen betroffen. Auch an anderen Stellen werden „Fehlentwicklungen“ beklagt, die genauso Wirkungen dieser Sorte Gesundheitspolitik sind wie die angestrebten Kostensenkungen. Wenn angesichts der momentanen Krankheitsfälle fehlendes Personal beklagt wird, so zeigt dies nur, wie der Personaleinsatz auch bei reformierten Fallpauschalen berechnet ist. Eine Personalreserve für Krankheitsfälle von Mitarbeitern ist nicht vorgesehen, also löst jeder Ausfall oder jede Kündigung einen Engpass aus, den die übrigen Mitarbeiter aufzufangen haben. Und so gehört der Notstand, der immer wieder durch Änderungen in der Schichtplanung oder Verschiebung von Personal aufzufangen ist, zur Normalsituation in den Häusern.

Das Fehlen von Medikamenten ist auch nicht vom Himmel gefallen, sondern Resultat dessen, dass die Krankenkassen ihre Marktmacht gegenüber den Pharmaherstellern nutzen sollten, um Preise für Medikamente durch Rabattverträge zu senken. Das haben die so beauftragen Kassen auch getan – mit dem Resultat, das man jetzt besichtigen kann. Für manchen Hersteller hat sich Produktion oder Vertrieb des einen oder anderen Medikaments nicht mehr gelohnt. Die verbliebenen Hersteller haben die Freiheit des Weltmarktes für sich genutzt und die Produktion ihrer Arzneimittel in Länder verlegt, in denen die Löhne niedrig sind und Umweltauflagen entweder fehlen oder das Geschäft nicht beeinträchtigen. So gibt es die bekannten Lieferausfälle durch Produktionsstörungen, zum Teil auch wegen Hygienemängeln.

In der Lage verkündet der Gesundheitsminister: „Bei der Beschaffung von Arzneimitteln soll der Preis nicht mehr der wichtigste Faktor sein.“ (SZ, 20.12.22) Deshalb legt er den Preis neu fest, der als Anreiz für eine vermehrte Produktion wirken und den Herstellern höhere Gewinne verschaffen soll. Eine neue Produktion ist damit aber noch nicht im Lande etabliert. Deshalb braucht es zu den finanziellen Anreizen zusätzliche Vorschriften: „Insgesamt sollen bei der Beschaffung von Medikamenten künftig andere Kriterien gelten als bisher. So soll nicht wie bisher nur der billigste Anbieter zum Zuge kommen. Stattdessen sollen bei wichtigen Arzneimitteln zwei Verträge geschlossen werden: Neben dem günstigsten Anbieter aus dem nicht-europäischen Ausland soll stets auch der günstigste Hersteller aus der EU berücksichtigt werden.“ (SZ) Auf diese Art soll der Preis eigentlich keine Rolle mehr spielen, glaubt man der Zeitung.

Die Klage über überbelastete Notfallambulanzen ist Resultat dessen, dass sich ärztliche Notdienste für die niedergelassenen Ärzte nicht rechnen, weswegen sie stark reduziert wurden. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind zwar rechtlich verpflichtet, einen solchen Notdienst zu organisieren und vorzuhalten; in welchem Umfang es passiert, ist ihnen aber weitgehend selbst überlassen. So erstreckt sich dieser Dienst häufig auf ein riesiges Gebiet, sodass die Patienten, sollten sie denn beim dafür eingesetzten Call-Center durchkommen, lange auf die Ankunft eines Arztes warten müssen. Also rufen die meisten Menschen gleich die 112 an oder fahren zum nächsten Krankenhaus, für das sich diese Notfälle meist nicht rechnen, es sei denn sie nehmen sie stationär auf. Also gibt es die bekannte Überlastung.

Wer ist hier der für diese Zustände verantwortliche Minister ? Von Links nach Rechts.

Wenn nun Städte und Gemeinden die niedergelassenen Ärzte auffordern, angesichts überlasteter Kliniken ihre Praxen länger zu öffnen, dann kann man sich nur wundern. Damit die Ärzte nicht zu viel an Leistungen abrechnen, wurden ihnen ja von Seiten der Politik Praxisbudgets verpasst, bei deren Überschreitung die Leistungen nicht mehr voll erstattet werden. Also lohnen sich diese nicht und viele Praxen passten daher ihre Öffnungszeiten entsprechend an. Sie jetzt dazu aufzufordern, entgegen den von der Gesundheitspolitik gesetzten Anreizen zu handeln, ist schon ein Treppenwitz.

Weil die Steuerung des Gesundheitswesens über finanzielle Anreize zwar viele Kosten einspart, aber immer wieder unerwünschte Effekte hervorbringt – das Interesse an einem kostengünstigen Gesundheitswesen und das Geschäftsinteresse derer, die es betreiben, gehen eben, wie gezeigt, nicht zusammen –, entsteht ein ständiger Reformbedarf auf Seiten der Gesundheitspolitik. Die Reformen haben aber nicht die Aufkündigung des grundlegenden Verhältnisses zum Inhalt, sondern zielen immer auf die Änderung der Anreize, die die Kosten begrenzen, zugleich das Geschäft weiter in Gang halten sollen. Zu spüren bekommen dies die Patienten in Form schlechter Versorgung und die Beschäftigten durch miese Bezahlung und hohe Belastung. Der Zustand wird mit jeder Reform der Reform fortgeschrieben: Denn Marktwirtschaft muss gehen, auch wenn jeder staatliche Eingriff dokumentiert, dass es mit ihr eine ordentliche Gesundheitsversorgung nicht geben wird.

Zuerst erschienen im Overton-Magazin

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —     Dieses W3C-nicht spezifizierte Vektorbild wurde mit Inkscape erstellt.

Abgelegt unter Gesundheitspolitik, Medien, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Ein Rat von Henry Kissinger

Erstellt von Redaktion am 10. Januar 2023

«So lässt sich ein weiterer Weltkrieg vermeiden»

Könnte dort wohl jemand Bohnen in den Ohren gehabt haben?

Quelle      :        INFO Sperber CH.

Red. /   

Der frühere US-Aussenminister schlägt Rückkehr zu den Grenzen vom 24. Februar 2022 vor. Er warnt vor modernsten Waffen.

upg. Vor acht Jahren las Henry Kissinger Russland die Leviten, warnte aber auch vor einer verhängnisvollen Politik des Westens. Er sah den Krieg kommen. Jetzt plädiert Kissinger für einen Waffenstillstand und warnt davor, Fehler des Ersten Weltkrieges zu wiederholen. Infosperber dokumentiert seinen Artikel, den er am 17. Dezember 2022 in «The Spectator» veröffentlichte.

Niemand wollte den Eindruck der Schwäche erwecken

Der Erste Weltkrieg war eine Art kultureller Selbstmord, der die Vorherrschaft Europas zerstörte. Die europäischen Staats- und Regierungschefs schlafwandelten – um es mit den Worten des Historikers Christopher Clark zu sagen – in einen Konflikt hinein, den keiner von ihnen angezettelt hätte, wenn sie die Welt am Kriegsende 1918 vorausgesehen hätten. In den vorangegangenen Jahrzehnten hatten sie ihre Rivalität durch die Schaffung zweier Bündnisse zum Ausdruck gebracht, deren Strategien durch ihre jeweiligen Mobilisierungspläne miteinander verbunden waren. So konnte 1914 die Ermordung des österreichischen Kronprinzen in Sarajewo (Bosnien) durch einen serbischen Nationalisten zu einem allgemeinen Krieg eskalieren. Er begann, als Deutschland seinen Allzweckplan, Frankreich zu besiegen, durch einen Angriff auf das neutrale Belgien am anderen Ende Europas umsetzte.

Die europäischen Nationen, die nur unzureichend damit vertraut waren, wie die Technologie ihre jeweiligen Streitkräfte verbessert hatte, fügten sich gegenseitig beispiellose Verwüstungen zu. Im August 1916, nach zwei Jahren Krieg und Millionen von Opfern, begannen die Hauptkriegsparteien im Westen (Grossbritannien, Frankreich und Deutschland) zu überlegen, wie das Gemetzel beendet werden könnte. Im Osten hatten die Rivalen Österreich und Russland vergleichbare Fühler ausgestreckt. Da kein denkbarer Kompromiss die bereits erbrachten Opfer rechtfertigen konnte und niemand den Eindruck von Schwäche erwecken wollte, zögerten die verschiedenen Führer, einen formellen Friedensprozess einzuleiten.

Daher ersuchten sie die Amerikaner um Vermittlung. Die Sondierungen von Colonel Edward House, dem persönlichen Gesandten von Präsident Woodrow Wilson, ergaben, dass ein Frieden auf der Grundlage eines modifizierten Status quo ante in Reichweite war. Wilson wollte zwar vermitteln, zögerte aber bis nach den Präsidentschaftswahlen im November. Doch bis dann hatten die britische Somme-Offensive und die deutsche Verdun-Offensive weitere zwei Millionen Tote gefordert.

Der Erste Weltkrieg dauerte noch zwei Jahre und forderte Millionen von Opfern, wodurch das Gleichgewicht in Europa unwiederbringlich gestört wurde. Deutschland und Russland wurden von Revolutionen zerrissen, Österreich-Ungarn verschwand von der Landkarte. Frankreich war ausgeblutet. Grossbritannien hatte einen grossen Teil seiner jungen Generation und seiner wirtschaftlichen Kapazitäten einem Sieg geopfert.

Der Strafvertrag von Versailles, der den Krieg beendete, erwies sich als weitaus brüchiger als die Struktur, die er ersetzte.

Vergleichbarer Wendepunkt in der Ukraine?

Befindet sich die Welt heute in der Ukraine an einem vergleichbaren Wendepunkt, da der Winter gross angelegte Militäroperationen in der Ukraine erschwert oder verunmöglicht? Ich habe wiederholt meine Unterstützung für die militärischen Bemühungen der Alliierten zum Ausdruck gebracht, um die russische Aggression in der Ukraine zu vereiteln. Aber es ist an der Zeit, die bereits erfolgten strategischen Veränderungen als Grundlage zu nehmen, um Frieden durch Verhandlungen zu erreichen.

Die Ukraine ist zum ersten Mal in der modernen Geschichte zu einem wichtigen Staat in Mitteleuropa geworden. Unterstützt von ihren Verbündeten und inspiriert von ihrem Präsidenten Wolodymyr Zelenskij hat die Ukraine die russischen konventionellen Streitkräfte, die Europa seit dem Zweiten Weltkrieg bedrohen, in die Schranken gewiesen. Und das internationale System – einschliesslich China – wehrt sich gegen die Androhung oder den Einsatz von Russlands Atomwaffen.

Dieser Prozess hat die ursprüngliche Frage nach der Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato in den Hintergrund treten lassen. Die Ukraine verfügt über eine der grössten und schlagkräftigsten Landstreitkräfte in Europa, die von den USA und ihrer Verbündeten ausgerüstet wurde. Ein Friedensprozess sollte die Ukraine in irgendeiner Form in die Nato einbinden. Die Alternative der Neutralität ist bedeutungslos geworden, insbesondere nachdem Finnland und Schweden der Nato beigetreten sind.

Waffenstillstands-Linie entlang der Grenzen vom 24. Februar

Aus diesem Grund habe ich bereits im Mai letzten Jahres empfohlen, eine Waffenstillstandslinie entlang der Grenzen einzurichten, an denen der Krieg am 24. Februar begann. Russland würde dann seine Eroberungen aufgeben, nicht aber das Gebiet, das es vor fast einem Jahrzehnt besetzt hatte, einschliesslich der Krim. Dieses Gebiet könnte nach einem Waffenstillstand Gegenstand von Verhandlungen sein.

Wenn die Vorkriegsgrenze zwischen der Ukraine und Russland weder durch Kampfhandlungen noch durch Verhandlungen erreicht werden kann, könnte der Rückgriff auf den Grundsatz der Selbstbestimmung erwogen werden. International überwachte Volksabstimmungen über die Selbstbestimmung könnten auf besonders geteilte Gebiete angewandt werden, die im Laufe der Jahrhunderte wiederholt den Besitzer gewechselt haben.

Das Ziel eines Friedensprozesses wäre ein zweifaches: die Bestätigung der Freiheit der Ukraine und die Festlegung einer neuen internationalen Struktur, insbesondere für Mittel- und Osteuropa. Letztendlich sollte Russland einen Platz in einer solchen Ordnung finden.

Gegen ein Vakuum in einem Russland voller Atomwaffen

Manche bevorzugen ein Russland, das durch einen fortgesetzten Krieg machtlos geworden ist. Dem stimme ich nicht zu. Trotz seiner Neigung zur Gewalt hat Russland über ein halbes Jahrtausend lang entscheidende Beiträge zum globalen Gleichgewicht und zur Machtbalance geleistet. Seine historische Rolle sollte nicht herabgewürdigt werden.

Russlands militärische Rückschläge haben seine globale nukleare Reichweite nicht beseitigt, die es ihm ermöglicht, mit einer Eskalation in der Ukraine zu drohen. Selbst wenn diese Fähigkeit abnimmt, könnte die Auflösung Russlands oder die Zerstörung seiner Fähigkeit zu strategischer Politik sein 11 Zeitzonen umfassendes Territorium in ein umkämpftes Vakuum verwandeln:

  • Seine konkurrierenden Gesellschaftsteile könnten ihre Streitigkeiten mit Gewalt beilegen wollen.
  • Andere Länder könnten versuchen, ihre Ansprüche mit Gewalt auszuweiten.

Diese Gefahren sind umso grösser, als Tausende von Atomwaffen Russland zu einer der beiden grössten Atommächte der Welt machen.

Risiken von hochtechnischen, mit KI ausgestatteten Waffen

Während sich die Staats- und Regierungschefs der Welt bemühen, den Krieg zu beenden, in dem zwei Atommächte gegen ein konventionell bewaffnetes Land antreten, sollten sie auch darüber nachdenken, welche Auswirkungen die aufkommende Hochtechnologie und künstliche Intelligenz auf diesen Konflikt und auf die langfristige Strategie haben. Es gibt bereits autonome Waffen, die in der Lage sind, ihre eigenen wahrgenommenen Bedrohungen zu definieren, zu bewerten und ins Visier zu nehmen, und die somit in der Lage sind, ihren eigenen Krieg zu beginnen.

Sobald die Grenze zu diesem Bereich überschritten ist und Hightech zur Standardwaffe wird – und Computer die Hauptausführenden der Strategie werden -, wird sich die Welt in einem Zustand befinden, für den sie noch kein etabliertes Konzept hat. Wie kann die Führung Kontrolle ausüben, wenn Computer strategische Anweisungen in einem Ausmass und in einer Art und Weise vorgeben, die den menschlichen Beitrag von Natur aus begrenzt und bedroht? Wie kann die Zivilisation inmitten eines solchen Strudels widersprüchlicher Informationen, Wahrnehmungen und zerstörerischer Fähigkeiten erhalten werden?

Es gibt noch keine Theorie für diese sich ausbreitende Realität, und es haben sich noch keine Beratungsbemühungen zu diesem Thema entwickelt – vielleicht, weil sinnvolle Verhandlungen neue Entdeckungen ans Licht bringen könnten, und diese Offenlegung selbst ein Risiko für die Zukunft darstellt. Die Überwindung der Diskrepanz zwischen fortschrittlicher Technologie und dem Konzept von Strategien zu ihrer Beherrschung oder gar dem Verständnis ihrer vollen Tragweite ist heute ein ebenso wichtiges Thema wie der Klimawandel, und es erfordert Führungspersönlichkeiten, die sowohl die Technologie als auch die Geschichte beherrschen.

Das Streben nach Frieden und Ordnung hat zwei Komponenten, die manchmal als widersprüchlich angesehen werden: das Streben nach Sicherheitselementen und die Forderung nach Versöhnungsakten. Wenn wir nicht beides erreichen können, werden wir auch keines von beidem erreichen. Der Weg der Diplomatie mag kompliziert und frustrierend erscheinen. Aber der Weg dorthin erfordert sowohl die Vision als auch den Mut, ihn zu beschreiten.

__________________
Zwischentitel von der Redakaktion

FREIE NUTZUNGSRECHTE

© Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Für das Verbreiten von gekürzten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AutorInnen erforderlich.

*********************************************************

Grafikquellen        :

Oben      —    Henry Kissinger und Bundeskanzlerin Merkel im Deutschen Historischen Museum

Unten       —        ART zur Veröffentlichung Kapitän William Youl Arcuri, Fotos zur Verfügung gestellt von William Y. Arcuri, U.S. Air Force Kunst von 1SG Timothy Lawn Einheit: 205th Press Camp Headquarters DVIDS Stichworte: Lila Herz; KRIEGSGEFANGENER; Distinguished Flying Cross; Joint Chiefs of Staff; Vietnamkrieg; West Point; Hanoi; Kriegsgefangene; Hoa Lo Gefängnis; Kriegsgefangenenmedaille; Elefantenspaziergang; Präsident Richard Nixon; FAN; Hanoi Hilton; Nordvietnamesisch; Quilt 3; SAM-2 Boden-Luft-Raketen; Linebacker II; Anderson Air Force Base in Guam; B-52G Stratofortress; Mikojan-I-Gurewitsch Design Bureau (MIG) Kämpfer; US-Sicherheitsberater Henry Kissinger; 1972 Pariser Friedensgespräche; fliegende Telefonmasten; der 11-Tage-Krieg; Der Weihnachtsbombenanschlag; Sieg der Propaganda; US-Außenpolitik; Unterstützung bei der Aufstandsbekämpfung; 361. Luftverteidigungsdivision; Rolling Thunder Kapitel 6

Abgelegt unter Amerika, Asien, Kriegspolitik, Medien | Keine Kommentare »

Die Presse von Links

Erstellt von Redaktion am 10. Januar 2023

Pressemitteilungen aus dem Karl-Liebknecht-Haus

Dort unten geht es rein und wieder hinaus. Ist Niemand drinnen kommt keiner mehr hinaus.

Ein Kommentar von Wolfgang Gerecht, 10. Jan. 2023

Wissler: DAX-Vorstände haben heute schon Jahreseinkommen in der Tasche 05.01.23.

„Laut Statistischem Bundesamt haben Vollzeitbeschäftigte im Jahr 2021 durchschnittlich 4.100 Euro brutto im Monat verdient.
Das sind 49.200 Euro pro Jahr. Eine Summe, die DAX-Vorstände laut Technischer Universität München und der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) in diesem Jahr bereits heute, den 5. Januar erreicht habe (derzeit nach 4,61 Tagen).“ ……“

Die dümmlichen Pressemitteilungen aus dem Karl-Liebknecht-Haus sind auch bezeichnend für den erbärmlichen politischen Zustand dieser Partei, dieses Partei-Vorstandes und dieser beiden Partei-Vorsitzenden einschließlich des Bundesgeschäftsführers.

Die meisten dieser Pamphlete verdienen den Kommentar: „Besser nicht (ab) geschrieben.“
Den Vogel letzter Woche hat Frau Wißler – wieder einmal – abgeschossen.

Jeder wirtschaftlich und politisch nur halbwegs Interessierte, hat schon öfters gehört, dass die von der Partei DIE LINKE bei fast jeder Gelegenheit abgöttisch verehrten Gewerkschafts- und Betriebsrats-Funktionäre der DGB-Gewerkschaften bei allen DAX-Unternehmen im jeweiligen Aufsichtsrat gemäß den Mitbestimmungs-Gesetzen zu 50% die sogenannte „Arbeitnehmer-Bank“ bilden.

Schon mal etwas gehört von „Konzertierter Aktion“, „Bündnis für Arbeit“, „AGENDA 2010“ und weitere Bezeichnungen für die regelmäßige Zusammenarbeit von Kapital („Arbeitgeber“), DGB-Gewerkschaften („Arbeitnehmer“) und Staatsapparat(„Regierung“.

Von den größten Kapital-Anlage-Gesellschaften der westlichen Welt
https://www.private-banking-magazin.de/allianz-landet-unter-den-top-10-der-500-groessten-asset-manager/ Top 5 der 500 größten Asset Manager
Rang – Unternehmen – Verwaltetes Vermögen (in Billionen US-Dollar)
1.
Blackrock    —   7,4
2.
Vanguard   —  6,2
3.
State Street Global    —  3,1
4.
Fidelity Investments    —   3,0
5.
Allianz   —      2,5
hält alleine Blackrock (Unions-Fraktions-Vorsitzender, Herr Merz, war ja bis zu seiner Rückkehr in die Bundes-Partei-Politik Chef der Deutschland-Niederlassung von Blackrock) an jedem DAX-Konzern einen nennenswerten Anteil und bestimmt die Geschäftspolitik, die hier von Wißler „kritisierte“ Bezahlung des Vorstands-Managements im Aufsichtsrat direkt mit. Und die Gewerkschafts- und Betriebsrats-Funktionäre im jeweiligen Aufsichtsrat nicken das natürlich alles mit ab. Günstig für die sogenannten Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat:

Wer sitzt dort mit Lindner auf der Bank ? Merz verhandelt die neue Koalition?

Der Ablauf und die Inhalte der Sitzungen unterliegen einer grundsätzlichen Geheimhaltungspflicht und dem Schweigegebot. Interessant, eine der seltenen öffentlichen Einlassungen, damals von dem ehemaligen Ministerpräsident von Niedersachen, Wulf, über das tatsächliche Verhalten der „Arbeitnehmer-Vertreter“ im VW-Aufsichtsrat:
Er, Wulf, habe noch n i e erlebt, dass ein sogenannter Arbeitnehmer-Vertreter gegen eine Aufsichtsrats-Vorlage abgestimmt habe.
Selbstverständlich gilt das Gesagte nicht nur für die (sehr hohen) Vorstandsbezüge, sondern auch beispielsweise für Unternehmensverkäufe, -zukäufe, Betriebs-Verlegungen und -Stilllegungen.

Bei all diesen unternehmerischen Maßnahmen sind ja immer auch die das Personal betreffenden Komponenten die entscheidende Faktoren (Entlassungen, Arbeitszeit-Verdichtungen, -Flexibilisierungen u.s.w.), die logischerweise i m m e r zugunsten des maximalen Gewinns entschieden und von den AR-Mitgliedern der (DGB) Gewerkschaften und Betriebsräten zu Lasten der betroffenen Arbeitnehmer abgenickt werden.

Ungezählte Skandale der sogenannten „Arbeitnehmer-Vertreter“ sind insbesondere in der Automobil-Industrie und hier wieder herausragend bei VW in der öffentlichen Berichterstattung erschienen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Volkert Klaus Volkert – Wikipedia Bekannt wurde der langjährige Betriebsratsvorsitzende von Volkswagen (VW) durch seine Verwicklung in die VW-Korruptionsaffäre, worauf er vom Landgericht …
https://de.wikipedia.org/wiki/Bernd_Osterloh Bernd Osterloh – Wikipedia Bernd Osterloh (* 12. September 1956 in Braunschweig) ist Vorstandsmitglied der VW-Lkw-Tochterfirma Traton. Bis April 2021 war er Vorsitzender des Gesamt- …
Für wie dumm !!! muss eine Partei-Vorsitzende wie Wißler ihre Partei-Mitglieder und die potentiellen Wähler Innen halten,
um so einen sachlichen Blödsinn als Pressemitteilung in die Öffentlichkeit zu bringen.

Die sogenannten „Bewegungs-Linken“ im Partei-Vorstand ergänzt um die sogenannten „Regierungs-Sozialisten“ veranstalten doch
mit solchen öffentlichen Äußerungen bzw. Pressemitteilungen eine „Verarschung“ der Wahlbevölkerung, soweit diese überhaupt noch wählen.

Ein „kleiner Hoffnungsschimmer“, die ehemaligen und derzeitigen Wähler dieser Partei blicken – trotz aller Nebelwerfer der Partei – immer deutlicher durch (BTW 2021 und LTW 2022).

Ein solches Verhalten dieser beiden Mehrheits-Gruppen in dieser Partei zeigt auch deren akademischen Dünkel über die Normal-Bevölkerung.

Wichtig für die Partei-Vorstände auf Bundes- und auf Landesebene:

Die eigene Macht- und Finanz- Position in der Partei zwecks „Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen“ aus Landtags-, Bundestags-Mandaten und aus bezahlten Arbeitsplätzen bei den Mandatsträgern und in der Partei.
Alles drumherum ist nur Wortgeklingel für das Mitgliedsbeiträge und kostenlosen Wahlkampf leistende Mitgliedervolk.

*******************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —    Karl-Liebknecht-Haus in Berlin. Parteizentrale der Partei DIE LINKE. Aufnahme am Vorabend der Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 18. September 2011.

Abgelegt unter Debatte, Medien, P. DIE LINKE, Positionen | Keine Kommentare »

Alle Gewalt nach Lützerath

Erstellt von Redaktion am 10. Januar 2023

Protest gegen Kohleabbau in NRW: Großaufgebot für Lützerath

Von Konrad Litschko

Mit hunderten Beamten will die Polizei ab Mittwoch das besetzte Dorf räumen. Der Verfassungsschutzpräsident erwartet „gewalttätige Krawalle“.

In Lützerath braut sich einer der größten Polizeieinsätze der jüngsten Zeit zusammen. Ab Mittwoch kann die Polizei das dort besetzte Dorf neben dem RWE-Kohletagebau räumen. Mehrere hundert Beamte aus fast allen Bundesländern werden erwartet – eine genaue Zahl nennt die Einsatzführung aus taktischen Gründen nicht. Der zuständige Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach sprach am Montag von einem „schwierigen, herausfordernden Einsatz mit erheblichen Risiken“. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sagte der taz, er erwarte „gewalttätige Krawalle“.

Weinspach erklärte, am Dienstag wolle die Polizei eine Informationsveranstaltung in Erkelenz abhalten, ab Mittwoch dann sei mit einer Räumung „jederzeit“ zu rechnen. Er appellierte an Protestierende, friedlich zu bleiben. Dass am Sonntag Steine geflogen seien und auch bürgerliche Demonstrierende mit an Barrikaden bauten, sei aber beunruhigend. Man werde auf Deeskalation setzen, aber wohl „auch gewaltbereiten Straftätern gegenüberstehen“.

Einsatzleiter Wilhelm Sauer warnte vor Barrikaden und Gräben, die in Lützerath derzeit angelegt würden. Dazu kämen Mono- und Tripods, von Ak­ti­vis­t:in­nen besetzte Pfahlkonstrukte, die aufwendig zu räumen seien. Auch wisse man nicht, ob nicht auch in den besetzten Gebäuden Fallen warteten. Zudem habe man Steinkatapulte entdeckt, was „jede Grenze jedes hinnehmbaren Szenarios“ überschreite. Gleiches gelte für Anschläge auf Logistikfirmen, die die Polizei oder RWE unterstützten. Letztlich müsse man das gesamte Braunkohlerevier im Blick behalten, weil Ak­ti­vis­t:in­nen überall Aktionen starten könnten, um Polizeikräfte zu binden. Die Polizei werde mit „Zurückhaltung bis zum äußerst Machbaren“ vorgehen. „Aber ich werde nicht zulassen, dass meine Beamten zur Zielscheibe roher Gewalt werden.“

Wer will das Dorf fressen – die staatlichen Deppen !!

Die Initiative „Lützerath bleibt“, die den weiteren Kohleabbau verhindern will, wirft der Polizei dagegen vor, zu eskalieren und zuletzt rabiat gegen eine friedliche Menschenkette vorgegangen zu sein. Die folgenden Steinwürfe hatten Ak­ti­vis­t:in­nen mit „Keine Steine“-Rufe quittiert. Für die Initiative selbst haben „alle Aktionslevel ihren grundsätzlichen Daseinszweck“. Auf dem Szeneportal Indymedia gibt es offenere Aufrufe, den Preis für die Räumung hochzutreiben. Angeregt wird auch, dezentral Tagebaueinfahrten zu blockieren, Bagger zu besetzen oder Pumpen „abzuschalten“.

Verfassungsschutzchef Haldenwang sagte der taz, friedliche Proteste seien in einer Demokratie legitim. „Die Protestbewegungen in Lützerath sind allerdings sehr heterogen.“ Relevant werde der Protest für den Verfassungsschutz, wenn Linksextremisten versuchten, friedliche demokratische Proteste zu unterwandern und instrumentalisieren. „Versuche nehmen wir bereits wahr“, so Haldenwang. „Wir sehen, dass bundesweit auch gewaltbereite Linksextremisten gegen die Räumung mobilisieren und sich bereits vor Ort sammeln. Teils wird zu militanten Aktionen aufgerufen.“ Haldenwang verwies auf die Proteste im Hambacher und Dannenröder Forst, wo es „ein brutales Vorgehen gegen die Räumung“ gegeben habe. „Insofern erwarte ich auch in Lützerath gewalttätige Krawalle.“

Quelle         :       TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Transparente in Lützerath, errichtet von Kohleabbaugegnern.

Abgelegt unter Medien, Nordrhein-Westfalen, Positionen, Überregional, Umwelt | Keine Kommentare »

Aus Kriese wird ein Riese

Erstellt von Redaktion am 9. Januar 2023

Wird die Erste auch die letzte freie Generation gewesen sein ?

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Eine Kolumne von 

Überall ist Krise, doch in fast keinem Bereich haben wir einen Überblick. Wenn sich das für die nächsten fünf Weltkrisen ändern soll, müssen Menschen in unserer Verwaltung schnell umdenken – und für mehr Vernetzung und Austausch sorgen, schreibt unsere Kolumnistin.

Diese sonntägliche Ausgabe von Degitalisierung beginnt mit einer direkten Ansprache: Wir sind mitten in einem Notfall und brauchen einen umfassenden Wandel! Und du bist Teil des Problems! Aber auch Teil der Lösung!

Nun wäre es wesentlich einfacher, wenn wir alle den Klimanotfall, in dem wir uns befinden, in unserem Handeln entsprechend ernst nehmen würden – speziell auch die Generation, die nur noch wenig von den Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels mitbekommen wird. Eigentlich ist damit alles Wichtige bereits gesagt. Digitalisierung ist in dem Gesamtkontext im Grunde nur eine Randnotiz.

Pause. Lange Pause.

Zum eigentlichen Thema dieser Kolumne: Es gibt im Kontext der Digitalisierung ebenfalls eine letzte Generation. Eine Generation, die entweder einen sinnhaften digitalen Wandel möglich macht – oder vom digitalen Wandel überrannt werden wird, ohne ihn sinnvoll mitgeprägt zu haben. Und ja, auch diese letzte Generation ist gegenwärtig mitverantwortlich für eine nachhaltige digitale Zukunft.

Multiple Krisen, multiple Probleme

Wir befinden uns aktuell in einer multiplen Krisensituation. Klimakrise, Pandemie, Krieg in der Ukraine, Energiekrise und so weiter. Um mit diesen Krisen umzugehen, brauchen wir funktionierende Strukturen in der öffentlichen Verwaltung und im Gesundheitswesen – auch langfristig.

Wie hoch ist beispielsweise aktuell der Erdgasverbrauch oder auf welchem Level bewegen sich die Corona-Fallzahlen? Ganz genau wissen wir das selten. Wir haben meistens kein aktuelles und umfassendes datenbasiertes Lagebild, unsere Kommunikationswege sind voller Brüche und stocken an zentralen Knotenpunkten. Und so wirklich wissen wir auch nicht, wer dafür zuständig sein soll.

Das ist leider seit Anbeginn der Pandemie mit täglichen Corona-Fallzahlen so. Und es ist keineswegs trivial, den aktuellen Erdgasverbrauch in Deutschland herauszufinden. Ähnliches gilt oftmals auch für andere Krisenlagen. Vor allem in neuen Situationen ist es zunächst eine Herausforderung, einen Überblick zu gewinnen.

Woran liegt das?

Strukturen, die um sich selbst kreisen

Das Problem mit den Daten und der Kommunikation darüber ist in vielen Bereichen strukturell begründet. Genauer gesagt liegt das daran, wie Organisationen Netze und Systeme bauen.

„Organisationen, die Systeme entwerfen, […] sind gezwungen, Entwürfe zu erstellen, die die Kommunikationsstrukturen dieser Organisationen abbilden“, stellte der Informatiker Melvin Conway schon 1968 fest. Das sogenannte Conway’s Law trifft immer wieder zu und wird in Krisen zum erheblichen Problem. Kommunikationswege, die nur nach hierarchischen Baumstrukturen ablaufen können, sind zäh und fehleranfällig, kurz: In Krisensituationen sind sie eher hinderlich.

Verwaltungen, die Dateninfrastrukturen bauen, tun dies meist nur für die eigene Kommune, das eigene Bundesland oder das eigene Ministerium. In einer Krisensituation schnell mit anderen vernetzen und ein allgemeines Lagebild bekommen? Kaum möglich. Ein weiteres Hindernis: Viele der Systeme, die nur aus Organisationssicht entworfen wurden, sind für Außenstehende unbenutzbar.

Brauchen wir also erst einen tiefgreifenden Strukturwandel, damit digitale Transformation gelingen kann? Ja und nein. Eigentlich ja, weil das so viel einfacher machen würde, von null zu beginnen. Und eigentlich nein, denn: Eine langwierige selbst referentielle Beschäftigung mit Organisationsstrukturen führt zu wenig, weil es den Machtanspruch einiger Weniger am oberen Ende dieser Organisationen gefährdet. Organisationen wie die öffentliche Verwaltung fürchten um die mühsam aufgebaute Behörde und den in Stein gemeißelten Stellenplan.

Wir können nicht darauf waren, dass „die Verwaltung“ oder „das Gesundheitswesen“ endlich grundlegend reformiert worden ist, um für ein besseres Handeln im Digitalen einzutreten.

Warum funktioniert eigentlich das Internet?

An der Diskussion über digitalen Organisations- und Strukturwandel ist vor allem auch eines bemerkenswert: Sie findet in einer Zeit statt, in der wir schon seit Jahrzehnten im Internet miteinander kommunizieren. Gerade im Netz haben wir gelernt, durch unterschiedliche Hierarchien und Strukturen sowie über Länder und Kontinente hinweg zueinander zu finden, miteinander zu kommunizieren und Daten auszutauschen.

Wir sollten daher den Wert offener technischer Standards, gemeinsamer Datenformate und flacher Netzstrukturen längst verstanden haben, weil wir täglich von diesen profitieren. Der Minimalanspruch sollte daher lauten: Behalte deine Organisationsstruktur, wenn es unbedingt sein muss und sich darin dein Machtanspruch begründet. Aber sei offen, dich bis auf unterster Arbeitsebene direkt mit anderen zu vernetzen.

Für die letzte Generation, die den digitalen Wandel noch sinnvoll mitprägen kann, wird eines entscheidend sein: inwieweit sie diese Form der Vernetzung und Zusammenarbeit ermöglicht, auch und gerade auf der untersten Arbeitsebene. Selbst wenn dies in einer Organisationsstruktur passiert, die nicht besonders gut dafür geeignet ist.

Standesdünkel

Die Verwaltung muss dazu auch an der eigenen künstlich aufgebauten Fallhöhe arbeiten. Genauer gesagt: am Abbau selbiger. Das hat sich nicht zuletzt in der Corona-Pandemie gezeigt. Jurist*innen oder Mediziner*innen haben in der digitalen Transformation zwar nach wie vor fachlich einen hohen Wert. Nur entstehen bessere digitale Produkte vor allem durch den Einfluss anderer Fachdisziplinen.

Gestalter*innen von Benutzungsoberflächen, Expert*innen für IT-Sicherheit oder Server-Dompteur*innen sind aus wissenschaftlicher Perspektive weniger angesehen als Berufsstände wie Medizin oder Jura, die traditionell mit Zugangshürden versehen sind. Diese Expert*innen sind jedoch essentiell für den Gesamterfolg digitaler Produkte. Produkte, die nur im vielseitigen Austausch auf Augenhöhe entstehen können.

In diesem Prozess braucht es auch das Eingeständnis, selbst nur über wenige oder sogar keine Fähigkeiten zu verfügen, um die eigene Fachdisziplin im Digitalen zeitgemäß artikulieren zu können. Die best practices, wie Menschen im Digitalen etwa mit Gesundheitsanwendungen interagieren können, liefern nicht die deutschen Krankenkassen, sondern Technologiekonzerne wie Apple. Und gerade in der Abgrenzung zu den wirtschaftlichen Interessen dieser Privatkonzerne gewinnen jene digitalen Produkte an Bedeutung, die ethische Werte und Grundsätze im Digitalen achten.

Das betrifft nicht zuletzt den Datenschutz. „Was ich bei der Behandlung oder auch außerhalb meiner Praxis im Umgang mit Menschen sehe und höre, das man nicht weiterreden darf, werde ich verschweigen und als Geheimnis bewahren.“ So heißt es im Eid des Hippokrates. Mehr als 2.000 Jahre später sollte dieser Eid auch auf das Digitale angewendet werden. Eine bessere Digitalisierung heißt auch, alte Grundsätze konsequent umzusetzen.

Die erste Generation

All diese Herausforderungen erfordern von der letzten Generation fast schon eine komplette Kehrtwende. Jetzt ist der Moment, in dem Digitales sinnvoll mitgestaltet werden kann und muss. Andernfalls haben wir dazu keine Chance mehr, weil digitale Veränderung schnell und umfassend passiert. Und die Folgen werden weitreichend sein. Denn das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit von Staat und Gesundheitswesen leitet sich auch wesentlich von deren digitalen Fähigkeiten ab.

Dabei darf eines nicht vergessen werden: Einige, die heute auf Chefposten sitzen und die Weichen für den digitalen Wandel stellen müssen, waren auch schon dabei, als dieser digitale Wandel bei null begonnen hat. Die Generation, die derzeit – wenige Jahre vor dem Ruhestand – noch mit der Digitalisierung fremdelt, ist in Teilen auch jene, welche die aus heutiger Sicht ersten zaghaften digitalen Babyschritte mitgegangen ist. Die letzte Generation ist damit zugleich auch die erste Generation. Es ist wie vieles im Digitalen: Alles ist immer in Veränderung.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Leistungsschutzprotest 06

Abgelegt unter Europa, Kultur, Medien, Politik und Netz, Positionen | Keine Kommentare »

Versammlungsgesetz NRW:

Erstellt von Redaktion am 6. Januar 2023

Verfassungsbeschwerde gegen Einschränkung der Versammlungsfreiheit eingereicht

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von         :       

Im Jahr 2021 hatten tausende Menschen über Monate gegen das neue Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen demonstriert. Das Gesetz schränkt die Versammlungsfreiheit massiv ein und gibt der Polizei mehr Befugnisse. Dagegen wehrt sich nun die GFF zusammen mit weiteren Bürgerrechtsinitiativen mit einer Verfassungsbeschwerde.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) erhebt heute gemeinsam mit dem Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen!“ Verfassungsbeschwerde gegen das seit Januar 2022 geltende Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen. Das umstrittene Gesetz war trotz schwerwiegender Bedenken von Sachverständigen und monatelanger Proteste auf der Straße fast unverändert von der schwarz-gelben Landesregierung im Jahr 2021 verabschiedet worden. Die schwarz-grüne Nachfolgeregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag keine Änderungen am Versammlungsgesetz festgelegt.

Die nun vor dem Verfassungsgerichtshof von Nordrhein-Westfalen eingereichte Beschwerde greift vor allem neue Straftatbestände, erweiterte Überwachungsbefugnisse und das präzedenzlose Totalverbot von Versammlungen auf Autobahnen an, heißt es in der Pressemitteilung der GFF. In der Kombination schreckten diese verfassungswidrigen Regelungen Menschen davon ab, ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auszuüben, so die Grundrechteorganisation. Sie will erreichen, dass das Gericht die angegriffenen Vorschriften für nichtig erklärt. Per Eilantrag sollen einige Normen zudem bereits vorläufig außer Kraft gesetzt werden.

Autobahnen stärker geschützt als der Landtag

Laut der GFF sind die neuen Regelungen des Versammlungsgesetzes NRW zum Störungsverbot, zum Vermummungsverbot sowie zum Militanzverbot sehr weitreichend und unbestimmt formuliert, sodass Protestierende nicht wissen könnten, wann sie sich strafbar machen. Daneben weite NRW die Befugnis zur staatlichen Videoüberwachung von Versammlungen enorm aus, so die Bürgerrechtsorganisation. Auch das könne einschüchtern und von der Teilnahme an Protesten abschrecken. Das bundesweit einmalige Pauschalverbot aller Versammlungen auf Bundesautobahnen nimmt zudem einen Teil des öffentlichen Raumes prinzipiell von der Versammlungsfreiheit aus. Autobahnen werden damit stärker geschützt als der NRW-Landtag und NS-Gedenkstätten, so die Bürgerrechtsorganisation.

Besonders betroffen sei die Klimabewegung. Bei der Verschärfung des Militanzverbots verweise die Gesetzesbegründung auf Klimaproteste und ziele insbesondere auf diese ab.

Die damalige Landesregierung hat das im Versammlungsgesetz des Bundes enthaltene Uniformierungsverbot, das wegen der Erfahrungen von SA-Aufmärschen in der Weimarer Republik eingeführt wurde, weiter verschärft. Sie hat es es zu einem sogenannten Militanzverbot ausgeweitet. In der Begründung des Gesetzes heißt es, dass damit auch eine einheitliche farbliche Kleidung oder weiße Maleranzüge gemeint sind.

Diese weißen Overalls, die seit Jahren bei den Klimaprotesten genutzt werden, stellt das Gesetz damit historisch in eine Reihe mit uniformierten Aufmärschen von SA und SS. Dabei attestiert das Gesetz ihnen wie auch Marschtritt und Trommelschlagen eine „suggestiv-militante, aggressionsstimulierende und einschüchternde Wirkung“.

Auch das Versammlungsverbot auf Autobahnen richtet sich eindeutig gegen Aktivist:innen, die dort protestieren, um auf die sich zuspitzende Klimakrise aufmerksam zu machen. Der nordrhein-westfälische Gesetzgeber habe hier seine staatliche Neutralität gegenüber zulässigen Versammlungsanliegen aufgegeben und schränke so die Grundrechte aller Aktivist:innen verfassungswidrig ein, sagt die GFF.

Unterstützung durch weitere Bürgerrechtsorganisationen

Laut der GFF hat kein anderes Bundesland ein derart restriktives Versammlungsgesetz. Mit der Verfassungsbeschwerde will die GFF nach eigener Aussage ähnlichen Tendenzen bei der Gestaltung künftiger Landesversammlungsgesetze vorbeugen und so eine schrittweise Aushöhlung der Versammlungsfreiheit verhindern. Die acht Beschwerdeführenden sind Mitglieder unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Organisationen aus Nordrhein-Westfalen, die ihr Engagement durch das Versammlungsgesetz in Gefahr sehen. Sie werden vertreten durch Professor Tristan Barczak von der Universität Passau. Die Verfassungsbeschwerde wird unterstützt vom Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) und dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV).

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben     —     Demonstration gegen das geplante Versammlungsgesetz am 28. August 2021 in Düsseldorf

Abgelegt unter APO, Medien, Nordrhein-Westfalen, Politik und Netz, Überregional | Keine Kommentare »

Armut ohne Perspektiven

Erstellt von Redaktion am 5. Januar 2023

Kaum Vertrauen, kaum Freiheit

AMMAN 2.jpg

Ein Debattenbeitrag von Serena Bilanceri

Die hohen Treibstoffpreise waren nur Auslöser der Proteste in Jordanien. Dahinter steckt ein tiefes Bedürfnis nach gesellschaftlichem Wandel. Es geht auch um Armut und Perspektivmangel: Unter den Jüngeren sind fast 50 Prozent arbeitslos.

Es ist kein verspäteter Arabischer ­Frühling. Die Proteste, die Jordanien gut zwei Wochen lang in Aufruhr versetzt haben, haben ihre Wucht verloren. Die Sicherheitskräfte haben Dutzende Protestteilnehmer verhaftet, darunter einen Ex-Bürgermeister. Und der König, Abdullah II., hat die Regierung angewiesen, die Steuern auf Kerosin einzufrieren. Ob dies genug sein wird, um den Unmut in der Gesellschaft zu besänftigen, bleibt abzuwarten. Doch eines zeigen die jüngsten Proteste gewiss: was sich ändern soll, damit sie nicht wieder aufflammen.

Anfang Dezember organisierten Lkw-Fahrer Streiks und Proteste gegen die Erhöhungen der Treibstoffpreise, die sich zu einem breiteren Protest gegen die steigenden Lebenskosten und auch gegen die Führungsklasse ausweiteten. Vier ­Polizisten wurden getötet – offenbar durch radikale Islamisten, die wenig mit den Protesten zu tun haben. Doch das Land steht unter Schock.

Jordanien gilt bislang als sicherer Hafen in ­einer Region, die von Konflikten geplagt ist. Das Königreich, ressourcenarm und teils auf aus­ländische Hilfe angewiesen, hat allerdings in den vergangenen Jahren mehrere Rückschläge erlebt. Die ­Konflikte in Syrien, im Jemen und Irak ließen die Zahl der Geflüchteten im Land rasch auf mehrere hunderttausend steigen. Die Coronapandemie trieb Arbeitslosigkeit und Armut in die Höhe.

Seine Stabilität bewahrte das Königreich früher, indem es den Stämmen, traditionell das „Rückgrat der Monarchie“, Unterstützung und Jobs gewährte. Außerdem wurden wichtige Güter stark subventioniert. Doch der Staat hat inzwischen Schulden für mehr als 40 Milliarden Dollar und einen aufgeblasenen öffentlichen Dienst. Die Sparmaßnahmen, die das Land mit dem Internationalen Währungsfonds vereinbart hat, haben dazu geführt, dass einige Subventionen gestrichen wurden. Dies trifft jetzt auf einen Anstieg der Lebenskosten durch die Pandemie und den Ukrainekrieg.

Der Arabische Frühling ging an Jordanien relativ spurlos vorbei. In den vergangenen Jahren gab es aber immer wieder Proteste, gegen Preiserhöhungen, Korruption oder niedrige Gehälter. Sie wurden unterdrückt, schwelen aber weiter unter der Oberfläche. Vor zwei Jahren gab es Massenverhaftungen nach Streiks der Lehrergewerkschaft, die Gewerkschaft selbst wurde verboten. 2021 und Anfang 2022 hatte es wieder vereinzelte Demonstrationen gegeben, laut Medienberichten soll teilweise sogar der König kritisiert worden sein, was in Jordanien ein Tabu ist.

Die jüngsten Proteste haben sich an den hohen Benzin- und Heizölpreisen entzündet, doch diese sind nur ein Symptom tiefer sitzender Probleme. Es geht auch um Armut und Perspektivmangel, vor allem für die Jüngeren. Die Arbeitslosigkeit liegt in Jordanien bei 22,6 Prozent, unter jungen Menschen sogar bei knapp 50 Prozent. Der Durchschnittslohn beträgt etwa 700 Euro, der Mindestlohn etwa 350 Euro. Es geht aber ebenso um Repression und mangelndes Vertrauen in die politischen Institutionen des Landes. Laut einer jüngsten Umfrage des Forschungsinstituts Nama und der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung denken 64 Prozent der befragten Student*innen, dass ihr Stamm ihre Interessen am besten repräsentiert, nur 5 Prozent denken jedoch dasselbe über die Regierung. 63 Prozent gaben an, nicht für politische Parteien stimmen zu wollen. Auf die Frage, welches System das beste sei, um Probleme zu lösen, war die meistgewählte Antwort: „Ein System geregelt durch das islamische Gesetz, ohne politische Parteien oder Wahlen“.

العربية: وسط عمّان Englisch: Central Amman

Jordanien ist eine Monarchie mit parlamentarischem System, der König hat aber einen großen Einfluss auf das politische Leben. Bei den Wahlen haben die Stämme Gewicht, Parteien spielten bislang keine große Rolle – die einzig erfolgreichen waren die islamischen. Bei den letzten Parlamentswahlen gingen lediglich knapp 30 Prozent der Wäh­le­r*in­nen an die Urnen.

Das soll sich jetzt ändern: König Abdullah II. hatte vor über einem Jahr politische Reformen angekündigt, die die Rolle der Parteien stärken und das politische System „modernisieren“ sollen. Die Frage ist nur: Wie? Denn im Ranking der US-Organisation Freedom House wurde Jordanien als „nicht frei“ herabgestuft, ein jüngster Bericht der NGO Human Rights Watch beklagt die Verfolgung und Schikanierung von Aktivist*innen, Jour­na­lis­t*in­nen und Gewerkschaftler*innen. Die Stabilität scheint zunehmend vom Sicherheitsapparat gewährleistet zu werden. Selbstzensur ist sogar unter Jour­na­lis­t*in­nen sehr verbreitet. Im April hatte der Halbbruder des Königs, Prinz Hamza, angekündigt, auf seinen Titel zun verzichten. In jordanischen Medien hat man kaum davon gelesen. Und über die Vorfälle rund um die Lehrergewerkschaft gab es vor zwei Jahren eine Nachrichtensperre.

Quelle         :       TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     — Eine Kombination für die Bilder von ِAmman, Jordanien. Der Ort, an dem die Bilder von rechts nach links und von oben nach unten aufgenommen wurden: Ammans Skyline von Sport City aus gesehen, Herkulestempel in der Zitadelle von Amman, Omayyaden-Palast, osmanischer Hejaz-Bahnhof, römisches Theater, Abdoun-Brücke, König-Abdulla-I-Moschee und Raghadan-Fahnenmast.

Abgelegt unter Medien, Nah-Ost, Positionen, Umwelt | Keine Kommentare »

Verachtung der Armen

Erstellt von Redaktion am 5. Januar 2023

Eine linke Kritik der „Bürgergeld-Reform“

8M Die LINKE NRW.png

Quelle       :      AKL

Von       :     Jürgen Aust

Die vollmundigen Prophezeiungen der SPD, mit einem neuartigen „Bürgergeld“ Hartz IV überwinden zu wollen, waren von Anfang an ein Etikettenschwindel. Denn inzwischen dürfte offensichtlich sein, dass an dem Verarmungs- und Repressionsprogramm „Hartz IV“ in allen wesentlichen Punkten festgehalten wurde.

Keiner der zentralen Kritikpunkte der letzten Jahre fand Eingang in das nunmehr vom Bundestag verabschiedete Konzept: weder die seit Jahren geforderte deutliche Erhöhung des Regelsatzes, noch die bedingungslose Abschaffung des Sanktions-Systems oder die Abschaffung des Zwei-Klassen-Systems in der Arbeitsförderung sind auch nur ansatzweise berücksichtigt worden.

Hartz IV ist Armut per Gesetz

Bereits unmittelbar nach der Einführung von Hartz IV zum 1.1.2005 („4. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“) wurden zahlreiche Stimmen laut, dass der damals in Höhe von 345 € bemessene Regelsatz, der durch die Abschaffung der bisherigen Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau gekürzt wurde, erheblich zu niedrig sei und nicht ansatzweise eine soziale und kulturelle Teilhabe ermögliche. Weder die Anteile für Ernährung, Stromkosten oder Mobilität deckten annähernd die tatsächlichen Kosten. Ebenso wenig entsprachen die Wohnkosten den tatsächlichen Kosten, sondern die dafür zuständigen Kommunen beauftragten private Firmen, die die Mietkosten in der Regel am unteren Niveau der in den jeweiligen Kommunen ermittelten Grundmieten orientierten. Diese Unterdeckung führte in den Folgejahren zu einer massiven Verschuldung von Grundsicherungs-Betroffenen, weil die von den Jobcentern bewilligten Mietkosten zumeist nicht den tatsächlichen Kosten entsprachen, so dass z.B. im Jahre 2017 die betroffenen Mieter*innen ca. 627 Mio. € (!) aus ihrem Regelsatz aufbringen mussten. Ebenso verhält es sich mit den unzureichenden Stromkosten im Regelsatz, die ständig mit einer zusätzlichen Verschuldung verbunden sind und darüber hinaus dazu führen, dass die Versorgungs-Unternehmen nicht nur Stromsperren androhen, sondern diese auch in einem dramatischen Ausmaß durchführen (2014: ca. 325.000 Stromsperren).

Insbesondere das Thema „Sanktionen“ war von Beginn an ein medial stark aufgegriffenes Thema, da in Spitzenzeiten mehr als 1 Mio. Sanktionen verhängt wurden, wobei die meisten davon auf die 10%igen Sanktionen wegen sog. Meldeversäumnissen entfallen und der geringere Teil die 30%igen, 60%igen oder 100%igen Sanktionen bisher betreffen. Die breite Protestwelle gegen das bis zur Einführung von Hartz IV unbekannte Sanktions-System führte nach langjährigen Auseinandersetzungen zu einem eher bescheidenen Erfolg, als das BVerfG im November 2019 die Sanktions-Regeln grundsätzlich für verfassungswidrig erklärte, aber den Standpunkt vertrat, dass Sanktionen i.H. von 30% noch verfassungsgemäß seien. Diese wurden zwar während der Pandemie durch ein Moratorium zeitweise ausgesetzt, blieben aber grundsätzlich in Kraft.

Kapitalvertretungen fordern Verschlechterungen

Doch es waren nicht nur kritische Stimmen von links, die das „Hartz IV-Modell“ kritisierten, sondern auch das rechte Lager von Konzernen, Banken und ihren Interessenverbänden versuchte von Anfang an, die bescheidenen und unzureichenden Hartz IV-Sätze als arbeitsmarktfeindlich zu attackieren. So war es kein Geringerer als der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, der forderte: „Das Niveau der Lohnersatzleistungen muss reduziert oder es müssen die Bedingungen für den Anspruch auf diese Leistungen verschärft werden (Passauer Neue Presse 02.08.2006). Auch seine Erfüllungsgehilfen in der Politik wollten dem nicht nachstehen, wie z.B. der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle, der den historischen Ausspruch prägte: „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“ Ergänzend sei der Präsident der Gesamt-Metall Chef Stefan Wolf zitiert: „Wir brauchen eine Reform analog zur Agenda 2010. Der Ansatz muss sein, dass es sich lohnt zu arbeiten. Ich bin dagegen, dass jemand, der nichts tut, obwohl er es könnte, eine Grundsicherung bekommt“ (WAZ 27.01.2021).

Diese Signale trafen auf offene Ohren sowohl beim Wirtschaftsrat der CDU, als auch der AfD. So forderte der Wirtschaftsrat, die Zahlung des Bürgergeldes von der Verpflichtung zu einer gemeinnützigen (kostenlosen) Arbeit abhängig zu machen (Merkur.de 02.09.2022), während die AfD dies in der Bundestagsdebatte dahin konkretisierte, dass alle Bürgergeld-„Empfänger*innen“ nach einer Karenzzeit von 6 Monaten grundsätzlich zu einer gemeinnützigen Arbeit von 15 Wochenstunden verpflichtet werden sollten. Diese auf noch mehr Armut und Repression setzende Politik des deutschen Kapitals ist die Blaupause für die in den letzten Wochen vor Verabschiedung des „Bürgergeld-Gesetzes“ erfolgte Kampagne von CDU/CSU. Nachdem sich ihre Behauptung, mit dem neuen Bürgergeld lohne es sich nicht mehr zu arbeiten, weil Bürgergeld im unteren Lohnbereich höher liege, sich als eine erbärmliche Mogelpackung herausgestellt hatte, konzentrierte sie im fliegenden Wechsel ihre Angriffe auf die Höhe der Vermögensfreistellung sowie auf die temporäre Aussetzung der Sanktionen innerhalb der ersten sechs Monate. Die SPD sowie die anderen Parteien der Ampelkoalition erklärten sofort ihre Bereitschaft, auf den Rechtskurs von CDU/CSU einzugehen, so dass die Höhe des Schonvermögens deutlich nach unten geschraubt wurde und die Sanktionen ohne Karenzzeit wieder von Anfang gelten.

Was ist dann überhaupt noch bei der sog. Sozialstaats-Reform herausgekommen:

  • Die Regelsatzhöhe als der umstrittenste Kernbereich von Hartz IV wird von 449 € bisher auf 502 € ab 1.1.2023 angehoben und kompensiert damit noch nicht einmal die Inflationsrate, die für die von Armut betroffenen Menschen insbesondere bei der Ernährung aktuell bei über 20% liegt. Da die Stromkosten weiterhin Bestandteil des Regelsatzes in völlig unzureichender Höhe bleiben, ist eine Ausweitung von Verschuldung und Notlagen vorprogrammiert. Wichtig ist festzuhalten, dass die SPD sich bei allen ihren vollmundigen „Hartz IV-Überwindungs“-Erklärungen zur Höhe des Bürgergeldes systematisch ausgeschwiegen hatte. Ebenso bleibt die seit Jahren erhobene Forderung nach Anrechnungsfreiheit des Kindergeldes, was allen Bezieher*innen von Erwerbseinkommen zusätzlich zum Einkommen zur Verfügung steht, unberücksichtigt.
  • Das Sanktions-Regime bleibt grundsätzlich unverändert. Die SPD wollte ihrem Entwurf lediglich in den ersten 6 Monaten des Leistungsbezugs keine Sanktionen verhängen, was aber durch die Intervention von CDU/CSU wieder kassiert wurde. Eine Abschaffung der Sanktionen bzw. zumindest eine deutliche Abmilderung war für die SPD bisher ein zentraler und wichtiger Aspekt ihres Reform-Projekts.
  • Es soll die bisherige „Eingliederungsvereinbarung“ durch einen „Plan zur Verbesserung der Teilhabe“ (Kooperationsplan) ersetzt wurden, wodurch bisher suggeriert wird, dass damit Jobcenter und Leistungsbezieher*in quasi auf Augenhöhe agieren würden. Auch dies ist ein grandioser Etikettenschindel, da Leistungsbezieher*innen auch weiterhin keine Möglichkeit haben, dass Jobcenter zu irgendwelchen Verpflichtungen zu veranlassen, diese verbleiben ausschließlich bei den Betroffenen.
  • Auch die neuen sog. „Freibeträge“ bei einer Erwerbsarbeit gleichen eher einer Luftnummer. Denn bis zu einem Einkommen von 1200 € werden im Gegensatz zur bisherigen Regelung maximal 48 € mehr freigestellt, also nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Diese „Sozialstaatsreform“ gleicht einer Reformruine

Das Einknicken der SPD muss im Prinzip überraschen, da sie es war, die im Herbst 2018 sehr lautstark und medienwirksam eine „Überwindung“ von Hartz IV forderte. Ihre damalige Arbeitsministerin und zeitweilige SPD-Chefin Andrea Nahles hatte bei einem Debattencamp der SPD eine „Sozialstaatsreform 2025“ angekündigt und betont: „Wir werden Hartz IV hinter uns lassen.“ Kurze Zeit später erklärte der damalige Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert: „Der Kampf gegen die Logik des Hartz IV-Systems war immer auch ein Kampf der Jusos.“ Gleichzeitig forderte er eine Abschaffung der Sanktionen, da eine Grundsicherung „niemals relativierbar“ sein könne. Nach diesen vollmundigen Ankündigungen hätte deshalb erwartet werden dürfen, dass das Hartz IV-System, wenn auch nicht abgeschafft, so doch an seinen entscheidenden Baustellen (Regelsatzhöhe, Sanktionen und Zumutbarkeitsregeln) reformiert werden würde.

Dass dies nicht erfolgt ist, ist nicht nur mit den CDU-Angriffen zu erklären, sondern dürfte seinen wesentlichen Grund darin haben, dass die SPD-Parteiführung bisher an der Agenda-Politik grundsätzlich festgehalten hat und offensichtlich mit ihr eine „Verabschiedung“ von Hartz IV nicht zu haben ist. Dies betrifft insbesondere Scholz als damaligen Generalsekretär der SPD während der Schröder/Fischer-Regierung. Dies betrifft ebenso Hubertus Heil, der 2005 Generalsekretär der SPD wurde und in dieser Eigenschaft Hartz IV von Anfang verteidigt hatte. Dies betrifft insbesondere auch Lars Klingbeil als neuen SPD-Chef, der sich bisher im Seeheimer-Kreis engagierte und aus seiner Nähe zu den Kapitalverbänden nie einen Hehl machte. Dass Nahles und Kühnert nunmehr ebenfalls ihre bisherigen Positionen revidiert haben, zeigt einmal mehr, zu welchen Zugeständnissen der linke Flügel innerhalb der SPD bereit ist, wenn es um finanzielle Privilegien und den Rockzipfeln der Macht geht (Nahles steht inzwischen der Bundesagentur für Arbeit vor und Kühnert hat es vor wenigen Monaten auf den Thron des Generalsekretärs der SPD geschafft).

Auch wenn die vom Wirtschaftslager und Teilen der CDU und der AfD geforderte Zwangsarbeit bisher noch keinen Eingang in das neue Bürgergeld-Gesetz gefunden hat, steht das Gesetz auch weiterhin für Armut und Repression. Dies ist insbesondere eine Schlag ins Gesicht für die bundesweit ca. 3,8 Mio. erwerbsfähigen Leistungsberechtigten sowie den ca. 1,5 Mio. Kindern und Jugendlichen bis 14 Jahren, aber auch für die ca. 630.000 Menschen im Rentenalter, die gezwungen sind, aufgrund ihrer zu geringen Renten aufstockende Leistungen vom Sozialamt zu erhalten („Grundsicherung im Alter“).

Zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens gab es noch eine besondere Kuriosität. Nachdem die Linksfraktion im Bundestag bei der Abstimmung ihre Zustimmung verweigerte und ihre Abgeordnete im Vermittlungsausschuss, Gesine Lötzsch, den durch die Intervention der CDU deutlich verschlechterten Kompromiss abgelehnt hatte, erteilten die Regierungsvertreter*innen der LINKEN im Bundesrat bei der abschließenden Abstimmung ihre Zustimmung. Der Vertreter Thüringens, Benjamin Hoff, erklärte dazu: „Wenn Thüringen heute dem Bürgergeldgesetz zustimmt, dann tun wir dies, weil wir anerkennen, dass mit dem Bürgergeldgesetz Verbesserungen verbunden sind.“ Damit wird einmal mehr als deutlich, zu welchen Anpassungsleistungen Linke in der Regierung bereit sind. Dann verkaufen sie lieber die Interessen von ca. 6 Mio. Menschen, die sich mit der „Bürgergeld-Reform“ eine deutliche Verbesserung ihrer Lebenslage erhofft hatten, um weiterhin am Katzentisch der Macht Platz nehmen zu können.

Andererseits müsste den SPD-Verantwortlichen eigentlich die Schamesröte ins Gesicht treiben, dass sie in den letzten Jahren auf zahlreichen Konferenzen und mit entsprechenden Positionspapieren erklärt hatten, Hartz IV hinter sich zu lassen, während sie am Ende des Tages an „Erneuerung“ dem bisherigen Hartz IV-System lediglich ein neues Etikett aufgeklebt hat. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Jürgen Aust ist Mitglied im Bundessprecher*innenrat der AKL und seit Jahren in Duisburg in der Sozialberatung tätig.

akl - Antikapitalistische Linke

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   8M Die LINKE NRW.

************************

Unten     —     Antikapitalistische Parole auf einer Black-Lives-Matter-Demo im Rahmen der Proteste infolge des Todes von George Floyd in Minneapolis

Abgelegt unter Berlin, HARTZ IV - (Bürger-Geld), Medien, P. DIE LINKE | 1 Kommentar »

Die Natur schlägt zurück

Erstellt von Redaktion am 4. Januar 2023

Die Kältekatastrophe in den USA

File:Main Street inmitten des Wintersturms November 2022, Buffalo, New York - 20221120.jpg

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von      :    Klaus Hecker

Aber stimmt das überhaupt? Unbestreitbare Tatsache ist, dass ungeheure Schneemassen über Teilen der USA niedergegangen sind und eine sibirische Kältewelle diese Gebiete heimgesucht hat.

Abertausende waren eingeschlossen und bibberten sich zu Tode. Ja, und es gab auch nicht wenige Tote.

Aber wieso wird die Natur in Gestalt des Winters und einer Kältewelle dafür verantwortlich gemacht. Wir befinden uns im entwickeltesten Industriestaat der Welt mit Silicon Valley and so on.

Die jeweiligen natürlichen Verhältnisse, auch wenn sie von grimmiger Kälte sind, stellen bestenfalls äußerliche Bedingungen dar, mit denen umzugehen ist.

Strom- und Wasserversorgung brachen vielerorts zusammen

Und das machen die Amerikaner ja auch, aber wie? Ich greife mal einen Punkt heraus, nämlich die Stromversorgung. 90% der amerikanischen Stromversorgung ist als marode einzustufen, mit äußerst anfälligen Strommasten im Überlandverkehr. Und das blieb auch so, obwohl es ja in den letzten Jahrzehnten etliche Zusammenbrüche des Stromnetzes gegeben hat. Begründung: Sanieren und Leitungen unter die Erde legen, sei zu teuer.

Das neu aufgelegte Mondprogramm Artemis kostet nieder angesetzt 98 Mrd. Dollar, laut FAZ. Der Afghanistankrieg kostete 32,2 Billionen Dollar – eine Billion hat 12 Nullen.

Teuer ist also keine absolute Zahl, im Sinne von – das ginge sachlich nicht, das sei Zuviel. Vielmehr wird mit „teuer“ eine relative Grösse angegeben, ein Verhältnis von Aufwand und einem angesteuerten Nutzen.

Eine winter-, katastrohengerechte Versorgung der Bevölkerung ist offenbar für die US Regierung kein Ziel, lohnt sich daher nicht.

Lehre: Der Kapitalismus könnte die einfachsten Grundbedürfnisse, oder besser Lebensbedingungen der Bevölkerung sicher stellen, möchte das aber nicht. Präziser: Der Diktatur des Profits huldigend, ist die Bevölkerung als Mittel diesen zu mehren, gerne gesehen, aber doch nicht, wenn Kosten anfallen, insbesondere, wenn sie nicht als lohnende Kosten betrachtet werden.

Zur Lage in den USA schreibt das nicht gerade revolutionäre Handelsblatt in einem ironisch tituliertem Artikel

„Die verfallenden Staaten von Amerika“ (1)

„Die USA sind nach Angaben des Auswärtigen Amts weltgrößter Absatzmarkt für Importgüter und standen als Exporteur 2013 (nur Waren) hinter China an zweiter Stelle.

In einem Land, in dem Privatvillen für 195 Millionen Dollar in Beverly Hills zum Verkauf stehen, fehlt das Geld, um Gasleitungen zu flicken. Im September 2010 verwandelte eine explodierende Gasleitung San Bruno, einen Vorort von San Francisco, in eine brennende Apokalypse. Die nachfolgenden Untersuchungen offenbarten gravierende Sicherheitsmängel in weiten Teilen der über alternden Gasversorgung. In einem Gewaltakt stellte der Energielieferant PG&E in den kommenden Jahren wenigstens die Sicherheit wieder her.

Einsturzgefährdete Brücken, löchrige Straßen, zerberstende Wasserrohre, Gasexplosionen: Es sind Horrormeldungen, die die täglichen Nachrichten im US-Fernsehen beherrschen. Die Versäumnisse sind gigantisch.“

So so, der nicht vorhandene Wille für die Versorgung Geld in die Hand zu nehmen , verwandelt das Handelsblatt in: Es fehle Geld. Unsinn, wie gezeigt.

Der auf der einen Seite vorhandene gewaltige Reichtum, bebildert mit den Villen Beverly Hills und auf der anderen Seite die verarmte öffentliche Versorgung sollen so unerklärt wie das in dem Artikel des Handelsblattes stehenbleibt, fuer sich stehend Kopfschütteln hervorrufen. Unsinn: So wie in der Ökonomie die Ausbeutung und Verarmung der arbeitenden Bevölkerung den Reichtum der anderen Seite beschert, so wird die hervorragende Energieversorgung und öffentliche Infrastruktur in Beverly Hills – von der öffentlichen Hand organisiert – ja, aus dem maroden Energieversorgungsprogramm, welches im Land besteht, herausgepresst.

Soweit, so schlecht.

Zurück zur Natur – wofür steht sie?

Eine Ursache, ein Schuldiger ist ausgemacht – die Natur.

So wird sich mehr als 200 Jahre nach der Aufklärung eines vor aufklärerischen Weltbildes bedient.

Diese dreiste Lüge von der uns überwältigenden Natur und auf der Gegenseite einer Gesellschaft, die gemeinschaftlich dagegen – hier Schneemassen – kämpft, verbreiten die Tagesschau und im Prinzip alle deutschen Gazetten mit Fleiß. Warum wohl?

(1) Die verfallenden Staaten von Amerika, Handelsblatt, 17.11.2014, Axel Postinett

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —    Ein Blick nach Süden entlang der schneebedeckten Main Street in Buffalo, New York, an einem Morgen im November 2022, nach einem Wintersturm, der etwa anderthalb Fuß Schnee auf die Stadt selbst und unglaublicherweise sechseinhalb Fuß in einigen Gebieten im Süden fallen ließ.

Verfasser Andre Karottenblume       /    Quelle    :     Eigene Arbeit        /       Datum    :   20.11.2022

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International Lizenz.

 

Abgelegt unter Amerika, Medien, Positionen, Umwelt | Keine Kommentare »

Was Corona verändert hat

Erstellt von Redaktion am 3. Januar 2023

Nur Stadt ist cool und kreativ?

Blick vom Hochhaus der Charité in Berlin, Dezember 2019.jpg

Hinten links die gläserne Kuppel mit den platzierten Puppen

Ein Debattenbeitrag von Julia Amberger

Unter anderem Corona hat an dieser alten Gewissheit gerüttelt, immer mehr Menschen zieht es aufs Land. Wo auch tagsüber Menschen sind, lohnt es sich, ein Café oder eine Gaststätte zu betreiben.

Corona ist angeblich vorbei – doch es hat manches dauerhaft verändert. Wenn Sie wie ich gleich nach dem Abi aus der Provinz in die Stadt geflohen sind, glauben Sie vielleicht auch lange: Wer sich frei entwickeln will, muss nach Hamburg, Berlin, dorthin wo täglich neue Start-ups gegründet und Lösungen für die Probleme von morgen gesucht werden. Städte stehen für ein kreatives soziales Umfeld.

Doch plötzlich breitete sich Sehnsucht aus, nach Bäumen, sattem Grün. Monate im Lockdown, umgeben von Beton, haben diese Sehnsucht noch verstärkt. Nachdem im vergangenen Jahr das Bundesverfassungsgericht auch noch die Berliner Mietpreisbremse gekippt hat, werden die Kosten für ein Leben in der Stadt langfristig weiter steigen und der Kampf um Platz wird sich zuspitzen – höchste Zeit, die eigenen Gewissheiten zu hinterfragen!

Seit einigen Jahren gelten strukturschwache Gegenden wie Nordhessen als entschleunigend, ein Architekt, der aus Berlin in die Braunkohleregion Lausitz zog, schwärmt von einer Gründerstimmung in Brandenburg wie im Berlin der 90er Jahre. Das spiegelt sich auch in der Wanderungsbilanz deutscher Städte: Laut einer Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung verlieren Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern immer mehr Menschen wegen Umzugs – insbesondere im Westen. Ohne den Zuzug aus dem Ausland würden sogar Berlins Einwohnerzahlen längst sinken. Verlor die Hauptstadt 2010 noch überschaubare 2.000 Berlinerinnen und Berliner an Brandenburg, zogen 2019 schon fast 17.000 mehr Menschen ins Umland als umgekehrt, vor allem Familien.

Für viele ist die neue Landlust bislang aber immer noch ein Traum: 2019 lebte knapp jeder dritte Deutsche in einer Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnern und gerade einmal 14 Prozent in kleineren Gemeinden mit einer Bevölkerung von weniger als 5.000 Menschen. Umfragen zufolge liebäugelt aber ein größer werdender Anteil mit einem Umzug aufs Land. Noch kurz vor Ausbruch der Coronapandemie wollten laut einer Erhebung von Kantar 34 Prozent der Deutschen gern auf dem Dorf leben und 27 Prozent in einer Kleinstadt im ländlichen Raum. 26 Prozent bevorzugten demnach den Stadtrand und nur 13 Prozent ein Leben in der Stadt.

Corona wirkte wie ein Katalysator: Einer Umfrage im Auftrag der Zeit aus dem Sommer 2020 zufolge wünschte sich ein Drittel der befragten Stadtbewohner einen Umzug aufs Land oder in eine Kleinstadt, bei knapp einem Zehntel war dieser Wunsch wegen Corona entstanden oder hatte sich verstärkt. Städte sind so unattraktiv geworden, dass das Land als Alternative wieder infrage kommt. Als Alternative, die jeder mit seinen eigenen Ideen bespielen kann.

Inzidenz-D.jpg

Denn der Hype um Berlin, Köln oder München hat die Städte verändert: Die Straßen sind voll, die Parks zertrampelt und die Mietpreise für Wohnungen und Büros in den letzten Jahren enorm gestiegen. Da Platz begehrt, aber begrenzt ist, wird er immer teurer. Freiräume und Orte für kreativen Austausch verschwinden. Wer einen Platz in der Kita will, muss sich in manchen Städten schon vor der Geburt des Kindes bewerben und oft entscheidet ein Los darüber, ob der Nachwuchs auf die gewünschte Schule kommt. Mit den in der Pandemie geschlossenen Kinos, Restaurants, Konzerthäusern und Museen sind jetzt auch die letzten Vorteile von Städten dahin.

Auch die Arbeitswelt hat sich durch Corona rasant geändert. Menschen arbeiten – wo möglich – remote, insbesondere in den Großstädten, in denen sich die wissensintensiven, computerbasierten Tätigkeiten konzentrieren, die theoretisch auch auf die Kanaren oder in den Wald verlegt werden können, solange es dort eine Internetverbindung gibt. Wer nur ein- oder zweimal pro Woche ins Büro muss oder gar komplett von zu Hause aus arbeitet, der kann nicht nur seinen Urlaub verlängern und am Strand arbeiten. Der kann auch genauso gut in der brandenburgischen Prignitz leben wie in Berlin.

Aber nicht nur der Blick aufs Land hat sich geändert, sondern sogar einige Ortschaften selbst: Während die Städte immer voller werden, Kieztheater dichtmachen und Coworking Spaces so elitär geworden sind, dass sich die Miete fast nur Firmen leisten können, entstehen plötzlich ähnliche Angebote auf dem Land. Sie sind aber keine Kopien der Modelle aus der Stadt. Stattdessen passen sie sich an die Menschen vor Ort und ihre Bedürfnisse an. Nicht der Profit steht im Vordergrund, sondern die Idee, Pendlerinnen und Pendlern eine Alternative zu bieten, den Ort zu beleben und die Lebensqualität zu steigern. Wo auch tagsüber Menschen sind, lohnt es sich, ein Café oder eine Gaststätte zu betreiben. Schlafdörfer werden so zu Tagdörfern.

Quelle       :           TAZ-online       >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —       Blick aus dem 17. Obergeschoss des Charité-Klinikum Hochhaus (Südseite), rechts hinten die gläserne Reichstagskuppel zu sehen

Abgelegt unter Gesundheitspolitik, Medien, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Die NATO und Deutschland

Erstellt von Redaktion am 3. Januar 2023

Kanzler Scholz, vor aller Welt gedeckelt

Vor ihren Fahnen stehen immer die krummen Bananen

Quelle      :      Ständige Publikumskonferenz der öffentlichen Medien e.V.

Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Der oberste deutsche Befehlsempfänger der USA ist noch weniger souverän als das Land, das er regiert: eine Schmach für seine Wähler

60 Tage lang konnte Olaf Scholz erfolgversprechend so tun, als sei er Kanzler eines souveränen Deutschlands. Er gab in seinen ersten Amtstagen sogar vor, er fühle sich mitverantwortlich für den Frieden in Europa[1] Am 7. Februar 2022 war dann Schluss mit lustig. Scholz musste zum Antrittsbesuch bei US-Präsident Biden antraben. Genauer: Zum Befehlsempfang, wie sich auf der anschließenden Pressekonferenz herausstellte. Als Scholz einer Journalistenfrage nach der Zukunft der Gasleitung Nord Stream 2 auswich, gab ihm Biden vor aller Welt Saures: Es werde „… kein Nord Stream 2-Projekt mehr geben“. [2] Der Kanzler griente nur dümmlich, anstatt zu kontern: Nord Stream 2 ist Miteigentum deutscher Unternehmen und liegt außerhalb US-amerikanischer Zuständigkeit. Doch soviel Rückgrat hatte Scholz nicht.

Die ARD-aktuell kommentierte den peinlichen Presseauftritt so:

„Demonstrativ untergehakt als zwei starke Partner, die sich gegenseitig (sic!) vertrauen“. [3]

Obendrein wurde des Kanzlers Erniedrigung also mit Schwanzwedler-Journalismus bedacht (‘tschuldigung, Frau Tina Hassel: Schwanzwedler*Innen-J.). In der 20-Uhr-Tagesschau vom 7. Februar hieß es lakonisch:

„Die USA fordern die klare Zusage, dass Solidarität über deutsche Wirtschaftsinteressen geht.“ [4]

Deutscher Frondienst ist ja nach wie vor selbstverständlich.

Seit dem Ukraine-Krieg ist unübersehbar, dass alle für Deutschland wichtigen Entscheidungen in Washington getroffen werden. Scholz, Baerbock, Habeck und Lindner unterwerfen sich dem Diktat, trotz der enormen Belastungen, die für uns daraus entstehen. Scholz mit Blick auf die USA:

„Es wird keine Maßnahmen geben, bei denen wir unterschiedlich agieren. Wir werden einheitlich und zusammen auftreten.“ [5]

Eigene Ideen zur Kriegsvermeidung und die notwendige Bereitschaft, auch die Sicherheitsbedürfnisse Russlands zu berücksichtigen, ließ er nie erkennen. Scholz, einst Merkels Stellvertreter in der Großen Koalition, weiß natürlich, dass Minsk-2, obwohl ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag, nur zum Schein zelebriert und Präsident Putin damit jahrelang hintergangen worden war. Nicht Friedenssicherung war beabsichtigt, sondern Zeitgewinn zur Aufrüstung der Ukraine [6] und zum parallelen Dauerkrieg im Donbass.

Epochaler Betrug

Dass Scholz, nunmehr selbst Kanzler, dem epochalen Betrug kein Ende setzte, sondern die US-Provokationen gegen Russland – zulasten Deutschlands! – weiter unterstützte, zeigt seine US-Hörigkeit. Als ehemaliger Finanzminister Merkels wusste er genau: Seit 2014 hatten die USA das korrupte Kiewer Oligarchen-Regime mit jährlich 5 Milliarden Dollar gepäppelt und dessen Armee zur zweitgrößten europäischen Streitmacht hinter Russland hochgerüstet. Deutschland hatte dabei mit geschmiert.

Berlins Beitrag seit dem Maidan-Putsch und bis zum 24. Februar 22: gewaltige 2 Milliarden Euro [7], [8], über deren Verwendung kein Nachweis verlangt wurde. Obwohl die Ukraine laut EU-Rechnungshof „das korrupteste Land Europas“ ist [9], zahlte und zahlt unsere Regierung in das Oligarchen-Fass ohne Boden.

Die hemmungslose Aufrüstungshilfe der USA, der EU und Deutschlands nutzte das hochkriminelle Kiewer Regime skrupellos dazu, die ethnisch-russische Bevölkerung der Ostukraine zu terrorisieren. Der Vernichtungskrieg [10] [11] der ukrainischen Armee gegen ihre russischsprachigen Landsleute forderte mehr als 14 000 Tote; laut OSZE waren 81 Prozent der Opfer auf Seiten der russischen Ost-Ukrainer zu beklagen. [12] Das neonazistische Regime [13] in Kiew führte diesen Bürgerkrieg im Auftrag der USA. [14] Zu deren Vorteil sollte sich die Ukraine selbst zertrümmern und zum Aufmarschgebiet der NATO gegen Russland planieren.

Letzte Warnung

Deshalb teilte Präsident Putin im Dezember 2021 den westlichen Drahtziehern mit, Russland werde, falls das Dauer-Bombardement auf die Ost-Ukrainer nicht aufhöre,

„angemessene militärisch-technische Vergeltungsmaßnahmen ergreifen“. [15]

Biden, Johnson, Scholz und Co. wussten genau, wo Russlands Rote Linie verlief. Anstatt die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands – und Deutschlands! – zu bedenken und auf eine diplomatische Lösung hinzuwirken, ließ sich Scholz mit US-Auftragsbotschaft nach Moskau schicken und dort erwartungsgemäß abfertigen. Dem deutschen Publikum aber verkaufte die Regierungströte ARD-aktuell Scholz‘ peinliche diplomatische Pleite als beeindruckenden Erfolg:

Kanzler Scholz hat in Moskau diplomatisches Fingerspitzengefühl und Rückgrat bewiesenUnd Präsident Putin gezeigt, wie geschlossen der Westen in der Ukraine-Frage zusammensteht.“ [16]

Schleimer-Journalismus (Schwanzwedler-J. hatten wir ja schon). Nichts hatte Scholz erreicht, gar nichts.

Ein Typ ohne Anstand und Mitgefühl. Scholz hatte Putins Vorwurf, die Armee der Ukraine habe im Donbass 14000 Menschen umgebracht und damit Völkermord begangen, sogar „lächerlich“ genannt. [17] Selbst ein konservatives Magazin sah sich angesichts solcher Menschenverachtung zu der Frage veranlasst:

„Kann jemand, der seinen Gegner nicht einmal verstehen will, weil das dem eigenen Weltbild widerspricht, angemessen reagieren?“ [18]

Nein. Scholz ist nicht bereit, die deutsche Mitschuld an den mörderischen westlichen und Kiewer Provokationen anzuerkennen, die zum russischen Einmarsch in die Ukraine führten. [19] Was Charakterlosigkeit anbelangt, bleibt der Mann sich treu, wie sich schon zeigte, als er sich von US-Biden das Ende der betriebsfertigen Nord Stream-Röhre verkünden ließ:

„Ich verspreche Ihnen, wir werden in der Lage sein, das zu tun.“ [20]

Obwohl 57 Prozent der Deutschen an Nord Stream 2 festhalten wollten [21], folgte Scholz der Stimme seines wahren Herrn und ließ das Nord Stream-2-Projekt einstellen. Bidens Versprechen wurde mit der Sprengung beider Nord Stream-Gasleitungen schließlich sogar übererfüllt. [22] 

US-Krieg gegen Deutschland

Ein staatlicher Terrorakt, eine Kriegshandlung. Fast 10 Milliarden Euro allein für Nord Stream 2 wurden mit einem Schlag vernichtet. [23] Eine Hälfte des Schadens entfällt auf Russland, die andere auf mehrheitlich deutsche Miteigentümer. Die werden ihn erfahrungsgemäß nicht selbst tragen, sondern dem Steuerzahler aufhalsen.

Die Ampelkoalitionäre tun jedoch so, als habe Deutschland den kriegerischen Akt klaglos hinzunehmen: „Geheimhaltungsinteresse und Staatswohl“ gingen vor, heißt es in Regierungskreisen. [24] Den Vogel an bornierter Ignoranz schoss ein rechter Betonkopf-Sozi ab:

Der internationale Deppenchor : Jetzt kann Ratzinger endlich mithören ?

Es ist völlig gleichgültig, ob Nord Stream 1 und Nord Stream 2 nun Lecks haben, wie diese Lecks entstanden sind, ob das Anschläge waren, wer hinter den Anschlägen steckt, weil aus der einen Pipeline noch nie Gas gekommen ist und es aus der anderen seit Wochen kein Gas mehr gegeben hat.“ [25]

Auch ARD-aktuell wollte die Geheimhaltungsakrobatik [26] der Bundesregierung nicht weiter stören. Noch Ende November 22 faselte die Redaktion:

„Sprengung von außen wahrscheinlich“ [27] (sic!)

und bezog sich dabei auf ein externes Gutachten, statt selbst logisch zu denken.

Der Duckmäuser-Journalismus (Schleimer-J. hatten wir schon) unterstützt die USA und ihre Berliner Heloten dabei, Kriegsbeteiligung als Hilfe für die arme „völkerrechtswidrig überfallene“ Ukraine auszugeben und das tatsächliche Kriegsziel der westlichen Eliten zu verschleiern: die Zerschlagung der russischen Staatlichkeit zwecks ungehinderten Zugriffs auf die riesigen russischen Rohstofflager. Unseren Herrschaften geht es nicht um „Freiheit und Democracy“ in der Ukraine, sondern darum, den Konkurrenten Russland zu unterwerfen, sich an dessen Ressourcen zu bereichern und sein Territorium als Aufmarschbasis gegen die VR China zu nutzen.

Die vorgeblich selbstbewussten und doch nur US-liebedienerischen Äußerungen des Kanzlers, seines Vizes Habeck und seiner unsäglichen Außenministerin Baerbock seit Beginn des Krieges haben sich bis zur Stunde durchwegs als reaktionäre Bösartigkeit, Dummheit und Kurzsichtigkeit erwiesen. Verlierer ihrer Sanktionspolitik sind die Westeuropäer, Gewinner die USA. [28]

Die Zeche zahlt der „kleine Mann“

In Westeuropa wird inzwischen ein viermal höherer Gaspreis verlangt als in den USA. Deren superteures Flüssiggas erreicht inzwischen einen Anteil von 70 Prozent des westeuropäischen Gasimports. Unsere Abhängigkeit vom schmutzigeren, umweltschädlicheren und energieärmeren US-Fracking-LNG ist damit noch höher, als sie es jemals vom kalorienreicheren, ökologisch vernünftigeren und zugleich wesentlich preiswerteren russischen Leitungsgas gewesen ist. [29]

Laut Preisvergleichsportal Verivox verdreifachten sich im August 2022 die Gaskosten in Deutschland: Zahlte eine Familie mit einem Jahresverbrauch von 20.000 kWh zuvor noch 1.258 Euro, stiegen sie nun auf durchschnittlich 3.568 Euro. Dabei bleibt es nicht: Private Haushalte müssen im neuen Jahr mit weiteren Mehrausgaben von 67 Prozent rechnen. [30] Auch die Ölpreise sind innerhalb eines Jahres um satte 50 Prozent gestiegen. [31] Zu dieser starken Heizkosten-Zunahme kommen noch der Preisauftrieb beim Strom (Vattenfall z.B. +45 Prozent) und wesentlich höhere Kraftstoffausgaben.

Davon abgesehen hat der wirtschaftlich, ökologisch und politisch absurde Verzicht auf russische Energieträger bereits jetzt zu beträchtlichen volkswirtschaftlichen Schäden geführt. Mindestens eine Billion Euro hat es die EU gekostet, das Gas aus Russland zu ersetzen. [32] Deutschland musste für die Umstellung 500 Milliarden Euro aufbringen. Das Geld, mit dem Scholz um sich wirft („Doppelwums“), um den deutschen Kleinbürger ruhig zu stellen und den Amis das Beutemachen zu erleichtern, ist kein Geschenk, sondern Steuerschuld, die wir zurückzahlen müssen. Mit Zins und Zinseszins. Doch dreist wagt der Kanzler vor seiner Bundestags-Claque zu behaupten:

„Niemand, keine Familie, keine Rentnerin, kein Student und auch kein Unternehmen soll Angst haben, von den Preisen für Strom, Gas oder Fernwärme überfordert zu werden.“ [33]

Als ob die Überforderung nicht längst millionenfach stattfände. [34] ARD-aktuell titelte über den Scholz-Auftritt trotzdem unverdrossen verlogen:

„Zurück zur Sachlichkeit“. [35]

Stiefellecker-Journalismus eben (Duckmäuser-J. hatten wir schon).

Niemand soll Angst haben? Inzwischen hat es sich sogar bis zum Regierungssender Deutsche Welle herumgesprochen, dass Deutschland auf dem letzten Loch pfeift. [36] Von der Gesundheitsfürsorge über das Bildungswesen bis zur Verkehrsinfrastruktur ist alles in die Grütze gewirtschaftet. Dank Scholz und seines Gruselkabinetts aber haben wir wieder einen Staatsschulden-Auftrieb und sind schon bei mehr als 2,52 Billionen Euro angelangt. [37]

Den Kanzler juckt es nicht, sagt ein intimer Insider:

Es gibt nur ein einziges Programm für Olaf Scholz, und das ist er selbst. Dass er sich mit korrupten Bankern und Milliardären gut stellt, gehört dazu.“ [38]

Dass Scholz ein (erpressbarer?) Rosstäuscher ist, zeigt auch seine Behauptung, man habe die Sanktionen gegen Russland sorgfältig vorbereitet, „damit sie die Richtigen treffen“. Sorgfältig? Russlands Rohstoffeinnahmen lagen anno 2022 höher als seine Kriegskosten[39] [40], kein Vergleich mit Deutschlands mieser Kassenlage und drohender De-Industrialisierung.

Fass ohne Boden

Wofür das alles? Für eine von Neonazis beherrschte Ukraine. Für eine Diktatur, die alle Oppositionsparteien eliminierte, alle kritischen Medienhäuser dicht machte, politische Gegner auf Todeslisten [41] setzte, den ethnisch-russischen Bürgern die Muttersprache verbot, Millionen russischer Bücher und anderes Kulturgut vernichten lässt und von einem koksenden, miesen Schauspieler und Steuerbetrüger repräsentiert wird, der sich nicht scheut, mit SS-Abzeichen an seiner Camouflage vor die TV-Kameras zu treten und gegen die russisch-orthodoxe Kirche vorzugehen. [42] Für einen Staat mit der höchsten Korruptionsrate europaweit, in dem ein erheblicher Teil der ausländischen Hilfegelder in schwarzen Taschen verschwindet.

Tag für Tag werden auf den Schlachtfeldern der Ukraine hunderte Mitmenschen umgebracht oder verstümmelt. Das Grauen übersteigt jedes Vorstellungsvermögen. Aber unsere empathielose Außenministerin behauptet

Unsere Waffen helfen, Menschenleben zu retten“ [43]

und demonstriert ihre Selbstbezogenheit und Menschenverachtung. Hätte sie Herz und Verstand, müsste sie Konstantin Wecker zustimmen:

„Wer mehr Waffen fordert, der schickt andere zum Morden und Ermordet-Werden.“ [44]

Argumentativ kommt man einer Baerbock allerdings nicht bei. Für deutsche Politiker geziemt sich der Bückling vor US-Regierungen, das hatte auch Vizekanzler Habeck gezeigt:

„Je stärker Deutschland dient, umso größer ist seine Rolle“ [45]

Tiefer, Robert, tiefer! Und Abgang rückwärts!

Die Ursache der Unfreiheit

Seit Jahren kommt immer mal wieder der Verdacht auf, die Kriecherei der Bundesregierungen sei zwangsläufig, weil Deutschland auch nach 1990 keine volle Souveränität erlangt habe; nur Russland habe uns vom Besatzerprivileg befreit, die USA hätten es behalten.

Wiederholt äußerten sogar deutsche Spitzenpolitiker trotz des 2+4-Vertrags von 1990 entsprechende Zweifel an der Souveränität der Bundesrepublik. Wolfgang Schäuble, seinerzeit Bundesfinanzminister, am 18. November 2011:

„… wir in Deutschland sind seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen.“ [46]

Gregor Gysi, seinerzeit Fraktionsvorsitzender der Linkspartei und Oppositionsführer im Bundestag, am 28. Januar 2014 auf einer Pressekonferenz der Linkspartei:

„… ich denke, dass wir im Jahre 2014 verdient haben, ein in jeder Hinsicht souveräner Staat zu werden. Und wenn wir in jeder Hinsicht souverän werden wollen, müssen wir den USA zeigen, dass wir Grenzüberschreitungen nicht dulden … wer Freundschaft will, muss Unterwürfigkeit aufgeben…“ [47]

Am 21. Juni 2015 stellte Gysi die Souveränitätsfrage sogar im Parlament. [48] Auf eine Antwort bestand er leider nicht.

Unsere Regierenden sind zumindest de facto US-amerikanische Marionetten. Sie geben es nur nicht zu und verstetigen damit ihren Dienstbotenstatus und Deutschlands Souveränitätsdefizit. Die SZ – immerhin eine der wichtigen transatlantischen Meinungsmacher für die deutsche Öffentlichkeit – befand:

„Es existieren offensichtlich zwei Staatsgewalten in Deutschland: erstens die deutsche, und zwar in der Gestalt, die ihr die EU- und andere Verträge gegeben haben; daneben zweitens die US-amerikanische, in nicht genau bekannter Form.“ [49]

Na also. Warum nicht mal die Realität wahrnehmen, obwohl das für Journalisten von heute ungewöhnlich ist?

Von Kanzler Scholz ist vergleichbare Sachlichkeit nicht zu erwarten. Schwerer noch wiegt ein anderes Defizit, das er mit seinen NATO-oliv-Grünen Partnern laufend vergrößert: Empört leugnen sie, dass sie in Kiew mit Neonazis umgehen und deren Denkweise verinnerlichen, obwohl das längst nicht mehr zu übersehen ist; zugleich setzen sie selbst stark protofaschistische Akzente. Sie schikanieren und verbieten oppositionelle Medien und machen die Kritiker der desaströsen Berliner Politik verbal nieder: Kriegsbefürworter, Unmensch, Russenfreund, Verschwörungstheoretiker oder Verfassungsfeind ist, wer ihnen zu widersprechen wagt. Scholz tut so, als habe er die Moral gepachtet, auch wenn er grad eine entlarvende Hasstirade gegen Putin und ebensolche Elogen an den Nazi-Verehrer Melnyk ablässt. [50] Russen tierisch böse, wir die Guten!

Er und seine NATO-oliv-Grünen können sich des Beifalls der Tagesschau & Co.KG. sicher sein. Kriegsgeiler Knallchargen-Journalismus [51] eben (für „Qualitäts“-J. und ähnliche Beleidigungen ist leider kein Platz mehr).

Laut dpa ist eine Mehrheit von 55 Prozent der Deutschen dafür, dass die Ukraine sofort mit Russland über eine Beendigung des Krieges verhandelt. [52] Doch darüber setzt sich ein Kanzler von Amis Gnaden natürlich hinweg.

Der Kniefall des Bundeskanzlers Willy Brandt (1970) in Warschau gereichte ihm und uns weltweit zur Ehre. Die Katzbuckelei des Bundeskanzlers Olaf Scholz 2022 in Washington macht ihn und das Land, das er regiert, weltweit verächtlich.

Quellen:

[1] https://www.tagesschau.de/ausland/europa-ukraine-russland-101.html
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/scholz-biden-ukrainekrise-101.html
[3] https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tt-9161.html
[4] https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-49723.html
[5] https://www.rnd.de/politik/joe-biden-nach-gespraech-mit-olaf-scholz-wenn-russland-einmarschiert-wird-es-kein-nord-stream-2-mehr-GVVGRO45QCOX3JBVL7W6IECPBY.html
[6] https://www.ffh.de/video/mediathek/340994-angela-merkel-abkommen-von-minsk-wurden-unterzeichnet-um-ukraine-zeit-zu-geben.html
[7] https://www.wsws.org/de/articles/2019/11/23/ukra-n23.html
[8] https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/unterstuetzung-ukraine-2003926
[9] https://globalbridge.ch/wp-content/uploads/2022/12/Europaeischer-Rechnungshof_Ukraine_Korruption.pdf
[10] https://sonar21.com/retired-usmc-colonel-andy-milburn-surprisingly-tells-some-truth-about-ukraine/
[11] https://meinungsfreiheit.rtde.life/international/158456-us-militaerinstruktor-gibt-zu/
[12] https://globalbridge.ch/ein-schlechter-friede-ist-besser-als-ein-guter-krieg/
[13] https://consortiumnews.com/2022/12/29/on-the-influence-of-neo-nazism-in-ukraine/
[14] https://www.lifesitenews.com/blogs/exclusive-us-colonel-explains-americas-role-in-provoking-russia-ukraine-conflict/
[15] https://www.welt.de/politik/ausland/article235795402/Russland-Ukraine-Konflikt-Putin-droht-mit-militaerisch-technischen-Massnahmen.html
[16] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/scholz-putin-moskau-101.html
[17] https://www.merkur.de/politik/muenchen-siko-annalena-baerbock-sicherheitskonferenz-harris-blinken-putin-scholz-news-russland-zr-91356098.html
[18] https://www.focus.de/politik/ausland/angespitzt-kolumne-von-ulrich-reitz-drachenbaeren-allianz_id_56583708.html
[19] https://www.infosperber.ch/politik/welt/ukraine-chronik-der-westlichen-einmischung/
[20] https://www.youtube.com/watch?v=g9V4HNGRMwc
[21] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1282647/umfrage/festhalten-am-projekt-nord-stream2/
[22] https://www.rnd.de/politik/bidens-nord-stream-machtwort-7XZQLYHEPFELNHWBWQG3SOI24A.html
[23] https://praxistipps.focus.de/nord-stream-2-kosten-und-verlauf-der-pipeline_141153
[24] https://www.focus.de/politik/ausland/satellitenaufnahmen-zeigen-fuehren-dark-ships-zu-den-taetern-heisse-spur-bei-nord-stream-ermittlungen_id_180425022.html
[25] https://www.nachdenkseiten.de/?p=91465
[26] https://lostineu.eu/best-of-2022-wie-das-nord-stream-attentat-vertuscht-wird/
[27] https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/nord-stream1-explosion-101.html
[28] https://de.finance.yahoo.com/nachrichten/us-wirtschaft-sommer-st%C3%A4rker-gedacht-141553187.html
[29] https://www.businessinsider.de/wirtschaft/europa-wird-kein-billiges-us-gas-mehr-bekommen-koennen-sagt-ein-amerikanischer-energie-unternehmer-d/
[30] https://www.mein-eigenheim.de/heizen/gaspreise-2022-gaspreisentwicklung.html
[31] https://www.tecson.de/heizoelpreise.html
[32] https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-12-20/der-tag-mit-bloomberg
[33] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100068520/olaf-scholz-niemand-muss-angst-vor-gas-und-strompreisen-haben.html
[34] https://m.focus.de/finanzen/sozialexperte-ulrich-schneider-warnt-bei-vielen-armen-schlaegt-die-angst-in-pure-verzweiflung-um_id_180455939.html
[35] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/regierungserklaerung-scholz-109.html
[36] https://www.dw.com/de/ein-land-funkt-sos-deutschland-an-der-belastungsgrenze/a-64189343
[37] https://www.gold.de/staatsverschuldung-deutschland/
[38] https://www.cicero.de/innenpolitik/interview-mit-ex-spd-politiker-torsten-teichert-die-linke-scholz-spd
[39] https://www.manager-magazin.de/finanzen/russland-einnahmen-aus-oel-erdgas-und-kohle-uebersteigen-kriegskosten-a-31d0b798-7db7-41aa-b51c-ce58e7048832
[40] https://www.russiafossiltracker.com/en
[41] https://free21.org/die-attentatsliste/
[42] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/wolodymyr-selenskyj-geht-gegen-russisch-orthodoxe-kirche-vor,TOqyyHT
[43] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/interview-aussenministerin-baerbock-faz/2553542
[44] https://www.lesering.de/id/4908427/Konstantin-Wecker-zur-Forderung-nach-mehr-Waffen-Die-schicken-andere-zum-Morden-und-Ermordetwerden/
[45] https://www.focus.de/politik/deutschland/besuch-in-den-usa-habeck-sieht-deutschland-in-einer-dienenden-fuehrungsrolle_id_61552626.html
[46] https://www.youtube.com/watch?v=Y5W5vsGIayI
[47] https://www.youtube.com/watch?v=D-szJY7Eo9E
[48] https://www.youtube.com/watch?v=t3ZJJTQxMhM
[49] https://www.sueddeutsche.de/politik/us-geheimdiensttaetigkeiten-wie-souveraen-ist-deutschland-1.1820657
[50] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw08-sondersitzung-882198
[51] https://meinungsfreiheit.rtde.life/inland/158344-studie-enthuellt-gier-deutscher-medien-nach-konfrontation/
[52] https://meinungsfreiheit.rtde.life/inland/158176-umfrage-mehrheit-deutschen-wuenscht-friedensverhandlungen/

Anmerkung der Autoren:

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz nehmen am Montag, den 7. Februar 2022, an einer gemeinsamen Pressekonferenz im East Room des Weißen Hauses teil. (Offizielles Foto des Weißen Hauses von Adam Schultz)

******************************

Unten     —     Die NATO sichert seit über 70 Jahren unsere Freiheit und unseren Frieden. In dieser für unsere Sicherheit entscheidenden Zeit treffen sich die Staats- und Regierungschefs auf der #NATOSummit ➖ Sicherstellen @NATO bleibt fit für die Zukunft ➖ Verstärken Sie #NATO Support für 🇺🇦 ➖Stärkung unserer Partnerschaften ➖Befürworten Sie eine neue #StrategicConcept. WeAreNATO

Abgelegt unter Amerika, Deutschland_DE, Kriegspolitik, Medien, Regierung | Keine Kommentare »

Déjà-vu ! – Krieg in Europa

Erstellt von Redaktion am 3. Januar 2023

Noch ein Rückblick: „Krieg in Europa“ – Ein Déjà-vu!

Keine Feier ohne Meier – keine Party ohne Scholz – wer wäre da nicht stolz ?

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von        :        Johannes Schillo

Als im Februar Russland die Ukraine angriff, war das Erschrecken groß: „Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt“, verkündeten Politik & Medien und beklagten das Ende der europäischen Friedensordnung.

Bundeskanzler Scholz erinnerte bei der diesjährigen Gedenkrede zum 8. Mai, dem Tag der Kapitulation des faschistischen Deutschland, an die lange Friedensperiode der Nachkriegszeit und daran, „wie heute, 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, erneut rohe Gewalt das Recht bricht, mitten in Europa“ (https://www.n-tv.de/politik/Scholz-Rede-zum-8-Mai-im-Wortlaut-article23318080.html).

Außenministerin Baerbock teilte am Tag der russischen Invasion mit, sie und ihre Kollegen seien „heute in einer anderen Welt aufgewacht… Mit dem militärischen Angriff auf die Ukraine bricht die russische Regierung vor den Augen der Welt mit den elementarsten Regeln der internationalen Ordnung… Die Europäische Friedensordnung der letzten Jahrzehnte ist die Grundlage für das Leben in Wohlstand und Frieden“ (https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/baerbock-ukraine/2513392). Und der Verletzung dieser Ordnung gelte es „entschieden“ entgegenzutreten, mit robusten Mitteln, was, wie man mittlerweile weiß, militärisch fast alles einschließt – bis auf eine direkte NATO-Beteiligung.

Frieden in Europa?

Zum diesjährigen Fest des Friedens kamen natürlich wieder, wie fast an jedem Weihnachtsabend, Meldungen über die beklagenswerte Unfriedlichkeit auf dem Globus. In der Nacht zum 25. Dezember fielen z.B. in Europa Schüsse „nahe einer Nato-Patrouille“, wie die Bildzeitung (27.12.22) meldete. Eine Situation sei „entstanden, die leicht außer Kontrolle geraten kann“, kommentierte die FAZ (28.12.22) und warnte vor einem „Wiederaufflammen der Gewalt“, das den „Westen in erheblich Schwierigkeiten stürzen“ würde – und von dem Russland, das dieses Mal gar nicht beteiligt war, natürlich profitieren dürfte.

Der Schlusssatz macht klar: Es geht nicht um die neue Ostfront in der Ukraine. Die Schüsse fielen nämlich im Norden des Kosovo, wo schon seit langem die „Spannungen wachsen“ (FAZ) und kein wirklicher Frieden herrscht, wo es stattdessen heißt: „Serbien bereits im Modus der 1990er-Kriegsjahre… Etwa 3760 Nato-Soldaten halten den fragilen Frieden in der Region aufrecht“ (Bild).

Wer es vergessen haben sollte: Zur großartigen europäischen Friedensordnung gehören allerlei (para-)militärische Konflikte, die mal als separatistische Militanz (siehe Spanien, Belgien) hochkochen oder (siehe Nordirland) einen Dauerzustand darstellen. Auch als Rivalität von Nachbarn (Griechenland und Türkei) kennt man potenzielle Kriegsgründe, die immer wieder eingehegt werden müssen. Und last but not least hat in Jugoslawien fast ein ganzes Jahrzehnt lang eine heftiger Krieg stattgefunden, der dem Ukrainekrieg das Wasser reichen kann.

Kürzlich ist dazu das Buch „Krieg in Europa – Der Zerfall Jugoslawiens und der überforderte Kontinent“ des Journalisten Norbert Mappes-Niediek erschienen, der damals als Korrespondent deutscher und österreichischer Zeitungen auf dem Balkan unterwegs war (Rowohlt Berlin 2022, daraus so weit nicht anders vermerkt, die folgenden Zitate).

Ein Blick zurück

Das Buch sollte Pflichtlektüre für alle sein, die sich heutzutage über den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine beklagen und die Putin die Zerstörung der europäischen Friedensordnung zur Last legen. Dass dies eine Mischung aus Heuchelei und dreister Lüge ist, macht das Buch schlagend deutlich.

Zum einen sind ja seit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes völkerrechtswidrige Kriege selbstverständliches Mittel der NATO-Staaten, wenn eine Legitimierung über den UNO-Sicherheitsrat nicht zu erhalten ist oder wenn die USA schlicht und ergreifend kein Interesse daran haben, wie von Bush jr. bis Trump explizit verkündet, sich supranationalen Autoritäten zu unterstellen. Mappes-Niediek, der an die Ausrufung einer „New World Order“ (US-Präsident Bush sr.) nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes erinnert, resümiert das kriegsträchtige Jahrzehnt der 90er, als sich die „einzig verbliebene Supermacht“ USA – mit einer weit gehend willfährigen russischen Regierung im Schlepptau – um die Erneuerung ihrer Weltordnung kümmerte: „‚Regime Change’ wurde zum Schlagwort des Jahrzehnts. Wenn es nicht mit der Unterstützung der Vereinten Nationen geht, dann eben ohne sie: Das blieb die Leitlinie der Vereinigten Staaten.“ (362). Von Außenministerin Albright wurde das ausdrücklich bestätigt. Selbst eine Zustimmung der UNO hätte in ihren Augen die Definitionsmacht der NATO über weltpolitische Konfliktfälle und den daraus folgenden Handlungsbedarf beschädigt.

Mappes-Niediek erinnert auch daran (357), dass zwar die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs in Gang kam – nachdem der Vorwurf der Kriegsverbrechen auf der jeweils anderen Seite die militärische Propaganda befeuert hatte –, dass sich aber die USA gleich davon distanzierten; ja, dass Präsident Trump Sanktionen gegen die Ankläger des ICC verhängte, die gegen verdächtige amerikanische Soldaten und Soldatinnen ermitteln wollten.

Der deutsche Journalist und Fachautor für Südosteuropa Norbert Mappes-Niediek 

Zum andern ist die europäische Friedensordnung, die seit Putins Krieg immer wieder als das Opfer russischer Machenschaften beschworen wird, eine Fiktion. Genauer gesagt: Sie hat sich fast vom ersten Tag an, als die Teilung der Welt aufhörte und das „Gemeinsame Haus Europas“ (Gorbatschow) am Horizont erschien, als eine blutige Realität offenbart. Nicht mit Putins Invasion in die Ukraine ist ja der Krieg nach Europa zurückgekehrt, wie es bei den neuen Bellizisten immer heißt, sondern mit den militärischen Konflikten auf dem Balkan, die vom Westen kräftig gefördert und betreut, schließlich auch selber geführt wurden. „Über acht Jahre zogen sich die Jugoslawienkriege, 135000 Menschen kamen zu Tode, Millionen flüchteten oder wurden vertrieben.“ (356)

Der Kosovokrieg, den die NATO-Staaten – unter Bruch des Völkerrechts – führten, sollte der „letzte ‚Krieg in Europa‘ sein“, so der deutsche Außenminister Fischer (357). In Wirklichkeit ließ er eine unbefriedete Region zurück, wurde zum Auftakt mehrerer Kriege in der europäischen Nachbarschaft und führte Deutschland auf den Weg einer zunehmenden Militarisierung (https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/31580/auslandseinsaetze-der-bundeswehr/). Anfang des neuen Jahrhunderts, unterm deutschen NATO-Generalsekretär Wörner, konnte sich somit der ehemalige Kriegsverlierer als weltweit engagierte Militärmacht präsentieren, wie die Presse stolz vermeldete: „Deutschland ist größter Truppensteller für Auslandseinsätze und nach den USA der zweitgrößte Beitragszahler in der Allianz“ (https://www.dw.com/de/die-nato-braucht-deutschland/a-1575704). Diese Karriere begann mit den Kriegen auf dem Balkan: „In Jugoslawien wurde gebombt, Deutschland war dabei.“ (358)

Und schließlich ist daran zu erinnern, dass Jugoslawien zum Präzedenzfall für Putins Invasion wurde. Der russische Herrscher verfuhr 2022 genau nach der Logik des Westens. Der hatte sich ja damals die Frage vorgelegt: „Darf man intervenieren, wenn in einem Land Menschenrechte verletzt und Bürgerkriege geführt werden? Muss man es nicht sogar?“ (359) Die Amerikanisierung des Völkerrechts – gefasst als Responsibility to protect – gab die klare Antwort: Man darf. Mit derselben Legitimation griff Putin 2022 zum Schutz einer bedrohten Volksgruppe in die Ukraine ein. Als er das tat, wurde im Westen natürlich gleich klargestellt: Quod licet Iovi, non licet bovi.

Krieg in Europa

„Krieg in Europa: Als der Alarmruf zum ersten Mal“ – und zwar nach einigen Friedensjahrzehnten – „wieder erklang, traf er auf Entsetzen, mehr aber noch auf ungläubiges Staunen. Krieg, wirklich?“ (9) schreibt einleitend Mappes-Niediek und meint natürlich nicht das ungläubige Staunen, das am Tag nach der russischen Invasion vom 24. Februar einsetzte und das gleich die erste große Kriegslüge der neuen Konfliktlage produzierte: die von westlichen Politikern und Medien unisono verbreitete Legende, jetzt, auf Putins Initiative, sei der Krieg nach Europa zurückgekehrt. Die Jugoslawien-Chronik nennt dagegen das korrekte Datum, den Juni 1991, als die deutsche Tagesschau die ersten „Kämpfe“ in Slowenen mit einem toten Soldaten meldete. Dies war der Start des Gemetzels auf dem Balkan, das fast ein Jahrzehnt dauerte und bis heute (siehe Bosnien-Herzogowina oder das Kosovo) zu keinem wirklichen Friedenszustand geführt hat. Stattdessen wird durch eine Art neokoloniales Diktat der EU nur ein fragiler Waffenstillstand aufrechterhalten.

Als damals die Nachrichten die Öffentlichkeit an einen neuen Kriegszustand in Europa gewöhnten, handelte es sich nicht um eine Epoche von Hass und Völkerfeindschaft, wie der neue Rückblick betont. Im Gegenteil, als der Ostblock sich auflöste, sahen Lobredner der US-Demokratie wie Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ gekommen: Der Siegeszug der Demokratie sei unumkehrbar und liberale Revolutionen breiteten sich auf dem Globus aus, der so zu einem transnationalen „Global Village“ zusammenwachse. Das zur selben Zeit aufkommende Modewort „Globalisierung“ bekräftigte das. Jetzt, wo mit dem Ende des „Eisernen Vorhangs“ den Grenzen das Trennende genommen war, sollte die „Eine Welt“ zu ihrer Einheit finden, Nationalismus verschwinden und nationalstaatliche Selbstbehauptung ihre Bedeutung verlieren. „Nicht nur im Ostblock purzelten die Diktaturen“, vermerkt Mappes-Niediek, „auf der ganzen Welt entschieden sich freie Menschen für friedliche und demokratische Formen des Zusammenlebens“ (10). Erinnern kann man sich etwa an die Pinochet-Diktatur in Chile, die 1989 zu Ende ging, oder an das rassistische Apartheidsregime in Südafrika, das nach der Wende abdankte.

„Dass ausgerechnet in Europa der Triumph der Demokratie einen Krieg mit sich bringen würde, mochte sich auf dem Kontinent der sauber abgegrenzten Nationalstaaten niemand vorstellen.“ (10f) D.h. auf einem Kontinent, auf dem sich gerade Europa vereinigte. „1991, das Jahr, als in Jugoslawien Krieg ausbrach, war auch das Jahr, in dem die Europäische Gemeinschaft ein großes Stück weiter zusammenrückte.“ (11) In diesem Jahr – das war das überraschende Programm der Westmächte – sollten nun lauter neue Nationalstaaten auf dem Balkan entstehen, mit sauber abgegrenzten nationalen Populationen (die dann natürlich erst durch „ethnische Säuberungen“ herzustellen waren), und wurde die Errichtung neuer Grenzzäune von den Machthabern, die auf demokratischem Weg aufgestiegen waren, den Betroffenen als ihr neues Glück verkauft – und von nationalistisch aufgehetzten Massen auch als solches genommen.

Ähnlich wie Ulrike Guérot in ihrem Essay „Endspiel Europa“ 2022 den Traum von Europa (siehe Scharf links, 20.11.22 www.scharf-links.de/48.0.html) mit der bitteren, unfriedlichen, nationalistisch aufgeheizten Konfliktlage des Jahres 2022 konfrontiert, deutet Mappes-Niediek auf den Kontrast zwischen der 1989/1990 versprochenen Friedensdividende mit ihren Erwartungen eines demokratisch herbeiregierten allgemeinen Wohlstands und einer Realität, die genau das Gegenteil bereithielt. „Während auf dem Kontinent die Zeichen auf Vereinigung standen, löste Jugoslawien sich auf“ (11). Wie bei Guérot klingt auch hier eine – leider verpasste bzw. unterdrückte – Alternative an, die statt der Schaffung klarer völkischer Verhältnisse im Interesse der „Kriegsherren Jugoslawiens“ (13) das multiethnische oder -kulturelle Potenzial des ehemaligen Vielvölkerstaates bewahrt und von den unter Tito noch verbliebenen nationalistischen Resten befreit hätte.

Als in Jugoslawien Krieg ausbrach“

Zwei Einwände muss man jedoch gegen diesen aufschlussreichen Rückblick vorbringen, der das Ideal eines friedlich vereinten, multiethnisch ausbalancierten Kontinents unterstellt und dagegen im Klagemodus das Bild einer trostlosen Welt setzt. Erstens: Wenn sich herausstellt, dass die Ideale nichts wert sind, ja dass sich die vom Westen verbreiteten Visionen einer besseren Welt genau in dem Moment der „Zeitenwende“ von 1989/90, als ihre Realisierung angestanden hätte, in kürzester Frist als Sinnestäuschungen erweisen, dann können sie kein ernsthaftes Projekt gewesen sein. Dann wäre folglich eine Untersuchung angebracht, die die wirkliche Rolle der Friedens- und anderen Idealismen aufspürt. Dann hätte es nahe gelegen, sie etwa als – diplomatisch notwendige, auf Legitimation zielende – Umgangsformen im modernen Staatenverkehr unter die Lupe zu nehmen, denen man eventuell die wirklich gültige Zielsetzung entnehmen kann.

Zweitens gibt es bei Mappes-Niediek grundsätzliche Aussagen, die einen aufhorchen lassen. Wie zitiert, kennt der Autor Weltlagen, in denen ein Krieg „ausbricht“; oder es kommt dazu, dass sich Jugoslawien „auflöst“. Ein Vorgang oder Land figurieren hier als Subjekte, die etwas bewirken und entscheidende Veränderungen in die Welt setzen. Das hat natürlich seine Tradition, aber man stelle sich einmal vor, zum neuesten Krieg in Europa würde es heißen, er sei am 24. Februar ausgebrochen. Natürlich spricht der Autor auch von den Kriegsherren Jugoslawiens, sieht hier etwa den serbischen Nationalismus mit seinem Anführer Miloševi? als Hauptkriegstreiber. Es klingt also an, dass es bestimmte Figuren in der politischen Klasse gab, die mit hoheitlicher Gewalt ihren Anhang zu der fatalen Konfrontation hindirigieren konnten.

Aber hier liegt dann gleich ein weiteres Problem. Wenn man den Kriegsverlauf in den Blick nimmt, dann wird eins unübersehbar klar: Nicht Jugoslawien löste sich auf, sondern es wurde vom Westen (seinerzeit sogar mit weit gehender Zustimmung Russlands) systematisch in seiner Auflösung betreut und gefördert, am Schluss dann durch direktes militärisches Eingreifen „befriedet“. Ohne die auswärtigen Interessen an dieser Region wäre es nicht zu der ausgreifenden militärischen Konfrontation gekommen, vielleicht wäre der Aufbruch in die neue, US-dominierte Weltordnung nur mit ein paar völkischen Gehässigkeiten oder separatistischen Militanzaktionen verbunden gewesen, wie man sie aus anderen westeuropäischen Ländern kennt.

Zur Beurteilung von Kriegsgründen und Kriegsverlauf durch den Journalisten Mappes-Niediek wäre im Einzelnen einiges anzumerken. Der Autor will auf eine tragische Verkettung in einem „dunklen Jahrzehnt“ hinaus. Dabei bringt er es fertig, über eine parallele Militäraktion, mit der damals die NATO-Führungsmacht befasst und angeblich von Europa abgelenkt war, zu schreiben: „Der Januar [1991] hatte im Nahen Osten den Zweiten Golfkrieg gebracht.“ (77) Und die EU-Größen trafen sich zur selben Zeit in Brüssel, wo sie abends die Tagesschau über das Geschehen auf dem Balkan mit den ersten Schusswechseln informierte: „Die versammelten Regierungschefs waren sich der Brisanz der Nachricht bewusst. Sofort schickten sie hochrangige Emissäre nach Belgrad, um das Schlimmste zu verhindern.“ (78)

Kriege brechen aus oder kommen zu einem bestimmten Datum auf die Welt, Regierungschefs mächtiger Staaten sehen abends Nachrichten und sind erschüttert. Sie wollen eigentlich den Nationalismus abschaffen und die europäischen Völker vereinigen, haben dabei alle möglichen Probleme am Hals, sodass sie den Aufruhr auf dem Balkan, unmittelbar vor ihrer Haustür, nicht richtig wahrnehmen und erst – hilflos und unabgestimmt – eingreifen, wenn es zu spät ist. Alles in allem, sind sie Macher eines „überforderten Kontinents“. Fast so wie die legendären „Schlafwandler“ von 1914.

Wer’s glaubt wird selig! Natürlich glaubt auch Mappes-Niediek solche Beurteilungen nicht wirklich. An anderer Stelle weiß er zu berichten, dass „schon im Juli 1990, ein ganzes Jahr vor Kriegsbeginn“ (116), in der deutschen Politik über eine Sezession Kroatiens diskutiert wurde, dass Deutschland unter Kohl und Genscher vorpreschte; und zwar im Bewusstsein seiner neu errungenen Machtstellung, die bei den „Partnern“ misstrauisch beäugt wurde, „denn die Begeisterung für eine Wiedervereinigung Deutschlands hielt sich auch bei engen Verbündeten in Grenzen.“ (117)

Eine sehr diplomatische Formulierung! Deutschland erhob damals einen Führungsanspruch bei der Neugestaltung des europäischen Hauses, der bei den anderen EU-Mitgliedern auf Widerspruch stieß. Diese Hindernisse mussten Kohl und Co. erst abarbeiten. Wenn man näher hinblickt, offenbart sich also das angeblich Zögern und Abwarten des „Westens“ als Folge einer Konkurrenzaffäre: Imperialistischer Staaten kamen sich bei der Neuordnung des Kontinents ins Gehege und mussten Statusfragen klären. Die Kohl-Regierung setzte sich durch und die verhängnisvollen Daten für die folgenden Kriege. Das Programm, das hierzulande von Medien und politischer Klasse geteilt wurde, sollte eben „das beträchtliche Gewicht des wiedervereinigten Deutschland unbedingt einbringen – nicht aus imperialen Gelüsten, sondern aus Verantwortungsgefühl“ (125), wie der Balkan-Experte formuliert.

Tja, die Verantwortung! Jahrzehntelang hat man in Deutschland seitdem gehört, es sollte und müsste und wollte mehr Verantwortung übernehmen. Damals erfolgte die Verantwortungsübernahme dann in der Form, dass man sich 1999 dem militärischen Überfall auf Serbien anschloss. Und heute ist klar, dass Deutschland zur Rolle einer militärischen Führungsmacht berufen ist – verantwortlich für kontinentale und globale Ordnungsfragen, was mit Imperialismus natürlich nichts zu tun hat.

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —    Meeting of the President of Ukraine with the Presidents of France and Romania, the Chancellor of Germany and the Prime Minister of Italy

Abgelegt unter Asien, Europa, Kriegspolitik, Medien | Keine Kommentare »

Öffentliches Geld und Gut

Erstellt von Redaktion am 2. Januar 2023

Wie wir die Public Domain zu einem wehrhaften Riesen machen

The first upload to Commons

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von          :  Kolumne von 

Heute ist „Public Domain Day“. Der Aktionstag richtet sich gegen die Monopolisierung kulturellen Schaffens als „geistiges Eigentum“. Statt dieses über Jahrzehnte marktwirtschaftlichen Zwängen zu unterwerfen, sollten wir die Idee des Gemeinguts stärken – im Interesse aller.

An jedem 1. Januar wird der „Public Domain Day“ gefeiert. Das ist ein internationaler Aktionstag, an dem Werke von Kreativen, deren Sterbedatum mehr als 70 Jahre zurückliegt, gemeinfrei werden. Auch wir bei Wikimedia Deutschland würdigen an diesem Tag die Kreativität der lange Verstorbenen. Zugleich bringen wir eine milde Form des Protests dagegen zum Ausdruck, dass kreative Erzeugnisse noch viele Jahrzehnte nach ihrer Entstehung als wirtschaftliche Assets fungieren sollen.

Was als Sicherung des Lebensunterhalts der Kreativen gerechtfertigt wird – und des Lebensunterhalts ihrer Enkel und Urenkel –, gilt in Wahrheit fast immer der Wahrung langfristiger Vermögenswerte. Und zwar im Portfolio von Verwertungsunternehmen.

Schon während der Lebenszeit der Kreativen ist ein Monopol auf kulturelles Schaffen als „geistiges Eigentum“ nur mit den Zwängen eines marktwirtschaftlichen Systems zu rechtfertigen. Damit Menschen in einer Marktwirtschaft von kreativer Arbeit leben können, liegt es nahe, ihre Werke als handelbares Gut zu behandeln. Und das sind sie nur dann, wenn ihre Nutzung rechtlich eingeschränkt wird.

Everything is a Remix

Wer aber diese Regeln als zwingend ansieht, verkennt, was Kreativität eigentlich ausmacht: Das Neu-Zusammenfügen bestehender Versatzstücke. Das geschieht mal mit einer impliziten Aussage und mal ohne. Aber stets passiert es gefiltert durch die Erfahrungen und spezifischen Perspektiven der zusammenfügenden Personen – mit einem Ergebnis, das es in dieser Form bis dato nicht gab.

Neu ist dieses Verständnis von Kreativität nicht. Detailliert dargestellt wird es in der berühmten, 2021 wiederaufgelegten Dokumentation Everything is a Remix von Kirby Fergusson.

Je weiter dieser Remix am Ende vom Bekannten entfernt ist, desto größer wird üblicherweise der persönliche Anteil der Kreativen eingeschätzt – und mit ihm die Originalität und kreative Leistung insgesamt. Problematisch ist daran vor allem, dass sich mit zunehmendem zeitlichen Abstand das gesellschaftliche Gedächtnis immer mehr auf wenige Einzelne verengt, deren Schaffen dann als besonders bahnbrechend gilt. Derweil fallen die Namen vieler Anderer aus dem Who’s Who der Kreativen heraus, das die meisten Menschen im Kopf haben. Das befördert den Mythos vom kreativen Genie, das nur aus sich selbst heraus die großen Werke der Kulturgeschichte schafft.

Grundlage der Kreativität: Die Public Domain

Kreativität und Kulturschaffen sind komplex. Sie funktionieren, indem eine Person Werke schafft, die auf den Arbeiten einer anderen aufbaut. Auch die „Erfinderin“ eines „ganz neuen“ Malstils oder der Designer eines nie da gewesenen Sitzmöbels schöpfen nicht aus dem Nichts. Ihr Fundament sind alle ihnen bekannten, zuvor entstandenen Dinge – das Gemeingut, auf Englisch: Public Domain. Auf diesem stetig wachsenden Bestand basiert ein wesentlicher Teil der Kreativität. Und eben diese Public Domain ist kein Konzept nur des Urheberrechts.

Die damit bezeichnete Sphäre ist weit größer als der juristische Raum. Sie umfasst Ideen und Ansichten, die mathematischen wie die physikalischen Gesetzmäßigkeiten und folglich alle technischen Lösungen, die Farben genauso wie die Gerüche. Und damit übrigens auch sämtliche Kochrezepte und sonstigen chemischen Anleitungen einschließlich ihrer Kodierung.

Manche horchen hier auf: Sind technische Lösungen nicht patentierbar? Und warum ist auf Rezepte-Seiten im Netz so oft „Alle Rechte vorbehalten“ zu lesen? Nun, bei Koch-Websites oder -büchern können Rechte nur an den beschreibenden Fließtexten bestehen, niemals aber an der Kochanleitung selbst, ganz gleich wie ungewöhnlich ein Gericht auch sein mag. Und jeder Urheberrechtsschutz ist bei genauer Betrachtung eine Ausnahme, ein zeitlich begrenztes Monopol. Schutzrechte laufen ab, weil sie zwangsläufig ins Gemeingut eingreifen.

Nutzbarkeit für die Allgemeinheit

Es mag Jean-Michel Jarre nicht gefallen – doch ein solcher Eingriff in die Public Domain ist nur so lange zu rechtfertigen, wie es etwas Höherrangiges als das allgemeine Interesse aller an kulturellen Erzeugnissen zu schützen gilt.

Im Urheberrecht ist dieses Etwas nach gängiger Begründung die persönliche Verbindung einer kreativen Person zu ihren Werken sowie die Annahme, dass intensives Kreativsein nur hauptberuflich möglich ist, siehe oben. Was zu der ebenfalls schon aufgeworfenen Frage zurückführt, weshalb noch 70 Jahre nach dem Tod einer Person ein Monopol an ihrem Werk bestehen soll. Im Patentrecht wird beispielsweise ein Schutz von nur 20 Jahren gewährt – ab Anmeldung wohlgemerkt, nicht ab dem Tod der Erfinderin. Dieser kann um maximal fünf Jahre verlängert werden.

Ein beliebter Einwand lautet, dass schließlich viel weniger potentielle Lösungen für technische Probleme existierten als potentielle kulturelle Ausdrücke. Daher falle der Schaden durch eine Monopolisierung hier viel höher aus als beim Urheberrecht. Stimmt das? Oder ist der Schaden im Kulturbereich einfach nur schwieriger zu beziffern als auf dem technisch-wirtschaftlichen Feld? Ein kürzlich online gegangenes Video von Richard Misek legt ebendies nahe und nennt zur Abwechslung auch genaue Zahlen.

Welche exakte Länge von Schutzfristen beim Urheberrecht angemessen wäre, sei dahingestellt. Vieles spricht jedoch dafür, dass die bestehenden Fristen zu lang sind. Darüber hinaus gibt es gute Argumente dafür, dass Inhalte, deren Entstehung die Allgemeinheit maßgeblich mitfinanziert, ohne irgendwelche Fristen für ebendiese direkt nutzbar sein sollten.

Unser Slogan lautet: Öffentliches Geld – Öffentliches Gut! Wir treten damit seit Jahren insbesondere an öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten heran – wo sich inzwischen vieles tut. Unsere Forderung nach Nutzbarkeit für die Allgemeinheit schließt neben den von öffentlichen Einrichtungen selbst erstellten Inhalten auch alle vom Staat in Auftrag gegebenen Studien, Rechtsgutachten und sonstigen Wissensinhalte ein. Und dort, wo es bei der Vergabe öffentlicher Aufträge aus bestimmten Gründen nicht ganz ohne Schutzrechte geht, sollten standardmäßig zumindest freie Lizenzen zum Einsatz kommen.

Das Streiten für den Riesen Public Domain

Dieses Eintreten fürs Gemeinwohl zeigt Wirkung: Nicht nur konnte bislang verhindert werden, dass das völlig irrwitzige Konzept eines „Dateneigentums“ gesetzlich verankert wird. Aktive in ganz Europa haben gemeinsam die erste ausdrückliche Erwähnung der Public Domain in einem Gesetz erstritten. Es regelt, dass rechtefrei gewordene Werke auch dann frei bleiben, wenn sie eins zu eins digitalisiert werden. Ein wichtiger und schöner Erfolg, denn so konnte verhindert werden, dass neue Rechte durch die Digitalisierung von Werken entstehen, die sich ansonsten längst in der Public Domain befänden.

Das aber ist das eigentliche Problem: Wir befinden uns inmitten eines ständigen Verteidigungskampfes. Er richtet sich dagegen, dass der Public Domain Werke entrissen werden, um diese zu privatisieren und zur Handelsware zu machen. Nein, Handel ist nicht per se etwas Schlechtes. Aber er darf auch nicht der Zweck sein, der alle Mittel heiligt.

Zukünftig sollte es darum gehen, die Public Domain grundsätzlich unter Schutz zu stellen – im Interesse aller. Dazu muss sie beim Namen genannt werden. Die Sphäre des Gemeinguts braucht Sichtbarkeit, um zu einem wehrhaften Riesen werden zu können.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben     —   The first upload to Commons

Abgelegt unter Deutschland_DE, Medien, Politik und Netz, Positionen | Keine Kommentare »

Jungs weinen nicht

Erstellt von Redaktion am 1. Januar 2023

Deutsche Männer leben fast fünf Jahre kürzer als Frauen

Wie gut für die Politik das es dort keine Männer gibt – sondern nur Abzocker.

Ein Debattenbeitrag von Thomas Gesterkamp

Traditionelles männliches Verhalten kann krank machen. Der ruinöse Umgang des „starken Geschlechts“ mit Gesundheitsproblemen ist noch zu wenig untersucht.

Ein Schlagwort kursiert seit den 2010er Jahren in der geschlechterpolitischen Debatte: die “toxische Männlichkeit“. Diesen Begriff verwendet auch Jack Urwin in seinem Buch „Boys don’t cry“ (Jungen weinen nicht), das er als Reaktion auf das frühe Sterben seines Vaters schrieb. Der britische Autor schildert, wie starre Rollenbilder vom starken, wilden und unbesiegbaren Mann das Verhältnis zum eigenen Körper prägen. Er warnt, dass der Mythos der Maskulinität toxisch sein oder gar tödlich enden kann – und er sucht nicht, wie es manche Männerrechtler tun, die Schuld dafür bei den Frauen. Für sein „brillantes, persönliches, nicht einmal sexistisches“ Werk lobte ihn die Londoner Feministin Laurie Penny.

Die Führungspositionen im Gesundheitswesen waren lange Zeit männlich besetzt. In den Krankenhäusern dominierten Halbgötter in Weiß die Visiten und erst recht die Operationssäle. Frauen assistierten als Pflegerinnen oder leisteten technische Hilfsdienste. Auch die pharmazeutische Industrie agierte weitgehend geschlechtsblind. Die Hersteller von Medikamenten testeten neu entwickelte Arzneimittel vorrangig an männlichen Probanden, für Frauen konnte das lebensbedrohliche Folgen haben. Heute gibt es deutlich mehr Ärztinnen als vor Jahrzehnten, 70 Prozent der Studierenden in der Medizin sind mittlerweile weiblich. Gendersensible Ansätze haben dennoch kaum Gewicht. Und auch die Nachwirkungen einer wie Gift wirkenden Männlichkeit sind wissenschaftlich noch wenig untersucht.

Der „toxische“ Mann sorgt nicht gut für sich selbst. Er behandelt seinen Körper wie eine Maschine, die nur dann gewartet werden muss, wenn sie überhaupt nicht mehr funktioniert. Nach der Devise „Indianer kennen keinen Schmerz“ beißt er die Zähne zusammen, erst recht vermeidet er jede Gesundheitsprophylaxe. Die bewusste Vorsorge wird ihm allerdings auch nicht leicht gemacht. Schon Mädchen und junge Frauen werden aktiv von den Krankenkassen angeschrieben, Früherkennung im gynäkologischen Bereich ist Routine und wird selbstverständlich von den Versicherungen übernommen. Wollen sich dagegen Männer zum Beispiel gegen Prostatakrebs schützen, müssen sie oft explizit nachfragen – und notwendige Tests selbst bezahlen.

Die Schattenseiten althergebrachter Verhaltensmuster belegt drastisch das sogenannte „Life Expectancy Gap“. Im Durchschnitt ist die Lebenserwartung deutscher Männer nach aktuellen Daten um 4,8 Jahre geringer als die von Frauen. In der Hochphase der Industriearbeit betrug diese Differenz sogar acht Jahre. In Russland und Belarus liegt die Kluft immer noch bei über zehn, in der Schweiz oder in Island dagegen bei nur drei Jahren.

Sterblichkeit korreliert mit sozialen und geschlechtsspezifischen Unterschieden. Seit 1980 verringert sich der Abstand zwischen Männern und Frauen, die Forschung erklärt das mit der Annäherung der Lebensverläufe. Die wegweisende Klosterstudie des Wiener Demografen Marc Luy, der 2002 die Biografien von Nonnen und Mönchen verglich, ergab ein körperlich bedingtes Gefälle von nur einem Jahr. Der frühere Tod des „starken Geschlechts“ ist demnach kein biologisches Naturgesetz. Er ist auf gesellschaftliche Bedingungen und Normen zurückzuführen.

Viele Männer ignorieren Schmerz, Trauer, Krankheiten und körperliche Symptome. Sie arbeiten und leben ungesund, gehen selten zum Arzt, ernähren sich falsch, nehmen mehr Drogen als Frauen. Und sie haben die gefährlicheren Jobs: 95 Prozent der Verunglückten bei Arbeitsunfällen mit Todesfolge sind männlich. Dennoch sind die Folgen rigider Anforderungen und riskanten Verhaltens erst seit ein paar Jahren Gegenstand gründlicher empirischer Forschung. Auch in politischen Debatten hatte das Thema lange keine Bedeutung. Ein 2020 veröffentlichtes Dossier des Bundesfamilienministeriums zur „partnerschaftlichen Gleichstellungspolitik“ widmet der „Gesundheit und Zufriedenheit“ von Jungen und Männern immerhin zwanzig Seiten.

Die Frauenbewegung schärfte einst den ­geschlechterbezogenen Blick auf die Medizin. Schon vor der Jahrtausendwende entstanden ­feministische Selbsthilfezentren und Gesundheits­berichte aus weiblicher Perspektive, beides wurde bald auch öffentlich gefördert. Dem stand lange kein männliches Pendant gegenüber, dann aber wurden die Rufe nach Förderung und Prävention auch für Männer lauter. 2014 legte das Robert-Koch-Institut (RKI) eine erste Studie vor– und machte so, nun auch staatlich ­finanziert, ­spezifische männliche Probleme deutlich. Schon zuvor war die regierungsunabhängige, von S­penden getragene Stiftung Männergesundheit mit ­eigenen Untersuchungen vorgeprescht. Wichtige Ergebnisse waren unter anderem: Männer haben ein höheres Schlaganfall-Risiko, sie sind häufiger übergewichtig und alkoholkrank, sie stellen die deutliche Mehrheit der Verkehrstoten. Und: pro Tag sterben in Deutschland rund 25 Menschen durch Suizid, 76 Prozent davon sind männlich.

Die Datenlage hat sich deutlich verbessert, bei der Umsetzung hapert es noch. Die Expertise des Familienministeriums stellt fest, dass „Gesundheitsrisiken bildungsferne Männer überdurchschnittlich treffen“; zudem sei der Übergang in den Ruhestand „für erwerbsorientierte Männer eine besondere Herausforderung“. Der zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung verlangte 2017, dass „Strukturen erkannt und beseitigt werden, die Männer aufgrund des Geschlechtes an der Verwirklichung ihrer Lebensentwürfe hindern“. Im November 2022 präsentierte die Stiftung Männergesundheit ihre bereits fünfte Studie. Den Schwerpunkt bildet eine Befragung junger Männer, im Kontrast zum Vorgängerbericht, der sich auf ältere Männer kurz vor der Rente konzentrierte. Repräsentativ wurden zweitausend Gesprächspartner unter 28 Jahren interviewt, als Kontrollgruppe auch tausend Frauen im gleichen Alter. Als zentrale Erkenntnis konstatiert die Untersuchung: „Gesundheitsbewusstsein, Gesundheitsverhalten und Gesundheitsstatus der jungen Männer ist mit ihrer jeweiligen Vorstellung von der männlichen Geschlechtsrolle verbunden“.

Männer schätzen sich gesünder ein als Frauen, obwohl dies mit der statistisch erfassten Verteilung von Krankheitsbildern nicht übereinstimmt. Herkömmliche Rollenbilder führen zur Vernachlässigung der Sorge für sich selbst. Beispiele aus dem aktuellen Datenpool sind die viel ausgeprägtere männliche Spielsucht, der Mangel an Achtsamkeit nach Sport oder Partys für körperliche Erholungsphasen sowie der höhere Konsum von Rauschmitteln. Beim Rauchen liegen beide Geschlechter inzwischen nahezu gleichauf. Frauen haben in der jüngeren Generation „bei negativen, sie schädigenden Verhaltensweisen aufgeholt“, resümiert Kurt Miller, früherer Direktor der Urologischen Klinik an der Berliner Charité und jetzt medizinischer Vorstand der Stiftung Männergesundheit.

Quelle          :          TAZ-online            >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —    Altkanzler Gerhard Schröder als Öl- und Gasoligarch der russischen Konzerne Gazprom und Rosneft.

Abgelegt unter Deutschland_DE, Kultur, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Johnson, Truss, Sunak:

Erstellt von Redaktion am 1. Januar 2023

Tory-Elend ohne Ende

Das alle im Klimawandel ohne Bäume – wohin dann mit den Politiker-innen ?

Von Annette Dittert

Für einen kurzen Moment schien es so, als ob die Vernunft und der Pragmatismus, für die die Welt Großbritannien immer so bewundert hatte, nach London zurückgekehrt seien. Als Rishi Sunak, der dritte Premierminister in diesem chaotischen Jahr, am 25. Oktober in seiner Antrittsrede vor der Downing Street versicherte, mit ihm werde nun ernsthafte Arbeit und moralische Integrität wieder ganz oben auf der politischen Agenda stehen, ging ein Seufzer der Erleichterung durch das gebeutelte Land. Doch es blieb ein kurzer Moment.

Nur knapp zwei Monate später wird zunehmend deutlich, dass auch Sunak nicht in der Lage sein wird, den gordischen Brexit-Knoten zu durchschlagen. Und dass seine Partei immer noch verblendet genug sein könnte, um den Mann zurückzubringen, der die Tories in den Rechtspopulismus getrieben, und damit jede pragmatische Lösung der durch den Brexit entstandenen Probleme unmöglich gemacht hatte, Boris Johnson.

Gewiss, nach dem spektakulären Scheitern von Liz Truss ist der Brexit in seiner „theokratischen“ Form erst einmal erledigt. Das unbedingte Vertrauen in die Märkte und die Idee der neoliberalen Tory-Ultras, dass man durch nicht gegenfinanzierte Steuersenkungen für Besserverdienende gleichsam magisch die Wirtschaft ankurbeln könne, ist vorerst auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet und damit auch die Vorstellung von einem Brexit, der, wenn man nur fest genug an ihn glaubt, ganz von selbst blühende Landschaften herzaubern könne.

Die Phase der überhitzten leeren Drohungen Richtung Brüssel ist damit erst einmal vorbei. Die uneinlösbaren Versprechen des Brexit aber stehen weiter im Raum. Hinzu kommt, dass Großbritannien nach Truss in einer noch tieferen Wirtschaftskrise steckt als zuvor.[1]

Sunaks politisches Überleben hängt jetzt davon ab, ob er das Land aus der von seiner Partei selbstverschuldeten Krise führen kann. Womit er vor einem unlösbaren Problem steht: Als ehemaliger Banker und Ex-Finanzminister weiß er, dass jede Art von Wirtschaftswachstum ohne eine funktionierende Beziehung zur EU kurz- und mittelfristig so gut wie unmöglich ist. Versucht er hier pragmatisch zu agieren, gefährdet genau das aber sein Überleben an der Spitze der Partei. Denn da sind nach wie vor die Brexit-Ultras tonangebend, für die jede Art von Dialog mit Brüssel eine Todsünde bleibt, womit dem neuen Premier selbst kleinste Schritte, die Schäden des Brexit zu beheben, auf absehbare Zeit verstellt sein dürften.

Das jüngste Beispiel hierfür: Als ein bis heute anonymes Regierungsmitglied gegenüber der „Sunday Times“ Ende November laut darüber nachdachte, wie man die durch den Johnson-Deal entstandenen Zollbarrieren zur EU durchlässiger machen könne, und in diesem Zusammenhang das Schweizer Modell erwähnte, rauschte bereits am nächsten Tag ein Sturm[2] der Empörung durch die torynahen Medien. Sunak wurde als Verräter gebrandmarkt wie in guten alten Zeiten und das, obwohl mit ihm seit 2016 der erste echte Brexiteer als Premierminister in der Downing Street sitzt.

Der Brexit-Graben innerhalb der Partei verläuft eben längst nicht mehr einfach zwischen Leavern und Remainern, sondern zwischen Pragmatikern und Verfechtern der reinen Lehre, für die jede ökonomische Realität weiterhin dem kompromisslosen Kampf gegen Brüssel unterzuordnen ist. Dabei interessiert es die „Ultras“ nur am Rande, dass die Schäden, die der Brexit angerichtet hat, jetzt, zwei Jahre nachdem er auch offiziell vollzogen wurde, immer deutlicher werden. Im Zweifelsfall macht sie es nur gereizter, denn die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Aus der Steuerschätzung des unabhängigen „Office for Budget Responsibility“, die auch Sunaks eigenem Mitte November vorgelegten Budget zugrunde liegt, geht hervor, dass der Brexit Grossbritannien dauerhaft rund vier Prozent des Bruttosozialprodukts kosten wird.[3] Einem OECD-Bericht zufolge rückt Großbritanniens Wirtschaft in den nächsten zwei Jahren damit auf den letzten Platz der G20 Länder, Russland ausgenommen.[4]

Eins, zwei, drei im Sauseschritt, folgt der Republikaner Merz und der saust mit 

Rishi Sunak als ein blasser Premier

Sunak reagierte auf die Angriffe der Ultras nach dem „Sunday Times“-Leak blass und defensiv und zeigte dadurch, wie schwach sein Standing in der Partei wirklich ist. Statt die Probleme der britischen Wirtschaft offen anzusprechen, flüchtete er sich zurück in die alte ideologisch motivierte Bekenntniskultur: „Ich glaube an den Brexit“, beteuerte er am Tag danach auf einer Tagung des CBI, des britischen Unternehmerverbands, und fügte wörtlich hinzu: „Unter meiner Führung wird das Königreich keinerlei Beziehung zur EU aufnehmen, die darin bestünde, dass wir uns der Brüsseler Gesetzgebung annähern könnten.“[5] Die dringenden Fragen der anwesenden Unternehmer, wie die Handels- und Zollbarrieren zur EU denn dann von seiner Regierung abgemildert würden, ließ er damit unbeantwortet. Sein Finanzminister, Jeremy Hunt, reagierte noch vorsichtiger bzw. inszenierte eine Wiederaufführung der alten Johnson-Taktik, unbequeme Fakten einfach zu leugnen. In einem Interview erklärte er lächelnd, er akzeptiere die Zahlen des OBR schlicht nicht. Er „glaube“ stattdessen daran, dass der Brexit sich langfristig schon auszahlen werde. Eine Antwort auf die Frage, wie er dann aber der britischen Wirtschaft mit ihren akuten Problemen im Hier und Jetzt helfen wolle, blieb er so ebenfalls schuldig. Stattdessen versuchte er das Interview mit der erstaunlichen Aussage zu beenden, „das Land hat nun einmal als Ganzes mit dem Brexit klar für andere Handelsbeziehungen mit der EU gestimmt.“ Und damit müsse man jetzt eben leben.[6]

An dieser Aussage sind gleich zwei Dinge falsch. Das Land hat erstens nicht als Ganzes klar für den Brexit gestimmt und zweitens schon gar nicht für andere Handelsbeziehungen mit der EU. Im Gegenteil: Vor dem Referendum 2016 wurde vom „Leave“-Lager unisono immer wieder beteuert, dass sich an der Mitgliedschaft des Landes zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion nichts ändern werde. Die Idee eines harten Brexit kam erst Monate nach dem Referendum auf Druck der Ultras mit Theresa Mays „Lancaster-House Rede“ auf.

Quelle      :          Blätter-online           >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Töte deinen Freund

Abgelegt unter Europa, Medien, P.CDU / CSU, Positionen | Keine Kommentare »

Zwischen den Welten

Erstellt von Redaktion am 31. Dezember 2022

Ukrainer-innen nach ihrer Flucht in  Deutschland

Viele Menschen hinter einer Absperrung, auf der anderen Seite Helfer mit Westen und Megaphonen

Von Michael Bartsch, Patrick Guyton und Dinah Riese

Vor acht Monaten hatte die taz Ukrai­ne­r:in­nen getroffen, die gerade nach Deutschland geflohen waren. Wie geht es ihnen heute?

Kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hat die taz im April Menschen getroffen, die einzeln oder mit ihren Angehörigen nach Deutschland geflohen waren. „Vier von fast 400.000“ schrieben wir damals (online unter taz.de/Gefluechtete). Zu einer Ukrainerin, die es nach Karlsruhe verschlagen hatte, haben wir den Kontakt verloren. Die anderen Geflüchteten haben wir gegen Ende des Jahres noch einmal getroffen, um zu erfahren, wie es bei ihnen weiterging.

Valentina, Radeberg

Die Eineinhalbzimmerwohnung in einem Plattenbau am Rand von Radeberg in Sachsen wirkt noch sehr provisorisch eingerichtet. Stühle stehen mehr zufällig herum, Waschmaschine und Herd sind noch nicht angeschlossen, die Spüle lehnt noch an der Wand. Für das Gespräch werden Sitzgelegenheiten zusammengeschoben.

Bis vor drei Wochen hatte Valentina, 64 Jahre alt, aus Tscherniwzi in der Bukowina, noch bei Cornelia Pfeil im acht Kilometer entfernten Dresdner Vorort Langebrück gewohnt. Ihren ganzen Namen möchte Valentina nicht öffentlich machen. Sie war eine von drei Frauen, die seit März in Pfeils ausgebautem alten Bauernhof wie in einer Flüchtlings-WG lebten. Für die anderen beiden Frauen und das sechsjährige Schulkind Milena hatte Pfeil bereits im April eine eigene Wohnung gefunden.

Auch für Cornelia Pfeil war es jetzt nicht einfach, ein Treffen mit Valentina zu organisieren. Sie neigt dazu, sich abzuschotten. Bis zu ihrer ersten dreiwöchigen Heimfahrt im September in die Westukraine zeigte sie auch wenig Antrieb, die deutsche Sprache zu lernen, pflegte kaum Verbindungen mit Landsleuten im Raum Dresden. Bei unserer Begegnung Mitte Dezember ist sie dann aber aufgeschlossen und gefasst. Schon vor acht Monaten kamen die emotionalsten und lebensklügsten Sätze der drei Frauen aus Langebrück von Valentina, die als einfache Marktfrau in ihrer Heimat gearbeitet hatte.

Auch in Deutschland hat sie einen Job gefunden, durch Vermittlung Cornelia Pfeils in einer Gärtnerei im Nachbardorf. „Das hat mir sehr gefallen, wir haben mit Deutschen, Polen und Ukrainern freundschaftlich zusammengearbeitet“, sagt Valentina. Und dass sie sich darauf freue, wenn es dort im März weitergeht – jetzt ist in der Gärtnerei Winterpause. Sie brauche die Motivation zum frühen Aufstehen ebenso wie die Kontakte mit anderen Menschen, sagt Valentina. Schon beim ersten Treffen im April erklärte sie, dass sie ihren Lebensunterhalt zumindest teilweise selbst verdienen möchte. Sie wolle nicht nur dem Gastgeberland auf der Tasche liegen.

Das alles übersetzt sicherheitshalber eine freundliche russischstämmige Musiklehrerin, aber Valentina hat auch einige Brocken Deutsch gelernt. Sie kann sich nach dem Weg und einfachen Informationen erkundigen. „Entschuldigung“, lautet jedes dritte Wort von ihr auf Deutsch.

Eine genaue Übersetzung ist besonders wichtig bei dem, was sie über ihre Heimat und ihre „gespaltenen Empfindungen“ im deutschen Exil sagt. „Hier ist es wie im Märchen“, sagt Valentina. „Man kommt mit nichts und erhält alles, das gibt es sonst nirgendwo.“ Überschwänglich lobt sie Cornelia Pfeil, die sich „rührend um mich gekümmert hat“. Und doch: „Mein Herz will natürlich zurück in die Ukraine.“ In ihre westukrainische Heimat könnte sie derzeit auch halbwegs gefahrlos zurückkehren, aber sie zögert.

Es wird nicht ganz deutlich, welche Wirkung die drei Wochen Heimatbesuch bei ihr hinterlassen haben. Ihr Sohn dient in der ukrainischen Armee, musste aber nach Gallenproblemen während der Ausbildung operiert werden und ist nicht einsatzfähig. „Ich bin stolz auf unsere Männer, die die Ukraine beschützen“, sagt Valentina. „Ich bete täglich für sie, und so viele sind schon gestorben.“

Ihr Besuch zu Hause scheint aber auch ihre Hoffnungen auf ein baldiges Kriegsende und ihre dauerhafte Rückkehr gedämpft zu haben. Selbstverständlich wünscht sie sich, „dass alles gut wird und die Kinder und Enkel in einem befreiten Land aufwachsen können“. Aber sie kann sich heute schwerer als zuvor vorstellen, „dass das Volk das, was es erlebt hat, verzeihen kann“. Die Russen haben viele Zivilisten getötet, Kinder entführt, das halbe Land „vernichtet“. Auch ihre Eltern wurden von den Russen erschossen.

Ob all das mit einem Friedensabkommen jemals gut werden kann? „Die Wunde wird wahrscheinlich noch lange offen bleiben“, sagt Valentina und wiegt nachdenklich den Kopf. Und das, obschon sie sich gut an die Zeit in der gemeinsamen Sowjetunion erinnert, „in der wir das Letzte, was wir hatten, geteilt haben“. Deshalb scheint sie sich nach ihrem Heimatbesuch nun stärker um Integration in Deutschland zu bemühen.

Zu den anderen geflüchteten Frauen, die zunächst zusammen mit Valentina bei ihr wohnten, hat Cornelia Pfeil seit deren Auszug kaum noch Kontakt, aber besonders mit einer von ihnen hatte sie schon in den wenigen Wochen in Langebrück Probleme wegen ihrer Anspruchsmentalität. Nehmen, was zu bekommen ist in Deutschland, sei der Plan gewesen – das war zumindest der Eindruck von Pfeil.

Die ehemalige Gastgeberin spricht lachend über ihr „Helfersyndrom“. Sie würde aber künftig genauer hinschauen, wen sie sich ins Haus holt, sagt sie. Am 5. März dieses Jahres, als sie spontan einem Vermittlungsangebot folgte und die durch den Auszug von drei ihrer vier Kinder frei gewordenen Plätze in ihrem Haus anbot, wusste sie das nicht. Ernüchtert haben sie auch die Erfahrungen mit deutschen Behörden. Die Vermittlung Valentinas in eine preiswerte Wohnung für 335 Euro im Monat scheiterte, weil das finanzierte Limit bei 333 Euro liegt.

Valentina feiert in diesem Jahr nicht russisches Neujahr und nicht das atheistische Jolka-Fest, aber in bescheidenem Maß feierte sie deutsches Weihnachten mit Besuchen und Anrufen zu Hause. Ihre nächsten Schritte? Die kahle Wohnung gemütlich einrichten und sich auf Arbeit und mehr Selbstständigkeit vorbereiten. Zum Abschied wünscht sie: „friedlichen Himmel über allen“.

Marianna Kazatska und Marina She­miat­­kina, München

„I’m fine“ – mir geht es gut, sagt Marina Shemiatkina in einem Besprechungsraum ihres Arbeitsgebers WTS im Münchner Werksviertel. Die 45-Jährige aus der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw ist Juristin, WTS ist eine große, internationale Steuerberatungsgesellschaft. She­miat­kina hat hier einen Job, schon in ihrer Heimat hatte sie für den ukrainischen Partner von WTS gearbeitet. Als der Krieg begann, waren sie und ihre Arbeitskollegin Marianna Kazatska mit ihren Kindern im Auto zunächst ins Ungewisse geflohen. An der polnisch-deutschen Grenze kam dann der Anruf von WTS: Sie sollen nach München fahren, alles sei vorbereitet. Am 6. März kamen sie an.

Mit ihrer Tochter lebt Shemiatkina in einer Dreizimmerwohnung in Kirchheim im Osten von München. Die 16-Jährige geht aufs Gymnasium, ist in der zehnten Klasse und macht viel Sport. „Vor allem Leichtathletik“, sagt ihre Mutter. Der Vater lebt in Kyjiw, das Paar ist seit Langem geschieden. In She­miat­kinas Wohnung in Kyjiw sind wiederum Freunde eingezogen. „Sie kommen aus der Ostukraine und mussten fliehen.“

Arbeit, Wohnung, Kind in der Schule – also offenbar alles im Griff in Deutschland. Und doch fängt Shemiatkina an zu weinen, wenn sie von ihrer Mutter erzählt. Die wohnt in einem Haus auf dem Land bei Kyjiw. „Da ist mittlerweile kaum jemand mehr“, sagt sie, „alle sind geflohen.“ Vor der Flucht hat sie der Mutter ihren Hund gebracht, die Katze, den Papagei.

Innerhalb von sechs Stunden musste Shemiatkina im März entscheiden, ob sie das Angebot von Marianna Kazatska annimmt. Die hatte ihr abends gesagt, dass sie am nächsten Morgen ganz in der Früh aufbricht, mit ihrer Mutter und den drei Kindern, heute 11, 8 und 1 Jahr alt – es wäre noch Platz im Auto. Ihren Mann Alexander musste Kazatska zurücklassen, Männer in wehrfähigem Alter dürfen die Ukraine nicht verlassen.

Jetzt arbeitet Marianna Kazatska ebenfalls bei WTC, in der Marketingabteilung. „Ich kümmere mich etwa um die internationale Homepage“, erzählt sie. „Die ist auf Englisch.“ Es hat sich viel getan seit dem Frühjahr. Erst war sie in eine Wohnung gezogen, die eine Bekannte von Bekannten zur Verfügung gestellt hatte. Im Juni durfte dann auch ihr Mann Alexander nach Deutschland kommen, denn Väter von mindestens drei minderjährigen Kindern wurden in der Ukraine von der Einberufung in die Armee freigestellt.

Nun lebt die Familie Kazatska in einer Doppelhaushälfte im Münchner Vorort Vaterstetten. „Wir sind sehr froh darüber“, erzählt Kazatska. „Die Vermieter sind sehr nett.“ Ihr Mann Alexander hat in Kyjiw eine eigene Steuerkanzlei. Diese existiert weiterhin, allerdings fast nur digital. Er arbeitet von Vater­stetten aus im Homeoffice, die meisten Mitarbeiter sind weiter in der Ukraine, ebenfalls im Homeoffice. So wird der Betrieb aufrechterhalten. „Aber das ist schon schwierig“, sagt Marianna Kazatska. „In Kyjiw gibt es oft tagelang keinen Strom.“

Ihre elfjährige Tochter geht aufs Gymnasium und spielt viel Klavier, bald wird sie an „Jugend musiziert“ teilnehmen. Die Achtjährige ist in der Grundschule, um den Einjährigen kümmert sich die Oma. Deren Mann wiederum ist in der Heimat in der Ostukraine geblieben – „ein Bauer verlässt sein Land nicht“, sagt Kazatska über ihren Vater. Als die Kämpfe in der Nähe seines Dorfs zu heftig wurden, zog er für einige Zeit in die leere Wohnung von Marianna und Alexander in der Hauptstadt. Jetzt ist er wieder zurück im Osten.

Die Kinder kommen so weit alle gut zurecht. „Sie spüren aber, dass sie Flüchtlinge sind“, erzählt Kazatska. Die Grundschülerin etwa hätte nicht gewagt, der Lehrerin zu erzählen, dass sie von einem Mitschüler geschlagen wurde. „Sie dachte, dass sie dann von der Schule ­gehen muss.“

Marina Shemiatkina und Marianna Kazatska wissen beide nicht, wie es weitergeht. „Ich gehe nur zurück, wenn es für meine Kinder zu hundert Prozent sicher ist“, sagt Kazatska. Ihre Freundin plant, dass ihre 16-jährige Tochter wohl in Deutschland das Abitur machen wird.

Quelle      :         TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben      —     Empfang von Flüchtlingen am Berliner Hauptbahnhof. Viele Berliner boten dort freiwillig einen Schlafplatz in ihrer Wohnung an.

Abgelegt unter Flucht und Zuwanderung, Kriegspolitik, Medien, Mensch | Keine Kommentare »

KOLUMNE FERNSICHT – USA

Erstellt von Redaktion am 31. Dezember 2022

Elon Musk, die Twitter Files und die Pressefreiheit

Vogelbeobachtung (8618362879).jpg

Von   :   Laurie Roja

Die Freiheit, seine Meinung zu sagen, ist das wichtigste Grundrecht der modernen Zeit. Wer das abstreitet, hat kein Recht, sich als links zu bezeichnen.

Aber die Leute sind von den Kulturkriegen, die uns seit 2016 begleiten, so verblendet, dass sie vergessen haben, warum die Meinungsfreiheit – immerhin im 1. Zusatzartikel der US-Verfassung verankert – so wichtig war und ist. Der ungehinderte Austausch von Informationen und Ideen ist die wichtigste Triebkraft jeder freiheitlichen Gesellschaft, und wir dürfen dem Staat nie erlauben, seine Macht dafür einzusetzen, die Öffentlichkeit und die Zivilgesellschaft einzuschränken.

Warum haben ausgerechnet Jour­na­lis­t:in­nen diesen Grundsatz vergessen?

Ich kann nachvollziehen, dass in Deutschland der Meinungsfreiheit Grenzen gesetzt werden. Nach der Erfahrung des National­so­zia­lis­mus sollen Gesetze heute verhindern, dass Nazipropaganda verbreitet wird und womöglich der Faschismus zurückkehrt. Aber wozu dient das Mahnmal an die Bücherverbrennung von 1933 auf dem Berliner Bebelplatz, wenn nicht als Warnung vor staatlicher Zensur?

Nur wer sich an die eigene Macht klammert, wird Zensur als etwas Gutes empfinden. Demokratiefeindliche Ideologien kann man nur bekämpfen, wenn man sie mit Argumenten entlarvt und widerlegt. Nur ein Dummkopf wird glauben, dass Faschismus wirklich mit Zensur bekämpft werden kann oder mit Prügel für Neonazis. Solange es den Kapitalismus und den von ihm geschaffenen autoritären Charakter gibt, besteht Gefahr, dass Menschen von faschistischer Ideologie verführt werden.

Die Apokalyptischen Reiter.jpg

Hier entschwebt ein Teil von den politischen Verbrechern !

2022 wurde durch die Krise der Meinungsfreiheit geprägt, die sich rund um Elon Musks Twitter-Saga entwickelt hat. Ich fand es aufregend, dass Musk öffentlich darüber nachdachte, Twitter zu kaufen und dort wieder für uneingeschränkte Redefreiheit zu sorgen. Ich hatte schon die Hoffnung verloren, dass sich der öffentliche Diskurs von den Kulturkriegen erholen würde. Doch dann kamen mir angesichts der Angriffe einer selbsternannten Linken auf Musk Zweifel, ob ihm die Wende gelingen könnte. Was wurde ihm vorgeworfen? Dass er der reichste Mann der Welt war? Hass auf Multimilliardäre ist keine politische Position, sondern lediglich irregeleitete Missgunst. Die seit dem Beginn der Twitter-Übernahme anhaltende Besessenheit, Musk zu dämonisieren, zeigt eher das Ausmaß der existenziellen Bedrohung, die die herrschende Klasse und die sie unterstützenden progressiven Linken spüren. Dabei wollte Musk durch Veröffentlichung der Twitter Files für Transparenz sorgen und neues Vertrauen in die Medien schaffen.

Quelle      :             TAZ-online             >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

Abgelegt unter Amerika, Deutschland_DE, Medien, Positionen, Regierung | Keine Kommentare »

Regelbasierte Weltordnung

Erstellt von Redaktion am 30. Dezember 2022

Die regelbasierte Weltordnung – und ihre Feinde

Datei:Präsident Joe Biden Ukraine Democracy Defense Lend-Lease Act von 2022.jpg

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von      :    Manfred Henle

Die regelbasierte Weltordnung sieht sich herausgefordert. – Die „wunderbare regelbasierte Weltordnung“ sieht sich seit längerem verschiedenen, ärgerlichen, in ihrer Sicht unzumutbaren und nicht weiter hinnehmbaren Herausforderungen ausgesetzt.

„Autokraten machen Überstunden, um die Demokratie zu untergraben und ein Regierungsmodell zu exportieren, das durch Unterdrückung im Inland und Zwang im Ausland gekennzeichnet ist.Diese Konkurrenten glauben fälschlicherweise, Demokratie sei schwächer als Autokratie, weil sie nicht verstehen, dass die Macht eines Landes von seinem Volk ausgeht. Die dringendste strategische Herausforderung für unsere Vision geht von Mächten aus, die eine autoritäre Regierungsführung mit einer revisionistischen Außenpolitik verbinden. Es ist ihr Verhalten, das eine Herausforderung für den internationalen Frieden und die Stabilität darstellt […].“ (Biden-Harris-National Security Strategie 2022)Dass nicht der Weltordnungsstandpunkt und der globale Selbstbehauptungswille der abendländischen Wertegmeinschaft, sondern der Überstunden leistende nationale Selbstbehauptungswille China’s und Russlands dieses „neue Zeitalter des Wettbewerbs“23 (KAS, Auslandsinformationen 13.7.2017) heraufbeschworen haben, gilt den westlichen Regierungsverantwortlichen und ihren Denkfabriken als ausgemachte Sache: „Rückblickend wird klar, dass es die Demokratien dieser Welt viel zu lange versäumt haben, das Aufkommen einer neuen Epoche des Wettbewerbs zwischen autokratisch und demokratisch geführten Staaten zur Kenntnis zu nehmen.“ (KAS, ebd.) Zu konstatieren ist offensichtlich: „Die autoritäre Herausforderung und die Selbstbehauptung liberaler Demokratien – Ein Jahrhundert des Autoritarismus keineswegs unwahrscheinlich.“ (GPPI 17.2.2017)24

Die erste, so unmissverständliche wie warnende Antwort des US-geführten Selbstbehauptungswillens westlicher Demokratien auf diese „dringendste strategischen Herausforderung“ (Biden-Harris-National Security Strategie 2022) lautet rückblickend und vorausschauend ganz banal:

„Rund um die Welt sehen die Nationen wieder einmal, warum es nie gut ist, gegen die Vereinigten Staaten von Amerika zu setzen.“ (Ebd.)

Gemäss diesem Kriterium der Botmäßigkeit oder Unbotmäßigkeit fremder Souveräne und ihrer jeweiligen Benutzbarkeit, hat die bislang konkurrenzlos unbestrittene „Weltmacht mit globalen Interessen“ die Völkerfamilie betrachtet und behandelt. Und agiert so gut es geht bis heute streng nach dieser Maxime amerikanischer Geo- und Weltpolitik: „Unser erstes Ziel ist es, das Wiederauftauchen eines neuen Rivalen zu verhindern.“ (Wolfowitz, 1992)25

Welcher innerstaatlichen Verfasstheit die fremden Souveräne dabei waren, war darüber hinaus dem Ziel, das (sowjetische) „Reich des Bösen“ seinem notfalls nuklear erzwungenen Untergang zuzuführen, untergeordnet. Angesichts schon dieses der Völkerfamilie der damaligen Zeit unter dem Titel „Ost-West-Konflikt“ aufgemachten Standpunktes seitens des US-geführten NATO-Westens haben sich „die Nationen rund um die Welt“ mehrheitlich dafür entschieden, nicht gegen den Westen zu setzen und sich dem Lager des „Reichs des Bösen“ anzuschließen.

Zu ernst, zu alternativlos war die Vernichtungsdrohung durch die USA gemeint. Erschien es, auch jenseits dieser Alternativlosigkeit notwendig, den US-Selbstbehauptungs- und Weltordnungsstandpunkt gegenüber gewissen, hinsichtlich ihrer Botmäßigkeit oder Benutzbarkeit zweifelhaften Souveränen Nachdruck zu verleihen, so waren Staatsumsturz, Einrichten stabiler, zuverlässiger und funktionaler Gorilla-Diktaturen fällig: Sei es im lateinamerikanischen Hinterhof, sei es im arabischen Krisenbogen, so zum Beispiel im Iran 1953.26 Zuweilen empfahl oder empfiehlt es sich nach wie vor, zweifelhafte oder als Feinde markierte Souveräne „in die Steinzeit zurück zu bomben“ (US-Luftwaffengeneral Curtis E. LeMay, 1964) wie etwa Nordkorea oder Vietnam, dem annähernd auch Irak oder Afghanistan.

Trotz dieser recht entspannten Betrachtungsweise des US-geführten Selbstbehauptungswillens westlicher Demokratien gegenüber botmässigen, funktionierenden und funktionalen Diktaturen oder „Autokratien“ zu Diensten der regelbasierten Weltfriedensordnung: Ideal in Sachen nutzbringender zwischenstaatlicher Kooperation bleibt die ausgewiesene, gleichsam unübertroffene Stabilität demokratischer Herrschaft. Die beruht, wie die gewählten Vertreter des Volkes, die politischen Entscheidungsträger und Regierungsbeauftragten bis einschließlich Joe Biden nur zu gut wissen darauf, „dass die Macht eines Landes von seinem Volk ausgeht.“ (Biden-Harris-National Security Strategie 2022) Insofern sind Souveräne mit demokratischer Verfasstheit als Kooperations- oder Kriegs-Bündnispartner prinzipiell außen-, welt- und geopolitisch erste Wahl. Die Stabilität ihrer innenpolitischen Herrschaft gewährt mehr Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit, Botmäßigkeit vorausgesetzt27:

„Wir werden uns dafür einsetzen, die Demokratie in der ganzen Welt zu stärken, weil eine demokratische Regierungsführung […] stärkere und zuverlässigere Wirtschafts- und Sicherheitspartner für die Vereinigten Staaten schafft […].“ (Biden-Harris-National Security Strategy 2022)

Von Anbeginn an offensiv imperialistisch ist dieses Projekt des US-geführten Selbstbehauptungswillens westlicher Demokratien ohnehin angelegt: „Die Amerikaner werden sich für die universellen Menschenrechte einsetzen und sich mit denjenigen solidarisch zeigen, die jenseits unserer Küsten nach Freiheit und Würde streben.“ (Biden-Harris, ebd.) Dies insbesondere, als, neben dem nach wie vor unbesiegten russischen Selbstbehauptungswillen, die VR China längst die Stirn hat, seine geostrategisch-nukleare Einkreisung weit jenseits amerikanischer Küste nicht nur nicht zuzulassen, vielmehr längst dazu übergegangen ist, dem Westen seinen eigenen, nationalen Selbstbehauptungswillen offensiv entgegen zu stellen: „Dafür muss das Land seine Außenpolitik so umgestalten, dass es ein globaler Akteur wird.“ (US-Politvordenker R.Kagan, 16.7.2008)28

Als „patriotische Einheitsfront“ ist der chinesische „grosse Traum“ (Xi Jinping) in Gestalt der global agierenden VR-China dabei, seinerseits ein alternatives, möglichst weltumspannendes Netzwerk strategischer Partnerschaften etwa mittels BRICS und Schanghai-Kooperationsrat (SCO) trotz aller regionalen, geostrategischen und nationalen Berechnungen und Interessengegensätze sowie unbesehen der innenpolitischen Verfasstheit der beteiligten Souveräne29 in die Welt zu setzen – und dies teilweise unter Beteiligung Russlands. Zwar kommt zum Beispiel die Überprüfung der „Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland, der Europäischen Union, der NATO und der OSZE mit der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit“ zum vorerst beruhigenden Urteil: „Militärisch ist die derzeitige SCO somit keineswegs auf Augenhöhe mit der NATO.“ (Wissenschaftlicher Dienst, Deutscher Bundestag, 13.11.2019)30 Dennoch scheint es ratsam: „Gleichwohl sollte der Westen nicht den Fehler begehen, hochmütig auf das Treffen herabzublicken.“ (SZ, 18.11.2022)31 Denn ungeachtet ihrer jeweils eigenen, auch gegensätzlichen Interessen innerhalb der SCO ist hinsichtlich China und Russland zur Kenntnis zu nehmen: Showdown with the American liberal world Order Wenn es eine Sache gibt, in der sich Russland und China völlig einig sind, dann ist es die, dass die liberale Weltordnung, die die amerikanische Supermacht zu schaffen versucht hat, beendet werden muss. Dieses gegenseitige Einvernehmen war zum Teil die Grundlage für die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit […].“ (DIIS, 4.11.2022)32

Kernelemente des ausgreifenden chinesisch initierten alternativen Netzwerkes strategischer Partnerschaften sind die „Asiatische Infrastruktur Investment Bank (AIIB)“ und die „One Belt, One Road Initiative (BRI)“. Anzumerken ist hierzu:

„Die AIIB hat sich innerhalb von Rekordzeit zu einem der großen Akteure in der globalen Finanzarchitektur entwickelt […] Zwei der führenden internationalen Volkswirtschaften, die USA und Japan, sind der AIIB bisher nicht beigetreten. Sie sehen die AIIB weitgehend als ein Instrument an, das zur Förderung chinesischer geopolitischer und wirtschaftlicher Interessen geschaffen wurde. Europäische Regierungen wollten jedoch nicht außen vor bleiben und argumentieren, dass sie die Institution besser als Mitglieder beeinflussen können. Sie traten der AIIB als Gründungsmitglieder bei und verliehen der Institution damit eine internationale Glaubwürdigkeit, die sie sonst nicht gehabt hätte […] In ihrer Anfangsphase kultivierte die AIIB eine vorsichtige Distanz zu Chinas Belt and Road Initiative (BRI). Ihre Betonung, dass sie eine multilaterale Institution sei, die sich zur Einhaltung internationaler Standards verpflichtet, sollte sie von kontroversen BRI-Investitionen unterscheiden. Dieser Diskurs hat sich mittlerweile geändert, und in jüngerer Zeit beschrieb AIIB-Präsident Jin die AIIB und die BRI als die zwei Motoren eines Flugzeugs, die beide nötig sind, damit das Flugzeug problemlos und hoch fliegen kann.“ (K.Horta, Heinrich Böll Stiftung, Schriften zur Demokratie, Bd.52, 2019: 9-10)33

Dass es der „große Traum“ der VR-China ist, mit dem Aushebeln der bislang geltenden regelbasierten Weltfriedensordnung unter US- und NATO-Schutz im gleichen Zug die regelbasierte Weltwirtschaftsordnung mit IWF, Weltbank und Dollar-Imperialismus auszuhebeln und vom Rule Taker zum Rule Maker in einer kommenden, nicht mehr westlich dominierten Finanz-, Währungs- und Weltwirtschaftsordnung aufzusteigen, ist beim US-geführten

Selbstbehauptungswillen westlicher Demokratien und ihren Beratern also längst angekommen:

„Deutschland und andere europäische Länder wollen der von China initiierten Asian Infrastructure Investment Bank beitreten. Sie verärgern damit die USA und besiegeln das Ende des westlich dominierten globalen Finanzsystems.“ (Manager Magazin, 19.03.2015)34

Diese „dringendste strategische Herausforderung“ (Biden) einer China- und teilweise Russland initiierten Alternative zur gegenwärtigen monopolaren, regelbasierten Weltordnung nimmt der US-geführten Selbstbehauptungswille westlicher Demokratien nebst nuklearer Einkreisung China’s sowie Russlands zu besiegelnder Niederlage an: Mit einer ausgreifenden Gegenoffensive unterm Titel „Build Back Better World (B3W), the EU’s Global Gateway, and the UK’s Clean, Green Initiative (CGI);“35 grundlegend mit dem konsequent weitergeführten Containment und Roll Back gegenüber China’s „revisionistisch“ (Biden) ausgreifenden Selbstbehauptungswillen:

„Dazu gehören unsere demokratischen Verbündeten in Europa und im indo-pazifischen Raum sowie wichtige demokratische Partner in der ganzen Welt, die viele unserer Vorstellungen von einer regionalen und internationalen Ordnung teilen, auch wenn sie nicht in allen Fragen mit uns übereinstimmen […] und Länder, die sich nicht zu demokratischen Institutionen bekennen, aber dennoch auf ein regelbasiertes internationales System angewiesen sind und es unterstützen.“ (Biden-Harris-National Security Strategy 2022)

Die Klarstellung darüber, dass es angesichts der strategischen Herausforderung und der sich abzeichnenden Alternative im 21. Jahrhundert weiterhin bei der praktischen Einmischung in die staatliche Verfasstheit fremder Souveräne bei aller Bevorzugung demokratisch verfasster Gemeinwesen bleibt, bildet keinen Widerspruch zur Demokratie und befleißigt sich keinerlei Doppelmoral oder doppelter Standards wenn es heißt: „Wir glauben jedoch nicht, dass Regierungen und Gesellschaften überall nach dem Vorbild Amerikas umgestaltet werden müssen, damit wir sicher sind.“ (Biden-Harris, ebd.)

Ob Regime Change, Nation Building, Staatsumsturz, ob zum Beispiel der „[…] Versuch, ein demokratisches, zusammenhängendes und geeintes Afghanistan zu schaffen“ (Biden

Afghanistan-Rede, 1.9.2021)36 notwendig erscheint, bemisst sich im angebrochenen „Wettkampf zwischen Demokratie und Autokratie“ einzig daran, ob die fremden Souveräne sich der chinesisch-russischen Alternative anschließen oder nicht.

Dieser Klarstellung können die deutsch-europäischen Demokratien nicht nur hinsichtlich Qatar, Saudi-Arabien und ähnlichen staatlichen Gebilden umstandslos beipflichten: „Man muss viele Hände schütteln, wenn man Frieden in Libyen schaffen will, und das sind nicht nur saubere Hände.“ (Steinmeier-Eröffnungsrede auf der MSC 2020, 14.2.2020)37 Angesichts der chinesisch-russischen Alternative gilt mehr denn je:

„Deshalb rate ich uns […]: Verlernen wir nach dem Epochenbruch nicht all das, was deutsche Außenpolitik stark gemacht hat […] das Werben um Partner, die anders sind als wir. Das ist keine Stilfrage – es ist eine Überlebensfrage.“ (Steinmeier, Rede an die Nation, 28.10.2022)

Dennoch ist gegenüber der Alternativlosigkeit während der Epoche des antisowjetisch-antikommunistischen Gleichgewichts des Schreckens zu bedenken:

„Russland und China haben über viele Jahre hinweg auch demokratische Staaten wie Südafrika, Indien oder Brasilien hofiert, ihnen etwa über die BRICS-Initiative eine Stimme auf internationaler Ebene gegeben. Sie haben die Interessen dieser Länder gesehen und sind ihren Regierungen mit Respekt begegnet. Das hat Vertrauen aufgebaut.

Die Auswirkungen sehen wir aktuell, wenn viele Staaten unseren Weg der Sanktionen gegen Russland ablehnen. Die Abstimmungen in der Vollversammlung der Vereinten Nationen zeigen, dass die Hälfte der Weltbevölkerung nicht hinter unserer Politik steht. Das muss uns zu denken geben.“ (Klingbeil, Zeitenwende-Rede, 21.6.2022)37

Unter Berücksichtigung dieser Bedenken, auch angesichts der Tatsache, dass offensichtlich mehr und mehr Länder des globalen Südens wie etwa Mali, Burkina Faso und neuerdings Niger unter dem Slogan „Nieder mit Frankreich, es lebe Putin und Russland“39 den „autokratischen“ Angeboten nicht mehr verschließen, bleibt offenbar wohl doch nur diese eine Alternative – zumindest für den deutsch-europäischen demokratischen Selbstbehauptungswillen:

„Wir wollen uns in der Welt von morgen behaupten. In einer Welt, in der es geopolitisch absehbar ungemütlicher wird. In einer Welt, die von neuen Rivalitäten zwischen etablierten und aufstrebenden Mächten geprägt ist. Dafür setzen wir vor allen Dingen auf eines: auf ein starkes, handlungsfähiges Europa […] Wir müssen mit noch viel mehr Kraft daran arbeiten, ein souveränes, kraftvolles Europa zu bauen, das eine eigene geopolitische Identität entwickelt.“ (Heiko Maas, Rede 55. MSC, 15.2.2019)40

Fußnoten:

23 Unter: https://www.kas.de/de/web/auslandsinformationen/artikel/detail/-/content/ein-neues-zeitalter-des-wettbewerbs

24 Unter: https://www.gppi.net/2017/02/17/die-autoritaere-herausforderung-und-die-selbstbehauptung-liberaler-demokratien

25 Unter: https://www.pbs.org/wgbh/pages/frontline/shows/iraq/etc/wolf.html

26 Über die technisch-operative Abwicklung dieses Staatsumsturzes vgl.: M. Lüders, Wer den Wind sät – Was westliche Politik im Orient anrichtet, München, 2017: 12-22.

27 Ungemach kann dem US-geführten Selbstbehauptungswillen westlicher Demokratien heranwachsen, wenn innerhalb dieser Demokratien die „Macht des Landes“ geschwächt wird, weil politische Führer oder unzufriedene Volksteile die bislang funktionierende und stabile demokratische Herrschaft im Namen einer echten oder wahren Volksherrschaft anzuzweifeln beginnen. Dann sind grosse Reden an die Nation vonnöten, die verlangen: „Anstatt uns weiter auseinandertreiben zu lassen, müssen wir alles stärken, was uns verbindet. Alles stärken, was uns verbindet.“ Denn: “ Aber nur so können wir dem Gift des Populismus, der Gefahr des Auseinanderdriftens wirksam etwas entgegensetzen!“ (Steinmeier, Rede an die Nation, 14.10.2022, unter: https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2022/10/221028-Alles-staerken-was-un s-verbindet.html; wenn also nicht nur gewisse europäische Souveräne radikal national werden, sondern gar die Weltordnungsmacht USA wie unter D.Trump nach Innen radikal national das Land polarisiert und spaltet, und nach Aussen radikal national den Sacro Egoismo der Nation mehr oder weniger rücksichtslos durchzusetzen gedenkt, droht der Selbstbehauptungswille westlicher Demokratien, wie vielseitig beschworen, in Unordnung zu geraten – und dies angesichts Überstunden leistender Autokraten. Deshalb tut ständige landeskundliche Beobachtung und Beurteilung not: im leichteren Fall zum Beispiel, ob G.Meloni mit ihren Fratelli D’Italia tatsächlich dem italienischen Faschismus abgeschworen hat; bedeutsamer die deutsch-europäische Sorge am 15. 11.2022: „Donald Trump gibt Kandidatur für 2024 bekannt – kann er es schaffen?“, unter: https://www.swp.de/panorama/donald-trump-usa-wahlen-2024-praesident-kandidieren-praesidentschaftswahlen-67123187.html

28 Unter: https://www.spiegel.de/kultur/literatur/us-politvordenker-kagan-russland-und-china-betrachten-den-westen-als-feindlich-a-56616 5.html

29 Vgl. dazu Handelsblatt, 15.9.2022, unter: https://www.handelsblatt.com/politik/international/shanghaier-organisation-fuer-zusammenarbeit-gipfeltreffen-der-asiatischen-gr ossmaechte-nur-gut-zur-inszenierung/28681396.html

30 Unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/673968/9682fbb51f60b9db8db5aabaed3f12d0/WD-2-120-19-pdf-data.pdf

31 Unter https://www.sueddeutsche.de/meinung/shanghai-kooperationsrat-xi-putin-usbekistan-1.5657973?reduced=true; auch dass Iran in Samarkand mit Beschluss vom 16.9. 2022 die Vollmitgliedschaft in der SCO erwarb, ist zu notieren und wirft für den interessierten Westen die Frage auf: „What Does Iran’s Membership in the SCO Mean for the Region?“, unter: https://thediplomat.com/2022/09/what-does-irans-membership-in-the-sco-mean-for-the-region/

32 Unter: https://www.diis.dk/en/research/shanghai-cooperation-organisation: Dass die OPEC Plus offensichtlich auch durch Betreiben Russlands und mit Zustimmung Saudi-Arabiens am 6.10. 2022 beschlossen hat, entgegen dem ausdrücklichen Willen Bidens, O.Scholz‘ und E.Macrons und inmitten des „totalen Wirtschaftskrieges gegen Russland “ (Bruno Le Maire, vgl. Fussnote 17), die tägliche Ölffördermenge zu reduzieren, bestätigt dem US-geführten Selbsbehauptungswillen westlicher Demokratien nur, wieviel mehr Verantwortung und Handlungsfähigkeit er auch auf dem Kriegsgebiet „globale Energiepolitik“ noch unter Beweis zu stellen hat; zum Beschluss der Opec Plus vgl. unter: https://www.handelsblatt.com/finanzen/maerkte/devisen-rohstoffe/opec-plus-kartell-drosselt-oel-foerderung-waehrend-der-energi ekrise/28724702.html

33 Unter: https://www.boell.de/sites/default/files/aiib-studie_dt_web.pdf; weiters festzuhalten ist dabei: „Der Subtext hier ist die Mitteilung an potentielle Kunden, dass die AIIB ihre Kredite schneller bewilligen und sich nicht durch das Ansprechen von «good governance», verbindlichen Regeln und Rechenschaftspflicht in ihre internen Angelegenheiten einmischen wird.“ (Ebd.: 10)

34 Unter: https://www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/deutschland-tritt-aiib-bei-china-spaltet-westen-mit-bank-a-1024354.html; zum Ganzen vgl. auch die Studie von K.Horta/Wawa Wang, The Beijing-led Asian Infrastructure Investment Bank: Global Leader in Infrastructure, at What Cost?, Heinrich Böll Foundation, May 2022, unter: https://www.boell.de/sites/default/files/2022-04/E_Paper_The_Beijing_led_Asian_Infrastructure_Investment_Bank.pdf

35 Vgl. z.B. Briefing Paper February 2022, ONE VISION IN THREE PLANS:BUILD BACK BETTER WORLD & THE G7 GLOBAL INFRASTRUCTURE INITIATIVES, unter : https://9tj4025ol53byww26jdkao0x-wpengine.netdna-ssl.com/wp-content/uploads/B3W-G7-Report-E3G.pdf

36 Unter: https://augengeradeaus.net/2021/09/fuers-archiv-rede-von-us-praesident-joe-biden-the-war-in-afghanistan-is-now-over/

37 Unter: https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2020/02/200214-MueSiKo.html

38 Unter: https://www.fes.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=75010&token=70fdeac838fa69b928ee58a8c47cf6f046e2dc15; vgl. dazu auch: M.Henle, Eine Zeitenwende – und was für eine!, 9.7.2022, unter: https://www.untergrund-blättle.ch/politik/deutschland/spd-ukraine-krieg-zeitenwende-weltordnung-7150.html

39 „A bas la France, Vive Poutine et la Russie: ces slogans qui se multiplient dans les pays du Sahel'“, franceinfo Afrique avec AFP, 20.9.2022, unter: https://www.francetvinfo.fr/monde/afrique/niger/a-bas-la-france-vive-poutine-et-la-russie-ces-slogans-qui-se-multiplient-dans-les -pays-du-sahel_5371339.htm

40 Unter: https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/aussenminister-maas-muenchner-sicherheitskonferenz/2190246

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —  Joe Biden mit seinem Staff im Weissen Haus, Mai 2022. 

Verfasser   :  Das Weiße Haus    /  Quelle    ;  https://twitter.com/POTUS/status/1523796583120265217  / Datum  :  09-05.2022

Diese Akte ist ein Werk eines Mitarbeiters des Exekutivbüros des Präsidenten der Vereinigten Staaten, das im Rahmen der offiziellen Aufgaben dieser Person aufgenommen oder angefertigt wurde. Als Werk der US-Bundesregierung ist es gemeinfrei.

Abgelegt unter Deutschland_DE, International, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Räumung Lützerath stoppen

Erstellt von Redaktion am 29. Dezember 2022

„Stoppen Sie die Räumungsvorbereitungen in und um Lützerath!“

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Michael Zobel aus Aachen – Naturführer und Waldpädagoge

Offener Brief an Innenminister H. Reul, Wirtschaftsministerin M. Neubaur, Ministerpräsident H. Wüst, Landrat S. Pusch, Polizeipräsident D. Weinspach, Bischof H. Dieser, Bürgermeister S. Muckel, an alle rund um Lützerath eingeplanten Polizistinnen und Polizisten…

Guten Tag zusammen,

Ende 2022, in wenigen Tagen beginnt das neue Jahr. Gute Wünsche? Das wird besonders zum Start 2023 schwierig. Beginnen wir tatsächlich mit der Räumung und endgültigen Zerstörung von Lützerath? Haben wir nichts gelernt, begehen wir die gleichen Fehler immer wieder?

Die Maschinerie scheint zu rollen, unaufhörlich.

Stimmen überhaupt die veröffentlichten Gründe, die die kommende Räumung legitimieren sollen? Es ist alles unausweichlich? Lützerath muss in wenigen Tagen geräumt und zerstört werden, um die Energieversorgung unseres Landes in diesem Winter zu sichern?

So ist es angekündigt, alle Verantwortlichen haben sich auf diese Erzählung geeinigt.

Ich sage, alle vermeintlichen Fakten beruhen auf vorgeschobenen Gründen, auf Vorwänden, genau wie 2018, als der Hambacher Wald geräumt wurde. Damals war es der angeblich fehlende Brandschutz (inzwischen vom Gericht als Vorwand geoutet), jetzt sind es die Energiekrise, der Krieg und die Versorgungssicherheit.

Obwohl diverse Studien, auch im Namen der Bundesregierung, das Gegenteil beweisen, auch in Zeiten des Krieges und des zusätzlichen Kohlebedarfs wird die Kohle unter Lützerath eben nicht gebraucht. Alle jetzt herangezogenen Gutachten zur angeblich unvermeidbaren Inanspruchnahme von Lützerath beruhen ausschließlich auf Zahlen und Berechnungen von RWE. Erinnert sich noch wer? In 2018 hieß es, ohne die sofortige Rodung des Hambacher Waldes wäre die Stromversorgung NRWs gefährdet…   sind bei Ihnen die Lampen ausgegangen?

Stattdessen ist die Räumungsmaschinerie in vollem Gang, unter anderem

– um die besten landwirtschaftlichen Böden NRWs zu vernichten

– um dutzende von geschützten Tieren aus den Winterquartieren zu vertreiben

– um viele jahrhundertealte Bäume zu fällen

– um denkmalgeschützte Gebäude und Höfe und Kulturdenkmale abzureissen (erinnert sich wer an den Aufschrei bei Kartoffelpürree auf Glascheiben vor Gemälden…?

– um unüberschaubare Kosten zu generieren, die Räumung im Hambacher Wald hat zwischen 30 und 50 Millionen Euro gekostet…

– um schwerste Verletzungen und Traumatisierungen von Menschen auf beiden Seiten zu riskieren, wieso sind eigentlich die Politiker*innen noch im Amt, die die rechtswidrige Räumung 2018 zu verantworten haben, in deren Verlauf der junge Blogger Steffen Meyn starb?

– um einzig und allein die wirtschaftlichen Interessen eines Konzerns (RWE) zu sichern, der selber sagt „Ein Umplanen oder gar Verkleinern des Tagebaus, um Lützerath zu schonen, ist nur unter betriebswirtschaftlichen Einbußen möglich.“

– um die völkerrechtlich verbindliche Einhaltung des 1,5 Grad-Zieles vollkommen unmöglich zu machen

– um Fakten zu schaffen, obwohl entgegen aller Behauptungen eben nicht alles rechtlich geklärt ist, die Eibenkapelle in Lützerath ist im Besitz der katholischen Kirche, eine Wiese gehört nicht RWE, weitere Prozesse sind anhängig

– um ein zweifelhaftes Rechtsverständnis zu zementieren, ist es ein Zufall, dass Landrat Pusche in seiner Neujahrsansprache die Aktivisten in Lützerath und die Reichsbürger in einem Atemzug nennt?

– um das Vertrauen vieler vor Allem junger Menschen in die Glaubwürdigkeit von Politik vollends zu erschüttern. Es ist noch nicht lange her, da haben viele der jetzt handelnden Politiker*innen Wahlkampf mit dem Erhalt von Lützerath gemacht. Frei nach dem Motto: Was schert mich das Geschwätz von gestern…

Werte Politiker*innen, werte Entscheidungsträger*innen, werte Polizist*innen, ich und viele andere Menschen appellieren an Sie:

Stoppen Sie die Räumungsvorbereitungen in und um Lützerath!

Sorgen Sie für eine dauerhafte Befriedung im Rheinischen Revier.

Damit die 1,5 Grad-Grenze eingehalten wird, muss die Kohle unter Lützerath im Boden bleiben! Die Landesregierung muss mit RWE ein Räumungsmoratorium für Lützerath vereinbaren. Statt auf eine unnötige Eskalation der Situation unter Gefährdung von Menschenleben zu setzen, sollten Gespräche für eine friedliche Lösung vereinbart werden.

Die Braunkohle unter Lützerath wird auch in der aktuellen Krisensituation nicht benötigt. Versorgungssicherheit braucht Investitionen in erneuerbare Energien. Für 100 Prozent Sonne und Wind! Die Zukunft ist Erneuerbar.

RWE versucht am Tagebau Garzweiler Fakten zu schaffen. Doch Deutschland und die Welt können sich die Klimaschäden durch die rheinische Braunkohle nicht länger leisten.

Aus allen diesen Gründen appellieren wir an Sie: Sorgen Sie bitte dafür, dass die Vorbereitungen zur Räumung von Lütezrath umgehend eingestellt werden.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns einen gesegneten Jahreswechsel und ein räumungsfreies 2023.

Mit freundlichen Grüßen,

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben      —       Westlicher Ortseingang aus Richtung Landstraße 277 im Januar 2018

Abgelegt unter Medien, Nordrhein-Westfalen, Positionen, Umwelt | Keine Kommentare »

KOLUMNE – GRAUZONE

Erstellt von Redaktion am 29. Dezember 2022

Kriegsangst in Moldau: Gefahr beginnt nicht mit Panzern

Aus der Geschichte nichts gelernt.jpg

Kolumne von : Erica Zingher

Gezielt versucht Russland, in Moldau einen weiteren Krisenherd zu schaffen. Die Abhängigkeit von russischer Energie hat zu Rekord Inflation geführt.

Schon wieder ging diese Woche die Angst um, Russland könnte seinen Krieg in der Ukraine auf Nachbarländer wie Moldau ausweiten: In einem Fernsehinterview machte der moldauische Ge­heimdienstchef Alexandru Musteata deutlich, dass die Frage nicht sei, ob Russland einen neuen Angriff in Richtung Moldau starte, sondern wann das passiere: „Entweder Anfang des Jahres, im Januar, Februar, oder später im März, April.“ Das Interesse bestehe darin, in die abtrünnige Region Transnistrien zu gelangen und die Ortschaft Cobasna zu nutzen, in der das vermutlich größte Munitionslager Europas mit 20.000 Tonnen Explosivstoff aus Sowjetzeiten lagert, das nur von russischen „Friedenstruppen“ bewacht wird, erklärte er noch.

Menschen können sich nicht mal das Nötigste wie Milch leisten

Nun kann man das für unwahrscheinlich halten. Zwar sind auf dem Gebiet Transnistrien, das im Westen an die Ukraine angrenzt, bis heute russische Truppen stationiert, die dort noch aus Sowjetzeiten untergebracht waren. Doch immer wieder ist zu hören, dass diese Truppen, die zum Großteil aus örtlichen transnistrischen Kräften bestehen, in einem miserablen Zustand seien. Veraltete Waffen und kaum Munition, damit könne niemand einen Krieg gewinnen, erzählte mir ein Mann, der seinen Wehrdienst im transnistrischen Militär absolviert hatte, einmal.

Also alles nur übertriebene Angst? Nun, für unwahrscheinlich hielten auch viele einen russischen Überfall auf die Ukraine. Um Panik zu vermeiden, ruderte Geheimdienstchef Musteata später zurück, bisher sei es ruhig in Transnistrien, sagte er sinngemäß. Aber seinen Punkt hatte er gemacht: Moldau ist jederzeit bedroht durch Russland.

Dass erst aufgehorcht wird, wenn von möglichen militärischen Angriffen die Rede ist, überrascht mich nicht. Dabei beginnt die Destabilisierung eines Landes schon viel früher. Alarmieren sollte Europa, dass Putin seit Monaten gezielt versucht, in Moldau einen weiteren Krisenherd zu schaffen. Panzer benötigt er dafür gar nicht. Moldaus Abhängigkeit von russischen Energieimporten hat zu einer Rekordinflation im Land geführt. Mittlerweile liegt sie bei 35 Prozent. Jedes Mal, wenn russische Raketen das Stromnetz in der Ukraine beschädigen, wird auch die Republik Moldau getroffen. Eine Abhängigkeit, die noch aus Sowjet­zeiten stammt.

Menschen weinen vor Schaufenstern

Schon mehrfach hatten Hunderttausende Mol­dau­er:in­nen deshalb keinen Strom. Für Gas fehlt vielen das Geld. Und auch die Lebensmittelpreise sind rasant gestiegen. „Ich sehe ältere Menschen, die vor dem Schaufenster weinen. Es ist nicht so, dass sie sich keine Salami leisten können; sie können sich nicht einmal das Nötigste wie Milch leisten“, berichtete eine Verkäuferin aus einem Vorort der Hauptstadt Chișinău vor Kurzem dem Guardian.

Unnamed Road, Vertiujeni, Moldova - panoramio (25).jpg

Ihr Frust hat viele Menschen über Wochen auf die Straßen getrieben. Manche schlugen ihre Zelte vor dem Regierungsgebäude auf. Sie riefen „Schande“ und forderten den Rücktritt der prowestlichen Regierung und Präsidentin Maia Sandu. Prorussische Oppositionspolitiker der Șor-Partei hatten die Proteste organisiert. Sie nutzen bis heute die Krise im Land aus, um gegen die europäische Ausrichtung Moldaus zu wettern. Investigative Recherchen örtlicher Jour­na­lis­t:in­nen fanden später heraus, dass viele De­mons­tran­t:in­nen für ihre Teilnahme bezahlt wurden. Man hatte sie aus den Dörfern in die Hauptstadt karren lassen.

Quelle        :        TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —  Antikriegs- und Antiputingrafik STOP Putin in der Ukraine. Inhalt der Sprechblase (… oder wäre das zu viel?). Karikatur aus der Zeit 2014 der Krim Annexion durch Russland.

*****************************

Unten     —     Unnamed Road, Vertiujeni, Moldova

Abgelegt unter Europa, Kultur, Medien, Positionen | Keine Kommentare »

Merz und seine Botschaft

Erstellt von Redaktion am 26. Dezember 2022

Weihnachtliches Energiesparen mit Friedrich Merz:
Die schönsten Weihnachtsmärchen schreibt das Leben

Die  Republikaner feiern Friedrich Merz, dem gerade die Windeln gewechselt wurden.

Quelle         :     Mitwelt Stiftung Oberrhein

Von      :      Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein

Heute, am 24.12.2022 ploppte in vielen Medien die frohe, nachhaltige DPA-Weihnachtsbotschaft von Friedrich Merz auf:

„Auch der Unionsfraktionschef will in der Energiekrise sparen. Weihnachten feiert Merz nach eigener Aussage mit einem Baum mit echten Kerzen. Alleine dadurch erhöht sich natürlich die Raumtemperatur.“
„Wo kannst du noch Energie sparen“, 
sagt der CDU-Vorsitzende in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Ich habe sowohl in meiner Berliner Wohnung als auch in unserem Haus in Arnsberg die Raumtemperatur reduziert und heize Räume nur, die ich auch nutze.“

Ist das nicht schön? Friedrich Merz spart Energie. Der Parteichef mit dem eigenen Privatflugzeug heizt sein Haus mit Kerzen. Ach da vergessen wir doch, dass Privatflüge pro Passagier 5- bis 14-mal umweltschädlicher als normale Verkehrsflugzeuge und 50-mal umweltschädlicher als Züge sind.

Ist das nicht schön? Friedrich Merz heizt nur die Räume, die er tatsächlich auch nutzt. Da vergessen wir doch gerne, dass er zu den Klimakatastrophenverantwortlichen zählt, die schon jahrzehntelang für Kohle, Öl, Gas und gegen ein Tempolimit streiten und dass er zu den obersten Energiewende-Gegnern zählt. Da vergessen wir doch gerne seine Zeit als Aufsichtsrats-Chef der deutschen Abteilung von Blackrock und die Blackrock-Verbindung zu Kohle- und Atom.

Die heutige DPA-Nachricht zeigt, in welch putzig-ablenkenden Nischen wir über Energiesparen und Klimawandel diskutieren und diskutieren sollen. Und dennoch die Meldung auch: Die schönsten Weihnachtsmärchen schreibt das Leben.

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —   Ausschnitt aus einer über Jahrzehnte entstandenen privaten Krippenlandschaft, ausgestellt im Stadtmuseum Mülheim-Kärlich

Abgelegt unter Baden-Württemberg, Deutschland_DE, Medien, P.CDU / CSU, Umwelt | Keine Kommentare »

Was danach geschah

Erstellt von Redaktion am 25. Dezember 2022

Ein Blick auf einige taz-Recherchen des Jahres 2022
– und auf ihre Folgen

Eine Zusammenstellung mit Kersten Augustin, Sebastian Erb, Jean-Phillip Baeck, Sophie Fichtner, Anne Fromm

Manchmal stößt Journalismus etwas an und sorgt für Veränderung.

Machos beim WWF

Das Berliner Arbeitsgericht verhandelte im Mai 2022 eine ungewöhnliche Klage: Die Personalchefin der Naturschutzorganisation WWF ging gegen ihren Arbeitgeber vor – wegen mangelnder Transparenz, Interessenskonflikten und möglichen Machtmissbrauchs. Die Personalchefin hatte mitbekommen, dass der langjährige geschäftsführende Vorstand des WWF Deutschland, Eberhard Brandes, eine Affäre mit der WWF-Finanzchefin gehabt habe, ohne das seinem Arbeitgeber zu melden. Das hätte er nach internen Richtlinien wohl tun müssen.

Die Personalchefin zeigte die Affäre intern an, eine externe Anwaltskanzlei wurde mit einer Untersuchung beauftragt. Das Ergebnis blieb unter Verschluss. Die Personalchefin sei seit ihrer Anzeige drangsaliert und mit Kündigung bedroht worden, sagte ihr Anwalt vor Gericht. Sie wollte nun Auskunft erstreiten über das Ergebnis der Untersuchung.

Wenige Tage nachdem die taz die Sache öffentlich gemacht hatte, verkündete der WWF Deutschland, dass Vorstand Brandes die Organisation verlässt. Die Stimmung in der NGO ist schon länger schlecht gewesen, zeigte die taz-Recherche. Mitarbeiterbefragungen hatten ein von Sexismus und Chauvinismus geprägtes Arbeitsklima aufgezeigt. Fast das komplette mittlere Management hatte der WWF-Führung per Brief das Misstrauen ausgesprochen.

Seit Brandes’ Weggang ist es ruhiger geworden beim WWF. Die Personalchefin hat ihre Klage mittlerweile zurückgezogen. Auf taz-Nachfrage erklärt eine WWF-Sprecherin, es habe eine Mediation zwischen dem Stiftungsrat und der Personalchefin gegeben. Volle Einsicht in den Untersuchungsbericht habe sie allerdings nicht bekommen. WWF Deutschland wird derzeit weiter vom Interimsvorstand Christoph Heinrich geführt. Und der WWF Deutschland will seine Führungsebene neu aufstellen. Drei Frauen wurden kommissarisch in die Geschäftsleitung geholt, zwei waren zuvor im operativen Naturschutzbereich. Der Richtungsstreit über mehr Basisdemokratie oder eine straffe, aber schlagfertigere Führung, so hört man, ist noch nicht entschieden.

Sebastian Erb, Anne Fromm

Der Bundestag und seine Polizei

Wie sicher ist das deutsche Parlament? Seit der Razzia gegen ein Netzwerk von Reichs­bür­ge­r:in­nen, die einen Staatsstreich geplant haben sollen und dabei mutmaßlich in den Bundestag eindringen wollten, wird diese Frage breit diskutiert. Der Bundestag selbst hat angekündigt, seine Zutrittsregeln zu verschärfen.

Bereits im vergangenen Jahr hatten Recherchen der taz gezeigt, dass die Sicherheit des Parlaments auch von innen bedroht ist. Wir hatten über rechtsextreme Vorfälle in der Bundestagspolizei berichtet. Danach wurden alle 200 Po­li­zis­t:in­nen in Einzelgesprächen befragt und gegen fünf Be­am­t:in­nen Disziplinarverfahren eingeleitet. Der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hatte damals zudem verpflichtende Schulungen zu „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ für die Po­li­zis­t:in­nen angekündigt.

Bisher nahmen an den vierstündigen Schulungen offiziellen Angaben zufolge etwa 80 der 132 Be­am­t:in­nen des mittleren Dienstes teil. Lernziel der Veranstaltung ist laut internen Unterlagen, dass die Teilnehmenden aktuelle extremistische Organisationen kennen, sich mit Rassismus, Antisemitismus und Radikalisierung beschäftigt haben sowie „mit aktuellen Präventionsansätzen“ vertraut sind.

File:Festnahme 4 (ex3179) sml.jpg

Die Bundestagsverwaltung bewies dann gleich selbst, dass diesbezüglich offenbar immer noch Verbesserungspotenzial besteht. Im Januar berichteten wir, dass der gerade erst neu berufene Chef des Sicherheitsreferats in einer ultrarechten Burschenschaft aktiv ist. Er wurde nach unserem Bericht versetzt, ist aber weiterhin Referatsleiter und nun bei den wissenschaftlichen Diensten unter anderem für den Bereich Strafrecht zuständig.

Drei Disziplinarverfahren laufen indes weiter, zwei Polizisten sind immer noch vom Dienst suspendiert. Das Strafverfahren, das gegen den Polizisten eröffnet wurde, der mutmaßlich den Hitlergruß gezeigt hatte, wurde von der Berliner Staatsanwaltschaft eingestellt. Auf Anfrage teilte sie mit, dass der mutmaßliche Hitlergruß nicht öffentlich gezeigt wurde, sondern in einem Pausenraum – und das sei nicht strafbar. Kersten Augustin, Sebastian Erb

Mit Sternschnuppenstaub gegen Covid

Quelle         :           TAZ-online          >>>>>       weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —      Rettungsdienst der Stadt Köln – Anlegen der Schutzausstattungen im Hof der Feuerwache 5, Köln-Weidenpesch Foto: Zwei Mitarbeiter des Rettungsdienstes mit FFP3-Masken als Mund-Nasen-Schutz, Schutzbrille und Overall vor einem Krankenwagen

Abgelegt unter Deutschland_DE, Medien, Positionen, Traurige Wahrheiten | Keine Kommentare »

Freiheit ist Freiheit.

Erstellt von Redaktion am 25. Dezember 2022

„Freiheit ist Freiheit. Niedertracht ist Niedertracht.“

Erst war die Straße und Brücke – dann kam der Zaun.

Von Serhij Zhadan

Seine Hände sind schwarz und abgearbeitet, das Schmieröl hat sich in die Haut gefressen und sitzt unter den Nägeln. Menschen mit solchen Händen wissen eigentlich zu arbeiten und tun es auch gern. Was sie arbeiten, ist eine andere Sache.

Klein, still und besorgt steht er da und erzählt von der Situation an der Front, von seiner Brigade, von der Technik, mit der er – der Fahrer einer Einheit – unterwegs ist. Plötzlich fasst er sich ein Herz und sagt: »Ihr seid doch Freiwillige«, sagt er, »kauft uns einen Kühlschrank.« »Was willst du denn an der Front mit einem Kühlschrank?« Wir verstehen nicht. »Aber wenn du ihn brauchst, dann fahren wir zum Supermarkt, du suchst dir einen aus, und wir kaufen ihn.« »Nein«, erklärt er, »ihr habt mich falsch verstanden: Ich brauche ein Fahrzeug mit einem Kühlschrank. Einen Kühlwagen. Um die Gefallenen abzutransportieren. Wir finden Leichen, die schon länger als einen Monat in der Sonne gelegen haben. Wir schaffen sie mit einem Kleinbus weg, da kriegst du keine Luft mehr.« Er spricht über die Leichen – seine Arbeit –, ruhig und gemessen, ohne Wichtigtuerei und auch ohne Hysterie. Wir tauschen unsere Nummern. Eine Woche später haben wir in Litauen einen Kühlwagen gefunden und bringen ihn nach Charkiw. Unser Bekannter und seine Kämpfer rücken mit der ganzen Mannschaft an, feierlich nehmen sie das Fahrzeug in Empfang und machen mit uns ein Selfie für einen Post. Dieses Mal trägt unser Bekannter eine Waffe und saubere Kleidung. Die Hände sind – wenn man genauer hinsieht – so schwarz wie zuvor, die tagtägliche schwere Arbeit, das sieht man den Händen am meisten an.

Die Unmöglichkeit, frei zu atmen und leicht zu sprechen

Was ändert der Krieg vor allen Dingen? Das Gefühl für Zeit und das Gefühl für Raum. Die Konturen der Perspektive, die Konturen der zeitlichen Ausdehnung ändern sich unglaublich schnell. Wer sich im Raum des Krieges befindet, macht keine Zukunftspläne, denkt nicht weiter darüber nach, wie die Welt morgen aussehen wird. Nur das, was jetzt und hier mit dir passiert, hat Bedeutung und Gewicht, nur Dinge und Menschen, mit denen du spätestens morgen zu tun hast – wenn du überlebst und aufwachst – haben Sinn. Die wichtigste Aufgabe ist es, unversehrt zu bleiben und sich den nächsten halben Tag durchzukämpfen. Irgendwann später wird sich zeigen, wird sich herausstellen, was man unternehmen und wie man sich verhalten muss, worauf man sich in diesem Leben verlassen kann und wovon man sich lösen muss. Das betrifft im Grunde genommen sowohl die Militärangehörigen als auch jene, die sich als „Zivilisten“, also unbewaffnet, in der Kontaktzone des Todes aufhalten. Genau dieses Gefühl ist es, das dich vom ersten Tag des großen Krieges an begleitet – das Gefühl der gebrochenen Zeit, des Fehlens von Dauer, das Gefühl der zusammengepressten Luft, du kannst kaum atmen, weil die Wirklichkeit auf dir lastet und versucht, dich auf die andere Seite des Lebens, auf die andere Seite des Sichtbaren abzudrängen. Die Überlagerung von Ereignissen und Gefühlen, das Aufgehen in einem zähen blutigen Strom, der dich erfasst und umfängt: diese Verdichtung, der Druck, die Unmöglichkeit, frei zu atmen und leicht zu sprechen, das ist es, was die Wirklichkeit des Krieges fundamental von der Wirklichkeit des Friedens unterscheidet. Doch sprechen muss man. Selbst in Zeiten des Krieges. Gerade in Zeiten des Krieges.

Natürlich ändert der Krieg die Sprache, ihre Architektur und ihr Funktionsfeld. Wie der Stiefel eines Eindringlings, eines Fremden beschädigt der Krieg den Ameisenhaufen des Sprechens. Also versuchen die Ameisen – die Sprecher der beschädigten Sprache – fieberhaft, die zerstörte Struktur zu reparieren, das, was ihnen vertraut ist, was zu ihrem Leben gehört, wiederherzustellen. Irgendwann ist alles an seinem Platz. Aber diese Unfähigkeit, sich der vertrauten Mittel zu bedienen, genauer gesagt, die Unfähigkeit, mit den früheren – aus friedlichen Vorkriegszeiten stammenden – Konstruktionen deinen Zustand zu beschreiben, deine Wut, deinen Schmerz und deine Hoffnung zu erklären – ist besonders schmerzhaft und unerträglich. Besonders, wenn du es gewohnt warst, der Sprache zu vertrauen und dich auf ihr Potenzial zu verlassen, das dir bislang unerschöpflich schien. Plötzlich aber zeigt sich, dass die Möglichkeiten der Sprache begrenzt sind, begrenzt von den neuen Umständen, von einer neuen Landschaft: einer Landschaft, die sich in den Raum des Todes, in den Raum der Katastrophe einschreibt. Jeder einzelnen Ameise kommt die Aufgabe zu, die Kongruenz des kollektiven Sprechens, des Gesamtklangs, der Kommunikation und Verständigung wiederherzustellen. Wer ist in diesem Fall der Schriftsteller? Auch eine Ameise, verstummt wie alle anderen. Seit Kriegsbeginn holen wir uns diese beschädigte Fähigkeit zurück – die Fähigkeit, sich verständlich zu machen. Wir alle versuchen zu erklären: uns selbst, unsere Wahrheit, die Grenzen unserer Verletzlichkeit und Traumatisierung. Vielleicht ist die Literatur hier im Vorteil. Weil sie alle früheren Sprachkatastrophen und -Brüche in sich trägt.

Wie soll man über den Krieg sprechen? Wie soll man mit den Intonationen umgehen, in denen so viel Verzweiflung, Wut und Verletzung mitschwingt, zugleich aber auch Stärke und die Bereitschaft, zueinander zu stehen, nicht zurückzuweichen? Ich glaube, das Problem mit der Formulierung der zentralen Dinge liegt derzeit nicht nur bei uns – die Welt, die uns zuhört, tut sich manchmal schwer, eine einfache Sache zu verstehen – dass wir, wenn wir sprechen, ein hohes Maß an sprachlicher Emotionalität, sprachlicher Anspannung, sprachlicher Offenheit zeigen. Die Ukrainer müssen sich nicht für ihre Emotionen rechtfertigen, aber sicher wäre es gut, diese Emotionen zu erklären. Warum? Schon allein deshalb, damit sie den Zorn und den Schmerz nicht länger allein bewältigen müssen. Wir können uns erklären, wir können beschreiben, was mit uns geschehen ist und weiter geschieht. Wir müssen uns darauf einstellen, dass das kein einfaches Gespräch wird. Aber so oder so müssen wir dieses Gespräch schon heute beginnen.

Frieden tritt nicht ein, wenn das Opfer der Aggression die Waffen niederlegt

Wichtig erscheint mir hier, dass sich der begriffliche Gehalt und die Nuancen unseres Vokabulars verschieben. Es geht dabei um die Optik, um die andere Sicht, den anderen Blickwinkel, aber vor allem eben um die Sprache. Manchmal kommt es mir so vor, als würde die Welt, wenn sie beobachtet, was sich da seit sechs Monaten im Osten Europas abspielt, von Wörtern und Begriffen Gebrauch machen, die das, was passiert, schon längst nicht mehr erklären können. Was zum Beispiel meint die Welt – ich weiß um das Irreale und Abstrakte der Bezeichnung, habe sie aber hier bewusst gewählt –, wenn sie den Frieden zu einer Notwendigkeit erklärt? Scheinbar geht es um die Beendigung des Krieges, das Ende der militärischen Konfrontation, um den Moment, wenn die Artillerie schweigt und Stille eintritt. Frieden sollte doch die Sache sein, die uns zur Verständigung führt. Was wollen die Ukrainer denn am meisten? Natürlich die Beendigung des Krieges. Natürlich Frieden. Natürlich die Einstellung der Gefechte. Ich, der ich im Zentrum von Charkiw im achtzehnten Stock wohne und vom Fenster aus beobachten kann, wie die Russen von Belgorod aus Raketen abfeuern, wünsche mir nichts sehnlicher als die Einstellung des Raketenbeschusses, die Beendigung des Krieges, die Rückkehr zur Normalität, zu einem natürlichen Dasein.

Warum werden die Ukrainer dann so oft hellhörig, wenn europäische Intellektuelle und Politiker den Frieden zu einer Notwendigkeit erklären? Nicht etwa, weil sie die Notwendigkeit des Friedens verneinen, sondern aus dem Wissen heraus, dass Frieden nicht eintritt, wenn das Opfer der Aggression die Waffen niederlegt. Die Zivilbevölkerung in Butscha, Hostomel und Irpen hatte überhaupt keine Waffen. Was die Menschen nicht vor einem furchtbaren Tod bewahrt hat. Die Bewohner von Charkiw, die von den Russen permanent und wüst mit Raketen beschossen werden, haben auch keine Waffen. Was sollten sie denn nach Meinung der Anhänger eines um jeden Preis schnell geschlossenen Friedens tun? Wo sollte für sie die Grenze zwischen einem Ja zum Frieden und einem Nein zum Widerstand verlaufen?

Wenn wir jetzt, im Angesicht dieses blutigen, dramatischen und von Russland entfesselten Krieges über Frieden sprechen, wollen einige eine simple Tatsache nicht zur Kenntnis nehmen: Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden. Es gibt verschiedene Formen eines eingefrorenen Konflikts, es gibt zeitweilig besetzte Gebiete, es gibt Zeitbomben, getarnt als politische Kompromisse, aber Frieden, echten Frieden, einen Frieden, der Sicherheit und Perspektive bietet, gibt es leider nicht. Und wenn manche Europäer (zugegebenermaßen nur ein sehr kleiner Teil) den Ukrainern ihre Weigerung, sich zu ergeben, fast schon als Ausdruck von Militarismus und Radikalismus anlasten, tun sie etwas Merkwürdiges – beim Versuch, in ihrer Komfortzone zu bleiben, überschreiten sie umstandslos die Grenzen der Ethik. Das ist keine Frage an die Ukrainer, das ist eine Frage an die Welt, an ihre vorhandene (oder nicht vorhandene) Bereitschaft, um fragwürdiger materieller Vorteile und eines falschen Pazifismus willen ein weiteres Mal das totale, enthemmte Böse zu schlucken.

Appelle an Menschen zu richten, die ihr Leben verteidigen, Opfer zu beschuldigen, Akzente zu verschieben, gute und positive Parolen manipulierend einzusetzen, ist für den einen oder anderen eine ziemliche bequeme Form, die Verantwortung abzuschieben. Dabei ist alles ganz einfach: Wir unterstützen unsere Armee nicht deshalb, weil wir Krieg wollen, sondern weil wir unbedingt Frieden wollen. Nur ist die uns unter dem Vorwand des Friedens angetragene, sanfte und diskrete Form der Kapitulation nicht der geeignete Weg zu einem friedlichen Leben und zum Wiederaufbau unserer Städte. Vielleicht müssten die Europäer weniger Geld für Energieträger ausgeben, wenn die Ukrainer kapitulierten, aber wie würden sich die Menschen in Europa fühlen, wenn sie sich bewusst machten (woran gar kein Weg vorbeiführt), dass sie ihr warmes Zuhause mit vernichteten Existenzen und zerstörten Häusern von Menschen erkauft haben, die auch in einem friedlichen und ruhigen Land leben wollten?

Ein Verbrecher ist ein Verbrecher

Es geht hier, das möchte ich noch einmal betonen, um die Sprache. Darum, wie genau und zutreffend die Wörter sind, die wir verwenden, wie markant unsere Intonation, wenn wir über unser Dasein an der Bruchstelle von Leben und Tod sprechen. Inwieweit reicht unser Vokabular – also das Vokabular, mit dem wir gestern noch die Welt beschrieben haben – inwieweit reicht es jetzt aus, um über das zu sprechen, was uns schmerzt oder stark macht? Schließlich befinden wir uns heute alle an einem Punkt des Sprechens, von dem aus wir früher nicht gesprochen haben, wir haben ein verschobenes Wahrnehmungs- und Bewertungssystem, veränderte Bedeutungsbezüge, veränderte Maßstäbe für Angemessenheit. Was von außen, aus der Entfernung, womöglich aussieht wie ein Gespräch über den Tod, ist in Wirklichkeit der verzweifelte Versuch, am Leben, an seiner Existenz und seiner Dauer festzuhalten. Wo in dieser neuen, gebrochenen und verschobenen Wirklichkeit endet denn der Krieg, und wo beginnt der Frieden? Der Kühlwagen mit den Leichen der Gefallenen – geht es da noch um Frieden oder schon um Krieg? Wenn Frauen an Orte gebracht werden, an denen keine Gefechte stattfinden – wofür ist das eine Unterstützung? Für die friedliche Lösung des Konflikts? Das Tourniquet, das du für einen Soldaten gekauft hast und das ihm das Leben rettet – ist das noch humanitäre Hilfe oder schon eine direkte Unterstützung der Kämpfenden? Und wenn du jenen hilfst, die für dich, für die Zivilisten in den Kellern, für die Kinder in der Metro kämpfen, hast du dann die Grenzen eines achtbaren Gesprächs über das Gute und über Empathie überschritten? Müssen wir unser Recht auf Existenz in dieser Welt in Erinnerung rufen, oder ist dieses Recht offensichtlich und unantastbar?

Quelle          :          Blätter-online           >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —     Über die Brücke fuhren früher die Kohlezüge zum Kraftwerk Reuter.

Abgelegt unter Asien, Europa, Kriegspolitik, Medien | Keine Kommentare »

Wer Oben sitzt weiß alles

Erstellt von Redaktion am 24. Dezember 2022

Was können wir von pandemischen Abstandskultur für den Umgang mit der Öko-Katastrophe lernen?

Die Oben sitzenden wollen belehren da sie glauben alles zu wissen und zu können.  

Quelle        :     Berliner Gazette

Von          :    Kilian Jörg

Die Welt steht in Flammen, real und virtuell. Was läge näher als Weltflucht? Eskapismus – dieses tendenziell unpolitische, reaktionäre und verantwortungslose Verhalten – ist in Zeiten des Umbruchs immer wieder zu beobachten gewesen. Nichts Neues im Westen, also? Der Autor Kilian Jörg schlägt vor, sich nicht mit Diagnosen des Zeitgeists zu begnügen, sondern die Frage nach den politischen Lektionen zu stellen.

Die letzten Jahre haben einen Boom des politischen Aktivismus erlebt: Die Ungerechtigkeit der Welt wird wieder vermehrt in ihren rassistischen, sexistischen und ökologisch katastrophalen Problemzusammenhängen erfasst und mannigfaltig auf den Straßen, in den Wäldern und Zeitungen, auf den Messen und Social Media-Plattformen skandiert und bekämpft. Gleichzeitig macht sich ein großes Bedürfnis nach Rückzug und Desinvolvierung aus der rasenden, hypervernetzten Welt des Desasterkapitalismus bemerkbar, welches wohl seinen stärksten Ausdruck in der euphorischen Überaffirmation des sogenannten Social Distancing in der ersten pandemisch bedingten Lockdownphase 2020 erlebt hat: Landflucht, Rückzug, Nicht-Berührbar-Sein-Wollen und ein oftmals strenges Sich-Raushalten aus den als falsch erkannten Diskursen haben zum ersten Mal landläufig eine positive, gar progressive Konnotation erfahren.

Hierin besteht eine Grundspannung der aktivistischen Gegenwart: Die Welt ist eine vielfache, beinahe unüberschaubare Katastrophe und es gilt unbedingt etwas an ihr zu ändern. Gleichzeitig muss man seine Angriffsfläche mit Bedacht wählen und von ganz vielen Dingen wegschauen, um an einer Stelle überhaupt produktiv handeln zu können. Um etwas zu ändern, muss man von viel anderem wegsehen – denn das Zuviel lähmt zu leicht.

Sich-Raushalten?

Traditionellerweise wird Sich-Raushalten als reaktionärer Eskapismus und bürgerlicher Defaitismus verstanden. „Wie kannst Du im Angesicht der Lage nur untätig bleiben?“ Eine progressive Affirmation der Desinvolvierung fehlt in den meisten aktivistischen Kontexten, weswegen Burnout, Erschöpfung und Zersetzung so oft zum Problem werden. Es mag zur Zeit des Ausnahmezustandes während der Covid-19-Pandemie gar nicht richtig aufgefallen sein, bedarf meines Erachtens aber umso mehr einer gründlichen, theoretischen Nachbetrachtung: Zum ersten Mal war Sich-Raushalten und Zuhause-Bleiben die progressive Tugend der Stunde.

Wann wird eine kompromisslos und unabdingbar vorpreschende Haltung zum Problem? Wieviel Filterarbeit und Blasenbildung braucht ein effizienter Aktivismus? Und wann und wie kann Sich-Raushalten nicht als stillschweigendes Einlenken mit der furchtbaren Norm, sondern als notwendiges Fokussieren und Konzentrieren der Kräfte für den Kampf um Veränderung verstanden werden?

Grundannahme einer hier tentativ skizzierten Ethik einer „Neuen Vorsicht“ ist, dass es das Bedürfnis nach Desinvolvierung stets und in egal welchem politischen Lager gibt, es bislang aber noch kaum gelungen ist, dieses Bedürfnis auf einen progressiv-emanzipatorischen Begriff zu bringen.

Neue Vorsicht

Neue Vorsicht. – Lasst uns nicht mehr so viel an Strafen, Tadeln und Bessern denken! Eine*n Einzelne*n werden wir selten verändern; und wenn es uns gelingen sollte, so ist vielleicht unbesehens auch Etwas mitgelungen: wir sind durch sie* verändert worden! Sehen wir vielmehr zu, dass unser eigener Einfluss auf alles Kommende ihren* Einfluss aufwiegt und überwiegt! Ringen wir nicht im directen Kampfe! – und das ist auch alles Tadeln, Strafen und Bessernwollen. Sondern erheben wir uns selber um so höher! Geben wir unserm Vorbilde immer leuchtendere Farben! Verdunkeln wir die Andere*n durch unser Licht! Nein! Wir wollen nicht um ihretwillen selber dunkler werden, gleich allen Strafenden und Unzufriedenen! Gehen wir lieber bei Seite! Sehen wir weg!“

In diesem Aphorismus Friedrich Nietzsches aus der Fröhlichen Wissenschaft (§ 321 – gegendert von mir)drückt sich eine Intuition einer progressiven Desinvolvierung aus, der ich in diesem Essay nachgehen möchte.

Einer Haltung der Vorsicht und des Wegsehens werden in klassisch linkem Politikverständnis leicht reaktionäre und eskapistische Tendenzen vorgehalten. Diese Art von negativ verstandener Vorsicht wird mit privilegierter Zurückgezogenheit, Borniertheit und der Unfähigkeit assoziiert, aus sich selbst herauszukommen. Dem entgegen stellt man den Wagemut des Aktivisten, der aus der eigenen Komfortblase und der eigenen sicheren Umgebung ohne Rücksicht auf Verluste heraus prescht, um die Ungerechtigkeit der Welt zu bekämpfen. Der Aktivist in diesem Beispiel ist nicht mit Genderstern angeführt, um auf den meines Erachtens maskulinistischen Heldenpathos in dieser Konfrontationslogik hinzuweisen – wobei ich selbstverständlich damit nicht ausschließen will, dass auch weiblich gelesene Personen diese Art von Maskulinums performen können (oder teilweise sogar sollen).

Doch auch jenseits einer solchen feministischen Kritik an einer konfrontativen Aktivismus Logik ist noch etwas dran an der Gefahr, aufgrund einer Haltung der Vorsicht und des Vorzugs der Desinvolvierung in eine Art bürgerlichen Eskapismus abzurutschen, der sich den Problemen der Welt nicht (mehr) stellen möchte und also in eine privilegierte Komfortblase flüchtet. Die Wahrnehmung wird dann selektiv und baut auf einem Ausblenden der Strukturen auf, die den eigenen Komfort auf der Ausbeutung von anderen basieren lässt.

Alte und Neue Vorsicht

Zum Zweck der analytischen Abgrenzung möchte ich diese Art Vorsicht tentativ als „Alte Vorsicht“ bezeichnen und von der „Neuen Vorsicht“ abgrenzen, wobei die Adjektive „neu“ und „alt“ nicht so sehr als eine zeitliche Abfolgenordnung verstanden werden sollen, sondern eher als eine Unterscheidung der Einstellung gegenüber Neuem bzw. Altem. Ich glaube nicht, dass es die hier so bezeichnete „Alte Vorsicht“ zeitlich eher gab als die Neue. Vielmehr denke ich, dass beide Varianten in fast allen Haltungen der Vorsicht angelegt und stets latent vorhanden sind – es handelt sich immer um einen Balanceakt zwischen ihnen, was ein Nachdenken über sie so leicht ambivalent und explosiv macht.

Keine der beiden Vorsichten existiert jemals in Reinform – die Distinktion ist also bloß eine analytische. Die „Alte Vorsicht“ wird demnach als solche bezeichnet, weil sie das Alte und Bestehende akzeptiert und eskapistisch bejaht, während eine dem entgegengestellte „Neue Vorsicht“ versucht, den Rückzug und die Desinvolvierung dahingehend zu nützen, um einen feineren Geschmack für die latenten Potenziale zur Erneuerung zu entwickeln.

Diese Potenziale finden sich nämlich, wie diverse Theoretiker*innen des Minoritäten in der Folge von Gilles Deleuze und Felix Guattari argumentieren, zumeist außerhalb des Bereich des in der majoritären Ordnung Sichtbaren, weswegen eine Haltung der Vorsicht gegenüber dem Zuviel an sichtbaren (Ungerechtigkeiten) notwendig wird. Man kann den ganzen Tag und die ganze Nacht damit verbringen, sich über jeden problematischen Twitter-Post aufzuregen, der einer* angezeigt wird – doch ändern wird dies nichts an der problematischen Ordnung der Welt.

Vorsicht in einer anderen Natur

Die „Alte Vorsicht“ kann im klassischen Philosophiekanon mit diversen Positionen assoziiert werden, unter anderem jener der antiken Traditionen der Stoa oder der Kyniker, in modernen Texten besonders mit jenen von Kierkegaard und Schopenhauer. Schnell zusammengefasst, um nicht zu sehr in diese Denkgeschichte weißer Männer abzudriften, lässt sich die Tendenz der „Alten Vorsicht“ mit einer Ausrichtung des Lebens im Einklang mit den vorgefundenen Umständen (oftmals: „der Natur“) identifizieren. Ziel ist die Entwicklung einer Art Gelassenheit gegenüber diesen vorgefundenen Umständen, die man nicht ändern kann. Man zuckt die Achseln gegenüber der Schlechtigkeit der Welt und zieht sich in die Komfortblase einer stoischen Ruhe zurück. Das Problem an der Haltung der „Alten Vorsicht“ wäre aus aktivistischer Perspektive demnach, dass man sich durch eine als statisch und unveränderlich definierte „Natur“ der Dinge die Umstände der eigenen Lebensweise diktieren lässt und man also reaktionär in dem Maße wird, wie man sich an die vorgegebenen und sichtbaren Seins-Umstände anpasst.

Wohingegen dieser Traditionslinie einer Alten Vorsicht im Kanon viel Raum zugestanden wird, ist einer anderen Vorsicht, die innerhalb dieser „Natur“ Potenziale zur Veränderung und Erneuerung sucht, wenig Theoriebildung gewidmet. Deswegen konnte sie Nietzsche wohl auch als „Neue Vorsicht“ bezeichnen.

Diese „Neue Vorsicht“ zeichnet sich meines Erachtens durch einen radikal veränderten – und nicht mehr modernen – Begriff von „Natur“ aus. Zu lange wurde im abendländischen Kanon „Natur“ als etwas dem Menschen Äußeres verstanden – etwas, dem man entweder seinen* Willen aufzwingen muss oder dem man sich defätistisch fügen muss. Doch spätestens in einem Zeitalter der Katastrophen, wie Isabelle Stengers das vom „Einbrechen des Ökologischen“ gekennzeichnete Anthropozän nennt, ist dieser moderne Begriff der „Natur“ an seine semantischen Grenzen gestoßen. Die scharfe Trennung zwischen menschlicher Kultur und äußerer Natur ist in der Zeit des Ozonloch oder des Klimawandel hinfällig geworden: Unsere Kulturen haben massiven Einfluss auf das, was wir „Natur“ nannten und die jeweilig spezifische “Natur“ hat einen wesentlichen Einfluss auf die Bildung von „Kultur“. Wir Menschen können uns nicht mehr als der Natur Äußeres begreifen. „Wir verteidigen nicht die Natur, wir sind die Natur, die sich verteidigt“ –in diesem aktivistischen Slogan, der ursprünglich aus den französischen „ZADs“ stammt, drückt sich dieses neue politische Verhältnis am bisher klarsten aus.

In dieser neuen politischen Gemengelage nimmt auch die Vorsicht einen neuen und für die Neuerung oder Veränderung wesentlichen Platz ein. Entgegen einer „Alten Vorsicht“ kultiviert eine „Neue Vorsicht“ das Wegsehen und In-die-Blase-Gehen dann nicht als Selbstzweck einer ethischen Beruhigung und Befriedigung, sondern um die Veränderungs- wie Gefahrenpotentiale der sogenannten Natur, von der man sich nicht mehr abgrenzen kann, besser schmecken zu können. Diese Art von „Neuer Vorsicht“ blendet bewusst und gekonnt die allerorts sichtbaren Seins-Zustände aus, um sich für das Werden der Welt mitgestaltend zu sensibilisieren.

Das Virus zersetzt die Natur-Kultur-Dichotomie

Meine These ist, dass im Zuge der Pandemie-bedingten Lockdowns der letzten Jahre ein Vorzeichenwechsel entstanden ist, der die Entwicklung einer solchen Ethik der Neuen Vorsicht gleichzeitig notwendig und möglich macht. Das Virus verdeutlicht am vielleicht klarsten, dass die Natur auch in unserem Inneren ist. Die Kultur-Natur-Dichotomie hält dem mikrobiellen Bereich keine Sekunde stand und in Zeiten einer Pandemie merken wir plötzlich alle, dass alle unsere kulturellen Institutionen stets unter dem Einfluss der sogenannten „Natur“ stehen: gänzlich neue soziale Gepflogenheiten und Selbstverständlichkeiten mussten sich aufgrund der Pandemie entwickeln.

Der Begriff des „Social Distancing“ konnte sich während der Pandemie trotz seiner seltsamen antisozialen Konnotationen deshalb so breit durchsetzen, weil er ein bislang auf linker Seite eher moralisch verfemtes Bedürfnis nach Abstandskultur auf einen majoritären Begriff gebracht hat, der plötzlich progressiv und emanzipatorisch konnotiert war. Zum ersten Mal konnte man sich distanzieren und raushalten, ohne vom nagenden schlechten Gewissen heimgesucht zu werden. Plötzlich stand man auf der moralisch guten Seite, wenn man sich raushielt.

Niemand hat Politiker-innen gerufen – die Schwachköpfe fühlen sich berufen.

Weil die Natur im landläufigen Verständnis intuitiv als etwas Äußeres verstanden wurde, puschte man sich, wie der Stroh männische Aktivist am Anfang dieses Kapitels, zu oft in die permanente Aktion gegen das Schlechte in der Welt und konnte dem Bedürfnis nach Rückzug kaum Positives abgewinnen. Auch noch während der Pandemie verzweifelten linke Denker*innen älterer Schule, wie Giorgio Agamben, über diesen Verlust der für sie als politisch unumgänglich betrachteten Nähe-Involvierung, während jüngere, Queer-Denker*innen, wie Eva von Redecker, darin die Utopie eines „solidarischen Distanzgebens“ sahen.

Wenn die Natur hingegen stets in mannigfaltiger Weise auch in uns vorhanden ist, bedarf es einer vorsichtigen Filterarbeit, den richtigen Impulsen und Potentialen zu folgen. Vieles nicht sehen, um das produktive Chaos der Welt zu spüren und mit ihm plural, vielfältig, kreativ und gleichzeitig vorsichtig spielen zu können.

Freilich liegt auch in dieser neuen Haltung die Gefahr einer moralisierenden Normierung, wie wir in der Corona-Krise und ihrem sozialen Ergebnis einer extremen Polarisierung in zwei verfeindete (und gleichermaßen auf komplexitätsfeindliche Slogans verkürzte) Lager bereits bezeugen mussten. Doch gerade in der Kultivierung (anstatt eben der Moralisierung) einer Neuen Vorsicht und Abstandskultur auch noch lange nach der Covid-19-Pandemie liegt ein wesentliches politisches Potenzial, dem rasenden Stillstand unserer spätkapitalistischen Welt zu entkommen und im Zeitalter der Katastrophen der Komplexität der Lage gerecht zu werden.

Das Streben nach Wegsehen und (sicherer) Blase ist kein bloß reaktionäres und rechtes. Besonders in Zeiten von extremen Umweltkatastrophen und globaler Vernetzung, in der uns die Schreckensnachrichten der Gegenwart in eine Art schockierte Dauerlähmung bringen können, entpuppt sich eine Neue Vorsicht als wichtige Übung zur Bewahrung eines kühlen Kopfes und guten Geschmacks, um nicht bloß den majoritären Affektstimuli und ihren vorgegebenen Handlungsschemata hilflos ausgeliefert zu sein. Neue Vorsicht wird dann zu einer zentralen Voraussetzung für das Beibehalten von nachhaltiger Solidarität und Handlungsfähigkeit.

Anm. d. Red.: Mehr zu dieser hier skizzierten Neuen Vorsicht findet sich im jüngst erschienen Buch des Autors „Neue Vorsicht – Philosophie des Abstands im Zeitalter der Katastrophen.“

Copyright | Creative Commons-Lizenz

Dieses Werk ist unter einem Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Unported Lizenzvertrag lizenziert. Um die Lizenz anzusehen, gehen Sie bitte auf creativecommons.org oder schicken Sie einen Brief an Creative Commons, 171 Second Street, Suite 300, San Francisco, California 94105, USA.

*********************************************************

Grafikquellen     :

Oben       —   Protest von FridaysForFuture und Anderen, sowie Ankunft der Verhandlungsteilnehmenden an der Messe Berlin zum letzten Tag der Sondierungsgespräche für eine Ampelkoalition.

Abgelegt unter Arbeitspolitik, International, Kultur, Medien, Regierung, Umwelt | Keine Kommentare »

Von Entdecker und Viren

Erstellt von Redaktion am 22. Dezember 2022

Warum sind die „Entdecker“ neuer Kontinente nicht an einem für sie neuen, einheimischen Virus gestorben?

Erste Reise, Abfahrt in die Neue Welt, 3. August 1492.jpg

Vielleicht gab es zu Zeiten der großen Entdecker weniger Viren, da die Welt noch intakt war?

Von Johannes Kreis

Wir möchten die Frage stellen, wenn man Viren einschleppen können soll, warum kann man Viren nicht auch abholen?

Oder anders gefragt, warum sollen Ureinwohner an den neuen Viren der Kolonisatoren gestorben sein, die Kolonisatoren aber nicht an den für sie neuen Viren der Ureinwohner? In Bezug auf Virusvarianten von den Ureinwohnern waren die Populationen der ankommenden Kolonisatoren naiv. Hier geht es um Prozesse auf der molekularen Ebene und da gibt es keine ausgezeichnete Richtung, vom Kolonisator zum Ureinwohner.

Charles Darwin umsegelte auf der HMS Beagle 5 Jahre lang, von 1831 bis 1836, die ganze Welt und verstarb 1882 im Alter von 73 Jahren in England. Es wird auch nichts von Pandemien berichtet, die Charles Darwin und der HMS Beagle gefolgt wären.

Deshalb hier einige Anmerkungen.

Es geht wieder um die Zoonose-Hypothese, die den diversen Fakedemien der letzten 40 Jahre zugrunde liegt. Ohne die Zoonose-Hypothese geht es nicht.

Es gibt keinen Beweis, dass in den letzten 40 Jahren alle 3-8 Jahre ein Virus von einem Tier auf den Menschen als neuen Wirt übergesprungen ist und zu einer Pandemie geführt hat, angefangen mit HIV, über BSE, MERS, SARS(1), diverse Schweine- und Vogelgrippen, SARS-CoV2 bis zu den Affenpocken.

Man kann eine Zoonose nicht aus dem genetischen Abstand zwischen einer Virussequenz beim Tier und einer Virussequenz beim Menschen herauslesen. Dieser Abstand ist beliebig, denn er wird auf Basis von ausgesuchten Referenzsequenzen, einmal beim Tier und einmal beim Menschen bestimmt. Aufgrund der extrem hohen genetischen Variabilität von Viren („quasi-species“) gibt es in der Natur keine definierten Referenz-Sequenzen. Die gibt es nur in den Gen-Datenbanken, die zu stark von den Referenz-Sequenzen abweichende Virensequenzen nicht aufnehmen. Damit werden die Referenz-Sequenzen stabilisiert und man versucht, künstlich einen Abstand aufrecht zu erhalten, über den eine Virus springen könnte. Findet man dann irgendwann eine Gensequenz beim Menschen, die einer viralen Sequenz bei einem Tier ähnlich ist, so erklärte man eine Zoonose. Das geht nur deshalb, weil man alle Zwischenschritte, die im Rahmen der natürlichen Evolution zu der neuen Sequenz beim Menschen geführt haben, nicht erfasst. Man könnte sie auch gar nicht erfassen, weil es viel mehr Virusvarianten in  der Natur gibt, als der winzige Bruchteil suggeriert, der selektiv in den Gen-Datenbanken erfasst wurde. Der neue, mutmaßlich zoonotische Erreger wird dann pauschal als kausal für eine Vielzahl von diffusen Symptomen erklärt.

Ohne das singuläre Ereignis der Zoonose funktioniert der ganze Pandemie-Hokuspokus nicht. Weil der Erreger (hier ein Virus) für den Menschen neu sein soll, soll er besonders gefährlich sein. Dafür gibt es ebenfalls keinen Beweis. Das ist unabhängig von der Frage, ob es überhaupt eine Zoonose gab.

Man greift deshalb zu Plausibilisierungen und nimmt historische Ereignisse, bei denen Erreger neu in eine Population eingebracht worden sind, oder dies zumindest plausibel ist, und behauptet, dass es daraufhin ein Massensterben in dieser Population gegeben hätte. So wäre zwar die Zoonose weiterhin nicht bewiesen, aber dennoch die Gefährlichkeit neuer Erreger, die in eine naive Population gelangen.

So wird häufig behauptet, dass indigene Menschen (Ureinwohner) von neuen Krankheitserregern getötet worden wären, die von den Kolonisatoren eingeführt wurden, z.B. während der Kolonialisierung Amerikas (Christoph Columbus im Jahr 1492) oder Chinas (Marco Polo im 13. Jahrhundert) oder Japans (portugiesische Seeleute aus Macau, 1542, und katholische Missionare ab 1549) oder Indiens (unter anderem Vasco da Gama, 1498).  Ein jüngeres Beispiel sollen die Eskimos (Inuit) sein.

Dieses Argument basiert nur auf kolonialer Arroganz, da umgekehrt die Kolonisatoren (die „Eroberer“)  auch mit einer neuen Bevölkerung von Menschen und damit für sie neuen menschlichen Viren (und anderen Erregern) konfrontiert waren. Denn auch in den Ureinwohnern haben sich beständig neue Virusvarianten entwickelt. Und die indigene Bevölkerung war viel größer und lebte in einer Umgebung, die für die Kolonisten völlig neu war, aber nicht neu für die Ureinwohner.

Warum sollten Krankheitserreger der Ureinwohner die Kolonisten nicht durch den gleichen Effekt getötet haben? Das Argument sollte in beide Richtungen funktionieren. Und irgendwann sind die Kolonisatoren auch wieder zurückgesegelt. Aber abgeholte und zurückgeschleppte Pandemien werden nicht berichtet.

Es gibt keine Erwähnung einer Pandemie in Troja, als die Griechen Troja belagerten, weder auf der griechischen noch auf der trojanischen Seite, weder vor noch nach der Eroberung Trojas. Die Sklavenschiffe, die vom 17. bis 19. Jahrhundert von Afrika nach Amerika (und zurück) segelten, importierten keine Pandemie nach Amerika (und auch nicht zurück nach Zentralafrika).

China, Indien und Japan haben sich auch nach der Ankunft westlicher Seefahrer weiterentwickelt und sind nicht von eingeschleppten Viren vernichtet worden. Auch sind die westlichen Seefahrer nicht an für sie neuen chinesischen, indischen oder japanischen Viren gestorben.

Die Wahrheit ist viel einfacher, aber auch deutlich brutaler. Die Indianer in Nord- und Südamerika wurden schlicht versklavt und umgebracht. In China, Indien und Japan ist das nicht gelungen.

Das gleich gilt für die Eskimos, deren Lebensraum immer weiter eingeschränkt wurde. Umgekehrt hätten die Eindringlinge in diesen Lebensraum an neuen Virenvarianten, die sich unabhängig in der Eskimo-Population entwickelt haben, erkranken müssen.

In Bezug auf die Eskimos (Inuit) ist vielmehr zu fragen, von welchen suppressiven Maßnahmen der kanadischen Regierung, z.B. Zwangssterilisation von Frauen, die Viren-Diskussion ablenken soll.

“At least 60 Indigenous women are pursuing a class-action lawsuit against the Saskatoon Health Region, the province of Saskatchewan, the Canadian government and medical professionals for their experiences with coerced, forced or pressured sterilization in Saskatchewan over the course of 20 to 25 years. The procedures, which occurred from about the 1930s to as recently as 2017, targeted Indigenous women specifically.

Die aktuelle Diskussion zu RSV Viren bei Eskimos, die vor allem von Veterinärmedizinern aus dem RKI Umfeld getrieben wird, zeigt nur eins, PCR ist zur Diagnose einer Erkrankung vollkommen ungeeignet. Hier sitzt die Virologie erneut ihren eigenen, falschen Hypothesen auf. Sobald der PCR Test anschlägt, wird das Testresultat als kausal ursächlich für eine Erkrankung unterstellt. Dass das falsch ist, sieht man schon daran, dass es zur Aufrechterhaltung dieses Unsinns notwendig ist, positiv Getestete ohne Symptome als „symptomlos erkrankt“ zu definieren

Baculoviridae virion.jpg

Der PCR Humbug der „symptomlos Erkrankten“ geht auf HIV und die Hypothese des „slow virus“ zurück. Ein „langsamer Virus“ soll 15 – 20 Jahre nach einer Infektion zu Symptomen führen. D.h. 15 – 20 Jahre lang soll man symptomlos an HIV (nicht AIDS!) erkrankt sein, bevor man danach symptomatisch am AID Syndrom, d.h. an opportunistischen Infektionen durch eine Immunschwäche erkranken soll. Es gibt das AID Syndrom, das in den 1980er und 1990er Jahren bei schwer drogenabhängigen und mangelernährten Homosexuellen in den USA auftrat, nach Jahren des Antibiotikamißbrauchs und multiplen Infektionen mit Geschlechtskrankheiten durch ungeschützten Analverkehr. Aber das AID Syndrome hatte nie etwas mit HIV zu tun. Es gibt keinerlei Beweise für die Existenz von „langsamen Viren“. Nur, nach 15 -20 Jahren der antiretroviralen Therapie ist jeder Mensch krank, von den schweren Zellgiften der mutmaßlichen HIV Therapie (nicht AIDS Therapie!).

Bei diesem Pseudo-Argument des „Einschleppens von neuen Viren“ geht es darum, einerseits die grundsätzliche Gefährlichkeit von Viren zu belegen und gleichzeitig die besondere Gefährlichkeit von mutmaßlich neuen Erregern in einer naiven Population zu beweisen. Mit genau denselben Pseudo-Argumenten hat man in den 1990er Jahre zu HIV argumentiert. Tatsächlich wurden die Ureinwohner Amerikas einfach umgebracht (im Gegensatz zu den Chinesen, Indern und Japanern) und HIV+ gemessene Menschen starben an hohen Dosen des hochgiftigen AZT.

Die weit überwiegend milden bis unbemerkten Verläufe bei einer SARS-CoV2 Infektion zeigen, dass die überwiegende Mehrzahl der Menschen rasch eine Immunität aufbauen konnte.

Zum einen kann die zelluläre Immunantwort spezifisch auf Viren reagieren. Das ist für SARS-CoV2 seit April 2020 bekannt. Christian Drosten und Leif Erik Sander sind Co-Autoren dieser Arbeit, die eine vorangegangene Exposition mit endemischen humanen Cornaviren (HCoV) annimmt. Dieser Mechanismus wirkt unabhängig von Antikörpern („seronegative“).

“We demonstrate the presence of S-reactive CD4+T cells in 83% of COVID-19 patients, as  well  as  in  34%  of SARS-CoV-2  seronegative  healthy  donors (HD),  albeit  at  lower frequencies.”

“In light of the very recent emergence of SARS-CoV-2, our data raise the intriguing possibility that pre-existing S-reactive T cells in a subset of SARS-CoV-2 seronegative HD represent cross-reactive clones raised against S-proteinsprobably acquired as a result of previous exposure to HCoV. Endemic HCoV account for about 20% of “common cold” upper respiratory tract infections in humans.”

Zum anderen, viel wichtiger, auch gegen einen unterstellten, neuartigen Erreger wie SARS-CoV2 kann das Immunsystem wirksame Antikörper bilden (humorale Immunantwort). Das ist das „Ischgl-Phänomen“ aus Mitte 2020, das durch Daten aus England, ebenfalls aus Mitte 2020, bestätigt wurde. Das RKI hat dies vollständig ignoriert.

„Auffällig sei, dass von den positiv auf Antikörper getesteten Personen zuvor nur 15 Prozent die Diagnose erhalten hatten, infiziert zu sein, sagt von Laer. „85 Prozent derjenigen, die die Infektion durchgemacht haben, haben das unbemerkt durchgemacht.“

“However, additional analysis shows that, of those who tested positive, only 33% (95% confidence interval: 25% to 43%) reported any evidence of symptoms at the time of their swab test or at either the preceding or subsequent swab test. The share fell to 22% of those testing positive when accounting for those who reported evidence of symptoms only at the time of their swab test.”

Ohne wirksame Antikörper sind diese “symptomlosen Erkrankungen” nicht zu erklären. Aufgrund einer natürlichen Infektion gebildete Antikörper wirken zudem viel breitbandiger, als aufgrund einer Impfung produzierte Antikörper, da bei der natürlichen Infektion der Körper dem ganzen Virus ausgesetzt ist und nicht nur einem kleinen Bruchstück. Es nicht erforderlich, dass der Mensch permanent Antikörper produziert. Der Körper stellt nach einigen Wochen die Produktion dieser Antikörper ein und bildet Gedächtniszellen, die bei Bedarf sofort spezifische Antikörper bereitstellen können, falls der Körper erneut mit dem Erreger infiziert wird. Der Mensch ist dann immun.

Es hat massive Versuche gegeben, aufgrund einer natürlichen Infektion gebildete Antikörper gegen SARS-CoV2 als wirkungslos zu erklären, so wie man das bei HIV gemacht hatte. Nur durch eine Impfung erzeugte Antikörper oder industriell produzierte monoklonale Antikörper sollten wirksam sein. Bei einem Atemwegsvirus mit einer Inkubationszeit von einigen Tagen, war dieser Unsinn schnell wiederlegt.

Die hohen Antikörper-Level Mitte 2020 durch natürliche Infektion sind plausibel, denn sie wurden auch bei anderen Coronaviren beobachtet, vgl.

  • Severance et al., “Development of a Nucleocapsid-Based Human Coronavirus Immunoassay and Estimates of Individuals Exposed to Coronavirus in a U.S. Metropolitan Population”, Clin Vaccine Immunol. 2008 Dec; 15(12): 1805–1810, published online 2008 Oct 22, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2593164/

“We screened sera from 10 children and 196 adults and established primary cutoff points based on immunoglobulin G (IgG) antibody levels of the predominantly seronegative children. The proportion of seropositive adults for each coronavirus was as follows: 229E, 91.3%; HKU1, 59.2%; NL63, 91.8%; and OC43, 90.8%.

Damit hat sich SARS-CoV2 wie ein endemischer Virus verhalten. Das ist auch konsistent mit dem niedrigen Krankenstand in 2020 , wie ihn übereinstimmend alle Krankenkassen berichtet haben, vgl. stellvertretend,

Krankenstand insgesamt gesunken – Insgesamt betrachtet, liefert der Gesundheitsreport jedoch keine Hinweise auf eine grundsätzliche Verschlechterung der Gesundheit von Erwerbspersonen durch die Coronapandemie. Mit einem Krankenstand von 4,14 Prozent lag das Jahr 2020 sogar unter den Werten der Vorjahre (2019 4,22 Prozent; 2018 4,25 Prozent).“

Antikörperstudien in England ab Mitte 2021 haben die hohen Antikörper-Level bestätigt. Allerdings gab es zu diesem Zeitpunkt auch Antikörper, die auf die Impfungen zurückgingen. Vgl. die Ergebnisse aus August 2021,

“In England, it is estimated that over 9 in 10 adults, or 93.6% of the adult population (95% credible interval: 92.5% to 94.5%) would have tested positive for antibodies against SARS-CoV-2, the specific virus that causes coronavirus (COVID-19), on a blood test in the week beginning 12 July 2021, suggesting they had the infection in the past or have been vaccinated.”

Vergleichbare Antikörper-Level berichtete die ONS von Irland, Schottland und Wales. Die Antikörper-Level werden von der ONS in repräsentativen Stichproben regelmäßig überwacht. Z.B. März 2022,

“In England, 98.4% of the adult population (95% credible interval: 98.1% to 98.6%) are estimated to have antibodies against SARS-CoV-2 at the 179 ng/ml threshold, in the week beginning 14 February 2022.”

Es hat in Deutschland bis Oktober 2022 gedauert, bis eine eigene, deutsche Antikörperstudie vorlag, die die Ergebnisse aus UK erwartungsgemäß bestätigt hat.

Dank des späten Zeitpunkts der deutschen Studie und unter Ignorieren der Ergebnisse aus Ischgl oder England, kann man jetzt behaupten, es hätte allein an den Impfungen gelegen. Die vielen „symptomlos Erkrankten“ in 2020 zeigen, dass es nicht an den Impfungen gelegen haben kann. Die gab es in 2020 noch nicht.

Das Ausbleiben der von der Theorie der „Pandemien durch neue, zoonotische Erreger“ vorhergesagten Katastrophe zeigt, dass  diese Theorie falsch ist. Und damit ist diese Theorie auch für HIV falsch. HIV hat nichts mit dem AID Syndrom zu tun. HIV ist ein harmloser, Millionen von Jahren alter Passenger-Virus, den einige Menschen tragen und andere nicht.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Christoph Kolumbus erste Reise, Abfahrt in die Neue Welt, 3. August 1492

Abgelegt unter Gesundheitspolitik, International, Medien, Umwelt, Wirtschaftpolitik | 1 Kommentar »