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Intransparente Demokratie

Erstellt von DL-Redaktion am 10. Mai 2023

Kritik am Weltdachverband der Journalisten

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Von Caspar Staller

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) steigt aus dem Weltdachverband der Journalisten aus. Letzterem wird Korruption vorgeworfen.

Der Deutsche Journalisten Verband hat seine Mitgliedschaft in der Internationalen Journalisten-Föderation gekündigt. Das gab der DJV in einer Pressemitteilung von Montag bekannt. Die wichtigsten Gründe für den Schritt seien „Intransparenz“ und „undemokratisches Verhalten“, heißt es darin. Damit wird der DJV in sechs Monaten aus dem journalistischen Weltdachverband aussteigen, in dem Organisationen aus fast allen Ländern der Welt dabei sind.

Nur fast alle Länder der Welt. Der DJV ist nicht das erste Mitglied, das dem IFJ den Rücken kehrt. Bereits im Januar beschlossen die Journalistenverbände Finnlands, Norwegens, Dänemarks und Islands, ihre Mitgliedschaft im IFJ aufzugeben. Die nordischen Verbände warfen dem IFJ „korrupte Aktivitäten“, undemokratische Praktiken und unethisches Finanzgebaren vor.

Konkret wehrten sie sich dagegen, dass russische Journalisten weiterhin Mitglied im IFJ sein konnten, obwohl deren Verbände nicht unabhängig seien und in von Russland besetzen Gebieten in der Ukraine eigenen Journalistenverbände aufgebaut hätten.

Bei einem Kongress in Oman soll es zu finanziellen Unstimmigkeiten gekommen sein. Der Kongress wurde großteils von der Regierung Omans und örtlichen Unternehmen finanziert, obwohl die Presse im Land am Persischen Golf als unfrei gilt.

Die Gründe für den Austritt des DJV sind ähnlich gelagert, sagt Hendrik Zörner, Pressereferent des DJV, der taz. „Wir kritisieren seit vielen Jahren den Mangel an Transparenz, daran hat sich nichts geändert.“

Es gebe keine nachvollziehbaren Informationen über die Verwendung von Mitteln, die der Dachverband von seinen Mitgliedsverbänden überwiesen bekomme. Das sei eigentlich eine normale Rechenschaft, die der DJV den eigenen Mitgliedern schulde und in Form eines Finanzberichts jährlich den Delegierten des DJV-Verbandstags auch vorlege.

Internationale Zusammenarbeit weiterhin wichtig

Die Russische Journalistenunion wurde im Februar aus dem IFJ ausgeschlossen. Doch Zörner kritisiert, dass erst die Austritte der nordischen Kollegen den Dachverband dazu bewegt habe. „Erst nach diesen Austritten sah sich der IFJ bemüßigt, Konsequenzen zu ziehen. Wir wollten das schon früher, weil es in Russland keine freien Medien gibt und diese Organisation eine staatlich gelenkte Organisation ist.“

Was das Fass zum Überlauf gebracht habe, sei das undemokratische Gebaren am jüngsten Kongress in Athen gewesen: Da hätte der DJV-Vertreter keine schriftlichen Anträge stellen können – „ohne Angabe von Gründen“. Dem DJV sei die internationale Zusammenarbeit aber weiterhin wichtig, die man nun im europäischen Verband weiterverfolgen werden.

Wer weiterhin im IFJ verbleibt, ist die Deutsche Journalisten Union (DJU) von Verdi. Matthias von Fintel, Bereichsleiter Medien und Publizistik sagte der taz: „Wir können die Gründe für den Austritt nicht nachvollziehen.“ Die Kritik an den Beratungen in Athen seien so nicht stichhaltig. Auch die Vorwürfe der finanziellen Intransparenz teilt die DJU nicht. Themen spreche man lieber „intern“ an.

Quelle     :       TAZ-online        >>>>>       weiterlesen

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DIE * WOCHE

Erstellt von DL-Redaktion am 8. Mai 2023

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Kolumne von Friedrich Küppersbusch

Faeser, Palmer und der 1. Mai: Schizophrene Migrationsgegner. Wer Lob von Horst Seehofer bekommt, hat als Bundesinnenministerin den Ritterschlag bekommen. Und die Berliner Polizei kann Volksfest feiern.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Vertrauen in die Demokratie schwindet.

Und was wird diese Woche besser?

42,6% Marktanteil für die Krönung in der ARD.

Laut ARD-DeutschlandTrend unterstützen vier von fünf Deutschen den Vorschlag, Asylverfahren künftig an den EU-Außengrenzen durchzuführen. War’s das nun endgültig mit „Wir schaffen das“?

Harter Schlag für Nancy Faeser: Lob von Horst Seehofer. Seit drei Jahren schimmelt der EU-Migrationspakt auf dem Tisch des Innenministeriums. Er enthält allerlei Zugeständnisse an Migrationsgegner, um den Kern – eine europäische Verteilung – durchzubringen. Pech: Bisher wurden nur einige abschottende Elemente durchgesetzt. Faeser will sich nun auch für die Asylverfahren an den Außengrenzen stark machen. Kalkül vieler EU-Grenzländer: Die Verteilungsfrage so lange aussitzen, bis niemand zum Verteilen mehr reinkommt. Dass 79 % der Deutschen das ebenso sehen, mag Faeser anfeuern. Diese ablehnenden Deutschen haben gerade über einer Million Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine geholfen. Immerhin sind wir so schizophren wie unsere Innenpolitik.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer ist bei den Grünen ausgetreten und hat eine Auszeit angekündigt, um sich professionelle Hilfe zu holen. Wer kann sich daran ein Beispiel nehmen?

Palmers jüngster Schub mit seriellem N-Wort und Selbstverleihung eines Judensterns war schon fröstelnd ähnlich den legendären Auftritten seines Vaters, dem Neandertaler der Wutbürger. Kurz bevor man höflich verschweigt, dass man sein Ich und sein Über-Ich gern mal wieder in getrennten Ringecken sähe, meldet er selbst Therapiebedarf an. Das kann man nur respektieren. Politik, Macht, mediale Präsenz: Betäubungsmittel für Leute, die sich gern aus dem Weg gehen. Davon ist die Welt voll.

Die Berliner Polizei gibt sich erstaunt über den angeblich „friedlichsten 1. Mai seit 1987“. Staunen Sie auch?

Der dämonische Fressfeind des Radikalismus: Vervolksfestung. Und erstaunlich, dass diese Strategie aufging. Die Berlinenden wurden zugeschmissen mit DGB, Walpurgis, Weinfest, Rave und Tanz in den Mai. Noch heuert „Visit Berlin“ keine Komparsen, um in Kreuzberg für Touristen ein bisschen Alarm zu machen.

Mehr Menschen als erwartet haben das Deutschlandticket zu seinem Start Anfang Mai erworben, rund ein Viertel von ihnen hatte vorher kein Nahverkehrs-Abo. Worauf kann sich dieser neue Kundenstamm einstellen?

Beziehungsstatus: Es ist kompliziert. Minister Wissing tanzt in den Mai mit dem Slogan „Ab heute gilt: Schluss mit kompliziert und anstrengend.“ Stattdessen wird es kompliziert und anstrengend: Mal gilt das Ticket doch nicht auf jedem Nahverkehrszug, mal gucken Studierende in die Röhre. Der ÖPNV hat mehr Ausnahmen als Einnahmen. 750.000 Neukunden bisher werden die Endstation Sehnsucht besuchen: Je Land, desto kein Anschluss. Und gerade das kann man als Gewinn sehen: Der öffentliche Druck auf Verbesserungen sollte mit jedem neuen Fahrgast steigen. Noch prahlt Wissing mit dem Glück, zu dem er gezwungen wurde. Doch die Liberalen wollen schon bald Unfallflucht straffrei stellen.

Hollywoods Dreh­buch­au­to­r*in­nen streiken für bessere Bezahlung, millionenschwere Showmaster wie Jimmy Fallon oder Jay Leno solidarisieren sich mit ihnen, indem sie beispielsweise gratis Donuts verteilen. Heuchelei oder Branchenzusammenhalt?

Quelle      :      TAZ-online       >>>>>        weiterlesen

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Zeitenwende des D-Kapitals

Erstellt von DL-Redaktion am 7. Mai 2023

Wende in den deutschen Sonderweg

File:2021-08-21 Olaf Scholz 0309.JPG

Eine Zeitenwende ohne Anfang und Ende ähnelt eher einer Zeitungsente !

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Iwan Nikolajew

  1. Prolog

Im Jahr 2022 ruft Bundeskanzler Scholz die „Zeitenwende“ als Reaktion auf den Ukraine-Krieg aus. „Zeitenwende“ heißt konkret Konfrontation mit Rußland und auch mit China.

Deutschland muß sich einen neuen Platz an der Sonne suchen, nachdem die US-Hegemonie zusammengebrochen ist. Doch die „Zeitenwende“ ist bis jetzt nur eine halbe Zeitenwende, widersprüchlich und inkonsequent und spiegelt die Unentschlossenheit des deutschen Imperialismus wider, sich in der multipolaren Weltordnung neu zu positionieren. Das deutsche Kapital fürchtet sich vor der „Zeitenwende“ und verteidigt verzweifelt die untergegangene neoliberale Weltordnung, doch diese kommt nicht mehr zurück.

  1. Vom Ende des Endes der Geschichte

Nach dem Zusammenbruch der bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten rief die Bourgeoisie das „Ende der Geschichte“ aus. Der Sieg des Kapitalismus über die nichtkapitalistischen und nachkapitalistischen bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten sollte ein goldenes Zeitalter hervorbringen, wo „Demokratie“ und „Wohlstand“ gesichert wären. Doch real war diese kapitalistische Epoche eine Epoche der Verelendung. Das Kapital brachte sich tendenziell auf seinen Begriff und produzierte den neoliberalen Weltmarkt. Die Märkte wurden dereguliert und privatisiert. Der bürgerliche Staat griff nur dann ein, wenn der neoliberale Weltmarkt gefährdet war oder sich ein Markt abschottete und damit drohte, den gesamten neoliberalen Weltmarkt zum Einsturz zu bringen. Das Wertgesetz entfaltete sich und regulierte den Weltmarkt unmittelbar. Jedoch konnte sich das Wertgesetz tendenziell nur deswegen auf seinen Begriff hin entwickeln, weil der Weltmarkt auch mit außerökonomischen Mitteln durch den US-Imperialismus garantiert wurde. Die Hegemonie des US-Imperialismus innerhalb der imperialistischen Kette garantierte die relative Einheit des neoliberalen Weltmarktes auch mit außerökonomischen Mitteln und Methoden, erst dadurch konnte sich das Wertgesetz tendenziell auf seinen Begriff bringen und unmittelbar den Weltmarkt regulieren. Das Wertgesetz steht nicht außerhalb der außerökonomischen oder politischen Gewalt, sondern die außerökonomische Gewalt ist das konzentrierte Wertgesetz, welches sich in der außerökonomischen Gewalt verdichtet; der ideelle Gesamtkapitalist, der bürgerliche Staat, ist ein materielles Produkt des Wertgesetzes, kann dieses nicht aufheben, sondern reproduziert konkret-spezifisch in mittelbarer Weise das Wertgesetz in sich selbst. Dies gilt auch für den Hegemon innerhalb der imperialistischen Kette, welcher die höchste Verdichtung des Wertgesetzes ist, da sich der Hegemon als Ökonomie, wie auch als ideeller Gesamtkapitalist, über alle anderen Kettenglieder der imperialistischen Kette erhebt und erst Recht über die Peripherie. Der Hegemon ist der Schiedsrichter innerhalb der imperialistischen Kette und hat einen weitaus größeren Zugriff auf die Peripherie, als auf die Metropolen der imperialistischen Kette. Die US-Hegemonie konstituierte die relative Einheit des neoliberalen Weltmarktes zu ihrem Vorteil, aber auch graduell abschwächend, zum Vorteil der anderen Kettenglieder der imperialistischen Kette und drückte damit politisch das Gesamtinteresse der imperialistischen Kette gegenüber der Peripherie aus, welche kein Vorteil aus der US-Hegemonie zog und auch niemals Vorteile aus einer imperialistischen Hegemonie ziehen kann. Die US-Hegemonie war das Produkt des zweiten imperialistischen Weltkrieges und in letzter Instanz das Produkt der Großen Krise der dreißiger Jahre, welche sich politisch in den dem zweiten imperialistischen Weltkrieg verdichtete und materialisierte. Erst mit dem zweiten imperialistischen Weltkrieg und durch den zweiten imperialistischen Weltkrieg wurde die Große Krise der dreißiger Jahre überwunden. Das Kapital setzte die Arbeiterklasse weltweit neu zusammen und hob die Produktivkraft der Arbeit auf ein qualitativ höheres Niveau. Die durchschnittliche Akkumulationsbewegung wird durch das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate bestimmt, graduell weniger in den Konjunkturzyklen, aber vor allen in den langen Wellen der Konjunktur. In den kurzfristigen Konjunkturzyklen ist die Akkumulationsbewegung vor allem quantitativ bestimmt, die durchschnittliche Profitrate fällt tendenziell, später auch die Profitmasse und sie steigt tendenziell an, wenn die Entwertung des Kapitals weit fortgeschritten ist und führt zu einem Aufschwung der Akkumulation. Dies alles bei einem mehr oder minder gegebenen Niveau der Entwicklung der kapitalistischen Produktivkräfte. Historische Krisen des Kapitalismus, wie die Großen Krisen jedoch, sind qualitativ bestimmt. Die Entwicklung der kapitalistischen Produktivkräfte geht nicht gleichmäßig vonstatten, sondern in Brüchen und Sprüngen, in gleichzeitiger Ungleichzeitigkeit und stellt eine Schranke für die konjunkturelle Entwertung des Kapitals dar, indem sie verhindert, daß das Kapital sich deutlich entwerten kann. Die Überakkumulation von Kapital kann nicht abgebaut werden, da die kapitalistische Produktivkraft der Arbeit nicht qualitativ gesteigert werden kann, d.h. die Methoden der relativen Mehrwertproduktion reichen nicht aus, um die Profitrate wieder tendenziell steigen zu lassen. Erst mit einer qualitativen Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit kann das Kapital wieder profitabel produzieren, es bedarf eines qualitativen Sprungs in der Entwicklung der kapitalistischen Produktivkraft, um die Profitrate tendenziell ansteigen zu lassen und dies bedeutet eine qualitative Umwälzung der historischen Form der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, ein neues Akkumulationsregime muß das alte Akkumulationsregime ablösen, eine qualitative Neuzusammensetzung des Kapitals und der Arbeiterklasse ist notwendig. Im Klassenkampf wird die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, bzw. das neue Akkumulationsregime, ausgekämpft, wenn nicht der revolutionäre Bruch mit den kapitalistischen Produktionsverhältnissen überhaupt gelingt. Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse heißt vor allem Kampf auf der Ebene der Fabrik um die Arbeitsorganisation und auf der gesellschaftlichen Ebene der Kampf um die Ausgestaltung des jeweiligen historischen Klassenkompromisses und auf der Ebene des Weltmarktes der Kampf um die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette. Eine historische Krise des Kapitalismus läßt die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette erodieren; die Große Krise hingegen leitet das Finale des Endes des Hegemons ein. Eine negative lange Welle der Konjunktur führt immer zu einer Hegemonialkrise innerhalb der imperialistischen Kette und damit zu einer existentiellen Krise der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, welche sich an der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse als Revolutionen, Revolten, Bürgerkriege, Kriege, Weltkriege materialisieren. Sollte der Kapitalismus diese existentielle Krise überstehen, entsteht ein neues weltweites Kräftegleichgewicht der sozialen Klassen im Klassenkampf und ein neuer Hegemon übernimmt die Führung in der imperialistischen Kette, damit zieht eine neue relative und temporäre Stabilität im Kapitalismus ein, die Profitrate beginnt tendenziell qualitativ zu steigen, bis zur nächsten negativen langen Welle der Konjunktur, bis wieder die kapitalistischen Produktionsverhältnisse mit den kapitalistischen Produktivkräften aktiv und deutlich ausgeprägt in Widerspruch sich setzen.

Nur ein Hegemon innerhalb der imperialistischen Kette garantiert eine stabile Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, ansonsten bleibt sie prekär und widersprüchlich. Es ist nicht so, daß nach dem Untergang eines Hegemons in der imperialistischen Kette, sofort ein neuer Hegemon auftritt und die imperialistische Kette relativ unter sich vereint, d.h. die imperialistische Kette relativ sich selbst vereint, sondern es folgt in der Regel nach dem Untergang eines Hegemons eine Epoche der Zerrissenheit in der imperialistischen Kette, ein Kampf um den Thron des Hegemons, alle gegen alle, jeder gegen jeden. Dieser Kampf um den Thron des Hegemons muß innerhalb der imperialistischen Kette ausgefochten werden, bei Strafe des Untergangs. Eine Metropole, welche nicht versucht sich auf den Thron des Hegemons zu setzten, geht unter, denn dieser Kampf um die Hegemonie ist ein Kampf um die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, ein Kampf um die Neuzusammensetzung des Kapitals auf internationaler Ebene, auf Weltmarktebene, vitalisiert in jeder Metropole die Akkumulationsbedingungen, auch wenn nur eine Metropole sich im Hegemon krönen kann. In der Epoche der Zerrissenheit existiert kein Hegemon, aber desto mehr der Kampf um die Hegemonie, diese Epoche kann länger oder kürzer sein, aber ein Hegemon kann nur durch eine Kette imperialistischer Kriege oder durch einen Weltkrieg gekrönt werden. Doch nicht jeder Weltkrieg löst das Problem der fehlenden Hegemonie, sondern potenziert noch die Epoche der Nicht-Hegemonie. Dann ist ein weiterer Weltkrieg notwendig. Eine erfolgreiche Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse-Neuzusammensetzung des Kapitals realisiert eine qualitative Erhöhung der Produktivraft der Arbeit auf Ebene des Weltmarktes und produziert damit auch einen Hegemon. Es kann nur einen Hegemon geben. Hegemonie, alleinige Weltmacht, kann nicht geteilt werden, sie ist unteilbar. Ein neues Akkumulationsregime entsteht nur unter einem Hegemon. In der Epoche der Zerrissenheit stehen viele Akkumulationsregime im Kampf um die Hegemonie in Konkurrenz zu einander. Doch erst dann, wird ein Akkumulationsmodell daraus, wenn ein Akkumulationsregime alle anderen Akkumulationsregime unter sich subsumiert, wenn eine Metropole sich zur Hegemonialmacht innerhalb der imperialistischen Kette krönen konnte. Eine Hegemonialmacht garantiert eine relativ stabile Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse und damit ein bestimmtes internationales Klassengleichgewicht im Klassenkampf.

Der gegenwärtige Untergang des US-Imperialismus als Hegemonialmacht eröffnet eine neue, offene Situation, ein Kampf um die Hegemonie, ein Kampf um die Weltmacht mit allen Mitteln und mit aller Gnadenlosigkeit. Es ändern sich nur die historischen Formen des Kapitalismus, nicht aber der Kapitalismus selbst. Der Kapitalismus lernt nicht dazu, kann nicht dazu lernen, da dieser vom Wertgesetz reguliert wird. Entweder Sozialismus oder Barbarei. Dieses Wort von Rosa Luxemburg bleibt aktuell. Die gegenwärtige Große Krise wird die gleichen Wirkungen zeitigen wie die Große Krise der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts, nur in anderen Formen. Eine friedliche Lösung der Verwertungsprobleme des Kapitals im historischen Ausmaß ist nicht möglich. Einen friedlichen Kapitalismus, Imperialismus bzw. Ultra-Imperialismus, kann es nicht geben. Es gibt keine friedliche Koexistenz innerhalb der imperialistischen Kette, wie ebenso in der kapitalistischen Totalität. Einen Kapitalismus ohne Krieg kann es nicht geben, denn der Krieg ist nur die Fortsetzung der Weltmarktkonkurrenz mit andern Mitteln. Im Krieg erreicht das Wertgesetz in seiner politischen Form die höchste Konzentration, transformiert sich in unmittelbare und physische Gewalt. Ab Anfang des 20. Jahrhunderts schwächte sich die Hegemonie des britischen Imperialismus ab und vor allem der deutsche Imperialismus und der US-Imperialismus stellten die britische Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette in Frage. Diese innerimperialistischen Widersprüche eskalierten im ersten imperialistischen Weltkrieg. Mit dem Ende des ersten imperialistischen Weltkrieges zog der US-Imperialismus mit dem britischen Imperialismus gleich und der deutsche Imperialismus war weit abgeschlagen. Die Hegemonialfrage blieb ungeklärt und verschärfte sich weiter. Der zweite imperialistische Weltkrieg erst klärte die offene Hegemonialfrage. Der US-Imperialismus wurde zum Hegemon innerhalb der imperialistischen Kette und organisierte den Weltkapitalismus und auch die Sowjetunion als bürokratisch entarteter Arbeiterstaat, welche ein mittelbares Moment des Weltmarktes war, mußte den Kapitalismus und seine Führungsmacht, den US-Imperialismus, in vielen Fragen, vor allem ökonomischen Fragen, akzeptieren. Auch der bürokratisch entartete Arbeiterstaat Sowjetunion war ein Glied im kapitalistischen Weltmarkt, welcher vom US-Imperialismus garantiert wurde. Der US-Imperialismus und der bürokratisch entartete Arbeiterstaat Sowjetunion waren nicht ebenbürtig, sondern nur fast gleichwertig; der US-Imperialismus in der Offensive und der bürokratisch entartete Arbeiterstaat Sowjetunion in der Defensive; der US-Imperialismus zielte auf die Zerstörung der Sowjetunion, die Sowjetunion hingegen suchte die Koexistenz zwischen USA und Sowjetunion, zwischen Kapitalismus und Sozialismus, eine Illusion, welche die materielle Grundlage für den Zusammenbruch der bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten in Osteuropa legte.

Eine Hegemonialmacht ist nicht allmächtig, ist keine „Weltregierung“, sondern ist nur deshalb hegemonial, weil sie die Interessen der anderen Weltmarktkonkurrenten ebenso konkret-spezifisch mit ihren eigenen nationalen Interessen integrieren und abgleichen kann, der US-Imperialismus war „Weltpolizist“ vor allem nur deshalb, weil ein „Weltpolizist“ vom Weltkapitalismus gefordert wurde und der US-Imperialismus diese Rolle und Funktion materiell ausfüllen konnte. Ohne einen „Weltpolizisten“ gäbe es keine relative Ordnung im Weltmarkt und die Kosten für jede Bourgeoisie, auch für die periphere Bourgeoisie, wäre höher, wenn kein Hegemon existieren würde. Diese Ordnung des Weltmarktes, diese Weltordnung, ist immer prekär und muß täglich verteidigt werden, daß Vorrecht der Hegemonialmacht wird dieser vom Weltkapital zugewiesen und kann nur dann realisiert werden, wenn auch gleichzeitig die Interessen aller anderen Kettenglieder der imperialistischen Kette berücksichtigt werden. Die Interessen der Hegemonialmacht müssen eine Schnittmenge mit den Interessen der restlichen Kettenglieder der imperialistischen Kette aufweisen und damit mit den Gesamtinteressen der imperialistischen Kette, erst dann ist der konkrete Imperialismus der ideelle Gesamtimperialist-hegemonialer Imperialismus. Der Zusammenbruch des bürokratisch entarteten Arbeiterstaates Sowjetunion, wie auch der anderen bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten in Osteuropa, änderten an der Situation nichts. Auch dann wurde der US-Imperialismus nicht allmächtig. Eine Weltmacht ist immer nur relativ Weltmacht und muß mit anderen Großmächten gleichzeitig kooperieren und konkurrieren, ein weltweites relatives Gleichgewicht zwischen Weltmarktkooperation und Weltmarktkonkurrenz finden. Nur eine Hegemonialmacht kann ein Gleichgewicht innerhalb der imperialistischen Kette wahren. So gelang es den wiedererstandenen russischen Imperialismus in die imperialistische Kette zu integrieren und auch die Peripherie, wofür vor allem China steht. Die Ordnung von Teheran und Jalta galt weiter, auch ohne die Sowjetunion als zweite zentrale Garantiemacht. Der bürokratisch entartete Arbeiterstaat Sowjetunion als Garant aller anderen bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten in Osteuropa konnte in der Weltmarktkonkurrenz nicht mehr mit der imperialistischen Kette mithalten, während sich der Weltkapitalismus unter Führung der imperialistischen Kette flexibilisierte und dynamisierte, stagnierten die bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten. Verstärkt ab Anfang der 80er Jahre werden verdeckt über die Sicherheitsapparate der bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten vermehrt Kontakt zu den Sicherheitsapparaten der Metropolen aufgenommen und unter diesem Einfluß des Imperialismus bewegt sich die Bürokratie der entarteten Arbeiterstaaten langsam auf den Kapitalismus zu, was letztlich zur demokratischen Konterrevolution 1989 in Osteuropa führte und die Sowjetunion ab 1990 in die Agonie stürzen läßt, bis sie sich 1991 auch formal auflöst. Das Ende der Sowjetunion war nicht das Ende von Jalta, bzw. das Ende der Nachkriegsordnung. Auf Basis der Weltordnung von Jalta entwickelte sich der neoliberale Weltmarkt, welcher deutlich vom US-Imperialismus geprägt wurde. Unter der Herrschaft des neoliberalen Weltmarktes integrierte sich der russische Imperialismus in den Weltmarkt, jedoch positionierte sich der russische Imperialismus am Rand des neoliberalen Weltmarktes, während China, als führendes Land der Peripherie, zusammen mit den USA ins Zentrum des neoliberalen Weltmarktes vorrückte und diesen mit absicherte. Die Vorteile des neoliberalen Weltmarktes kamen somit auch dem russischen Imperialismus und China zu Gute. Doch mit der Zeit wurde der vom US-Imperialismus garantierte neoliberale Weltmarkt zur Fessel für die Entwicklung des russischen und chinesischen Kapitals. Will sich das russische und chinesische Kapital entwickeln, muß es mit dem neoliberalen Weltmarkt brechen, d.h. konkret mit dem US-Imperialismus als hegemonialen Imperialismus. Die historische Krise des Kapitalismus seit 1974/1975 konnte der Kapitalismus unter Führung des US-Imperialismus noch verarbeiten, sie war der Anfangspunkt für die neoliberale Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, als ein Versuch, diese historische Krise zu überwinden. Jedoch schlug dieser Versuch fehl, der Kapitalismus konnte nicht mehr zu seinen hohen Akkumulationsraten zurückkehren. Aber es gelang als Nebenprodukt der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse den Kapitalismus soweit zu dynamisieren, daß die bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten in die Defensive gingen und schließlich zusammenbrachen. Die Rekapitalisierung Osteuropas eröffnete den Weg in eine neue Phase der neoliberalen Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse weltweit. Später versuchte der US-Imperialismus über Börsen- und Immobilienspekulation die Krise zu bannen, was notwendig fehlschlagen mußte. Die durchschnittliche Bewegung des Kapitals im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate läßt sich nur modifizieren, jedoch nicht aufheben. Das Rückstauen der Krise ist endlich. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts eskalieren langsam die Widersprüche zwischen dem US-Imperialismus und China, wie gleichzeitig auch zwischen dem US-Imperialismus und dem russischen Imperialismus. Während sich das fiktive Kapital am Gesamtkapital des US-Imperialismus zu Lasten der US-Mehrwertproduktion ausdehnte, wurde China zur Weltfabrik, konzentrierte sich die Mehrwertproduktion in China. Der US-Imperialismus wurde zum Importeuer der letzten Instanz und stabilisierte auf diese Weise die imperialistische Kette und auch China. Vor allem China rückte im Gegenzug zum größten Gläubiger des US-Imperialismus auf. Die Verschuldungspyramide des US-Imperialismus stabilisierte zwar kurzfristig den neoliberalen Weltmarkt, doch langfristig destabilisierte sie ihn. Verschulden kann sich der US-Imperialismus nur dann, wenn auch Wert dagegensteht. Doch das Absinken der US-Mehrwertproduktion setzt objektiv eine Grenze für die Verschuldung. Nur der Dollar als Weltgeld ermöglicht dem US-Imperialismus eine höhere Verschuldung, denn der US-Imperialismus kann sich in seiner eigenen Währung verschulden. Der US-Imperialismus hängt am US-Dollar. Doch auch dieser Ausweg ist endlich, denn eine uferlose Verschuldung zerstört auch den US-Dollar als Weltgeld. Der Ausweg für den US-Imperialismus besteht darin, die Verschuldung mit Wert zu unterfüttern und zwar nicht durch die Revitalisierung der US-Mehrwertproduktion, sondern mit außerökonomischen Methoden. Der US-Imperialismus versuchte mit außerökonomischen Methoden seine Defizite in der Mehrwertproduktion auszugleichen, indem die Verschuldung durch außerökonomischen Zwang kompensiert wird. Dieser außerökonomische Zwang, bzw. die außerökonomischen Methoden, zielte auf die Unterfütterung des US-Imperialismus, bzw. des US-Dollars, mit Wert durch den kolonialen Krieg. Da der US-Dollar an das Öl gebunden ist, war es die Politik des US-Imperialismus, dieses Band noch zu festigen, indem direkt und nicht über die Compradorenbourgeoisie vermittelt, das Öl und andere strategische Rohstoffe, unter US-Kontrolle genommen werden. Mit diesem direkten US-Zugriff auf die strategischen Rohstoffe wäre der US-Dollar mit Wert unterfüttert und der Petro-Dollar als Kern des US-Dollars als Weltgeld für lange Zeit gesichert gewesen. Einer weiteren Verschuldung des US-Imperialismus hätte nichts mehr entgegengestanden. Mit der US-Kontrolle über die strategischen Rohstoffe hätte man auch China unter Kontrolle, aber auch abgeschwächt den russischen Imperialismus. Die US-transatlantischen Kolonialkriege richteten sich unmittelbar gegen die Peripherie, aber mittelbar gegen den russischen Imperialismus. Diese Kolonialkriege waren immer auch verdeckte Stellvertreterkriege, um präventiv die US-Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette abzusichern. Es war immer eine Flucht nach vorn, eine Verzweiflungstat und immer auch eine Flucht vor der Krise, vor der Entwertung des Kapitals. Die Spekulationsblase des „New Economy“ Booms der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts platze im Jahr 2000 und riß die Mehrwertproduktion mit sich. Die Antwort war eine Radikalisierung der US-Spekulationspolitik und die offene imperialistische Aggression gegen die Peripherie. Es wurde die expansive Geldpolitik beibehalten und radikalisiert, damit auf höherer Stufenleiter der Spekulation die „New-Economy“ Spekulation durch die Immobilienspekulation ersetzt. Gleichzeitig inszenierte der US-Imperialismus die Terroranschläge in den USA am 11. September 2001, welche die Legitimation für die imperialistische Aggression in Form von Kolonialkriegen lieferten („Krieg gegen den Terrorismus“). Vor allem der Mittlere Osten und Zentralasien sollten in dieser Operation Syriana unter direkter US-Kontrolle, unter Ausschaltung der Compradorenbourgeoisie und der „nationalen“ Bourgeoisie, gebracht werden. Doch diese Kolonialkriege scheiterten, auch weil der russische Imperialismus und China den Widerstand der Peripherie unterstützten. Und mit den US-transatlantischen Kolonialkriegen scheiterte auch der Versuch, über die Immobilienspekulation die Akkumulation zu stabilisieren, denn es gelang nicht, über die Kolonialkriege das US-Kapital mit Wert zu unterfüttern. Die Politik des US-Imperialismus, die Schwäche der US-Mehrwertproduktion mit außerökonomischen Methoden zu kompensieren und die Politik der Immobilienspekulation abzusichern, kam in eine Sackgasse. Im Jahr 2007 brach ein Immobilienfonds zusammen, welcher konkret die notwendige Entwertung des Kapitals einleitete. Das Jahr 2007 wurde zum ersten Krisenjahr der Großen Krise. Aber erst der offene Zusammenbruch der Wall Street im September 2008 machte die ganze Tragweite des Zusammenbruchs der US-Immobilienspekulation transparent. Bis zum September 2008 konnten die Krisentendenzen noch beherrscht werden, denn bis dahin versuchte man die sich anbahnende qualitative Entwertung des Kapitals vermittels außerökonomischen Methoden imperialistischer Expansion zu kompensieren. Im georgisch-südossetischen Krieg im August 2008, wo zum ersten Mal indirekt in Form eines Stellvertreterkrieges der US-Imperialismus und der russische Imperialismus frontal aufeinanderstießen, sollte der russische Imperialismus vor allem im Kaukasus und aus Zentralasien zurückgedrängt werden, damit das US-Kapital die dortigen strategischen Rohstoffe monopolisieren könnte. Schon im Jahr 2008 wurde eine offene Konfrontation zwischen dem US-Imperialismus und dem transatlantischen Imperialismus gegen den russischen Imperialismus einkalkuliert. Dieser transatlantische Stellvertreterkrieg im August 2008 scheiterte jedoch; der russische Imperialismus wurde deutlich unterschätzt. Die Niederlage im Georgien-Stellvertreterkrieg des US-Imperialismus zerschlug die letzte Hoffnung, die kommende Entwertung des Kapitals mit außerökonomischen Methoden zu kompensieren und so brach die Entwertung des Kapitals im September 2008 offen durch. Die Flucht nach vorn des US-Kapitals endete im September 2008 im Zusammenbruch der Wall Street.

Es gelang dem US-Imperialismus und den transatlantischen Metropolen der imperialistischen Kette zwar den neoliberalen Weltmarkt zu stabilisieren, jedoch nur um den Preis einer mangelnden Akkumulationsdynamik. Das neoliberale Akkumulationsmodell begann zu verfaulen und zu verwesen, damit setzte der finale Abstieg des US-Imperialismus als Hegemonialmacht der imperialistischen Kette ein. Während der russische Imperialismus sich immer deutlicher vom neoliberalen Weltmarkt absetzte und China im neoliberalen Weltmarkt eine immer bedeutendere Funktion einnahm und den US-Imperialismus und die transatlantischen Metropolen überflügelte, gelang es dem deutschen Imperialismus in der EU zur dominanten Macht aufzusteigen. In Folge nahmen die Widersprüche innerhalb der imperialistischen Kette zu und deutlicher als je zuvor, beschritt der US-Imperialismus den Weg, die Krise der US-Mehrwertproduktion über außerökonomische Methoden zu lösen, obwohl diese Politik bereits im Jahr 2007 scheiterte. Lediglich die Aggressivität des US-Imperialismus reproduzierte sich auf höherer Stufenleiter, sonst änderte sich an der Politik des US-Imperialismus nichts. Vor dem Beginn der Großen Krise im Jahr 2007 galt Rußland in der Öffentlichkeit dem US-Imperialismus und der transatlantischen Metropolen noch nicht als Feind, eher als überflüssiger Verbündeter, was aber auch heißt, daß verdeckt der russische Imperialismus schon immer als Feind angesehen wurde. Nach dem Beginn der Großen Krise im Jahr 2007 wird immer offener der russische Imperialismus als Feind in den transatlantischen Metropolen kategorisiert. Die Quantität und Qualität der nun folgenden Stellvertreterkriege nimmt zu. Libyen, Syrien, Ukraine, Jemen sind die Brennpunkte, in denen sich die Weltmarktkonkurrenz in politischer Form verdichtet, d.h. konzentriert in Bürgerkrieg und Krieg. Seit dem Jahr 2013 stehen sich vor allem der US-Imperialismus und der russische Imperialismus Aug in Auge gegenüber, vor allem in Syrien und in der Ukraine, immer am Rand des Dritten Weltkrieges. Die Große Krise ist nicht nur eine ökonomische Krise, sondern sie verdoppelt sich in einer politischen Krise, reproduziert sich in einer internationalen politischen Weltkrise. Seit dem Jahr 2013 verschärft sich die internationale Lage deutlich und erreicht im Jahr 2014 mit dem offenen Ausbruch der Ukraine-Krise einen neuen Höhepunkt, bis die Ukraine-Krise im Jahr 2022 mit dem russisch-ukrainischen Krieg gänzlich eskaliert, die Welt dicht vor den Dritten Weltkrieg führt und den letzten Schlag gegen den neoliberalen Weltmarkt führt und damit gegen die US-Hegemonie. Der Ukraine-Krieg beendet auch formal die US-Hegemonie, indem der russische Imperialismus und China aus dem neoliberalen Weltmarkt und seiner neoliberalen Weltordnung ausbrechen. Gäbe es noch eine US-Hegemonie, gäbe es keinen Ukraine-Krieg. Mit dem Ukraine-Krieg beginnt der offene Kampf um die Position des Hegemons innerhalb der imperialistischen Kette, der Weltmarkt muß neu unter den Kettengliedern der imperialistischen Kette aufgeteilt werden, dabei steht jede Metropole mit dem Rücken zur Wand. Es ist ein Nullsummenspiel. Was der eine gewinnt, verliert der andere. Erst ein Hegemon kann das Nullsummenspiel beenden; dies geht nur, wenn sich eine Metropole im Nullsummenspiel des Kampfes um die Hegemonie als Sieger durchsetzt. Nach dem Ausbruch des russischen Imperialismus und Chinas aus dem neoliberalen Weltmarkt hat auch der US-Imperialismus kein Interesse mehr an diesem und wirft ihn ebenfalls als Ballast ab. Auch dieser Prozess vollzieht sich nicht schlagartig, seit der Präsidentschaft Trump von 2017-2021 wird die US-Politik immer multipolarer, auch wenn sie noch transatlantische Phrasen benutzt. Unter der gegenwärtigen Präsidentschaft Biden wird diese multipolare Politik besonders deutlich, denn mittlerweile führt die USA auch einen offenen Wirtschaftskrieg gegen die transatlantischen Metropolen, wie gegen China und Rußland. Immer mehr gerät der US-Dollar als Weltgeld unter Druck, immer offener wird dem US-Dollar der Krieg erklärt. Brasilien fordert im Zusammenspiel mit China offen die Ablösung des US-Dollar als internationale Währung und seinen Ersatz durch eine rohstoffgestützte Währung der BRCI-Staaten. Dies zeigt auch an, daß der US-Imperialismus nicht mehr seinen Hinterhof unter Kontrolle hat. Die immer offenere Forderung nach Ablösung des US-Dollar als Weltleitwährung zeigt die Schwäche des US-Dollar an, der sich materiell in dem hohen Goldkurs zeigt, denn das Gold soll ein Moment in einer BRCI-gestützten neuen Währung sein. Allein die Diskussion um den US-Dollar als Weltwährung zeigt die Defensive des US-Dollarsystems und die Krise bzw. das Ende der US-Hegemonie an.

Statt um „liberale Weltgesellschaft“ geht es heute im um die „nationale Sicherheit“, bzw. um die Durchsetzung „nationaler Interessen“, real um die Durchsetzung imperialistischer Interessen in der Neuaufteilung des Weltmarktes. Heute sind „nationale Interessen“ immer „nationale Sicherheitsinteressen“. Jedes Kettenglied der imperialistischen Kette richtet sich nach seinen „nationalen Sicherheitsinteressen“ aus und damit gegen die „nationalen Sicherheitsinteressen“ des und der Weltmarktkonkurrenten. Ein Zusammenstoß der „nationalen Sicherheitsinteressen“ ist unter diesen Umständen unvermeidlich. Kampf aller gegen alle, Kampf jeder gegen jeden und wechselnde Allianzen prägen den multipolaren Weltmarkt. Weltmarkt heißt auch immer Weltkrieg. So wie der Weltmarkt im Kapitalismus alternativlos ist, da Kapitalismus immer Weltkapitalismus ist, so ist auch der Weltkrieg alternativlos, es sei denn, es gelingt der Arbeiterklasse diesen im Kampf um den Sturz des Kapitalismus diesen zu verhindern. Der Weltmarkt trägt den Weltkrieg immer in sich, so wie die Wolke den Regen in sich trägt. Ein Kapitalismus ohne Weltmarkt kann nicht existieren, der Weltmarkt ist die höchste Form des Kapitalismus und der Weltkrieg geht um Hegemonie im Weltmarkt. Nur durch Weltkrieg bzw. durch eine Kette von imperialistischen Kriegen, läßt sich die Hegemonie im Weltmarkt erringen und sichern, die ökonomische Weltmarktkonkurrenz reicht dazu allein nicht aus. So wird auch China als Weltfabrik den US-Imperialismus als Hegemonialmacht nicht ablösen können. Immer noch ist China ein Land der Peripherie, trotz des Status als Weltfabrik. China wurde zur Weltfabrik im neoliberalen Weltmarkt, ob China diesen Status im multipolaren Weltmarkt verteidigen kann, bleibt offen. Bisher konnte der US-Imperialismus, welcher in der Mehrwertproduktion im Vergleich zu China ins Hintertreffen geriet, diesen mit politisch-militärischen Methoden kompensieren. Noch haben die USA einen leichten Vorsprung im Bereich der hochentwickelten kapitalistischen Produktivkraft, welche sich auch im militärisch-industriellen Komplex niederschlägt. Trotz der chinesischen Aufrüstung ist im Moment noch das US-Militär stärker als China. Nur der Schutz Chinas durch den russischen Imperialismus, durch seinen „Schutzschirm“ der atomaren Waffen im Sinne einer Abschreckungspolitik, hält bisher die USA vor einem Angriffskrieg gegen China ab. Noch. Die Politik des US-Imperialismus wird immer irrationaler, weil verzweifelt, und ein US-Krieg gegen China liegt in der Luft. Die Taiwan-Frage wird der Anlaß für einen US-Angriff auf China sein. Gemeinsam sind Rußland und China den USA überlegen, wie auch gegenüber einer US-transatlantischen Front. Den transatlantischen Mächten ist es bisher nicht gelungen, Rußland gegen China auszuspielen oder umgekehrt. Im Gegenteil, diese Versuche haben dazu geführt, daß sich Rußland und China enger zusammenschließen und die transatlantischen Metropolen zunehmend in die Defensive drängen. Der deutsche Imperialismus ist von China abhängig, denn China ist nach den USA der größte Exportmarkt des deutschen Kapitals. Durch den deutschen transatlantischen Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus steigt die Bedeutung des chinesischen Marktes noch weiter an. Eine Eskalation der US-chinesischen Widersprüche in einen umfassenden Wirtschaftskrieg oder gar Krieg (Taiwan-Frage) würde zum ansteigenden US-Druck auf das deutsche Kapital führen, den chinesischen Markt aufzugeben, mit drastischen Folgen für den Weltmarktanteil des deutschen Kapitals. Der Verlust des russischen Importmarktes für Energierohstoffe und andere strategische Rohstoffe, Metalle, die für die Umstellung der Energieproduktion auf Elektroenergie notwendig sind und der gleichzeitige Verlust des chinesischen Exportmarktes würden das deutsche Kapital in eine tiefe Krise führen. Gleichzeitig droht auch dann, wenn der deutsche Imperialismus diese US-Konfrontation gegen Rußland und China stützt, ein Wirtschaftskrieg mit den USA, denn die USA schotten sich auch gegen die EU damit auch gegen den deutschen Imperialismus ab. Es droht der Verlust des US-Marktes für das deutsche Kapital. Mit einer radikalen Deflationspolitik/Schockpolitik würde das deutsche Kapital auf den Verlust der zentralen Märkte (Rußland, China, USA) reagieren. Kann aber damit die Verluste nicht kompensieren, denn auch eine wohlfeilere Produktion für den Weltmarkt durch drastische Absenkung des gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus der Arbeiterklasse durch Zerschlagung der proletarischen Massenorganisationen vermittels Notstand scheitert an den Zollmauern der Weltmarktkonkurrenten, die auch auf den Wirtschaftskrieg zurückgreifen. Unter diesen Umständen kann die Westbindung des deutschen Kapitals nicht auf Dauer aufrechterhalten werden und das deutsche Kapital ist damit objektiv auf seinen alten Sonderweg abgedrängt.

Eine Hegemonialmacht, eine Weltmacht, geht nie friedlich unter, sie erlebt ihren Untergang auf dem Schlachtfeld und reißt die Welt mit sich. In Verzweiflung wird jedes Risiko eingegangen, um den Sturz vom Thron des Hegemons zu entgehen, d.h. die fallende Hegemonialmacht verhält sich immer irrationaler. Dies schlägt sich auch im Überbau nieder. Es breitet sich im Überbau eine irrationale Ideologie aus, welche notwendig ist, um sich gegen den notwendigen Abstieg aus den Höhen der Hegemonie zu wehren. Der untergehende Hegemon schlägt wild um sich, nach innen und nach außen, immer autoritärer; eine irrationale Ideologie erleichtert dies. Je mehr der untergehende Hegemon irrational um sich schlägt, desto schneller vollzieht sich ein Untergang. Je mehr irrationale Methoden angewendet werden, um den Sturz vom Thron des Hegemons zu verhindern, desto rascher ist die Hegemonie verloren.

Die Maßnahme, den russischen Imperialismus aus dem internationalen vom US-Imperialismus gestützten Zahlungssystem SWIFT auszuschließen, führt zum Aufbau eines vom US-Imperialismus unabhängigen internationalen Zahlungssystems; das Einfrieren der russischen Guthaben und die teilweise Enteignung derselben schadet deutlich dem US-Finanzsystem und dem US-Dollar als Weltgeld, denn jede Bourgeoisie wird sehen, daß ihre Guthaben unter dem „Schutz“ des US-Imperialismus nicht sicher sind, und sich einem russisch-chinesischen internationalen Finanzsystem annähern. Vor allem die arabischen Golf-Staaten haben aufgemerkt, welche über das Petro-Dollar-System den US-Dollar erst als Weltgeld stützen. Bisher war das Öl an den US-Dollar gebunden. Nun überlegt Saudi-Arabien auch andere Währungen, unter anderem den chinesischen Yuan, als Transaktionswährung zu nutzten, wie auch seine Investitionen in Richtung China zu intensivieren. Das internationale US-Finanzsystem ruht auf dem US-Dollar als Weltgeld und der US-Dollar als Weltgeld ruht auf dem internationalen US-Finanzsystem. Der US-Dollar als Weltgeld ist organisch mit dem internationalen US-Finanzsystem verbunden. Fällt der US-Dollar als Weltgeld, fällt das internationale US-Finanzsystem, fällt das internationale US-Finanzsystem, fällt auch der US-Dollar als Weltgeld. Die irrationale und kurzsichtige Politik des US-Imperialismus untergräbt objektiv die materiellen Grundlagen der US-Hegemonie, untergräbt den US-Dollar als Weltgeld und ebenso das internationale US-Finanzsystem. Der US-transatlantische antirussische Wirtschaftskrieg ist ein Alarm-Signal für alle Metropolen und auch alle Staaten der Peripherie, daß jedes Guthaben im internationalen US-Finanzsystem Sanktionen zum Opfer fallen, enteignet und eingezogen werden kann. Es kommt dann objektiv zur Flucht aus dem internationalen US-Finanzsystem und zum Aufbau eines russisch-chinesischen internationalen Finanzsystems in Konkurrenz zum internationalen US-Finanzsystem und somit stehen dann der rohstoffgedeckte Rubel und der Petro-Yuan als langfristige Alternative zum US-Dollarsystem gegen den US-Imperialismus. Auf diese Weise breitet sich der multipolare Weltmarkt naturwüchsig aus. Die „Politik der nationalen Sicherheit“ reflektiert konkret-spezifisch den naturwüchsigen Durchbruch des multipolaren Weltmarktes an die Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und ist eine politische Reaktion auf den Entwertungsschub des Kapitals seit Ende 2019. Bis Ende 2019 konnte der morsche neoliberale Weltmarkt am Leben gehalten werden, doch im Herbst 2019 brach der Repromarkt drastisch ein und abermals drohte ein Zusammenbruch des fiktiven Kapitals nach dem Muster vom September 2008. Es gelang kurzfristig der Entwertungsbewegung des fiktiven Kapitals die Spitze zu nehmen, ohne den Entwertungsprozeß aufhalten zu können. Gleichzeitig war das Jahr 2019 das Jahr der weltweiten proletarischen und kleinbürgerlichen Revolten. Der neoliberale Weltmarkt, die neoliberale Zusammensetzung der Arbeiterklasse durch das Kapital, kam an sein Ende und die historische Form des Endes des neoliberalen Akkumulationsmodells fand sich in der „Corona-Krise“.

In der historischen Form der „Corona-Krise“ brach sich die notwendige Entwertung des Kapitals bahn. Die „SARS-Corona-Pandemie“ war das zufällige Moment, welches als Auslöser für die aufgestauten Entwertungsprozesse fungierte. Jedes andere historische Moment hätte die gleiche Wirkung gehabt. Damit war die „SARS-Corona-Pandemie“ ein zufällig notwendiges Moment und gewann die Schlagkraft nur, aufgrund der im Hintergrund und in den Tiefen der kapitalistischen Produktionsweise verborgenen Entwertungstendenzen des Kapitals. In einem stabilen Weltmarkt wäre es zu einer internationalen Zusammenarbeit gekommen. Jedoch in einem stagnierenden Weltmarkt mußte die SARS-Corona-Pandemie zum Auslöser einer Entwertung des Kapitals werden, wie zum Zusammenbruch jeglicher internationaleren Zusammenarbeit. Der SARS-Corona-Virus ist ein Produkt des kapitalistischen Produktionsprozesses und hat seinen Ursprung in der industriellen Produktion von SARS-Viren in Sicherheitslaboren. Ob es ein Unfall war oder vorsätzliche Handlung dieses Virus freizusetzten, bleibt derzeit offen. Jeder bürgerliche Staat fühle sich von einem anderen bürgerlichen Staat angegriffen und reagierte mit militärischen und paramilitärischen Methoden, d.h. jeder bürgerliche Staat sah sich von einem unbekannten biochemischen Kampfstoff angegriffen und rief den Notstand aus. Über den „Corona-Notstand“ wurde drastisch das gesellschaftliche Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse abgesenkt und die Revolten, die das Jahr 2019 prägten, zerschlagen. Die finale Phase der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse in dem neuen Krisenschub der Großen Krise begann mit der „Corona-Krise“ unter dem Dogma der „nationalen Sicherheit“, welches den Durchbruch des multipolaren Weltmarktes ideologisch reflektiert. Das Ende der „Corona-Krise“ ist gleichzeitig der Beginn der Energiekrise und damit des Energienotstandes in der Form und Folge des Ukraine-Krieges. Die „Corona-Krise“ ist nur der Beginn der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, bereitet diese vor, aber erst mit dem Ukraine-Krieg und seinen internationalen ökonomischen und politischen Folgen beginnt die eigentliche Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Während in der „Corona-Krise“ eine deflationäre Tendenz in der Akkumulation vorherrschte und die Lieferketten zerschlug, führte die Normalisierung der Akkumulation ab Sommer 2021 zu inflationären Tendenzen. Doch das Kapital hatte kein Interesse mehr an der Rekonstruktion der neoliberalen Lieferketten. Seit Herbst 2021 begannen die internationalen politischen Spannungen zwischen dem russischen Imperialismus und dem US-Imperialismus und seiner transatlantischen Verbündeten zuzunehmen und eskalierten im Februar 2022 im Ukraine-Krieg. Die Nicht-Rekonstruktion der durch die „Corona-Krise“ zerstörten Lieferketten führte vom Sommer 2021 zu ansteigenden inflationären Tendenzen, welche ab Februar 2022 in Folge des Ukraine-Krieges und seines internationalen Wirtschaftskrieges explodierten und nur langsam zurückgehen, aber auf einem hohen Niveau verbleiben. In der „Corona-Krise“ entwertete sich das Kapital deflationär; in der Ukraine-Krise entwertet sich das Kapital inflationär, aber immer unter dem Schirm eines Notstandes im Namen der „nationalen Sicherheit“. Das Kapital reduzierte den Energieverbrauch und damit die Produktion- auf Kosten der Arbeiterklasse, welche auf Kurzarbeit gesetzt oder in die industrielle Reservearmee transformiert wird; die Arbeiterklasse reduziert den Energieverbrauch, weil die Reallöhne drastisch durch die inflationären Tendenzen sinken. Gleichzeitig werden die Energielieferungen an die Haushalte durch den bürgerlichen Staat ohne Information und Diskussion abgesenkt. Sollte sich dennoch Widerstand regen, stehen Notstandsmaßnahmen bereit, um die Senkung des Energieverbrauchs notfalls auch repressiv zu erzwingen. Der Energienotstand ist nicht offen ausgerufen, doch lauert er immanent im Hintergrund und diktiert die konkrete Politik der Bourgeoisie. Seit der „Corona-Krise“ steht die Verfassung, das Grundgesetz, unter Notstandsvorbehalt, bzw. unter dem Vorbehalt der „nationalen Sicherheit“. Solange die „nationale Sicherheit“ nicht bedroht ist, gilt die Verfassung. Ist die „nationale Sicherheit“ bedroht, ist die Verfassung bedroht, denn sie wird für eine unbestimmte Zeit außer Kraft gesetzt. Der Begriff „nationale Sicherheit“ ist die Generalklausel für die unbestimmte Suspendierung der Verfassung, für die Zerstörung der parlamentarisch-demokratischen Herrschaftsform der Bourgeoisie durch die Bourgeoisie selbst, denn nur diese, die von der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie erkämpft wurde, gibt der proletarischen Selbstorganisierung Raum, mit der sich die Arbeiterklasse ihre Eroberungen im Kapitalismus verteidigen kann. In der gegenwärtigen Phase der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse wird der bürgerliche Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) tendenziell gegen die Arbeiterklasse aktiviert, dessen Funktion es ist, die Arbeiterklasse qualitativ zum Verzicht zu zwingen. Unter dem Diktat der „nationalen Sicherheit“ steht die Verfassung unter Notstandsvorbehalt. Jederzeit kann die „nationale Sicherheit“ die verfassungsmäßige parlamentarisch-demokratische Form bürgerlicher Klassenherrschaft brechen. Für die Bourgeoisie ist die parlamentarisch-demokratische Form ihrer Klassenherrschaft nur eine Form unter vielen anderen Formen bürgerlicher Klassenherrschaft, eine Option unter vielen andern Optionen, während für die Arbeiterklasse die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates die einzige Form ist, in der die Arbeiterklasse im Kapitalismus sich als Totalität gesellschaftlich notwendig reproduzieren kann. Der Energienotstand ist nur die Fortsetzung des „Corona-Notstandes“ in einer anderen Form und der „Corona-Notstand“ ist nur die erste Phase des Energienotstandes. Hingegen beide politische Formen, die Form des „Corona-Notstandes“ und die Form des Energienotstandes, nur konkret-spezifisch die Entwertung des Kapitals reflektieren und die voneinander geschiedenen Formen nur verschiedene Phasen der Entwertung des Kapitals konkret-spezifisch widerspiegeln. Die Bourgeoisie droht der Arbeiterklasse mit einer „Schockpolitik“, um die Entwertung des Kapitals umzukehren, denn der aufziehende multipolare Weltmarkt bietet derzeit keine stabilen Akkumulationsbedingungen. Eine tendenziell zusammenbrechende internationale Kooperation mangels eines Hegemons destabilisiert den Weltmarkt, das jeweilige nationale Kapital ist auf sich selbst zurückgeworfen und somit kommt sofort das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse ins Visier des Kapitals, es droht eine „Schockpolitik“, eine schlagartige Deflationspolitik. Jedoch kann eine Deflationspolitik nur über einen bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) realisiert werden, der Verzicht der Arbeiterklasse muß massiv erzwungen werden. Im Namen der „nationalen Sicherheit“ marschiert dann die Repression des bürgerlichen Staates gegen die Arbeiterklasse. Eingeleitet wird diese Politik meist über eine Strategie der Spannung, deren Ziel es ist, den „inneren Feind“, wie den „äußeren Feind“ konkret zu bestimmen und die Massenlegitimation für dessen Vernichtung zu besorgen. Zum „Feind“ wird man, wenn man den geforderten Verzicht, den die Arbeiterklasse leisten soll, verweigert. Verzichtsverweigerung ist ein Angriff auf die „nationale Sicherheit“.

Im Energienotstand wird die „Freund/Feind-Kennung“ zentral. Ein Recht auf Opposition gibt es nicht mehr und deshalb muß zuerst die Meinungsfreiheit beseitigt werden. Heute ist Opposition mit „Feind“ gleichgesetzt. Erlaubt ist nur noch Kritik an einzelnen Momenten und dies nur zur Optimierung der vorgegebenen Ziele. Eine Grundsatzkritik kann heute die soziale Existenz gefährden. Immer auch ist eine Einschränkung der Meinungsfreiheit eine Einschränkung der Organisationsfreiheit des Proletariats, denn ohne Meinungsfreiheit ist eine proletarische Organisierung unmöglich und die Organisation ist die stärkste Waffe des Proletariats im Klassenkampf. Der bürgerliche Staat versucht über den Angriff auf die Meinungsfreiheit die Arbeiterklasse zu desorganisieren und damit zu entwaffnen. Das Ziel ist die Atomisierung der Arbeiterklasse und ihre Fesselung des Proletariats als Objekt der Akkumulation, die Verhinderung des Aufstiegs der Arbeiterklasse vom Objekt zum Subjekt der Klassengeschichte. Widerstand gegen die Deflationspolitik ist dann eine Gefahr für die „nationale Sicherheit“, während Deflationspolitik und Schockpolitik diese zu sichern helfen. Die Schockpolitik ist ein politischer Blitzkrieg gegen die Arbeiterklasse und setzt den Notstandsstaat als Exekutionsorgan voraus, welcher das schützende Schild über die Deflationspolitik hält.

Der „innere Feind“ sind konkret proletarische Kerne in der Arbeiterbewegung, welche der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse auf nationaler wie internationaler Ebene innerhalb des multipolaren Weltmarktes im Wege stehen und sich den Anforderungen des multipolaren Weltmarktes gegenüber mindestens passiv, wenn nicht gar aktiv, verwehren und die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse blockieren. Das Kapital ist notfalls bereit, den Widerstand gewaltsam zu brechen. Im Visier hat das Kapital zentral die Gewerkschaften, als zentrale proletarische Massenorganisation zur unmittelbaren Verteidigung des proletarischen Reproduktionsniveaus. Sollten die Gewerkschaften die Neuzusammensetzung des Kapitals- Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse verhindern oder auch nur behindern, droht die offene oder verdeckte Zerschlagung derselben. Gleichzeitig eröffnet man der Gewerkschaftsbürokratie Optionen für einen Einbau in den bürgerlichen Staat und damit den Weg in eine Arbeitsfront. Die Gewerkschaftsbürokratie kapitulierte abermals, wie schon Anfang des 21. Jahrhunderts in der Hartz IV-Frage und in der Frage der Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen. Statt relativer reformistischer Gegenmacht fungieren die von der Gewerkschaftsbürokratie geführten Gewerkschaften immer mehr als Betriebspolizei. Besonders wird dies deutlich, wenn sie unter dem Energienotstand drastische Reallohnverluste akzeptieren. Es gab keinen ernsten Versuch die Reallohnverluste durch die inflationären Tendenzen vermittels Lohnerhöhungen auszugleichen. Die Gewerkschaftsbürokratie erklärte sich für nicht zuständig, denn die inflationären Tendenzen wären Folgen des Ukraine-Krieges und des transatlantischen antirussischen Wirtschaftskrieges und würden nicht in den Zuständigkeitsbereich der Gewerkschaften fallen, sondern in dem Zuständigkeitsbereich der „Politik“, also des bürgerlichen Staates. Jedoch haben die Gewerkschaften ein „politisches Mandat“ und die Aufgabe, die Interessen der Lohnarbeiterklasse auch gegenüber der Politik des bürgerlichen Staates zu verteidigen, erst Recht dann, wenn der bürgerliche Staat einen Wirtschaftskrieg auf dem Rücken der Arbeiterklasse führt, erst Recht dann, wenn der bürgerliche Staat damit riskiert, daß der Wirtschaftskrieg in einen imperialistischen Krieg umschlägt. Objektiv deckt damit die Gewerkschaftsbürokratie den transatlantischen antirussischen Wirtschaftskrieg und akzeptiert so auch die mögliche Eskalation in den Dritten Weltkrieg und gibt die Klasseninteressen des Proletariats dem Kapital preis, fungiert als innere Schiene der Repression des bürgerlichen Klassenstaates. Vom potentiellen „Feind“ des Kapitals schwenken die von der Gewerkschaftsbürokratie geführten Gewerkschaften zur Position des „Freundes“ der Ausbeutung um. Das sichert die materielle Existenz und die Reproduktion der Gewerkschaftsbürokratie ab, eben auf Kosten der materiellen Existenz der Arbeiterklasse.

Die Selbstgleichschaltung ist die höchste Form der Gleichschaltung und die Gewerkschaftsbürokratie steht anderen Akteuren in Nichts nach und ist ein Rückgriff auf bewährte Muster der Geschichte. Im Ersten imperialistischen Weltkrieg realisierte die Gewerkschaftsbürokratie ihre Selbstgleichschaltung mit dem Kapital, die Politik des „Burgfriedens,“ und am Ende der Weimarer Republik und am Anfang des deutschen Faschismus versuchte die Gewerkschaftsbürokratie ebenfalls eine Politik des „Burgfriedens“ und damit der Selbstgleichschaltung zu realisieren, suchte die Koexistenz mit dem deutschen Faschismus, der zielsicher auf den zweiten imperialistischen Weltkrieg zusteuerte. Doch die Selbstgleichschaltung reichte dem deutschen Faschismus nicht aus. Er zerschlug die Gewerkschaften und gründete die Deutsche Arbeitsfront, denn auch die deformierte und entartete Existenz der Gewerkschaften sah er noch als „Gefahr für die nationale Sicherheit“ und als potentielles „Sicherheitsrisiko“. Tabula rasa war dann die Lösung. Die Selbstgleichschaltung muß nicht erfolgreich sein und kann keine Gleichschaltung durch den bürgerlichen Staat verhindern. Bisher reicht dem deutschen Kapital die Selbstgleichschaltung der Gewerkschaften durch die Gewerkschaftsbürokratie. Der korporatistische Block des Modell Deutschland aus Kapital, bürgerlichem Staat und Gewerkschaftsbürokratie funktioniert auch unter den Bedingungen des Energienotstandes und funktionierte auch im „Corona-Notstand,“ ist eine gute materielle Basis für einen Notstand und formuliert einen „nationalen Konsens“ für die Interessen des deutschen Imperialismus. Wer in Opposition zu diesem „nationalen“ Konsens steht, wird zum „inneren Feind“. Es gibt keine Klasseninteressen mehr, sondern nur noch „nationale Interessen“, welche die „nationalen Interessen“ des deutschen Kapitals sind. In der „Nation“ materialisiert sich der bürgerliche Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) und dieser verwirklicht sich in einer Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft, in der nur das Kapital in vielfältigen Formen organisiert ist, nicht aber die Arbeiterklasse. Unabhängige Gewerkschaften, wie andere proletarische Massenorganisationen, werden nicht geduldet.

Dies heißt nicht, daß eine Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft oberflächlich uniformiert sein muß. Sie kann auch im zivilen Gewand daherkommen, wie jetzt. Gegenwärtig wird die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft als „Zivilgesellschaft“ formiert. Ein buntes Universum von Ein-Punkt-Bewegungen bzw. Ein-Punkt-Organisationen nach dem Prinzip der Minderheit, dabei werden über „Identitätspolitiken“ immer neue und immer mehr „Minderheiten“ konstruiert. Diese Minderheiten stellen sich als absolut in den Mittelpunkt und verweigern sich der gesellschaftlichen Totalität. Minderheit gegen Minderheit, „Identität gegen „Identität“ stehen sich unversöhnlich gegenüber. Eine kapitalistische Politik der Spaltung, nach dem Prinzip: „Teile und herrsche“, welche die schon vorhandenen Spaltungen noch vertieft und neue erschafft. Das Kleinbürgertum repräsentiert sich in der „Identitätspolitik/Minderheitenpolitik“ und tritt der Arbeiterklasse feindlich entgegen. Das Proletariat organisiert sich, um sein gesellschaftlich notwendiges Reproduktionsniveau zu verteidigen, während sich das immer tiefer gespaltene Kleinbürgertum um die Bourgeoisie scharrt und versucht seine Gunst zu gewinnen, auf Kosten der jeweils anderen „Minderheit“ im Kleinbürgertum und erst Recht auf Kosten der Arbeiterklasse. Umso größer und tiefer die Entzweiung in der bürgerlichen Gesellschaft in „Minderheiten“, desto größer ist die Rolle des bürgerlichen Staates in dieser, denn er vermittelt über sich die relative Einheit der bürgerlichen Gesellschaft. Der bürgerliche Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) spaltet die bürgerliche Gesellschaft, damit sie selbst keine relative Einheit herstellen kann, sondern nur vermittelt über den bürgerlichen Ausnahmestaat. Es darf keine politische Kraft neben dem bürgerlichen Ausnahmestaat geben. Für den bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) ist eine relative Einheit innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft eine große Gefahr, denn sie gibt der bürgerlichen Gesellschaft eine tendenzielle Unabhängigkeit von ihm. Ein Garant für die Existenz des bürgerlichen Ausnahmestaates ist eine eigene soziale und politische Massenbasis, die jedoch gegen den proletarischen Einfluß abgeschirmt werden muß, denn sonst zerbricht sie. Jede unabhängige Organisierung gegen die soziale und politische Massenbasis des bürgerlichen Ausnahmestaates, auch im Kleinbürgertum, muß ebenfalls abgelenkt und zersplittert werden, denn nur dann sind diese Splitter auf den bürgerlichen Ausnahmestaat ausgerichtet. Nur wenn die „Zivilgesellschaft“ um den bürgerlichen Staat konzentriert ist, nicht- unabhängig ist, wird sie vom bürgerlichen Staat akzeptiert und fungiert als der lange verdeckte Arm des bürgerlichen Klassenstaates. Die „NGO`s“ (Nichtregierungsorganisationen) sind verdeckte Staatsorganisationen und/oder verdeckte Organisationen des Kapitals, denn sie werden über den bürgerlichen Staat und/oder vom Kapital (seinen „Stiftungen“) finanziert, auch über Großspenden bzw. Großspenden aufgeteilt über eine Vielzahl von Kleinspenden. Nur die wenigsten Nichtregierungsorganisationen sind wirkliche Nichtregierungsorganisationen und sind nicht nur vom bürgerlichen Staat, sondern auch vom Kapital unabhängig und finanzieren sich aus wirklichen Kleinspenden. Jedoch die überwiegende Mehrheit dieser Nichtregierungsorganisationen werden von der Bourgeoisie finanziert und müssen sich den Entscheidungen der Bourgeoisie unterwerfen, wenn sie ihre soziale Existenz sichern wollen. Auf keinen Fall ist der „NGO-Sektor“ bzw. die „Zivilgesellschaft“ unabhängig und steht auch nicht über den Klassen, sondern ist ein kleinbürgerlicher Sektor, der von der Bourgeoisie geführt wird. Verweigern Nichtregierungsorganisationen den Gehorsam gegenüber der Bourgeoisie, wird die Finanzierung eingestellt und die soziale Existenz ist gefährdet. So ist der staatsnahe und kapitalnahe Sektor der Nichtregierungsorganisationen auf die Gnade der Bourgeoisie angewiesen und das Sprachrohr der Bourgeoisie, aber nicht das Sprachrohr der „Minderheiten“. Die Interessen der „identitären Minderheiten“ werden nur in so weit vertreten, wie es den Interessen der Bourgeoisie nützlich ist, zumindest nicht zuwider verläuft. Auf keinen Fall steht die „Zivilgesellschaft“ für eine Selbstorganisation von unten, also für eine demokratische Selbstorganisation der Massen bzw. für eine Selbstorganisation der Arbeiterklasse, sondern genau entgegengesetzt, für eine Organisierung der Massen von oben und damit eine hierarchische, antidemokratische und autoritäre Organisierung der Massen durch die herrschende Klasse, steht für eine Fremdorganisierung der Massen durch die Bourgeoisie, konkret indirekt über den bürgerlichen Staat und/oder direkt durch das Kapital. In letzter Instanz wird die „Zivilgesellschaft“ durch die Bourgeoisie gesteuert, sie ist für die Bourgeoisie lediglich ein Transformationsriemen mit Stoßrichtung auf das Kleinbürgertum und soll das Kleinbürgertum um die Bourgeoisie gruppieren, damit die bürgerliche Klassenherrschaft gewahrt bleibt. Die Bourgeoisie finanziert ihre „Zivilgesellschaft“ in eigenen Land und unterbindet alle Versuche der Finanzierung der „Zivilgesellschaft“ durch die Weltmarktkonkurrenten, wie auch versucht sie die „Zivilgesellschaft“ der Weltmarktkonkurrenten zu finanzieren, zum Schaden der Weltmarktkonkurrenten. Die „Zivilgesellschaft“ ist eine Waffe des Kapitals im Klassenkampf gegen die Arbeiterklasse und eine Waffe in der Weltmarktkonkurrenz.

Im neoliberalen Akkumulationsmodell verloren die Parteien für das Kapital ihre zentralen Funktionen als Transmissionsriemen zu den Massen und ihre Funktion als Legitimationsbeschaffer. Es erfolgte eine Abkopplung der Bourgeoisie von den Parteien des Parteiensystems und in den Parteien wurde die Parteibasis weiter entmachtet. Immer mehr wurden die Parteien zu Momenten in einer Befehlshierarchie. Die Bourgeoisie spricht über das Parteiensystem einseitig zu den Massen und läßt die Interessen der Massen nicht zu Wort kommen. Die Massen brechen mit den Massenparteien und ziehen sich zurück und verfallen in Apathie. Im neoliberalen Weltmarkt, dessen einzige Garantiemacht der US-Imperialismus war, ist die Apathie der Massen, welche sich in der Ideologie der „Alternativlosigkeit“ aussprach, der zentrale Pfeiler seiner Stabilität und scheinbaren „Alternativlosigkeit“.

Während die Parteien zu einer leeren Hülle verkommen, wo die Massen entwichen sind und eine Massenmobilisierung zum Zwecke der Massenlegitimation des neoliberalen Akkumulationsregimes nicht mehr möglich und von der Bourgeoisie nicht mehr erwünscht ist, sondern nur noch der leere, passive, Akt des Wählens als Folge einer Wählermobilisierung einer kollektiven Einheitspartei, erfolgt die aktive und dynamische Massenlegitimation über die „Zivilgesellschaft“ durch atomisierte und damit in sich eingeschlossene identitäre Minderheiten. Diese „Zivilgesellschaft“ ist zentral auf die bürgerlichen Medien ausgerichtet und die Funktion der bürgerlichen Medien ist es, die Positionen der „Zivilgesellschaft“ an die Massen zu vermitteln, sie als verbindlich darzustellen. Wer von dem neoliberalen und jetzt nationalliberalen Konsens zu weit abrückt, muß Repression durch alle Instanzen der Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft erwarten. Die Kommunikation der herrschenden Klasse mit den unterworfenen Klassen wird immer einseitiger; keine Diskussion mehr, sondern Befehl und Gehorsam. Eine politische Rückkopplung ist nicht mehr vorgesehen, weder im formal noch bestehenden Parteiensystem und erst Recht nicht im Kosmos der Nichtregierungsorganisationen. Es wird zumindest passive Zustimmung erwartet, besser aktive Zustimmung. Über den Kosmos der sogenannten Nichtregierungsorganisationen wird ein System der Zensur eingerichtet, deren Ziel es ist, jede gewichtige Kritik als „Feindhandlung“ zu denunzieren und den gewichtigeren Kritiker als „Feind“. Der „Feind“ soll aus der Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft ausgeschlossen werden. Diskussionen sind ein Ausschlußgrund aus der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft. Meinungsfreiheit auch als Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft wird drastisch beschnitten. Für die Bourgeoisie seht der „innere Feind“ immer mit dem „äußeren Feind“ in der Arena der Weltmarktkonkurrenz in Verbindung. Diese materielle Figur des „äußeren Feindes“ hilft dabei, den „inneren Feind“ zu konstruieren. Die grundsätzliche Kritik einer grundsätzlichen Opposition wird als Hilfe, gar als Verrat zu Gunsten des Weltmarktkonkurrenten bewertet. Es gibt nur noch „Freund“ oder „Feind“, aber nicht mehr Regierung und Opposition. Der „Feind“ muß mit allen Mitteln bekämpft und vernichtet werden. Mit der „Freund/Feind-Kennung wird die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft auf Krieg und Bürgerkrieg ausgerichtet und die Ökonomie auf eine Kriegswirtschaft. Der deutsche Imperialismus orientiert sich immer mehr auf die Epoche vor 1945, welche deutlicher als im sogenannten Kalten Krieg von einer „Freund/Feind-Kennung bestimmt war, denn sie wurde gewaltsamer und auch tödlicher exekutiert als im sogenannten Kalten Krieg. Im sogenannten Kalten Krieg, der Konfrontation des Imperialismus mit den bürokratischen Arbeiterstaaten schützte die Arbeiterklasse noch die parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates, die derzeit zerfällt und vom Notstand beiseitegeschoben wird. Es wird nicht nur auf vor 1989 zurückgegangen, sondern Schritt für Schritt auf vor 1945. Der offene Zusammenbruch der Ordnung von Jalta und Potsdam mit dem Ukraine-Krieg im Jahr 2022, wirft den Weltmarkt und die internationale Ordnung auf den Stand von vor 1945 zurück (dies unterscheidet qualitativ die internationale Ordnung von 1945 zu 2022; denn Jalta und Potsdam teilten die Welt in zwei Interessensphären zwischen dem Imperialismus und den bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten auf; heute müssen erst einmal die diversen und mannigfaltigen in sich widersprüchlichen imperialistischen Interessensphären definiert und realisiert werden), die internationale Konkurrenz mutiert zur internationalen Feindschaft und innerhalb eines jeden Landes reproduziert sich diese internationale Feindschaft zwischen den imperialistischen Metropolen, zwischen den kapitalistischen Staaten, in einer offenen Feindschaft zwischen Kapital und Arbeiterklasse in der Tendenz zum offenen Klassenkrieg. Es setzt sich eine Tendenz zum bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus).

Mit dem Verfall der parlamentarisch-demokratischen Form des bürgerlichen Staates und der Ablösung durch einen Notstandsstaat verfällt auch die parlamentarisch-demokratische Form der bürgerlichen Klassenjustiz und es breiten sich Tendenzen zu einem Sonderrecht heraus, die auf ein Feindrecht zielen, welches weit über das Strafrecht hinausgeht und das Arbeits- und Sozialrecht zu kontaminieren droht. Dieses Feindrecht baut sich über die Betonung der „Werte“ bzw. „Normen“ auf. Was die „Werte“ sind, wird nicht konkret präzisiert, sie stellen konkret ein abstraktes Bekenntnis zum transatlantischen Kapitalismus unter Führung des US-Imperialismus dar, den sogenannten westlichen Kapitalismus, bzw. den „Westen“ und der deutsche Imperialismus ist ein Teil des „Westens“. Noch zumindest. Denn folglich könnte jeder Imperialismus seine eigenen „Werte und „Normen“ in den Mittelpunkt stellen und sie zur Richtschnur seiner Politik machen. Wesentlich ist, daß die Gesetze nach diesen „Werten“ und „Normen“ interpretiert, ausgelegt, werden sollen, auch die internationalen „Gesetze“ und damit konkret das Völkerrecht. Nach dem Willen der transatlantischen Metropolen stehen die „westlichen Werte und Normen“ höher als das Völkerrecht, welches an diese „Normen und Werte,“ auch durch Uminterpretation, angepaßt werden soll. Es sind die „Normen“ und „Werte“ eines transatlantisch, neoliberalen Kapitalismus, Imperialismus, der mit anderen „Normen“ und „Werten“ des russischen Imperialismus und Chinas in Konkurrenz und Feindschaft steht.

Die Bourgeoisie setzt der Gesetzesnorm eine bestimmte gesellschaftliche Norm voraus. Diese gesellschaftliche Norm ist eine „Wertentscheidung“ in dem Sinne, daß die gesetzliche Norm im Sinne der gesellschaftlichen Norm interpretiert werden muß. Nicht nach dem Gesetz richtet sich zentral die bürgerliche Rechtsprechung, sondern nach den außerhalb des Rechts bestehenden „Normen“ und „Werten“. Wer nicht die neoliberalen oder transatlantischen „Normen“ und „Werte“ vertritt ist in der Defensive bzw. ist von der Rechtspflege ausgeschlossen. Es muß ein stummes Bekenntnis zu den transatlantischen und neoliberalen „Werten“ und „Normen“ abgelegt werden. Nicht die „Tat“ steht im Mittelpunkt der Justiz, sondern der Täter; es geht um die Gesinnung des Täters, um Gesinnungsjustiz, ob der „Täter“ die gerade von der Bourgeoisie geforderten „Normen“ und „Werte“ teilt und aktiv vertritt, oder ob er diese ablehnt. Die neoliberalen, transatlantischen, Werte vergehen im multipolaren Weltmarkt und werden ersetzt durch „nationale Werte“ und „nationale Normen,“ die auf eine „nationale Gesinnung“ abzielen. Es wird die individuelle Gesinnung kriminalisiert, wenn sie im Widerspruch zur „nationalen“ Gesinnung steht. Die Begriffe „Normen“ und „Werte“ stehen für den älteren Begriff der von der herrschenden Klasse organisierten und gewünschten (politischen) Gesinnung. Immer deutlicher wird die politische Gesinnung des Lohnarbeiters zum Maßstab seiner Beurteilung und Verurteilung, auch außerhalb des Strafrechts, z. B. im Arbeits-oder Sozialrecht. Gelingt es nicht einen Lohnarbeiter wegen seiner politischen Gesinnung strafrechtlich zu sanktionieren, so versucht man dies auf der arbeits-oder sozialrechtlichen, bzw. zivilrechtlichen Ebene. Das Feindrecht zielt auf die politische Gesinnung, ist „Täterrecht“, statt Tatrecht, nicht die Tat wird gestraft, sondern die politische Gesinnung des Täters. Dann geht es nicht um ein konkretes Vergehen, sondern um das Motiv und damit um die politische Gesinnung hinter der Tat, bzw. bei dem konkreten Verhalten, welches vom bürgerlichen Staat als Tat gewertet wird. Die vom bürgerlichen Staat eingeforderte korrekte politische Gesinnung („political correctness“) ist ein Moment des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) und dominiert damit auch die Klassenjustiz des bürgerlichen Ausnahmestaates, ist das zentrale Vor-Recht der Rechtsanwendung, zielt zentral auf die Zerstörung der proletarischen Meinungsfreiheit und damit auf die Zerschlagung der proletarischen Organisationsfreiheit. Das Ziel ist die Zerstörung des „inneren“, wie „äußeren Feindes“. Gesinnungsjustiz ist vorverlegter Staatsschutz. Die von der Bourgeoisie geforderte Gesinnung ist die Gesinnung des „Staatsschutzes“ oder auch die Gesinnung der „Staatssicherheit“ im Namen der „nationalen Sicherheit“, welche weit über den „Staatsschutz“ bzw. „Staatssicherheit“ hinausgeht und die gesamte bürgerliche Gesellschaft umfaßt, sich auch in der „Zivilgesellschaft“ materialisiert, wie in einer moralisierenden Politik, die in den bürgerlichen Medien als Maßstab für die „richtige Gesinnung“ ausformuliert wird.

Im Mittelpunkt dieser konkreten Ideologie steht die „Menschheit“ bzw. die „Menschheitsfragen“ derzeit konkret eingefaßt in der Frage des „Klimawandels“. Dahinter verschwinden alle konkreten Alltagsfragen und damit auch die „soziale Frage“, wie die Klassenfrage an der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse erscheint. Alle anderen Fragen, wie der Ukraine-Krieg werden entweder ignoriert oder in Verbindung mit den „Menschheitsfragen“ gebracht, nicht jedoch mit der Klassenfrage. Die identitäre Minderheitenpolitik zielt auf eine verhältnismäßige Repräsentation im Rahmen der „Menschheitsfragen“. Gemäß der identitären Minderheitenpolitik ist zwar eine „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ ausgeschlossen, nicht aber eine „allgemeine Menschenfeindlichkeit“. Eine „allgemeine Menschenfeindlichkeit“ ist durchaus zulässig, wenn sie prozentual nach ihrem Anteil die „Minderheiten“ mit einbezieht. Die „allgemeine Menschenfeindlichkeit“ materialisiert sich im Verzicht der Lohnarbeiterklasse und sie ist korrekt und wünschenswert aus der Sicht des Ideologems des „Klimawandels“, welches das ideologische Symbol auf der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse ist und konkret-spezifisch die Große Krise des Kapitalismus reflektiert, wenn alle „Minderheiten“ gemäß ihrem Anteil berücksichtigt werden. Dann soll der Verzicht „gerecht“ sein und muß autoritär gegen jeden verteidigt werden, welcher sich übervorteilt sieht. Das Ziel ist es, „allgemeine Menschenfeindlichkeit“ ohne „gruppenbezügliche Menschenfeindlichkeit“ zu exekutieren. Keine „Gruppe von Menschen“ soll bei dem notwendigen Verzicht bevorteilt oder benachteiligt werden. Es ist üblich, daß ganz allgemein von „Überbevölkerung“ gesprochen wird, welche eine Gefahr für das „Klima“ ist und man Abhilfe schaffen müsse; konkret: es wäre unverantwortlich Kinder in die Welt zu setzten, denn diese würden ja unter Umständen später das „Klima“ bedrohen. In neuen ökologischen, „klimafreundlichen“ Formen tauchen die alten Ideologien von Eugenik und Euthanasie wieder auf, ohne formal auf bestimmte Bevölkerungsgruppen zu zielen, jedoch real ist klar, daß hier wie traditionell abstrakt die Arbeiterklasse gemeint ist, konkret „Leistungseingeschränkte“ aller Art und damit auch Behinderte etc, wie auch international die Peripherie, die eine hohe Bevölkerungsdichte aufweist. Auch hier kehrt man in Deutschland in neuen ökologischen Formen zurück zu einer Zeit vor 1945, bzw. bezieht man sich konkret auf das 1933, wo der deutsche Faschismus sich anschickte Deutschland und die Welt neu zu organisieren. Es geht um eine Selektion zwischen arbeitsfähiger Ware Arbeitskraft von der nicht-arbeitsfähigen Ware Arbeitskraft, deren Ware Arbeitskraft den Wert 0 aufweist und damit keine Ware Arbeitskraft mehr ist, sondern nur noch Übervölkerung. Eine Ware Arbeitskraft, die potentiell keine Ausbeutungsmasse mehr darstellt, ist auch kein Glied mehr in der industriellen Reservearmee, sondern für das Kapital nur noch überflüssig und kann wie alle überschüssige Ware vernichtet werden. Es geht um die Vernichtung überzähligen Menschenmaterials, welches die Akkumulation des Kapitals behindert und damit die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse, welche notwendig ist, um die Große Krise zu transzendieren, was notwendig ideologisch verdreht auf der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse als „Klimaschutz“ erscheint. „Klimaschutz“ bedeutet konkret unter kapitalistischen Produktionsverhältnisse eben nicht „Schutz des menschlichen Lebens“, sondern Gefährdung des menschlichen Lebens und aus diesem Grunde ist dann „Klimaschutz“ gelebter „Staatsschutz“, realisierte „nationale Sicherheit“. Das „Gutmenschentum“ der moralisierenden Politik führt direkt in die Barbarei und in die „nationale Sicherheit“ des Notstands.

Dem Proletariat geht es nicht um „Klimaschutz“, sondern um Umweltschutz und dies faßt den „Klimaschutz“ mit ein. „Klimaschutz“ ist nur ein Moment des „Umweltschutzes“ und der „Umweltschutz“ geht über den „Klimaschutz“ weithinaus, denn „Umweltschutz“ ist keine nur „ökologische“ Politik, sondern ein Moment proletarischer Klassenpolitik, faßt die sozialen Klassenverhältnisse der kapitalistischen Klassengesellschaft mit ein. Konkret: Auch und vor allem ist Arbeitsschutz konkreter „Umweltschutz“. „Umweltschutz“ und damit auch „Klimaschutz“ beginnt am Arbeitsplatz bzw. Ausbeutungsplatz, in der Produktionssphäre als Urgrund der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. „Umweltschutz“ und damit auch „Klimaschutz“ kann sich nur Sozialismus verwirklichen, nicht aber im Kapitalismus, d.h. „Umweltschutz“ bzw. „Klimaschutz“ ist eine der Formen, in dem die Klassenfrage an der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse erscheint und verlangt eine antikapitalistische, sozialistische Politik, wenn sie erfolgreich sein soll. Ist eine ökologische Politik nicht in eine proletarische Klassenpolitik eingebettet, wird sie reaktionär, wird eine ökologische Politik zu einer Waffe der Bourgeoisie in seinem Klassenkampf gegen das Proletariat und somit zu einer Frage der „nationalen Sicherheit“.

Der „innere Feind“ der Bourgeoisie teilt sich auf in den „politischen Feind“ und den „sozialen Feind“. Während der „politische Feind“ die Akkumulation durch seinen Widerstand behindert, ist der „soziale Feind,“ die Übervölkerung der „Leistungsgeminderten“ bzw. der nicht mehr ausbeutungsfähigen Ausbeutungsmasse ein Hindernis für die Akkumulation. Bevor das Kapital sich dem „sozialen Feind“ annimmt, muß der „politische Feind“ vernichtet werden, denn der „politische Feind“ ist es, der verhindert, daß der „soziale Feind“ vernichtet wird. Beide Formen des „inneren Feindes“, der „politische Feind“, wie der „soziale Feind“ sind aus Sicht des Kapitals eine „Bedrohung für die nationale Sicherheit“ und werden entsprechend bekämpft. Wenn es nicht gelingt politisch einen erfolgreichen Widerstand zu organisieren, stürzt sich das Kapital auf den „sozialen Feind“ und statuiert an diesem ein Exempel auch für den „politischen Feind“, denn es wird versucht, durch Säuberung der Betriebe und Drohung mit dieser Praxis, den „politischen Feind“ in den „sozialen Feind“ aufzulösen und ihn damit zu disziplinieren. Hartz IV ist die Waffe des Kapitals, welche unmittelbar den „sozialen Feind“ trifft, aber mittelbar den „politischen Feind“. Mit Hartz IV treten auch Momente des bürgerlichen Ausnahmestaates schon der demokratisch-parlamentarischen Form des bürgerlichen Staates auf. Der bürgerliche Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) hat eine Geschichte und kommt nicht über Nacht. Diese Geschichte des bürgerlichen Ausnahmestaates beginnt mit Hartz IV. Hartz IV setzt nur die Potentialität für eine Entwicklung zum bürgerlichen Ausnahmestaat; es führt kein gradliniger Weg von Hartz IV in den bürgerlichen Ausnahmestaat, sondern dieser ist das Ergebnis von Klassenkämpfen. Wenn kein direkter Weg vom Hartz IV-System in den bürgerlichen Ausnahmestaat führt, dann noch ein unebener indirekter Weg. Über die Realisation von Hartz IV betritt die Bourgeoisie den Weg in einen autoritären Kapitalismus, muß den Weg aber nicht zu Ende gehen und kann dies auch nicht ohne weiteres. Ob die Bourgeoisie den Weg in den autoritären Kapitalismus weitergeht oder zum Umkehren gezwungen wird, hängt vom Klassenkampf ab. Eine Defensive des Proletariats beantwortet die Bourgeoisie mit dem bürgerlichen Ausnahmestaat, denn nur in einer Defensive des Proletariats kann die Bourgeoisie das Kleinbürgertum an sich binden und dieses als soziale und politische Massenbasis aktiv nutzen. Das Kleinbürgertum steht objektiv, weil strukturell, der Bourgeoisie näher als der Arbeiterklasse, kann aber in Phasen der proletarischen Offensive als Bündnispartner für die Arbeiterklasse gewonnen werden und marschiert unter der proletarischen Hegemonie dann mit der Arbeiterklasse gegen das Kapital. Grundlage für ein Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Kleinbürgertum ist zuerst eine proletarische Einheitsfront in der Arbeiterklasse selbst, denn das Kleinbürgertum marschiert nur auf der Seite der konkret stärksten Macht. Der bürgerliche Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) bedarf verschiedener Ausprägungen der sozialen Massenlegitimation durch das Kleinbürgertum, je nach historischer Form geschieden, um zu existieren. In Phasen der proletarischen Offensive ist dies nicht möglich, da das Kleinbürgertum auf Seiten des Proletariats konzentriert ist. In revolutionären Situationen versucht die Bourgeoisie in den bürgerlichen Ausnahmestaat zu flüchten, ist aber zu schwach diesen zu realisieren, da die soziale und politische Massenunterstützung aus den Reihen des Kleinbürgertums fehlt. In diesen Phasen ist der bürgerliche Ausnahmestaat nur noch seine Karikatur, denn er hängt ohne soziale und politische Massenbasis in der Luft, da das Proletariat in einer revolutionären Phase ihm die kleinbürgerliche soziale und politische Massenunterstützung entzieht. Immer entscheidet der Klassenkampf über den bürgerlichen Ausnahmestaat.

Das Hartz IV-System ist ein Zeichen für die proletarische Defensive und ist ein großer Sieg des Kapitals. Damit hat das Kapital die materielle Grundlage für die Fortsetzung seiner Offensive gelegt und realisiert sich materiell in der Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse. Das Proletariat ist noch weiter in die Defensive gedrängt. Innerhalb des parlamentarisch-demokratisch bürgerlichen Staates wurde ein Sektor des Ausnahmezustandes geschaffen, welcher nur ungenügend vom parlamentarisch-demokratischen bürgerlichen Staat kontrolliert wird und zentral auf bestimmte Segmente der industriellen Reservearmee ausgerichtet ist. Das Ziel ist die Transformation dieser Segmente der industriellen Reservearmee in eine arbeitende Armut; diese Segmente der industriellen Reservearmee sollen in den zweiten prekären Arbeitsmarkt (Verschränkung von Niedriglohn und Niedrigsozialleistungen) mobilisiert werden und als Ausbeutungsmasse für das Kapital dienen und somit die Akkumulation des Kapitals befördern. Dazu wird das Hartz IV-System geschaffen, welches ein Ausnahmesystem ist und dessen Ziel es ist, die im Hartz IV-System konzentrierten Erwerbslosen schutzlos der Ausbeutung des Kapitals zu überantworten.

Dazu wird eine Arbeitspflicht verhängt. Jede Arbeit muß angenommen werden. Es gibt keinen Qualifikationsschutz und keinen Tarifschutz mehr. Nur Arbeit, welche gegen die „guten Sitten“ verstößt, darf abgelehnt werden. Um dies Ziel zu erreichen wird eine Beweislastumkehr eingeführt. Nun muß der Erwerbslose nachweisen, daß die angebotene Arbeit unzumutbar ist und nicht mehr der bürgerliche Staat, was in der Praxis kaum möglich ist. Wird die angebotene Arbeit dennoch abgelehnt, drohen Sanktionen. Diese Sanktionspraxis wurde vom Bundesverfassungsgericht modifiziert, aber nicht beendet. Es darf nur bis zu einem bestimmten Prozentsatz gekürzt werden, nicht jedoch zu einer totalen Kürzung kommen. Die Hartz IV-Apparate können aber ohne weiteres verschiedene Sanktionen auf akkumulieren und diese Kürzungen realisieren. Zudem ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts widersprüchlich und läßt noch tiefere Kürzungen zu. Die Sanktionsfrage wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht eindeutig geklärt, sondern dieser Bereich ist jetzt noch unklarer als vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, was den Druck auf die Erwerbslosen nicht abmildert, sondern sogar noch erhöht. Es kann immer auch jetzt noch geschehen, daß bis in die Obdachlosigkeit sanktioniert werden kann, ausgeschlossen ist dies nicht. Die Waffe der Sanktionen bleibt immer noch scharf und wird auch eingesetzt.

Wenn jede Arbeit angenommen werden muß, werden die von der Gewerkschaft erkämpften Tarifverträge unterlaufen, die relative Tarifautonomie wird tendenziell zerstört, was auf die Reallohnentwicklung der aktiven Arbeiterarmee deutlich zurückschlägt. Mit Hartz IV wird deutlich die industrielle Reservearmee gegen die aktive Arbeiterarmee ausgespielt. Teile und herrsche. Das Hartz IV-System hängt wie ein Bleigewicht an der Reallohnentwicklung des Proletariats und des Kleinbürgertums. Ohne die Zerstörung des Hartz- IV-Systems kann eine nachhaltige Reallohnsicherung oder gar Reallohnerhöhung nicht realisiert werden. Das Hartz IV-System zielt unmittelbar gegen die industrielle Reservearmee, jedoch mittelbar auf die aktive Arbeiterarmee. Über die Institutionalisierung des prekären zweiten Arbeitsmarktes durch das Hartz IV-System wird die Spaltung zwischen Kern- und Randbelegschaften weiter vertieft und als Ganzes das gesellschaftlich notwendige Reproduktionsniveau der Arbeiterklasse abgesenkt, denn die Ware Arbeitskraft wird im Hartz IV-System drastisch entwertet, indem der soziale Schutz der erwerbslosen Ware Arbeitskraft zerstört wird und damit diese dem Kapital schutzlos ausgeliefert wird.

Um den Druck auf die Hartz IV-Bezieher noch zu verstärken, wird zur „sozialen Sippenhaft“ gegriffen. Nicht nur die individuelle erwerbslose Ware Arbeitskraft ist dem Hartz IV-System schutzlos ausgeliefert, sondern auch die „Bedarfsgemeinschaft“. Auch für sie gelten die Regelungen des Hartz IV-Systems. Um die Abhängigkeit des erwerbslosen Lohnarbeiters im Hartz IV-System zu reduzieren oder gar aufzuheben, ist die vom Hartz IV-System bürokratisch konstruierte „Bedarfsgemeinschaft“ ebenfalls verpflichtet, eine Lohnarbeit notfalls im prekären zweiten Arbeitsmarkt aufnehmen. Auch damit endet die Repression nicht. Die „Bedarfsgemeinschaft“ wird mit Hausdurchsuchungen und Razzien von Arbeitsamt kontrolliert, ob kein „Sozialmißbrauch“ stattfindet, dabei werden nicht nur Konten durchleuchtet, sondern die Wohnung kontrolliert und auf Denunziation zurückgegriffen. Es wurden eigene „Ermittlungsdienste“ gegründet oder diese „Ermittlungen“ an Werkschutzunternehmen ausgelagert. Gleichzeitig wird vom Arbeitsamt gegen die Erwerbslosen ein „Profiling“ betrieben und ein soziales und psychologisches Profil angelegt, auf welches auch die Repressionsapparate zurückgreifen können und dem Arbeitsamt das bürokratische Material für die Verhöre der Erwerbslosen liefern, wie auch für die „Schulungen“, welche der Gehirnwäsche dienen, die den Widerstand des atomisierten Erwerbslosen brechen sollen.

Vorgeschaltet werden kann noch ein kommunaler Arbeitseinsatz zur „Arbeitserprobung“. Bei Ablehnung drohen ebenfalls Sanktionen. Diese Arbeitsstellen in dem kommunalen Arbeitsdienst sind keine regulären Arbeitsstellen/Arbeitsplätze und konstituieren kein Arbeitsverhältnis, sondern ein Sozialrechtsverhältnis. Es wird kein Lohn gezahlt, sondern eine Aufwandsentschädigung. Nur die wenigsten Arbeitsgesetze gelten. Es darf kein Betriebsrat gewählt werden. Die Gewerkschaft darf zwar organisieren, aber nicht zu Arbeitskampfmaßnahmen aufrufen. Eine „demokratische Zwangsarbeit“ zur „Arbeitsgewöhnung“.

Doch bevor man das dunkle Hartz IV-Reich betritt, muß man vollkommen mittellos sein und damit relativ hilflos. Das Vermögen und auch das Vermögen und das Einkommen der „Bedarfsgemeinschaft“ muß aufgebraucht sein. Es findet am Tor von Hartz IV eine Bedürftigkeitsprüfung statt. Hat die „Bedarfsgemeinschaft“ ein zu viel an Einkommen und/oder Vermögen wird der Antrag auf Hartz IV vom Hartz IV-System verworfen. Dies gilt auch für ergänzende Leistungen zum Niedriglohn. Nur bis zu einem bestimmten Niedriglohnsatz wird ergänzendes Arbeitslosengeld II gezahlt. Das Ziel des Hartz IV-Systems ist es, den Vollbezug von Hartz IV zu beenden und in ergänzende Bezüge zum Niedriglohn umzuwandeln. Nur eine Minderheit der Hartz IV-Bezieher traut sich juristisch gegen die Repression zu wehren, der politische Widerstand ist noch geringer. Ohne zumindest juristischen Widerstand hat das Hartz IV-System freie Hand. Die Repression des Hartz IV-Systems wirkt, sie lähmt schon präventiv den proletarischen Widerstand. Kein Kläger-keine Klage, keine Aktion der parlamentarisch-demokratischen Klassenjustiz aus sich selbst heraus. Das Hartz IV-System hat die industrielle Reservearmee und auch die aktive Arbeiterarmee entpolitisiert und weitgehend in die Resignation getrieben.

Hartz IV ist der Notstand gegen die Erwerbslosen und ein Muster für einen Notstand gegen die gesamte Arbeiterklasse und übt einen großen Reiz auf die Bourgeoisie aus, auf nationaler Ebene in gleicher Weise zu verfahren. Der „Corona-Notstand“ war der erste Schritt dahin, der zweite Schritt ist der Energienotstand. Hartz IV für die gesamte bürgerliche Gesellschaft bzw. Hartz IV als „neue Normalität“ für die gesamte bürgerliche Gesellschaft. Der Notstand als „neue Normalität“ der bürgerlichen Gesellschaft. Die Schwäche der Arbeiterklasse provoziert geradezu den Notstand. Je mehr die Bourgeoisie dem Reiz des Notstands verfällt, desto mehr wandelt sie objektiv auf den Spuren des deutschen Sonderweges. Autoritär nach Innen und eine Schaukelpolitik zwischen West und Ost. Beides gehört zusammen. Eine Schaukelpolitik zwischen West und Ost hat zur Bedingung eine autoritäre innere Ausrichtung und eine innere autoritäre Ausrichtung führt zu einer Schaukelpolitik zwischen West und Ost. Die derzeitige Westorientierung des deutschen Imperialismus kommt in den Widerspruch mit der immer autoritärer werdenden inneren Entwicklung und umgekehrt. Mittelfristig wird dieser Widerspruch gelöst werden- in Richtung deutscher Sonderweg, wenn die Arbeiterklasse der deutschen Bourgeoisie nicht den Weg versperrt.

Der „Corona-Notstand“ und der nun nachfolgende Energienotstand hebt die Entpolitisierung der Arbeiterklasse auf ein höheres Niveau. Die Spaltung der Arbeiterklasse und die Spaltung des Kleinbürgertums führen immer mehr zur Resignation und Ohnmachtserfahrungen in der Lohnarbeiterklasse und zersetzt die proletarischen Massenorganisationen. Zum Verzicht bedarf es keiner proletarischen Massenorganisationen, bedarf es keiner Gewerkschaften. Über den „Corona-Notstand“ wurde die Arbeiterklasse zwangsweise und repressiv weiter entpolitisiert, indem die alten noch bestehenden sozialen Beziehungen gekappt und eine neue „Isolations-Normalität“ implantiert wurde. Es setzte sich der „Sachzwang“ bzw. die „Alternativlosigkeit“ als technokratische Momente. Der Notstand war und ist ein „alternativloser Sachzwang“ in den Augen der Bourgeoisie, wenn die multipolare Weltmarktkonkurrenz sich verschärft und gleichzeitig die Defensive der Arbeiterklasse anhält. Am Ukraine-Krieg läßt sich die Zuspitzung der Weltmarktkonkurrenz im multipolaren Weltmarkt ablesen. Der Weltmarkt wird neu verteilt und der Krieg ist ein Mittel in dieser Neuverteilung des Weltmarktes, ebenso der Notstand. Im Ukraine-Krieg fällt auch die Welt von Jalta und Potsdam in Trümmern, die Nachkriegszeit, welche sich aufteilt in die Epochen des sogenannten Kalten Krieges und die Epoche der neoliberalen US-Herrschaft. Mit dem Ukraine-Krieg beginnt die Vorkriegszeit bzw. die Vorkriegszeit zu einem Dritten Weltkrieg, den nur die Arbeiterklasse verhindern kann. Im Ukraine-Krieg konzentriert sich die Entwertung des Kapitals in der durchschnittlichen Bewegung des Kapitals im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate. Der Ukraine-Krieg und die Entwertung des Kapitals in den inflationären Tendenzen sind keine isolierten Momente und stehen gleichgültig zueinander, sondern sind eine dialektische Einheit; der Ukraine-Krieg ist nur der politische Ausdruck der materiellen Krise der Kapitalakkumulation. Die Große Krise entlädt sich in einer Kette von imperialistischen Kriegen und die imperialistischen Kriege sind der politische Ausdruck der Großen Krise der Akkumulation, welche sich in einem Dritten Weltkrieg konzentrieren könnten. Krieg und Krise sind eine dialektische Einheit. Weltwirtschaftskrise bedeutet Weltwirtschaftskrieg bedeutet (Dritten-) Weltkrieg. Eine Weltwirtschaftskrise, Große Krise, hat einen ökonomischen Beginn, doch später erscheint sie nur noch in politischen Formen und nicht in ökonomischen Formen wie zu Beginn. Konkret. In ökonomischen Formen erschien die Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008, um danach sich in mannigfaltige politische Formen zu mystifizieren. Die materielle Basis all der verschiedenen politischen Krisen ist die Weltwirtschaftskrise seit den Jahren 2007/2008 und die Verschärfung der politischen Krisen reflektiert konkret-spezifisch die Verschärfung der ökonomischen Krise in relativer Autonomie zu dieser. Der potentielle Marsch des deutschen Imperialismus mittelfristig in seinen Sonderweg ist ebenso eine Reaktion auf diese Entwicklung. Die Akkumulationsdynamik des multipolaren Weltmarktes verschiebt sich nach Eurasien, was die transatlantischen Metropolen versuchen zu verhindern und dabei scheitern. Durch den Ukraine-Krieg wird die Welt neu im Sinne des multipolaren Weltmarktes neu geordnet und es entstehen neue Kräfteverhältnisse innerhalb der imperialistischen Kette, welche zu imperialistischen Großräumen führen, welche die zentralen Momente der multipolaren Weltmarktkonkurrenz werden. Hier liegt die materielle Basis für das neuerliche Beschreiten des deutschen Sonderweges. Die „Pax Americana“ verschwindet und weicht einem multipolaren Schlachtfeld, wenn es nicht der Arbeiterklasse gelingt, in die revolutionäre Offensive zu gehen.

  1. Der proletarische Weg

-Generalstreik gegen Krieg und Krise

-Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, ansetzend an der alltäglichen Sabotage der Ausbeutung (vor allem auch in der Kritischen Infrastruktur) und international organisiert.

-Inflationsausgleich statt Reallohnverzicht und Verarmung durch soziale Transferleistungen

-Arbeiterkontrolle über die Produktion als ersten Schritt zur proletarischen Doppelmacht

-Aufbau proletarischer Hundertschaften gegen die Repression des bürgerlichen Staates und seiner neofaschistischen Organisationen

Iwan Nikolajew Hamburg im Mai 2023 Maulwurf/RS

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Grafikquellen       :

Oben       —      Titel des Werks: „Olaf Scholz – August 2021 (Wahlkampf)“

Author Michael Lucan        /       Source   : Own work       /       Date        :    21 August 2021

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2.) von Oben        —       Eine grafische Darstellung von Lock-down während Covid-19

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Unten      —     Pintura de R. Cortés (1855)

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US- und EU- Geopolitik

Erstellt von DL-Redaktion am 6. Mai 2023

Hybris des Westens

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ESSAY VON STEFAN REINECKE

Die neue globale Trennungslinie scheint „Demokratie gegen Autokratie“ zu sein. US-Präsident Joe Biden trommelt Demokratiegipfel zusammen, um eine vom Westen angeführte internationale Front gegen die autoritären Bedrohungen aus Russland und China zu bauen. Der Westen scheint seit dem russischen Überfall auf die Ukraine wieder auferstanden zu sein, als moralische Wertegemeinschaft und schlagkräftiger politischer Player. Sogar das etwas ausgebleichte Freiheitsversprechen glänzt wieder.

In Europa wirkt diese Erzählung derzeit aus guten Gründen überzeugend. Putins neoimperiale Aggression zielt über die Ukraine hinaus. Die Sicherheit Europas wird, wie seit 1990 nicht mehr, von dem atomaren Drohungspotenzial der USA gewährleistet. Nur wenn der Westen vereint auftritt, wird er der russischen Aggression langfristig Einhalt gebieten.

Das Bild „Demokratie gegen Diktatur“ mag verführerisch klar sein, aber es ist als globales Rezept zu schlicht. Olaf Scholz, ansonsten Bidens treuer Verbündeter, reiht sich zu Recht nur halbherzig in den Feldzug gegen die Diktaturen ein und warnt in einem Beitrag für die Zeitschrift Foreign Affairs vor „einer neuen Zweiteilung der Welt in Demokratien und autoritäre Staaten“. Es gibt triftige Gründe, die gegen die gefeierte Renaissance des Westens sprechen – und noch mehr gegen die Aufspaltung der Welt in ein moralisch überlegenes, überwiegend weißes Zentrum und einen autoritären Rest.

Vielleicht ist die Beschwörung westlicher Werte nur die Begleitmusik, die den globalen Niedergang der USA und Europas übertönen soll. Die USA haben vor 20 Jahren noch achtmal so viele Waren und Dienstleistungen hergestellt wie China, heute ist dieser Vorsprung auf 25 Prozent geschrumpft. In den 38 OECD-Staaten, die sich Demokratie und Marktwirtschaft verpflichtet fühlen, also im erweiterten Westen, leben nur 16 Prozent der Weltbevölkerung. Global unangefochten führend ist der Westen nur in einem Metier: Waffen. Die USA geben doppelt so viel Geld für Rüstung aus wie Russland, China und Indien zusammen. In den Nato-Staaten lebt ein Achtel der Weltbevölkerung – aber sie zahlen 50 Prozent der globalen Rüstungsausgaben.

Selbstbestimmung nur für weiße Europäer gedacht

Um die Ambivalenz des mit Waffen und Weltanschauung ausgerüsteten Westens zu verstehen, nutzt ein Blick zurück auf den Moment, in dem der Westen als Verbindung der Macht­zentren USA und Europa auf der Weltbühne erschien. Die Vereinigten Staaten traten 1917 auf der Seiten von Frankreich und Großbritannien, den europäischen Demokratien, in den Ersten Weltkrieg ein. ­Woodrow Wilson fuhr 1919, als erster US-Präsident überhaupt, ins Ausland.

In den früheren Kolonien schaut man auf die westlichen Werte verständlicherweise mit einer gewissen Skepsis

Er reiste mit einer großformatigen Idee im Gepäck nach Europa – dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, das zwischen Paris und Belgrad eine gerechte Nachkriegsordnung stiften sollte. Mit Wilsons Reise begann das amerikanische Jahrhundert, in dem die USA in der Doppelrolle als Weltpolizist und Lehrmeister in Sachen Demokratie aufzutreten gedachten. Inder und Vietnamesen, Ägypter, Koreaner und Chinesen waren begeistert von Wilsons Idee, dass die Völker fortan selbst über ihr Schicksal bestimmen sollten. Und sie wurden bitter enttäuscht.

Denn Selbstbestimmung war nur für weiße Europäer gedacht, nicht aber für Bewohner der europäischen Kolonien. Ein 25-jähriger chinesischer Intellektueller notierte 1919 nach dem frustrierenden Ende der Versailler Verhandlungen in sein Tagebuch: „So viel zur nationalen Selbstbestimmung.“ Sein Name war Mao Zedong. Die Verwandlung prowestlicher asiatischer Idealisten in Kommunisten ist, wie der Publizist Pankaj Mishra gezeigt hat, ohne den Rassismus des Westens kaum zu verstehen.

Menschenrechte mit eigenen Interessen abgeglichen

Die Apologeten des Westens betonen heute, dass all das lange her ist. Zudem verfüge der Westen über die Fähigkeit zu Selbstkorrektur und selbstkritischer Vergangenheitsbearbeitung. In den früheren Kolonien schaut man auf die westlichen Werte, vor allem wenn sie von moralischen Fanfarenstößen begleitet werden, verständlicherweise mit einer gewissen Skepsis.

Zudem zeigen zwei Beispiele, dass der Westen Werte und Menschenrechte noch immer kühl mit eigenen Interessen abgleicht. Erstens: Saudi-Arabien führt im Windschatten des öffentlichen Interesses einen brutalen Krieg im Jemen. Es gibt in diesem Stellvertreterkrieg, in dem Iran die andere Seite unterstützt, laut der UNO 380.000 Opfer. Wirtschaftssanktionen gegen Riad? Im Gegenteil. Saudi-Arabien ist seit Jahrzehnten mit dem Westen verbündet und ein verlässlicher Öllieferant. Und EU- und Nato-Staaten beliefern Saudi-Arabien mit Waffen. Die Unterstellung, dass sich der Westen um die Ukraine kümmert, weil dort weiße Europäer sterben, wirkt angesichts des Grauens der russischen Kriegsführung kaltherzig. Völlig abwegig ist sie nicht.

Zweitens: Der Westen hat nach 1990 die Chance verspielt, als Sieger des Kalten Krieges eine stabile Ordnung zu schaffen. Die USA haben in Afghanistan und Irak im Namen von „Menschenrechten und Demokratie“ (George W. Bush) vielmehr genau das Muster wiederholt, das dafür sorgt, dass westliche Werte in vielen Regionen der Welt als Hohn empfunden werden. Beides waren neo­kolonial gefärbte Kriege.

Im Falle des Iraks schufen die USA durch ihren Angriffskrieg mit dem Islamischen Staat erst das Monster, das sie zu bekämpfen angetreten waren. Wenn die USA nach 2000 als Weltpolizist auftraten, dann meist als ein unfähiger Macho-Cop, der auf eigene Rechnung arbeitete und dem das Gemeinwohl schnurz war. „Nichts untergräbt die Idee des Westens mehr als die Verwestlichung mit vorgehaltenem Gewehr, wie sie vom 19. bis ins 21. Jahrhundert immer wieder praktiziert wurde“, so der US-Historiker ­Michael Kimmage.

Ideologen des Westens wie der Publizist ­Richard Herzinger bauen unverdrossen weiter auf dieses Konzept. „Wenn die demokratische Welt Einigkeit, politische Entschlossenheit und militärische Stärke mit konsequentem Eintreten für Freiheitsrechte überall auf dem Globus verbindet, wird sie auch künftig die bestimmende weltpolitische Kraft sein“, so Herzinger. Es gilt also weiterhin den Globus mit den Segnungen des Liberalismus zu beglücken – mit den Menschenrechten in der einen Hand, überlegener Feuerkraft in der anderen. So klingt eine lernunfähige, liberale Ideologie, die blind dafür ist, dass die Mischung aus zivilisatorischem Sendungsbewusstsein und rüder Interessenpolitik in vielen Regionen als Neuauflage des Imperialismus des 19. Jahrhunderts verstanden wird.

Politische Hartwährung im Ost-West-Konflikt

Es stimmt: Mächtige Autokraten instrumentalisieren die Kritik an der Doppelzüngigkeit des Westens, um weiter ungestört die eigene Bevölkerung zu schikanieren. Vor allem Putin und die russische Propaganda bedienen sich oft surrealer, vor Hass triefender antiwestlicher Klischees, um die eigene Herrschaft zu festigen. Doch das schafft die Frage nach der Doppelmoral des Westen nicht aus der Welt. Im Gegenteil.

Quelle      :        TAZ-online         >>>>>      weiterlesen

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Oben      — La Estatua de la Libertad y la Isla de la Libertad vistas desde el mar.

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Ein Kontertext

Erstellt von DL-Redaktion am 6. Mai 2023

Fahrradhelme und Kronen

Quelle      :        INFOsperber CH.

Von         :     Michel Mettler /   

London zu Zeiten der Thronbesteigung: eine Stadt der scharfen Gegensätze und harten wirtschaftlichen Realitäten. Ein Kurzbericht.

Zweieinhalb Monate lebe ich schon hier, und noch immer verstehe ich sie nicht, diese Stadt – ihre Gegensätze, ihre Masseinheiten, ihre verschiedenfarbenen Münzen, ihren Linksverkehr. Und so bin ich gleichsam als berufener Ignorant in das vermeintliche Jahrhundertereignis hineingestolpert: «Es lebe der König! Long live Charles III!» Palastgeschichten allenthalben, Krönungsfieber, aber auch Krönungsmüdigkeit. Und selbstredend Merchandising, wie immer, wenn es um die Erhabenen geht – man erinnere sich an King Roger und sein royales RF-Signet.

Soll man also eine Tasse kaufen? Ein Küchentuch? Servietten, damit auf dem königlichen Konterfei Olivensteine platziert werden können?

«How do you feel about the coronation?» Bei vielen ist da nur Gleichgültigkeit zu spüren. «Als hätten wir keine grösseren Probleme», sagt die Verkäuferin in der Bäckerei. Und die Frau im georgischen Spezialitätengeschäft, zu dem ich regelmässig radle, um Gewürzkräuter zu kaufen, mag gar keine Worte verlieren – ihr reicht eine abfällige Handbewegung. Ich lächle ihr zu, bezahle und befreie am Poller draussen mein Fahrrad von der dreifachen Ketten-Umschlingung.

Eine Krone ist kein Fahrradhelm. Kronen sollen präsentieren, Helme sollen widerstehen und vor Stürzen schützen. Die Krone aber ist ein zerbrechliches Ding, nicht auf Stürze ausgelegt, sondern gemacht für Kissen, auf denen man sie herumreicht; für Handschuhe, mit denen sie hochgehoben und auf durchlauchte Häupter gesetzt wird.

Die Krone, um die es hier geht, hat in der Vergangenheit viele taumeln und stolpern lassen, da sie – als Gekrönte oder Gehörnte – nun ihren Weg vor den Augen der Weltöffentlichkeit gehen mussten, oft schon in jungen Jahren. Das dürfte diesmal anders sein: Der Titular ist im vorgerückten Alter zum Zug gekommen. Seine erste königliche Tugend war Geduld. Und die Aufmerksamkeit des Erdkreises wird sich schon bald anderen Fragen zuwenden. Den steigenden Meeresspiegeln zum Beispiel oder den steigenden Preisen.

Das öffentliche Interesse soll übrigens selbst auf der Insel um einige Inches geschwunden sein. Doch es ist noch immer gross genug, das zeigt die Präsenz in den sozialen Medien. Viel Selbstgebasteltes kursiert, Scherzbilder, Frotzelverse. Dies beweist, dass das Thema auch die nicht ganz kalt lässt, die behaupten, damit durch zu sein.

«Fahrradhelm oder Krone?» Das ist wohl kein Willensentscheid, anders als die Wahl des Fortbewegungsmittels, etwa bei der Anreise zur Insel: Der Zug fordert Geduld und etwas Nerven, legt aber an Beliebtheit zu, die Fliegerei wird peinlicher mit jedem Tag. Auf die Sänfte würde ich freiwillig verzichten, aber noch niemand hat sie mir angeboten. Auch da, wo ich als Kunde König bin, bleibe ich ungekrönt und muss auf Punkt und Komma berappen, was auf dem Laufband liegt – it’s a material world.

Ein entscheidender Faktor bei Kronen soll das Gewicht sein, nicht anders als bei Helmen. Wer radelt schon gern mit dem Gefühl, einen Riesenkürbis mitzuführen. Elizabeth, die letzte und ausdauerndste Kronenträgerin der Insel, liess die ihre abändern. Sie war ihr zu hoch. Das lasse sie schwerfällig aussehen, fand sie, ausserdem sei das gute Stück arg schwer. So wurde es für die Coronation umgearbeitet, etwas abgeflacht – als wäre die Königin ein Lastkahn, der unter tiefen Themsebrücken durchgleiten muss. Dabei ist doch von blossem Auge zu erkennen, dass die Westminster Abbey höher aufragenden Kopfschmuck toleriert.

Offenbar wird Krönungsbereiten empfohlen, die Krone vor der Zeremonie eine Weile in ihren privaten Räumen zu tragen, um die Hals- und Nackenmuskulatur auf die Aufgabe vorzubereiten. Man müsste hier wohl von einer drohenden Krönungsmigräne sprechen. Oder ist das bereits Majestätsbeleidigung?

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Hier im East End, wo ich mit Künstler*innen befreundeter Disziplinen lebe, sind die Royals kaum präsent. Das Quartier ist muslimisch geprägt. Viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, sind bemüht, ein gottgefälliges Leben zu führen. Dabei ist ihnen die Krone wenig behilflich. Fahrradhelme zu tragen, untersagt der Koran übrigens nicht ausdrücklich. Es verstosse gegen kein heiliges Gesetz, sich vor drohenden Gefahren zu wappnen, sagt der Imam, im Gegenteil: «Mit allem, was dein Leben schützen soll, schützt du auch Gott.» Das gilt sogar für Frauen.

Ich habe den Eindruck, Ahmed, der Besitzer des Handy Repair Shop in Bromley-by-Bow, der mir neulich zu Hilfe kam, brauche keinen weltlichen Herrscher im Buckingham Palace, um dem gottgefälligen Leben zu genügen, das er seinen Kindern vorleben will. Selbst dann nicht, wenn dieser Herrscher sich in Gummistiefeln beim Jäten ablichten lässt. Aber stören wird Ahmed die Zeremonie deshalb noch lange nicht. Ohnehin sei das alles viel zu weit weg – das geschehe in einer anderen Stadt. Beim Zuhören denke ich: wohl auch in einem anderen Land, sogar auf einem anderen Planeten. Für das Wohl von Ahmeds Familie steht keine Herrscherfamilie ein. Ein Fahrradhelm schon eher, auch wenn Ahmed stolz auf sein japanisches Hybridauto ist, das immer vor dem Laden steht, stellvertretend für den erreichten Wohlstand. «Pearl white», sagt er lächelnd; ein Lächeln, weit weg von Westminster, ein Lächeln, das näher zu Gott will und doch nicht auf das tägliche Wirtschaften verzichten kann.

Ich lege gerne Geld in seine Hand, viel lieber, als ich zuhause Steuern zahle, mit denen später ausgeblutete Banken gerettet werden sollen. Ich weiss, dass Ahmeds Kinder hungrig sind, so wie alle Kinder nach dem Schulausflug, nach dem Lernen, nach dem Herumtoben im Garten. Würde mein Handy erneut streiken, ginge ich jederzeit wieder raus nach Bromley-by-Bow, weil Ahmeds Lächeln nicht nur geschäftstüchtig ist, sondern schlicht und einfach freundlich.

An diesem Krönungssamstag aber will ich in meinen vier Wänden bleiben, die eine Schweizer Kulturstiftung mir in East London grosszügig zur Verfügung stellt. Bei meinen Nachbarn, die in der Stadtmitte einen Anblick von der alten Welt und ihrem Pomp erhaschen möchten, habe ich Krönungsmigräne vorgeschützt.

FREIE NUTZUNGSRECHTE

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KOLUMNE-Fernsicht-Indien

Erstellt von DL-Redaktion am 6. Mai 2023

In Indien schreiben sie jetzt die Geschichtsbücher um

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Kolumne Fernsicht von  : PRIYANKA BORPUJARI

Das selektive Ausradieren der indischen Vergangenheit wurde lange vorbereitet – mit dem Ziel, die muslimische Bevölkerung auszugrenzen. Nun passiert es wirklich, und zwar in den Lehrbüchern für Geschichte. Nicht einmal mehr erwähnt wird dort nun das vom 16. bis zum 19. Jahrhundert existierende Mogulreich.

Dessen bedeutende Rolle für die Herausbildung einer „indischen Kultur“ soll fortan unterschlagen werden, denn man wolle doch die Arbeitsbelastung der Schulkinder senken. Aber wer ließ dann den Tadsch Mahal bauen, jenes prächtige Marmormausoleum aus dem 17. Jahrhundert, das auf jeder Tourismusbroschüre abgebildet ist? Das bleibt nun der Fantasie überlassen.

All das ist ein weiterer Schritt, um den rechtsgerichteten Hindufundamentalismus, auch Hindutva genannt, systematisch durchzusetzen. Die extrem rechte Hinduorganisation Rashtriya Swayansevak Sangh (RSS), die die ideologische Vorarbeit für die Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP) macht, versucht schon lange, Indien als einen Staat für Hindus allein darzustellen. Niemand hat die Unruhen von 2002 nach einem Attentat auf einen Zug in Godhra im Bundesstaat Gujarat vergessen, als Mus­li­m:in­nen verbrannt, getötet und vergewaltigt wurden. Damals war ­Narendra Modi als Chief Minister der Regierungschef Gujarats. Sein Schweigen und seine Untätigkeit angesichts der Ausschreitungen waren vielsagend, sein Name kam in mehreren Petitionen vor, die Gerechtigkeit einforderten. Seit 2014 ist er Indiens Premierminister. In den neun Jahren seither hat fortgesetzte Gewalt gegen Mus­li­m:in­nen dazu gedient, seine Agenda des Hindu­staats zu fördern. Es überrascht kaum, dass auch die Godhra-Unruhen aus den Lehrbüchern getilgt worden sind.

Auch der Satz, dass Mahatma Gandhi „überzeugt war, dass jeder Versuch, Indien zu einem Staat nur für Hindus zu machen, Indien zerstören würde“, bleibt Schulkindern vorenthalten. Gandhi wurde bekanntlich von dem RSS-Anhänger Nathuram Godse erschossen. Muslime, die sich am Unabhängigkeitskampf gegen das britische Kolonialreich beteiligten, finden sich in den Lehrbüchern ebenso wenig wie Muslime, die an der Ausarbeitung von Indiens Verfassung beteiligt waren.

Über die Jahre sind von den Mogulherrschern erbaute Orte umbenannt worden. Die Zerstörung der Babri-Moschee in Ayodhya im Jahr 1992 wurde damit gerechtfertigt, dass sie auf dem Gelände eines Hindutempels stehe. Es war ein entscheidendes Vorhaben der RSS auf dem Weg weg von einem säkularen Indien hin zu einem rein hinduistischen Staat.

Quelle      :        TAZ-online        >>>>>       weiterlesen

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Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

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Debatte – Heizungsgesetz

Erstellt von DL-Redaktion am 5. Mai 2023

Not in my Heizungskeller!

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Ein Debattenbeitrag von Johannes Hillje

Für eine gelingende Klimapolitik ist die Akzeptanz der Bevölkerung entscheidend. Die Verhaltensforschung liefert hier wertvolle Hinweise.

Die „Brechstange“ dient Teilen der Regierung und Opposition derzeit als Metapher, um eine neue Polarität in der Klimadebatte zu konstruieren: „Klimaschutz über die Köpfe der Menschen hinweg“ (also Grüne mit der Brechstange) gegen einen „Klimaschutz, der die Menschen mitnimmt“. Nachdem vom Heizungsgesetz die Belastung als monströs, die Entlastung aber nur nebulös rüberkam, bekundete die öffentliche Meinung: Klimaschutz ja, aber nicht in meinem Heizungskeller.

Vorweg: Niemand aus dem selbsternannten „Klimaschutz, der die Menschen mitnimmt“-Lager gibt darauf belastbare Antworten. O-Ton Volker Wissing: „Die CO2-Emissionen müssen runter, auch im Verkehrsbereich. Das schaffen wir aber nicht mit Verboten, Einschränkungen oder höheren Preisen.“ Okay, aber wie schaffen wir es denn, Herr Minister? Die Umkehrung des Unerwünschten ist noch kein wirksamer Klimaschutz. Und Polemik gegen Grüne keine eigene Programmatik.

Auch durch die Konstruktion von fehllaufenden Dualismen droht der Klimadiskurs aus der Spur zu fallen: marktwirtschaftlicher gegen angeblich planwirtschaftlichen Klimaschutz, individuelle gegen systemische Ebene, Anreize gegen Verbote und so weiter. Jede Lösung, ob vom Markt oder Staat getrieben, muss am Ende angenommen und umgesetzt werden. Egal, wie man die Dekarbonisierung von Gebäuden angeht, am Ende muss der Einzelne die Heizungsmonteure selbst in den Keller lassen. Es geht also um die Akzeptanz von Umbaumaßnahmen für Klimaneutralität.

In der Klimapolitik ist es zielführend, sich vor dem Entwurf von Gesetzen mit den Parametern auseinanderzusetzen, an denen sich die öffentliche Akzeptanz von Maßnahmen entscheidet. Mit diesen Faktoren beschäftigt sich die Bundesregierung offensichtlich noch zu wenig. Deutlich weiter ist man in diesem Bereich in Großbritannien: Bereits 2008 schuf die Regierung von Gordon Brown ein unabhängiges „Climate Change Committee“. Dessen Ex­per­t:in­nen untersuchen seitdem immer wieder die Bereitschaft der Bevölkerung zu konkretem Klimaschutz.

Debatte war zu lange von Unwissen geprägt

Den jüngsten Bericht zum Thema steuerte ein weiteres Gremium bei: der Klima- und Umweltausschuss des britischen Oberhauses, der dazu Stimmen aus der Verhaltensforschung konsultierte. Der Bericht nennt sechs Faktoren, die für die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen maßgeblich sind: Wissen, Werte, soziale Normen, Preis, Machbarkeit, Effektivität. An diesen sechs Faktoren entscheide sich, ob eine Klimaschutzmaßnahme mit allgemeiner Akzeptanz rechnen könne oder in den Graben zwischen theoretischer Klimaschutz-Befürwortung und tatsächlichem Klimaschutz-Verhalten falle.

In der Heizungsdebatte braute sich der perfekte Sturm gegen die Klimamodernisierung zusammen

Auch an der Universität Erfurt wird zu diesen Fragen geforscht. Das Forschungsprojekt Planetary Health Action Survey kommt auf ähnliche Bestimmungsgrößen. Legt man die Kriterien aus Westminster und Erfurt wie eine Checkliste neben die Debatte über das Gebäudeenergiegesetz, zeigt sich: Die Debatte war viel zu lange von Unwissen geprägt. Zentrale Aspekte blieben wochenlang unklar (Kosten, Ausnahmen, Übergangsfristen) oder sind es noch heute (soziale Abfederung). Das Ergebnis: Preis und Umsetzbarkeit der „Wärmewende“ erschienen vielen Menschen unmöglich. Als soziale Norm bildete sich eher „Hau den Habeck“ als „Heize klimaneutral“ heraus.

Die Einstellung von Menschen zu einer Klimamaßnahme formt sich aus dem Zusammenspiel der genannten Faktoren. Besonders relevant ist dabei der Zusammenhang von Kosten und wahrgenommener Effektivität der Maßnahme. Dazu erfährt man in der Erfurter Studie, dass immer mehr Deutsche angeben, dass sich durch den Klimaschutz ihre persönliche finanzielle Lage verschlechtert habe.

Schlechtes Zeichen für Akzeptanz von Klimaschutz

Im Mai 2022 waren es noch 25, im Januar 2023 36 Prozent. Für die Akzeptanz von Klimaschutz ist das ein schlechtes Zeichen. Zumal diejenigen, die den Klimaschutz im Portemonnaie spüren, die dazugehörigen Maßnahmen für unwirksam halten. Andersrum halten Menschen, deren Finanzen unverändert oder besser durch Klimaschutz geworden sind, die Maßnahmen für wirksamer. Die Bewertung der Wirksamkeit von Klimapolitik hängt also weniger vom tatsächlichen Nutzen ab als vom eigenen Geldbeutel.

Für die Akzeptanz spielt außerdem eine Rolle, wie Menschen über die Unterstützung der Maßnahme durch ihre Mitmenschen denken. Sowohl das Kopernikus-Projekt als auch die Erfurter Studie kommt zu dem Schluss, dass die Deutschen die Befürwortung von Klimamaßnahmen durch ihre Mitmenschen systematisch unterschätzen. Dies wirkt sich wiederum negativ auf die individuelle Bereitschaft zum Klimaschutz aus: Was bringt es schon, wenn die anderen ohnehin nicht mitziehen.

Quelle       :           TAZ-online        >>>>>      weiterlesen

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Oben     —   [1] Der Kern einer Hausfeuerungsanlage, der Heizkessel, der Brenner, das Druckausgleichsgefäß und die Steuerung wird kurz Heizung genannt.

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Wegen einer Meldung

Erstellt von DL-Redaktion am 5. Mai 2023

Staatsanwaltschaft klagt Freiburger Journalisten an

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Das Grethergelände mit den Räumlichkeiten von Radio Dreyeckland im Erdgeschoss.

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von       :       

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat Anklage gegen einen Redakteur von „Radio Dreyeckland“ erhoben. Er hat eine Meldung verfasst, in der das Archiv des verbotenen Portals Linksunten Indymedia verlinkt war. Der Journalist sieht in der Anklage einen „skandalösen Eingriff in die Pressefreiheit“.

Mit einer URL kann man im Netz einfach und schnell auf eine Website zugreifen – aber man kann sich damit auch eine Anklage einfangen, wie der Fall von Radio Dreyeckland in Freiburg zeigt. Alles dreht sich um einen Link auf das Archiv des verbotenen Portals linksunten.indymedia.org. Die zuständige Staatsanwaltschaft Karlsruhe wirft dem freien Radiosender nicht bloß vor, dieses Archiv verlinkt zu haben, sondern mit der dazugehörigen Nachrichtenmeldung auch eine Straftat nach Paragraf 85 begangen zu haben.

Einfach ausgedrückt verbietet dieser Paragraf, verbotene Vereinigungen zu unterstützen. Genau das soll durch die betreffende Nachrichten-Meldung geschehen sein, wie die Staatsanwaltschaft argumentiert. Es drohen Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahre oder Geldstrafe.

Der Verfasser der Meldung, der Journalist Fabian Kienert, kritisiert die Anklage in einem Bericht auf Radio Dreyeckland als „skandalösen Eingriff in die Pressefreiheit“. Im Vorfeld der Anklage gab es zudem Razzien, unter anderem in der Redaktion von Radio Dreyeckland und in der Privatwohnung des Redakteurs. Obwohl die Meldung mit Kienerts Kürzel „FK“ gekennzeichnet war, sollten die Razzien mehr über die Hintergründe aufklären. Als „absurd“ und „völlig“ unverhältnismäßig bezeichnet das der Radiosender, der nun auch rechtlich gegen die Durchsuchungsbeschlüsse vorgeht.

Linksunten Indymedia war bis zum Verbot im Jahr 2017 ein wichtiges Informationsportal für Teile der linken Szene und eine Plattform für unter anderem Demonstrationsaufrufe und Bekennerschreiben. Das Innenministerium stufte die Seite damals allerdings nicht als Medium ein, sondern als Verein, um sie daraufhin mithilfe des Vereinsgesetzes zu verbieten. Schon damals verurteilte das etwa „Reporter ohne Grenzen“ als Angriff auf die Pressefreiheit. Vergangenes Jahr wurden Ermittlungsverfahren gegen Linksunten Indymedia eingestellt; das heißt, der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung ist viele Jahre später geplatzt.

„Überragende Bedeutung“ der Pressefreiheit

Bei der jüngst erhobenen Anklage gegen den Journalisten von Radio Dreyeckland geht es nicht nur um das Schicksal eines regionalen Radiosenders, sondern auch um den Stellenwert der Pressefreiheit in Deutschland. Jüngst ist Deutschland auf der Rangliste der Pressefreiheit im weltweiten Ranking weiter zurückgerutscht.

Die Bedeutsamkeit des Falls ist der zuständigen Staatsanwaltschaft offenbar bewusst. „Unstreitig kommt der Meinungs- und Pressefreiheit eine überragende Bedeutung zu“, schreibt etwa Staatsanwalt und Sprecher Matthias Hörster auf Anfrage. Dennoch sei eine Strafbarkeit gegeben, heißt es in der Antwort auf die Presseanfrage. Der Vorwurf ist die „gezielte Förderung“ der verbotenen Vereinstätigkeit. Wohlgemerkt: Von Linksunten Indymedia existiert seit Jahren nur ein Archiv.

Auch im Wortlaut der Nachrichtenmeldung kann Radio Dreyeckland keine Förderung erkennen, wie aus dem jüngsten Bericht des Senders hervorgeht. Die strittige Meldung sei „sachlich“ und „kurz“, heißt es dort. Radio Dreyeckland erinnert vor dem Hintergrund der aktuellen Anklage an die Vorgeschichte: Es war auch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe, die Linksunten Indymedia selbst im Visier hatte – bis das Verfahren aber 2022 ohne Erfolg eingestellt wurde. Nun wolle die Staatsanwaltschaft „auch noch mit dem Mittel des Strafrechts bestimmen, wie über dieses Verfahren zu berichten ist“. Die Behörde sei „offensichtlich auf dem Kriegsfuß mit der Presse- und Medienfreiheit“, heißt es zudem in einem Audio-Beitrag des Senders.

Meldung im Nachrichtenstil

Wer möchte, kann sich selbst ein Bild von der Radio-Dreyeckland-Meldung machen, die der Staatsanwaltschaft ein Dorn im Auge ist. Der aus knapp 150 Wörtern bestehende Artikel ist nach wie vor online. Im Nachrichtenstil heißt es darin unter anderem:

Linke Medienarbeit ist nicht kriminell! Ermittlungsverfahren nach Indymedia Linksunten Verbot wegen „Bildung krimineller Vereinigung“ eingestellt […] „Wir sind alle linksunten“ – ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform. […] Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite.

Zunächst gab es nicht nur ein Verfahren gegen Kienert als Verfasser der Meldung, sondern auch gegen den „Verantwortlichen im Sinne des Presserechts“, Andreas Reimann. Eine solche Person müssen Publikationen in Deutschland benennen. Wenn es mal juristisch Ärger gibt, ist die Person üblicherweise die erste Anlaufstelle. Zumindest das Verfahren gegen Reimann wurde laut Radio Dreyeckland inzwischen eingestellt.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

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Was will S. Wagenknecht?

Erstellt von DL-Redaktion am 5. Mai 2023

– Was für eine Gesellschaft strebt sie an?

Eine Linke „Ich AG“ ?

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von     :     Meinhard Creydt

Sahra Wagenknecht spricht sich aus für „eine solide und soziale Politik in Deutschland und Europa, die seriöse und risikolose Geldanlagen mit einer angemessenen Rendite für alle wieder möglich macht. […] In Merkels Niedriglohnparadies Deutschland hat sogar jeder zweite Bürger kein Vermögen mehr und kann nichts ansparen, geschweige denn in Aktien investieren“ (Berliner Zeitung 4.8.2018).

Was soll „angemessene Rendite“ heißen? Bei Geldanlagen gilt bekanntlich: Je größer das Risiko, desto höher die Chancen auf hohe Rendite. Wagenknecht bemängelt, dass viele „Bürger“ nicht die Chance erhalten, „in Aktien investieren“ zu können. Dass Lohnabhängige mit Aktien sich in einen Gegensatz verstricken, kümmert Wagenknecht nicht. Der Wunsch nach „angemessenen Renditen“ aus Aktien bedeutet für die in den betreffenden Betrieben Beschäftigten häufig Arbeitshetze und Lohndruck. Wagenknecht befördert zudem die Vorstellung, mit Aktien „risikolos“ „Vermögen ansparen“ zu können. Mit „risikolosen Geldanlagen“ lässt sich das kaum bewerkstelligen.

Die gute alte Zeit

Wagenknecht trauert einer Zeit nach, in der ihrer Meinung nach – vor dem sog. Neoliberalismus und dem vermeintlichen Finanzkapitalismus – Kapital und Lohnarbeit in einer Win-win-Situation gestanden hätten: Das Kapital fuhr satte Profite ein und die Löhne stiegen. Die Epoche, in der es „tatsächlich für nahezu alle, und insbesondere für die Arbeiterschaft, aufwärtsging“, „endete in den achtziger Jahren“ (Wagenknecht 2021, 65). Die „beste Zeit“ des Kapitalismus waren die „fünfziger bis siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts“ (Ebd., 282).

Die ersten 25 Jahren in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg stellten nicht nur wegen dem Wiederaufbau eine Ausnahmesituation dar. Der Welthandel war in den 1930er Jahren massiv zurückgegangen und im 2. Weltkrieg zusammengebrochen. Die „fordistische“ Zergliederung des Produktionsprozesses (Taylorismus) kam erst in der Bundesrepublik auf volle Touren. Ebenso die Durchkapitalisierung der Landwirtschaft sowie die Verdrängung des kleinen Handels. Die Potenziale dieses langen Nachkriegsbooms waren in den 1970er Jahren erschöpft. Nun zeigte sich wieder: Periodische Krisen sind der Normalfall im Kapitalismus.

Linke Vulgärökonomie

Wagenknecht ist der Meinung, dass Kapitalismus am besten funktioniert, wenn es sowohl viel Konkurrenz gibt als auch eine große Nachfrage auf dem Binnenmarkt. „Der Kapitalismus funktioniert also am besten in wettbewerbsintensiven Industrien, in denen Gesetze und starke Gewerkschaften für steigende Löhne und hohe Sozial- und Umweltstandards sorgen“ (Wagenknecht 2021, 274). Ob die erforderlichen Maßnahmen dafür, die Klimakatastrophe abzuwenden, und das Ziel einer hohe Gewinne und Löhne abwerfenden Ökonomie zusammenpassen – diese Frage blendet Wagenknecht aus.

Die bekannteste Person der Linkspartei teilt die Vorstellung, dass Gewerkschaften und das Kapital dann nicht im Gegensatz zueinander stehen, wenn die Unternehmen begreifen würden, dass hohe Löhne ihnen den Absatz sichern (zur Kritik vgl. NN 1978). Dass für die Realisierung des Mehrwerts die Produkte verkauft werden müssen, stimmt zwar. Dabei handelt es sich aber um eine notwendige, nicht um eine hinreichende Bedingung. Wenn in der Produktion – gemessen an den Konkurrenten – nicht genügend Mehrwert geschaffen wird, hat das jeweilige Unternehmen keinen Geschäftserfolg.

Wagenknecht tritt nicht ein für eine Überwindung der kapitalistischen Marktwirtschaft bzw. der Kapitalakkumulation, sondern gegen „Kurzsichtigkeit, Maßlosigkeit, Vorliebe für Bluff, Tricks und Bilanzkosmetik sowie eine rücksichtslose Orientierung allein an den Interessen der Aktionäre und des Managements“. Sie redet sich in Rage über eine „innovationsfaule Ökonomie, in der Marktmacht und sogar Monopole an die Stelle offener Märkte getreten sind und echter, fairer Wettbewerb eine immer geringere Rolle spielt“ (Wagenknecht 2021, 283).

Sie kritisiert, dass der Kapitalismus nicht (mehr) so erfolgreich sei, wie er verspricht. Dabei ignoriert Wagenknecht diejenigen Kosten, die just durch eben den von ihr befürworteten Erfolg des Kapitalismus entstehen. Welche gesundheitlichen Negativfolgen die Überforderung und Überstressung in der kapitalistischen Erwerbsarbeit hat (vgl. Cechura 2018), welche massive Schädigung der Gesundheit durch Fremdstoffe die Kehrseite des Erfolgs der Chemieindustrie bildet (vgl. Donner 2021), welche ökologischen Folgen die kapitalistische Marktwirtschaft hervorbringt – das interessiert Wagenknecht kaum. Für sie ist alles gut, wenn es nur hohe Löhne und eine dynamische Wirtschaft gibt.

Das Gespenst des Monopolkapitalismus

Wagenknecht bemängelt am gegenwärtigen Kapitalismus den Mangel an „offenen Märkten“ und an „echtem fairen Wettbewerb“. Erst dieses Defizit mache den Kapitalismus kritikwürdig. Die Attacke auf den Monopolkapitalismus verkennt jedoch die begrenzte Macht von Monopolen im modernen Kapitalismus. Sie „wird in der Konkurrenz immer wieder abgebaut, wobei durchaus die Möglichkeit besteht, dass aufgrund besonderer Bedingungen das Schwinden von monopolistischen Profiten sich über längere Zeiträume verzögert, dass die Wirkungsweise des Wertgesetzes sich also nur modifiziert durchsetzt“ (Altvater 1975, 188). „Das Wertgesetz begrenzt also monopolistische Machtentfaltung, die Monopolmacht kann niemals an die Stelle des Wertgesetzes treten. Aber sie modifiziert seine Durchsetzung. Sie wirkt dahin, dass sich die Bewegungsgesetze der Produktionsweise eben nur als Tendenzen durchsetzen“ (Ebd., 190).

Die Abschottung des Monopolisten gegen den Zustrom anderen Kapitals in seine Produktionssphäre ist auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten. „Selbst in der Ölwirtschaft – wo heute (2013) gewaltige Summen für den Neueinstieg erforderlich sind – gibt es kein umfassendes und weltweit wirken­des Kartell. Es kommen immer wieder neue Ölförderer hinzu, und es gibt bei der Exploitation neuer Ölfelder, bei der Nutzung neuer Ölfördertechniken usw. einen erbitterten Konkurrenzkampf“ (Sandleben, Schäfer 2013, 55).

Kartelle – als Vorformen von Monopolen – werden häufig von innen aufgesprengt. Die im Kartell zusammengeschlossenen Kapitale konkurrieren untereinander um Anteile an der Produktionsmenge und an Erlösen. „Es genügt, dass technische Verbesserungen, Erfindungen oder eine Ausweitung der Kapazität Veränderungen im Kräfteverhältnis dieser Firmen hervorrufen, damit diejenige, die sich in der Konkurrenz am stärksten fühlt, das Abkommen in der Absicht bricht, einen höheren Marktanteil zu erobern“ (Mandel 1972, 546).

Anhänger der Lehre vom „Monopolkapitalismus“ können nicht beantworten, warum die Profitraten der Monopole nicht steigen, obwohl es sich bei ihnen doch angeblich um die Mächtigsten der Mächtigen handele. „Empirische Untersuchungen (konnten – Verf.) für Deutschland nachweisen, dass die Legende einer Hierarchie der Profitraten – also strukturell höhere Profitraten der zu Monopolen titulierten Großunternehmen – vor der ökonomischen Wirklichkeit keinen Bestand hatte (Saß 1978). Stephan Krüger vermerkt in seinen eigenen empirischen Untersuchungen auf Basis des amtlichen statistischen Materials, dass diese Untersuchungen ‚eher das gerade Gegenteil’ der Monopoltheorie oder der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus zeigen, ‚nämlich eine gemein niedrigere Profitrate großer Kapitalgesellschaften’ (Krüger 2010, 138)“ (Wendl 2013, 67). Monopole stehen nicht über den Gesetzen der kapitalistischen Wirtschaft. Wagenknecht baut sie zum Hauptgegner auf. Im Kontrast zu diesem Schreckgespenst bekommt die Konkurrenz in der kapitalistischen Marktwirtschaft ein positives Image.

Wagenknecht tritt gegen „einen zu großen Finanzsektor“ im Kapitalismus ein, denn „dass ein zu großer Finanzsektor dem realwirtschaftlichen Wachstum schadet, ist seit Längerem bekannt“ (S. 278). Das sog. produktive Kapital und das Finanzkapital streiten seit eh und je um die Höhe z. B. der Kreditzinsen. Wie viele andere auch stellt sich Wagenknecht auf die Seite des „guten“ Kapitals, das seinen Profit mit der Produktion erzielt. Dafür kann es diskussionswürdige Argumente geben. Dieses Engagement überschreitet jedoch nicht den Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Branchen der Kapitalwirtschaft. Die Transformation hin zu einer anderen Gesellschaftsordnung ist etwas anderes.

Wagenknecht vertritt eine Kritik am gegenwärtigen Kapitalismus, die zwei Besonderheiten aufweist. Die Probleme, die die kapitalistische Wirtschaft den Leuten bereitet und sich selbst, resultieren Wagenknecht zufolge daher, dass der Kapitalismus nicht mehr so recht Kapitalismus sei, sondern von Monopolen und dem Finanzsektor beherrscht werde. Unsere Erfolgsautorin wiederholt eine sattsam bekannte Erzählung. Ihr zufolge handelt es sich bei den reichen und mächtigen 0,1% um autokratische Herrscher. Sie steuern die Wirtschaft, lenken die Politiker und manipulieren über die Medien die Bevölkerung. (Zur Analyse und Kritik dieser social fiction vgl. Creydt 2019.) Die andere Eigentümlichkeit von Wagenknechts Auffassung liegt im Lob desjenigen Kapitalismus, in dem ihrer Meinung nach noch fairer Wettbewerb eine hohe Innovationsneigung schaffe.

Wagenknecht befürwortet z. T. Belegschaftseigentum und Genossenschaften. Beide verändern nichts an der Notwendigkeit des Betriebs in der Marktwirtschaft, sein Kapital zu verwerten und dafür möglichst viel Mehrwert zu erwirtschaften. Rosa Luxemburg schrieb dazu schon im Jahr 1899: „In der Produktivgenossenschaft ergibt sich daraus [aus der Marktlage] die widerspruchsvolle Notwendigkeit für die Arbeiter, sich selbst mit dem ganzen erforderlichen Absolutismus zu regieren, sich selbst gegenüber die Rolle des kapitalistischen Unternehmers zu spielen. An diesem Widerspruche geht die Produktivgenossenschaft auch zugrunde, indem sie entweder zur kapitalistischen Unternehmung sich rückentwickelt, oder, falls die Interessen der Arbeiter stärker sind, sich auflöst“ (Luxemburg 1970, 44).

Befürwortenswertes Engagement und Unterstützung fragwürdiger Positionen

Mit ihrem Eintreten gegen Waffenlieferungen und für eine Friedenslösung im Ukrainekrieg hat Wagenknecht sich zu Recht gegen die Bundestagsparteien und die tonangebenden Medien positioniert. Sie weiß um die geopolitische Vorgeschichte des Ukrainekriegs und den Beitrag der NATO zur Eskalation. Der Inhalt ihrer Rede auf der großen Kundgebung am 25.2. rechtfertigt nicht die Vorwürfe, die ihr gemacht wurden. Weder hat sie an Kritik der russischen Führung gespart noch die AfD geschont, die die gigantische Aufrüstung der Bundeswehr befürwortet und sich zugleich als Friedenspartei ausgibt.

In anderen Fragen – wie der Covid-Pandemie – hat Wagenknecht regressive Proteststimmungen (vgl. dazu Creydt 2022) aufgegriffen und vernünftige Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung angegriffen. In der ARD-Talkshow „Anne Will“ begründete Wagenknecht ihre Entscheidung, bisher auf eine Impfung zu verzichten, unter anderem damit, dass es sich um „neuartige Impfungen“ im Vergleich zum „klassischen Impfstoff“ handele. „Jetzt bekommen wir einen genetischen Code geimpft. Das ist ein anderes Verfahren.“

(https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_91136546/sahra-wagenknecht-verteidigt-impf-kritik.html 12.11.2021) „Junge, gesunde Menschen zu ermutigen, eine Impfung zu machen, deren Langzeitfolgen völlig unklar sind, halte ich für fahrlässig“, erklärte sie am 10.12. 2020. Wagenknecht tritt hier faktisch für das Primat der Ökonomie vor der Gesundheit ein. Das Opfer einer sehr viel höheren Erkrankungs- und Todesrate sei zu erbringen, „damit wir unsere Wirtschaft nicht ruinieren“, wie sie im Februar 2021 bei Anne Will erklärte.

(https://www.wsws.org/de/articles/2021/04/15/wage-a15.html ) Dabei handelt sich schon um ein recht spezielles Verständnis von „Zusammenhalt und Gemeinsinn“ (so der Untertitel ihres Buches von 2022).

In der Flüchtlingsfrage hat Wagenknecht Konfusion gestiftet. Auf einer Pressekonferenz am 11.1. 2016 sagte sie: „Wer Gastrecht missbraucht, der hat das Gastrecht dann eben auch verwirkt“. Es ist legitim, auf die Fragwürdigkeit von Forderungen wie „Offene Grenzen für alle hinzuweisen. Um Gäste handelt es sich bei denjenigen jungen Männer aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum nicht, die sich in der Sylvesternacht in Köln sexuell übergriffig gegenüber Frauen verhielten. Gäste können kommen und gehen, wann sie wollen. Das gilt für Flüchtlinge nicht. Das Asylrecht ist ein Grund- und kein Gnadenrecht, das man bei schlechtem Benehmen wieder entziehen kann. Wagenknechts Formulierung „Gäste, die ihr Gastrecht missbrauchen, haben es verwirkt“ läuft im Klartext auf die Forderung hinaus: „Sofortige Abschiebung straffälliger Ausländer. Wagenknecht tut mit der Rede von Gästen so, als ob es sich darum handele, jemand, der als Gast dabei erwischt wird, ins Waschbecken zu pinkeln, zukünftig von der Einladungsliste für Übernachtungen im Gästezimmer zu streichen. Das bedeutet für den „Gast aber etwas völlig anderes als die Abschiebung für den Flüchtling.

Bei Wagenknecht ergibt sich immer wieder der Eindruck des Bluffs. Sie behauptet, „eine Debatte darüber, ob beim fundamentalistischen Islamismus die Grenzen des Tolerierbaren überschritten“ seien, ist bis zum Herbst 2020 tabu“ (Wagenknecht 2021, 199) gewesen. Wagenknecht will sich als mutige Zerstörerin eines Tabus stilisieren, das einzig und allein in ihrer Phantasie existiert.

Wagenknechts Popularität

Sie tritt ein für „Werte“, als existierten keine Gegensätze zwischen den verschiedenen Werten der bürgerlichen Gesellschaft. Ihre „wertekonservative“ Position (2022, 275) tut so, als ob es jemals eine bürgerliche Gesellschaft mit Werteintegration gegeben habe oder geben könne. Dabei standen und stehen in dieser Gesellschaft immer schon die Werte der „individuelle Freiheit“ und des Privatinteresses im Konflikt mit den Werten des gesellschaftlichen Konsens und der staatsbürgerlichen Gesinnung. Genauso fiktiv wie ihr Bezug auf früher angeblich eindeutige und Einigkeit ermöglichende gute Werte ist ihre Nähe zu den „einfachen Leuten“. Wagenknecht bauscht postmoderne Meinungen und woke Positionen zum Hauptproblem der heutigen Linken auf. Dort sieht sie überall und ausschließlich „Selbstgerechte“ am Werk. Diese Dramatisierung dient ihr dazu, sich – im Kontrast zu diesem Feindbild – als populäre Linke zu stilisieren. Mit dem Kampf für hohe Löhne und für sichere Renten hat ihr Plädoyer für Vermögensbildung durch Aktien aber nichts zu tun. Es unterstützt faktisch das Kapital gegen die Lohnarbeit sowie bestätigt diejenigen, die die Privatisierung der Altersvorsorge vorantreiben.

Wagenknechts Popularität resultiert auch aus dem Umstand, dass sie den Leuten das erzählt, was diese gern hören wollen. Sie bestätigt den Wunsch nach sicheren Aktien, nach Vermögensbildung durch Aktien, nach freiem Wettbewerb und nach der idyllischen Vorstellung, in kleinen und mittleren Unternehmen gehe es menschlicher zu als in großen Firmen. Sie redet ihrem Publikum ein, alles wirtschaftlich Problematische lasse sich auf klar eingrenzbare und von der kapitalistischen Marktwirtschaft sauber unterschiedene und aus ihr folglich leicht entfernbare Problembären wie das Monopol- und Finanzkapital reduzieren. Realpolitisch ihr Publikum anzusprechen heißt für Wagenknecht, die Leute dort abzuholen, wo sie inhaltlich stehen, und sie auch genau dorthin wieder zurückzubringen.

Eine eingehende und fachkundige Analyse sowie Kritik von Wagenknechts ökonomischer Argumentation kommt zum Ergebnis, dass sie in „einem konfusen, also in sich selbst theoretisch widersprüchlichen Eklektizismus“ besteht (Wendl 2022). Der Ordoliberalismus, den sie (als Kritik an der Verfälschung des freien Wettbewerbs durch Kartelle und Monopole) lobt, habe mit dem tatsächlichen Ordoliberalismus wenig zu tun. Die Gedanken, die sie der Marxschen Kapitalismuskritik sowie dem Keynesianismus entlehnt, wirken wie ausgerissene Vogelfedern. Wagenknecht versteht das Spiel, sich bei einem konservativen Publikum als Linke anzubiedern, die es nicht nur drängt, Goethes ‚Faust‘ auf Veranstaltungen zu besprechen, sondern eine Renaissance des Ordoliberalismus zu fordern. In ihrer „Deutschland, aber ganz normal“-Gegenfixierung auf woke Zeitgeister kehrt sie die Nähe zu den „einfachen Leuten“ hervor. Sie wärmt mit dem ihr eigenen publizistischen Fleiß all die Schuldzuschreibungen auf, mit denen Verteidiger des Kapitalismus dessen Härten auf die Verfälschung des eigentlich guten Kapitalismus zurückführen.

Sie blinkt links und bestätigt zugleich die naivsten Illusionen über die kapitalistische Marktwirtschaft. Die Vorstellung, mit freier Konkurrenz und innovativen Unternehmen nutze der Kapitalismus den Reichen und den Armen gleichermaßen, enttarnt Wagenknecht nicht als Ideologie. Wagenknecht meint, es handele sich um immanente Kritik, wenn sie Kapitalismuskritik so formuliert, dass sie die Ideologien einer freien Marktwirtschaft zum Maßstab wählt. Das Finanz- und das Monopolkapital stellt Wagenknecht als unmoralische Eindringlinge dar, die sich eines Wesens bemächtigen, das von sich aus rein und gut sei. Das Finanz- und Monopolkapital verderben die schöne heile Welt der kapitalistischen Marktwirtschaft mit lauter Bosheiten: „Kurzsichtigkeit, Maßlosigkeit, Vorliebe für Bluff, Tricks und Bilanzkosmetik sowie einer rücksichtslose Orientierung“ (Wagenknecht 2022, 283). Eine Ursache in der kapitalistischen Marktwirtschaft hat dieses Böse nicht. Es ist die Ursache seiner selbst, also aus sich heraus („endogen“) böse. Das Tröstliche an dieser Botschaft: All diese „Räuberbarone“ oder „Schurkenwirtschaft“ (Wagenknecht 2022) sind in der kapitalistischen Marktwirtschaft eigentlich unnötig. In der anstrebenswerten Gesellschaft kann fast alles so bleiben, wie es ist, mit Ausnahme von Finanz- und Monopolkapital. Beides lassen sich Wagenknecht zufolge aus der kapitalistischen Marktwirtschaft ebenso problemlos entfernen wie ein überflüssiger Bestandteil aus dem Körper (Blinddarm, Stielwarze oder ähnliches).

Wagenknecht gibt sich als tiefe Denkerin. Faktisch hat sie ein instrumentelles und advokatorisches Verhältnis zur Analyse von Wirtschaft und Gesellschaft. Ihre politische Einschätzung, mit der Verdammung des Finanzkapitals, dem Plädoyer für freien Wettbewerb u. a. beim Publikum punkten zu wollen, bildet den Dreh- und Angelpunkt ihres Denkens. Wer das Finanzkapital und die Monopole verdamme, der sei auf der richtigen Seite. Auf solchen ebenso oberflächlichen wie nebulösen „Standpunkten“ bleibt Wagenknecht stehen. Von ihnen her zieht sie ihre Gedankengänge auf und sucht sich die passenden Theorieversatzstücke zusammen wie eine Elster. Sie bildet bei ihren Lesern keine Substanz an entwickelten Argumentationen und verändertem Bewusstsein, sondern versorgt deren Vorurteile mit Legitimationen. Wagenknecht macht viel Getöse um eine ebenso konfus wie diffus bleibende Opposition. Ihre Anhänger bewundern sie dafür und bemerken nicht, dass viele der Wagenknecht-Effekte sich gegenseitig aufheben. Sie „nimmt in die gleich bleibende Form des Gedankens etwas […] Fremdes oder Entgegengesetztes auf. Verkehrung ist nicht nur Umkehrung ins Gegenteil, sondern die Verkoppelung des Wesensverschiedenen […], die dazu führt, mit der gedanklichen Form einer ursprünglichen Wahrheit etwas, das diese Wahrheit wieder aufhebt, zu ergreifen“ (Jaspers 1966, 63).

Wagenknecht verhält sich parasitär zu linker Kritik am Kapitalismus, indem sie in das Gewand der Gesellschaftskritikerin schlüpft, tatsächlich aber Loblieder auf die freie kapitalistische Marktwirtschaft singt. Dass diese Verkehrung einer politisch linken Person nicht zugetraut wird, nutzt Wagenknecht. Sie redet den Leuten ein, alles müsse sich verändern, damit alles bleiben könne, wie es in der guten Vergangenheit bereits war. In ihren Darlegungen wird das Votum für grundlegende Veränderung ununterscheidbar vom Plädoyer für eine Marktwirtschaft, wie sie nur in den Köpfen von deren Ideologen existiert. Wagenknecht bedient den Wunsch nach einer Orientierung, die eine grundlegende Veränderung verspricht, bei der sich nichts von Grund auf verändern muss. Sie bietet eine Utopie ohne Utopie.

Sie greift den Wunsch nach Veränderung auf und verwandelt ihn in die Nachfrage nach ihren Büchern. Die Leser lernen durch sie, die kapitalistische Marktwirtschaft anders zu interpretieren und auf diesem Wege nicht nur zu akzeptieren, sondern gutzuheißen.

Dass Wagenknecht die populärste Person der Linkspartei ist, sagt sowohl etwas über diese Partei aus als auch über die dominierende Öffentlichkeit. Letztere leistet sich den Luxus, solche Linke zu lieben, die die Öffentlichkeit mit einer paradox anmutenden Mixtur überraschen und mit einer dosierten Diskrepanz unterhalten, aber zugleich in entscheidenden Fragen beruhigenderweise den Konsens bestätigen.

Literatur

Altvater, Elmar 1975:Wertgesetz und Monopolmacht. In: Argument-Sonderbd. 6. Zur Theorie des Monopols. Berlin

Cechura, Suitbert 2018: Unsere Gesellschaft macht krank. Baden-Baden

Creydt, Meinhard 2019: Krysmanskis Geschichten von tausend und einer Jacht. Zentrale Fehler regressiver Kapitalismuskritik. In: Kritiknetz August 2019. meinhard-creydt.de/archives/851

Creydt, Meinhard 2022: Das ganz normale Denken von Demonstranten gegen die Covid-Politik. In: Telepolis 28.1. 2022 www.meinhard-creydt.de/archives/1366

Donner, Susanne 2021: „Endlager Mensch“. Wie Schadstoffe unsere Gesundheit belasten. Hamburg

Jaspers, Karl 1966: Descartes und die Philosophie. Berlin

Luxemburg, Rosa 1970: Sozialreform oder Revolution. In: Dies.: Schriften zur Theorie der Spontaneität. Reinbek bei Hamburg

Mandel, Ernest 1972: Marxistische Wirtschaftstheorie. Bd. 2. Frankfurt M.

NN 1978: Die Steigerung der Massenkaufkraft oder das Wunderwässerchen der reformistischen Scharlatane. In: Kommunistisches Programm, Nr. 19. Westberlin

https://www.pcint.org/25_Publ_pre_82/265_Kommunistisches_Programm/003_inhalt-KP.htm

Sandleben, Günter; Schäfer, Jakob 2013: Apologie von links. Zur Kritik gängiger Krisentheorien. Köln

Wagenknecht, Sahra 2021: Die Selbstgerechten – mein Gegenprogramm für Gemeinsinn und Zusammhalt. Frankfurt M.

Wendl, Michael 2013: Machttheorie oder Werttheorie. Hamburg

Wendl, Michael 2022: Marktwirtschaft statt Kapitalismus – Wagenknechts ökonomisches Glaubensbekenntnis. Vom „einfachen“ Marxismus zur ordoliberalen Kapitalismuskritik. In: Klaus Weber, Wolfgang Veiglhuber (Hg.): Wagenknecht – Nationale Sitten und Schicksalsgemeinschaft. Hamburg

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Oben       —         26.06.2019 Für eine soziale Politik Leipzig Der bisher heißeste Tag im Jahr mit Temperaturen um die achtunddreißig Grad Celsius konnte an die 1000 Leipziger*innen nicht davon abhalten, sich auf dem Marktplatz zu versammeln. Die Kundgebung bei der Sahra Wagenknecht zu den Standpunkten sozialer Politik der Bundestagsfraktion Die Linke sprach, wurde musikalisch von der Gruppe Karussell begleitet, welche in Leipzig ein Heimspiel hatten.

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Die Feuer der Zukunft

Erstellt von DL-Redaktion am 4. Mai 2023

 In den Öfen der Vergangenheit:
Aufbau von sozial-ökologischen Allianzen in Südosteuropa

Quelle        :     Berliner Gazette

Von        :     

In Bosnien und Herzegowina sind die Bergarbeiter*innen von zentraler Bedeutung für jeden Versuch, den marktorientierten “grünen” Wandel herauszufordern. Darüber hinaus sind sie der Eckpfeiler einer potenziellen Konvergenz zwischen antikapitalistischen und ökologischen Kämpfen, wie die Wissenschaftlerin und Aktivistin Svjetlana Nedimović in ihrem Beitrag zu der Textreihe “Allied Grounds” zeigt, indem sie untersucht, wie die heutigen Umweltbewegungen eine einzigartige Gelegenheit haben, die “traditionelle” Energie der Arbeiter*innen zu nutzen, um eine noch nicht vorgestellte Zukunft aufzubauen

Im Herbst 2021 rebellierten Bergarbeiter*innen aus den alten Kohlebergwerken von Bosnien und Herzegowina und fielen über Sarajevo her, ein Strom von lauten und widerspenstigen Arbeiter*innen, die sich über die üblichen Regeln des Bürger*innenprotests hinwegsetzten, die durch laue Slogans, witzige Transparente, Modenschauen und unerbittliche Gesetzestreue gekennzeichnet sind.

Der Protest der Bergarbeiter*innen erschütterte die deindustrialisierte Hauptstadt, oder zumindest einige Teile von ihr. Der bläuliche, bedrohliche Schein ihrer Feuer erhellte die Nacht rund um den dunklen Turm, der jetzt die Regierung beherbergt, aber einst der Hauptsitz von Energoinvest war, Bosnien und Herzegowinas größtem Unternehmen, das alles von Stromkabeln bis hin zu Computerhardware und -software herstellte – bis es durch die Privatisierung auseinandergerissen wurde.

Die giftigen Dämpfe der brennenden Bierdosen und Plastikflaschen erstickten die unerfahrenen Unterstützer*innen und Aktivist*innen der Stadt. Nicht so die Bergleute, die lachten und sangen. Ihre dunklen, leicht gebeugten Gestalten, die in bunte, von den Bürger*innen zur Verfügung gestellte Decken gehüllt waren, wiegten sich um die Feuer herum und verwandelten das glatte Bild der Innenstadt in ein Bild aus einer postapokalyptischen Fantasie. Eine Fantasie, die zweifellos düster ist, in der sich aber auch ein Funken ernsthafter Unruhe verbirgt.

Eine Gruppe von Umweltaktivist*innen schloss sich dem Protest an und skandierte bald im Gleichklang mit den heiseren Stimmen der Bergleute den Slogan des Protests: “WIR GEBEN EUCH KEINE KOHLE!” Dies war eine ernsthafte Bedrohung für die Regierung: Wenn diese großen Bergwerke, die sich einst im Staatsbesitz befanden und nun in den Händen des staatlichen Energieversorgungsunternehmens sind, dem Land die Kohle entziehen würden, würde die Energieversorgung stark darunter leiden.

Aber warum haben sich Umweltschützer*innen bei dieser Drohung auf die Seite der Bergleute gestellt? Warnen sie nicht schon seit Jahren vor der Nutzung von Kohle wegen der lokalen Luftverschmutzung und der globalen Kohlenstoffemissionen?

Die Bergleute aufgeben, aber nicht Kohle

Wie viele Länder des Globalen Südens trägt auch Bosnien und Herzegowina nur minimal zu den historischen globalen Kohlenstoffemissionen bei: 0,06 %. Allerdings steht das Land unter (zunehmendem) Druck, seine Kohlekraftwerke zu schließen und auf weniger umweltschädliche Energiequellen umzusteigen. Dieser “grüne” Übergang hat das Land fast alle seine wilden Gebirgsflüsse gekostet, da es den Wettlauf zwischen einheimischen und ausländischen (hauptsächlich in der EU ansässigen) Kapitalist*innen um kleine Wasserkraftwerke auslöste. Kraftwerke, die übrigens immer noch als erneuerbare Energien eingestuft werden, obwohl sie den Flüssen irreparablen Schaden zufügen.

Heute wendet sich einheimisches und ausländisches Kapital der Solar- und Windenergieproduktion zu, die den “grünen” Übergang vorantreiben soll. Fast alles ist dabei auf die Interessen der Privatwirtschaft ausgerichtet. Der Staat greift nur wenig oder gar nicht ein, um “den Umweltschutz zu gewährleisten oder die Nutzung eines im Wesentlichen öffentlichen Gutes für den Energiebedarf der Gesellschaft zu steuern”. Der gesamte auf diese Weise erzeugte Strom landet auf ausländischen Märkten und bringt Bosnien und Herzegowina wenig oder gar keinen Nutzen.

Die Kohleverstromung ist jedoch nicht verschwunden. Die alten Kraftwerke, einst Symbole des Triumphs eines jungen sozialistischen Staates über die Armut und Motoren seiner Modernisierung, sind noch voll in Betrieb, haben aber nicht von den EU-Fördermitteln für die Entschwefelung profitiert, wie die Anlagen im benachbarten Serbien. Kürzlich unternommene Versuche Chinas, eine dieser Anlagen wieder aufzubauen, scheiterten an der Inkompetenz der lokalen Regierung und dem starken Druck der EU, die sich gegen jegliche Investitionen in alte Industriezweige, aber noch mehr gegen Chinas Einfluss auf dem Balkan aussprach.

Was jedoch geschieht, ist, dass die staatlichen Elektrizitätsunternehmen den alten staatlichen Bergwerken langsam die finanziellen Mittel entziehen, indem sie ihre Käufe auf die neuen privaten Kohlebergwerke umlenken. Wie bei anderen Privatisierungswellen der letzten drei Jahrzehnte erweist sich auch diese Bewegung als äußerst lukrativ für die Geldgeber*innen der politischen Parteien.

Es liegt auf der Hand, dass die Zerstörung und eventuelle Schließung der alten Bergwerke, um den neuen privaten Bergwerken einen noch größeren Marktanteil zu verschaffen, nicht zu einem Ausstieg aus der Kohle führen wird. Weniger offensichtlich, aber vielleicht noch problematischer ist das vermeintliche “Nebenprodukt” dieses Prozesses: Die Gesellschaft wird ihrer letzten großen Gruppe gewerkschaftlich organisierter Arbeiter*innen beraubt.

Wir haben dies beim Übergang zum Kapitalismus in Bosnien und Herzegowina nach dem Krieg gesehen. Die Industrie war durch den Krieg zwar beschädigt, aber nicht ruiniert, und viele der alten Staatsbetriebe hatten gute Chancen, sich zu erholen. Am Ende wurden sie mit dem Segen von Berater*innen internationaler Finanzinstitutionen wie der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds verkauft. So wurden die sozialistischen Giganten fast ausnahmslos zerschlagen, um dann billig an Kriegsgewinnler*innen verkauft, dann in den Konkurs getrieben und schließlich als Immobilien an Bauträger*innen weiterverkauft zu werden, was ihren Nachkriegseigentümer*innen satte Gewinne einbrachte. Die Arbeiter*innen landeten auf der Straße, arbeitslos, mit miserablen Sozialleistungen, wenn überhaupt. Und dort sollten sie jahrzehntelang bleiben, während ihre Proteste immer weniger sichtbar wurden, ihre Stimmen schwächer und ihre Macht schwächer, bis die organisierte Arbeiter*innenschaft als Idee und Praxis in Vergessenheit geriet.

Auf diese Weise wurde nicht nur die bosnisch-herzegowinische Industrie, sondern auch die organisierte Arbeiter*innenschaft außerhalb der staatlichen Institutionen ausgelöscht. Dadurch wurde nicht nur die Verhandlungsmacht der Arbeiter*innen im Allgemeinen stark geschwächt, sondern auch der Zusammenhalt und das Transformationspotenzial der Gesellschaft als Ganzes eingeschränkt.

Die Bergleute sind zwar ebenfalls geschwächt aus dieser Umwälzung hervorgegangen, haben aber überlebt, weil die nationale Energieproduktion im Wesentlichen von der Kohle abhängig ist. Sie werden zwar unweigerlich vom “grünen” Wandel betroffen sein, aber sie sind auch die einzige organisierte soziale Kraft, die in der Lage ist, ihn in Richtung sozialer und ökologischer Gerechtigkeit zu lenken, weg von der Kosmetik pseudo-ökologischer Bedenken, die einen Großteil der westlichen Mainstream-Umweltbewegung weltweit kennzeichnen. Nicht zuletzt sind die Bergleute eine ausreichend große gesellschaftliche Gruppe, die es vermag, ihren Einfluss geltend zu machen. Dies haben die Proteste im Jahr 2021 gezeigt: Die Unternehmensleitung und die Regierung wurden durch die Drohung der Gewerkschaften, die Kohlelieferungen an die wichtigsten Kraftwerke zurückzuhalten, zu einer Einigung gezwungen. Dieses Potenzial kann jedoch nur erhalten werden, wenn die öffentlichen Bergwerke weiter betrieben werden.

Im Kontrast dazu stellen die privaten Kohlebergwerke, ebenfalls ein Produkt der Nachkriegsprivatisierung, kein Hindernis für den “grünen” Übergang dar. Ihre Bergleute sind meist nicht gewerkschaftlich abgesichert. Ihre Verträge sind unbeständig. Sobald der “grüne” Übergang an Schwung gewinnt, und das wird er früher oder später, wird der Staat nicht mehr für sie und ihre Gemeinden verantwortlich sein; er wird sie wie eine unnötige Last loswerden können. Doch solange der Bedarf an Kohle noch besteht, sind die privaten Bergwerke hochprofitabel, da sie Umwelt- und Arbeitnehmer*innenschutzbestimmungen sowie Arbeitsrechte bequem umgehen können.

Zwischenzeitig wurden die staatlichen Bergwerke von der Elektrizitätsgesellschaft Elektroprivreda BiH übernommen, einem der drei Unternehmen in Bosnien und Herzegowina, in dem aufgrund der ethnischen Teilung des Staates alles dreifach vorhanden ist. Diese Übernahme ist öffentlich als Rettung für die maroden Bergwerke dargestellt worden. In Wirklichkeit aber entzieht das Unternehmen den alten Bergwerken Arbeitskräfte und Investitionen und kauft gleichzeitig Kohle von den privaten Bergwerken.

In dem Bewusstsein, dass ein offenes Vorgehen gegen die staatlichen Bergwerke und die Bergleute auf den erbitterten Widerstand der direkt betroffenen Gemeinden und der Bevölkerung stoßen würde, gehen die Regierung und die Unternehmensleitung vorsichtig und hinterhältig, aber mit wachsender Entschlossenheit vor. Während die Gewerkschaften lauter werden, aber durch ihre dezimierten Mitgliederzahlen deutlich geschwächt sind (Kreka, eine der größten Minen, beschäftigt nur noch etwa ein Drittel der früheren Belegschaft), geht das Unternehmen aggressiver vor und erpresst die Minen, entweder ihre schlechtere Position innerhalb des Unternehmens zu akzeptieren oder es aufzugeben und sich dem Wettbewerb des freien Marktes zu stellen. In der gegenwärtigen Situation der Bergwerke ist der Wettbewerb auf dem freien Markt nicht nur ein schlechter Scherz, sondern der reinste Zynismus. Er zeigt, dass der Kampf des 21. Jahrhunderts für die Menschen in Bosnien und Herzegowina nicht “grüne Arbeitsplätze gegen braune Arbeitsplätze” heißen wird, sondern “neue prekäre braune Arbeitsplätze gegen alte (ehemals stabile) braune Arbeitsplätze”.

Die alte Gewerkschaftsmacht würde die finanziellen, sozialen und kulturellen Kosten des “grünen” Übergangs erhöhen, ihn verlangsamen und möglicherweise auf Lösungen umlenken, die den Kern des Systems zerstören, das die Klimakrise überhaupt erst verursacht hat. Das wissen auch die EU-Förderer des “grünen” Übergangs. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie auf einen eher selektiven Ausstieg aus der Kohle drängen, vorausgesetzt, die alte Gewerkschaftsmacht kann hinter den Kulissen abgebaut werden.

Kraft und Vision vereinen

Das langsame und schmerzhafte Sterben der alten Bergwerke untergräbt die letzte Festung der organisierten Arbeiter*innenschaft. Eine Gesellschaft wie Bosnien und Herzegowina wird dadurch des letzten Reservoirs an – zumindest potenziell – radikal umgestaltender Energie beraubt, die in einer Gruppe mit sehr hohem, wenn nicht gar höchstem Einsatz für einen gerechten Übergang steckt. Dies ist ein oft vernachlässigter Preis für den “grünen” Übergang, wenn er de facto privaten Investor*innen und Interessen überlassen wird. Doch was wie eine Sackgasse aussieht, könnte der Anfang einer unerwarteten Geschichte sein.

Überall im Land entstehen neue Umweltgruppen. Sie bündeln ihre Kräfte in einem gemeinsamen Kampf, und sie haben das Ohr der Öffentlichkeit. Sie haben begonnen, weit über die kurzfristigen Ziele hinauszugehen, die in der gebergesteuerten Zivilgesellschaft angestrebt werden, und scheuen sich nicht, in den Bereich der Politik als weltverändernde Arbeit vorzustoßen. Aber dieser im Entstehen begriffenen Bewegung fehlt noch eine starke Infrastruktur der Solidarität. Ein anderes Problem: Der Ansatz der Umweltgruppen ist oft legalistisch und unzureichend, um einen starken direkten Widerstand zu erzeugen. Die Grenzen solcher Strategien, die für eine wohl traumatisierte Nachkriegsgesellschaft (oder eine durch internationale Demokratisierung von oben befriedete Gesellschaft) geeignet sind, zeigen sich am deutlichsten im Fall der neuen Bergbauunternehmen, die die Region überschwemmen.

Multinationale Unternehmen dringen schnell und reibungslos ein, oft unter dem Deckmantel der Forschung oder mit dem Versprechen eines Goldrausches, und die Gemeinden werden der letzten Reste von Kontrolle über ihr Leben und ihre Entwicklung beraubt. Verarmt und entvölkert, auf der verzweifelten Suche nach wenigstens einer relativ stabilen Einkommensquelle, fällt es den Gemeinden schwer, den Widerstand, der sich trotz aller Widrigkeiten regt, aufrechtzuerhalten und zu nähren. Erschwert wird dies noch durch die gerissene PR der multinationalen Konzerne. Diese modernen Kolonisator*innen greifen in die Struktur des täglichen Lebens ein. Sie organisieren und sponsern Kultur- und Sportveranstaltungen, Kinder und Jugendliche. Sie spenden für Schulen und gemeinnützige Organisationen. Sie schneidern den Lehrplan auf ihre Bedürfnisse zu und unterdrücken die ehrgeizigeren Bestrebungen der örtlichen Jugend. Sie organisieren sogar “umweltfreundliche Aktivitäten”. Sie infiltrieren öffentliche Einrichtungen und machen ihre Präsenz im gesellschaftlichen Leben zur Selbstverständlichkeit, um den Weg für ihre gewinnbringenden Projekte zu ebnen. Ihre juristische und administrative Maschinerie sorgt dafür, dass all der Schaden, den sie anrichten, mit allen offiziellen Papieren abgewickelt wird.

Obwohl das Kapital begonnen hat, die “grüne” Wende zu forcieren, ist es nicht bereit, dafür zu bezahlen, und natürlich noch weniger bereit, den strukturellen Kern seines eigenen Geschäftsmodells zu verändern, was der einzige Weg ist, um die Energiewende nachhaltig und gerecht zu gestalten. Deshalb braucht die Umweltbewegung Verbündete, die ihr in diesem Kampf eine wildere, rauere Kante geben. Damit der Widerstand funktioniert, muss er das “Business as usual” effektiv stoppen. Dies zu bewirken ist das Potenzial der (Bergarbeiter*innen-)Gewerkschaft: die Wirtschaft und das ganze Land zum Stillstand zu bringen, indem sie die Kohleversorgung verweigert.

Ein Teil dieses Potenzials kann sogar auf die neuen Bergwerke übertragen werden, allerdings in viel bescheidenerem Umfang. Die jungen Bergleute werden den neuen, härteren Formen der Ausbeutung ausgesetzt – dieses Mal mit wenig oder gar keinem gewerkschaftlichen Rückhalt. Aber manche von ihnen bringen vielleicht die Saat der gewerkschaftlichen Kultur und des Kampfes aus den alten Bergwerken mit. Oder sie werden ihre eigene Saat der Solidarität und Kameradschaft in ihrem gemeinsamen täglichen Kampf um ihr eigenes Überleben und das der anderen pflanzen. Eine ungewisse und unsichere Ausgangssituation, aber immerhin eine Ausgangssituation.

So oder so, die Bergarbeiter*innen werden Verbündete außerhalb ihrer verarmten und verletzlichen Gemeinschaften brauchen. Sie werden Verbündete mit Visionen brauchen, die über den Kapitalismus in all seinen Formen hinausgehen. Die emergierende Umweltbewegung in Bosnien und Herzegowina könnte diese Rolle erfüllen. Sie hat bereits einen wichtigen Schritt getan, der über den Naturschutz hinausgeht und die gegenwärtige Ordnung der Dinge, die Unantastbarkeit von Privateigentum und -interessen und die Ausbeutung der natürlichen Welt zu Profitzwecken in Frage stellt. Die Bewegung spricht die Sprache des Gemeinwohls, der Selbstverwaltung und der Autonomie des Kollektivs über seine Ressourcen und Entwicklungswege. Und damit macht sie deutlich, dass sie nicht nur die Stimme der Naturschützer*innen sein wird, sondern die aller Ausgegrenzten, Verarmten und Ausgebeuteten, die zu Akteur*innen der Veränderungen werden müssen, die zur Rettung des Planeten und seiner Lebenswelt notwendig sind.

Auf diese Weise hat die Umweltbewegung tatsächlich die Arena der antikapitalistischen Kämpfe betreten. Und das ist der Boden, auf dem sich die beiden Bewegungen, die der Arbeiter*innen – wohlgemerkt nicht nur die der Bergarbeiter*innen – und die der Umweltschützer*innen, gemeinsam bewegen können, indem sie die Kraft der Organisation mit der Kraft der Vision verbinden. Wird die Umweltbewegung, die von der Mehrheit der Gesellschaft unterstützt wird, den bahnbrechenden Sprung zu kühneren Visionen wagen und sich an die Bergarbeiter*innengemeinschaften und im weiteren Sinne an die Arbeiter*innen im Allgemeinen wenden? Die Arbeiter*innen müssen den “grünen” Übergang tragen, sollten sie ihn nicht also auch anführen und gestalten? Die Energieerzeugung ist ein guter Ansatzpunkt. Neben den Umweltbelangen geht es auch darum, die Arbeiter*innen und ihre Haushalte mit sauberer und erschwinglicher Energie zu versorgen. Oder sogar kostenlose Energie, wenn wir sie als lebenswichtiges menschliches Bedürfnis und nicht als lukrative Handelsware anerkennen. Hier kann ein guter Kampf geführt werden, dessen Keimzelle wir im Manifest der Naturschützer*innen für die Zukunft der Energie in BiH sehen.

Es gibt viele Schlachtfelder. Die alten Methoden der Energieerzeugung mögen aussterben, aber die Arbeiter*innen und ihre Gemeinden werden die Folgen jahrzehntelang spüren. Wenn die Umweltbewegung also für saubere Luft kämpfen will, muss sie bei den Gemeinden beginnen, die für die Entwicklung aller geopfert werden: Sie brauchen in erster Linie eine gute, zuverlässige, fortschrittliche öffentliche und allgemeine Gesundheitsversorgung.

Und dann ist da noch das neue Wurmloch des “grünen Extraktivismus”, der sich immer deutlicher im Abbau so genannter “Übergangsmineralien” zeigt, der nicht nur Anlass zu großer Sorge um die Umwelt ist. Die “grünen” Minen vernichten menschliche Körper und Leben, um den Kapitalist*innen maximale Profite zu sichern. Während sich die Menschen im ganzen Land dagegen auflehnen, muss die Umweltbewegung laut und deutlich über die verschiedenen Dimensionen dieses Widerstands sprechen: es geht um die Natur und die Gemeinden, aber auch um die Arbeiter*innen. Die “grünen” Minen bieten magere Löhne und wenig Schutz; sie sind keine Grundlage für die sozioökonomische Entwicklung und können nicht die Lebensgrundlage für die Gemeinschaften sein, die sie ausbeuten. Sie sind Quellen des schnellen Profits für (hauptsächlich) ausländische Kapitalist*innen und Pfeiler des Neokolonialismus. Der Kampf gegen sie ist also ein Kampf für die Gesellschaft und für die Natur.

Die Dialektik der Kohle

Ich schreibe diesen Text dank des zuverlässigen Feuers des alten Kohlekraftwerks, dessen Schornstein über die Täler Zentralbosniens ragt. Das schwarze Gold dieses Landes wird zuverlässig mit alten, schmutzigen Zügen zum Kraftwerk transportiert. Genauso zuverlässig lagern sich Kohlestaubpartikel in den Lungen der Bergleute und der Bevölkerung rund um die Minen ab.

Diese Zuverlässigkeit ist jedoch anfällig und hängt vom Willen der Bergleute ab. Wind- und Solarenergie mögen auf dem Vormarsch sein, aber die grundlegende Energiequelle für Bosnien und Herzegowina ist die Kohle. Zumindest vorläufig, in dieser unserer Gegenwart, für die die Bergleute mehr geopfert haben als die meisten von uns. Ihr Opfer ist glücklicherweise und wiederum vorläufig nicht nur moralisch, sondern auch materiell und existenziell bindend, solange es Kohlekraftwerke gibt, und die wird es noch eine Weile geben. Der Ruf “WIR GEBEN EUCH KEINE KOHLE!” ist ein Schlachtruf der Stunde. Umweltaktivist*innen in Bosnien und Herzegowina müssen diesen Moment gemeinsam mit den Bergarbeiter*innen nutzen. Und dann zu anderen Bereichen übergehen, in denen nur die Arbeiter*innen das “business as usual” effektiv stoppen und einen radikalen Wandel herbeiführen können.

In einer ironischen Wendung der Dialektik des Übergangs kann die eine Tätigkeit, die unter anderem das Leben auf diesem Planeten bedroht, nämlich der Abbau und die Verbrennung von Kohle, gleichzeitig ein Leuchtfeuer der Hoffnung sein: unsere Waffe im Kampf darum, die Dinge anders zu machen. Dabei geht es nicht nur darum, Technologien umzuwandeln, sondern auch die Wirtschaft unserer Gesellschaften zu revolutionieren, damit sie den Bedürfnissen der gesamten lebendigen Welt dient.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist ein Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds” der Berliner Gazette; die englische Fassung finden Sie hier. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “Allied Grounds”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://allied-grounds.berlinergazette.de

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Oben       —     Campo do Meio – State of Minas Gerais, Brazil

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Kolumne * FERNSICHT-China

Erstellt von DL-Redaktion am 4. Mai 2023

Warnung an den Westen

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Kolumne Fernsicht von  :  Shi Ming

Xi Jinping hegt unverhohlene Abneigung gegen den Westen und seine Werte. Chinas Demütigungen in der Vergangenheit liefern den Treibstoff für die Politik.

Im Bezug auf den Sturz des Kommunismus hat sich der Glaube an dessen friedlichen Charakter in unseren Köpfen verfestigt. Natürlich war es in Rumänien anders, wo die Agonie der UdSSR mit einem Putsch endete, aber im Allgemeinen waren die Veränderungen in Mittel- und Osteuropa sanft. Oder?

Die Erinnerung spielt uns einen Streich. Vor drei Jahrzehnten stürmten sowjetische Truppen den Fernsehturm in Vilnius. Die Litauer wollten ihre Souveränität verteidigen, was die Russen verhindern wollten. 14 Menschen wurden getötet.

All dies wurde in den letzten Tagen in Erinnerung gerufen, als ein Interview des chinesischen Botschafters in Frankreich, Lu Shaye, durch die Medien ging. Darin deutete er an, dass die Krimfrage nicht so einfach ist, wie die Ukraine und ihre Verbündeten es gerne hätten. Nach internationalem Recht, so der Diplomat, verfügen die Länder der ehemaligen Sowjet­union nicht über die volle Souveränität.

In Mittel- und Osteuropa nehmen wir die Wiedererlangung der Souveränität vor 30 Jahren todernst. Wenn jemand die Existenz der Staaten unserer Region untergräbt, laufen nicht nur den Balten, sondern auch den Polen unangenehme Schauer über den Rücken. Vor allem, wenn solche Äußerungen aus einem der mächtigsten Länder der Welt kommen – China. Peking hat relativ schnell ein Dementi abgegeben. Dennoch wird der Vorfall in den Ländern unserer Region nicht so schnell vergessen werden.

Erstens, weil chinesische Diplomaten nicht für zufällige „Zungenspritzer“ bekannt sind. Außerdem hat hier keine zufällige Figur gesprochen. Der Botschafter in Frankreich gehört zur ersten Liga der chinesischen Diplomatie, und außerdem kam die Erklärung kurz nach dem Freundschaftsbesuch von Emmanuel ­Macron und Ursula von der Leyen in Peking. Diese Erklärung zeigt, dass all die Bemühungen der Verteidiger demokratischer Werte, China auf ihre Seite zu ziehen, dort abprallen.

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Zweitens, weil die Erklärung des chinesischen Botschafters eindeutig näher an der Linie Wladimir Putins liegt als an der irgendeines europäischen Politikers. Allzu oft betrachten demokratische Politiker die Despoten zu ähnlich wie sich selbst. Spätestens aber seit der „Appeasement“-Politik Chamberlains gegenüber Hitler sollten wir uns dessen bewusst sein.

Drittens: Die Untergrabung der litauischen, lettischen und estnischen Souveränität durch den chinesischen Botschafter ist eine Politik des Achselzuckens vor der bestehenden internationalen Ordnung. Deshalb sollte man sich von dem anschließenden Dementi nicht täuschen lassen. Auch hier wurde ein Versuchsballon losgelassen – genau wie bei den chinesischen Ballons, die vor Kurzem „versehentlich“ über Nordamerika flogen.

Quelle      :        TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

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Ein neuer Frühling

Erstellt von DL-Redaktion am 3. Mai 2023

1. Mai und Gewerkschaften

Ein Debattenbeitrag von Esther Lynch

Beschäftigte in Europa wehren sich gegen niedrige Löhne und steigende Lebenshaltungskosten. Aber für die Gewerkschaften bleibt noch viel zu tun.

Der 1. Mai ist für uns ein Tag zum Feiern. Aber wir erheben auch Einspruch. Am Tag der Arbeit feiern wir die Erfolge der Gewerkschaftsbewegung. Unsere erfolgreiche Kampagne für den Acht-Stunden-Tag stand am Beginn des internationalen Tags der Arbeiterbewegung. Und wir bleiben der Tradition der Gründer unserer Bewegung treu, wenn wir weiter konkrete Verbesserungen der Bedingungen für arbeitende Menschen fordern.

Kurz vor dem 1. Mai 1913 schrieb Rosa Luxemburg in einem Artikel, dass „das Gespenst der Teuerung (…) ein flammendes Zeugnis für die lebendige Wahrheit und die Macht der Ideen der Maifeier“ sei. Deshalb hat die europäische Gewerkschaftsbewegung in diesem Jahr erst recht einen Anlass, auf die Straße zu gehen. Alarmierend steigende Lebenshaltungskosten werden von Unternehmen verursacht, die auf zynische Weise die Preise und ihre Profite immens steigern und dies auf Versorgungsprobleme schieben, die durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine entstanden seien. Gleichzeitig müssen Beschäftigte den größten Reallohnverlust seit Beginn des Jahrhunderts hinnehmen.

Nichtsdestotrotz wurde nur in einer Handvoll europäischer Länder eine Übergewinnsteuer auf solche zusätzlichen Profite eingeführt. Ich nenne diese Teuerung ja lieber „Gierflation“. Aber viele führende Politiker sind abermals entschlossen, die breite Bevölkerung für eine weitere Krise bezahlen zu lassen, an der sie keinerlei Schuld tragen. Austerität 2.0 kommt auf uns zu: Politiker fordern Lohnzurückhaltung, gleichzeitig schießen die Zinsen in die Höhe, Macron setzt in Frankreich auf undemokratische Weise eine Rentenreform durch, und in Dänemark wird ein Feiertag gestrichen.

Aber wir sehen heute in Europa auch, dass die Menschen sich wehren. Ein Dutzend Mal haben die Beschäftigten in ganz Frankreich gestreikt. Großbritannien erlebte 2022 die ausgedehntesten Arbeitskämpfe seit den 1980er Jahren, und in Deutschland kam es Ende März zum „Super-Streiktag“. Krankenpflegerinnen in Lettland, Arbeiter in tschechischen Reifenfabriken und Transportarbeiter in den Niederlanden haben sich in den vergangenen Monaten erfolgreich eine bessere Bezahlung erstritten.

Gewerkschaften wehren sich auch erfolgreich gegen Taktiken, die Organisierung in weiteren Betrieben zu verhindern. Beschäftigte bei Amazon in Deutschland haben immer wieder gegen die Arbeitsbedingungen dort gestreikt, in Großbritannien in diesem Jahr erstmals. Überall in Europa organisieren sich die Beschäftigten und erringen Erfolge. Wir können an diesem 1. Mai stolz sein. Die Herausforderung ist jetzt, aus diesem Frühling der Arbeiterbewegung dauerhafte Verbesserungen zu erstreiten.Deshalb wird eine Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung beim Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbunds in diesem Monat oberste Priorität haben. 1.000 Delegierte und Teilnehmer, die mehr als 45 Mil­lio­nen Beschäftigte repräsentieren, werden nach Berlin kommen und einen Aktionsplan für die kommenden vier Jahre beraten.

In zwei Dritteln aller EU-Mitgliedstaaten liegt der Mindestlohn unter der Armutsgrenze

Noch immer profitieren zu wenige Beschäftigte von den Vorteilen gewerkschaftlicher Organisierung und tariflich abgesicherter Arbeitsverhältnisse. Sie erhalten in der Regel eine höhere Entlohnung als in Betrieben, in denen die Arbeitgeber allein die Löhne festlegen. In Deutschland sind 52 Prozent der Beschäftigten über Tarifverträge abgesichert, aber in der Hälfte der EU-Mitgliedstaaten liegt diese Quote unter 50 Prozent. Der Europäische Gewerkschaftsbund hat sich bereits erfolgreich für eine EU-Richtlinie zu angemessenen Mindestlöhnen eingesetzt.

In zwei Dritteln aller EU-Mitgliedstaaten liegt der Mindestlohn unter der Schwelle, an der den Beschäftigten das Abrutschen in die Armut droht. Deutschland gehörte auch dazu, bis der Mindestlohn auf 12 Euro erhöht wurde – ein Beispiel, dem andere EU-Staaten folgen sollen.

Quelle        :         TAZ-online          >>>>>      weiterlesen

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Oben        —     Wien Hauptbahnhof, Hinweis auf Auswirkungen eines Streiks in Deutschland.

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Wer will das Kontrollieren ?

Erstellt von DL-Redaktion am 3. Mai 2023

LNG und die Blindheit unserer Regierung

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Teile des eingestürzten Gebäudes während der Rettungsarbeiten, 27. April 2013

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Alle Politiker blöken wild durcheinander nach der Befreiung von Lieferabhängigkeiten z.B von China und sind ganz offenbar blind für die Hinterfotzigkeiten ihres vorgeblich besten transatlantischen Verbündeten und Anführers der westlichen Wertegemeinschaft.

An sich sollten wir die US-Intetionen in Sachen Öl, Gas und NLG (liquid natural gas) spätestens seit Trump kennen, der sich dem Bau von North Stream 2 widersetzte und rüpelhaft sogar deutsche Firman sanktionierte. ‚America First‘ wird noch heute gepflegt, indem die aktuelle US-Administration mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die dann doch fertiggestellte Pipeline kurzerhand gesprengt hat. Sahra Wagenknecht hat das in jeder Hinsicht unverantwortliche Handeln unserer Regierung in ihrem letzten Newsletter zutreffend angeprangert. Noch deutlicher analysiert der US-Publizist Michael Hudson die Abgründe und Auswirkungen der Gier der USA nach Macht und Geld.

Die seit Jahrzehnten von den USA im Hintergrund gepflegte Strategie erfährt jetzt durch den Ukraine-Konflikt und die damit verbundenen Saktionen gegen Russland eine krasse Offenkundigkeit, die von unseren Politikern aber offensichtlich nicht erkannt oder vielleicht sogar wissentlich verdrängt wird. Zum Schaden unseres Volkes wurschtelt man an Symptomen herum, ohne die wahren Ursachen abzustellen. Durch blindes Befolgen der von den USA verhängten Sanktionen hat sich die westliche Wertegemeinschaft in eine Notlage gebracht, die sie jetzt holterdipolter durch Flickschustereien und ohne Rücksicht auf das Volk und die Natur zu bändigen sucht. Groteskerweise brauchen wir das teure LNG (Fracking Gas) aus den USA gar nicht, weil der Markt davon bereits überschwemmt ist. Aber die deutschen Vasallen zahlen weiter den mit den USA vereinbarten, überhöhten Preis.

So drängt sich unversehens die Frage auf, was die vielbeschworene Wertegemeinschaft unter Führung der USA überhaupt wert ist und wie wir uns möglicherweise schleunigst aus ihrem Würgegriff lösen müssen. Wenn unser scheinbar wichtigster Verbündeter uns nicht ehrlich behandelt und uns als (noch) stärkste Industrienation Europas in seine totale Abhängigkeit zwingen wiill, dann sind auch wir ein großer Verlierer in diesem Neuen Kalten Krieg und werden auf Jahre unseren erarbeiteten Lebensstandard in vielen Bereichen aufgeben und langsam wieder aufbauen müssen, wenn wir uns nicht für die neuen Entwicklungen in der Welt öffnen. Die Mehrheit der Länder der Welt folgt der westlichen regelbasierten Ordnung nicht oder nicht mehr.

Hegemoniale Attitüden sind vorbei, auch seitdem China uns zeigt, wie man auch ohne militärischen oder wirtschaftlichen Druck oder Zwang friedvolle Beziehungen gestalten kann. Das LNG ist nur ein Warnsignal, dass wir unser Geschick autonom gestalten müssen und nicht blind einem Leithammel folgen dürfen. Dazu gehört auch die unbedingte Pflicht, die aktuelle Krise durch Verhandlungen zu lösen. America first ist vorbei. Nur win-win-Lösungen bringen uns weiter. Wenn unsere Regierung für die Realität der komplexen Ereignisse und Interaktionen unserer Zeit blind ist, sollte sie im Interesse des Volkes abtreten, um weiteren Schaden von ihm abzuwenden.

Urheberrecht
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Oben       —     Teile des eingestürzten Gebäudes während der Rettungsarbeiten, 27. April 2013

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Neue alte Weltordnung?

Erstellt von DL-Redaktion am 2. Mai 2023

No one wins, one side just loses more slowly.“

Es wird immer Einer daseun, welcher sich alles nimmt. 

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von     :        Tomasz Konicz

Kann das staatskapitalistische China die abgetakelten USA als Hegemon beerben? The Wire.

Glaubt mensch den Deklarationen russisch-chinesischer Gipfeltreffen und westlichen Einschätzungen, dann wird das 21. Jahrhundert durch eine Ära chinesischer Hegemonie bestimmt werden. Bei ihrem Moskauer Kriegsgipfel Mitte März sprachen sich Putin und Xi für eine „gerechte multipolare Weltordnung“ aus, die der Ära der US-Hegemonie ein Ende bereiten würde.1 Ein britischer Regierungsreport warnte hingegen vor einer Welt der „Gefahr, Unordnung und Teilung“, die Peking in offener, „epochenformender Herausforderung“ der liberalen, „regelbasierenden Weltordnung“ kreiere.2 Wobei es eigentlich auch britischen Analysten schwerfallen müsste, die krisengeplagte spätkapitalistische Welt anders als durch “Gefahr, Unordnung und Teilung” geprägt zu sehen. Bei solchen Einschätzungen handelt es sich offensichtlich um simple Projektionen. Doch das bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie vollkommen falsch wären – wie ja ein flüchtiger Blick auf das Gemetzel in der Ukraine und das Säbelrasseln um Taiwan illustriert.

Das Gerede von einer multipolaren Weltordnung ist somit einerseits Ideologie all jener autoritären Staaten der Semiperipherie, die sich vermittels imperialistischer Macht- und Kriegspolitik darum bemühen, die erodierenden USA zu beerben, um auf regionaler oder globaler Ebene eine ähnliche Vormacht oder Dominanz zu erringen, wie sie Washington in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts innehatte. Die Zunahme regionaler zwischenstaatlicher Konflikte ist gerade Ausdruck dieser sehr reellen multipolaren Weltunordnung in einer globalen Krisenphase, in der es faktisch keinen Welthegemon mehr gibt. Ob es nun russische Imperialisten, iranische Mullahs, türkische Neoottomanen oder deutsche Vollazis und Querfrontler sind – es ist vor allem der Neid auf die im Zerfall begriffenen Machtmittel Washingtons, der dieses letzte Stadium des Antiamerikanismus motiviert. Und dies gilt vor allem für den US-Dollar. Der Greenback als – vor allem auf dem Ölhandel beruhende – Weltleitwährung verschaffte Washington die Option, sich im Wertmaß aller Warendinge zu verschulden, um etwa seine Militärmaschinerie zu finanzieren. Wenn hingegen ein Erdogan die Geldpresse anwirft, dann steigt einfach die Inflation.

Deswegen sorgen die jüngsten währungspolitischen Abmachungen zwischen China, Russland und etlichen Staaten der Semiperipherie für Aufsehen. Mitte März propagierte Regierungschef Xi bei einem Staatsbesuch in Riad eine Umstellung des Ölhandels mit Saudiarabien auf den chinesischen Yuan, um der „zunehmenden Umwandlung des Dollars zur Waffe“ zu begegnen.3 Riad soll den symbolischen Schritt zur Abwicklung eines Teils seines Ölhandels mit Peking ernsthaft erwägen. Im kriegsführenden Russland ist angesichts westlicher Sanktionen der Yuan zur meistgehandelten Währung aufgestiegen.4 Ähnliche bilaterale Währungsdeals konnte Peking mit Brasilien,5 Pakistan6 und Venezuela7 abschließen. Auf dem letzten BRICS-Treffen im Februar wurde gar der Aufbau eines alternativen Währungssystems für „Schwellenländer“ diskutiert.8 Die Financial Times warnte bereits im März, dass die westlichen Funktionseliten sich auf eine „multipolare Währungsweltordnung“ vorbereiten sollten – was den Verlust des „außerordentlichen Privilegs“ Washingtons, sich in der Weltleitwährung zu verschulden, bedeuten würde.

Diese verstärkten Absetzbewegungen vom Dollar sind einerseits auf die US-Sanktionen gegen Russland beim Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine zurückzuführen, da dabei erstmals russische Auslandsguthaben eingefroren wurden (Lawrow sprach vom „Diebstahl“), was von allen Regimes, die perspektivisch damit rechnen müssen, in Konflikt mir Washington zu geraten, aufmerksam registriert wurde. Doch kann diese Tendenz zur De-Dollarisierung und De-Globalisierung nur vor dem Hintergrund des imperialen Abstiegs der USA und des historischen Krisenprozesses voll verstanden werden. Hiernach erst wird klar, wieso China nicht in der Lage sein wird, die Vereinigten Staaten als Hegemon zu beerben.

Giovanni Arrighi hat in seinem faszinierenden Werk ‚Adam Smith in Beijing‘ die Geschichte des kapitalistischen Weltsystems als eine Abfolge von Hegemonialzyklen beschrieben. Eine aufstrebende Macht erringt in einer auf der warenproduzierenden Industrie geprägten Aufstiegsphase eine dominierende Stellung innerhalb des Systems, nach einer Signalkrise geht diese Hegemonialmacht in den imperialen Abstieg über, in dem die Finanzindustrie an Bedeutung gewinnt, um schließlich von einem neuen, über größere Machtmitte verfügenden Hegemon abgelöst zu werden.

Und diese Abfolge kann sowohl im Fall Großbritanniens wie der USA empirisch nachvollzogen werden. Das englische Empire, das im Rahmen der Industrialisierung im 18. Jahrhundert zur ‚Werkstatt der Welt‘ aufstieg, wandelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Weltfinanzzentrum, bevor es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von den ökonomisch aufsteigenden USA abgelöst wurde, die wiederum ihre ‚Signalkrise‘ während der Krisenphase der Stagflation in den 70ern erfuhren. Hiernach setzte die Deindustrialisierung und Finanzialisierung der USA ein, die zu einer ökonomischen Dominanz des US-Finanzsektors führte. Die Verschuldung des absteigenden Hegemons beim imperialen Aufsteiger, die Arrighi ebenfalls thematisierte, kann sowohl im Fall Großbritanniens gegenüber den USA, als auch den Defizitkreislauf der Vereinigten Staaten gegenüber China festgestellt werden.

Der Dollar errang seine Weltstellung somit im Rahmen des fordistischen Nachkriegsbooms, als der Marshall-Plan im verwüsteten Europa auch die Hegemonie der Vereinigten Staaten zementierte. Und es war gerade diese lang anhaltende Phase fordistischer Expansion, die das ökonomische Fundament der US-Hegemonie bildete. Mit dem Ende des Nachkriegsbooms in der Stagfaltionsphase, der Finanzialisierung und der Durchsetzung des Neoliberalismus wandelte sich die ökonomische Grundlage des westlichen Hegemonialsystems: Die sich immer weiter verschuldenden USA wurden in der systemischen Überproduktionskrise zum „Schwarzen Loch“ des Weltsystems, das durch seiner Handelsdefizite die Überschussproduktion exportorientierter Staaten wie China und BRD aufnahm – um den Preis voranschreitender Deindustrialisierung. Peking und Berlin hatten somit allen Grund, die US-Hegemonie und den Dollar als Weltleitwährung zu tolerieren, da ohne den amerikanischen Absatzmarkt Chinas Aufstieg zur neuen „Werkstatt der Welt“ nicht möglich gewesen wäre.

Der an seiner eigenen Produktivität erstickende, zunehmend auf Pump laufende Spätkapitalismus kettete im Rahmen dieser Globalisierung der Defizitkreisläufe und der damit korrespondieren Blasenökonomie die „Produktionsstandorte“ und Defizitstaaten aneinander, doch zugleich nahm das Konfliktpotenzial aufgrund sozioökonomischer Zerfallsprozesse immer weiter zu. Diese Krisentendenz wurde ganz konkret in Donald Trump personifiziert, der von einer erodierenden weißen Mittelschicht gewählt und mittel Protektionismus die USA reindustrialisieren wollte – und somit ungewollt de Abstieg des Dollars, der gerade aufgrund der Defizite des Dollarraumes akzeptiert wurde, noch beschleunigte. Eigentlich gibt es seit Trump keine US-Hegemonie mehr. Die Vereinigten Staaten halten ihre Stellung nur noch vermittels nackter Dominanz, vor allem aufgrund ihres Militärisch-Industriellen-Sektors, der das wahre Rückgrat des Dollars bildet – und eben dies lässt eine militärische Auseinandersetzung zwischen China und den USA wahrscheinlich werden. Die USA stehen global ähnlich mit dem Rücken zur Wand, wie es der russische Imperialismus am Vorabend des Ukraine-Kriegs im postsowjetischen Raum tat. Dies wurde auch am derzeitigen Bankenbeben evident, das ausgerechnet an US-Staatsanleihen getriggert wurde.9

Der krisenbedingt zunehmende Protektionismus scheint somit der Weltleitwähurng Dollar den Rest zu geben. Und dennoch wird das 21. Jahrhundert aufgrund der sich entfaltenden sozioökologischen Weltkrise des Kapitals keine Epoche chinesischer Hegemonie mit sich bringen können. Der Yuan wird den Dollar nicht beerben. Die von der Dominanz der Warenproduktion geprägte hegemoniale Aufstiegsphase der Volksrepublik erfolgte im Rahmen der besagten globalen Defizitkreisläufe, bei denen die Verschuldungsdynamik im Westen die Nachfrage für die chinesische Exportwirtschaft generierte – und sie endete mit dem Krisenschub von 2008. Mit dem Platzen der Immobilienblasen in den USA und Europa gingen die extremen chinesischen Exportüberschüsse zurück (mit Ausnahme der USA), während die gigantischen Konjunkturpakete, die Peking damals zur Stützung der Wirtschaft auflegte, zu einer Transformation der chinesischen Konjunkturdynamik führten: der Export verlor an Gewicht, die kreditfinanzierte Bauwirtschaft, der Immobiliensektor bildeten fortan die zentralen Triebfedern des Wirtschaftswachstums.

Somit hat China offensichtlich seine ‚Signalkrise‘, die den Übergang zu einem finanzmarktgetriebenen Wachstumsmodell markiert, schon 2008 hinter sich gebracht. Chinas Wachstum läuft somit ebenfalls auf Pump, die Volksrepublik ist ähnlich hoch verschuldet wie die absteigenden westlichen Zentren des Weltsystems. Die chinesische Defizitkonjunktur bringt noch weitaus größere Spekulationsexzesse hervor als es in den USA oder Westeuropa der Fall war, was die Verwerfungen auf dem absurd aufgeblähten chinesischen Immobilienmarkt 2021 evident machten. Ökonomisch hat der hegemoniale Abstieg der Volksrepublik aufgrund der globalen Systemkrise bereits eingesetzt, obwohl sie ihre Hegemonialposition geopolitisch noch gar nicht erringen konnte.

Was immer zählt in der Politki ist der persönliche Reichtum der Machthaber ! Und so hat der Westen allen gezeigt, wie es geht !

Dieser Mangel eines neuen Leitsektors, eines massenhaft Lohnarbeit verwertenden Akkumulationsregimes in der Warenproduktion, in dem sich die innere Schranke des Kapitals manifestiert, bildet den großen Unterschied zwischen dem gegenwärtigen China und den USA am Ende des 2. Weltkrieges. Dies wird gerade hinsichtlich der außenpolitischen Ambitionen Pekings evident, wo mit der „Neuen Seidenstraße“ ein ehrgeiziges globales Entwicklungsprojekt initiiert wurde, das sich am Vorbild des Marshall-Plans orientierte – und das der Volksrepublik die erste internationale Schuldenkrise bescherte.10 Von den rund 838 Milliarden US-Dollar, die Peking bis 2021 zum Aufbau eines auf China zentrierten Wirtschafts- und Bündnissystem in Entwicklungs- und Schwellenländern investierte, sollen nach dem Ausbruch des aktuellen Krisenschubs (Pandemie und Ukraine-Krieg) rund 118 Milliarden ausfallgefährdet gewesen sein.11

Da ist kein globaler Konjunkturfrühling in Sicht, sondern nur Überschuldung und Inflation.12 China wirkt somit aufgrund seiner im In- und Ausland einstürzenden Schuldentürme, als ob es schon vor dem Erringen der Hegemonie im Abstieg befindlich wäre. Hinzu kommt die äußere, ökologische Schranke des Kapitals, da die Volksrepublik im Zuge ihrer staatskapitalistischen Modernisierung zum größten Emittenten von Treibhausgasen Aufsteig, was aufgrund der drohenden Klimakatastrophe einen ähnlichen Entwicklungsweg für weitere Länder des globalen Südens zum reinen ökologischen Irrsinn macht (Und zugleich wäre es schlicht pervers, dem aus den Zentren heraus dem globalen Süden Verzicht zu predigen). Der historische Hegemonialzyklus des kapitalistischen Weltsystems wird somit überlagert von dem sozioökologischen Krisenprozess des Kapitals, er tritt mit ihm in Wechselwirkung und lässt Chinas hegemonialen Aufstieg und Zerfall ineinander übergehen.

Ein Hegemonialsystem, bei dem ja die Stellung des Hegemons toleriert würde, ist aufgrund der sich immer stärker manifestierenden inneren und äußeren Schranken des Kapitals, aufgrund der ökonomischen und ökologischen Doppelkrise nicht mehr realisierbar. Imperialismus in der gegenwärtigen Krisenphase, in der die historische Expansionsbewegung des Kapitals in eine Failed States hinterlassende Kontraktion umgeschlagen ist, läuft auf Abschottung und reinen Ressourcen-Extraktivismus hinaus. Die Abschottung gegenüber den sozioökonomischen Zusammenbruchsgebieten, die keine Rolle mehr spielen als Absatzmärkte, geht mit dem brutalen Kampf der Staaten um die abschmelzenden Rohstoffe und Energieträger einher, die der stotternden Verwertungsmaschine zugeführt werden müssen.13

Hier ist eindeutig eine historische Tendenz zu feststellbar. Das Bestreben zur direkten Kontrolle der Kolonien und Schutzgebiete im 19 Jahrhundert, in der Epoche englischer Hegemonie, ging im 20. Jahrhundert in den informellen Imperialismus über, wie in Washington vermittels Umstürzen und Installierung abhängiger Regimes praktizierte. In der Endphase des kapitalistischen Weltsystems scheint imperialistische Herrschaft auf bloße Aufrechterhaltung infrastruktureller Extraktionswege hinauszulaufen, durch die Ressourcen und Energieträger aus den ökonomischen und ökologischen Zusammenbruchgebieten in die verbliebenen Zentren befördert werden sollen.

Was sich im gegenwärtigen Krisenimperialismus entfaltet,14 ist somit eine Logik des last man standing, bei der die Krisenfolgen auf die Konkurrenz abgewälzt werden. Diese inzwischen bis zum offenen Krieg reichende Machtkämpfe zwischen den Staatssubjekten exekutieren den objektiv voranschreitenden Krisenprozess. Es ist ein geopolitischer Machtkampf auf der untergehenden spätkapitalistischen Titanic, bei dem es faktisch keine Gewinner mehr gibt. Deswegen sind auch alle scheinbaren Allianzen so brüchig, wie es zuletzt an den Absetzbewegungen der EU gegenüber den USA in der Taiwan-Frage offensichtlich wurde.15

Und dennoch ist vor dem Hintergrund der sozioökologischen Krise das Ringen zwischen dem russo-chinesischen Eurasien und dem Ozeanien der Vereinigten Staaten, bei dem Ukraine und Taiwan einen akuten und einen potenziellen Brennpunkt bilden, durchaus auch als ein Kampf zwischen Zukunft und Vergangenheit zu begreifen. Es ist ein Kampf zwischen der untergehenden Ära neoliberalen Kreisverwaltung und dem drohenden Zeitalter offen autoritärer Herrschaft,16 bei der autoritäre Formierung und sozialer Zerfall in Wechselwirkung stehen, wie es geradezu paradigmatisch an der russischen Staatsoligarchie und Mafiaherrschaft sichtbar ist.17 Die Krise treibt die erodierenden spätkapitalistischen Staatsmonster förmlich in die Konfrontation, sodass die Entladung der anwachsenden autodestruktiven Tendenzen des Kapitals in einem Großkrieg durchaus möglich ist.

https://www.patreon.com/user?u=57464083

https://konicz.substack.com/

1 https://www.n-tv.de/politik/Xi-und-Putin-wollen-gerechtere-Weltordnung-article23996962.html

2 https://www.aljazeera.com/news/2023/3/14/russia-china-creating-world-of-danger-disorder-division-uk

3 https://www.globaltimes.cn/page/202212/1281416.shtml

4 https://www.bloomberg.com/news/articles/2023-04-03/china-s-yuan-replaces-dollar-as-most-traded-currency-in-russia#xj4y7vzkg

5 https://www.globaltimes.cn/page/202303/1288326.shtml

6 https://www.aa.com.tr/en/energy/invesments/pakistan-china-agree-to-trade-in-yuan/22190

7 https://www.aa.com.tr/en/energyterminal/finance/venezuela-opts-to-use-chinese-yuan-for-oil-trade/763

8 https://www.ft.com/content/02d6ab99-ea36-41c4-9ad3-9658bb1894a7

9 https://www.konicz.info/2023/03/19/die-silicon-valley-bank-als-das-schwaechste-glied/

10 https://www.ft.com/content/ccbe2b80-0c3e-4d58-a182-8728b443df9a

11 https://www.konicz.info/2022/10/18/china-mehrfachkrise-statt-hegemonie-2/

12 https://www.ft.com/content/049aef43-4f03-45a1-bf65-749cd44921cc?emailId=af7e811c-648b-4ffa-b140-d7980fc81974&segmentId=22011ee7-896a-8c4c-22a0-7603348b7f22

13 https://www.konicz.info/2021/10/14/ddr-minus-sozialismus/

14 https://www.konicz.info/2022/06/23/was-ist-krisenimperialismus/

15 https://www.nbcnews.com/news/world/macron-europe-china-taiwan-usa-outrage-rcna79090

16 https://www.konicz.info/2022/05/24/eine-neue-krisenqualitaet/

17 https://www.konicz.info/2022/05/25/rackets-und-rockets/

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Oben       —    Former German Chancellor Gerhard Schröder as an oligarch in oil and gas of Russian companies Gazprom and Rosneft.

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DIE * WOCHE

Erstellt von DL-Redaktion am 2. Mai 2023

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Kolumne von Friedrich Küppersbusch

Fußball, Frikadellen, Verfassungsschutz: Für Salat gehe ich da nicht hin. In Berlin gibt’s beste Polit-Unterhaltung und die Systemfrikadelle für 5 Euro noch obendrauf. Bei Fortuna Düsseldorf gibt’s freien Eintritt.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Waffen- wie Friedensthema scheinbar erschöpft.

Und was wird diese Woche besser?

Zur Ukraine schauen.

In Berlin ist CDU-Mann Kai Wegner im dritten Anlauf zum Bürgermeister gewählt worden. Wie wird sich die Große Koalition unter seiner Führung schlagen?

Na ja – schlagen, halt. Wegner wurde schneller Bürgermeister als Normalberlinende einen Ausweis bekommen oder heiraten können. Die Wissenschaft redet von Chaostheorie, Berlin bietet Praxis. Die neue Senat – sieben Frauen, vier Männer – versammelt auch die Diversitäten Migranten, Ossis, schwul und sozialdemokratisch. Da ist für jeden was dabei; die CDU kann Großstadt oder die SPD noch spießiger sein als die CDU oder: Wenn sie im Wohnungsmarkt und in der öffentlichen Verwaltung spürbare Verbesserung hinbekommen, haben sie eine Chance. Bisher haben sie einen hohen Unterhaltungswert.

Fast-Food-Ketten werden in Deutschland nach Angaben des Bundesverbandes der Systemgastronomie immer beliebter, 2022 stieg ihr Umsatz auf 28 Milliarden Euro an. Wie schmeckt Ihnen das?

Auf in den Mampf: Die Big- und Burger-Buden haben auf Touch-Screen-Bestellung umgerüstet. So hilft die Kundschaft der Belegschaft, ihre Jobs abzuschaffen. 56 Prozent der Gäste fliehen den gastlichen Ort und speisen woanders; ein Multispreader für Verpackungsmüll. Stichwort „bis zum Erbrechen“: Der Bundesverband kotzte einen stattlichen Strahl, als der Mindestlohn auf 12 € erhöht wurde; neben allerlei rhetorischem Dressing funkelte das Kernargument: das sei ja höher als die ersten drei Tarifgruppen. Eben drum. Es muss einen Grund geben, warum die Systemfrikadelle 5 € kostet, ein Döner in der unsystematischen Gastronomie eher 7 bis 8 €. Ich dagegen koste da nix, die machen auf vegan, gesund, Salat – dafür geh ich da echt nicht hin.

Die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative ist laut Verfassungsschutz „gesichert rechtsextremistisch“. Brauchen wir dafür einen Inlandsgeheimdienst?

Für die Einstufung nicht, aber dafür, sie durchzusetzen. Die AfD prozessiert seit zweieinhalb Jahren gegen ihre Ernennung zum „Verdachtsfall“, und wohlweislich wappnet sich der Verfassungsschutz mit einer „umfangreichen Materialsammlung“ gegen die nächste Runde. Immerhin darf er nun deren Finanzen röntgen, Telefone abhören, V-Menschen einschleusen und sich dort bewegen, wo man den Rechtsstaat ungern rumhängen sieht. Die Jahre, in denen das Amt langsam, schludrig oder gar nicht aufpasste, halten sich in Maaßen.

Springer hat Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt verklagt. Dann wurde bekannt, dass Reichelt dem Verleger der Berliner Zeitung, Holger Friedrich, vertrauliche Springer-Dokumente angeboten hatte. Der wiederum informierte Springer über den Vorgang. Wer ist der größte Verlierer in dieser Geschichte?

Die Berliner Zeitung hatte sich zuletzt bei Seymour Hershs Theorie zu Nord Stream, bei Naftali Bennetts Bericht über seine Friedensverhandlungen hervorgetan, auch war sie die Plattform für Antje Vollmers bedrückendes politisches Vermächtnis. Diese risikobereite Redaktion ist der Verlierer, wenn der Verleger leckt. Ein bisschen auch Reichelt, denn der Versuch zeigt, dass die Zeit nicht mehr jeden Schlamm ins ehrwürdige Blatt hievt.

Fortuna Düsseldorf will im Rahmen eines Pilotprojekts freien Eintritt in sein Stadion gewähren und spricht von einer „Revolution im Profifußball“. Werden Sie dann dort mal vorbeischauen?

Quelle         :      TAZ-online           >>>>>      weiterlesen

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Perspektiven statt Grenzen

Erstellt von DL-Redaktion am 17. April 2023

Die EU hat die falschen Schlüsse gezogen und verrennt sich in eine migrationspolitische Sackgasse

European Parliament Strasbourg Hemicycle - Diliff.jpg

Was gibt das für ein gepolter, wenn die leeren Köpfe erst ins rollen kommen.

Ein Debattenbeirag von J. Olaf Kleist

Die EU setzt auf den Migrationsdeal mit der Türkei und die Verlagerung des Grenzschutzes. Sinnvoller wäre es, Flüchtenden eine Zukunft zu ermöglichen.

Mit der Ankunft von Millionen Flüchtlingen, die vorwiegend in kleinen Booten über die Ägäis einreisten, brach 2015 das Asylsystem in Europa zusammen. Nur durch zivilgesellschaftliches Engagement gelang die Aufnahme und Integration der Schutzsuchenden. Zugleich ächzten staatliche Institutionen über Jahre unter ihren Aufgaben. Vielfach sollten administrative Tricks und neue Gesetze helfen, den Zugang zu Verfahren und Rechten zu verringern, um so die Belastungen für Verwaltungen zu mindern. Echte Reformen des europäischen Asylsystems, die den Anforderungen eines demokratischen Kontinents der Zuflucht entsprechen würden, blieben weitgehend aus. Stattdessen ging die EU im Frühjahr 2016 einen Flüchtlingsdeal mit der Türkei ein, bei dem es offiziell um ein Rückführungs- und Aufnahmeprogramm ging. Es funktionierte nie.

Zentral für die Umsetzung war die Bekämpfung von irregulärer Migration, die zunächst in der Verantwortung türkischer Sicherheitsbehörden lag. Wie weit der Rückgang von Ankunftszahlen in Griechenland ab 2016 überhaupt dem Übereinkommen geschuldet ist, bleibt umstritten. Politisch gilt es dennoch als Erfolg und als Vorbild für Migrationsabkommen mit anderen Nachbarstaaten der EU. Doch die EU hat die falschen Schlüsse aus der Zusammenarbeit mit der Türkei gezogen und verrennt sich in eine migrationspolitische Sackgasse.

Die bemerkenswerteste, in Europa aber kaum wahrgenommene Leistung ist die Aufnahme und Versorgung von über 3,5 Millionen syrischen Flüchtlingen in der Türkei. Möglich war dies nur durch ein differenziertes und innovatives humanitäres Programm mit hoher finanzieller Unterstützung durch die EU. Trotz vieler Schwierigkeiten in der Umsetzung hat es Sy­re­r*in­nen Lebens­perspektiven in ihrer Herkunftsregion und oft eine neue Heimat gegeben.

Schutz und Zukunftsperspektiven sind die wichtigsten Faktoren, damit Vertriebene ihre Flucht nicht fortsetzen. Die Migrationsabkommen mit Staaten auf Fluchtrouten nach Europa fördern jedoch kaum das eine noch das andere. Im Gegenteil setzen sie auf Grenzschließungen und die gewaltsame Vermeidung von irregulärer Migration. Die Erfahrungen zeigen, dass das keine gute Idee ist. Die türkische Regierung hat ihre Kontrolle über die gemeinsame Grenze wiederholt als diplomatisches Druckmittel gegen die EU genutzt: es wäre doch schade, würde irreguläre Migration nach Europa wieder einsetzen, raunte man kaum verhohlen in Richtung EU, wenn ganz andere politische Fragen im Raum standen. Andere Staaten haben längst begonnen, diese migrationspolitische Instrumentalisierung zu kopieren.

Zudem hat sich gezeigt, dass irreguläre Migration durch die Verlagerung des Grenzschutzes in die Türkei nicht langfristig gestoppt wurde. Vielmehr wurde eine brutale und teils illegale Abwehr von Schutzsuchenden betrieben: Flüchtende gerieten unter Beschuss, Boote wurden ins Meer zurückgedrängt, menschenrechtlich bedenkliche Lager errichtet. Die vermeintliche Externalisierung eines gewaltsamen Grenzschutzes ist keine Lösung der Grenzfragen und fällt über kurz oder lang auf die EU zurück.

Wer hat die Dummheit dieser Welt, nur in eine Uniform für Mörder gestellt? 

Die alternativ oft geforderte Gewährleistung von sicheren und regulären Wegen für Flüchtlinge ist aber ebenfalls Illusion. Zum einen sind die Kapazitäten solcher dauerhaften Programme relativ gering und zum anderen sehr selektiv. Sie erreichen nur bedingt jene, die sich in die Boote setzen müssen. Keine Frage, Visa für humanitäre, aber auch Arbeits- und Studienzwecke sind eine wichtige Ergänzung zum Asyl, indes beeinflussen sie die irreguläre Migrationsbewegung kaum.

Eine wichtige Ausnahme sind sehr umfangreiche, internationale Aufnahmeprogramme. Europa könnte über ein gut organisiertes Programm relativ einfach etwa 200.000 Flüchtlinge pro Jahr aufnehmen. Auf fünf Jahre angelegt, wäre dies eine Entlastung für die Türkei und auch ein wichtiges Signal der geteilten Verantwortung. Die Kombination aus Neuansiedlungen und lokaler Integration ist eine Möglichkeit für den überfälligen Wandel der europäischen Flüchtlingspolitik.

Die Zahl irregulärer Ankünfte in Griechenland würde so zunächst stark sinken. Allerdings würde die irreguläre Migration nicht aufhören. Und das ist in Ordnung. Irreguläre Migration ist rechtlich und normativ gerechtfertigt, wenn sie genutzt wird, um Asyl zu beantragen. Dazu muss der Zugang zum Asylverfahren gewährleistet werden. Grenzschutz und Flüchtlingsschutz sind nicht gegensätzlich, sondern sie gehen Hand in Hand. Grenzschutz in der EU sieht zurzeit nur die Bekämpfung von irregulärer Migration vor, anstatt das Recht auf Asyl im Schengener Grenzkodex und im Mandat von Frontex festzuschreiben. Es braucht klare Verfahren, sodass Asyl­be­wer­be­r*in­nen in funktionierende Asylverfahren kommen, auch wenn sie irregulär einreisen.

Quelle         :        TAZ-onine         >>>>>         weiterlesen

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Oben      —       The Hemicycle of the European Parliament in Strasbourg during a plenary session in 2014.

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DIE * WOCHE

Erstellt von DL-Redaktion am 17. April 2023

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

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Kolumne von Friedrich Küppersbusch

Springer, Cannabis und Atomausstieg. – Die Woche endet mit unechten Entschuldigungen – von Springer-Chef Mathias Döpfner und dem Dalai Lama. Und die Ampel weicht ihre Cannabispläne auf.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Macron, von der Leyen, Baerbock, Lula besuchen circa vier verschiedene Chinas.

Und was wird diese Woche besser?

Irgendwas in der Ukraine, hoffentlich, trotzdem.

Am Wochenende wurden die letzten drei deutschen Kernkraftwerke abgeschaltet, Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder hält das für eine „absolute Fehlentscheidung“. Die polnische Regierung auch, denn die plant derzeit den Einstieg in die Atomenergie. Wird Deutschland diesen Schritt bereuen?

Söder fordert Länderhoheit für den Weiterbetrieb seiner AKWs und betont in seinem Koalitionsvertrag, dass Bayern „kein geeigneter Standort für Endlager“ sei. Der bayerische Löwe frisst gern daheim und kackt dann anderen Leuten auf die Fußmatte. Physikalisch bändigen weder Länder noch Nationen die Risiken; in Tschechien, bald Polen, sehr Frankreich ist Deutschland umstellt. Der deutsche Ausstieg ist Geste, aber immerhin gleich zwei davon: Industrialisierte Nationen können ohne, und demokratische langsam aber doch. Das sind Signale für die Klimapolitik.

Das FBI hat einen jungen US-Soldaten festgenommen, der verdächtigt wird, geheime Dokumente der US-Regierung zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine geleakt zu haben. Ist er der neue Edward Snowden?

Der junge Mann scheint der Zufallstreffer zu sein, den es erwischt, wenn man mit brisanten Daten fahrlässig umgeht. Dafür sind dann alle verantwortlich, die ihn zur Indiskretion befähigten – am wenigsten er.

Die Erkenntnisse über die Gedankenwelt von Springer-Chef Mathias Döpfner haben einen großen Medienwirbel ausgelöst. Haben Sie Ihren SMS-Verkehr mit Kol­le­g*in­nen vorsichtshalber schon mal gelöscht?

Mittwoch erscheint der Roman „Noch wach?“ von Benjamin von Stuckrad-Barre. Keiner weiß, was drinsteht, weswegen Springer vor Wochen schon mal die komplette Bild-Chefredaktion gefeuert hat. Und nun juristische Schritte gegen Vorvorgänger Julian Reichelt ankündigt. Der hatte sich Ende 21 bereits in der Zeit eine Menge kritischer Fragen erspart; Interviewerin und Interviewter hatten zuvor gemeinsame Stationen bei Bild. Die gleiche alte Bekannte liefert nun die Döpfner-Zitate aus dem exklusiven Inner Circle von Bild. Das kann man so lesen: Springer arbeitet an einer Alleintätererzählung über Reichelt; Reichelt hingegen kann einige mit ins Verderben reißen. Wobei der rhetorische Hooligan Reichelt inzwischen weniger zu verlieren hat als der verunglückte Popstar Döpfner. Durchstechereien von privaten Nachrichten bleiben unanständig, bei Ex-Bundespräsident Christian Wulff fanden viele Medien das allerdings okay: „Überragendes öffentliches Interesse“. Das besteht an meinen SMS nicht.

Ein Video zeigt, wie der Dalai Lama einen Jungen auffordert, an seiner Zunge zu lutschen. Nun hat er sich entschuldigt – die Aktion dabei aber mit keinem Wort erwähnt. Sind Non-apologies das neue „Never complain, never explain“?

Quelle     :           TAZ-online      >>>>>         weiterlesen

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Nichts als Märchen

Erstellt von DL-Redaktion am 16. April 2023

Im Koalitionsvertrag kommen sie zwar endlich vor.

Haben die Politiker-innen nicht immer die schönsten Märchen für sich selber geschrieben. Selbst dann wenn sie diese später nicht einmal lesen konnten ?

Von  ;   Verena Niethammer

Doch pflegende Eltern, etwa von Kindern mit Behinderung, sind von der Politik schändlich vernachlässigt. Fakt ist, dass pflegende Familien genauso wie Menschen mit Behinderung stark von Armut bedroht sind.

Es gibt fünf Millionen Menschen mit Pflegebedarf in Deutschland. Blickt man in offizielle Pflegebroschüren, könnte man meinen, dass es sich dabei ausschließlich um ältere Menschen handelt. Doch circa 3 Prozent von ihnen sind minderjährig. Diese Kinder und Jugendlichen werden überwiegend zu Hause gepflegt. Sie leben mit ihren Familien in besonders belasteten, oftmals prekären Verhältnissen. Das ist längst bekannt und durch Studien wie die des Kindernetzwerks aus dem Jahr 2014 belegt. Dennoch werden pflegende Eltern seit Jahrzehnten übergangen. Weder die Familien- noch die Pflegepolitik hat sie auf dem Schirm.

Ein Aha-Moment war die Veröffentlichung des Koalitionsvertrags im November 2021. Im Abschnitt zur häuslichen Pflege wurden tatsächlich Familien von Kindern mit Behinderungen erwähnt. Ein absolutes Novum. Das weckte Hoffnung auf Veränderungen.

In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr pflegende Familien vernetzt, auch über ­Social Media. Es gab mehrere erfolgreiche Peti­tio­nen, etwa „Stoppt die Blockade der Krankenkassen“, die sich gegen mutwillige Hürden in der Hilfsmittelversorgung stellt. Hier geht es um Essenzielles wie Rollstühle, Laufhilfen oder Geräte zur Kommunikation. Obwohl diese Hilfsmittel von Fach­ärzt:in­nen verordnet werden, lehnen viele Krankenkassen sie zunächst einmal ab. Dann folgt meist ein langwieriges Widerspruchsverfahren. Das initiierende Eltern- und Ärztepaar Lechleutner sammelte über 55.000 Unterschriften. Ein halbes Jahr später fand sich die Formulierung, dass die Hilfsmittelversorgung ab sofort unbürokratischer gestaltet und digitalisiert werden soll, als ein gesetztes Ziel der Ampel.

Aber das waren offensichtlich leere Versprechungen. Spürbare Konsequenzen gab es bisher keine. Auch das persönliche Budget – eine Geldleistung für Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung, mit der diese As­sis­tent:in­nen und Fachkräfte selbst bezahlen können – sollte fortan leichter gewährt werden. Doch die Antragstellung ist auch heute noch ein unglaublicher Hürdenlauf. Inklusion funktioniert in Deutschland auch 2023 nur mit guter Rechtsschutzversicherung oder dickem Geldbeutel.

Wichtig für pflegende Familien wäre Entlastung in der häuslichen Pflege. Denn diese Care-Arbeit ist ein zehrender Knochenjob nicht nur in stationären Einrichtungen, sondern vor allem zu Hause, wo 99 Prozent der minderjährigen Pflegebedürftigen versorgt werden. Viele Mütter und Väter pflegen und betreuen ihre Kinder rund um die Uhr, die meisten ohne pflegerische Unterstützung. Der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn hatte mit seiner Pflegereform 2021 das Thema angekratzt. Dabei bediente er sich zwar des Begriffs Entlastungsbudget – doch der Inhalt fehlte. Das Konzept war nichts als ein verdecktes Streichkonzert. Der Gesamtbetrag des neuen Budgets war letztlich geringer als die darunter subsumierten Einzelbeträge. Die Verhinderungspflege – also eine kurzzeitige Vertretung der pflegenden ­Person –, die das meistgenutzte Hilfsangebot für pflegende Familien darstellt, sollte reduziert werden. Zugleich sollte die Summe für stationäre Kurzzeitpflege erhöht werden. Deren Nutzung wurde zudem zur Bedingung für die Verhinderungspflege-Leistung. Allerdings bedeutet Kurzzeitpflege die Kürzung des Pflegegelds. Das ist eine verdeckte Refinanzierung auf Kosten der pflegenden Angehörigen. Zudem gibt es viel zu wenig Angebote zur schnell wachsenden Nachfrage. Im U18-Bereich besteht seit Jahren vielerorts extremer Mangel. Wer also keinen Kurzzeitpflegeplatz findet, könnte dann nicht einmal die volle Verhinderungspflege nutzen. Eine Mogelpackung, die einen lauten Aufschrei und eine weitere Unterschriftenaktion zur Folge hatte. Spahn vertagte das Ganze dann einfach – auf unbestimmte Zeit. Die Coronapandemie diente als willkommene Ausrede. Doch die Ampelregierung verspricht nun, mehr Entlastungsstrukturen zu schaffen und einen Ausbau der Kurzzeitpflegeeinrichtungen zu forcieren. Für viele pflegende Familien sind sie eine unverzichtbare Unterstützung, die oft für eigene Gesundheitsfürsorge, etwa lange aufgeschobene OPs, benötigt wird. Doch tatsächlich passiert das Gegenteil: ein Ab- statt eines Ausbaus. Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens macht auch vor der Pflege keinen Halt. Zahlreiche Einrichtungen werden geschlossen und Projekte, etwa eine Kurzeitpflege für Minderjährige in Esslingen, abgesagt, da zu teuer. Weitere Angebote schließen wegen neuer Auflagen den Kinderbereich. Pflegende Eltern fühlen sich veräppelt.

Während seit Herbst 2022 Fachkräfte der ambulanten Pflege endlich auch Tariflohn erhalten, wurde das Pflegegeld seit 2017 nicht mehr erhöht. Fakt ist, dass pflegende Familien genauso wie Menschen mit Behinderung stark von Armut bedroht sind – und das nicht erst im Alter, was der Paritätische Teilhabebericht von 2021 belegt.

Was dazu im Koalitionsvertrag steht: Es werde ab 2022 eine Dynamisierung des Pflegegelds erfolgen. Erneut eine hohle Phrase, denn aus der neusten Pflegereform Karl Lauterbachs vom April 2023 ist dieser Passus ebenfalls verschwunden. Die Erhöhung wurde vertagt auf 2024, um magere 5 Prozent soll das Pflegegeld dann angehoben werden. Zahlreiche der überwiegend weiblichen Pflegenden leisten inzwischen auch „Sandwichpflege“, da sie neben ihren Kindern ältere Verwandte versorgen.

Ein kleiner Etappensieg ist, dass das Intensivpflege und Rehabilitationsgesetz (IPReG), das von Spahn ins Leben gerufen wurde, inzwischen nachgebessert wurde. Betroffene und Angehörige hatten sich zusammengetan mit der Konsequenz, dass die überarbeitete Version nun weniger able­istisch ist. Dennoch bleibt das IPReG ein Bürokratiemonster, das allen das Leben unnötig schwer macht. Auch den Ärzt:in­nen und unterbesetzten Stationen wird noch mehr aufgebürdet. Allein zur Ausstellung der neuen Verordnungen der AKI – der ambulanten außerklinischen Intensivpflege – müssen spezialisierte Fach­ärzt:in­nen gefunden werden, die dazu bevollmächtigt sind. Je­de:r Außenstehende müsste sich ausmalen können, was es bedeutet, wenn man neben der Pflege einer derart versorgungsintensiven Person noch wochenlang in Warteschleifen hängt. Wird ambulante Intensivpflege genehmigt, sind die beauftragten Pflegedienste meist unterbesetzt. Sie begleiten das Kind oft nur eine Schicht, auch wenn 24-Stunden-Pflege verordnet ist. Die Familien sind oft auf sich gestellt, lernen nahezu alle medizinischen Handgriffe. Sie überwachen und intervenieren übermüdet, pflegen weit über ihre Reserven hinaus. Eine Tages- und Nachtpflege würde helfen, doch die gibt es nur im Erwachsenenbereich. Von den raren U18-Einrichtungen nehmen die wenigsten Kinder mit Pflegegrad 4 oder 5 auf. Bekommen diese doch einen Platz im Kinderhospiz oder zur Kurzzeit, wird unmittelbar das Pflegegeld gekürzt. Eine unfassbare Frechheit, in keinem anderen Beruf gibt es unbezahlten Urlaub, der sogar noch finanzielle Nachteile mit sich bringt. Die Familien müssen es sich leisten können, Entlastung anzunehmen. Das ist unwürdig und steht in keiner Relation zu dem, was pflegende Eltern tagtäglich leisten – oft lebenslang.

Was pflegende Eltern daher dringend benötigen, ist finanzielle und soziale Absicherung. Das ginge entweder durch eine Entlohnung im Sinne eines Care-Gehalts oder durch eine Anstellung als Assistent des Kindes. Denn genau diese Tätigkeiten, die sonst im Rahmen des persönlichen Budgets der erkrankten Person vergütet werden, leisten Eltern gratis, es gibt höchstens Rentenpunkte. Die Pflegekassen sparen so jeden Monat bares Geld auf Kosten der Eltern.

Quelle     :            TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Oben     —       Vectorized silhouettes of Hansel and Gretel.

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Technik bei Sea-Watch:

Erstellt von DL-Redaktion am 16. April 2023

Mit Kameras gegen staatliche Repression

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von       :       

Sea-Watch rettet Schiffbrüchige auf dem Mittelmeer. Ihr neuestes Schiff, die Sea-Watch 5, soll noch in diesem Jahr erstmals dorthin auslaufen. Dafür braucht es viel Technik. Wir haben die Verantwortlichen an Bord des Schiffes interviewt.

Die Sea-Watch 5 der gleichnamigen Organisation liegt im Flensburger Hafen. Das über vier Millionen Euro teure Schiff wurde im November 2022 in Hamburg getauft. Derzeit wird es noch von einem ehemaligen Versorgungs- zu einem Rettungsschiff umgebaut. Im Laufe des Jahres soll es erstmals Richtung Mittelmeer auslaufen.

Seit dem Jahr 2015 bergen die Mitarbeiter:innen und Freiwilligen von Sea-Watch Menschen, die auf dem Mittelmeer Seenot erleiden. An Bord nennen sie diese Menschen “Gäste”. Das Mittelmeer ist tödlich: Mehr als 26.000 Menschen sind dort seit dem Jahr 2014 gestorben.

Wir haben Jonas und Phillip, die für Sea-Watch arbeiten, Anfang März in Flensburg besucht. Auf dem Schiff sind die beiden für den Aufbau der IT-Infrastruktur zuständig. Im Gespräch erzählen sie von den widrigen Bedingungen auf See und welche Technik es braucht, um Menschen zu retten und sich selbst vor staatlicher Repression zu schützen.

500 Meter Netzwerkkabel

netzpolitik.org: Jonas und Phillip, was sind Eure Aufgaben auf der Sea-Watch 5?

Jonas: Wir sind dafür zuständig, dass das Schiff mit der Außenwelt kommunizieren kann. Und wir unterstützen die Crew darin, dass sie ihre Arbeit erledigen kann. Neben uns gibt es noch acht weitere Angestellten und Freiwillige an Bord. Bei uns passiert vieles im Ehrenamt.

netzpolitik.org: Welche Computer und Geräte braucht es, damit ein Schiff  Schiff funktioniert?

Jonas: Fast jedes Crewmitglied hat ein eigenes Arbeitsgerät. Das sind meist Laptops. Weil wir unter deutscher Flagge auf dem Mittelmeer unterwegs sind, müssen wir viele Anforderungen der Bürokratie erfüllen – wie etwa die Arbeitszeiterfassung. An zentralen Orten an Bord haben wir noch fest installierte Arbeitsplätze. Das hat den Vorteil, dass wir Rechner sicher befestigen können. Laptops haben die Angewohnheit, bei Seegang öfters mal herunterzufallen.

Neben den Computern gibt es noch weitere Infrastruktur: Wir haben auf dem Schiff etwa 500 Meter Netzwerkkabel verlegt, hauptsächlich für die WLAN-Versorgung und für Kameras. Außerdem sorgen wir dafür, dass manche Daten der Schiffsensorik an das Computernetz weitergeleitet werden, wo sie weiterverwendet werden. Zum Beispiel Daten über unsere Position und unseren Kurs.

Dokumentieren, was passiert

netzpolitik.org: Wofür braucht ihr Kameras an Bord?

Jonas: Wir dokumentieren damit zum Beispiel, was an Bord und rund um das Schiff passiert. Zu diesem Zweck nehmen Kameras rund um das Schiff alles auf. Die Aufnahmen werden dann für bestimmte Zeit gespeichert. Diese Technik anzuschaffen, einzubauen und zu prüfen ist unsere Aufgabe.

Phillip: Die Aufnahmen benötigen wir etwa dann, wenn wir Repression erfahren. Wir stoßen bei unserer Arbeit immer wieder auf die sogenannte libysche Küstenwache. Mit den Kameras können wir nicht verhindern, dass sie uns bedroht. Aber wir können immerhin dokumentieren, wenn sie uns versuchen abzudrängen. Und auch vor der Repression durch europäische Behörden können wir uns so schützen, die meist ein viel größeres Problem darstellt als die libysche Küstenwache. Immer wieder versuchen die Behörden, unsere Arbeit zu kriminalisieren. Dabei machen wir nichts Illegales! Das können wir im Zweifel auch beweisen. Illegal und unerträglich ist vielmehr die Lage an den europäischen Außengrenzen.

Jonas: Auf die Aufnahmen kann nicht jede:r ohne Weiteres zugreifen. Dazu braucht es zunächst das Einverständnis bestimmter Personen. Und natürlich muss man dann sein Interesse begründen. Das ist extrem wichtig, um die Privatsphäre aller Menschen auf dem Schiff zu schützen.

netzpolitik.org: Welche weitere Technik nutzt ihr an Bord der Sea-Watch 5?

Jonas: Wir setzen viel auf Open-Source-Lösungen. Das erleichtert in der Regel auch die Wartung, weil man mehr über die Konsole reparieren kann. Wir betreiben mehrere APU-Boards auf dem Schiff, die mit OpenWRT die Router bilden. APU-Boards sind günstige Kleincomputer und OpenWRT ist ein beliebtes offenes Betriebssystem für Router.

Es gibt verschiedene virtuelle Netzwerken, auf diese Weise trennen wir unterschiedliche Bereiche an Bord voneinander. Das brauchen wir, damit zum Beispiel aus dem Netz, das wir für privaten Datenverkehr nutzen, nicht auf andere Bereiche des Netzwerks zugegriffen werden kann. Und ein VPN soll unter anderem helfen, dass wir nicht überwacht werden und Verbindungen verschlüsselt sind.

Auf dem Deck hat die Sea-Watch-Crew ein Plateau eingebaut, sodass Wasser, das während der Fahrt auf Deck schwappt, einfach abfließen kann. Ein Zelt als Dach für weiteren Schutz der Gäste soll folgen. – CC-BY 4.0 Lennart Mühlenmeier

Schlechtes Netz bei schlechtem Wetter

netzpolitik.org: Schiffe, die auf dem Mittelmeer unterwegs sind, sind auf Satellitenkommunikation angewiesen. Wie gut ist die Verbindung?

Jonas: Wir nutzen für den Uplink Satellitenkommunikation. Der Ping reicht von 800 bis 2000 Millisekunden, das variiert mitunter ganz schön. Da spielt auch das Wetter eine Rolle. Bei Regen oder Gewitter hat man sehr schlechte Netzanbindung – meist nur rund 1 MBit/s.

Phillip: Diese Infrastruktur ist so gut wie immer problematisch: Von den gleichen Knoten könnten beispielsweise Drohnen im Nahen Osten gesteuert werden, und die notwendigen Verträge mit den Providern sind sehr teuer. Sea-Watch überlegt daher, das Produkt für Satellitenkommunikation einer Firma zu kaufen, die einem ziemlich unsympathischen Multimilliardär gehört. Bedauerlicherweise ist dieses Produkt mit Abstand das günstigste auf dem Markt und technisch vergleichsweise fortschrittlich.

Diese Entscheidung ist aber noch nicht endgültig gefallen. Fest steht nur: Wir müssen verantwortungsbewusst mit unseren Geldern umgehen und eine ständige Kommunikation mit dem Schiff gewährleisten.

netzpolitik.org: Gibt es weitere Bereiche, in denen ihr Produkte nutzen müsst, zu denen es ambivalente Meinungen gibt?

Jonas: Wie in der Industrie üblich, sind wir auch auf properitäre Software angewiesen. Diese läuft meist leider nur unter Windows-Versionen. Ein Beispiel ist die Verwaltungssoftware, die jedes Schiff benötigt. Damit werden unter anderem die Laufzeiten von Generatoren und vieles mehr verfolgt. Die Software stellt beispielsweise sicher, dass alle Wartungszyklen eingehalten werden. Das klingt zunächst nicht allzu komplex. Allerdings verknüpfen gute Programme die Lagerbestände an Bord mit den Ersatzteilen, die für die regelmäßige Wartung benötigt werden. Sie können dann Bescheid geben, wenn Lagerbestände knapp werden.

netzpolitik.org: Welche weiteren Hindernisse werden euch aktuell in den Weg gelegt?

Phillip: Vor wenigen Wochen ist ein neues Dekret der italienischen Regierung in Kraft getreten. Seitdem müssen Organisationen wie Sea-Watch, die sich der Seenotrettung verschrieben haben, nach jeder einzelnen Aufnahme von Gästen mit ihren Schiffen wieder einen Hafen anlaufen, den die italienischen Behörden benennen. Nach diesem Dekret wären wir verpflichtet, alle weiteren Seenotfälle, selbst wenn sie in direkter Nähe wären, links liegen zu lassen, bis wir einmal nach Italien und zurück gefahren sind. Stattdessen müssen wir erst die tagelange Prozedur eines Transits unserer Gäste aus der Search-and-Rescue-Zone nach Italien auf uns nehmen.

Die Behörden verfolgen dabei bereits seit längerer Zeit den Ansatz, den sicheren Hafen, den wir ansteuern müssen, möglichst fernab unserer üblichen Schiffsrouten zu wählen. Der liegt dann oft weit im Norden Italiens. Das ist alles Irrsinn.

Kein Kreuzfahrtschiff

netzpolitik.org: Und wenn ihr dann im Hafen angekommen seid?

Jonas: Dann kann das enden wie mit der Sea-Watch 3 und ihrer Kapitätin Carola Rackete. Carola ist aus guten Gründen in den Hafen der Insel Lampedusa eingefahren – obwohl die italienischen Behörden ihr das untersagt hatten. Wir mussten den Notstand ausrufen, weil uns italienische Behörden solange einen Hafen verweigert haben, bis die Zustände an Bord untragbar waren.

netzpolitik.org: Was könnt ihr den Gästen auf euren Schiffen anbieten?

Jonas: Wir können Leute an Bord nehmen und die Erstversorgung übernehmen. Das ist keine Lösung für einen längeren Zeitraum. Die Leute haben meist schlimmste Erfahrungen hinter sich. Sie sind körperlich und geistig ausgelaugt. Unsere Schiffe bieten keinen Komfort und sind daher auch kein Ort, wo sie wieder zu Kräften kommen.

Die Sea-Watch 5 bietet daher vor allem Schutz vor Wasser und Kälte, und wir können Essen und Trinken anbieten. Mitunter gibt es auch Zugang zu Duschen. Aber das ist nur eingeschränkt möglich, weil wir nur begrenzt Wasser aufbereiten und mitführen können. Wir tun, was wir können, um den Menschen ein paar Stunden Sicherheit zu bieten. Aber die Sea-Watch 5 ist kein Kreuzfahrtschiff.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

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Grafikquelle :

Oben     —      Sea-Watch 5 2022 in Hamburg

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Die Sorge um mich …

Erstellt von DL-Redaktion am 16. April 2023

Mein Ende und das Ende der Welt: das radikalisierte Individuum

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Quelle     :      Streifzüge ORG. / Wien 

Von Reimer Gronemeyer

Ich muss den Tatsachen ins Gesicht schauen. Ich bin 83 Jahre alt und das Ende ist absehbar. Wahrscheinlich trösten sich alle alten Menschen mit dem Gedanken, dass es ja noch ältere gibt. Ich habe mich viel mit den Themen Altern, Pflege, Demenz befasst.

Und mit einem Mal ist es nicht mehr das Thema der anderen, sondern es könnte über Nacht mein eigenes werden. TikTok, so lese ich gerade, wurde bereits zwei Milliarden Mal heruntergeladen. Eine ganze Sparte widmet sich bei TikTok dem Thema „Pflege“. Da ist die Pflegerin, die ein Video einstellt, in dem sie imitiert, wie sie mit einem Trichter BewohnerInnen das Getränk gewaltsam einflößt. „Manche Pflegende schmieren sich Nutella ins Gesicht und imitieren Stuhlschmieren, weil ‚Demente halt so sind‘. Wieder andere sind mit Inkontinenzmaterial auf dem Kopf zu sehen … “ (https://mypflegephilosophie.com)

Ist das mein Morgen? Verschont mich die Pflegebedürftigkeit? Oder lande ich an einem menschenfreundlichen Pflegeort? Ich habe gerade gelesen, dass 40 Prozent aller Pflegekräfte mit dem Gedanken befasst sind, den Job zu wechseln. Ein Freund, der im Pflegeheim arbeitet, sagt: Im Grunde kann er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Orte dazu da sind, menschlichen Müll zu sammeln. Wenn ich das höre, denke ich, dass es wichtig ist, dass ich mich vorbereite und in Demut, Geduld und Bescheidenheit übe. Das gelingt mir aber nicht. Vielleicht – flüstere ich mir zu – geht es ja auch gut und ich gerate in ein von Wärme und liebevoller Zuwendung erfülltes Hospiz? Ich habe also eigentlich genug mit der Sorge um mich zu tun. Und da soll ich mir auch noch Gedanken über die drohende Klimakatastrophe machen? Über das Anthropozän! Über jenes Zeitalter, in dem ich gelebt habe, soll ich nachdenken, ein Zeitalter, dem gerade die Maske vom Gesicht gerissen wird: Nun sehe ich eine Zeit, meine Lebenszeit, die einen entfesselt-gierigen homo sapiens hervorgebracht hat. Ich sehe einen homo sapiens, der im Begriff ist, den Planeten so zuzurichten, dass menschliches Leben und Leben überhaupt gänzlich verschwinden könnte. Und wie hängen meine absehbare Auslöschung und die vielleicht drohende Gesamtauslöschung zusammen? Drängt sich da der skandalös-tröstliche Gedanke auf: Mit mir geht’s bald nicht weiter, mit den anderen aber bald auch nicht mehr. Herostrat steckte den Tempel der Artemis in Ephesos, der als eines der sieben Weltwunder galt, absichtlich in Brand, um dadurch seinen Namen unsterblich zu machen. Er verquickte individuelles und kollektives Schicksal. Das Anthropozän eröffnet herostratische Möglichkeiten: Verschmelzen gerade mein Ende und das Ende der Welt? Verschwimmen die Grenzen zwischen zwei Apokalypsen? Und ist das nun Größenwahn oder Realismus, ist das Phantasterei oder Analyse?

Der Philosoph Peter Sloterdijk hat davon gesprochen, dass die moderne Welt über die genealogische Ordnung der Dinge hinausgeschritten ist. Die genealogische Ordnung bestand in der Abfolge von Großeltern, Eltern, Kindern … Individuen verstehen sich heute nicht mehr als Mittlere zwischen Vorfahren und Nachkommen, sondern eben als Individuen: Leben wird dann begriffen als Endverbrauch von Lebenschancen und in diesem Sinne sind Senioren heute – so Sloterdijk – die Prototypen des „letzten Menschen“ (Nietzsche sprach vom „letzten Menschen“). Auch wenn weitere Menschen in späteren Zeiten folgen: Mein Ende ist für das radikale Individuum das Ende der Welt. „Die Industriegesellschaft, der Sozialstaat, die Medienzivilisation – sie sind allesamt Stadien in der Entfaltung einer Verendungsgeschichte, in der jedes menschliche Leben anfängt, mit seiner Bestimmung als Ende in sich selbst Ernst zu machen.“ Sloterdijk bestätigt mir also gerade: Das eigene Ende ist auch das Ende der Welt. Kein Vorher und kein Hinterher. Nichts weist über mich hinaus. Die individualistische Revolution hat uns dahin gebracht, dass „am Ende sein“ heute bedeutet, zum Selbstendverbraucher zu werden. Wenn Sloterdijk recht hat, bin ich als Alter viel eher ein „Epochen-Wahrzeichen“ als die „milchschnittenverzehrende, mit Computern spielende Jugend“. Soll ich mich mit Sloterdijk so sehen? Als ein Epochen-Wahrzeichen? Mir kommt das vor, als würde ich zu einer Mixtur aus Größenwahn und Verzweiflung: Ich bin dann das Ende der Welt – zappelnd in einem Meer von NICHTS. Dieses radikale Individuum ist in der Welt nicht beheimatet, deswegen ist es ihm auch egal, was aus der Welt wird. Ich spüre den Größenwahn in mir und ich spüre zugleich, wie die Verzweiflung anklopft. Aber hat er wirklich recht? Ist das das Geheimnis des Anthropozäns, dass sich in ihm nicht nur der gierige homo sapiens durchsetzt, sondern dass in ihm auch ein vergreistes Individuum triumphiert, das sich als Verkörperung des Endes begreift, dem im Grunde nichts mehr folgen kann als der allgemeine Untergang?

Die Welt als Geliebte? Zum Beispiel Hospizarbeit

Der Sommer 2022 wird wohl als der Wendesommer in Erinnerung bleiben. Glühende Hitze in Südeuropa, Waldbrände in Griechenland und der Türkei und auch weit entfernt – in Sibirien und Kalifornien. Bei uns in Deutschland eine Flutkatastrophe im Südwesten: im Ahrtal viele Tote, zerstörte Häuser, Brücken und Straßen, vernichtete Existenzen. Wer ist nicht von dem Gefühl ergriffen worden, dass die gemütlich-sichere Wohlstandsgesellschaft, in der wir gelebt haben, am Ende ist?

Vor einigen Jahren ließ sich Joanna Macys Prognose noch abtun: Wir werden, so sagte sie, ein weltweites hospizliches Handeln brauchen, weil die Zahl der elendiglich sterbenden Klimaflüchtlinge, die Zahl der Hungernden aus Dürregebieten und überfluteten Regionen alles übertreffen wird, was wir uns vorstellen können. Dieses globale Hospiz schließt aus ihrer Perspektive nicht nur die bedingungslose Betreuung von Menschen ein, sondern ausdrücklich alle anderen Lebewesen. Joanna Macy ist eine 92-jährige Kalifornierin, die sagt, was wir gerade erfahren: dass wir die letzten Jahre eines Wirtschaftswunder-Systems erleben, das enorme zerstörerische Auswirkungen auf den Planeten hat. Der Übergang von einer industriellen Wachstumsgesellschaft zu einer lebensfreundlichen, sorgenden Gesellschaft – wie kann der gelingen? Macy fragt: Ist die Welt ein Schlachtfeld? Ist sie eine Falle? Oder könnte sie eine Geliebte sein? „Ich sehe die Welt als Geliebte und als Teil meiner selbst. (…) Wer die Welt so sieht, macht sie wieder heilig. (…) Wenn künftige Generationen auf den Beginn des 21. Jahrhunderts zurückblicken, werden sie wahrscheinlich von der ‚Zeit des großen Wandels‘ sprechen.“ (https://tiefenoekologie.de/12-politk-des-herzens/9-joanna-macy-die-welt-als-geliebte) Die uralte Joanna Macy widerspricht Sloterdijks These vom apokalyptisch gestimmten „letzten Menschen“. Das radikalisierte Individuum kann die Welt nicht als Geliebte sehen, sondern nur als Ressource zur Befriedigung seiner Bedürfnisse. Mir scheint, dass im Hospiz der Unterschied zwischen dem Menschen, der die Welt liebt, und dem radikalen Individuum, das die Welt als Ressource betrachtet, aufbrechen kann. Und deshalb ist die weitere Entwicklung der Hospizarbeit so wichtig.

Die Hospizbewegung steht heute vor der Frage, ob sie Teil dieses Wandels, von dem Macy spricht, sein will oder eine gut finanzierte Abteilung des Gesundheitsapparates, der schon jetzt vor unseren Augen von seinen Krisen zerfressen wird. Ein neuer hospizlicher Aufbruch ist angesagt. Soll es weiter in die Richtung eines hochprofessionellen, teuren und standardisierten Dienstleistungsprodukts gehen oder kann sich eine Lücke auftun, durch die das Licht einer neuen Hospizbewegung einfällt, die sich auf ihre einfachen, zivilgesellschaftlichen, wärmenden Wurzeln besinnt? Brauchen wir wirklich Sterbeorte „de luxe“? Brauchen wir palastartige Hospize, in der wir als Sterbende mit unserer welken Haut, mit unserer Hinfälligkeit ständig dem ausgeliefert sind, was Günther Anders die „prometheische Scham“ des Menschen genannt hat? Er hat damit den Menschen gemeint, der im Angesicht perfekter Technik sich selbst als unvollkommen und vergänglich wahrzunehmen gezwungen ist.

Wenn wir diesen Wandel nicht baldigst vollziehen, wenn der Abschied von der destruktiven Industriegesellschaft nicht gelingt, kommen finstere Zeiten auf uns zu, das kann heute jeder wissen: für die Alten, für die Schwachen, für die Hilfsbedürftigen, für die Sterbenden. Jetzt, mit und nach Corona, müssen wir über die Alternativen nachdenken und auf diese Alternativen hoffen. Jetzt kann es heißen: die Schwachen zuerst. Sie weisen uns die Richtung. Sie sind das Fieberthermometer, sie sind vielleicht Kassandra und Rettung zugleich. Der Lockdown stellt uns ruhig. Der Lockdown lähmt uns. Der Lockdown ist die Stunde der musischen Schwäche. Nicht die Stunde der Eroberer, sondern die Stunde der Gelassenen, die Stunde des Unterlassens, die Stunde der Stille und der Wehrlosigkeit.

Der amerikanische Klimaforscher James Lawrence Powell hat mögliche Zukunftsszenarien entworfen. Er hält es für denkbar, dass bis zum Jahr 2084 der assistierte Suizid in den USA zum Massenphänomen geworden ist, weil zahllose alte Menschen die unerträglich heißen Sommer in ihren glühenden Städten nur noch als qualvoll erfahren und dieses Leben beenden möchten. Der Sommer 2021 hat in Kanada und in Südosteuropa Temperaturen nahe 50 Grad Celsius hervorgebracht. Vielleicht dauert diese dramatische Entwicklung gar nicht bis 2084 (und diese Jahreszahl ist natürlich eine Reminiszenz an Orwells Zukunftsroman „1984“), sondern setzt uns viel früher unter Druck?

Im August 2021 wird der Bericht des Weltklimarates veröffentlicht. Er sagt, dass der Planet auf der Kippe steht. Immer schneller steigt der Meeresspiegel, das Eis an den Polen schmilzt. Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen und Hitze werden häufiger. Wir müssen uns wohl von der Illusion verabschieden, dass die Klimakatastrophe eine technische Herausforderung ist, die wir bewältigen können. Tatsächlich sind Kipp-Punkte überschritten. In den politischen Programmen unserer Parteien aber ist nicht die Rede davon, dass es jetzt und in Zukunft auch um ein „Weniger“ gehen muss. Wer wird es wagen, sich mit der Forderung nach weniger unbeliebt zu machen? Und gilt diese Forderung auch für die Hospizarbeit – oder ist sie davon ausgenommen? Tatsächlich ist es ja so, dass wir in den reichen Ländern die Folgen des Wandels noch einige Jahre abmildern können. Dämme und Deiche bauen. Sirenen wieder einführen. Frühwarnsysteme einrichten. Wir können die Illusion des ewigen Wachstums noch einige Weltsekunden aufrechterhalten. Empört ist jeder, der die Grenzen des Wachstums spüren soll. Auch die Hospizbewegung? Auf Madagaskar und in Malawi hungern die Menschen schon, weil der Regen ausbleibt oder Fluten die Äcker verwüsten. Da werfen die Industrienationen dann Hilfsgüter ab, und es sieht einen Augenblick so aus, als wenn die Katastrophe im Griff ist.

Bedeutet das alles etwas für die Hospizarbeit? Natürlich, aber darüber – so scheint es – wird bisher nicht geredet. Das Wachstum des hospizlichen Handelns hat bei uns in den Achtzigerjahren begonnen und die Hospizbewegung ist anfänglich eine Antwort auf die Sterbekrise der Wohlstandsgesellschaft gewesen. Immer häufiger übernahmen Familien aus vielen (guten und schlechten) Gründen die Sorge für Sterbende nicht mehr. Daraus ist dann eine starke zivilgesellschaftliche Hospizbewegung erwachsen.

Heute – wo die Klimakatastrophe ihre Schatten auf uns zu werfen beginnt – wird unübersehbar, dass die Hospizbewegung ein bürgerliches Milieu repräsentiert, das nolens volens an den Normen des Wachstums, der flächendeckenden Ausbreitung und des unbeschränkten Angebots orientiert ist. Die Hospizbewegung entsteht im Kontext eines Aufbruchs, der seine Verbindung mit der Wohlstandsgesellschaft und ihrer Wachstumsfixierung nicht leugnen kann. Genau das wird jetzt im beklemmenden und im befreienden Sinne zur Herausforderung für die Hospizbewegung: Die Krise der Wachstumsgesellschaft wird zur Krise der Hospizbewegung. Sie muss die Kategorien des „Mehr“, aus denen sie jetzt oft unbedenklich lebt, überdenken. Wir brauchen – wie Joanna Macy sagt – mehr Hospizlichkeit in unserer Gesellschaft. Wer aber das Geld, das heute ein Hospizbett bei uns kostet, und die Tagessätze in den stationären Hospizen mit denen in der Altenpflege vergleicht, muss sich fragen, ob da der richtige Weg eingeschlagen ist. Warum ist die ehrenamtliche Hospizarbeit immer mehr in den Hintergrund gerückt? Warum ist die im Wesentlichen geldfreie Zone, mit der Hospizarbeit begann, völlig in Vergessenheit geraten?

Die Folgen des Klimawandels werden diejenigen zuerst treffen, die arm sind, alt, behindert, dement, pflegebedürftig. Deswegen ist ein Neuanfang wohl erforderlich, aber vielleicht nicht so, wie sich das Weltwirtschaftsforum das vorstellt. Das fordert einen tiefgreifenden ökonomischen Wandel, einen Great Reset, aber das WWF sieht die sozialen Dimensionen nicht wirklich. Seit Langem kann man wahrnehmen, dass die Pflege, dass die Sorge um Menschen mit Demenz, dass die Hospizarbeit so tut, als werde es immer so weitergehen wie bisher. Der bevorstehende radikale Bruch, der die Schwachen gefährdet, wird übersehen. Wir müssen begreifen, dass die Wachstumsidee falsch war, dass sie nicht sinnvoll ist. Was wird das für die Schwachen in der Gesellschaft bedeuten? Werden sie die ersten Opfer des Wandels, der Krise sein oder begreifen wir endlich, dass die Schwachen das Fieberthermometer einer Gesellschaft sind, das über die gesellschaftliche Humanität und ihre Solidaritätskompetenz Auskunft gibt?

Die Gefahr der Hospizbewegung ist heute, dass sie Teil eines wohlfahrtsstaatlichen Sicherheitspaketes wird, das sich als Angebot zur risikofreien Lebensabwicklung versteht. Sie ist in der Gefahr, zum Dienstleister für das oben beschriebene radikale Individuum zu werden, das für sich sorgt, aber nicht für die Welt, für die anderen. Das Welt verbraucht, aber sie nicht liebt. Das moderne Hospiz bietet Vorbereitungsplanung, professionelle medizinische Dienstleistung und einen Abschluss, der sich logischerweise schließlich und endlich gezwungen sehen wird, den assistierten Suizid ins Angebot aufzunehmen. Hospiz – das ist im Begriff, eine ehrenamtsfreie Gewinnzone zu werden. Vom zivilgesellschaftlichen Aufbruch, den die Hospizbewegung einmal darstellte, hat der Weg in die finale Sterbeabfederung geführt. Eine Dienstleistung für reiche Gesellschaften – ein „Stück des Himmels für die Wenigen“, wie es in der britischen Hospizbewegung einmal hieß. Die große Gefahr: professionelle Kälte. Was gebraucht wird, das sind eine empathisch-wärmende Begleitung und Sorge im Leben und an dessen Ende, die sich aus den Kräften solidarischer Menschen nähren, die – man möchte sagen: von Natur aus – trösten und begleiten können.

Eine Hospizbewegung wird gebraucht, die sich von den Zielen verabschiedet, die bisher hießen: mehr, teurer, zentralisierter, professioneller. Die Hospizbewegung wird gebraucht, mehr denn je. Sie steht vor der Wahl, ob sie zum Bestandteil eines krisenhaften halbstaatlichen Gesundheitsapparates werden will oder sich wieder auf ihre zivilgesellschaftlichen Wurzeln besinnt. Der „Abbau kollektiver, hoffnungsfördernder Fürsorgepraktiken“ (Nishant Shah) schreitet voran. Die Hospizbewegung könnte Avantgarde auf dem Weg zu neuen Formen des Zusammenlebens sein. Gerade sie.

Literatur:

Monja K. Schünemann https://mypflegephilosophie.com

Peter Sloterdijk: Alte Leute und letzte Menschen. Notiz zur Kritik der Generationenvernunft, in: Hans Peter Tews u. a. (Hg.): Altern und Politik, Melsungen 1996

https://tiefenoekologie.de/12-politk-des-herzens/9-joanna-macy-die-welt-als-geliebte

Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen, Erster Band, Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, 2. Auflage München 2018, (C.H. Beck), S. 21 ff.

Reimer Gronemeyer: Die Schwachen zuerst. Lektionen aus dem Lockdown, München 2021 (Claudius).

James Lawrence Powell: 2084. Eine Zeitreise durch den Klimawandel, Köln 2020, S. 209 ff.

Andreas Heller. Sabine Pleschberger, Michaela Fink, Reimer Gronemeyer: Die Geschichte der Hospizbewegung in Deutschland, Ludwigsburg, 2. Aufl. 2012 (der hospiz verlag).

Klaus Schwab/Thierry Malleret: COVID-19: Der große Umbruch, Cologny, Genf, Schweiz 2020.

Reimer Gronemeyer/Andreas Heller: Suizidassistenz? Warum wir eine solidarische Gesellschaft brauchen, Esslingen 2021 (der hospiz verlag).

Copyleft

„Jede Wiedergabe, Vervielfältigung und Verbreitung unserer Publikationen ist im Sinne der Bereicherung des allgemeinen geistigen Lebens erwünscht. Es gibt kein geistiges Eigentum. Es sei denn, als Diebstahl. Der Geist weht, wo er will. Jede Geschäftemacherei ist dabei auszuschließen. Wir danken den Toten und den Lebendigen für ihre Zuarbeit und arbeiten unsererseits nach Kräften zu.“ (aramis)

siehe auch wikipedia s.v. „copyleft“

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Nebeneinkommen im BT.

Erstellt von DL-Redaktion am 15. April 2023

Die Diät ist ihnen nicht  genug

VON FREDERIK EIKMANNS, TOBIAS SCHULZE, ALEXANDRA HILPERT UND PASCAL BEUCKER

Mitglieder des Bundestags müssen neuerdings ihr Nebeneinkommen genau angeben. Die taz hat sich durch die Zahlen gewühlt. Auf die zehn Bestverdienenden entfällt über die Hälfte des Gesamtnebeneinkommens aller Abgeordneten.

Bei fast allen Bundestagsmitgliedern ist neuerdings online einsehbar, wie viel Geld sie nebenher erwirtschaften. Wenige Top­ver­die­ne­r*in­nen stehen einer großen Mehrheit gegenüber, die nur wenig einnimmt. Von rund 37 der 736 aktuellen und 11 ausgeschiedenen Abgeordneten fehlen die Daten noch, vor allem von Union und FDP. Die taz hat die Daten, die es schon jetzt gibt, ausgewertet und bei einigen Bundestagsmitgliedern genauer nachgebohrt.

Dabei zeigt sich, dass ein Großteil der Bundestagsmitglieder neben den normalen Diäten von rund 10.000 Euro monatlich nur wenig zusätzlich einnimmt. Im Schnitt liegt der Nebenverdienst derzeit bei nur rund 15.500 Euro brutto über die gesamte laufende Legislaturperiode, das sind weniger als 1.000 Euro im Monat. Insgesamt rund 490 Abgeordnete, also über die Hälfte der Bundestagsmitglieder, listen momentan keine Nebenverdienste auf, die über 1.000 Euro im Monat oder 3.000 Euro jährlich liegen. Das ist die Schwelle, ab der sie gemeldet werden müssen. Einige wenige Bundestagsabgeordnete geben dagegen Nebenverdienste von Hunderttausenden Euro brutto über die bisherige Legislatur­periode an. Dabei haben es vor allem Hinterbänkler in die ersten zehn geschafft (siehe Tabelle auf Seite 11).

Unter ihnen sind einige Selbstständige mit eigenen Unternehmen. Von ihnen erwirtschaftete Summen sind nicht mit Gewinnen gleichzusetzen, sondern geben vielmehr den Umsatz ihrer Firmen an, von dem unter Umständen ein großer Teil für Lohnzahlungen an Angestellte, Betriebskosten und anderes abgeht – wie groß dieser Anteil ist, müssen sie nicht an­geben. Das macht diese Angaben schwer vergleichbar mit denen von anderen Topverdiener*innen, etwa denen, die als Parteifunktionäre über 100.000 Euro brutto im Jahr verdienen oder als Buch­au­to­r*in­nen Tausende Euro im Monat nebenher erwirtschaften, ohne nennenswerte Betriebskosten zu haben.

Auch zwischen den Fraktionen gibt es beim Nebenverdienst Differenzen. Im Schnitt erwirtschaften die Mitglieder der Linken im Bundestag am meisten nebenbei. Ihr durchschnittlicher Brutto-Nebenverdienst liegt bei etwa 23.000 Euro über die gesamte bisherige Legislaturperiode. Das liegt vor allem an Sahra Wagenknecht, die seit November 2021 bisher beachtliche 792.961 Euro brutto einnahm. Weil außerdem die Linksfraktion mit nur 39 Abgeordneten sehr klein ist, hebt Wagenknecht den Schnitt gewaltig. Auf Platz zwei sind die Abgeordneten der Union und der Grünen (je durchschnittlich rund 18.000 Euro Brutto-Nebenverdienst seit Anfang der Legislaturperiode), dahinter die FDP (rund 16.000 Euro). Deutlich unter dem Schnitt wirtschaften dagegen AfD-Abgeordnete (rund 12.000 Euro) und Sozialdemokraten (rund 10.000 Euro).

Die Daten

Angaben von bundestag.de, Stand 13. April 2023. Im Bundestag sitzen derzeit 736 Abgeordnete, dazu kommen weitere 11, die im Verlauf der aktuellen Legislaturperiode ausgeschieden sind. Für insgesamt 710 aktuelle und ausgeschiedene Abgeordnete liegen aktuell Daten vor. Bei allen Verdienstzahlen handelt es sich um Brutto-Angaben ab 1. November 2021, nur vollständige Monate und Jahre wurden gezählt. Während dieser Legislatur ausgeschiedene Parlamentarier*innen und deren Nach­fol­ge­r*in­nen werden zusammen als ein*e Ab­ge­ord­ne­te*r gewichtet.

File:KAS-Politischer Gegner, SPD FDP-Koalition-Bild-1153-1.jpg

Dass Abgeordnete neben ihrer Parlamentstätigkeit noch andere Jobs ausüben, ist nicht prinzipiell verwerflich. Erfahrung in bestimmten Berufsfeldern kann für die Parlamentsarbeit sogar hilfreich sein. Problematisch werden Nebentätigkeiten dann, wenn politische Entscheidungen Auswirkungen auf das Berufsfeld haben, in dem Abgeordnete arbeiten. Genau das geschah mutmaßlich während der Pandemie, wie die sogenannte Maskenaffäre zeigt, die im März 2021 die Union erschütterte. Damals gelangte an die Öffentlichkeit, dass einige Bundes- und Landespolitiker von CDU und CSU in der Pandemie Geschäfte mit Maskenherstellern eingefädelt hatten, von denen sie selber profitierten. So etwa die damaligen Unions-Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein und Nikolas Löbel, die deswegen ihre Mandate abgaben und aus CSU bzw. CDU austraten. Auch gegen Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet und den damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gab es Vorwürfe. Zwar wurde letztendlich niemand verurteilt, doch sorgten die Enthüllungen für die Einsicht, dass für das Vertrauen ins Parlament ein gewisser Grad an Transparenz nötig ist: Der Bundestag beschloss die neuen Transparenzregeln. Nach den Regeln, die bis dahin galten, mussten Abgeordnete ihre Nebenverdienste nur in Stufen angeben.

Anti-Korruptions-Aktivist*innen sehen in den neuen Transparenz­regeln einen Fortschritt. Norman Loeckel von Transparency International sagt: „Durch die Regeln werden mögliche Interessenkonflikte zwischen den eigenen wirtschaftlichen Interessen und den politischen Tätigkeiten für alle sichtbar und zugänglich.“ Um deren Legitimität beurteilen zu können, brauche es aber eigentlich auch Informationen über die Arbeitszeit, die durch Nebentätigkeiten anfällt. Die müssen Abgeordnete bisher nicht angeben. ­Loeckel sagt weiter: „Wichtig ist es, insbesondere bei den Abgeordneten hinzuschauen, die durch Dienstleistungen sehr viel Geld verdienen.“ Auch Léa Briand von Abgeordnetenwatch.de begrüßt die neuen Regeln. Sie sagt aber: „Es bleiben weiterhin viele Ausnahmen.“ Sie beklagt: „Wir wissen nicht, ob Regelverstöße kontrolliert und sanktioniert werden.“ Ebenfalls kritisch sieht Briand, dass das Gesamtvermögen von Mi­nis­te­r*in­nen und Abgeordneten nicht aufgelistet werden muss sowie die Regelungen für nebenberufliche Anwält*innen, die die Namen ihrer Man­dan­t*in­nen verschweigen dürfen.

Abgesehen von solchen Lücken gibt es aber noch ein weiteres Problem der neuen Transparenzregeln: die Bundestagsverwaltung. Denn sie scheint mit der Umsetzung völlig überfordert. So sind die Angaben, die es bisher auf bundestag.de gibt, teils chaotisch und schwer zu entziffern. Vor allem aber hängt die Bundestagsverwaltung dramatisch hinter ihrem Zeitplan her, den es für die Veröffentlichung der Nebeneinkünfte einst gab. Ursprünglich sollten die Angaben für alle Abgeordneten schon 2021 veröffentlicht werden, zuletzt hieß es dann, bis Ostern 2023 werde man fertig. Auch diese Frist ist nun verstrichen und noch immer fehlen einzelne Angaben. Auf Anfrage, wann die restlichen Angaben folgen sollen, sagt eine Sprecherin: „In den nächsten Tagen.“

1.) Die Erbin

Ophelia Nick verdient dank Fabrik-Anteilen nebenbei Millionen

2.) Die Pflege-Chefin

Kristine Lütke arbeitet als Geschäftsführerin eines Heims

3.) Die Autorin

Sahra Wagenknecht polarisiert – und macht das zu Geld

usw.

Quelle      :        TAZ-online         >>>>>        weiterlesn

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Die Kindergrundsicherung:

Erstellt von DL-Redaktion am 15. April 2023

Kaum angekündigt, schon demontiert?

Von Christoph Butterwegge

Sie spielt sich oft im Verborgenen ab und steht noch immer zu wenig im Fokus: Kinderarmut. Dabei sind hierzulande rund drei Millionen Kinder und Jugendliche betroffen und damit 21,3 Prozent aller Minderjährigen.

Immerhin: Nachdem man sie lange nur in Sonntagsreden bedachte, betrachten mittlerweile große Teile der Öffentlichkeit Kinderarmut als ein gravierendes soziales Problem, das die Politik sehr viel konsequenter als bisher angehen muss. Und seit die SPD „Hartz IV hinter sich lassen“ will, wie ihre damalige Vorsitzende Andrea Nahles, heute Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, immer wieder betonte, gehört eine Kindergrundsicherung (KGS) zu den Instrumenten dieser Partei, um die Armut und die damit verbundene soziale Ausgrenzung von Minderjährigen zu bekämpfen.[1] Schon kurz nach der Jahrtausendwende hatten die Grünen ein Konzept entwickelt, das sich auf Kinder als besonders vulnerable Armutsrisikogruppe konzentriert. Sie können deshalb als Urheber:innen des Reformprojekts gelten, das nun, nach über zwei Jahrzehnten, langsam Gestalt annimmt.

Nachdem die Ampelkoalition mit dem am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Bürgergeld zunächst die landläufig als „Hartz IV“ bezeichnete Grundsicherung für Arbeitsuchende reformiert hat, steht für den Rest der Legislaturperiode die Kindergrundsicherung als ihr zweites familien- und sozialpolitisches Kernanliegen im Fokus. Damit sollen neben dem Kindergeld sämtliche kindbezogenen Transferleistungen – der Kinderzuschlag, die entsprechenden Regelbedarfsstufen des Bürgergeldes sowie Teile des Bildungs- und Teilhabepaketes (BuT) – zusammengelegt werden.

Laut den „Eckpunkte[n] zur Ausgestaltung der Kindergrundsicherung“, die Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) ihren Koalitionskolleg:innen im Januar vorlegte, soll diese aus zwei Komponenten bestehen: einem für alle Kinder gleichen Garantiebetrag, der dem heutigen Kindergeld entspricht, und einem Zusatzbetrag, der sich nach dem Alter des Kindes und dem Haushaltseinkommen richtet.[2] Vor allem über die Höhe des Zusatzbetrages wird es in der Ampel vermutlich noch harte Auseinandersetzungen geben, weil die FDP das Projekt offenbar verhindern, verschieben oder nur in einer Schrumpfversion passieren lassen will – die schwarze Null und den Verzicht auf Steuererhöhungen als vordringliches Ziel vor Augen. Doch unabhängig von einem möglichen späteren Kompromiss der Koalition stellt sich die Frage, ob das – bislang noch recht vage – Konzept des Bundesfamilienministeriums überhaupt seinem Anspruch genügen kann, „einfach, unbürokratisch und bürgernah“ zu sein.[3] Wäre es also tatsächlich geeignet, die hierzulande weit verbreitete und oft verdeckte Armut von Minderjährigen zu beseitigen oder die soziale Ungleichheit innerhalb der nachwachsenden Generation wenigstens zu verringern?

Kindergrundsicherung für alle?

Das ist alles andere als klar: Laut Eckpunktepapier soll der für alle Familien gleiche Garantiebetrag beim 2025 geplanten Start der Kindergrundsicherung „mindestens“ der Höhe des dann geltenden Kindergeldes entsprechen. Verteilungsgerecht und in sich schlüssig ist eine Kindergrundsicherung damit aber noch nicht. Das wäre erst der Fall, wenn sie neben dem Kindergeld und ergänzenden Familienleistungen auch den bisherigen steuerlichen Kinderfreibetrag integrieren würde, an dem die FDP, vermutlich auch die Unionsparteien, mit ihrer starken Stellung und praktischen Vetofunktion im Bundesrat festhalten. Es ist nicht bloß ungerecht, sondern auch unlogisch, den steuerlichen Kinderfreibetrag, der die Steuerfreistellung eines Einkommens in Höhe des kindlichen Existenzminimums bewirkt, beizubehalten bzw. seine Abschaffung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben: Denn dieser entlastet Spitzenverdienende im Jahr 2023 um gut 354 Euro pro Monat, während Normalverdienenden, die das Kindergeld (heute 250 Euro) bzw. künftig den vermutlich gleich hohen KGS-Garantiebetrag erhalten, monatlich 104 Euro weniger zur Verfügung stehen. In den Eckpunkten der Bundesfamilienministerin heißt es vage, „perspektivisch“ solle der geplante Garantiebetrag der maximalen Entlastungswirkung des steuerlichen Kinderfreibetrages entsprechen. Vorerst aber verhindert die FDP innerhalb der Ampelkoalition, dass dem Staat jedes Kind gleich viel wert ist. Warum sollen Investmentbanker, Topmanager und Chefärzte im Gegensatz zu Erzieherinnen, Pflegekräften oder Verkäuferinnen statt der Kindergrundsicherung für alle Minderjährigen weiterhin einen gesonderten Steuerfreibetrag für ihren Nachwuchs in Anspruch nehmen können? Dieses grundsätzliche Gerechtigkeitsproblem bleibt nach den Plänen des Familienministeriums vorerst weiter bestehen.

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Zwar ist die von Paus vorgestellte Absicht, die Grundsicherungsleistungen von einer „Holschuld“ der Familien zu einer „Servicepflicht“ des Sozialstaates zu machen, grundsätzlich zu begrüßen. Denn obwohl viele Kinder schon jetzt Anspruch auf Unterstützung hätten, nehmen zu viele Familien diese – oft aus Unkenntnis und wegen hoher bürokratischer Hürden – bislang nicht in Anspruch. Das soll sich nach den Plänen des Familienministeriums fortan ändern: Nunmehr sollen ein digitales Kindergrundsicherungsportal und ein automatisierter Kindergrundsicherungscheck die Beantragung der Kindergrundsicherung erleichtern. Doch es ist nicht auszuschließen, dass diese Digitalisierung des Antragsverfahrens gerade jene Familien benachteiligt, die am meisten auf KGS-Leistungen angewiesen sind: weil gerade ihnen oft die nötigen Kenntnisse, die passenden Geräte oder ein WLAN-Anschluss fehlen. Wer als „bildungsfern“ gilt, könnte damit noch mehr als bisher im Hinblick auf das Antragsverfahren benachteiligt werden.

Hinzu kommt, dass die geplante Schaffung einer Kindergrundsicherungsstelle nicht, wie beabsichtigt, zu weniger, sondern zu mehr Bürokratie führen würde – und womöglich gar zu einem Behördenchaos, weil auch das Jobcenter für die Eltern im Grundsicherungsbezug zuständig bleibt. Der maximale Zusatzbetrag soll zusammen mit dem Garantiebetrag „das pauschale altersgestaffelte Existenzminimum des Kindes“ abdecken, also den altersgestaffelten SGB-II-Regelbedarfen in Verbindung mit den anteiligen Wohnkosten sowie einzelnen Bildungs- und Teilhabeleistungen entsprechen. Positiv zu bewerten ist, dass der KGS-Zusatzbetrag nicht pauschal ausgezahlt werden soll, was besonders für Kinder aus sozial benachteiligten Familien problematisch wäre. Denn dadurch würden alle Minderjährigen über einen Kamm geschoren, ganz unabhängig davon, wo und in welcher Haushaltskonstellation sie leben, wie alt sie sind und ob sie sozial benachteiligt oder gesundheitlich eingeschränkt sind – Sonderbedarfe sollen also auch fortan geltend gemacht werden können.

Quelle         :      Blätter-online      >>>>>           weiterlesen

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Springer-Chef Döpfner

Erstellt von DL-Redaktion am 14. April 2023

Das Monster, das wir schufen

Von   :  Carolina Schwarrz

Die „Zeit“ veröffentlicht persönliche Nachrichten von Springer-Chef Mathias Döpfner. Die Empörung ist groß. Zu kurz kommt, wer ihn mächtig gemacht hat. „TAZ-Aufmacher Heute:“ Die Springerchefs sind entweder FDP-Fans oder rassistische wessis. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig. Voller Einsatz für die FDP, Tiraden gegen „ossis“, Merkel, „intolerant Muslims und all das andere Gesocks“: Die gesammelten Werke des Springer.Vorstandvorsitzenden Mathias Döpfner in jetzt veröffentlichten Mails und Chats.

Keine Überraschung! So lautet die vermutlich häufigste Reaktion auf die Döpfner-Causa am Donnerstagmorgen bei Twitter, dem Lieblingsnetzwerk der Jour­na­list*in­nen. Anlass war eine Recherche der Zeit, die nach eigenen Aussagen E-Mails und Chats einsehen konnte, die Springer-Chef Mathias Döpfner in den vergangenen Jahren an Personen aus dem engsten Führungskreis geschickt haben soll. Viele davon sind voller Rechtschreibfehler, englischer Wörter und lesen sich, als hätte sie jemand in besoffenem Zustand abgeschickt. „Die ossis sind entweder Kommunisten oder faschisten. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig.“ Oder eine SMS an den damaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt: „Please Stärke die FDP. Wenn die sehr stark sind können sie in Ampel so autoritär auftreten dass die platzt. Und dann Jamaika funktioniert.“

Aus der Zeit-Recherche ergibt sich das Bild eines mächtigen Mannes, der die Bundespolitik beeinflussen, Angela Merkel absägen und die Ostdeutschen fertigmachen will. Ein Mann, der den Klimawandel eigentlich ganz gut findet, in Trump einen geeigneten US-Präsidenten sieht und die Wahl Kemmerichs zum thüringischen Ministerpräsidenten mithilfe der Stimmen der AfD unproblematisch findet. Er selbst fasst sein Weltbild in einer Nachricht so zusammen: „free west, fuck the intolerant muslims und all das andere Gesochs.“

Wer in den letzten Jahren die Berichterstattung der Springer-Medien, allen voran die der Bild, verfolgt hat, wird von diesen Aussagen wahrlich nicht überrascht sein. Döpfners rechtes Weltbild war bekannt. Dass der Mann an der Spitze eines der größten Medienunternehmen weltweit gegen journalistische Grundsätze verstoßen möchte, um Politik zu beeinflussen, ist skandalös – aber leider nicht verwunderlich.

Jetzt mit dem Finger auf diesen einen fiesen Typen zu zeigen, der peinliche denglische Chats voller Fehler an seine Mit­ar­bei­te­r*in­nen verschickt, ist wenig hilfreich. Denn, ob wir Jour­na­lis­t*in­nen das nun wollen oder nicht: Mathias Döpfner ist ein Kollege von uns. Und zwar nicht irgendeiner, sondern ein ziemlich mächtiger. Dass er an der Spitze eines Medienhauses sitzt und seine Macht willkürlich ausleben kann, ist gefährlich – aber er hat sich dort nicht alleine hingesetzt.

Abgekumpel in der Branche

In erster Linie liegt die Verantwortung natürlich beim Verlag selbst. An Döpfners steiler Karriere vom Welt-Chefredakteur zum Quasiherrscher über den Springer Verlag ist vor allem Friede Springer, die Witwe von Axel Springer, schuld. Sie übertrug ihm 2019 nicht nur Aktien im Wert von rund 1 Milliarde Euro, sondern auch ihr Stimmrecht.

Seitdem kann Döpfner eigentlich machen, was er will. Zuletzt zeigte sich das in der Reichelt-Affäre. Als Reichelt 2021 Machtmissbrauch und verschiedene Affären mit Mitarbeiterinnen vorgeworfen wurde, stellte Döpfner sich schützend vor ihn. In dem folgenden Jahr erschienen neben Recherchen vom Spiegel auch welche von der Financial Times und der New York Times, die Döpfner eine Mitschuld daran geben, dass Reichelt so lange seine Macht missbrauchen konnte. In diesem Zusammenhang wird eine SMS zitiert, in der Döpfner Reichelt als letzten und einzigen Journalisten in Deutschland bezeichnet, der noch mutig gegen den „neuen DDR-Obrigkeitsstaat“ aufbegehre. Infolge der Recherchen wurde Reichelt gefeuert, Döpfner blieb an der Spitze.

Quelle       :         TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —       L to R: Friede SpringerMathias DöpfnerKai Diekmann, and Julian Reichelt, June 2019

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Zeitenwende in Mali

Erstellt von DL-Redaktion am 13. April 2023

Die Putschregierung in Bamako genießt hohes Ansehen

Waren die Bürger-innen von Mali am Ende froh die Besetzer los zu sein?

Ein Debattenbeitrag von Olaf Bernau

Die Putschregierung in Bamako genießt hohes Ansehen, auch außerhalb des Landes. Der Westen muss sein Vorgehen im Sahel völlig neu ausrichten. Win-win lautet das neue Credo: Geschäfte mit allen, die gute Konditionen bieten – auch mit China und Russland.

Als die aus einem Doppelputsch hervorgegangene malische Übergangsregierung am 23. Februar in der UN-Vollversammlung die Verurteilung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ablehnte, war die Empörung groß. Der Bundeswehrverband forderte, dass Deutschland seine Beteiligung an der UN-Friedensmission Minusma in Mali beenden müsse, selbst im Auswärtigen Amt wuchsen die Zweifel. Das Abstimmungsverhalten schien bestens in das Bild einer wild gewordenen Militärjunta zu passen, die immer enger mit Russland kooperiert, die Kri­ti­ke­r:in­nen mundtot macht und die sich auf Konfrontationskurs mit dem Westen befindet.

Gleichwohl wäre die deutsche Öffentlichkeit gut beraten, genauer zu klären, was in Mali tatsächlich passiert. Denn breite Teile der malischen Bevölkerung schauen optimistisch in die Zukunft, laut verschiedenen Quellen stehen 70 bis 90 Prozent der Menschen an der Seite der Übergangsregierung. Auch in anderen afrikanischen Ländern gilt Mali als Vorreiter, als ein Land, das sich traut, dem Westen die Stirn zu bieten. Die viel gelesene Internetzeitung Agence Ecofin ließ im Februar ihre Le­se­r:in­nen darüber abstimmen, welche afrikanischen Persönlichkeiten das größte Vertrauen genießen. Assimi Goita, Chef der malischen Übergangsregierung, landete auf Platz 4. Vor ihm firmierten lediglich ein nigerianischer Unternehmer, ein kamerunischer Journalist und ein senegalesischer Fußballstar.

Umfragen sind flüchtig, dennoch kommt die Zustimmung nicht von ungefähr. Am wichtigsten dürfte Malis Haltung gegenüber Frankreich sein, dessen selbstherrliches und ineffektives Agieren im Antiterrorkampf schon lange in der Kritik steht. Als die ehemalige Kolonialmacht im Juni 2021 den Abzug ihrer Truppen verkündete, bat die malische Regierung nicht um Aufschub, sondern meinte kühl, dass dies Frankreichs eigene Entscheidung sei. Gleichzeitig intensivierte sie die vom Westen heftig kritisierte Zusammenarbeit mit Russland. Hierzu gehörten auch Waffenlieferungen wie Hubschrauber und Radartechnik, was Frankreich jahrelang verweigert hatte, mit dem Effekt, dass Mali militärisch abhängig blieb. Ähnlich 2022, als die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas Mali mit Wirtschaftssanktionen überzog, nachdem die Übergangsregierung eine Verschiebung der regulären Wahlen angekündigt hatte. Auch hier blieben die Militärs abgeklärt, obwohl die Sanktionen schärfer waren als alle bis heute gegen Russland verhängten Maßnahmen.

Bandschnalle für die Täuscher des tarnens und verpissen – natürlich in Braun.

Aus westlicher Sicht glich dies einem Vabanquespiel. Doch viele Ma­lie­r:in­nen ziehen eine andere Bilanz. Sie verweisen auf die verbesserte Sicherheitslage, darunter auch Bauern und Bäuerinnen im Office du Niger, einem von Terrorgruppen immer wieder heimgesuchten Bewässerungsgebiet im Zentrum des Landes: Die großen Straßen seien wieder passierbar, die Felder zugänglich, das kollektive Sicherheitsgefühl habe sich spürbar erhöht. Das ist natürlich nur ein Ausschnitt, in anderen Regionen sieht es schlechter aus, zumal das Banditenwesen allenthalben explodiert ist. Und doch gibt es einen übergreifenden Konsens: Die 2012 kollabierte Armee habe sich erholt, die Durchsetzungsfähigkeit der Terroristen sei im Schwinden, trotz punktueller Herrschaft über einzelne dörfliche Gebiete. Entsprechend seien auch UN-Berichte mit Vorsicht zu genießen, wonach sich die Zahl getöteter Zi­vi­lis­t:in­nen von 2021 bis 2022 verdoppelt habe. Denn Ter­ro­ris­t:in­nen und Zivilbevölkerung seien keine trennscharfen Gruppen, auch wenn kaum jemand die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte bestreitet. Als Erfolge gewürdigt werden der verstärkte Kampf gegen Korruption, höhere Investitionen in die Infrastruktur und Fortschritte im Justizwesen. Und natürlich der Umstand, dass Assimi Goita wieder Zukunftshoffnung geweckt habe.

Aus Sicht der einstigen politischen Klasse ist dies Propagandakitsch, sie spricht von Diktatur: Wahlen seien nicht in Sicht, der Präsident solle zukünftig noch stärkere Rechte erhalten und mehrere Menschen säßen wegen Meinungsdelikten in Haft. Die Kritik ist nicht ganz von der Hand zu weisen, und doch wirkt vieles überzogen. Aufschlussreicher ist daher, was jene Akteure sagen, die im Sommer 2020 zum Sturz von Präsident Ibrahim Boubacar Keita beigetragen haben, deren Urteil also nicht von der Erfahrung des Privilegienverlustes geprägt ist. Nicht wenige zeigen sich ebenfalls ernüchtert, sie kritisieren mangelnde Visionen und Gesprächsbereitschaft der Militärs, etwa der Filmregisseur Cheik Oumar Sissoko. Sie warnen davor, dass die freiwillige Nichtinanspruchnahme von Grundrechten wie Redefreiheit zur Friedhofsstille führen könnte. Und doch betonen auch sie, dass eine Rückkehr zum früheren Status quo nicht wünschenswert sei.

Quelle         :         TAZ-online        >>>>>       weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben        —       Casques bleus burkinabés de la MINUSMA à Ber, au Mali, en janvier 2017.

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Verkehr als Klimaproduktion

Erstellt von DL-Redaktion am 13. April 2023

Setzen Elektroautos die Ausbeutung von Arbeit und Natur fort?

Electric Car recharging.jpg

Quelle        :     Berliner Gazette

Von        :      · ALLIED GROUNDS

Die viel beschworene Mobilitätswende wird von konkurrierenden Industrien dominiert. Aber auch Akteur*innen der Zivilgesellschaft sowie Arbeiter*innen und Gewerkschaften im Allgemeinen sind an den Kämpfen beteiligt. Es gibt Stimmen, die eine Veränderung des gesamten Produktionssystems fordern. Wäre dies nicht ein Ansatzpunkt für klassenübergreifende Bündnisse, die einen Übergang vom ausbeuterischen und umweltverschmutzenden Kapitalismus zu einer ökosozialistischen Gesellschaft katalysieren? In seinem Beitrag zur BG-Textreihe “Allied Grounds” zeichnet der Forscher John Szabo den Konflikt nach.

Die Verbrennung fossiler Brennstoffe geht weiter, und die Emissionen erreichten 2022 einen neuen Höchststand, so dass das von den Regierungen in Paris vereinbarte 1,5°C-Ziel zunehmend außer Reichweite gerät. 23 % dieser Emissionen stammen aus dem Verkehrssektor, wovon der überwiegende Teil auf den Straßenverkehr entfällt. Die Schuldigen sind Personenkraftwagen. Individualisierte Verkehrsmittel, die auf dem erdölverschlingenden Verbrennungsmotor basieren, sind das Herzstück und der Mittelpunkt der “Klimaproduktion“.

Der Pkw steht dem weiteren Ausbau des fossilen Kapitalismus im Wege, da die Anzahl und Materialintensität der Fahrzeuge ein nicht nachhaltiges wachstumsorientiertes Paradigma unterstützt. Die Dekarbonisierung des Transportwesens scheint unaufhaltsam voranzuschreiten, da Elektrofahrzeuge (EVs) sowohl die Märkte als auch die Vorstellungskraft der Verbraucher erobert haben, die darin einen Beitrag zu einer kohlenstoffarmen Zukunft sehen. Dadurch wird der fossile Kapitalismus in eine etwas weniger kohlenstoffintensive Zukunft geführt, aber der Wandel selbst birgt das Risiko, soziale Ungleichheiten zu verschärfen und sozial-ökologisch ausbeuterische Praktiken aufrechtzuerhalten: Er ist ein Wolf im Schafspelz.

Das Automobil wird als technisches Wunderwerk gepriesen, das seit Beginn des 20. Jahrhunderts einen schnelleren Transport ermöglichte. Es wurde zu einem Objekt des auffälligen Konsums, das die Wohlhabendsten im öffentlichen Raum nutzten. Diese Objekte der Begierde bildeten eine Dialektik mit der Expansion des Erdölsektors: Die Produzent*innen bohrten Millionen von Bohrlöchern und die Raffinerien setzten komplexe Technologien ein, um den Kraftstoff bereitzustellen.

Zentral für die “Klimaproduktion”

Das Auto ist ein technisches Artefakt, das die Umwandlung von fossilen Brennstoffen in Mobilität und Emissionen vermittelt. Sein Aufstieg ist eng mit dem industriellen Kapitalismus verknüpft. Die Hersteller*innen übernahmen weitgehend die Grundsätze des Taylorismus, rationalisierten die Produktion und ermöglichten die vollständige Entfremdung der Arbeit. Parallel dazu ebnete der Fordismus den Weg für die Konsumgesellschaft, indem er dafür sorgte, dass Produktion und Konsum eine Wachstumsspirale in Gang setzten. Das Rezept war einfach: Einem Teil der Arbeiter*innen sollte so viel Lohn gezahlt werden, so dass sie diese Gegenstände selbst kaufen konnten. Dies würde eine größere Verbraucher*innenbasis ermöglichen, die die Beschleunigung der Kapitalakkumulation gewährleisten würde.

Der Pkw wurde zu einem wesentlichen Bestandteil des täglichen Lebens in den Industrieländern, als deren Anzahl und die entsprechende Infrastruktur wuchsen. Sie standen im Mittelpunkt des anhaltenden Wirtschaftswachstums in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als Unternehmen wie Toyota eine Schlüsselrolle im “japanischen Wirtschaftswunder”, General Motors im “Goldenen Zeitalter des Kapitalismus” in den USA oder Volkswagen im deutschen “Wirtschaftswunder” spielten. Arbeit und Kapital wurden in ihrem Streben nach Wirtschaftswachstum gleichgeschaltet, während die Auswirkungen der Produktion auf die Umwelt vernachlässigt wurden.

Ein boomender Automobilsektor wurde zum zentralen Faktor der “Klimaproduktion”, da die Emissionen aus Raffinerien und Auspuffrohren in den 1960er und 1970er Jahren spürbare Auswirkungen hatten. Einflussreiche Werke wie Rachel Carsons “Silent Spring” oder die “Grenzen des Wachstums” des Club of Rome beschäftigten sich mit den ökologischen Folgen eines ungebremsten Wirtschaftswachstums und forderten Maßnahmen zur Begrenzung der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und der Emissionen giftiger Stoffe in die Ökosphäre.

Länder auf der ganzen Welt haben Maßnahmen zur Verringerung der Umweltverschmutzung ergriffen, die jedoch von der steigenden Zahl der Fahrzeuge überschattet wurden. Deutschland und Frankreich führten in den 1960er Jahren Umweltvorschriften ein, während der US-Kongress 1965 erstmals Schadstoffe regulierte. Diese waren notwendig, weil die Erdölprodukte (Benzin oder Diesel) Schwefel enthielten und bei ihrer Verbrennung Schwefeldioxid in die Atmosphäre freisetzten. Dies führte zur Versauerung des Wassers und zu saurem Regen, was 1972 auf der Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen in Stockholm ein wichtiges Thema war. Hier wurde die Autonutzung nicht als Teil der “Klimaproduktion” in dem Sinne gesehen, wie wir sie derzeit im Zusammenhang mit dem globalen Klimawandel diskutieren. Aber man war sich schon bewusst, dass er gravierende lokale Klima- und Umweltauswirkungen hat. Insofern wurden damals gewisse Voraussetzungen für das heutige Verständnis der Problematik geschaffen.

Fortschrittliche Technologie vs. Arbeit

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschärften die Regierungen schrittweise die Umweltvorschriften für Personenkraftwagen. Nach den Ölkrisen der 1970er Jahre konzentrierte sich Europa auf die Kraftstoffeffizienz, was sich tendenziell auch positiv auf die Kohlendioxidemissionen auswirkte. Dieselkraftstoff wurde zur bevorzugten Technologie, die als effizienter und angesichts der allgemeinen Steuerpolitik der EU in Bezug auf diesen Kraftstoff auch als kostengünstiger aus Sicht der Verbraucher*innen angesehen wurde. Gleichzeitig widersetzten sich die Hersteller*innen anderen strengen Umweltvorschriften. Auf der anderen Seite des Atlantiks zielten die US-Regulierungsbehörden auf NOx- und Partikelemissionen ab, während sie dem Gesamtverbrauch weniger Bedeutung beimaßen. Bei beiden Ansätzen wurde ein wichtiger Faktor vernachlässigt: die Größe. Die US-Vorschriften ließen die Autos und ihre Motoren wachsen, während die EU-Kohlendioxidvorschriften, die im Zuge ihrer Umweltpolitik eingeführt wurden, gewichtsbezogene Emissionsnormen einführten. Die Fahrzeugflotte wurde in beiden Märkten schwerer, materialintensiver und leistungsfähiger.

Personenkraftwagen wurden zu einem Hauptbestandteil der “Klimaproduktion”, aber da diedamit verbundenen Industrien Millionen von Menschen beschäftigen und eine wichtige Triebkraft des Wirtschaftswachstums sind, schien es wenig Bereitschaft zu geben, sie abzubauen und den Verkehrssektor von Grund auf neu zu überdenken. Dies zeigte sich auch an den Positionen der Gewerkschaften. Diejenigen in Europa, die noch Einfluss auf die Führung der jeweiligen nationalen Automobilsektoren haben, neigten dazu, den Zusammenhang zwischen Arbeitsplätzen und Emissionen als Nullsummenfrage zu betrachten. Die allgemeine Auffassung war, dass die höhere Technologie- und Kapitalintensität der E-Fahrzeuge die relative Macht der Arbeiter*innen in diesem Sektor weiter schwächen und Arbeitsplätze überflüssig machen würde.

Die Gewerkschaften lehnten den “grünen Übergang” ab, weil die Technologieintensität der E-Fahrzeugherstellung die Waage weiter zugunsten des Kapitals kippt und es kaum Anzeichen für eine angemessene Sozialpolitik seitens der Staaten gibt, um dies auszugleichen. Die Staaten selbst haben sich auf einen Wettlauf nach unten eingelassen, um die E-Märkte zu erobern und ihre geoökonomische Vorherrschaft zu sichern. Sie stehen in einem globalen Wettbewerb gegeneinander, der ihre relative Macht in globalen Angelegenheiten untergraben könnte, wenn sie ihn verlieren. Um die E-Märkte zu erobern, investierten die USA massiv in Tesla, Deutschland unterstützte nationale Champions, während China seit Jahren staatliche Mittel in den Sektor fließen lässt. Die Staaten unterstützten die Aktivitäten der Unternehmen, indem sie Industrie-, Bildungs- und eine Reihe anderer Politikbereiche den Bedürfnissen dieser privaten Akteur*innen unterwarfen, damit diese auf den globalen Märkten erfolgreich sein konnten.

Warum aber sollten wir in diesem Kontext von einem Wolf im Schafspelz sprechen? Der Umstieg auf Elektrofahrzeuge beinhaltet eine Form der “Klimaproduktion”, die weniger direkt mit den Auspuffemissionen verbunden ist. Es sind nicht die Autofahrer*innen, die Emissionen verursachen, wenn sie pendeln, sondern die verkörperten Emissionen – also nicht der Verbrauch, sondern die produktionsbedingten Emissionen. Die Herkunft des Stroms und der Materialien werden für die “Klimaproduktion” von zentraler Bedeutung sein. Im besten Fall wird dies kohlenstoffarm sein. Die Elektrizität wird bei den derzeitigen Entwicklungen irgendwann dekarbonisiert werden, und sogar der Bergbau, der für die Bereitstellung der Materialien für die Fahrzeugproduktion erforderlich ist, könnte relativ emissionsfrei werden. In diesem Prozess können die Lebenszyklusemissionen von Elektrofahrzeugen sinken, aber ihre Produktion wird weiterhin auf zutiefst ungleichen, ausbeuterischen Praktiken beruhen, die Arbeiter*innen und derUmwelt schaden.

Nehmen wir die Batterieproduktion, bei der wichtige Rohstoffe wie Kobalt in der Demokratischen Republik Kongo und Lithium in Australien und Chile konzentriert sind. Diese Ressourcen müssen abgebaut werden, in der Regel unter laxen Umwelt- Arbeitsvorschriften, also zum Nachteil der Arbeiter*innen, der lokalen Bevölkerung und der Umwelt. Anschließend müssen sie verschifft werden – ein schwer zu dekarbonisierender Sektor, der auf Schweröl angewiesen ist –, um dann raffiniert zu werden, in der Regel in China. Kohle dominiert hier weiterhin den Energieeinsatz, da sowohl die Arbeits- als auch die Umweltgesetze weiterhin lax sind. Danach müssen Batterien hergestellt werden, was nicht nur ressourcenintensiv ist, sondern auch eine hohe Wasser-, Energie- und Abfallintensität aufweist. Länder, die Gefahr laufen, im Zuge der Abkehr vom Verbrennungsmotor Arbeitsplätze und Wachstumsperspektiven zu verlieren, sind der Batterieindustrie entgegengekommen, haben dabei aber fragwürdige Praktiken eingeführt. Letzteres spiegelt sich nicht zuletzt in der wachsenden sozialen Opposition in Fällen wie Ungarn und Polen wider.

Die Herausforderungen für die Arbeitnehmer

Das neue technologische System wird eine Reihe von Lock-Ins in Gang setzen, die den Einfluss der Arbeiter*innen – und damit die demokratische Entscheidungsfindung – auf die Energiewende und eine kohlenstoffarme Gesellschaft weiter aushöhlen werden. Alle Prozesse, die an der Produktion von E-Fahrzeugen beteiligt sind – vom Bergbau über die Batterieproduktion bis hin zur Herstellung dieser Fahrzeuge – sind hoch automatisiert und erfordern weniger Arbeit. Dies könnte durch eine steigende Produktion kompensiert werden, doch damit wird ein wachstumsorientiertes Paradigma aufrechterhalten, das weiterhin extrem materialintensiv ist. Das Gleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit wird sich weiter zugunsten der ersteren verschlechtern, und eine Umkehrung wird immer schwieriger. Die Gewerkschaften sind davon abgekommen, den Übergang als Nullsummenspiel zwischen der Produktion von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren und einem kohlenstoffarmen Übergang zu betrachten, aber sie konzentrieren sich noch immer auf ihren eng definierten Auftrag, Arbeitsplätze für ihre Mitglieder*innen zu sichern.

Die Gewerkschaften müssen die Gunst der Stunde nutzen und auf eine länder- und branchenübergreifende Organisation drängen, die darauf abzielt, den Übergang mit der Abschaffung anderer ausbeuterischer Praktiken und der Einführung alternativer Lösungen zu verbinden. Die Technologie wird die Arbeitsintensität der Produktion verringern und damit Länder, Unternehmen und Arbeiter*innen gegeneinander ausspielen. Anstatt zu versuchen, dieses System zu verlängern, müssen sozialpolitische Maßnahmen, die sich mit dieser Entwicklung befassen, ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Jene sollte sich nicht nur auf die Frage des allgemeinen Grundeinkommens beschränken, sondern auch die Möglichkeit eines allgemeinen Grundauskommens, d. h. einer allgemeinen Grundversorgung, in Betracht ziehen. Und die universelle Grundversorgung sollte nicht eine Frage des “ob”, sondern des “wie bald” und des “wie umfassend” sein.

Die Gewerkschaften sind auch in der Lage, bei den Unternehmen darauf hinzuwirken, dass sie von einem Profil abrücken, das sich weiterhin auf den Individualverkehr konzentriert, und sich für eine größere Rolle des öffentlichen Verkehrs, ein Umdenken in den Städten und Vorstädten, den Ausbau des Fahrradverkehrs und der Fahrradinfrastruktur usw. einsetzen. Die Gewerkschaften und damit die Arbeiter*innen im Allgemeinen müssen den derzeitigen Bruch im gesellschaftspolitischen System als einen erkennen, der nicht durch die Ersetzung von 3+°C-Klimaproduktionsverfahren durch solche, die mit dem 1,5°C-Ziel vereinbar sind, zu beheben ist. Diese sind schließlich zutiefst ausbeuterisch und sozial-ökologisch nicht nachhaltig und verleihen dem Kapital weiterhin Macht über die Arbeiter*innen, wodurch Ungleichheiten verschärft werden. Insofern sollten Arbeiter*innen, solange sie noch eine gewisse Macht haben, diese nutzten, um sich dem Aufstieg des grünen Kapitalismus zu widersetzen und einen proto-sozialistischen Übergang zu ermöglichen.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist ein Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds” der Berliner Gazette; die englische Fassung finden Sie hier. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “Allied Grounds”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://allied-grounds.berlinergazette.de

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Dieses Werk ist unter einem Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Unported Lizenzvertrag lizenziert. Um die Lizenz anzusehen, gehen Sie bitte auf creativecommons.org oder schicken Sie einen Brief an Creative Commons, 171 Second Street, Suite 300, San Francisco, California 94105, USA.

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Oben       —     electric car recharging in Berlin, Germany – dummy/fake registration plate and charging station logo

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Ein Ukraine – Tagebuch

Erstellt von DL-Redaktion am 13. April 2023

„Krieg und Frieden“
Kein Kinderspiel

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Aus Minsk Janka Belarus

Zu den  Verhältnissen von Belarus und Ukraine. Belarus und die Ukraine üben sich in wechselseitiger Einschüchterung. Mit Großplakaten an der Grenze setzen sie die Gegenseite unter Druck.

Schon seit Längerem beschwert sich Belarus darüber, dass ukrainische Grenzschützer das angrenzende Gebiet verminen und obszöne Gesten zeigen. „Frage: Warum musste eine weitere Reihe von Minen auf dem Weg platziert werden?“, heißt es in einer offiziellen Mitteilung. Ja, warum eigentlich? Vielleicht, weil seit mehr als einem Jahr Krieg herrscht und der Sabotageakt belarussischer Partisanen an einem russischen Kampfflugzeug eine Welle von Verhaftungen und Repressionen nach sich zog?

Es ist nicht erstaunlich, dass gerade an Orten wie der Grenze der Informationskrieg eskaliert. Die Menschenrechts-Website Gulagu.net berichtet, dass Russland Söldner nach Belarus schickt, um Anschläge zu begehen. Diese sollen Minsks Machthaber Alexander Lukaschenko zwingen, sich am Krieg gegen die Ukraine zu beteiligen. Die Söldner würden vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB und vom Verteidigungsministerium kontrolliert. Sie sollen bereit sein, sich ukrainische Uniformen anzuziehen und in Belarus Sabotageakte zu begehen.

Die Ukrainer verstärken derweil die Grenze zum nördlichen Nachbarn. Sie zeigen nicht nur offen Panzerabwehrgräben und Minenfelder, sondern nutzen auch Mittel der psychologischen Kriegsführung. Große Plakatwände haben sie an der Grenze aufgestellt, mit Appellen an Lukaschenkos Armee. Und neben der blau-gelben ukrainischen weht die weiß-rot-weiße nunmehr verbotene belarussische Flagge.

Minsk hat darauf so geantwortet, dass das Regime an fünf Grenzübergängen ebenso propagandistische wie kreative Meisterwerke aufgestellt hat, mit doppeldeutigen Aufschriften. Auf einem dieser Plakate sieht man die ukrainische Hauptstadt Kyjiw und durch ein Vergrößerungsglas einen amerikanischen Soldaten vor dem Hintergrund einer US-Flagge. Darauf steht in riesigen Lettern: „Wir helfen der Ukraine, die wahren Okkupanten zu finden.“

Im belarussischen Fernsehen beschwerte sich Sergej Pawlow, offizieller Vertreter des Grenzregiments von Mosyr, dass die Ukrainer „eine Attrappe eines erhängten Soldaten in russischer Uniform mit dem Namen Valera aufgestellt haben. Sie gaben an, dass es sich dabei um einen Wehrdienstleistenden handele, der bei Kyjiw getötet worden sei.“ Pawlow sagte, dass dies angeblich die belarussischen Grenzschützer „einschüchtere“ und „psychologischen Druck“ auf sie ausübe.

Quelle         :         TAZ-online          >>>>>         weiterlesen 

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Grafikquellen          :

Oben     —      Anne Frank in 1940, while at 6. Montessorischool, Niersstraat 41-43, Amsterdam (the Netherlands). Photograph by unknown photographer. According to Dutch copyright law Art. 38: 1 (unknown photographer & pre-1943 so >70 years after first disclosure) now in the public domain. “Unknown photographer” confirmed by Anne Frank Foundation Amsterdam in 2015 (see email to OTRS) and search in several printed publications and image databases.

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Wo Kritik unerwünscht ist

Erstellt von DL-Redaktion am 11. April 2023

Deutsche Politik in der Sahelzone

Ein Debattenbeitrag von Dominic Johnson

Kann Deutschland in der Sahelzone aus dem Schatten Frankreichs treten? Tschads Ausweisung des deutschen Botschafters wirft schwierige Fragen auf.

Gordon Kricke ist zurück in Berlin. Der deutsche Botschafter in Tschad wurde am Freitag hinausgeworfen, am Samstag nahm er den Nachtflug nach Paris. Dass eine befreundete Regierung einen Botschafter schriftlich zum Verlassen des Landes innerhalb von 48 Stunden auffordert, ohne ihn auch nur einbestellt zu haben, ist mehr als ein Affront. Es wirft grundsätzliche Fragen zur europäischen Politik in der afrikanischen Sahelzone auf, und diese Fragen richten sich an Deutschland.

Tschads Regierung warf dem deutschen Botschafter „unhöfliche Haltung“ und „mangelnden Respekt für die diplomatischen Gepflogenheiten“ vor. Das Auswärtige Amt in Berlin sagt offiziell, es könne den Vorwurf nicht nachvollziehen, doch Eingeweihte wissen, worum es geht. Als der junge Mahamat Déby am 20. April 2021 nach dem Tod seines Vaters und Amtsvorgängers Idriss Déby Tschads Staatschef wurde, akzeptierten Tschads Partner das nur, weil er bei Wahlen nach einer Übergangszeit von 18 Monaten die Macht wieder abgeben sollte. Aber im vergangenen Oktober ließ Mahamat Déby in einem von wichtigen Oppositionskräften boykottierten „nationalen Dialog“ die Übergangszeit um zwei Jahre verlängern, und er selbst wird bei Wahlen antreten dürfen, womit sein Machtverbleib gesichert ist, denn freie Wahlen gibt es in Tschad nicht.

„Besorgt“ äußerten sich damals öffentlich zahlreiche Botschafter, darunter der Deutschlands, denn sie fühlten sich düpiert. Berichten zufolge soll Gordon Kricke nichtöffentlich noch andere Worte verwendet haben. Auf den Straßen war die Reaktion heftiger. Oppositionelle gingen am 20. Oktober auf die Straße, die Sicherheitskräfte schossen und am Ende waren nach amtlichen Angaben 73 Menschen tot, laut Opposition mehrere hundert. Das grauenhafte Massaker, international ignoriert, war für Mahamat Déby eine Feuertaufe.

Der 39-Jährige reiht sich nun ein in eine lange Riege von Gewaltherrschern. Diktator Hissène ­Habré, der 1982 putschte und gemeinsam mit Frankreich Libyen bekämpfte, richtete grausame Foltergefängnisse ein und hat das Blut von Zehntausenden an den Händen. Ein panafrikanisches Tribunal verurteilte ihn später wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Da war er schon lange im Exil, 1990 gestürzt von Rebellenführer Idriss Déby, der mit dem Segen Frankreichs putschte und eine neue Diktatur errichtete.

Für Frankreichs Machtpolitik in Afrika ist Tschad zentral. Am Flughafen der Hauptstadt N’Djamena befindet sich die neben Dschibuti wichtigste französische Militärbasis des Kontinents. Jahrzehntelang starteten dort Militärinterventionen zum Schutz befreundeter Diktatoren. Heute starten von dort Antiterroreinsätze. Die aus Frankreichs Militäreinsatz in Mali 2013 hervorgegangene Antiterroroperation Barkhane hat in N’Djamena ihr Hauptquartier.

Was in Paris noch Parade – schlich sich aus Mali auf stillen Pfaden..

Gewaltherrscher Mahamat Déby sitzt in N’Djamena fest im Sattel. Nach dem Oktobermassaker wurden 621 verhaftete Jugendliche in das Wüstengefängnis Koro Toro 600 Kilometer außerhalb der Hauptstadt gebracht, viele starben bei der Reise ohne Wasser auf offenen Lastwagen, die anderen wurden in Zellen mit bis zu 50 Insassen gepfercht, mit Terrorhäftlingen als Wächter. Nach einem Sammelprozess wurden viele begnadigt und berichten nun zu Hause vom Staatsterror. Die berühmte Menschenrechtlerin Delphine Djiraibé, die einst Habré vor Gericht brachte, sitzt faktisch unter Hausarrest und berichtet von einer „Bevölkerung in Angst“. Derweil organisiert Frankreich auf seiner Militärbasis Zeremonien und hält mit Tschads Streitkräften Manöver ab.

Die meisten Menschen in den Sahelstaaten sehen Frankreich als neokolonialen Unterdrücker, der Afrika arm hält, um sich selbst zu bereichern, und freuen sich über jeden Schlag gegen Pariser Interessen. In Mali, regiert von einer prorussischen Militärdiktatur, stehen deutsche Soldaten im Rahmen einer UN-Mission, die vor Ort als Werkzeug Frankreichs gesehen wird, da sie im Zuge der französischen Militärintervention entstand. In Niger, wo der einzige gewählte zivile Präsident der Region regiert, agiert die Bundeswehr an der Seite der aus Mali verlegten Franzosen.

Deutschland präsentiert seine Sahelpolitik als Teil einer europäischen Antwort auf Terror und Unterentwicklung. Die EU-Politik vor Ort wird aber von Frankreich gemacht, das die EU-Vertretungen in den Ländern dominiert. Nie hat Frankreich seine Truppen einem UN- oder EU-Rahmen unterstellt, kein französischer Diplomat würde Deutschland in heikle Gespräche mit afrikanischen Freunden einbeziehen. Frankreich fährt in Afrika klassische Machtpolitik, die Machtfragen notfalls außerhalb der Legalität und mit Gewalt klärt. Deutschland agiert als eine Art Frankreich light, das von Sicherheit und Entwicklung spricht, aber keine Machtinstrumente aufzubieten hat.

Quelle      :         TAZ-online          >>>>>       weiterlesen

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Grafikquelle :

Oben      —     This is a map illustrating the Sahel region of Africa. Derived from Natural Earth data. Projection: Lambert Conformal Conic, CM: 14E, SP: 10N, 25N

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Unten     —       Detachment of the United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (MINUSMA) in the Bastille Day 2013 military parade on the Champs-Élysées in Paris.

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DIE * WOCHE

Erstellt von DL-Redaktion am 11. April 2023

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Kolumne von Friedrich Küppersbusch

Rechtssystem, Mammutfleisch und Sanna Marin – Stabiler  Anker von Demokratien und ein sehr großes Aua für RWE. In mehreren Staaten haben die Obersten Gerichte ordentlich Probleme. Und die Nato wird Sanna Marin vermissen – vielleicht aber nicht für lange.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht in der vergangenen Woche?

Friedrich Küppersbusch: Irgendwas, das sich über die Feiertage nicht bei mir gemeldet hat.

Und was wird nächste Woche besser?

Meldet sich alles wieder.

In Amsterdam haben For­sche­r*in­nen im Labor eine Bulette aus Mammutfleisch geschaffen. Schafft es die in den Imbiss an der Ecke?

Eine Mammutaufgabe für unseren Organismus – 4.000 Jahre alte Proteine im Mix mit Zellen von Schaf und Elefant. So wurde das In-vitro-Fleisch gebastelt und deshalb ist es für den menschlichen Verzehr nicht geeignet. Viele Mammuts sagen: Das kommt ein bisschen spät. Neandertaler, frühe Sapiens und Klimaschwankungen rotteten die Spezies aus, so die gängige Lehrmeinung. Künstlich erzeugtes Rind, Huhn und Fischfleisch kann der Mensch verstoffwechseln. Mammut hingegen wäre eine ziemlich abgefahrene Form von – Rache.

Die IG Metall fordert eine Viertagewoche für Stahl­ar­bei­te­r*in­nen. Wäre das nicht auch eine Wohltat für uns alle?

Her damit. Im Grunde handelt es sich um zwei Forderungen. Erstens: mehr Freiheit für die Belegschaften, die Arbeitszeit nach Wunsch einzuteilen. Wer viermal zehn Stunden arbeiten möchte, hat bessere Laune, ist seltener krank und erspart dem Klima Fahrten. Sagen Versuche aus Belgien, Großbritannien und Island. Zweitens geht es – gerade in der Stahlbranche – um weniger Arbeitszeit. Drei Stunden weniger – von 35 auf 32 pro Woche – sollen durch höhere Produktivität ausgeglichen werden. Das müssen die Maschinen erst mal hergeben, und für Arbeit am Menschen – Pflege, Erziehung, viele Dienstleistungen – klingt es zynisch. Wenn ein Mitarbeiter behauptet, er schaffe die gleiche Arbeit in weniger Zeit, bin ich ein kluger Boss und gebe ihm mehr Arbeit. Fertig. Das ist gut für die Work-Life-Balance der Chefs.

In NRW ist eine Person wegen einer friedlichen Blockade vor einem Kohlekraftwerk zu neun Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden. Welche Verbrechen fallen Ihnen sonst noch ein, für die ein solches Strafmaß angemessen wäre?

Die weit ins Land hinaus donnernde Dummheit des Kraftwerksbetreibers RWE: Sie fordern zivilrechtlich 1,4 Millionen € Schadenersatz. So wird jemensch klar, dass man mit ein bisschen Anketten den Klimaschädlingen sehr großes Aua zufügen kann. Das unterstreicht die Wirksamkeit der Aktion. Glückwunsch. Das Urteil aus Grevenbroich scheint trotzdem unverhältnismäßig, weil es über das geforderte Strafmaß hinaus und ohne Bewährung erging. Eine Amtsrichterin empfiehlt sich als richtig tough und vermärtyrert Aktivisten. Dann ist das Klima ja gerettet.

Bei den Wahlen in Finnland ist die sozialdemokratische Präsidentin Sanna Marin hinter Konservativen und Rechtspopulisten nur auf dem dritten Platz gelandet. Wird sie es noch einmal vermissen, das neue Nato-Mitglied Finnland zu regieren?

Wenn man ungefähr alle Fehler, die Franziska Giffey macht, weglässt, kommt Sanna Marin dabei raus. Sie erkennt die Niederlage an, verzichtet auf einen Ministerinnenjob und nimmt ihr Mandat wahr. Dabei hatte sie sich sogar zu Tode gesiegt und das Ergebnis ihrer Sozialdemokraten verbessert. Doch die Konservativen und Rechtspopulisten profitierten noch mehr – vom Lamento über Sozis, die nur Schulden machen. Marin begrüßt, eine Last abzuwerfen und vermutlich wird eher die Nato sie vermissen. Muss ja nicht für lange sein.

In Polen und Israel sollen die obersten Gerichte entmachtet werden. In New York steht Donald Trump vor Gericht – und viele sagen, das könne ihm politisch eher nutzen als schaden. Geben Sie uns ein paar Gedanken zum aktuell recht angespannten Verhältnis der Judikative zu den anderen Staatsgewalten?

Quelle        :        TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Der Multipolarer Weltmarkt

Erstellt von DL-Redaktion am 9. April 2023

Multipolare Weltordnung – multipolarer Krieg

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Einzug in Münster zu den Friedensverhandlungen 1643, Stadtmuseum Münster.

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von Iwan Nikolajew

  1. Prolog

Der Ukraine-Krieg ist ein Weltordnungskrieg, wie auch der erste Krieg der multipolaren Weltordnung. Die multipolare Weltordnung ist nicht das Produkt des Ukraine-Krieges, sondern der Ukraine-Krieg ist das Produkt der multipolaren Weltordnung und bringt sich über den Ukraine-Krieg auf den Begriff. Ein Zurück in den neoliberalen Weltmarkt ist nicht mehr möglich. Die „Globalisierung“ ist an sich selbst gescheitert.

  1. Epochenbruch

Erst mit dem Ukraine-Krieg bringt sich der multipolare Weltmarkt auf den Begriff. Multipolarer Weltmarkt-Multipolare Weltordnung ist nichts anderes als allseitige imperialistische Konfrontation. Der Krieg, der imperialistische Krieg, ist die Fortsetzung der Weltmarktkonkurrenz mit anderen Mitteln. Ganz gewiss ist der multipolare Kapitalismus keine fortschrittliche soziale Entwicklung, ebenso wenig der neoliberale Kapitalismus. In welcher Form auch immer, Kapitalismus ist Ausbeutung, nur die Formen der Ausbeutung ändern sich. Der Kapitalismus hat den Krieg in sich, wie die Wolke den Regen. Ausbeutung und Krieg gehören zusammen. Während der neoliberale Kapitalismus tendenziell die imperialistischen Metropolen vereinte, wurde der Kolonialkrieg gegen die Peripherie zum Krieg schlechthin. Mit dem Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes verschwindet auch der Kolonialkrieg als Modell des Krieges und der imperialistische Krieg wandelt sich zum Krieg Metropole gegen Metropole. Kolonialkriege werden weiterhin geführt. Der imperialistische Krieg Metropole-Peripherie bleibt weiterhin bestehen, jedoch über ihn erhebt sich als prägend der imperialistische Krieg Metropole versus Metropole und so prägt der imperialistische Krieg die Weltmarktkonkurrenz des multipolaren Weltmarktes mehr als in der Epoche des neoliberalen Kapitalismus. Der imperialistische Krieg wandert von der Peripherie ins Zentrum, verdoppelt sich in Peripherie und Zentrum.

In der neoliberalen Epoche des Kapitalismus regulierte sich der Kapitalismus zentral unmittelbar über das Wertgesetz. Die strukturelle Gewalt, bzw. der strukturelle Zwang der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, vollzog sich in dieser kapitalistischen Epoche unmittelbar und stumm bzw. untergründig, während die direkte Gewalt der kapitalistischen Produktionsverhältnisse sich nur mittelbar über das Wertgesetz exekutiert. Nur in Notfällen griff die direkte kapitalistische Gewalt, vermittelt über den bürgerlichen Staat, welcher ebenfalls über das Wertgesetz reguliert wird, offen ein. Im multipolaren Kapitalismus jedoch tritt das Wertgesetz gleichberechtigt unmittelbar, als stummer Zwang der materiellen kapitalistischen Produktionsverhältnisse und ebenso zu gleichen Teilen vermittelt über die Gewalt des bürgerlichen Klassenstaates, auf.

In der neoliberalen Form des Kapitalismus konnte sich der stumme Zwang des Wertgesetzes nur aufgrund der Hegemonie des US-Imperialismus innerhalb der kapitalistischen Kette tendenziell entfalten und damit auch nur durch die indirekte Entfaltung des Wertgesetzes vermittels auch der direkten politischen Gewalt des US-Imperialismus. Der US-Imperialismus agierte als alleiniger Weltpolizist und griff im Ernstfall, dann wenn die tendenzielle Entfaltung der stummen Gewalt des Wertgesetzes behindert wurde, auch mit offener Gewalt ein. In der offenen Gewalt des US-Imperialismus vermittels des bürgerlichen US-Staates materialisiert sich indirekt das Wertgesetz. Die Intervention des bürgerlichen Staates in die Ökonomie ist keine Negation des Wertgesetzes, sondern nur seine Modifikation. Mit der US-Hegemonie gelang es den Weltmarkt tendenziell zu vereinheitlichen, zum Nutzen aller Metropolen der imperialistischen Kette. Der Hegemon innerhalb der imperialistischen Kette ist der Schiedsrichter zwischen den Metropolen, seine Entscheidung wird respektiert und umgesetzt. Jedoch der Zusammenbruch der US-Hegemonie, offen ersichtlich seit dem Ukraine-Krieg im Februar 2022, läßt den Thron des Hegemon verwaisen. Es gibt spätestens vom Februar 2022 an keine Hegemonialmacht mehr, die den relativ vereinheitlichten Weltmarkt garantieren kann und so zerfällt der Weltmarkt tendenziell in seine Einzelteile, d.h. der Weltmarkt beginnt sich zu segmentieren und in einzelne Fragmente zu zerfallen. Während im neoliberalen Weltmarkt sich das Wertgesetz tendenziell auf den Begriff bringt, beginnt im multipolaren Weltmarkt eine umgekehrte Bewegung, entfernt sich das Wertgesetz tendenziell immer weiter von seinem Begriff, nimmt der partielle Grad seiner Verwirklichung im Begriff ab. Doch niemals kann das Wertgesetz im Kapitalismus verschwinden, es transformiert sich nur in eine indirekte Form seines Seins- in die politische Staatsintervention. Im multipolaren Weltmarkt reguliert das Wertgesetz indirekt über die politische Staatsintervention die Weltmarktkonkurrenz, die eine imperialistische Blockkonkurrenz ist. Mit dem Zerfall des neoliberalen Weltmarktes bilden sich naturwüchsig imperialistische Blöcke heraus, die miteinander in Konkurrenz stehen. Jeder imperialistische Block zentriert sich um eine hegemoniale Metropole, welche den imperialistischen Großraum ordnet und diesen gegen andere imperialistische Großräume abgrenzt. Die Akkumulation bezieht sich zentral auf den eigenen imperialistischen Block, welcher in Konkurrenz zu jedem anderen imperialistischen Block steht, während die Innenbeziehungen ausgebaut werden, werden die Außenbeziehungen zu den anderen imperialistischen Blöcken abgebaut. Der Krieg, der imperialistische Krieg, ist eine notwendige Form der Weltmarktkonkurrenz, die sich in ökonomische und politische Konkurrenz verdoppelt. Der Krieg, der imperialistische Krieg, ist im multipolaren Weltmarkt die höchste Form in der Entwicklung des Wertgesetzes und kein Bruch mit dem Wertgesetz. Die Ausbreitung einer Kriegsökonomie und die Militarisierung der bürgerlichen Gesellschaft gehen mit den Akkumulationserfordernissen einher. Wenn es keinen „Weltpolizisten“ mehr gibt, ist jede Metropole auf sich allein gestellt, und muß sich sein „Recht“ erkämpfen. Das Faustrecht ist das zentrale Recht des multipolaren Weltmarktes, nach innen, wie nach außen. Jede Metropole muß versuchen, bei Strafe des Untergangs, die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette zu erobern. Es ist ein Kampf aller gegen alle, ein Kampf jeder gegen jeden, wie in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Der Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes führt nicht zurück vor 1989, sondern viel weiter zurück, in die Jahre vor 1945, konkret in die Jahre von 1900 bis 1945. Die Welt von Jalta und Potsdam endet spätestens im Februar 2022 auf den Schlachtfeldern der Ukraine, wo auch die US-Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette beerdigt wird.

Zuerst bildete sich die Form des neoliberalen Kapitalismus im US-Imperialismus und im britischen Imperialismus aus und die neoliberalen Tendenz griff von dort aus zuvor auf Chile und andere südamerikanische Staaten über, welche als soziales Labor für die Metropolen fungierten, bevor sie sich im britischen und US-Imperialismus verallgemeinerten. Dazu wurden demokratische Regierungen gestürzt und Militärdiktaturen etabliert. Am Anfang des Neoliberalismus stand Gewalt und Terror. Doch erst mit dem Zusammenbruch der bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten in Osteuropa begann der Siegeszug des neoliberalen Kapitalismus, zogen die anderen Metropolen langsam nach und es wurde unter der Hegemonie des US-Imperialismus weltweit die Klassenbeziehungen dereguliert. Mit der Verallgemeinerung des neoliberalen Weltmarktes zog sich auch die politische Gewalt als indirekter Ausdruck des Wertgesetzes zurück und überließ die Herrschaft über die Klassenbeziehungen der unmittelbaren Exekution des Wertgesetzes. „Demokratie“ und „Neoliberalismus“ gingen ab 1989 im wesentlichen Hand in Hand; nur bei bedeutenden Problemen griff der bürgerliche Staat gewaltsam ein. Erst der Zusammenbruch der bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten, welcher Ausdruck der Flexibilisierung des Weltmarktes war, führte zum neoliberalen Akkumulationsmodell.

Seit 1974/1975 befindet sich der Kapitalismus in einer historischen Krise und der Neoliberalismus war die Antwort des Kapitals auf diese historische Krise des Kapitalismus. Auch die bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten waren Momente des Weltmarktes und waren ebenfalls von der historischen Krise des Kapitalismus betroffen, welche sich in den bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten als Stagnation niederschlug. Gleichzeitig begann sich im Kapitalismus, vor allem im US-Imperialismus und im britischen Imperialismus, über die Deregulierung der Klassenbeziehungen tendenziell zu flexibilisieren und besonders gegenüber den bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten an Schlagkraft zu gewinnen. Dies führte zur tendenziellen Zersetzung der bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten und zu ihrer Selbstaufgabe. Die Arbeiterbürokratie organisierte die „demokratische“ Konterrevolution und transformierte sich in eine neue Bourgeoisie. Der Zusammenbruch der Sowjetunion ließ den russischen Imperialismus wiedererstehen. Damit ist die Wiederauferstehung des russischen Imperialismus ein notwendiges Produkt des Zusammenbruchs der bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten in Osteuropa, neben der vollständigen Rekapitalisierung der Welt. Nun war der Weg frei für das neoliberale Akkumulationsmodell. Durch die Einbeziehung der ganzen Welt unmittelbar in den Weltmarkt konnte der Kapitalismus zeitweise seine Widersprüche mildern und der US-Imperialismus garantierte den Weltmarkt zu seinem Nutzen und dem Nutzen aller Metropolen, natürlich in abgestufter Form. Mit der Zeit jedoch wurde der neoliberale Weltmarkt zu Fessel für die Entwicklung des russischen Imperialismus, wie auch für die Entwicklung des chinesischen Kapitalismus. Während der russische Imperialismus sich am Rande des neoliberalen Weltmarktes aufhielt, marschierte China ins Zentrum des neoliberalen Weltmarktes und nahm dabei enge Fühlung mit dem US-Imperialismus auf. Es gab objektiv eine enge sino-US-amerikanische Zusammenarbeit, , welche zum Motor des neoliberalen Weltmarktes wurde und Chinas Aufstieg vorantrieb. China wurde zur Weltfabrik und der US-Imperialismus zum Importeuer der letzten Instanz und zum Weltbankier. Die US-Mehrwertproduktion wurde zu großen Teilen nach China ausgelagert. Mit dem Marsch Chinas ins Herz des neoliberalen Weltmarktes rekapitalisierte sich auch China. Die USA wurde der wichtigste Exportmarkt für China, während der US-Imperialismus zum größten Importeuer chinesischer Waren wurde. Durch die Dollarkäufe finanzierte China das immer größer werdende US-Handelsdefizit, stützte den US-Dollar als Weltgeld, finanzierte die US-Aufrüstung, denn der US-Dollar als Weltgeld ermöglicht der USA die Verschuldung in eigener Währung. Gleichzeitig wurde der US-Imperialismus durch seine enorme Verschuldung zum Importeuer der letzten Instanz und stabilisierte auf diese Weise den neoliberalen Weltmarkt. Die Exporteure (und damit auch China) häuften hohe Dollarforderungen an, während der US-Imperialismus die Waren verkonsumierte. Dieses Verhältnis trieb die Entwicklung des fiktiven Kapitals voran. Die Schwäche der US-Mehrwertproduktion jedoch wird zunehmend zum Problem des neoliberalen Weltmarktes, denn dem fiktiven Kapital steht kein Wert gegenüber. Nur der US-Dollar als Weltgeld und damit als letzter Nagel des US-Imperialismus, garantiert den neoliberalen Weltmarkt. Um das neoliberale Verhältnis, welches im Kern das Verhältnis USA-China ist, aufrechtzuerhalten, muß das fiktive Kapital mit Wert unterfüttert werden, damit die Hegemonie des US-Imperialismus verteidigt werden kann. Auf diesem Wege soll auch gleichzeitig Rußland und China unter Kontrolle gehalten werden, denn der Pfad der Unterfütterung des US-Dollars mit Wert verläuft über die Kolonialkriege im Mittleren Osten, deren Ziel es ist, die strategischen Rohstoffe unter US-Kontrolle zu halten bzw. zu bringen. Der Kern des US-Dollars als Weltgeld ist die Fakturierung des Öls in US-Dollar durch die Golfstaaten und die Anlage der Dollarguthaben in den USA (Petro-Dollar). Erst die massenhafte Anlage der US-Dollarguthaben in den USA durch die Golfstaaten macht den US-Dollar zum Weltgeld und macht den Weg frei für den US-Dollar als weltweite Transaktionswährung für Öl etc, denn es wird gleichzeitig auf diesem Wege ein internationales Finanzsystem aufgebaut. Der US-Dollar als (Öl-) Transaktionswährung ist nur die Krönung des US-Dollars als Weltgeld. Im US-Dollar als Weltgeld konzentriert sich das internationalisierte US-Finanzsystem. Nach dem Ende von Bretton Woods wurde der US-Dollar an das Öl gebunden. So richten sich die US-Kolonialkriege im Mittleren Osten und in Zentralasien nicht nur gegen die Staaten der Peripherie, sondern gleichzeitig und vor allem gegen China und Rußland und immer mehr wird dann der neoliberale Weltmarkt zur Fessel des russischen Imperialismus und auch zur Fessel für China. Konsequent unterstützen dann der russische Imperialismus und China die Staaten der Peripherie, welche vom US-Imperialismus angegriffen werden und so scheitern letztlich die US-Kolonialkriege des US-Imperialismus. Damit scheitert die US-Politik über direkte politische Interventionen die Schwäche der US-Mehrwertproduktion zu kompensieren. Es gelingt damit auch nicht mehr, das fiktive Kapital mit Wert zu unterfüttern und so wird das Mißverhältnis zwischen mehrwertheckenden Kapital und fiktiven Kapital gewaltsam wieder in ein Gleichgewicht gebracht. Mitte September 2008 bricht die Wall Street zusammen. Die historische Krise des Kapitalismus seit 1974/1975 transformiert sich in die Große Krise, die bis zum heutigen Tage nicht überwunden wurde. Zwar konnte knapp in den Jahren 2008/2009 der totale Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes verhindert werden, doch nur um den Preis einer Stagnation; die Dynamik des neoliberalen Weltmarktes war gebrochen, er begann zu verfaulen und zu verwesen. Die Stagnation des neoliberalen Weltmarktes zerbricht dann den neoliberalen Weltmarkt und damit das den neoliberalen Weltmarkt konstituierende Verhältnis USA-China. Das objektive Bündnis USA-China transformiert sich notwendig in ein Feindverhältnis. Solange der neoliberale Weltmarkt expandierte ertrugen Rußland und China die Fesseln des neoliberalen Weltmarktes, jedoch unter einem stagnativen neoliberalen Weltmarkt beginnen die Fesseln zu schmerzen und Rußland, wie auch China, beginnen sich ab dem Jahr 2009 langsam von dem neoliberalen Weltmarkt zu befreien. China stärkte seine Binnenkonjunktur und stabilisiert nicht nur sich, sondern auch den neoliberalen Weltmarkt, d.h. China beginnt tendenziell den neoliberalen Weltmarkt zu garantieren und verdrängt damit objektiv den US-Imperialismus als Garantiemacht desselben. Hier liegt der Beginn der Feindschaft des US-Imperialismus gegen China. Das Verhältnis USA-China verschlechtert sich und ist nun ein offenes Feindverhältnis. Ebenso bricht der russische Imperialismus seit 2009 immer deutlicher aus dem neoliberalen Weltmarkt aus und dies schneller und offener als China, denn Rußland steht am Rande des neoliberalen Weltmarktes und muß weniger Rücksicht auf den US-Imperialismus nehmen als China, welches ins Herz des neoliberalen Weltmarktes vorgerückt und eng mit den USA verflochten ist. Die Widersprüche innerhalb der imperialistischen Kette eskalieren notwendig. Während die imperialistische Konkurrenz über Kolonialkriege im Mittleren Osten ausgetragen wird, erfolgt der qualitative Sprung der imperialistischen Konkurrenz mit der Ukraine-Frage im Jahr 2013. Damit erreicht die imperialistische Konkurrenz Europa und damit schlägt die mittelbare imperialistische Konkurrenz in eine unmittelbare imperialistische Konkurrenz um und wird immer explosiver. Der qualitative Umschlag des imperialistischen neoliberalen Kolonialkrieges gegen die Peripherie in den imperialistischen Krieg der Metropolen der imperialistischen Kette untereinander bezeichnet den konkreten Punkt, den präzisen Einschnitt, des qualitativen Umschlags vom neoliberalen Weltmarkt in den multipolaren Weltmarkt. Dieser multipolare Weltmarkt ist materiell konstitutiv durchzogen von einer Kette von imperialistischen Kriegen und/oder dem Dritten Weltkrieg. Der Kampf um die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette wird bis zum äußersten geführt. Die Kette von imperialistischen Kriegen, die immer mehr imperialistische Stellvertreterkriege sind, radikalisieren die imperialistischen Blöcke, so daß auch ein Dritter Weltkrieg nicht ausgeschlossen ist, d.h. der Dritte Weltkrieg wäre kein „Unfall“, kein Zufall, sondern die Fortsetzung der imperialistischen Stellvertreterkriege auf höherer Stufenleiter, ein qualitativer Sprung konzentriert im Dritten Weltkrieg. In der Tendenz treiben die imperialistischen Stellvertreterkriege einem Dritten Weltkrieg zu, wenn es der Arbeiterklasse nicht gelingt, den Kapitalismus zu stürzen. Auf keinen Fall steht der multipolare Weltmarkt für eine „friedliche Koexistenz“ der imperialistischen Metropolen. Jede Metropole kämpft um ihr Überleben bei Strafe des Untergangs. Bündnisse sind von kurzer Dauer und der „Frieden“ bereitet den nächsten Krieg vor. Der „Frieden“ ist nur eine Unterbrechung des imperialistischen Krieges.

Protektionismus prägt den multipolaren Weltmarkt und der Protektionismus bereitet den Wirtschaftskrieg vor. Der Wirtschaftskrieg ist die Fortsetzung der durchschnittlichen Weltmarktkonkurrenz mit anderen Mitteln, bereitet den kapitalistischen und imperialistischen Krieg vor, der ebenfalls nur eine Fortsetzung der kapitalistischen Konkurrenz ist und diese krönt. Nicht der Wirtschaftskrieg schafft die Krise, sondern die Krise erschafft den Wirtschaftskrieg. Im Wirtschaftskrieg findet der aktuelle Krisenschub der Großen Krise, die Tendenzen zur massenhaften Entwertung des Kapitals nur seinen politischen Ausdruck an der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, was sich konkret in den inflationären Tendenzen niederschlägt, welche mit deutlichen Zinserhöhungen bekämpft werden und die Entwertung wieder in ihre klassischen Bahnen zurückbringt. Im Wertverhältnis ist materiell der Klassenkampf, wie auch gleichzeitig der Krieg, gegründet. Der Wirtschaftskrieg ist nur eine Vorform des imperialistischen Krieges und treibt diesen voran, d.h. er ist keine „sanfte“ Form des Krieges, sondern im schlimmsten Fall eine Belagerung mit „Hungerkrieg“ und bereitet den offenen oder verdeckten Krieg vor. So wird der imperialistische Stellvertreterkrieg gleichzeitig mit Wirtschaftskrieg und Krieg geführt. Mittlerweile kann man von einem Weltwirtschaftskrieg sprechen. Es werden mehrere Wirtschaftskriege gleichzeitig geführt, die nicht identisch sind, aber doch letztlich sich zu einem Weltwirtschaftskrieg konzentrieren. Einmal der transatlantisch antirussische Wirtschaftskrieg und einmal der US-amerikanische anti-chinesische Wirtschaftskrieg. Noch ist es dem US-Imperialismus nicht gelungen, den US-amerikanischen antichinesischen Wirtschaftskrieg zu einem transatlantisch antichinesischen Wirtschaftskrieg zu transformieren, denn das EU-Bündnis und damit auch besonders der deutsche Imperialismus, zögern in dieser Frage, denn die Akkumulationsbeziehungen sind zu China als Weltfabrik sehr eng. Es droht ein weiteres Reißen der Lieferketten. Doch der US-Imperialismus erhöht den Druck auf das EU-Bündnis. Während das EU-Bündnis in der transatlantischen Front gegen den russischen Imperialismus erheblich verliert und das EU- Kapital droht, in die USA abzufließen, bereitet der US-Imperialismus den Wirtschaftskrieg gegen die EU und dem deutschen Imperialismus vor, in dem es dem EU-Kapital Sonderbedingungen anbietet. Es ist offen, ob die EU und der deutsche Imperialismus sich gegen den US-Imperialismus offen zur Wehr setzen, nicht nur formal und in Worten, sondern in harten anti-US-amerikanischen Sanktionen. Dieser US-Wirtschaftskrieg gegen die EU und somit auch besonders gegen den deutschen Imperialismus, erhöht den Druck auf die EU-Metropolen, sich dem US-antichinesischen Wirtschaftskrieg anzuschließen, denn in diesem Fall könnte der US-Imperialismus seinen Frieden mit dem EU-Bündnis schließen. Die Tiefe der Krise in den EU-Metropolen würde sich bei einem gleichzeitigen Wirtschaftskrieg gegen Rußland und China noch einmal deutlich zunehmen. Eine schlechte Alternative wäre ein gleichzeitiger Wirtschaftskrieg der EU-Metropolen gegen Rußland und die USA. Auch dies würde die gegenwärtigen Krise erheblich vertiefen. Doch niemand weiß, ob der US-Imperialismus zu seinen Zugeständnissen gegenüber den EU-Metropolen im Falle eines US-EU Wirtschaftskrieges gegen China steht und nicht plötzlich ebenso einen Wirtschaftskrieg gegen die EU führt. Im schlimmsten Fall muß der deutsche Imperialismus gleichzeitig einen Wirtschaftskrieg gegen Rußland, China und die USA führen und würde daran scheitern. Sollte der deutsche Imperialismus beschließen, gegen den US-Imperialismus Widerstand zu leisten, wird die EU als Ergänzungsraum des deutschen Imperialismus dafür nicht ausreichen, es bedürfte dann ein zweites Rapallo mit Rußland und zusätzlich eine Verständigung mit China, also eine drastische Umkehrung der bisherigen Politik. Die EU und der deutsche Imperialismus werden langsam zwischen den Fronten zerrieben, wenn sie sich nicht neu orientieren. Während der deutsche Imperialismus einen Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus führt, führt der US-Imperialismus einen Wirtschaftskrieg gegen den russischen Imperialismus, einen Wirtschaftskrieg gegen den deutschen Imperialismus und einen Wirtschaftskrieg gegen China. Auch der deutsche Imperialismus ist für den US-Imperialismus der Feind, während bis jetzt der deutsche Imperialismus sich in der Illusion wiegt, im US-Imperialismus einen „Freund“ gefunden zu haben, einen Großen Bruder, der seine schützende Hand über den deutschen Imperialismus hält.

Es gelingt dem US-Imperialismus nicht, über Krieg und Wirtschaftskrieg sich zu stabilisieren, sein fiktives Kapital mit Wert zu unterfüttern, was sich im Zusammenbruch der Silicon-Valley Bank äußert, welche weitere Banken mitreißt und dem bürgerlichen Staat zwingt, die Banken mit Steuergeld und/oder einer Ausweitung der Geldmenge zu retten, bevor die Krise auf das gesamte Finanzsystem übergreift und zu einem zweiten 2008 wird. Auch die Sprengung der Nord-Stream II-Pipelines durch die USA in der Ostsee war nur ein kurzfristiger Erfolg und spülte neuen Werte in das US-Finanzsystem, denn nun mußte das deutsche Kapital US-Fracking-Gas zu höheren Kosten importieren, statt wohlfeileres Gas aus Rußland. Doch auch dies reicht nicht aus, um das überproportional wachsende US-fiktive Kapital mit Wert zu unterfüttern. Die ganze Ukraine mit ihrem Reichtum an Rohstoffen muß es sein. Doch der US/NATO-Krieg in der Ukraine scheitert. Mit einer „Mini-Stalingrad“ Strategie zerstört der russische Imperialismus die Donbass-Front der NATO-Ukraine. Erst später sind russische Militäroperationen westlich des Donbass zu erwarten. Die russische Militärstrategie setzt nicht auf Blitzkrieg oder Geländegewinne, sondern auf das maximale Töten des Feindes und auf die langsame Auflösung der ukrainischen Gesellschaft und nicht nur auf die Auflösung des ukrainischen Staates, um die Ukraine, ihre Gesellschaft, in die russische Gesellschaft einzugliedern. Das ukrainische Militär kann sich nicht in die Tiefe zurückziehen, denn nach der üblichen NATO-Strategie wird auf eine „Vorneverteidigung“ gesetzt, gleichzeitig sind die ukrainischen Verluste so hoch, daß jetzt gar eine Volkssturm-Mobilisierung durchgeführt wird. Je länger der Krieg, desto stärker wird Rußland militärisch, politisch und ökonomisch und desto schwächer wird der US-Imperialismus, was zur Folge hat, daß die Ukraine nicht für die Unterfütterung des US-fiktiven Kapitals herhalten kann und das internationale US-Finanzsystem immer tiefer in die Krise gerät. Der US-NATO-Krieg in der Ukraine ernährt das internationale US-Finanzsystem, wenn er siegreich ist, wenn er nicht siegreich ist, droht er zum Grab des internationalen US-Finanzsystems zu werden. Vermittelt über den imperialistischen Stellvertreterkrieg in der Ukraine und damit auch den Wirtschaftskrieg, bricht sich die Überakkumulation des Kapitals Bahn. Durch den Wirtschaftskrieg wird der neoliberale Weltmarkt zerstört, was sich in den inflationären Tendenzen materialisiert, welche sich schon nach der Corona-Krise ausbreiteten und im Jahr 2022 explodierten. Dies führt zur Erhöhung der Zinsen, was die Akkumulation der Mehrwertproduktion reduziert und dem Finanzsystem eine große Quantität an faulen Krediten aufbürdet. Die Banken zerbrechen an dieser Entwicklung. Wenn sie zusätzlich noch im spekulativen Geschäft tätig waren und kurzfristige Gelder langfristig angelegt haben, ist dies nur der Auslöser, aber nicht der Grund des Zusammenbruchs. Das internationale Bankensystem beginnt mit den steigenden Zinsen zu wanken und die ansteigenden Zinsen sind ein Produkt des transatlantisch antirussischen Wirtschaftskrieges, welcher selbst das Resultat der Großen Krise des Kapitalismus ist. Auch die Deutsche Bank steht kurz vor dem Zusammenbruch und kann auch den deutschen Imperialismus und die gesamte Euro-Zone in eine tiefe Krise stürzen. Die gesamte Immobilienspekulation wickelt sich ab, denn die Immobilienblase ist geplatzt, was das internationale Bankensystem in den Abgrund reißen könnte. In China bricht der Immobilienkonzern Evergrande, der seit Jahren kurz vor dem Ende steht, nun endgültig zusammen und erhöht die Gefahren im internationalen Finanzsystem.

Umso mehr der US-Imperialismus sich im Stellvertreterkrieg gegen den russischen Imperialismus in der Ukraine engagiert, desto mehr zerbricht die US-Hegemonie, da der imperialistische Zugriff der USA auf den Mittleren Osten immer schwächer wird und dieser unter russischen und chinesischen Einfluß gerät. Es gelingt China eine tendenzielle Annäherung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien auszuhandeln, was zu einem Ende des Jemen-Krieges führen könnte, wo sich der Iran und Saudi-Arabien gegenüberstehen. Gleichzeitig nimmt Saudi-Arabien wieder diplomatische Beziehungen mit Syrien auf. Damit werden Israel und die USA aus dem Mittleren Osten immer weiter zurückgedrängt. Der US-Imperialismus wird versuchen, diesen Neuordnungsprozeß im Mittleren Osten zu sabotieren. Rußland bindet den Iran enger an sich und organisiert einen Transportkorridor über den Iran nach Indien, während China dabei ist, einen iranisch-saudischen Ausgleich auszuhandeln. Saudi-Arabien sieht sich von den USA an den Rand gedrängt, denn der Jemen-Krieg läuft nicht gut für Saudi-Arabien und Raketenangriffe haben mehrmals die Öl-und Gas-Infrastruktur erheblich beschädigt, während sich die USA mit militärischer und sonstiger Hilfe zurückhalten, da die US-Ressourcen auf die Ukraine konzentriert werden. Aus diesem Grund schwenkt Saudi-Arabien tendenziell auf einen russisch-chinesischen Kurs ein und drohen mit dem Petro-Dollar zu Gunsten eines Petro-Yuan zu brechen. Die Niederlage des US-Imperialismus in Afghanistan und die sich abzeichnende US-Niederlage in der Ukraine bei gleichzeitigem engeren Zusammenschluß zwischen Rußland und China reduziert den US-Einfluß im Mittleren Osten drastisch und auch deutlich im Fernen Osten gegen China. In Zukunft wird sich der US-Imperialismus auf China und den Fernen Osten, wie die Pazifik-Region konzentrieren müssen, denn für mehr reichen die Kräfte nicht mehr aus. Der Ukraine-Krieg schwächt den US-Imperialismus und eine Niederlage im Ukraine-Krieg setzt den Niedergang verstärkt fort, denn dieser Gesichtsverlust kann nicht kompensiert werden.

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Im Stellvertreterkrieg in der Ukraine konzentrieren sich die derzeitigen Widersprüche des sich gerade herausbildenden multipolaren Weltmarktes. Die aggressive Politik des deutschen Imperialismus gegen den russischen Imperialismus kann jedoch nicht auf die Politik des US-Imperialismus reduziert werden, denn sie entspringt den eigenen imperialistischen Interessen des deutschen Kapitals nach „Lebensraum“ bzw. Akkumulationsraum, um den deutschen Weltmarktanteil am Weltmarkt zu erhöhen. Osteuropa und auch Rußland dienen dem deutschen Imperialismus als Ergänzungsraum, von wo aus wohlfeil Rohstoffe, auch Energierohstoffe, bezogen werden, wie auch Halbfabrikate. Je schwächer der russische Imperialismus ist, desto wohlfeiler die Rohstoffe aller Art. Dies versuchte das deutsche Kapital im einer „gegenseitigen“ ökonomischen Durchdringung bzw. Verflechtung des deutschen mit dem russischen Kapital bei gleichzeitiger aggressiver EU- und NATO- Erweiterung zu erreichen. Die gegenseitige ökonomische Verflechtung des deutschen mit dem russischen Kapital, diese „freundschaftlichen“ Beziehungen, stellen nur die Deckung für die aggressive NATO und EU-Osterweiterung dar. Während versucht wurde, das russische Kapital positiv an die NATO und EU heranzuführen, arbeitet man gleichzeitig durch die NATO und EU-Osterweiterung an der Schwächung des russischen Kapitals, um die Rohstoffe noch wohlfeiler zu beziehen und dadurch zu Lasten des russischen Kapitals. Mit dieser Politik versuchte der deutsche Imperialismus den russischen Imperialismus auf die untergeordnete Rolle eines Rohstoffproduzenten festzulegen, denn die Rohstoffproduzenten weisen im neoliberalen Weltmarkt eine negative Terms of trade aus und können nur durch den Export von strategischen Rohstoffen tendenziell in der kapitalistischen Entwicklung mithalten. Auf keinen Fall akzeptierte der deutsche Imperialismus den russischen Imperialismus auf Augenhöhe. Diese Politik war nur möglich, weil der deutsche Imperialismus die EU und die NATO und damit den US-Imperialismus hinter sich glaubt und mußte notwendig zum Zusammenstoß mit dem russischen Imperialismus führen. Der konkrete Anlaß für diesen imperialistischen Zusammenstoß war die Ukraine-Frage. Der NATO-Massenputsch vom Jahr 2014 in der Ukraine, um diese in die NATO und EU zu führen, scheiterte, die strategisch wichtige Krim spaltete sich ab und lief zu Rußland über, während in der Südostukraine sich der Bürgerkrieg entwickelte, der dann im Februar 2022 zu einem offenen Krieg zwischen dem russischen Imperialismus und den transatlantischen Metropolen umschlug. Für den russischen Imperialismus ist die Ukraine die rote Linie. Wer Kiew hat, kann Moskau zwingen. Die Ausdehnung der EU und NATO auf die Ukraine mußte notwendig zum Krieg führen, der Bürgerkrieg in der Ukraine selbst ist schon das Ergebnis der Ostausdehnung von EU und NATO. Der Ukraine-Krieg ist ein NATO-Rußland Krieg, ein Stellvertreterkrieg zwischen Rußland und dem NATO-Pakt auf dem Territorium der Ukraine und damit der erste Krieg des multipolaren Weltmarktes, der multipolaren Weltordnung. Ein Krieg um die imperialistische Neuordnung des Weltmarktes, welcher den US-Imperialismus offen als Hegemon stürzt. Hätte der US-Imperialismus noch die Hegemonie innerhalb der imperialistischen Kette inne, würde es den Ukraine-Krieg nicht geben. Scheitert der transatlantische Block in der Ukraine, scheitert auch der deutsche Imperialismus in der Ukraine. Das deutsche Kapital hat ein originäres Interesse an der Ukraine, an den strategischen Rohstoffen für die „Energiewende“, d.h. für die „Digitalisierung“ des kapitalistischen Produktionsprozesses, wie auch an den großen agrarwirtschaftlichen Potenzen der Ukraine, an dem möglichen ukrainischen Fracking-Gas, wie auch an der Möglichkeit, Rußland von der Ukraine aus militärisch zu bedrohen und so wohlfeile Rohstoffpreise dem russischen Kapital abzutrotzen. Aus diesem Grund verbindet sich der deutsche Imperialismus über die EU mit der Ukraine zu einer „Rohstoffpartnerschaft“ Eine weitere „Rohstoffpartnerschaft“ gibt es nur noch mit Kanada. Mit der Ukraine geht dann auch die „Rohstoffpartnerschaft“ zu Grunde und die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse über den Einsatz KI-Systemen (Künstliche Intelligenz als höchste Form der Digitalisierung des kapitalistischen Produktionsprozesses) würde stocken und die EU-Metropolen würden hinter den USA, China und Rußland in der Weltmarktkonkurrenz zurückfallen. Wenn dem deutschen Imperialismus die strategischen Rohstoffe vorenthalten werden, hier besonders auch die Energierohstoffe, droht der deutsche Imperialismus mit Krieg. Dabei muß die Kriegsdrohung nicht ausgesprochen werden, sie liegt in der Natur der Sache, in den Zwängen der Akkumulation. Alternativ ist auch eine Verständigung mit dem russischen Imperialismus möglich. Doch welchen Weg das deutsche Kapital einschlagen wird, ist offen, ist im deutschen Kapital selbst umkämpft. Entweder muß sich der deutsche Imperialismus mit dem russischen Imperialismus einigen oder versuchen, alleine oder im Bündnis mit anderen Staaten, den russischen Imperialismus im Krieg zu besiegen und sich durch Eroberung die strategischen Rohstoffvorkommen anzueignen.

Der Ukraine-Krieg reflektiert den Niedergang des transatlantischen Imperialismus, was sich an dem Einflußverlust des US-Imperialismus im Mittleren Osten ablesen läßt, denn der Zugriff auf die strategischen Rohstoffe Erdöl und Erdgas, welche auch den US-Dollar mit Wert unterfüttern sollen, geht tendenziell immer mehr verloren. Dagegen setzt der transatlantische Imperialismus auf seine Autarkie von fossilen Energieträgern, um die Bedeutung des Mittleren Ostens zu reduzieren. Doch ein „nicht fossiler Kapitalismus“, „nicht fossiler Imperialismus,“ benötigt für die digitale Energiewende, welche auf „erneuerbare Energie“ setzt, Rohstoffe, konkret Metalle, welche nun ebenfalls zu strategischen Rohstoffen erklärt werden. Man löst sich aus der Abhängigkeit von Öl und Gas und tauscht diese in eine Abhängigkeit von Metallen ein. Diese Metalle gibt es nicht ausreichend derzeit bzw. wenn, dann teilweise in China oder in Rußland oder in der Ukraine. Der Ukraine-Krieg ist auch ein Krieg um seltene Metalle, ohne die einer „nicht-fossile Energiewende“ unmöglich ist. Auf der einen Seite beanspruchen Rußland und China diese Metalle in der Ukraine und auf der anderen Seite der transatlantische Imperialismus. Auf den Schlachtfeldern der Ukraine wird ausgekämpft, wer die Kontrolle über diese neuen strategischen Rohstoffe ausüben wird, wobei der russische Imperialismus der Sieger sein wird. Der deutsche Imperialismus kann zwar seine strategischen Rohstoffe (Öl und Gas), die er zentral vom russischen Imperialismus bezieht gegen Metalle austauschen, substituieren, nicht aber seinen zentralen Lieferanten. Einen Ersatz kann kein anderer Lieferant bieten. Entweder der deutsche Imperialismus akzeptiert den russischen Imperialismus als Lieferanten oder aber, er muß zum imperialistischen Raubkrieg übergehen. Die neuen Metalle für die „erneuerbare Energie“ sind das Öl und das Gas von morgen und damit der Grund für imperialistische Kriege oder einem möglichen Dritten Weltkrieg, sie sind nicht Teil einer Lösung, sondern Teil eines Problems, welcher Kapitalismus heißt, auch sie dienen konkret der Unterfütterung des fiktiven Kapitals mit Wert, denn der Zugriff des US-Imperialismus auf die strategischen Rohstoffe Öl und Erdgas schwindet und so sind dann die Metalle das Erstzöl und das Erstzgas für das fiktive Kapital des US-Imperialismus und ihre Gewinnung im Kapitalismus genauso umweltschädlich wie die Förderung von Gas oder Öl. Energiewende heißt unter den Bedingungen des Kapitalismus in letzter Instanz Dritter Weltkrieg. Der „ökologische“ Imperialismus ist nicht besser als der „fossile Imperialismus“ und auch nicht friedlicher.

Nur eins kann der deutsche Imperialismus nicht. Auf der Stelle stehen bleiben, während sich die Welt in einer historischen „Wende“ befindet. Die derzeitige „Wende von 2022“ steht der „Wende von 1989“ in Nichts nach. Wie im Jahr 1989 muß sich auch der deutsche Imperialismus im Jahr 2022 grundsätzlich neu orientieren. Doch diese Neuorientierung des deutschen Imperialismus ist sehr holprig und unsicher, denn der deutsche Imperialismus wurde vom Ukraine-Krieg überrascht, da die Abschreckungswirkung des NATO-Paktes und der EU zu hoch angesetzt und die Interessen des russischen Imperialismus nicht ernst genommen wurde, weil man sich in einer stärkeren Position wähnte. Auch der deutsche Imperialismus verteidigt, wie der transatlantische Imperialismus überhaupt, in der Ukraine ein nicht mehr existierender Status quo. Nicht der Ukraine-Krieg ist verantwortlich für den Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes, sondern der Zusammenbruch des neoliberalen Weltmarktes ist verantwortlich für den Ukraine-Krieg. Die multipolare Weltordnung ist eine Ordnung des multipolaren Krieges. Der imperialistische multipolare Krieg ist ein Instrument des Kapitals, um den Weltmarkt neu zu ordnen. Ohne den imperialistischen Krieg kann der Weltmarkt nicht neu geordnet werden, d.h. ohne den imperialistischen Krieg läßt sich die Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse nicht realisieren. Auf jeden Fall ist die multipolare Weltordnung keine Weltordnung des Friedens, sondern eine Weltordnung des imperialistischen Krieges und auch der deutsche Imperialismus wird sich dort seinen Platz erkämpfen müssen und das richtet sich nicht nur gegen den russischen Imperialismus, sondern auch gleichzeitig an alle anderen EU-Metropolen und dem US-Imperialismus, wie auch an China. Die historische Entwicklung treibt den deutschen Imperialismus hin auf seinen „deutschen Sonderweg“, der Schaukelpolitik zwischen West und Ost und damit zu seinem „Mitteleuropa-Programm“. Das Ende von Jalta und Potsdam ist auch das Ende der Westbindung und dies führt notwendig zu einer verstärkten Aufrüstung und perspektivisch auch zur Aktivierung der Wehrpflicht, was dann auch wiederum den Zivildienst aktiviert. Der „äußere Feind“ steht nicht mehr ausschließlich im Osten, sondern ebenso im Westen oder Süden. Entscheidet Rußland den Ukraine- Krieg für sich, ist die neoliberale transatlantische Weltordnung offen zerschlagen, dann brechen die Widersprüche in der EU und im NATO-Pakt offen aus und diese beginnen sich langsam zu zersetzen. Ein russischer Sieg in der Ukraine wäre ein Sieg über den US-Imperialismus, ein Sieg über die NATO- EU und damit auch ein Sieg über den deutschen Imperialismus, ein Sieg, der weltweite Auswirkungen nach sich zieht. Der US-Imperialismus wäre nicht nur in Europa in der Defensive, sondern auch in Asien gegen China. Gegen einen russisch-chinesischen Block hat der US-Imperialismus keine Chance und selbst der NATO-EU Block ist dazu kaum in der Lage mitzuhalten. Umso tiefer sich der US-Imperialismus in der Ukraine verstrickt, desto schwächer wird er gegen China. Zieht sich der US-Imperialismus aus den ukrainischen Verstrickungen zurück und konzentriert sich auf Asien, dehnt sich der Einfluß des russischen Imperialismus in Europa aus, denn die westeuropäischen Metropolen sind zu schwach, um einen abziehenden US-Einfluß zu kompensieren. Die Zwischenwahlen in den USA im November 2022 führten zu einem Sieg der Republikanischen Partei im Repräsentantenhaus, der wichtigsten Parlamentskammer im politischen System der USA, und stärken vor allem die Fraktion des US-Kapitals, welches in China den zentralen Feind sieht und nicht Rußland. Es werden die Widersprüche zwischen dem US-Imperialismus und China eskalieren, zusätzlich zu den US-russischen Widersprüchen und damit wächst auch der Druck auf den deutschen Imperialismus und die EU-Metropolen mit China zu brechen, was schwerwiegende Folgen für die EU-Staaten und auch für Deutschland hätte. Ein republikanisch kontrolliertes Repräsentantenhaus verurteilt den US- Präsidenten zur „lahmen Ente“, seine Gestaltungsmacht auf allen politischen Feldern sinkt beträchtlich. Es droht damit auch eine gegenseitige Blockade in der Erhöhung des Limits für die die Staatschulden. Die republikanische Mehrheit will einer Erhöhung der Staatsschulden nur dann zustimmen, wenn die US-Regierung Sozialkürzungen verfügt. Wie immer diese Angelegenheit auch ausgeht, deutlich ist, daß der US-Imperialismus unberechenbar wird. Eine Blockade des US-Staates über das Repräsentantenhaus kann nur über eine Radikalisierung der US-Politik realisiert werden, d.h. Radikalisierung der Ukraine-Politik etc. nur dann, wenn auch eine Radikalisierung in der China-Politik eingeleitet wird. Dann wird auch an dem deutschen Imperialismus die Forderung ergehen, mit China zu brechen. Schon jetzt wird im deutschen bürgerlichen Staat der Bruch mit China diskutiert. Das deutsche Kapital verliert durch den transatlantisch antirussischen Wirtschaftskrieg seine Märkte und der potentielle antichinesische Wirtschaftskrieg wirkt sich schon jetzt negativ auf die Akkumulationsrate aus, weitere Märkte, Bezugsmärkte, wie Exportmärkte, sind bedroht. Der hohe Weltmarktanteil des deutschen Kapitals ist nur möglich bei einem relativ offenen Weltmarkt. Derzeit weist der deutsche Imperialismus keine militärische Schlagkraft im Verhältnis zur ökonomischen Schlagkraft aus. Bisher konnte der deutsche Imperialismus seine Interessen über seinen ökonomischen Einfluß durchsetzen, jedoch jetzt reicht dies nicht mehr aus. Im antirussischen Wirtschaftskrieg radikalisiert sich die ökonomische Politik des deutschen Imperialismus und kommt damit an ihre Grenzen. Im Wirtschaftskrieg können Staaten der Peripherie niedergerungen werden, nicht jedoch Metropolen der imperialistischen Kette. Ein innerimperialistischer Wirtschaftskrieg hat gewaltige Rückwirkungen auf die Akkumulation des deutschen Kapitals, Rückwirkungen, die der deutsche Imperialismus unterschätzt hat. Ein Wirtschaftskrieg zerstört auch die bisher wichtigste Waffe des deutschen Imperialismus- die Exportwaffe. Die große Aufrüstung des deutschen Imperialismus ist die Einsicht, daß alleine die deutsche Exportwaffe nicht ausreicht, um den Weltmarktanteil des deutschen Kapitals zu verteidigen. Ohne militärische Macht hat der deutsche Imperialismus im Rahmen des multipolaren Weltmarktes-multipolare Weltordnung keine Chance seine Interessen international durchzusetzen. Im transatlantisch antirussischen Wirtschaftskrieg befindet sich das deutsche Kapital nun in der Defensive und es droht gar eine totale Niederlage in der Ukraine-Frage. Diese Niederlage gegen den russischen Imperialismus wird die deutsche Aufrüstung forcieren und dies geht zu Lasten der gesellschaftlich notwendigen Reproduktion der Arbeiterklasse. Kanonen statt Butter. Das ist die Entscheidung des deutschen Kapitals, welche durchgesetzt wird, wenn die Arbeiterklasse keinen entschlossenen Widerstand leistet. Der Haushalt des bürgerlichen Staates wird deutlich auf den militärisch-industriellen Komplex ausgerichtet, zu Lasten der Ausgabenposten für die kollektive Reproduktion der Ware Arbeitskraft. Aufrüstung meint auch Aufrüstung nach innen, denn nur dann kann die allgemeine Aufrüstung und damit die Aufrüstung gegen den „äußeren Feind“ realisiert werden. Will man den „äußeren Feind“ besiegen, muß man zuerst den „inneren Feind“ besiegen und der „innere Feind“ ist die Arbeiterklasse. Über eine politisch-ideologische Offensive wird auch die Arbeiterbürokratie und mit ihr die proletarischen Massenorganisationen im Sinne der multipolaren imperialistischen Aggression kurzgeschlossen, in der Selbstgleichschaltung gleichgeschaltet und damit die proletarischen Massenorganisationen zersetzt, indem diese nicht mehr als Interessenvermittler der Arbeiterklasse mit dem Kapital fungieren, sondern immer deutlicher die Kapitalinteressen unmittelbar in der Arbeiterklasse vertreten. Die Entfremdung der Massen von der Arbeiterbürokratie nimmt deutlich zu, was sich in der fallenden Mitgliederzahl der DGB-Gewerkschaften niederschlägt, also in der Entfremdung der Arbeiterklasse von ihren Organisationen und damit auf stummen Wege zur Atomisierung der Arbeiterklasse führt. Die Arbeiterklasse atomisiert sich selbst, da sie das Vertrauen in ihre Massenorganisationen verloren hat. Zum Verzicht bedarf es keiner Gewerkschaft, dann ist der Gewerkschaftsbeitrag überflüssig. Die Gewerkschaftsbürokratie zerstört über eine Politik des Verzichts die Gewerkschaften, zerstört sich somit selbst, denn sie verliert ihre materielle Basis und damit auch ihre Existenzberechtigung, ist ein politischer Selbstmord in der Hoffnung, auf den Einbau in den bürgerlichen Staat. Immer mehr fungiert der DGB als Arbeitsfront, statt als Gewerkschaft, denn die DGB-Bürokratie fühlt sich nicht mehr für ihre Mitgliedschaft verantwortlich, fühlt sich in erster Linie der Bourgeoisie verpflichtet, dem ideellen Gesamtkapitalisten, dem bürgerlichen Staat in Notstandsform und verteidigt die bürgerliche „nationale Sicherheit“ gegen die Arbeiterklasse. Die Gewerkschaftsbürokratie setzt auf Burgfrieden, statt auf Gegenmacht und Klassenkampf. Eine reformistisch- gewerkschaftliche Gegenmacht ist derzeit für das Kapital und für die Gewerkschaftsbürokratie eine Bedrohung der „nationalen Sicherheit“. Auch die Gewerkschaftsbürokratie sieht sich für die „nationale Sicherheit“ verantwortlich und verteidigt die „nationale Sicherheit“ gegen die Arbeiterklasse. Und die „nationale Sicherheit“ verlangt Verzicht von der Arbeiterklasse. Die „Nation“ verlangt Verzicht von der Arbeiterklasse. Nicht-Verzicht ist in den Augen des Kapitals „Extremismus“, gar „Terrorismus“, ein Verbrechen. Auf jeden Fall ist Nicht-Verzicht ein Angriff auf die „nationale Sicherheit“. Die Gewerkschaftsbürokratie stellt die „nationale Sicherheit“ höher als die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder, höher als die Interessen der Arbeiterklasse. Damit verliert derzeit die Arbeiterklasse ihre Ansprechpartner, ihre eigenen Organisationen und wird atomisiert. Die stärkste Waffe des Proletariats ist die Organisation des Proletariats und derzeit wird das Proletariat vom Kapital desorganisiert. Auch die anderen Organisationen, welche als Vermittler zwischen Arbeiterklasse und Kapital dienen, erklären sich für die Interessen des Proletariats nicht zuständig und kapitulieren vor der Bourgeoisie. Diese naturwüchsige und stumme Atomisierung der Arbeiterklasse wird spontan und sporadisch durch proletarische Revolten durchbrochen, welche dann wieder in sich zusammenfallen und die Atomisierung wiederherstellen. Nur organisierter Widerstand kann erfolgreich sein, aus diesem Grunde versucht die Bourgeoisie auch die proletarischen Organisationen zu desorganisieren und wird dabei die stumme Desorganisierung auch repressiv absichern, jeden Organisationsversuch repressiv unterbinden und stützt damit die proletarischen Massenorganisationen, welche zur Vorfeldorganisationen der „nationalen Sicherheit“ bzw. Arbeitsfronten mutiert sind. Hiermit versucht der bürgerliche Staat diese proletarischen Massenorganisationen repressiv zu stabilisieren und ideologisch zu legitimieren. Nur diese Organisationen werden vom bürgerlichen Staat und den Kapitalverbänden als Verhandlungspartner anerkannt. Es wird ihnen ein Vertretungsmonopol der Arbeiterklasse zugesprochen, unabhängig davon, ob die Arbeiterklasse diese Organisationen noch als die ihren anerkennt. Als erste Maßnahme gilt es von Seiten des bürgerlichen Staates, die Meinungsfreiheit drastisch zu begrenzen bzw. auszuschalten. Der multipolare Weltmarkt- multipolare Weltordnung kennt in jedem imperialistischen Block nur eine uniformierte Meinung, bzw. uniformierte öffentliche Meinung, welche der bürgerliche Staat vorgibt und somit Staatsmeinung ist, wenn sie die „nationale Sicherheit“ betrifft. In der gegenwärtigen Krise des nunmehrigen multipolaren Weltmarktes wird der Begriff der „nationalen Sicherheit“ weit ausgelegt und greift damit tief in die proletarische Meinungsbildung ein. Themen, welche nicht die „nationale Sicherheit“ bedrohen, können debattiert werden, nicht aber die zentralen Themen. Es bestimmt allein die Bourgeoisie, welches Thema zentral, bzw. zentral für die „nationale Sicherheit“ ist, dies ist die „neue Normalität“ seit dem „Corona-Notstand“ und gilt auch in dem tendenziellen Energienotstand. Seit dem „Corona-Notstand“ ist deutlich, daß jedes Gesetz unter Notstandsvorbehalt steht. Jederzeit kann ein offener oder verdeckter Notstand verhängt werden und so steht auch die öffentliche Meinungsbildung unter dem Notstandsvorbehalt bzw. unter dem Vorbehalt der „nationalen Sicherheit“. Auch eine Meinung kann die „nationale Sicherheit“ bedrohen. Und schon dies auszusprechen ist eine zumindest potentielle Gefährdung der „nationalen Sicherheit“ und kann damit als „Förderung des Extremismus und Terrorismus“ ausgelegt werden. Der Deutsche Herbst als vergangener „übergesetzlicher“ Notstand ist nicht tot, ist nicht abgelegte, staubige Geschichte, sondern lebt in Notstandszeiten wieder auf, ist eine äußerst lebendige und exemplarische Geschichte und Stammheim ist als Warnung der Bourgeoisie an die Arbeiterklasse wieder aktuell und mit Stammheim auch die Morde von Stammheim. Anhand dem Stammheim-Komplex ist zu ermessen, wie weit die deutsche und transatlantische Bourgeoisie bereit ist zu gehen, wenn sie die „nationale Sicherheit“ bedroht sieht und die „nationale Sicherheit“ der BRD umfaßt auch die transnationale Sicherheit der EU und des NATO-Paktes. Die „nationale Sicherheit“ der BRD ist gleich der transnationalen Sicherheit der NATO-EU. In der Tradition des Deutschen Herbstes gibt es „Meinungsverbrechen“ und „Kontaktschuld“, um repressiv gegen oppositionelle proletarische Subjekte als Träger einer oppositionellen Meinung, einer Anti-Staatssicherheitsmeinung, vorzugehen, um durch die ideologische und unter Umständen physische Trennung dieser oppositionellen proletarischen Subjekte von den Massen zu realisieren, damit sichergestellt ist, daß die Staatsmeinung auch die Meinung der Massen ist, bzw. an der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, daß sich die Staatsmeinung mit der Volksmeinung vollständig deckt. Nur dann, wenn offen oder verdeckt, die proletarischen Massenorganisationen als der Kern der Eroberungen der Arbeiterklasse im Kapitalismus, zerschlagen sind, ist die Arbeiterklasse atomisiert und erst jetzt kann die Arbeiterklasse vom gesellschaftlichen und individuellen Kapitalkommando im Sinne der Neuzusammensetzung des Kapitals in der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft neu zusammengesetzt werden, als Objekt und nicht als Subjekt im offensiven Klassenkampf der Arbeiterklasse. Die Uniformierung der Meinungsbildung wird durch die vielfältigen Formen der Zensur reguliert und ist die materielle Grundlage für die Uniformierung und innere Militarisierung der bürgerlichen Gesellschaft in der Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft mit dem Ziel der Selbstzensur, der Schere im Kopf bezüglich Bewußtsein und Verhalten. Das Ziel ist die soziale Figur des Untertan. Befehl und Gehorsam ersetzten die Vernunft, statt Rationalität regiert die Irrationalität. Über Befehle kann man nicht diskutieren, sie müssen exekutiert werden. Verweigert man die Exekution der Befehle, macht man sich des Ungehorsams, der Meuterei, schuldig und wird von den Institutionen der militarisierten bürgerlichen Gesellschaft in Form der Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft einer harten Strafe zugeführt, in letzter Konsequenz der physischen Vernichtung. Aber das Hauptproblem ist nicht Befehl und Gehorsam, sondern der vorauseilende Gehorsam. Das System von Befehl und Gehorsam erschafft den Komplex des vorauseilenden Gehorsams, der Selbstgleichschaltung in die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft, was für Organisationen, wie für Klassenindividuen gilt. Ein Befehl beruht auf Zwang, der mit einer scharfen Sanktion umgesetzt wird. Der Befehlsausführende exekutiert einen fremden Willen, auch notfalls gegen seinen eigenen Willen, er identifiziert sich nicht unbedingt mit dem Befehl und hat bei der Befehlsexekution deshalb Spielräume, weil ein Befehl nicht die gesamte konkrete Situation abdecken kann. Das mangelnde Eigeninteresse an der Befehlsexekution eröffnet Handlungsspielräume. Anders hingegen der vorauseilende Gehorsam; er ist der Gehorsam mit Eigeninteresse und schließt dadurch Handlungsspielräume aus, da nicht die Form des Befehls zählt, wie bei einer reinen Befehlsexekution, sondern aufgrund des Eigeninteresses auf den Inhalt des Befehls, der Intension des Befehls, abgestellt wird und dieser somit der konkreten Gesamtlage angepaßt wird. Der Wunsch wird zum Befehl, der Befehl zum Wunsch. Im vorauseilenden Gehorsam ist die Befehlsexekution nicht fremd zum formalen Befehl, sondern stimmt mit der Intension des Befehls überein, der eigene Wille trifft sich mit dem Willen des Befehlshabers in der Exekution des Befehls. Hinter dem vorauseilenden Gehorsam steht nicht die scharfe Sanktion, sondern das Eigeninteresse des Befehlsausführenden. Im Gehorsam des reinen Befehls kann sich der Befehlsausführende auf eine Notsituation berufen, wenn er nicht gehorcht, droht eine scharfe Sanktion. Jedoch liegt eine Notsituation im vorauseilenden Gehorsam nicht vor, denn dieser ist ein vom Eigeninteresse interpretierter Befehl und diese Befehlsexekution ist die allgemeine Befehlsexekution. Nur der interpretierte Befehl des vorauseilenden Gehorsams ist der Befehl an und für sich, denn nur er sichert eine sachgemäße Befehlsexekution, schließt also das individuelle Eigeninteresse des Befehlsausführenden mit ein. Der äußere bürokratische Zwang der scharfen Sanktion ist zwar die materielle Grundlage des Befehls, reicht aber nicht aus, es Bedarf des gesellschaftlichen Zwanges, des sozialen Zwanges, des Gruppenzwanges, damit der Befehl seiner Intension nach exekutiert wird. Der „freiwillige Zwang“ erst macht den Befehl scharf. Es sind die von der herrschenden Klasse vorgegebenen Normen, welche den Inhalt des Befehls ausmachen, welche die Intension des Befehls ausformulieren. Wird ein Befehl nicht „ordnungsgemäß“ ausgeführt, geschieht nichts wesentliches. Es droht höchstens eine soziale Abschätzigkeit und es müssen „Karierenachteile“ in Kauf genommen werden. Jedoch dies akzeptiert nur eine Minderheit aus dem Kleinbürgertum. Die Mehrheit des Kleinbürgertums orientiert sich an den allgemeinen kapitalistischen Normen, wie an die jeweiligen konkreten historischen Normen einer kapitalistischen Epoche und interpretiert die Befehle in dieser Art. Das Kleinbürgertum steht der Bourgeoisie objektiv strukturell näher als der Arbeiterklasse und nur in der Offensive kann die Arbeiterklasse das Kleinbürgertum an sich binden und führen, ansonsten fällt das Kleinbürgertum an die Bourgeoisie. Immer marschiert das Kleinbürgertum an der Seite der stärksten Klasse. In der gegenwärtigen Defensive der Arbeiterklasse orientiert sich das Kleinbürgertum an die Bourgeoisie, wird auch in diesem Sinne die Befehle der herrschenden Klasse mit Leben erfüllen, mit dem kleinbürgerlichen Selbstinteresse nach sozialem Aufstieg und Anerkennung durch die Bourgeoisie. Es ist die kleinbürgerliche Ideologie des individuellen Aufstiegs etc. die ihre materielle Basis in der objektiven Klassenlage des Kleinbürgertums findet, welche die Befehle des Kapitals konkret mit Repression auflädt. Offener Widerstand gegen die um sich greifende Tendenz zum Befehl und zur Selbstgleichschaltung findet sich selten. Die Angst vor sozialer Ausgrenzung ist groß und ein Produkt der Isolierung und Atomisierung durch den Notstand. Es radikalisiert sich die Bourgeoisie und reißt das Kleinbürgertum mit sich. Die gegenwärtigen Normen einer zunehmend multipolaren nationalistischen kapitalistischen Gesellschaft gelten als das „Gute“, welche gegen das „Böse“ steht, d.h. gegen alle, welche die konkreten nationalen Normen verletzten bzw. ihnen andere Normen entgegensetzen. Die eigenen gesellschaftlichen Normen bzw. „Werte“ werden nicht hinterfragt. Im Gegenteil, sie gelten als Gut“ und ihnen wird und soll „Freundschaft“ entgegengebracht werden. Hingegen führt jede Kritik der heiligen Normen bzw. Werte in das „Reich des Bösen“ und dies bedeutet „Feindschaft“. Der „Gutmensch“ ist mit den herrschenden Normen der herrschenden Klassen im Übereinstimmung und er geht über jede gesetzliche Erfüllung hinaus. Es reicht nicht die bürgerlichen Gesetze zu befolgen, sie sollen über die konkreten Werte und Normen verinnerlicht und weiterentwickelt werden. Die konkrete Moral ist eine Zusammenfassung für die Politik der Werte und Normen. Es kommt zu einer Politik der Moral, zu einer moralischen Politik, welche nur die materiellen Interessen der bürgerlichen Politik verschleiert. Das Proletariat soll sich nicht so sehr nach den geschriebenen bürgerlichen Gesetzen richten, sondern nach der ungeschriebenen konkreten bürgerlichen Moral. Stehen Gesetz und Moral im Widerspruch, soll die Moral über das bürgerliche Gesetz obsiegen. Es ist gerade die historische Mission des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) sich von dem bürgerlichen Gesetz als Ausdruck parlamentarisch-demokratischer Klassenjustiz relativ abzukoppeln, und auf eine Sondergesetzgebung des Ausnahmezustandes zurückzugreifen, die jedoch eine Negation des Gesetzes selbst ist, denn der bürgerliche Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) ist nur an seine Macht und seinen historischen Klassenauftrag gebunden und frei von jedem Gesetz. Dem bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) gewährt nicht das Gesetz seine Legitimation, sondern der amorphe „Volkswille“, welcher durch die Normen und Werte, durch die gesellschaftliche Moral, bestimmt ist, durch die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft. Die gegenwärtige Betonung der „Werte“ ist damit auch gleichzeitig eine Abwertung des bürgerlichen Gesetzes und seines sogenannten „Rechtsstaates“. Was zählt ist nicht die Befolgung der Gesetze, sondern die Befolgung der konkreten Moral, der konkreten gesellschaftlichen Werte und Normen. Man kann unschuldig vor dem Gesetz sein, aber schuldig durch den Gerichtshof der konkreten gesellschaftlichen Werte und Normen und die historische Funktion des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) ist es, diese amorphe Moral, diese amorphen Werte und Normen, statt dem Gesetzesbruch zu sanktionieren, die individuelle und kollektive Gesinnung zu sanktionieren. Die „nationale Sicherheit“ geht über das Gesetz, auch Sicherheitsgesetz, hinaus, es umfaßt ebenfalls die (politische) Gesinnung, die „politische Zuverlässigkeit“ in ihren Abstufungen. Der Begriff „Sicherheitsrisiko“ umfaßt nicht nur die aktuelle Datenlage, sondern versucht aus der aktuellen Datenlage ein zukünftiges Risiko heraus zu interpretieren, welches dann die zentrale Maßgabe ist für „nationale Sicherheit“. Wer nicht die gesellschaftlichen Normen und Werte lebt, ist ein potentielles „Sicherheitsrisiko“ und wird einer repressiven Sonderbehandlung unterworfen. Immer mehr wird deshalb versucht die „Sicherheitsüberprüfung“ zu verbreitern. Aufgrund von Geheimdienstinformationen, die nicht hinterfragt werden, wird permanent bestimmt, wer als „Sicherheitsrisiko“ gilt und wer nicht. Eine Sicherheitsüberprüfung wird nicht nur am Beginn eines Arbeitsverhältnisses durchgeführt, sondern permanent. Bei Einstufung als „Sicherheitsrisiko“ droht Entlassung oder Versetzung. Auf jeden Fall Aufnahme in die Schwarzen Listen des Kapitals und unter Umständen gar ein offizielles Berufsverbot. Schon heute existiert neben der offiziellen „Sicherheitsüberprüfung“ eine inoffizielle „Sicherheitsüberprüfung“ bzw. „wilde Sicherheitsüberprüfung“, die von bestimmten Kapitalien durchgeführt wird und sich zentral auf die Durchsuchung des Internets über eine bestimmte Person und weitere Informationen außerhalb des Internets bezieht. Derzeit versucht man zwei Sicherheitskreise aufzubauen. Ein Sicherheitskreis umfaßt bereits den militärisch-industriellen Komplex mit den höchsten „Sicherheitsanforderungen“ und der zweite Kreis mit niedrigeren „Sicherheitsanforderungen“ wird mit Konstruktion der „Kritischen Infrastruktur“ konstituiert, wobei durch Erlaß die ganze Volkswirtschaft als „Kritische Infrastruktur“ eingestuft werden kann. Über diese Maßnahmen der inneren Militarisierung wird die relative Tarifautonomie weiter untergraben und die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften erheblich beschränkt. Der Sicherheitskreis „Kritische Infrastrukturen“ erfaßt immer den größeren Teil der Arbeiterklasse als der erste Sicherheitskreis, welcher sich nur auf den militärisch-industriellen Komplex bezieht und notfalls erfaßt der zweite Sicherheitskreis die gesamte Lohnarbeiterklasse. Vor allem über den zweiten Sicherheitskreis kann das Kapital die Arbeiterklasse sozial neu zusammensetzen. Das Kapital setzt zu einer Säuberung der Betriebe von widerständigen Kernen der Arbeiterklasse an und versucht diese in die industrielle Reservearmee zu verbannen. Mit der Erhöhung des politischen Drucks erhöht sich auch langsam der soziale Druck in der Lohnarbeiterklasse, erhöht sich der soziale Druck durch die gesellschaftlichen bürgerlichen Normen und Werte. Die Abweichung von den bürgerlichen gesellschaftlichen Werten und Normen im multipolaren Akkumulationsmodell ist bereits ein „Sicherheitsrisiko“, eine potentielle Gefahr für die „nationale Sicherheit“, eben dies wird vor allem in der „Sicherheitsüberprüfung“ geprüft. Es wird in der „Sicherheitsüberprüfung“ zentral die „politische Gesinnung“ überprüft und nicht so sehr vergangene kriminelle Handlungen, denn dafür gibt es das „Polizeiliche Führungszeugnis“. Die „Sicherheitsüberprüfung“ ist eine Rasterfahndung, welche sich auf die Betriebe bezieht. Der „Feind“ ist nicht nur der, wer die bürgerlichen Gesetze bricht, sondern auch der, wer von der „rechten“ Gesinnung abweicht, wer gegen das „gesunden Volksempfinden“, wer gegen die gesellschaftlichen Normen und Werte, verstößt. Vor allem zielt die Repression auf Positionen unterhalb der Schwelle des Strafrechts bzw. des bürgerlichen Klassenrechts überhaupt. Das Feindrecht geht über das Strafrecht hinaus, geht auch über das bürgerliche Klassenrecht selbst hinaus. Die „Freund/Feindkennung liegt in der politischen bzw. allgemeinen Gesinnung, in der Akzeptanz der multipolaren gesellschaftlichen Normen und Werte. Um die „richtige“ Gesinnung zu beweisen, ist es notwendig, regelmäßig „Loyalitätsbekundungen“ abzugeben, d.h. sich von bestimmten Meinungen, Handlungen und Personen zu distanzieren, notfalls von seiner Vergangenheit. Die Repression heute äußert sich in einem Rechtfertigungszwang. Der bürgerliche Staat und das individuelle Kapitalkommando stellen der Arbeiterklasse und ihren individuellen Gliedern permanent Fragen, auch sinnlose, und die Arbeiterklasse und ihre individuellen Glieder haben diese zu beantworten und sollen somit ihre Loyalität bekunden, nicht nur auf den Inhalt bezogen, sondern auch auf die Form, d.h. auf die reine Frage selbst, denn nur die bürgerliche Klassenmacht hat das Fragerecht und die Arbeiterklasse hat nur die Pflicht zu antworten und damit sich zu rechtfertigen. Wer fragt herrscht-wer antwortet unterwirft sich. Die Betonung der Werte und Normen durch die Bourgeoisie steht für eine Abwertung des bürgerlichen Gesetzes, für eine Abwertung der parlamentarisch-demokratischen Form des bürgerlichen Staates und für den Aufbau eines bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus), denn diese negieren das bürgerliche Gesetz zugunsten einer exekutiven Notversordnung und dies bezieht dann notwendig die Gesinnung mit ein. Sonderjustiz ist Gesinnungsjustiz. Nicht die Tat steht im Vordergrund, sondern die Gesinnung, die Gesinnung selbst ist eine Straftat. Während das codifizierte Gesetz hinter den Normen und Werten zutritt, tritt auch das Völkerrecht hinter die „regelbasierte Ordnung“ zurück. Im Ausnahmezustand herrscht nicht das codifizierte bürgerliche Gesetz, sondern das Universum der amorphen Werte und Normen und der bürgerliche Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) interpretiert dieses Universum an amorphen Werten und Normen, läßt sich durch diese irrationalen Strömungen legitimieren. Notstand und Irrationalismus gehen Hand in Hand. Werte und Normen entstehen naturwüchsig, wertgesetzrational, sind keine Produkte bewußter Handlungen und in diesem Sinne irrational, während das bürgerliche Gesetz eine bewußte Handlung ist und Ausdruck der Politik im Klassenkampf. Die bürgerlichen Werte und Normen werden heute als vorverlegter Staatsschutz formiert und zwar im Sinne von „Pre-Crime“. Eine Ablehnung der herrschenden Werte und Normen, die zu „abweichenden Verhalten“ führt, nicht aber zu Straftaten, werden zu tendenziellen und potentiellen Straftaten uminterpretiert. Um potentielle Straftaten zu verhindern, muß präventiv dieses „abweichende Verhalten“ sanktioniert werden. Dafür steht die KI (Künstliche Intelligenz) bereit, die massenhafte digitale Erfassung und automatische Interpretation des Verhaltens in Form einer sozialen Rasterfahndung, schlägt sich in der „Sicherheitsüberprüfung“ nieder, denn dort zählt das „Sicherheitsrisiko“ und dies geht über die Ermittlung von vergangenen oder aktuellen Straftaten hinaus, es zählt hingegen die Internalisierung der ungeschriebenen herrschenden sozialen und gesellschaftlichen Normen und Moralvorstellungen, der präventive Gehorsam, bzw. das alltägliche soziale Verhalten im Klassenalltag. Für die Bourgeoisie sind die herrschenden gesellschaftlichen Normen und Moralvorstellungen derzeit zentral, so daß sie „alternativlos“ sind. Alternativen sind tabu. Alternative Positionen sind ein Angriff auf die „nationale Sicherheit“.

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Logo of the Organization of the Warsaw Pact

In der Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft gibt es keine relativ unabhängigen, relativ autonomen proletarischen Massenorganisationen, gibt es keine Opposition und erst Recht keine proletarische Opposition. Es gibt nur den Feind. Entweder man stimmt zu hundert Prozent mit der Staatsmeinung überein, dann ist man ein „Freund“ der Gesellschaft, ein „Freiheitsfreund“ oder man stimmt nicht zu hundert Prozent mit der Staatsmeinung überein, dann ist man ein „Feind“. Schwarz oder weiß. Ein grau dazwischen gibt es nicht. Opposition gibt es nicht. Entweder „Freund“ oder „Feind“. Und „Feind“ heißt dann konkret „Extremist“ oder „Terrorist,“ bezieht sich auf den „inneren Feind“, welcher mit dem „äußeren Feind“, konkurrierende imperialistische Blöcke in der multipolaren Weltmarktkonkurrenz, in Verbindung steht. Eine solche Verschwörungstheorie versucht die Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft ideologisch abzusichern. Da sich die Arbeiterklasse der qualitativen Absenkung ihres gesellschaftlich notwendigen Reproduktionsniveaus widersetzt, ist sie objektiv der notwendige „innere Feind“ des Kapitals und ihre Organisationen sind „Feindorganisationen“ müssen offen oder verdeckt zerstört werden und neue proletarische Massenorganisationen dürfen sich nicht bilden, denn diese würden angeblich die innere Einheit der „Nation“ zerreißen und gefährden dadurch die „nationale Sicherheit“. Jede Abweichung von der Generallinie, die die Bourgeoisie durch den bürgerlichen Staat vorgibt, ist eine Feindhandlung, da sie die „nationale Sicherheit“ gefährdet. Für jedes Verhalten, für jede Handlung im Klassenalltag, muß sich gerechtfertigt werden, Zugangskontrollen werden ausgeweitet, Rasterfahndung wird exekutiert. Auf diese Weise soll der verdeckte „innere Feind“ aufgespürt werden.

Über den „Corona-Notstand“ wurde diese Repression schon exekutiert und massenhaft eingeübt. Rationierung ist immer Repression und immer mit Kontrolle verbunden. Die Impfausweise galten als Zutrittsberechtigung, wie zuvor die „Corona-Warn-App“ und wurden kontrolliert, bei den Mundschutzmasken wurde kontrolliert, ob sie auch richtig aufgesetzt wurden etc. Das Mobilephone wurde zu einem Kontrollgerät, wo die Zugangsberechtigungen gespeichert wurden und erfaßt jede Bewegung und jede Kommunikation. Sogar wer auf der Straße zu dritt unterwegs war und nicht aus einer „Haushaltsgemeinschaft“ stammt, wurde gestraft, ebenso, wenn eine „Haushaltsgemeinschaft“ innerhalb der Wohnung gegen die „Corona-Regularien verstieß und mehr Personen von außerhalb der Hausgemeinschaft zuließ. Wer gegen die Regeln des „Corona-Notstandes“ verstieß verfiel der Repression, wurde in letzter Konsequenz zwangsweise und gewaltsam isoliert, bzw. in spezifische Zentren für eine Zeit lang weggesperrt. Dies ist die „neue Normalität“ des Corona-Notstandes, welche nicht so einfach mit dem „Corona-Notstand“ vergeht, sondern sich als Erbe in den „Energienotstand“ trägt. Im „Corona-Notstand“ wurde strikt und präzis nach „Freund“ und Feind“ unterschieden und im Energienotstand ebenfalls, „Feind“ ist, wer das Ende des antirussischen Wirtschaftskrieges und Verhandlungen mit Rußland fordert, „Freund“ ist, wer den antirussischen Wirtschaftskrieg fortsetzten will und ebenfalls Waffenlieferungen an die NATO-Ukraine organisiert. Den Kritikern des NATO-Kriegskurses des deutschen Imperialismus wird die Legitimität ihrer Kritik und gar, durch die Änderung der Gesetze sogar bezüglich eines unbewiesenen russischen „Völkermordes“ in der Ukraine, die Legalität der Kritik in Frage gestellt. Es drohen gar strafrechtrechtliche Ermittlungen, wenn unbewiesene Behauptungen in Frage gestellt werden. Tatvorwurf ist „Volksverhetzung“. Es findet eine Kriminalisierung der öffentlichen Meinungsbildung statt. Kritik kann schnell als „Volksverhetzung“ geahndet werden und gerade auch Kritik an den staatlichen und damit auch medialen Verschwörungstheorien der Bourgeoisie. Es geht nicht mehr um Wahrheit und damit um Rationalität, sondern um den Triumph des Willens über die Wahrheit, darum, die Irrationalität zum Maßstab zu machen. Was nicht sein darf, kann nicht sein. Wer die Wahrheit verkündet, d.h. eine wahre Aussage über die Klassenrealität tätigt, ist schuldig und nicht die Klassenrealität. Über diesen Mechanismus werden dann politische Tabu-Themen konstruiert und wer diese Tabu-Themen auch nur tendenziell erwähnt, ist dann ein „Extremist“ oder gar „Terrorist“ ist der „innere“ Feind. Kritik ist nur noch erlaubt, wenn sie den multipolaren Kapitalismus rationalisiert.

Das multipolare Akkumulationsmodell orientiert sich an dem bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus). Nur auf diese Weise kann das Kapital den erneuten Krisenschub der Großen Krise ab Herbst 2019 überstehen. Die Entwertung des Kapitals in der durchschnittlichen Bewegung desselben im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate zwingt das Kapital zu einer Neuzusammensetzung des Kapitals-Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse und damit zum Bruch mit dem neoliberalen Akkumulationsmodell und naturwüchsig in den multipolaren Weltmarkt, denn der naturwüchsige Bruch mit dem neoliberalen Weltmarkt ist das Resultat des Zusammenbruchs der Hegemonie des US-Imperialismus innerhalb der imperialistischen Kette unter dem Druck der Entwertungstendenzen der Großen Krise und die allseitige Verschärfung der nun multipolaren Weltmarktkonkurrenz führt zum Rückgriff auf autoritäre Formen bürgerlicher Klassenherrschaft, um so auf die sich entfaltenden Widersprüche der Akkumulationsbewegung des Kapitals zu reagieren. Diese parlamentarisch-demokratische Form des bürgerlichen Staates des neoliberalen Akkumulationsmodells weicht tendenziell dem bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus), welcher immer deutlicher die parlamentarisch-demokratischen Formen bürgerlicher Klassenherrschaft unterhöhlt und immer offener auf den Notstand-Ausnahmezustand zurückgreift. Statt dem Bürger als Citoyen steht nun der Untertan in der Bourgeoisie hoch im Kurs, welcher sich in der „Freund-Feind“-Kennung verwirklicht. Der Bürger als Citoyen ist nur dann ein Bürger in der multipolaren Form der Akkumulation, wenn er Untertan ist, denn nur dann ist er „Freund“ im Sinne der Bourgeoisie, wird jedoch der Status Untertan verweigert, kommt der Status „Feind“. Ein Untertan übt keine grundsätzliche Kritik, sondern nur immanente Kritik zur Optimierung der bürgerlichen Klassenherrschaft. Hingegen stellt eine proletarische Grundsatzkritik die bürgerlichen Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse in den Mittelpunkt der praktischen Kritik und wird deshalb von der Bourgeoisie als „Feind“ klassifiziert und repressiv verfolgt. Die „neue Normalität“ des Ausnahmezustandes, des Notstandes, ist die neue Normalität der Repression gegen die Arbeiterklasse. Statt „Demokratie wagen“ heißt es nun „Mehr Diktatur wagen“, statt „Wohlstand für Alle“ heißt es nun „Wohlstand für Wenige-Armut für die Mehrheit“ bzw. „Verzicht für die Mehrheit“. Oder besser: „Hartz IV für alle“.

Das Hartz IV-System ist der Keim der autoritären Entwicklung schon im neoliberalen Akkumulationsmodell und kommt im multipolaren Kapitalismus, in der multipolaren Weltmarktkonkurrenz, zur vollen Blüte, wird zum Modell für die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse durch das Kapital. Schon immer, d.h. in der neoliberalen Form des Kapitalismus, war das Hartz IV-System ein Notstand, ein Ausnahmezustand für bestimmte Segmente der industriellen Reservearmee, war immer ein Labor des Ausnahmezustandes, ein Labor des Notstandes. Im Hartz IV-System wurde die Entrechtung der Arbeiterklasse bereits tendenziell im Jahr 2004/2005 realisiert und bezog sich auf bestimmte Schichten der industriellen Reservearmee. Ein Sonderrecht wurde implantiert, welches von der parlamentarisch-demokratischen Klassenjustiz tendenziell abgekoppelt wurde. Die Oberaufsicht durch die Judikative war nur schwach ausgeprägt. Es gab zu keinem Zeitpunkt ein Interesse, das Hartz IV-System zu überwachen, im Gegenteil, das Hartz IV-System sollte sich ohne juristische Kontrolle entwickeln. Das Zentrum von Hartz IV ist die systematische Willkür, dessen Ziel es ist, einen Hartz IV-Untertan zu produzieren; den Willen der Hartz IV-Bezieher zu brechen. Der bürokratische Zwang des Hartz IV-Systems setzt auf Gehirnwäsche mit dem Ziel Befehl und Gehorsam als zentrale Verhaltensdispositive in den Hartz IV-Empfängern zu internalisieren; sie werden keinesfalls als Bürger im Sinne des Citoyens gleichberechtigt anerkannt, sondern als minderwertig, asozial, kategorisiert. Es gibt keine Rechte, sondern nur die Tyrannei der Gnade des Hartz IV-Systems, wenn man sich aktiv diesem System unterwirft. Einfordern kann man nichts, nur Flehen. Jedoch kann das Hartz IV-System sehr viel vom Hartz IV-Empfänger einfordern. Große Beharrlichkeit ist notwendig, wenn man im Hartz IV-System seine geringen Rechte durchsetzen will. Eine Beharrlichkeit, die nur eine Minderheit aufbringt. Die Repression des Hartz IV-Systems hält den Widerspruch klein.

Das Hartz IV-System kennt als zentrales Diktum die Arbeitspflicht. Jede angebotene Arbeit ist anzunehmen, es sei denn, sie verstößt gegen die „guten Sitten“. Es gibt keinen Qualifikationsschutz und keinen Tarifschutz. Um diese Arbeitspflicht zu realisieren, wurde die Beweislast umgekehrt. Nun muß der Hartz IV-Empfänger nachweisen, daß die ihm angebotene Arbeit unzumutbar ist. Zuvor mußte das Arbeitsamt nachweisen, daß die Arbeit für den Erwerbslosen zumutbar war. Mit der Umkehrung der Beweislast jedoch obliegt nun die Beweisführung in Hinblick auf die Zumutbarkeit von Arbeit jetzt dem Hartz IV-Empfänger gegenüber dem bürgerlichen Staat, ein Beweis den dieser alleine gegen die konzentrierte Macht des bürgerlichen Staates jedoch nicht praktisch erbringen kann. Bei Verweigerung der angebotenen Arbeit drohen Sanktionen. Sanktionen gibt es eben nicht nur auf der Ebene des Weltmarktes im Wirtschaftskrieg, sondern werden auch unmittelbar gegen Erwerbslose verhängt, wenn sie nicht die Befehle des Hartz IV-Systems exekutieren. Das Bundesverfassungsgericht brauchte ganze 16 Jahre, um ein Urteil in der Frage der Sanktionierungspraxis zu fällen. Solange wurden die diversen Urteile zwischen den verschiedenen Instanzen hin und her geschoben. Die Judikative wollte keine Verantwortung übernehmen und ließ das Hartz IV-System an ihrer langen Leine seinen Lauf. Doch auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hebt den Widerspruch Sanktionierung auf null versus Recht auf Leben in Menschenwürde nicht auf. Die beiden Seiten bleiben weiterhin abstrakt unvermittelt. Auf der einen Seite wird die Sanktionshöhe eingeschränkt und doch letztlich kann noch tiefer im Einzelfall sanktioniert werden. Über die Akkumulation einzelner Sanktionen sagt das Urteil auch nichts aus. Letztlich bleibt es, wie es immer war. Bei Verweigerung angebotener Arbeit kann bis in die Obdachlosigkeit sanktioniert werden. Damit wird dann die relative Tarifautonomie der Gewerkschaften zerschlagen, denn es setzt zwangsweise ein Unterbietungswettbewerb in der Lohnarbeiterklasse ein.

Doch vorher muß erst die Hürde der „Bedürftigkeitsprüfung“ überwunden werden, um in das dunkle Hartz IV-Reich hinabzusteigen. Nicht jeder Erwerbslose erhält Arbeitslosengeld II, nachdem das Arbeitslosengeld II ausgelaufen ist. In der „Bedürftigkeitsprüfung“ wird das Vermögen und das Einkommen des Antragstellers, wie das Einkommen und das Vermögen der „Bedarfsgemeinschaft,“ geprüft. Zentral ist das Einkommen und Vermögen der „Bedarfsgemeinschaft“. Ist dies zu hoch, wird kein Arbeitslosengeld II gewährt. Zuvorderst ist das eigene Vermögen aufzubrauchen und erst, wenn das Einkommen der „Bedarfsgemeinschaft“ zu gering ist, wird das Arbeitslosengeld II genehmigt. Wird das Arbeitslosengeld II wegen der „Bedürftigkeitsprüfung“ nicht gezahlt, zahlt praktisch die „Bedarfsgemeinschaft“ ihr eigenes Arbeitslosengeld II, solange, bis es eine bestimmte Schwelle unterschreitet und der bürgerliche Staat mit seinem Hartz IV-System den Fall übernimmt. Der Sinn der „Bedürftigkeitsprüfung“ liegt darin, den Erwerbslosen und seine „Bedarfsgemeinschaft“ vollständig kapitalistisch zu enteignen, bevor er soziale Transferleistung beziehen darf. Der Kapitalismus enteignet das Proletariat, sein Privateigentum, zusätzlich, nachdem das Proletariat von seinen Produktionsbedingungen, von seinem Eigentum an Produktionsmitteln, enteignet wurde. Das Hartz IV-System organisiert über die „Bedürftigkeitsprüfung“ die Enteignung der Erwerbslosen, denn nur dann können sie sich der Repression durch das Hartz IV-System nicht mehr entziehen, erst dann sind sie relativ wehrlos der Gewalt des bürgerlichen Staates in Form des Hartz IV-Systems ausgesetzt.

Um den Druck auf den Erwerbslosen zu erhöhen, wird zentral der Druck auf die „Bedarfsgemeinschaft“ gelegt. Hartz IV ist „soziale Sippenhaft“. Auch die „Bedarfsgemeinschaft“ muß sich dem Diktat des Hartz IV-Systems beugen. Wird Hartz IV genehmigt, ist die „Bedarfsgemeinschaft“ gezwungen den Hilfebezug zu reduzieren oder gar aufzuheben, indem alle Glieder der „Bedarfsgemeinschaft“ genötigt sind, eine Lohnarbeit aufzunehmen, denn dann könnte die „Bedarfsgemeinschaft“ den Erwerbslosen aus den Mitteln der „Bedarfsgemeinschaft“ erhalten und der bürgerliche Staat könnte seine Transferleistung Arbeitslosengeld II einstellen. Aber der Druck auf die „Bedarfsgemeinschaft“ wird noch durch das engmaschige Netz der Kontrolle durch das Arbeitsamt weiter gesteigert. Es wird ein eigener Ermittlungsdienst gegründet, welcher die „Bedarfsgemeinschaften“ kontrollieren soll, auch mit Hilfe von Denunziation. So kommt es zu Hausdurchsuchungen und Razzien gegen „Bedarfsgemeinschaften“, wo das Eigentum der „Bedarfsgemeinschaft“ penibel kontrolliert wird, über Kontoeinsicht sind die Zahlungsströme ebenso transparent und werden der Kontrolle unterzogen. Unterstützt werden diese Kontrollmaßnahmen durch Verhöre auf dem Arbeitsamt, wie den „Schulungen“, welche der Gehirnwäsche dienen, um den Lohnarbeiter für den zweiten Arbeitsmarkt (der Verschränkung von Niedriglohn und ergänzender sozialer Transferleistung) abzurichten. Das Hartz IV-System ist lediglich der Notstand vor dem Notstand und bietet das Muster für einen allgemeinen Notstand-Ausnahmezustand, welcher in Tendenz den multipolaren Weltmarkt konkret spezifisch widerspiegelt.

Mit Hilfe des Hartz IV-Systems wurde der zweite Arbeitsmarkt geschaffen. Durch den sozialen Druck wurde die industrielle Reservearmee in die arbeitende Armut transformiert- in den Niedriglohnsektor, welcher durch Niedriglohn und ergänzenden Arbeitslosengeld II konstituiert wird. Faktisch ein gewerkschaftsfreier und tarifvertragsfreier Raum, auch wenn die DGB-Bürokratie versucht hat, untertarifierte Tarifverträge, wie z.B. in der Leiharbeit, abzuschließen. Unter dem Druck des bürgerlichen Staates kapitulierte in den Jahren der Implantation des Hartz IV-Systems die DGB-Bürokratie und akzeptierte indirekt das Hartz IV-System und direkt die geforderten Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen, wozu auch die untertarifierten Tarife in den Niedriglohnbranchen gehören. Der Druck des bürgerlichen Staates auf die Gewerkschaften in den Fragen Hartz IV und Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen, waren ein Angriff auf die relative Tarifautonomie der Gewerkschaften. Statt zum Massenstreik bzw. Generalstreik zur Verteidigung dieses Grundrechts und damit zur Verteidigung der gesamten Verfassung aufzurufen, zog es die Gewerkschaftsbürokratie vor, zu kapitulieren. Der soziale und politische Widerstand ohne die Mobilisierung der Gewerkschaften war zu schwach, um Hartz IV und Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen zu verhindern. Dies war der erste Schritt zum Einbau der Gewerkschaftsbürokratie in den bürgerlichen Staat. Ohne die Zerstörung von Hartz IV kann die relative Tarifautonomie nicht wiederhergestellt werden und ohne die Wiederherstellung der vollen relativen Tarifautonomie der Gewerkschaften wird der Reallohnverlust in Grundsatz nicht kompensiert werden können. Mit Hartz IV in den „Corona-Notstand und in den Energienotstand. Hartz IV öffnete für das Kapital das Tor zum Ausnahmezustand-Notstand. Über die Implantation des Hartz IV-Systems setzte das Kapital die Arbeiterklasse passiv neu zusammen. Mit der „Corona-Krise“ erfolgt eine neue Offensive zur Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse mit dem Ziel, die Verwertungsposition im multipolaren Weltmarkt auszubauen. Das deutsche Kapital versucht mit einer Radikalisierung der Deflationspolitik die Kosten zu senken, um die Auswirkungen der protektionistischen Tendenzen und der Wirtschaftskriege zu Lasten der Arbeiterklasse zu kompensieren. Die Radikalisierung der Deflationspolitik kann nur unter dem Schutz des bürgerlichen Ausnahmestaates (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) erfolgen, wenn sie realisiert werden soll. Ein parlamentarisch-demokratischer bürgerlicher Staat ist ein Hindernis für eine radikale Deflationspolitik und muß notwendig beseitigt werden, wenn die Arbeiterklasse atomisiert und desorganisiert werden soll.

Im bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) versucht die Bourgeoisie durch Desorganisation der proletarischen Massenorganisationen dem Proletariat eine bürgerliche Identität aufzuzwingen. Als Mittel dazu dient die „Identitätspolitik“. Identität gibt es nur in der Nicht-Identität. Doch die immer mehr irrational um sich schlagende Bourgeoisie will die Nicht-Identität nicht akzeptieren. Für sie gibt es nur noch die bürgerliche Identität, welche sich konzentriert in der „Nation“ ausdrückt. In der „Nation“ ist die Bourgeoisie mit sich selbst identisch. Über den Ausnahmezustand, offen oder verdeckt, auch als Drohung mit ihm, soll die Arbeiterklasse sich mit ihrer eigenen Bourgeoisie, mit ihrem eigenen Kapital, mit ihrer Ausbeutung, identifizieren, d.h. mit der bürgerlichen „Nation“. Identifizieren heißt hier akzeptieren, aussöhnen. Für das Kapital ist die „Identität“ alternativlos. Die Ware Arbeitskraft soll sich als Ware Arbeitskraft identifizieren, als abstrakte Arbeit, welche ihre Identität als Ware Arbeitskraft immer erhält, aber als konkrete Arbeit verschiedene Identitäten annimmt, sich dann mit der konkreten Form der Arbeit identifiziert. In der bürgerlichen Abstraktion realer Ausbeutungsverhältnisse bzw. Selbstausbeutungsverhältnisse der „Ich-AG“ oder des „Arbeitskraftunternehmers“ wird die bürgerliche Identitätspolitik konkret. Die Ware Arbeitskraft steht dem Kapital atomisiert gegenüber und kann sich nur als Ware Arbeitskraft realisieren, wenn sie sich den Verwertungsanforderungen des Kapitals vollständig unterwirft, sich mit dem Verwertungsprozeß identifiziert. Verweigert sich die Ware Arbeitskraft der Identifikation mit den kapitalistischen Anforderungen, wird sie in die industrielle Reservearmee absteigen.

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Das Proletariat 

Identität steht im Kapitalismus für Unterwerfung unter die Ausbeutung. Nicht-Identität ist die Antwort des Proletariats auf die kapitalistische Ausbeutung, d.h. Nicht-Identität ist Klassenkampf. Die kapitalistische Identität findet im bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) ihren Begriff, d.h. konkret in der „Nation“ bzw. Volksgemeinschaft-formierte Gesellschaft, indem sie versucht totalitär die Negation der Identität, die Nicht-Identität, den proletarischen Klassenkampf, welcher sich in den Eroberungen der Arbeiterklasse im Kapitalismus materialisiert und damit auch in der parlamentarisch-demokratischen Form des bürgerlichen Staates, welche nicht von der Bourgeoisie, sondern vom Proletariat erkämpft wurde, zu zerstören. Der Zwang zur Identität soll die Nicht-Identität vernichten. Die Nicht-Identität ist die Negation des kapitalistischen Verwertungsprozeßes, die Nicht-Identität ist der „Feind“ und nur Identität mit dem Kapitalismus ist „Freund“. Nicht-Identität-Feind ist die Ware Arbeitskraft, welche versucht, die kapitalistische Vernutzung der Ware Arbeitskraft einzuschränken oder gar abzuschaffen, ist der „politische Feind“, den es zu vernichten gilt. Hingegen ist der „soziale Feind“ diejenige Ware Arbeitskraft, welche objektiv nicht als Ware Arbeitskraft fungieren kann und damit auch keine Ausbeutungsmasse für das Kapital ist. Diese relative Übervölkerung ist vom Standpunkt des Kapitals nutzlos und stellt nur Kosten dar, denn sie kann noch nicht einmal als industrielle Reservearmee fungieren, schmälert so die Profitrate und behindert das Kapital im Kampf um höhere Weltmarktanteile im multipolaren Weltmarkt. Die Ware Arbeitskraft, die objektiv nicht als Ware Arbeitskraft fungieren kann, ist keine Ware Arbeitskraft mehr, sondern nur Kosten bzw. „tote Ware Arbeitskraft“ (z.B. Dauererkrankte oder Behinderte) und damit Nicht-Ware-Arbeitskraft als Negation der Ware Arbeitskraft, welche potentielle Ausbeutungsmasse für das Kapital ist. Der „soziale Feind“ ist Nicht-Ware Arbeitskraft, diese Nicht-Ware Arbeitskraft ist nicht identisch mit der Ware Arbeitskraft und hat damit keine Existenzberechtigung und dies gilt dann auch für den Träger der Nicht-Ware Arbeitskraft. Hingegen der „politische Feind“, welcher objektiv Ware Arbeitskraft ist, da er potentiell als Ware Arbeitskraft ausgebeutet werden kann. Dieser ist „politischer Feind“, weil er subjektiv sich der Ausbeutung durch das Kapital verweigert bzw. diese nur eingrenzen will und nur subjektiv ist der „politische Feind“ die Nicht-Identität der Ware Arbeitskraft, negiert die Funktion als Ware Arbeitskraft politisch. Der „soziale Feind“ gehört nicht zur Volksgemeinschaft-formierten Gesellschaft, wird tendenziell entrechtet und erhält nur „Gnadenrecht“, was dann zum „Gnadentod“, der Euthanasie, führen kann. Letztlich führt der Status als „tote Ware Arbeitskraft“ auch zum physischen Tod des sozialen Trägers dieser Nicht-Ware- Arbeitskraft. Die Funktion des Ausnahmezustandes-Notstands ist es, entweder den „politischen Feind“ sofort physisch zu vernichten oder ihn auf die Form des „sozialen Feindes“ zu reduzieren, was nur zeitversetzt auf das gleiche hinausläuft. Um den „sozialen Feind“ zu vernichten, muß der zuerst der „politische Feind“ vernichtet werden, entweder politisch-sozial oder physisch, denn der „politische Feind“ schützt den „sozialen Feind“. Die bewußte subjektive politische Verweigerung der kapitalistischen Identität als massenhaft organisierte Nicht-Identität bzw. Negation der kapitalistischen Identität im Klassenkampf steht höher als die bloß bewußtlose objektive Nicht-Identität zur kapitalistischen Identität.

Die kapitalistische Identitätspolitik wird auch in der Form der inneren Schiene der Repression organisiert, in der Arbeiterklasse und im Kleinbürgertum selbst. Es werden von der Bourgeoisie derzeit viele Identitäten konstruiert, indem real existierende Spaltungslinien innerhalb der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums verabsolutiert werden; die Totalität auseinandergerissen wird und die einzelnen Momente gegeneinander, statt gemeinsam gegen das Kapital, ausgerichtet werden. Jeder steht nur für sich gegen jeden anderen und Gruppe steht gegen Gruppe. Im Namen der Identität, wird die Totalität angegriffen, indem sie schlechthin geleugnet wird. Das Diktum des Neoliberalismus geht in der Identitätspolitik auf. Es gibt keine Gesellschaft mehr, sondern nur noch Individuen und Gruppen, die gegeneinander konkurrieren um den Platz an der Sonne und nur die stärksten Individuen und Gruppen setzten sich durch, auch indem sie sich verbünden, aber vor allem, in dem sie das Bündnis mit dem Kapital suchen, denn nur die Unterstützung des Kapitals kann einer Identitätsgruppe zum Sieg über die anderen verhelfen. Alle tanzen um das Kapital als das goldene Kalb. Identität ist immer gleichzeitig Nicht-Identität, beinhaltet immer eine Abgrenzung und Ausgrenzung, daß „Wir“ gegen die „Anderen“, der „Freund“ gegen den „Feind“ und letztlich ist das „Wir“ die Nation. Die Identität ist ein Produkt der Abgrenzung und Ausgrenzung. In der Identitätspolitik geht es um mannigfaltige Abgrenzung und Ausgrenzung bzw. um Spaltung in immer kleinere Teile, um Desorganisation der Arbeiterklasse. Die Identitätspolitik ist eine Anrufung an den „starken“ bürgerlichen Staat als Schiedsrichter in dem Streit der Identitäten, wer in dem Streit der Sieger und wer Verlierer ist. Das Ziel ist es, die Gunst des bürgerlichen Staates zu erheischen. Statt Proletarier alle Länder vereinigt euch, Proletarier aller Länder spaltet euch in kleinste Atome. Identitätspolitik führt zu Einpunkt-Bewegungen, welche die bürgerliche Gesellschaft ausblenden. Es geht nicht darum die bürgerliche Gesellschaft zu überzeugen, sondern es geht nur darum, den bürgerlichen Staat von seiner Agenda zu überzeugen, ihn auf seine Seite zu ziehen. Eine Bewegung von unten, eine breite Basisbewegung, ist nicht gewünscht. Im Gegenteil, man sieht sich als Elite und zielt auf die herrschende Klasse. Es geht um Lobbyarbeit, um Pressure Groups für bestimmte Fraktionen des Kapitals. Mit Hilfe der bürgerlichen Medien wird eine elitäre Massenbewegung von oben konstruiert, welche versucht, eine real nicht vorhandene Massenbewegung zu imitieren.

Diese „Zivilgesellschaft“ ist zentral professionell, d.h. hauptamtlich organisiert und nicht nebenberuflich aus freien Stücken, wie es bei Basisbewegungen und damit bei Massenbewegungen üblich ist. Basisbewegungen/Massenbewegungen sind naturwüchsig demokratisch organisiert, während die neoliberale/multipolare „Zivilgesellschaft“ hierarchisch gegliedert ist. Basisbewegungen/Massenbewegungen finanzieren sich durch private Spenden aus der Arbeiterklasse und dem Kleinbürgertum, während die neoliberale/multipolare „Zivilgesellschaft“ aus dem Profit des Kapitals oder den Steuern des bürgerlichen Staates finanziert wird. Die NGO´s (Nichtregierungsorganisationen) sind nur formal Nichtregierungsorganisationen, real werden sie entweder durch den bürgerlichen Staat oder durch die Stiftungen des Kapitals finanziert, bzw. gemeinsam, d.h. die verschiedenen Stiftungen verflechten sich miteinander über Tochterstiftungen, fusionieren etc. und gleichzeitig sind diese mit den verschiedenen Staatsapparaten vermittelt. Auf diese Weise werden die „NGO´s“ über die Finanzen zentral gesteuert. Finanzierung schließt auch Finanzierung über das Ausland nicht aus, sondern die Finanzierung durch ausländische Mächte ist durchaus normal, dann steht immer ein ausländischer kapitalistischer/imperialistischer Staat dahinter. Über die Finanzierung wird die „Zivilgesellschaft“ gesteuert. Jede Organisation der „Zivilgesellschaft“ kann finanzielle Mittel beantragen und erhalten, wenn nicht die „nationale Sicherheit“ dagegensteht. Im Gegenteil, umso mehr die „nationale Sicherheit“ im Mittelpunkt steht, desto leichter wird die Organisation der „Zivilgesellschaft“ finanziert. Ist die „nationale Sicherheit“ deutlich bedroht, kann im Vereinsrecht die Gemeinnützigkeit entzogen oder der Verein verboten, wie strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet werden. Notfalls können auch bei Nichtvorhandensein eines Vereins einfach Personen beschuldigt werden, einen Verein zu betreiben, um strafrechtlich belangt werden. Finanzierung und Repression zeigen der neoliberalen-multipolaren „Zivilgesellschaft“ den Weg. Aus bürokratischem Eigeninteresse der „NGO´s“ wird man auf eine Konfrontation mit der Bourgeoisie verzichten und sogar mit dieser eng zusammenarbeiten- gegen die Arbeiterklasse. Die neoliberalen-multipolaren Organisationen der „Zivilgesellschaft“ sind undemokratisch. Die nebenberuflichen Mitglieder dieser neoliberalen-multipolaren „NGO´s“ haben keinen Einfluß auf die Politik dieser Organisation. Die Agenda wird von der Organisationsleitung in zentralen Punkten vorgegeben und kann nur noch modifiziert werden. Es bleibt dann den nebenberuflichen Mitgliedern überlassen, ob sie die Politik der „NGO-Führung“ unterstützen oder sich passiv zurückziehen. Eine breite Massenbewegung als Basisbewegung der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums kann nicht mit der neoliberalen/multipolaren „Zivilgesellschaft“ geschehen, sondern nur gegen sie. Die derzeitige neoliberale-multipolare „Zivilgesellschaft“ ist das Trojanische Pferd des Kapitals und dient der präventiven Zerstörung einer möglichen proletarischen und kleinbürgerlichen egalitären Massenbewegung. Das Ziel der „Zivilgesellschaft“ ist es, den sozialen und politischen Druck aus der Arbeiterklasse und dem Kleinbürgertum in bürgerlich gesicherte Bahnen zu kanalisieren. So ist die „Zivilgesellschaft“ auch ein Frühwarnsystem für das Kapital, welches gesellschaftliche Unruhe registriert, gleichzeitig präventiv in die bürgerliche Bahn lenkt und dadurch die Spitze nimmt. Zur Kanalisation in bürgerliche Bahnen ist es notwendig, die Totalität des potentiellen Protestes aufzuspalten und die verschiedenen Momente gegeneinander zu isolieren, denn nur dann kann der potentielle Massenprotest in bürgerlich-egalitäre Bahnen gelenkt werden, wird vorm egalitären Massenprotest in einen Elitenprotest transformiert. Das egalitäre Band einer proletarischen und kleinbürgerlichen Massenbewegung wird durch die bürgerliche Identitätspolitik zerrissen und es droht dann eine kleinbürgerlich elitäre Massenbewegung, welche eine bedeutende soziale und politische Massenbasis für den bürgerlichen Ausnahmestaat (Bonapartismus, Diktatur, Faschismus) darstellen kann. Die neoliberale/multipolare „Zivilgesellschaft“ stellt somit im Innenverhältnis die innere Schiene der Repression dar. Im Außenverhältnis ist die neoliberale/multipolare „Zivilgesellschaft“ eine Waffe im imperialistischen Kampf um die Neuaufteilung des Weltmarktes, gegen konkurrierende Metropolen oder gegen die Peripherie. Jeder bürgerliche Staat geht repressiv gegen ausländisch finanzierte „NGO´s“ vor, zeitgleich fördert er im Innenland seine eigenen ihm verpflichteten „NGO´s“ und gleichzeitig finanziert jeder bürgerliche Staat, vor allem ein imperialistischer bürgerlicher Staat, im Ausland ebenfalls seine „NGO´s“. Von „Zivilgesellschaft“ ist in der gegenwärtigen neoliberalen/multipolaren „Zivilgesellschaft“ nicht viel vorhanden bzw. sie ist nichts anderes als eine Vorfeldorganisation des bürgerlichen Staates, besonders des imperialistischen bürgerlichen Staates, eher eine Waffe zur verdeckten inneren Militarisierung und damit besonders eine Tarnorganisation der Geheimdienste im Inland, wie im Ausland. Die „Zivilgesellschaft“ ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems.

Die „Zivilgesellschaft“, die staatlich-private Partnerschaft der sogenannten „NGO`s“, spielt eine wesentliche Rolle in der Stabilisierung und Destabilisierung des eigenen, wie fremden bürgerlichen Nationalstaates, unter besonderer Berücksichtigung der Politik der Metropolen. Der „graue“ Sektor der „NGO´s“ kann nur durch die Metropolen strukturiert werden, denn dafür bedarf es erheblicher finanzieller Mittel, welche nur in den Metropolen vorhanden sind und nicht in der Peripherie. Somit sind die staatlich-privaten „NGO´s“ eine Waffe im Kampf um Weltmarktanteile im multipolaren Weltmarkt und sind Momente der multipolaren Weltordnung. Die multipolare Weltordnung reproduziert den multipolaren Weltmarkt in der politischen Sphäre und der multipolare Krieg (auch der multipolare Wirtschaftskrieg) ordnet die multipolare Weltordnung und über diese auch bedeutend den multipolaren Weltmarkt.

In letzter Instanz sind die staatlich-privaten „NGO´s“ vormilitärische Organisationen/para-geheimdienstliche Strukturen in einer Strategie der Spannung. Ihre Aufgabe ist es, entweder im eigenen Land die Arbeiterklasse und das Kleinbürgertum immer weiter aufzuspalten und unter Aufsicht der „NGO“ als Vorfeldorganisation des bürgerlichen Klassenstaates politisch neu zusammenzusetzen, um die soziale Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse auf diesem Weg zu forcieren, oder im Ausland diesen Prozeß gegen eine andere Metropole und/oder gegen eine koloniale oder halbkoloniale Bourgeoisie in der Peripherie im Sinne imperialistischer Aggression/ Expansion zu realisieren. Hier sind auch die „Farbenrevolutionen“ oder „bunten Revolutionen“ als verdeckte Kriegsführung/hybrider Krieg zu verorten. In dieser imperialistischen Aggression der verdeckten Kriegsführung/hybrider Kriegsführung spielen die „NGO´s eine zentrale Rolle. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts wird der internationale Konkurrenzkampf des Kapitals indirekt über die verdeckte Kriegsführung/hybride Kriegsführung ausgetragen. Ein Staatsstreich erfolgt in diesem Konzept nicht mehr durch das Militär oder wird durch andere politische Minderheiten realisiert, sondern durch einen Massenputsch. Immer noch putscht sich eine Minderheit an die Macht, jedoch getragen durch eine Massenbewegung, welche zwar machtlos ist, aber die putschenden Kräfte mit Massenlegitimation versorgt. Diese Massenbewegung ist nur amorphe Masse und zentral formal durch die „NGO´s geleitet bzw. durch Parteien und andere Organisationen, die mit den „NGO´s“ organisch verbunden sind, real jedoch werden sie durch „eigene“ oder „fremde“ Geheimdienste geführt. Es gibt eine straffe und hierarchische interne Organisationsstruktur, welche eine demokratische Diskussion unterdrücken, was dazu führt, daß egalitäre Forderungen und soziale Forderungen nur eine unwesentliche Rolle spielen, während politische und elitäre Forderungen in den Vordergrund treten und damit die Arbeiterklasse aus der Massenbewegung herausgedrängt wird, während das Kleinbürgertum und über dieses die Bourgeoisie diese Massenbewegung hegemonieren und steuern-gegen die Arbeiterklasse. Der Massenputsch ist keine Revolution, denn die Revolution lebt von der Selbsttätigkeit der Massen, die sich selbst organisieren. Im Massenputsch bzw. zivilen Massenputsch wird lediglich eine Revolution imitiert und die Selbsttätigkeit der Massen ausgelöscht. Es wird Revolution, Volksaufstand, gespielt, aber exekutiert wird ein Staatsstreich in demokratischer Verkleidung. Die Revolution als Farce. Statt Revolution eine „demokratische“ Konterrevolution. Die Massenbewegung tarnt den Staatsstreich. Der Putsch erscheint als Revolution. Eine Fraktion des Kapitals, alleine oder mit ausländischer imperialistischer Hilfe, stürzt eine andere Fraktion des Kapitals und versucht das jeweilige kapitalistische Land in das Einflußgebiet einer anderen imperialistischen Macht zu transformieren. Die „Zivilgesellschaft“ als Agentur des Staatsstreichs, entweder gegen die Regierung oder für die Regierung, Sturz einer Regierung über einen Staatsstreich, oder Vernichtung der Opposition durch einen Staatsstreich der Regierung. Diese (neoliberale/multipolare) „Zivilgesellschaft“ ist so zivil wie ein Panzer und walzt den authentischen und originären Widerstand von unten, aus der Arbeiterklasse, nieder und präsentiert sich als den gut ausgerüsteten „Widerstand“ von oben.

Im Massenputsch kommt der „Zivilgesellschaft“ nur die Aufgabe zu, den eigentlichen Staatsstreich abzusichern, indem dieser „demokratisch“ maskiert wird. Der reale Putsch wird von anderen militärischen und paramilitärischen Kräften ausgeführt, welche unter dem Schutz des „demokratischen“ Schildes teils offen, teils verdeckt, operieren. Die faschistischen und islamistischen Stoßtruppen sind die zentralen Akteure, verbunden mit dem nationalen und/oder internationalen militärisch-industriellen Komplex, welche den Staatstreich exekutieren und werden durch den „demokratischen Kranz“ der „Zivilgesellschaft“ politisch geschützt, erscheinen so als „Freiheitskämpfer, als „Revolutionäre“. In der ersten Phase des „demokratischen Massenputsches“ dominiert die „Zivilgesellschaft“, welche die sozialen Probleme aus der materiellen Krise eines kapitalistischen Landes in politische Probleme konzentriert und transformiert, hin zu einem Staatsstreich, bereitet politisch das Feld für einen Staatsstreich vor. In der entscheidenden Phase kommt der Angriff durch die faschistischen und/oder islamistischen Stoßtruppen, welche vorher als „aufrechte Demokraten“ geadelt wurden und stürzen die Regierung bzw. vernichten die Opposition, ohne daß sich die Regierung des bürgerlichen Staates die Hände schmutzig macht. Der „gerechte Volkszorn“ entlädt sich und ist angeblich immer demokratisch. Ab diesem Angriffszeitpunkt hat die „Zivilgesellschaft“ ihre Schuldigkeit getan und wird an die Peripherie geschoben. Diese konkrete historische Funktion der „Zivilgesellschaft“ liegt in der „Strategie der Spannung“, den politischen Spannungsaufbau bei gleichzeitiger Negation der sozialen Spannungen. Erst wenn die politischen Spannungen ein hohes Niveau erreicht haben, kann ein Staatsstreich exekutiert werden. Nach dem Staatstreich entscheiden andere Kräfte, auf die die „Zivilgesellschaft“ keinen Einfluß hat und diese muß sich unterwerfen. Mit dieser groben Skizze kann die gegenwärtige Form des „Regime-Change“ betrachtet werden, ob in der Ukraine, in Syrien, in Weißrussland, etc. Statt sozialer Umwälzungen wurden immer nur politische Umwälzungen exekutiert und die sozioökonomische Lage blieb vor und nach dem „Machtwechsel“ gleich bzw. verschlechterte sich, da eine massive Deregulierugs- und Schockpolitik eingeleitet wurde. Es geht nur um eine innerkapitalistische Machtübertragung von der einen Fraktion der herrschenden Klasse auf die andere Fraktion der herrschenden Klasse, deswegen, weil es keine proletarische politische Offensive gibt, welche die herrschende Klasse enger zusammenschweißt. Als eigenständige Kraft wurde die Arbeiterbewegung seit dem Zusammenbruch der bürokratisch entarteten Arbeiterstaaten 1989 weitgehend ausgeschaltet. Nur dann ist es für die Bourgeoisie möglich Revolution zu spielen. Doch die derzeitigen Brüche machen das Revolutionsspiel der Bourgeoisie gefährlicher, denn langsam ist die Arbeiterklasse gezwungen, Widerstand zu leisten, will sie sich noch langfristig ihre gesellschaftlich notwendige Reproduktion sichern.

Regime-Change-Maßnahmen, „Farbrevolutionen,“ finden vor allen an den Bruchkanten und Knotenpunkten der Weltmarktkonkurrenz statt und betreffen nicht nur das konkrete Land, sondern eine bestimmte Region, bzw. die Welt insgesamt und sind deshalb verdichtete und konzentrierte innerimperialistische Konflikte, die quer zu den originären Konflikten und auch determinierend zu diesen, ausgetragen werden. Exemplarisch sieht man dies an der Syrien und Ukraine-Frage. Es geht nicht so sehr um Syrien oder um die Ukraine, sondern es ist ein Machtkampf zwischen dem transatlantischen Imperialismus auf der einen Seite und dem russischen Imperialismus und China auf der anderen Seite. Darum können Syrien-Krieg und vor allem der Ukraine-schnell in den Dritten Weltkrieg eskalieren. Der Syrien-Krieg, wie der Ukraine-Krieg, sind imperialistische Stellvertreter-Kriege, die schnell in einen direkten Krieg der imperialistischen Mächte eskalieren können und damit in einen Dritten Weltkrieg. Die gegenwärtige Weltkrise, welche sich in dem Ukraine-Krieg konzentriert, ist selbst das Produkt eines „Regime-Changes“ in Form eines Massenputsches/“Farbrevolution. Der Weg vom Stellvertreterkrieg zum direkten dritten imperialistischen Weltkrieg ist kurz. Die „Zivilgesellschaft“ wurde zum Zulieferer einer inneren Militarisierung der bürgerlichen Gesellschaft.

Ein „Regime-Change“ durch einen von der „Zivilgesellschaft“ organisierten Massenputsch bereitet potentiell Krieg und Bürgerkrieg vor. Der Maidan-Putsch im Jahr 2014 in der Ukraine führte direkt in den Bürgerkrieg und dann zum NATO-Rußland Krieg in und um die Ukraine und kann jederzeit in den Dritten Weltkrieg eskalieren. Der NATO-Maidan-Putsch im Jahr 2014 schlug fehl und der russische Imperialismus organisierte einen Gegenputsch, der zur Abspaltung der Krim führte, der strategisch wichtigsten Region der Ukraine und unterstützte den Aufstand in der Südostukraine auch im Bürgerkrieg. Die innere Einheit der Ukraine war zerschlagen und die Ukraine zwischen den imperialistischen NATO-Mächten auf der eine Seite und dem russischen Imperialismus auf der anderen Seite aufgeteilt. Es bahnte sich seit dem Jahr 2014 eine imperialistische Konfrontation in und über die Ukraine an. Die „Zivilgesellschaft“ ist immer die fünfte Kolonne des Imperialismus, auch in der Ukraine, sie bereitet politisch das kommende Schlachtfeld vor. Die Maidan-Proteste, welche im Maidan-Putsch im Februar 2022 endeten waren von Beginn an elitäre Massenproteste des Kleinbürgertums, welche politisch und paramilitärisch vom ukrainischen Faschismus unterstützt worden sind und beide waren zu jedem Zeitpunkt unter der Kontrolle des transatlantischen Imperialismus und US-Imperialismus, welcher durch die ukrainische Compradorenbourgeoisie agiert. Der soziale und politische Klassencharakter der Maidan-Proteste war immer antiproletarisch. Die Kritik des Maidan an der damaligen Regierung unter Präsident Janukowitsch war, daß seine Politik zu egalitär war und zu weit Rußland entgegenkommt. Jeder Versuch mit proletarischen Forderungen an den Maidan-Protesten teilzunehmen wurde von den faschistischen Kräften unterbunden. In der ersten Phase vor dem Putsch von November 2013 bis Februar 2014 dominierte die „Zivilgesellschaft“; mit dem Putsch vom Februar 2014 dominierte der faschistische Sektor und ordnet sich die „Zivilgesellschaft“ unter, die nun die Aufgabe zufällt, die Diktatur und den Bürgerkrieg zu legitimieren. Der Bürgerkrieg endete mit einer schweren Niederlage im Donbass. Der Donbass wurde zum Massengrad des Maidan. Nach acht Jahren Bürgerkrieg in Form eines Stellungskrieges drohte die NATO-Ukraine mit einem Angriff auf den Donbass und Rußland, Zielrichtung vor allem gegen die Krim. Rußland nahm die Herausforderung an und griff dann im Februar 2022 selbst an, nachdem die USA im August 2021 ihre katastrophale Niederlage in Afghanistan einstecken mußte. Diese Schwäche galt es auszunutzen. Die NATO-Ukraine hat sich auf den Krieg vorbereitet, Rußland ebenso. Doch der russische Imperialismus hat sich besser vorbereitet. Die zentrale Front ist nicht so sehr die militärische Front in der Ukraine, sondern die Wirtschaftsfront im Wirtschaftskrieg. Der Wirtschaftskrieg schadet mehrheitlich die transatlantischen Metropolen und dem deutschen Imperialismus, indem er vor allem eine Energiekrise produziert. Während sich Rußland und China ökonomisch und politisch annähern, wachsen die Spannungen zwischen den transatlantischen Metropolen und China. Die sozialen Erschütterungen des Wirtschaftskrieges fallen in Rußland kleiner aus, als in den transatlantischen Metropolen. Damit gibt es keine materielle Basis Rußland über eine „Zivilgesellschaft“ zu destabilisieren, während in den transatlantischen Metropolen die Angst vor einer Destabilisierung durch Rußland umgeht. Ein Notstandsstaat formiert sich dort immer deutlicher.

An der militärischen Front verweigert Rußland einen Blitzkrieg und geht langsam vor. Erst der Donbass, dann der Rest der Restukraine. Vor allem stellt der russische Imperialismus auf die Zerstörung der morschen ukrainischen Gesellschaft ab und entzieht so einem neuerlichen Maidan den Boden. Die ukrainische Gesellschaft zersetzt sich und wird dann durch Rußland im Sinne des Konzepts von der „Russischen Welt“ wieder neu zusammengesetzt. Langsam, aber unerbittlich geht der russische Vormarsch weiter. Ohne Zeitdruck. Der Donbass wird zum zweiten Mal das Massengrab des Maidan, aber immer mehr zum Massengrab der Ukraine, bzw. NATO-Ukraine. Langsamer Vormarsch unter dem Schutz der Luftwaffe und der Raketen, wie Artillerie Abwehrsysteme, massive Artillerie Konzentration auf den ukrainischen Festungsgürtel im Donbass führen zum Erfolg. Der Imperialismus teilt sich den Weltmarkt neu auf und die Ukraine ist ein Land, welches neu aufgeteilt wird. Eine multipolare Welt verlangt nach dem multipolaren Krieg, wenn es der Arbeiterklasse nicht gelingt, den Kapitalismus zu stürzen.

Die Große Krise in Form des transatlantisch antirussischen Wirtschaftskrieges hinterläßt eine Spur der sozialen Verwüstung und damit auch der Massenunzufriedenheit. Auch die EU-Staaten werden von einer Welle des proletarischen Klassenkampfes überrollt. Massenstreiks im britischen Imperialismus, Massenstreiks und offene proletarische Revolten in Frankreich etc. Und auch in Deutschland nimmt die Streikbereitschaft zu. Noch ist die Arbeiterklasse unter Kontrolle der Gewerkschaftsbürokratie, welche eine Politik des Reallohnverlusts betreibt, denn es wird explizit ein Inflationsausgleich ausgeschlossen. Jedoch ist die Streikbereitschaft hoch und in dieser hohen Streikbereitschaft unter Kontrolle der Gewerkschaftsbürokratie manifestiert sich die hohe Massenunzufriedenheit der Arbeiterklasse in Deutschland. Es geht um mehr als um die gewerkschaftlichen Forderungen. Es geht um Inflationsausgleich, Ende des antirussischen Wirtschaftskrieges und Ende der deutschen Unterstützung für die NATO-Ukraine, denn Schritt für Schritt treibt die Welt einem Dritten Weltkrieg entgegen. Diese objektiven Forderungen liegen der proletarischen Massenunzufriedenheit zu Grunde und finden ihren materiellen Ausdruck in der hohen Streikbereitschaft, weisen wie die Massenstreiks in Frankreich und in Britannien auf einen potentiellen proletarisch-revolutionären Bruch hin.

  1. Der proletarische Weg

-Generalstreik gegen Krieg und Krise. Der Feind steht im eigenen Land! Der Feind ist die eigene Bourgeoisie, der Feind ist der eigene bürgerliche Staat!

-Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, ansetzend an der alltäglichen Sabotage der Ausbeutung, vor allem auch im Sektor der „Kritischen Infrastruktur“ und im militärisch-industriellen Komplex und international organisiert

-Arbeiterkontrolle über die Produktion als ersten Schritt zur proletarischen Doppelmacht

-Aufbau proletarischer Hundertschaften gegen die Repression des bürgerlichen Staates und seiner neofaschistischen Organisationen

Iwan Nikolajew Hamburg im April 2023 Maulwurf/RS

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Grafikquellen       :

Oben       — Einzug in Münster zu den Friedensverhandlungen 1643, Stadtmuseum Münster.

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3.) von Oben        —  Logo of the Organization of the Warsaw Pact

Fenn-O-maniC – Own work

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Unten     —       Heimkehrende Schnitter von Jakob Becker: Blick eines romantischen Malers auf das Landproletariat im 19. Jahrhundert

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KOLUMNE * Red Flag

Erstellt von DL-Redaktion am 9. April 2023

Staat und Kanon: – Wie wir zu lesen haben

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Kolumne von Fatma Aydemir

In Deutschland und der Türkei stehen zwei Bücher zur Diskussion, oder besser: wie wir sie lesen sollen. Dabei ist das von unserem Erlebten geprägt.

Jedes Mal, wenn ich in der U-Bahn oder im Wartezimmer einer Arztpraxis jemanden in einen aufgeschlagenen Roman vertieft sehe, spüre ich ein leichtes Kribbeln und packe beschämt mein Smartphone weg. Es ist eine Art Ehrfurcht, als stünde ich vor einem Zeitreisenden, als platzte ich in dessen Tempel und entweihte ihn mit dem Vibrieren des profanen Geräts, das wie eine kantige Verlängerung aus meiner Handfläche ragt. Und es ist ein bisschen Neid auf die Konzentrationsfähigkeit der Lesenden, die nicht erst an den See fahren oder einen freien Tag haben müssen, um sich in Literatur zu versenken.

Romane können Unterhaltung sein, klar, aber sie verlangen uns eine ganz andere Verbindlichkeit ab als das, was uns heute viel eher als Unterhaltung in den Sinn käme. Romane zu lesen erfordert eine Aufmerksamkeit, die für das Bingen einer Serie völlig unnötig wäre. Spätestens am Anfang der nächsten Folge wird mir ohnehin nacherzählt, was mir beim Wäschefalten womöglich entgangen ist. Dafür geben uns Romane in gewisser Weise aber auch mehr: mehr Deutungsmöglichkeiten, mehr Verspieltheit und mehr Raum für das eigene Erlebte, das in der Begegnung mit Romanfiguren und deren Konflikten immer nachhallt.

Insofern ist die Annahme, man könne vorgeben, wie ein Roman zu lesen und verstehen sei, nicht nur falsch, sondern geradezu lächerlich. Das soll kein Affront gegen die Literaturwissenschaft sein, deren Aufgabe ja eher im Auffächern verschiedener Deutungsebenen in bestimmten kulturhistorischen und ästhetischen Kontexten besteht.

Wenn es sich jedoch nicht um Möglichkeiten, sondern um Vorgaben handelt, die auch noch von staatlicher Seite kommen, ist stets äußerste Vorsicht geboten. Denn diese übergestülpte Lesart übergeht nicht nur Gewalterfahrungen eines Teils der Leser_innenschaft, die beim Lesen ebenfalls nachhallen. Sie erzählt uns auch etwas über den Umgang eines Staats mit seinen Minderheiten, wie zwei aktuelle Fälle zeigen.

Zwei Fälle von Anmaßung

So beschloss vor wenigen Wochen ein türkisches Gericht, dass ein vor neun Jahren erschienener Roman („Rüyasi Bölünenler“) des kurdischen Schriftstellers Yavuz Ekinci nicht mehr gedruckt und verbreitet werden darf, weil er angeblich Propaganda für die PKK betreibe. Etwa zur selben Zeit entbrannte hierzulande eine Debatte um Wolfgang Koeppens Nachkriegsroman „Tauben im Gras“ von 1951, weil er trotz rassistischer Sprache und Protest von Schwarzen Lehrer_innen, Schüler_innen sowie Verbündeten in Baden-Württemberg Abi-Pflichtlektüre bleiben soll.

Zugegeben, der eine Fall lässt sich nicht direkt mit dem anderen vergleichen, wird auf der einen Seite doch das emanzipatorische Werk eines Autors von einem autoritären Staat zensiert, auf der anderen Seite die Forderung nach einem rassismuskritischen Pflichtlektüre-Kanon an Schulen abgelehnt und als „Zensur“-Versuch verteufelt.

In beiden Fällen jedoch maßt sich eine staatliche Institution an, bestimmen zu können, wie eine literarische Erzählung zu deuten sei – und in beiden Fällen will sich die Leser_innenschaft ein eigenes Bild davon machen. So verraten Suchmaschinen-Statistiken, dass seit zwei Wochen wie verrückt nach einer PDF-Version von Yavuz Ekincis verbotenem Roman gegoogelt wird. Der Klassiker „Tauben im Gras“ wiederum schoss über Nacht auf die Bestsellerliste von Amazon.

Quelle         :           TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   Eine wehende rote Fahne

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Unten      —   FriedensEi

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Bolivien und Peru

Erstellt von DL-Redaktion am 8. April 2023

La Paz: Gondelbahnen als attraktives lokales Verkehrsmittel

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Quelle      :        INFOsperber CH.

Josef Estermann /   

Vor neun Jahren fuhr die erste Gondelbahn. Inzwischen gibt es in der bolivianischen Stadt zehn Linien. Ein Augenschein vor Ort.

Red. Josef Estermann hatte während 17 Jahren in Peru und Bolivien gelebt und gearbeitet. Kürzlich besuchte er alte Bekannte.

La Paz ist eine verrückte Stadt. Sie liegt in einem Kessel auf einer Höhe von 3200 bis 4000 Metern über dem Meeresspiegel. Am oberen Rand – von den Einheimischen Ceja oder «Augenbraue» genannt – beginnt die Andenhochebene (Altiplano) und damit die Satellitenstadt El Alto (wörtlich: «der Hohe»). Entgegen der Meinung vieler Ausländerinnen und Ausländer ist La Paz nicht die Hauptstadt Boliviens – diese ist Sucre –, sondern Sitz der bolivianischen Regierung.

Eine verkehrstechnische Herausforderung

La Paz und El Alto haben zusammen inzwischen rund zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, wobei sich das Verhältnis umgekehrt hat. 1950 war El Alto mit rund 2000 Bewohnerinnen und Bewohnern ein kleines Dorf auf der windigen und kalten Hochebene; heute hat die ehemalige Satellitenstadt mehr Einwohnerinnen und Einwohner als der Regierungssitz. Das Verkehrsaufkommen ist dementsprechend sprunghaft angestiegen, vor allem auf den Hauptverkehrsadern, welche die beiden Metropolen miteinander verbinden und den grossen Höhenunterschied überwinden.

Schon in den 1980er Jahren hatte die Stadtregierung von La Paz Pläne, die beiden Städte mit Luftseilbahnen miteinander zu verbinden. Die Umsetzung aber scheiterte an politischen Machtspielen, bis der ehemalige Staatspräsident Evo Morales zu Beginn seiner zweiten Amtszeit (ab 2011) die Initiative an sich riss und das Projekt in Rekordzeit umsetzte. Für die Überwindung der insgesamt fast tausend Höhenmeter war bis anhin ein riesiges Heer von Minibussen besorgt, die regelmässig die zum Teil schmalen und kurvenreichen Strassen verstopften und nicht selten wegen technischer Defekte steckenblieben.

Am 30. Mai 2014 konnte Evo Morales nach kurzer Projektierungsphase und ebenso kurzer Bauzeit die erste Gondelbahn, die «rote Linie», in Betrieb nehmen, welche den alten stillgelegten Bahnhof im Zentrum von La Paz mit El Alto verbindet. Die Linie ist 2349 Meter lang, die Fahrt dauert etwa elf Minuten. Sie führt von Taypi Uta («zentrales Haus») über die Mittelstation Ajayuni («wo die Seelen hausen») beim riesigen Friedhof der Stadt nach Jach’a Qhatu («grosser Markt») in El Alto. Auch die Haltestellen der anderen neun Linien tragen Aymara-Namen und sollen den neuen Wind versinnbildlichen, der mit der Regierung von Morales Einzug in Bolivien gehalten hat.

Täglich 400’000 Passagiere

Nach der roten Linie kamen die beiden anderen Landesfarben Boliviens, gelb und grün, für weitere Gondelbahnen zum Zug, die ebenfalls El Alto mit La Paz, allerdings dieses Mal mit den reicheren und tiefer gelegenen Vierteln in der südlichen Zone (Zona Sur) verbinden sollten. Heute gibt es insgesamt zehn verschiedene Gondelbahnen mit insgesamt 38 Haltestellen und einer Gesamtlänge von 32 Kilometern. Die farblich gekennzeichneten Linien sind wie ein Spinnennetz miteinander verbunden. Touristinnen und Touristen machen sich ein Spiel daraus, alle Strecken an einem Tag oder gar einem Vormittag zurückzulegen. Für die Einheimischen dagegen sind die Gondelbahnen ein schnelles, bequemes, sicheres und vor allem ruhiges Verkehrsmittel.

Pro Tag benutzen rund 400’000 Passagiere eine oder mehrere der insgesamt 1398 Gondeln. Bis heute haben diese über 400 Millionen Menschen transportiert. Die Konzession für den Bau und Betrieb der Gondelbahnen hat der bolivianische Staat an das österreichisch-schweizerische Konsortium Doppelmayr-CWA (Carrosserie-Werkstätte Aarburg) vergeben, aber die öffentliche Hand ist Eigentümerin und Nutzniesserin der Gondelbahnen. Der Einheitstarif für eine Linie beträgt drei Bolivianos (rund 40 Rappen), beim Umsteigen auf eine andere Linie zahlt man noch zwei Bolivianos; und der «Vorzugstarif» für RentnerInnen (ab 60), Schwangere, Studierende und Menschen mit einer Beeinträchtigung beträgt nur die Hälfte.

Das Gesamtprojekt, das noch nicht abgeschlossen ist, nennt sich Red de Integración Metropolitana (Netz zur Integration der Metropole) und ist als wichtiger Beitrag zur Bewältigung des zunehmenden Verkehrsaufkommens der beiden Städte konzipiert. Die Feinverteilung der Reisenden sollen Schnellbusse sicherstellen – in La Paz die Puma Katari, in El Alto die Wayna-Busse –, was allerdings nur zum Teil umgesetzt ist. Geplant sind eine Weiterführung der braunen (café) und der Bau einer neuen «goldenen» (dorado) Linie, welche die Stadtteile der südlich gelegenen wohlhabenderen Viertel verbinden soll. Böse Zungen behaupten, dass Letztere deshalb noch nicht gebaut sei, weil Evo Morales und sein Movimiento al Socialismo (MAS) sich für den stillen Staatsstreich rächen wollen, der ihn 2019 aus dem Amt gejagt hatte.

Grösstes urbanes Seilbahnnetz der Welt

Während die meisten Seilbahnen in der Schweiz dazu dienen, Personen auf Aussichtspunkte oder Güter in schwierig zugängliche Alpgebiete zu transportieren, sind die Seilbahnen von La Paz und El Alto in erster Linie städtische Verkehrsmittel. Die touristische Nutzung ist bloss ein Nebeneffekt und fällt, aufs Ganze gesehen, kaum ins Gewicht. Dabei spielt zwar die Überwindung der Höhendifferenz von fast tausend Metern eine entscheidende Rolle, aber einige Linien dienen auch der Verbindung einzelner Stadtteile untereinander. So gibt es drei Seilbahnlinien, die unterschiedliche Stadtteile von El Alto miteinander verbinden, sowie deren vier, die dasselbe in La Paz zum Ziel haben. Nur drei Gondelbahnen – rot, gelb und violett – verbinden die beiden Städte und damit den tiefergelegenen Süden mit dem höhergelegenen Norden miteinander.

Das soziale Gefälle wird sichtbar

Durch die Seilbahnen wurde vielen Bewohnerinnen und Bewohnern der beiden Städte zum ersten Mal bewusst, wie eklatant die sozialen und lebensweltlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Stadtteilen sind. Wenn man zum Beispiel die gelbe und grüne Linie benutzt, wie dies viele Hausangestellte aus El Alto jeden Tag tun, dann schwebt man in etwas mehr als einer halben Stunde nicht nur von 4000 auf rund 3200 Meter Höhe hinunter, sondern über die gesamte Skala sozialer Klassen und ethnischer Zugehörigkeit hinweg.

Man oder frau startet in Qhana Pata, dem Ausgangspunkt in El Alto (der nicht ohne Grund «Aussichtspunkt» heisst), der zugleich das Zentrum der Geschäftstätigkeit der Aymara ist. Am Abhang hinunter nach La Paz und bis zur ersten Station Quta Uma kleben armselige und nur über steile Treppen oder Sandwege erreichbare prekäre Behausungen am rutschigen Berg. Schliesslich werden die Häuser immer solider und vor allem höher, aus Backstein und oft sogar schön verputzt, bis die Gondel in Supu Kachi das Ausgangsviertel von La Paz erreicht. Mit jeder Station wird es wärmer. In Chuqui Apu steigt man in die grüne Linie um, die an der Katholischen Universität und dem Olympiaschwimmbad vorbei und über mondäne Villen mit Pool nach Irpavi führt. Eine riesige Mall im US-Stil empfängt die Passagiere, aber auch die Aymara-Frauen, die zu ihren Señoras hasten, um Kinder zu hüten oder den Haushalt zu schmeissen.

Gondelbahnen als Mittel zur sozialen Integration

Tatsächlich erhalten die Armen Einblick in die Innenhöfe der Reichen, und tatsächlich sehen die Reichen (wenn sie denn überhaupt die Gondelbahn in Anspruch nehmen) die baufälligen Behausungen am Abhang, was ohne die Seilbahnen niemals so augenscheinlich möglich wäre. Aber führt dies auch zu einer sozialen Integration von an sich klar getrennten sozialen Sphären? Die von einer indigenen Regierung geplanten und schliesslich realisierten Gondelbahnen erfüllen vor allem die bis heute marginalisierten Gruppen der Aymara und Quechua mit einem neuen Stolz. Sie nennen diese denn auch «Mi Teleférico»: «meine Seilbahn».

Zwar haben sich die Staus im Zentrum von La Paz oder an den neuralgischen Punkten in El Alto nicht wirklich aufgelöst, aber ohne die Seilbahnen wäre das Verkehrschaos unvorstellbar. Es wären mindestens 20’000 zusätzliche Minibusse unterwegs, um die Gondelpassagiere zu transportieren. La Paz und El Alto sind näher zueinander gerückt, aber auch die einzelnen Stadtteile. Die unsichtbare «Apartheid», wie sie zuvor das soziale Leben in den beiden Metropolen bestimmt hat, ist jetzt für alle sichtbar geworden. Die Zona Sur, einstmals jener Stadtteil von La Paz, wo sich die Wohlhabenden unter ihresgleichen wähnen konnten, wird durch die Gondelbahnen immer mehr auch Ziel eines Ausflugs von Cholas (so werden die Aymara-Frauen mit ihren Reifröcken genannt) aus El Alto. Und nicht wenige Q’aras (Bezeichnung für weisshäutige Menschen) aus La Paz ergötzen sich an den Cholets in El Alto, jener Neo-Aymara-Architektur, die alpine Chalets im andinen Kontext zu Hunderten hochzieht.

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Oben      —     Hochseilbahn über La Paz

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Bürgermeisterwahl Chicago

Erstellt von DL-Redaktion am 7. April 2023

Gute Kinder, böse Stadt

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Aus Chicago von Lukas Hermsmeier

695 Menschen wurden 2022 in Chicago getötet. Bei der Wahl des neuen Bürgermeisters dreht sich alles um die Frage: Was tun gegen die Gewalt? Die einen wollen mehr Polizei, die anderen wollen sie abschaffen.

 

Die erste Schusswaffe hatte Camiella Williams mit elf Jahren. Ein 9-mm-Kaliber, für 25 Dollar vom Taschengeld gekauft. Nichts Besonderes in Englewood, sagt sie. Hatten die Jungs ja auch.

Wenn sie die anderen einschüchtern wollte, holte sie die Pistole aus ihrem Rucksack und wedelte damit herum. Muss sie sich abgeguckt haben, sagt Williams. Wer zu einer Gang gehört, sorgt besser für Angst, als sie zu zeigen.

In Englewood gibt es kein Leben ohne Gewalt. Gewalt ist draußen und zwischen den Menschen und irgendwann auch in einem drin, sagt Williams. Als Trauma, kalt und glühend. Man weiß, dass Personen, die schwere physische Gewalt ausüben, fast immer selbst Gewalt erfahren haben. In Englewood erlebt man es.

Wer mit Camiella Williams, die heute 35 Jahre alt ist, zwei Söhne hat und als Lehrerin arbeitet, durch ihre alte Heimat im Süden von Chicago fährt, spürt, wie sehr sie an Englewood hängt. Sie zeigt auf den Kiosk, an dem sie damals Fruchtgummis für 75 Cent kaufte, die Marke, die sie jetzt immer noch holt. Sie erzählt vom Shoppingcenter, das es nicht mehr gibt, Evergreen Plaza, „von allen nur Everblack genannt“. Erinnerungen an jeder Ecke. Und an jeder zweiten nennt sie einen neuen Namen.

Deonte. Rekia. Porshe. Terrell. Starkesia. Tyshawn.

Wie viele Menschen sie in ihrem Leben durch Gewalttaten verloren hat? „Es müssten über 50 sein.“ Freundinnen, Cousins, Lehrerinnen, Bekannte.

„An manchen Tagen weiß ich einfach nicht mehr weiter“, sagt Williams, als sie an einer Ampel hält. Angst, schiebt sie wie im Reflex hinterher, habe sie aber keine. Williams zeigt links neben sich auf das kleine Fach in der Autotür. Dort liegt ihre Pistole. Dass Selbstbewaffnung keine langfristige Lösung ist, muss man ihr nicht erzählen. Kaum jemand weiß das besser als sie.

***

Wenn Chicago, mit 2,7 Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen die drittgrößte Stadt der USA, am 4. April einen neuen Bürgermeister wählt, wird die Southside eine entscheidende Rolle spielen. Es sind allerdings nicht die Leute in Englewood, ihre Perspektiven, die im Mittelpunkt der Debatten stehen. Maßgebend ist auch nicht in erster Linie die Gewalt, die sich hier durch Armut, fehlende Angebote und oft rassistische Repressionen der Polizei ins Leben der Menschen drückt und dann zwischen ihnen explodiert. Gewalt wird von den politischen Verantwortlichen als Problem nur sehr selektiv wahrgenommen.

Das dominierende Thema dieser Wahl ist Crime, also Kriminalität.

Kriminalität und Gewalt haben natürlich etwas miteinander zu tun, aber es sind doch ganz verschiedene Denkgrößen, verschiedene Rahmen. Besonders deutlich wird das in Vierteln wie Englewood, wo das Label „crime hotspot“ eine Auseinandersetzung mit den Ursachen von Gewalt geradezu verhindert.

2022 wurden in Chicago 695 Menschen getötet. Im Jahr davor waren es 804. So hoch waren die Zahlen zuletzt in den 90er Jahren. Dass die Zahl der Straftaten in den vergangenen Jahren laut Polizei gestiegen ist, wird vor allem mit der Pandemie erklärt. 2022 wurden pro Tag durchschnittlich 59 Autodiebstähle gemeldet. Schießereien gehören zur Normalität. Laut aktueller Umfragen fühlen sich zwei Drittel der Ein­woh­ne­r*in­nen von Chicago unsicher.

Hat man diese Statistiken im Kopf, überrascht es kaum, dass das Thema den Wahlkampf bestimmt. Und doch ist dieses Jahr etwas Besonderes. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gibt es einen aussichtsreichen Kandidaten auf das höchste Amt der Stadt, der anders über Gewalt und Kriminalität nachdenkt – der nicht noch mehr Polizei in Viertel wie Englewood schicken will, sondern im Gegenteil, so viele Be­am­t*in­nen wie möglich durch Sozialarbeiter*innen, The­ra­peu­t*in­nen und Leh­re­r*in­nen ersetzen will.

Linker Wandel oder Recht und Ordnung?

Brandon Johnson heißt der Mann, der einen linken Wandel für Chicago anstrebt. Der 47-jährige Afroamerikaner war Lehrer an einer öffentlichen Schule und Gewerkschaftsaktivist, bevor er Politiker wurde. Aktuell sitzt er im Parlament von Cook County, so heißt der Verwaltungsbezirk, in dem Chicago liegt. Johnson wohnt mit seiner Familie in Austin, einem überwiegend prekären Viertel im Westen der Stadt. Er weiß, wie sich Schüsse aus der Nähe anhören. Und er gibt zu, dass er manchmal Angst hat, wenn seine Kinder draußen spielen.

„Glaubt mir“, sagt Johnson bei jeder Gelegenheit, „mir liegt persönlich daran, dass wir das Problem lösen“.

Sein Kontrahent, der 69-jährige Paul Vallas, will keinen Bruch, sondern den Strafapparat weiter ausbauen. Vallas war in den vergangenen Jahrzehnten in verschiedenen US-Metropolen als Chef der Schulbehörde im Einsatz und sorgte in Chicago, Philadelphia und New Orleans dafür, dass Teile des Bildungssystems privatisiert wurden. Statt großflächig in öffentliche Schulen zu investieren, ließ Vallas sogenannte Charter Schools eröffnen, die von privaten Trägern gemanagt werden. Darüber hinaus führte er rigidere Teststandards ein und kürzte beim Rentenfonds der Lehrer*innen.

Damit Chicago zurück zu „Gesetz und Ordnung“ kommt, will Vallas Tausende weitere Po­li­zis­t*in­nen einstellen. Mit diesem Versprechen konnte er im ersten Wahlgang Ende Februar vor allem die wohlhabenden, überwiegend weißen Wäh­le­r*in­nen im Zentrum und im Norden Chicagos überzeugen. Vallas landete – bei einer Wahlbeteiligung von nur 36 Prozent – vor Johnson auf Platz eins. Amtsinhaberin Lori Lightfoot, die in ihren vier Jahren im Rathaus weitestgehend orientierungslos agierte, stürzte ab.

In der Stichwahl kommt es nun zu einem Duell der politischen Visionen. Johnson und Vallas sind zwar beides Demokraten, könnten aber innerhalb der Partei kaum weiter voneinander entfernt stehen. Der eine kommt aus der Bewegung, der andere aus der Bürokratie. Der eine wird von progressiven Graswurzelgruppen unterstützt, der andere von der Polizeilobby. Er sei „mehr ein Republikaner als ein Demokrat“, hat Vallas mal über sich gesagt.

Es funktioniert

Von Bedeutung ist diese Wahl weit über die Grenzen von Chicago hinaus. Der Umgang mit Gewalt ist eine zentrale Frage der amerikanischen Politik. Republikaner und rechte Medien haben in den vergangenen Jahren – auch als Antwort auf die Schwarzen, linken Massenproteste im Sommer 2020 nach dem Mord an George Floyd durch einen weißen Polizisten – ihre Crime Panic intensiviert: Weil die Demokraten in den Städten nicht hart genug regierten, versinke das Land im Chaos, lautet ihre Erzählung.

Das Unheimliche an der Crime Panic ist, dass sie nichts löst und trotzdem funktioniert: Die meisten Demokraten lassen sich bereitwillig treiben, mindestens so oft treiben sie die Aufrüstung selbst voran. Es gilt: Auf keinen Fall soft on crime wirken. Präsident Joe Biden hat das Polizeibudget insgesamt um mehrere Milliarden erhöht. Seinem Plan nach sollen in den kommenden Jahren 100.000 neue Po­li­zis­t*in­nen eingestellt werden.

In Chicago, ausgerechnet dort, könnte nun ein Gegenexperiment beginnen. Johnson verspricht zwar keinen radikalen Abbau der Polizei, aber einen radikalen Wandel im Umgang mit der Gewalt. Sollte er gewinnen, hätte die linke Bewegung Macht demonstriert – und stünde sofort unter enormen Druck. Sie müsste gegen alle Widerstände beweisen, dass es anders geht.

***

Wenn Camiella Williams lacht, und ihre Zahnlücke zum Vorschein kommt, dann wirkt sie mit ihrem runden Gesicht für einen kurzen Moment wie ein Kind. Das passiert nicht oft an diesem Nachmittag.

Sie trägt einen blauen Kapuzenpullover, auf dem „GoodKidsMadCity“ steht, so heißt die Community-Organisation, bei der sie als Mentorin arbeitet. Der Name ist eine Anspielung auf Kendrick Lamars legendäres Album, natürlich ist es auch eine politische Botschaft: Nicht die Kids sind das Problem, sondern die Umstände, in die sie geworfen werden.

GoodKidsMadCity wurde 2018 in Englewood gegründet, mehrere hundert Jugendliche sind dort mittlerweile aktiv. Sie treffen sich, um über Konfliktlösungen zu sprechen, organisieren Basketballturniere und Proteste, unterstützen die Angehörigen von Gewaltopfern. Sie setzen sich dafür ein, dass in ihre Nachbarschaften investiert wird: neue Jobs, bessere Bildung, Zugang zu Gesundheitsversorgung, mehr Sportplätze. Sie wollen Gewalt präventiv entgegenwirken. Und sie fordern eine Abschaffung der Polizei.

Williams versucht, ihre Erfahrung an die jungen Ak­ti­vis­t*in­nen weiterzugeben. Sie sagt ihnen nicht: Gebt eure Waffen weg. Sie sagt: Fangt keinen Streit an. Sie fordert nicht: Verlasst eure Gangs. Sie weiß: So was passiert nicht einfach so. „Ich nehme sie ernst“, so Williams, „indem ich ihnen meine Verletzbarkeit zeige.“

Williams war zehn, als ihr Vater an Aids starb. Ihre Eltern waren da schon eine Weile geschieden. Dann erfuhr sie, dass ihre Mutter Brustkrebs hat. Zu viel für ein Kind, sagt sie, vor allem, wenn es keine professionelle Hilfe bekommt. Williams suchte Prügeleien, egal mit wem. In der High School fing sie an, mit Drogen zu dealen, schloss sich einer Gang an, deren Namen sie lieber nicht verraten möchte. Sie entwickelte eine „Vorliebe zur Gewalt“, wie sie im Rückblick sagt.

Die Bewegung ist stark

Im März 2006, Williams war 19 und zum ersten Mal schwanger, wurde ein 14-jähriges Mädchen in der Nachbarschaft durch einen Irrläufer eines Sturmgewehrs getötet. „Sie bringen jetzt auch Kinder um?“ Williams wusste, dass sie irgendwie rausmuss. Sie wandte sich an den Pastor der St.-Sabina-Kirche, deren angeschlossene Schule Williams besucht hatte. Zusammen installierten sie vor dem Gebäude eine Gedenkwand mit Fotos von getöteten Jugendlichen aus Chicago. Knapp 200 Bilder hängen dort heute in sechs Glasvitrinen. Für Williams war es der Einstieg in den Aktivismus.

Sie zog aus Englewood in einen Vorort südlich der Stadt, schrieb sich in ein Community-College ein. In den folgenden Jahren trat sie verschiedenen aktivistischen Gruppen bei. Black Lives Matter nahm seinen Lauf. Der Glaube an eine Reform der Polizei war damals noch da.

„Als ich als politische Organizerin angefangen habe, wurde mir beigebracht, dass man seine Wut besser nicht zeigt“, sagt Williams. „Die Kids von heute sind zum Glück radikaler.“

Und in kaum einer Stadt ist die Bewegung so stark wie in Chicago.

Neben GoodKidsMadCity gibt es in der Windy City, so Chicagos Spitzname, diverse Organisationen, die für den Abolitionismus kämpfen, also die Überwindung von Polizei und Gefängnissen. Da wäre zum Beispiel das Project NIA, von der Vordenkerin Mariame Kaba initiiert, das sich dafür einsetzt, Kinder und Jugendliche aus dem Strafsystem zu holen. Da wären Assata’s Daughters, benannt nach der Schwarzen Freiheitskämpferin Assata Shakur, die politische Bildung anbieten und Ak­ti­vis­t*in­nen trainieren. Auch Kollektive wie BYP100, Love & Protect oder das Rampant Magazine setzen sich dafür ein, den jetzigen Strafapparat obsolet zu machen.

Brandon Johnson, Bürgermeisterkandidat für Chicago :

„Die sichersten Städte der Welt haben eine Sache gemeinsam: Sie investieren in die Menschen“

Alder Planetarium

Chicago ist wieder einmal Wegbereiter. So war es ja schon im 19. Jahrhundert, als dort Zehntausende Ar­bei­te­r*in­nen für einen Acht-Stunden-Tag kämpften und damit den Tag der Arbeit aus der Taufe hoben. So war es in den 1960er Jahren, als Fred Hampton die revolutionäre Rainbow Coalition ins Leben rief. So war es auch 2012, als Zehntausende Leh­re­r*in­nen – organisiert durch die Gewerkschaft CTU – streikten und damit der amerikanischen Ar­bei­te­r*in­nen­be­we­gung Schwung verpassten. In Chicago sitzt der linke Verlag Haymarket Books, benannt nach dem blutigen Aufstand 1886. Hier findet auch die alljährliche Sozialismuskonferenz statt. Chicago ist die Stadt, in der eine wiedererstarkte Gewerkschaftsmacht auf einen Schwarzen, linken Feminismus trifft. Sollte Johnson die Wahl zum Bürgermeister gewinnen, hätte er das vor allem der Graswurzel-Organisierung der vergangenen Jahre zu verdanken.

Quelle         :            TAZ-online          >>>>>      weiterlesen

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Geld oder das Leben ?

Erstellt von DL-Redaktion am 7. April 2023

Ökologie und Frieden: Was heißt heute Pazifismus?

Von    :      Daniel Cohn-BenditClaus Leggewie

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine steht auch die Friedensbewegung an einem Scheideweg, durchlebt sie eine neue Unübersichtlichkeit, die die alten Überzeugungen auf den Prüfstand stellt.

Die letzte – und schon damals neue – Friedensbewegung entstand als Teil der neuen sozialen Bewegungen in den 1960/70er Jahren, und zwar als Duo für „Umwelt & Frieden“. Ihr Codename lautete: Ökopax. Damals protestierte man so selbstverständlich gegen die zivile wie gegen die militärische Nutzung der Atomenergie. Man blockierte Mutlangen, den Standort der US-amerikanischen Pershing-Raketen, genauso entschieden wie Wyhl, Brokdorf und Wackersdorf als mögliche Standorte für Atomkraftwerke und Wiederaufbereitungsanlagen. Öko und Frieden: In diesem Doppelpack eroberten alternative Listen dann kommunale Parlamente, zog die grüne Partei in den Bundestag und in die Landtage ein, verbanden sich Umwelt- und Friedensgruppen über die deutsch-deutsche Grenze hinweg.

Diese neue Friedensbewegung,[1] die seit Ende der 1970er Jahre gegen den Nato-Doppelbeschluss kämpfte, schloss an ihre Vorläuferin, die Ostermarschbewegung der 1950er und 60er Jahre, an, die gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik Deutschland und deren Eingliederung in westliche Militärallianzen opponiert hatte, nicht zuletzt deshalb, weil beides mutmaßlich die deutsche Wiedervereinigung verhinderte. Große Teile der (außer-)parlamentarischen Linken bis weit in die SPD hinein bevorzugten eine dauerhaft entmilitarisierte, neutrale Republik zwischen den Blöcken, waren gegen die Westbindung, die Bundeskanzler Konrad Adenauer Richtung Washington und sein Atom- und Verteidigungsminister Franz Josef Strauß in Richtung Paris (inklusive Atomwaffenbesitz) vorantrieben. Mit dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) im französischen Parlament 1954 war dieser Streit zwischen Atlantikern und Gaullisten praktisch schon entschieden. Was alte und neue Friedensbewegung verband, war die tiefsitzende Aversion gegen alles Nukleare und „Amerika“. Dass sowjetische SS-20 auf Deutschland gerichtet waren, war für die meisten unter den 100 000 Friedliebenden 1983 im Bonner Hofgarten kein Thema, wie eine Leitfigur der Ökologiebewegung, André Gorz, damals anprangerte: „Alles ist darauf abgestellt, die sowjetische Empfindlichkeit nicht zu verletzen und als Vermittler zwischen dem Kreml und den westlichen Ländern aufzutreten. […] An Stelle von Breschnew hätte ich keinerlei Achtung für Leute, die imstande sind, sich gegen die Startbahn West in Frankfurt, gegen das Atomkraftwerk Brokdorf und gegen die Pershing 2 zu mobilisieren, die aber den Völkermord in Afghanistan, die biologischen Waffen der Sowjetunion, die SS-20, die Folterungen in der Tschechoslowakei und den Warschauer Putsch stillschweigend hinnehmen und das alles mit dem sibirischen Gas krönen.“[2]

Erst der russische Angriffskrieg hat vielen die Einsicht verschafft, wie blind dieser Pazifismus gegenüber dem sowjetischen, im Kern russischen Imperialismus war. Die historische Verantwortung für den deutschen Angriff auf die Sowjetunion 1941 und die Ablehnung der bundesrepublikanischen Staatsideologie des Antikommunismus mündeten in die Idee, mit Moskau und Ostberlin für „Wandel durch Handel“ zu sorgen – was den von Gorz beklagten Nebeneffekt hatte, dass die Entspannungspolitik auf Regierungskontakte mit autoritären KP-Regimen fixiert war und den Kampf der Oppositionsbewegungen in den meist übersehenen Staaten Ostmitteleuropas ignorierte.

Es ist kein Zufall und nicht ohne Belang, dass die einzige Partei, die den Demokratiebewegungen gegenüber sensibel und solidarisch agierte, die Grünen waren, für die Frieden, Demokratie und Menschenrechte gleichrangig nebeneinander standen. Das Grundmuster der Regierungspolitik blieb jedoch auch nach 1990 erhalten und führte in der Putin-Ära zur umgekehrt proportionalen Zunahme der Energieabhängigkeit von Russland bei gleichzeitiger Abnahme der deutschen Verteidigungsbereitschaft.

Mit der dafür allzu oft in Anspruch genommenen noblen Idee des Pazifismus hatte und hat dies nichts zu tun. Die Intention des Pazifismus war nie, einem Aggressor vorauseilend die weiße Fahne auszurollen und auch die andere Backe hinzuhalten, sondern vielmehr den Angriffskrieg, bis ins 19. Jahrhundert eine unangefochtene Staatenpraxis, dauerhaft zu bannen und zu verbieten.[3] Sich dagegen notfalls mit Waffengewalt zu wehren, war niemals „bellizistisch“. Das schlagendste, aber stets heruntergespielte Beispiel ist die Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus durch die Antihitlerkoalition, die nur durch Waffengewalt und Millionen von Opfern möglich war.[4] Diese Tradition des „Frieden schaffen mit Waffen“ wurde von der Friedensbewegung lange verdrängt. Doch Russlands Aggression fordert das ökopazifistische Milieu nun zum Umlernen auf – und auch dazu, die Ökopax-Allianz auf neue Grundlagen zu stellen.

Unmittelbar nach Beginn des russischen Überfalls war dieses Umdenken durchaus zu erkennen. Unter dem Slogan „Stand with Ukraine!“ rief Fridays for Future (FFF) im März 2022 mit zur Großdemonstration auf: „Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie die Energieimporte aus Russland stoppt: Schluss mit der Finanzierung des Kriegs – Schluss mit Öl, Gas und Kohle aus Russland. Das Ende von Nord Stream 2 – ein für alle Mal“, heißt es in dem Aufruf, und weiter: „Die Antwort darauf darf aber nicht die Investition in andere fossile Infrastrukturen, sondern muss die konsequente Energiewende weg von Kohle, Öl und Gas hin zu Erneuerbaren sein, um fossile Abhängigkeiten und Kriege zu beenden. […] Die ganze Welt muss sich gegen den Krieg stellen. Folgt dem Aufruf unserer ukrainischen Mitaktivist:innen und kommt mit uns auf die Straßen! End the war – end fossil fuels!“[5] Der Zusammenhang war somit klar erkannt: Russland führt nicht zuletzt einen globalen Energiekrieg, Klimaschutz und Unterstützung der Ukraine gingen zusammen.

Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten 1981

Wie Friedens- und Ökologiebewegung auseinandergedriftet sind

Doch ein Jahr später hat sich der Wind in der Ökologiebewegung gedreht. Seither konzentrieren sich FFF, „Last Generation“ und die meisten Umweltverbände ganz auf den ökologischen und klimapolitischen Aspekt. Ihre Protestenergie fließt in Demonstrationsziele wie „Hambi“ und „Danni“, „Lützi“ und „Fecher“; dagegen übt man zivilen Ungehorsam und legt sich mit grünen Verantwortlichen für vermeintlich schmutzige Koalitionskompromisse in der Energie- und Verkehrspolitik an. Zurückhaltung übt man dagegen in der Kriegsfrage – genau wie die Gewerkschaften (aus Rücksicht auf ihre Linken-Kader), die Kirchen (in Verkennung gerechter Kriege) und wie andere Gruppen in ihrer Fixierung auf sexuelle und kulturelle Diversität – obwohl diese kaum irgendwo so sehr bedroht ist wie in Russland.

Diese Reduktion auf die eigenen, vermeintlichen Kernthemen ist ein fataler Fehler. Während der Angriffs- und Vernichtungskrieg Russlands in eine neue, auch für Deutschland existenzielle Phase tritt, sollten sich diese Organisationen und Bewegungen auf ihre Forderung „End the war!“ besinnen, bei der sich die Aufrüstung der ukrainischen Armee und die Forderung nach Verhandlungslösungen gerade nicht ausschließen. Und anders, als es die empiriefreien Appelle der „Manifest“-Unterzeichner suggerieren, ist es die mehrheitliche Überzeugung der Deutschen, dass es sowohl der Waffen als auch der Diplomatie bedarf. Worauf Wagenknecht, Chrupalla und Co. außerdem keine Antwort geben: Mit welchem Verhandlungspartner wäre denn gegenwärtig über einen dauerhaften Frieden zu reden – und über welche Faustpfande und Garantien? Das ewige Mantra von der angeblich allein friedensstiftenden „Diplomatie“ steht jedenfalls in gewaltigem Widerspruch zum Putinschen Desinteresse an Verhandlungen.

Jenseits des gescheiterten Budapester Abkommens oder der Minsker Floskeln werden Frieden und Sicherheit für die Ukraine nur per Nato-Beitritt erreichbar sein – beziehungsweise durch die Aufnahme in die Europäische Union, die analoge Beistandspflichten mit sich bringt, schon für den Fall, dass der Aggressionshunger Putins nach einem prekären Waffenstillstand wieder zunimmt. Die Ukraine ist undenkbar als neutraler Pufferstaat zwischen Ost und West; zu garantieren ist ihre Integrität und Unabhängigkeit nur als westliche Bündnisnation. Doch genau um das zu verhindern und den „kollektiven Westen“ nicht an Russlands Grenzen auszudehnen, ist Putin schließlich über das Land hergefallen. Der Ruf nach bloßer Diplomatie birgt daher keineswegs geringere Risiken für Deutschland und den Westen als die Positionen der leichtfertig als „Bellizisten“ Denunzierten, die zwischen militärischer Unterstützung und diplomatischen Verhandlungen keinen starren Gegensatz aufmachen.

Quelle       :          Blätter-online         >>>>>         weiterlesen

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Oben     —       10. Globaler Klimastreik von Fridays for Future, Berlin, 25.03.2022

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DER ROTE FADEN

Erstellt von DL-Redaktion am 7. April 2023

Das lief alles sehr, sehr, sehr gut

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Durch die Woche mit Nina Apin

KoalitionDie Ampelregierung hat einen Klimakompromiss gefunden, da muss man auch mal zufrieden sein. Und jetzt war auch noch King Charles zu Besuch, besser kann es nicht mehr werden.

Wenn ich so aus meinem Homeoffice-Fenster schaue und sehe, wie der Fuhrpark der usbekischen Botschaft nach dem Regen wieder trocken in der Sonne chromglänzt, dann stelle ich zufrieden fest: Es war eine sehr, sehr, sehr gute Woche. Gut, so würde ich das nie sagen, ich heiße ja nicht Olaf Scholz, und außerdem gibt es immer was zu meckern, aber: Man muss auch mal zufrieden sein.

Also: Es war ein sehr, sehr, sehr guter Klima-Kompromiss, den unsere Ampelregierung Anfang der Woche beschlossen hat. Es hätte ja wirklich schlimmer kommen können! Meine Mutter hatte schon befürchtet, dass der Habeck ihr die Ölheizung persönlich aus dem Keller reißt. Aber so kam es nun ja nicht.

Mehr Autobahnbau und in Gottes Namen auch eine kleine Ausnahmegenehmigung für „E-Fuels“-Porsche-Fahrer, aber auch ein paar reparierte Bahnschienen und, na gut, irgendwann muss dann auch mal Schluss sein mit dem Öltank – aber alles schön langsam. Man darf die Leute ja nicht überfordern, oder, im sozialdemokratischen Jargon: Man muss die Menschen mitnehmen.

Erst mal können alle weiter fahren, tanken und heizen wie bisher, wenn sie es sich leisten können. Und das ist ja auch sehr, sehr, sehr richtig so! Laut einer Spiegel-Umfrage findet schließlich nur die Hälfte der Deutschen Umweltschutz wichtig. Die andere Hälfte will ihre Ruhe, oder, wie sie dem Meinungsforschungsinstitut zu Protokoll gegeben haben, weil das edler klingt: interessiert sich eher für Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Der britische Monarch zu Besuch in Brandenburg

Im Land von Bert Brecht gilt eben immer noch: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Dazu passte hervorragend, dass der britische Monarch und seine Gattin diese Woche bei ihrem Deutschlandbesuch einen Brandenburger Öko-Vorzeigehof besichtigten.

Die „da oben“ essen Bioziegenkäse, fachsimpeln über artgerechte Tierhaltung und fahren zum Vergnügen mit der Bahn durchs Land (es ging für Charles und Camilla dann weiter nach Hamburg) – während das niedere Volk seine Wurst beim Discounter kauft und am Wochenende mit dem geliehenen 5er-BMW durch die City cruist. Geht ja nicht anders! Man muss sich ja auch mal entspannen, ohne immerzu nachzudenken – und (grüne) Moral ist eh was für Ziegenkäse essende Royals und andere Großkopferte.

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Wenn Deutsche Steine nicht nur Lachen – sondern auch Köng werden könnten!

Und überhaupt, wer will schon Ziegenkäse aus Brandenburg, wenn es im Supermarkt den schönen Parmesan gibt, der, wie böse Zungen behaupten, gar nicht in Italien erfunden wurde, sondern in Wisconsin. Auch meine liebsten Schnell-schnell-Spinat-Ricotta-Tortellini nach „original italienischem Rezept“ kommen, wie eine kurze Recherche ergibt, aus Luxemburg. Genauer gesagt vom „Marktführer im Bereich Frische-Convenience in Deutschland, Österreich und der Schweiz“.

Von wem kommt die Carbonara?

Convenience, genau: Sollen sich doch die Italiener mit anstrengenden kulinarischen Aneignungsdebatten herumschlagen, so von wegen: Wir verlangen immerwährendes Copyright auf Parmigiano, Spaghetti Carbonara oder Pizza Margherita. Ja, als ich noch wie eine Toskana-Grüne gedacht habe, hätte mich das auch empört: Wie kann man sich nur Mozzarella aus Norddeutschland auf die Pizza hauen oder Speckwürfel aus westfälischer Massentierhaltung in die Carbonara! Aber ist das nicht eine Öko-Arroganz, die ich mir angesichts der hohen Preise eh nicht mehr leisten kann? Also her mit den globalisierten Convenience-Produkten, Hauptsache, es schmeckt!

Quelle             :          TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben        —     Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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Große Koalition in Berlin:

Erstellt von DL-Redaktion am 6. April 2023

Ein Desaster für die Bürgerrechte

2022 wollte sie noch gestakten – nun 2023 lässt sie sich von der CDU verwalten !!

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Kommentar von        : 

Mehr Videoüberwachung, mehr anlasslose Kontrollen, mehr Staatstrojaner. CDU und SPD wollen in Berlin für Aufbruch stehen, doch sie liefern autoritären Rückschritt. Sozialdemokrat:innen, die eine bunte und liberale Stadtkultur wollen, dürfen diesem Koalitionsvertrag nicht zustimmen.

„Aufbruch und Erneuerung“ für Berlin – so lautet das zentrale Versprechen Kai Wegners und Franziska Giffeys. Innenpolitisch liefert der heute vorgelegte Koalitionsvertrag [PDF] von CDU und SPD indes das genaue Gegenteil. Auf die Frage nach dem guten Zusammenleben in der Millionenstadt servieren beide Parteien vor allem die üblichen Antworten der Konservativen: mehr Überwachung, mehr Repression, weniger Grundrechte.

Das beginnt bereits bei der Sprache. Bei der heutigen Vorstellung des Vertrages verspricht der Chef der Berliner CDU mehr „Sicherheit“ und „Sauberkeit“ für die deutsche Hauptstadt. Als ob beide Werte den gleichen Rang haben, sichert Wegner der Polizei alle nötigen Mittel zu, um beides durchsetzen. SPD-Chefin Giffey steht daneben und lächelt. Sie hatte im Wahlkampf ähnliche Töne angeschlagen wie der CDU-Mann und damit das schlechteste Ergebnis der Berliner SPD seit der Wiedervereinigung eingefahren.

„Wertschätzung für die Polizei“ ist Kai Wegner bei dem heutigen Pressetermin besonders wichtig. Kein Wort verliert er darüber, warum das Image der Behörde so ramponiert ist. Dabei ließe sich viel sagen über Probleme mit Rassismus oder auch Rechtstaatsfeindlichkeit in den eigenen Reihen. Stattdessen kündigt Wegner an: „Sie werden merken, dass diese neue Koalition hinter der Polizei steht.“ Für die Opfer von Polizeigewalt muss das nicht nur wie Hohn, sondern wie eine Drohung klingen. Statt Problemanalyse und vertrauensbildender Maßnahmen stellt Wegner der Polizei einen Blankoscheck aus.

Präventivhaft und Staatstrojaner

Der weltoffenen Metropole Berlin droht weit mehr als nur ein neuer Regierungsstil. Wegner und Giffey stehen für Law and Order. Dass die Polizei personell deutlich aufgestockt werden soll, ist dabei nicht zwangsläufig problematisch. Wie so viele Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wurde auch sie kaputtgespart. Zu Recht klagen die Polizist:innen über zu viel Belastung. Doch die Große Koalition will auch eine massive technische und rechtliche Aufrüstung betreiben.

Konkret will sie unter anderem eine Rechtsgrundlage schaffen für den Einsatz von Staatstrojanern durch die Polizei – wie üblich mit Verweis auf die „Bekämpfung terroristischer Straftaten und schwerster Straftaten“. Tatsächlich setzt die Polizei staatliches Hacking in der Praxis vor allem wegen Eigentums- und Drogendelikten ein.

Natürlich gehört auch mehr Videoüberwachung „an kriminalitätsbelasteten Orten“ zum Programm der Koalitionär:innen, um damit „die Bürgerinnen und Bürger besser zu schützen“. Sie hatte die CDU schon zu Zeiten der bislang letzten Berliner GroKo zwischen 2011 und 2016 auf dem Wunschzettel. Dass Videoüberwachung laut wissenschaftlicher Studien damals wie heute kaum zur Prävention beiträgt, interessiert offenbar wenig.

Vom Wunschzettel der CDU

Berlin war bislang eines der letzten Bundesländer mit einem halbwegs liberalen Polizeigesetz. Nun soll auch hier die Möglichkeit zur Präventivhaft verlängert werden, von zwei auf fünf Tage. Ein Blick nach Bayern oder Nordrhein-Westfalen zeigt, wie schnell dieses Mittel gegen politischen Aktivismus und zivilen Ungehorsam eingesetzt werden kann.

Auch das grundrechtsfreundliche Versammlungsfreiheitsgesetz will die GroKo auf den Prüfstand stellen und gegebenenfalls verschärfen. Das hieße: Weniger Versammlungsfreiheit, mehr Rechte für die Polizei auf Demonstrationen. Außerdem will die GroKo mit neuen „Messerverbotszonen“ weitere Gebiete schaffen, in denen die Polizei anlasslos Menschen kontrollieren darf. Das wäre eine versteckte Ausweitung der umstrittenen Schleierfahndung. Auch der Verfassungsschutz soll weiter ausgebaut werden.

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In der wikipedia steht geschrieben:   „Im Zuge der Krawalle in der Silvesternacht 2022 geriet Wegner in die Kritik, weil er im Namen der CDU-Fraktion vom Berliner Senat Auskunft über die Vornamen der deutschen Tatverdächtigen verlangte. Vertreter der rot-rot-grünen Regierungskoalition warfen Wegner daraufhin Rassismus vor, weil er Menschen mit Migrationshintergrund nicht als richtige Deutsche anerkennen wolle.[20 „

Die Nutzung von Bodycams will die GroKo ebenfalls ausweiten und künftig auch in Privaträumen von Bürger:innen einsetzen. Kein Wort verliert der Koalitionsvertrag dazu, dass Polizist:innen die kleinen Körperkameras erfahrungsgemäß immer dann aus vermeintlich technischen Gründen ausschalten, wenn die Aufnahmen sie selbst in einem schlechten Licht dastehen lassen würden.

Konservative Innenpolitik in Reinform

Auch zum sogenannten Neukölln-Komplex findet sich in dem Koalitionsvertrag kein Wort. Über viele Jahre hinweg konnte eine Neonazibande das südliche Neukölln in Angst und Schrecken versetzen. Sie schmissen Fensterscheiben von Menschen ein, die sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagieren, schmierten Morddrohungen an Wände, zündeten Autos an. Starke Indizien sprechen dafür, dass die Täter nicht nur wegen stümperhafter Polizeiarbeit so lange agieren konnten, sondern auch, weil sie aktive Sympathisant:innen in Justiz und Sicherheitsbehörden hatten.

Ein Untersuchungsausschuss soll in dieser Legislaturperiode endlich Licht in die rechtsextremen Netzwerke bringen. Im ersten Jahr kam er bislang noch nicht weit, auch weil die Behörden mauern. Dass die Aufklärungsarbeit mit dem neuen Regierungsbündnis besser wird, darf getrost bezweifelt werden. Im Gegenteil: Es ist wohl ausgeschlossen, dass der Ausschuss nun noch Erkenntnisse produziert, die die ehemaligen Innensenatoren von CDU und SPD belasten.

Unterm Strich ist all das konservative Innenpolitik in Reinform. Kein Wunder also, dass die Gewerkschaft der Polizei jubiliert, dass sie für zahlreiche Weichenstellungen in dem Koalitionsvertrag verantwortlich sei.

SPD-Mitglieder haben es in der Hand

Dass die von der CDU vorangetriebene autoritäre Wende mit einer gehörigen Portion Rassismus garniert sein dürfte, darauf gab bereits die Debatte um die sogenannten Silvesterkrawalle Anfang des Jahres einen Vorgeschmack. Es würde leichter fallen, Wegners und Giffeys permanenten Bekenntnissen zur „bunten und vielfältigen Stadt“ Glauben zu schenken, wenn sie Probleme bei der Polizei wenigstens ansprechen würden. Oder wenn die neuen Befugnisse zumindest mit besserer Kontrolle der Sicherheitsbehörden einhergingen. Doch Pustekuchen.

Stattdessen schlägt die Berliner Datenschutzaufsicht seit Jahren wegen zahlreicher Datenschutzverstöße bei der Polizei Alarm. Weil sie diese bislang nur beanstanden, nicht aber – wie eigentlich von der EU vorgeschrieben – gegenüber der Polizei auch Anordnungen aussprechen darf, hat Brüssel inzwischen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Die Berliner GroKo will an dem offenkundigen Missstand offenbar nichts ändern. Stattdessen soll die Datenschutzbehörde zum „Servicedienstleister“ für die Verwaltung degradiert.

Bleibt die Frage: Wen will die SPD mit dieser Politik eigentlich überzeugen? Wer konservative Politik will, kann CDU wählen. Tatsächlich präferiert ein Großteil der Berliner SPD-Wähler:innen laut Umfragen ein Bündnis mit Grünen und Linken. Dafür ist es noch nicht zu spät. Es liegt jetzt bei den Mitgliedern der sozialdemokratischen Partei, das Desaster einer Großen Koalition in Berlin abzuwenden.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

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Oben     —       Jährliche Demonstration des DGB zum ersten Mai in Berlin.

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Viel Lärm um Unklares

Erstellt von DL-Redaktion am 5. April 2023

Als Chef von Israels Nationalgarde würde sich Ben-Gvir gern sehen.

Ein Debattenbeitrag von Joseph Croitoru

Dass der rechtsextreme Politiker das Kommando bekommt, ist aber unwahrscheinlich. Eine Verdoppelung der Grenzschutzeinheiten und zehntausend Freiwillige mit Kampferfahrung.

Eine „Nationalgarde“, wie sie sich der rechtsextreme Politiker und Minister Itamar Ben-Gvir für Israel wünscht, ist eigentlich auch schon vom Klang her für israelische Ohren fremd. Das israelische Militär heißt im Hebräischen „Armee zur Verteidigung Israels“, die Polizeikräfte nennen sich „Israels Polizei“. Mit einer Nationalgarde assoziiert man eher autoritäre Regime besonders in arabischen Staaten der Region. Der Hang zur expliziten Verwendung des Begriffs „national“ bei der Benennung staatlicher Organe kennzeichnet in Israel bekanntlich weit stärker die Rechte als die Linke.

Benjamin Netanjahus Parteifreund Ariel Scharon erhielt 1996 ein „Ministerium für nationale Infrastrukturen“ und Netanjahu rief drei Jahre später den „Rat für nationale Sicherheit“ ins Leben. Doch selbst in seiner langen Regierungszeit hielt sich die „Nationalisierung“ der Ministerien in Grenzen – es kam nur ein „Nationaler Minister für Digitales“ hinzu.

Bei der rechtsextremen Partei Die nationale Union begann Itamar Ben-Gvirs politische Karriere. Als Netanjahu ihn Ende 2022 in die Regierung holte, ließ sich Ben-Gvir zum „Minister für nationale Sicherheit“ erklären – zuvor hieß das Ressort „Innere Sicherheit“. Seine Par­tei­freun­d*in­nen von Otzma Yehudit (Jüdische Stärke) zeichnen für ähnlich lautende ministerielle Ressorts verantwortlich: „Siedlung und nationale Aufgaben“, „Negev, Galiläa und nationale Stärke“. Die nationalistische rhetorische Färbung ist ein unverkennbarer Wesenszug dieser Partei, und Ben-Gvir macht keinen Hehl daraus, dass er sich in der Rolle eines Oberbefehlshabers einer „Nationalgarde“ gefallen würde.

Allerdings verfügt der israelische Staat schon seit Juni 2022 über eine solche, sie trägt aber die Bezeichnung „Israelische Garde“. Mit ihrer Gründung folgten Ben-Gvirs Amtsvorgänger Omer Bar-Lev und der damalige Ministerpräsident Naftali Bennett einer dringenden Empfehlung hochrangiger Militärexperten, die mit Sorge beobachteten, dass die israelische Polizei bei der Bewältigung der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Arabern und Juden im Mai 2021 besonders in den gemischten israelischen Städten völlig überfordert war.

Bennett und Bar-Lev entschieden sich in erster Linie für die Rekrutierung von Freiwilligen für die Grenzschutzeinheiten, die unter dem Kommando der israelischen Polizei stehen. Die Rede war von mehreren Tausend Personen; allerdings konnten nur rund 600 dafür gewonnen werden. Auch deshalb kündigten Ben-Gvir und der ihm unterstehende Polizeichef Kobi Schabtai auf einer Pressekonferenz im Januar nicht nur einen massiven Ausbau und eine weit bessere Bezahlung der Polizeikräfte an, die seit Jahren an einem immer dramatischeren Personalschwund leiden. Auch die Gründung einer „Nationalgarde“ wurde bekanntgegeben, die schon im Koalitionsvertrag zwischen Netanjahus Likud und Ben-Gvirs Partei vereinbart worden war. Damit dürfte die bereits im Aufbau befindliche „Israelische Garde“ – sie wurde auf der Pressekonferenz nicht einmal erwähnt – ad acta gelegt werden. Der auf der Pressekonferenz vorgestellte Plan der beiden sah eine Verdoppelung der Grenzschutzeinheiten sowie die Rekrutierung von zehntausend Freiwilligen mit Kampf­er­fah­rung vor. Ben-Gvir und Schabtai unterstrichen bei diesem Anlass, dass die Nationalgarde unter dem direkten Kommando von Schabtai in seiner Funktion als Polizeichef stehen würde – eine Antwort auf die öffentliche Kritik, dass der wegen Volksverhetzung und Unterstützung einer Terrororganisation verurteilte Ben Gvir sich eine „private Miliz“ zulegen wolle.

Israel Collective Punishment

Seit Januar war jedoch kaum etwas in der Sache geschehen. Nachdem Ben-Gvir als Gegenleistung für seine Zustimmung zur Verschiebung der umstrittenen Justizreform Netanjahu eine schriftliche Bestätigung für die Gründung der Nationalgarde abgerungen hatte, legte er am 29. März seinen Plan für die Garde vor. In dem dreiseitigen Papier wird das Organ nun als „Nationale Garde für Israel“ bezeichnet – darin findet die „Israelische Garde“ jetzt doch Erwähnung, wenngleich als unvollendetes Projekt. Ben-Gvirs Entwurf enthält kaum Konkretes zum Aufbau der Garde. Sie werde über „reguläre Kräfte und taktische Einheiten“ verfügen, die landesweit in Routine- wie in Notzeiten Terrorismus bekämpfen und die Kontrolle über die öffentliche Ordnung stärken sollen. Es soll auch die Möglichkeit geprüft werden, ob bestimmte Grenzschutzkräfte dem direkten Kommando der Garde unterstellt werden können.

Quelle           :             TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Oben          —      נשיא המדינה יצחק הרצוג, וראש הממשלה בנימין נתניהו, במרכז התמונה המסורתית במשכן הנשיא בירושלים לרגל השבעת ממשלת ישראל ה-37. יום חמישי, ה‘ טבת תשפ“ג, 29 בדצמבר 2022. קרדיט צילום: אבי אוחיון.

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Staatstrojaner Pegasus

Erstellt von DL-Redaktion am 4. April 2023

EU-Kommission prüft Klagen gegen Mitgliedsländer

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von        : 

In Ungarn, Polen und Spanien bespitzelte der Staat Abgeordnete und Journalist:innen mit dem Staatstrojaner Pegasus. Bislang hat das keine Konsequenzen. Nun bereitet Brüssel mögliche rechtliche Schritte vor.

Im Juli 2021 platzt eine Meldung in das Sommerloch. Ein internationale Recherche enthüllt eine Liste von 50.000 Telefonnummern, die im Visier des Staatstrojaners Pegasus gestanden haben sollen. Demnach hat das EU-Land Ungarn mit dem Trojaner Journalist:innen und Oppositionelle bespitzelt. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nennt das „komplett inakzeptabel“.

Seither folgen immer weitere Enthüllungen. Inzwischen ist bekannt, dass auch die Regierungen in Polen und Spanien Pegasus gegen Oppositionspolitiker:innen eingesetzt haben sollen. In Griechenland überwachte der Geheimdienst Journalist:innen und Abgeordnete mit Predator, einem anderen Trojaner. Auch die EU-Kommission wurde Opfer von Pegasus.

Die staatlichen Übergriffe sorgen für Empörung, das EU-Parlament richtet einen eigenen Untersuchungsausschuss ein. Die EU-Kommission legt einen Gesetzesvorschlag vor, der Presse und Zivilgesellschaft vor Hacking schützen soll. Doch für Regierungen, die Trojaner einsetzen, gibt es bislang keine Konsequenzen.

Das könnte sich ändern. Die Kommission prüft derzeit Klagen gegen Staaten, die Staatstrojaner EU-rechtswidrig einsetzen. Als Teil ihrer Untersuchung hat die Brüsseler Behörde im Dezember einen Brief an alle Mitgliedsländer verschickt.

Die Kommission stellt erstmal nur Fragen

Das Schreiben, das wir durch eine Informationsfreiheitsanfrage erhielten und im Volltext veröffentlichen, enthält Fragen zum Einsatz von „Spyware“. Die Kommission will wissen, auf welcher rechtlichen Grundlage überwacht wird und welche Maßnahmen zum Grundrechtsschutz getroffen wurden. Auch bittet die Kommission um Listen aller nationalen Behörden, die Trojaner einsetzen oder ihren Einsatz anordnen dürfen.

Die Antworten fließen in eine rechtliche Analyse ein. Ist diese fertig, entscheidet die Kommission auf ihrer Grundlage über mögliche Klagen. Voraussetzung dafür ist, dass durch die Überwachung europäisches Recht verletzt wurde, etwa die Datenschutzgrundverordnung. Denn nur dann kann die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof Klagen einbringen.

Das Gericht kann dem Staat dann gegebenenfalls anordnen, den rechtswidrigen Zustand zu beheben. Weigert sich der Staat, kann die Kommission nochmals klagen und vor Gericht Strafzahlungen durchsetzen.

Einige Staaten haben auch zwei Monate nach Abgabefrist den Fragebogen der Kommission noch nicht beantwortet. Dabei handelt es sich um Ungarn, aber auch Dänemark, die Niederlande und Deutschland, sagte ein Kommissionssprecher gegenüber netzpolitik.org. Auch Deutschland nutzt den Staatstrojaner Pegasus, gibt sich dazu aber schweigsam.

Die Kommission hat sich für ihre Untersuchung ohnehin kein fixes Enddatum gesetzt. „Wir werden uns so viel Zeit wie nötig nehmen.“

Seit fast zwei Jahren nur „zaghafte Ermahnungen“

Versuche in einzelnen EU-Ländern, rechtlich gegen die Pegasus-Überwachung vorzugehen, sind bislang ins Leere gelaufen. In Ungarn entschied die Datenschutzbehörde, die Verwendung des Staatstrojaners sei zum Schutze der nationalen Sicherheit passiert und rechtens gewesen. In Polen haben die Regierungspartei PiS und ihre Verbündeten im Justizsystem ein gerichtliches Vorgehen gegen die systematische Überwachung weitgehend verhindert. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht der EU-Abgeordneten Sophie in ’t Veld.

In ’t Veld hat die EU-Kommission bereits im November aufgefordert, endlich auf die Enthüllungen zu reagieren. Es scheine so, als habe die EU-Behörde außer „zaghaften Ermahnungen“ wenig anzubieten. Ungarn und Polen berufen sich bei ihren Überwachungsmaßnahmen auf den Schutz der „inneren Sicherheit“, so die niederländische Abgeordnete. Doch dies dürfe nicht als „unbegrenzte Ausnahmeregelung von den europäischen Gesetzen und Verträgen interpretiert werden und zu einem Bereich der Gesetzlosigkeit werden.“

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

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Grafikquelle :

Oben     —  The oldest scientific manuscript in the National Library the volume contains various Latin texts on astronomy. The volume, written in Caroline minuscule, consists of two sections, the first (ff. 1-26) copied c. 1000, in the Limoges area of France, probably in the milieu of Adémar de Chabannes (989-1034), whilst the second (ff. 27-50), from a scriptorium in the same region, may be dated c. 1150.

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Macrons – Rentenpolitik

Erstellt von DL-Redaktion am 4. April 2023

Der Staat und die Reproduktion des globalen Kapitals

File:Manifestation contre la réforme des retraites, Paris, le 28 mars 2023 — 44.jpg

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von   :   Morteza Samanpour

Das Beispiel der Neuregelung des Rentenalters in Frankreich. Die Weigerung der französischen Regierung, der Forderung und dem öffentlichen Willen in der Rentenfrage nachzukommen, die derzeit durch eine Art „Ausnahmezustand“ gelöst wird, ist nicht nur spezifisch für Macron und die neoliberalen Kräfte der französischen Gesellschaft.

Sie zeigt auch grössere Veränderungen in den Funktionen von Regierung und Politik sowie eine Veränderung im Verhältnis der Regierung zum Kapital an.In Frankreich sind in den vergangenen Wochen Millionen Menschen in mehr als 250 Städten auf die Strasse gegangen, um Nein zu den neoliberalen Rentenreformen der Macron-Regierung zu sagen. Zusätzlich zu den Strassenprotesten haben öffentliche Streiks weite Teile der französischen Gesellschaft einbezogen: Lehrer:innen, Krankenschwestern, Hafen- und Flughafenarbeiter;innen und Energiearbeiter:innen, Schüler:innen und Studierende, Beschäftigte im städtischen Nahverkehr usw. verweigerten an vielen Stellen die Arbeit.Durch die Weigerung der Arbeiter:innen der Stadtreinigung, den Müll zu sammeln, türmen sich in Paris bereits 7.000 Tonnen Müll auf dem Strassenboden, dessen Gestank die Tiefe der öffentlichen Unzufriedenheit widerspiegelt und vom Verfall der virtuellen Demokratie erzählt. Dies ist nicht das erste Mal, dass die Nicht-Privilegierten, Gewerkschaften und unabhängige Organisationen der Linken in Frankreich gegen Rentenreformen kämpfen. Im Dezember 2019, kurz vor Beginn der Corona-Pandemie, kam es aus Protest gegen die neoliberale Rentenpolitik zum grössten Streik in der Geschichte Frankreichs seit Mai 1968, Die Pariser U-Bahnen stellten den Betrieb für mindestens einen Monat ein. Aber welches Ergebnis hatten die jahrelangen Kämpfe und Proteste gegen die Änderung der Rentengesetze?Unter völliger Missachtung der lauten Stimmen der Demonstranten und gegen das Gesetz und den Willen des Parlaments billigte die Regierung Macron am 16. März 2023 die „Rentenreform“ per Dekret unter Berufung auf den Verfassungsartikel 49.3. Schon einmal hatte Macron diesen juristischen Trick angewandt und die Wut gegen die neoliberale Änderung des Arbeitsrechts einfach übergangen. Damit hat Macron die Gesellschaft einmal mehr ausgetrickst und verhöhnt!

Was bedeutet eine solche Missachtung der Regierung gegenüber Arbeiter:innen, Gewerkschaften, Demonstrant:innen und zumindest den Oppositionsfraktionen im Parlament? Was sagt diese Form des neoliberalen Autoritarismus über die Rolle und die Stellung des Staates im zeitgenössischen Kapitalismus aus? Welche politischen Lehren kann man daraus für die Organisierung ziehen?

Dieser Text versucht zu zeigen, dass die Weigerung der französischen Regierung, die Forderung und den öffentlichen Willen in Bezug auf die Rentenfrage zu akzeptieren, die derzeit durch eine Art „Ausnahmezustand“ gelöst wird, nicht nur spezifisch für Macron und die neoliberalen Kräfte der französischen Gesellschaft ist: sie weist auch allgemein auf grössere Veränderungen in der Funktion von Regierung und Politik und eine Veränderung im Verhältnis zwischen Staat und Kapital hin. Diese Veränderungen können auch etwas zum Verständnis der kapitalistischen Verhältnisse im globalen Süden beitragen.

Von der Wohlfahrts- und Entwicklungsregierung bis zur Integration in das globale Kapital

Sehen wir uns zuerst kurz und knapp die schädlichen Auswirkungen von Macrons Rentenreformgesetzen an. Das Rentenalter wird von 62 auf 64 Jahre angehoben, und damit werden die Subalternen bis in ihre letzten Lebensjahre als Lohnsklaven:innen gehalten, die bis zu ihrem Tod ihre Arbeitskraft auf dem hart umkämpften Markt verkaufen müssen.

Aus einer Sicht existenzieller sozialer Rechte bedeutet dies, dass die herrschende Klasse Zeit, Leben und Arbeitskraft der Lohnempfänger:innen nutzt, um die Verwertung des investierten Kapitals so weit wie möglich zu steigern und sich gesellschaftliche Erträge privat anzueignen 1. Nicht umsonst haben die existenzielle Sorgen um Themen wie Leben und Tod mit der Reduzierung menschlicher Lebensmöglichkeiten im Rahmen kapitalistischer Kostenüberlegungen dramatisch zugenommen. Abgesehen von diesen „philosophischen“ Fragen wird der Mutterschaftsurlaub nach den neuen Gesetzen nicht als Teil der Arbeitsjahre gezählt, und wie bei allen Angriffe des Kapitals auf die gesellschaftliche Reproduktion sind es die Frauen, die den höchsten Preis zahlen.

Kurz gesagt, das Ergebnis solcher Reformen ist nichts anderes, als die gesellschaftliche Reproduktion noch schwieriger zu machen; während im Bereich existenzieller Bedürfnisse seit Jahren eine umfassende Krise vorangetrieben wird, die im Kern ein privatkapitalistischer Verwertungsangriff (Kommodifizierung) auf Wohnen, Bildung und Gesundheit ist, mussten sich Millionen Menschen zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse bereits verschulden und daher in Not geraten sind.

Aber die zentrale Frage ist: Wie kann der französische Präsident dieses Gesetz in einer sogenannten „demokratischen“ Gesellschaft trotz weit verbreiteter und vielfältiger Proteste durchbringen? Vielleicht ist es hier hilfreich, auf die charakteristische historische Natur und Funktion des Staates im zeitgenössischen Kapitalismus zu achten; Eine Frage, die über die besonderen Merkmale der französischen Gesellschaft hinausgeht. Seit Jahrzehnten sind die Nationalstaaten auf der ganzen Welt zu Ausführenden des transnationalen Kapitals, insbesondere des Finanzkapitals, geworden, und ihre Funktion als Institutionen, die für die Reproduktion des Kapitals verantwortlich sind, hat gravierende Veränderungen erfahren. Ein – wenn auch knapper – Vergleich mit der historischen Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg macht die Sache etwas klarer.

Der Wohlfahrtsstaat in Westeuropa und Nordamerika war neben der Bereitstellung öffentlicher sozialer Dienstleistungen für die Bürger auch für die Repräsentation des nationalen Industriekapitals verantwortlich, d.h. für die Bereitstellung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bedingungen für die umfassende Reproduktion des Produktivkapitals. Auf globaler Ebene reifte das, was Marx im Kapital das soziale Gesamtkapital nannte, aus der Einheit der nationalen Kapitalien – Kapitalien, die in geopolitischer und wirtschaftlicher Konkurrenz mit anderen nationalen Staaten und Kapitalien neben eigener nationalen Staaten standen2.

Der Aufstieg des transnationalen Kapitals mit der Herrschaft des Finanzkapitals als dominierender Fraktion des Kapitalismus verändert auch die Rolle und Funktion des Staates: anstatt die Interessen des national-industriellen Kapitals zu vertreten, übernimmt der Staat die Rolle der Integration in das transnationale Kapital, insbesondere das Finanzkapital. Die politischen Folgen einer solchen wesentlichen Veränderung für den nationalen Staat, der den Raum für die Reproduktion des transnationalen Kapitals bietet, sind enorm und zielen letztendlich auf die Zerstörung der demokratischen Kräfte der Gesellschaft.

In Frankreich zum Beispiel gab es keinen Mangel an sozialen Bewegungen, die sich im letzten Jahrzehnt gegen neoliberale Gesetze und Deregulierungen formierten und sich in kontinuierlichen und umfangreichen Kämpfen engagierten: von? Nuit debout? bis zu Gelbwesten, von Kämpfen gegen Arbeitsgesetze und gegen die Rentenreformen. Und das Ergebnis? Unterdrückung der Bewegung mit umfassender Polizeibrutalität (Blinden, Verhaften und Einsperren usw.) und schliesslich die Erschöpfung der wütenden Menschen über einen langen Zeitraum.

Auf der anderen Seite der Welt, in der damals sogenannten „Dritten Welt“, war der zentrale Begriff für den postkolonialen Staat die „Entwicklung“: das Wachstum der industriellen Produktivkräfte und die wirtschaftspolitische Unabhängigkeit von Ost und West3. Der aus der Biologie stammende Begriff der Entwicklung, der bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht und sich auch in Hegels eurozentristischer Geschichtsphilosophie manifestiert, war einer der Zeitbegriffe (Temporalität), die in der Geschichte des Kolonialismus eine besondere Rolle spielten. Durch den Begriff der Entwicklung wurde der Kolonialismus historisch gerechtfertigt: Die kolonialisierten Gesellschaften wurden als Gesellschaften dargestellt, die nicht in der Lage seien, „zivilisatorisch fortschrittliche“ Potenziale zu entwickeln (oder zu verwirklichen).

Diese Gesellschaften mussten daher von aussen und durch die Gewalt der Kolonisatoren missioniert und erneuert werden. In der postkolonialen Ära nach dem Zweiten Weltkrieg und mit der Veränderung der Bedeutung von Entwicklung durch die Vereinigten Staaten – der sogenannten „Truman-Doktrin“ – wurde der Begriff der Entwicklung von seinen kolonialen Konnotationen gelöst und von den Staaten der sogenannten Dritten Welt selbst akzeptiert: Also war Entwicklung nun ein nationales Projekt für Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Besiedlung sowie kulturellen und politischen Fortschritt, insbesondere bei der Verleihung von Bürgerrechten.

Als Khomeini 1979 – direkt nach seiner Rückkehr in den Iran – über kostenloses Wasser, Strom und Gas für die „armen Klassen“ sprach, und als er sagte: „wir werden Euch auf den Stand der Menschheit bringen“, wurden seine Worte im Kontext der historischen Ära der „Entwicklung“ verstanden; Eine Ära, die jedoch kurz vor der Revolution 1979 zu Ende gegangen war oder abgebaut wurde. Entwicklung als postkolonialer Traum und politisch-ökonomisch-kulturelles Projekt sollte mit seiner Verwirklichung durch den nationalen Staat in nicht allzu ferner Zukunft die Wunden des Kolonialismus in der historischen Vergangenheit heilen. Die „Dritte Welt“ sollte den Punkt erreichen, an dem der Westen historisch stand, durch den Tunnel der Zeit und basierend auf dem linearen und forschungsorientierten Geschichtsbild, das seine Wurzeln im Zeitalter der Aufklärung hatte.

Diese Träume, für die auch die anti-kolonialen Bewegungen weltweit gekämpft hatten, wurden aber nicht nur durch die Hände des Westens und des Imperialismus, sondern ab den 1970er Jahren von postkolonialen Regierungen im Einvernehmen mit den supranationalen Finanzagenturen IWF, Weltbank und privaten Investoren zerstört: also durch die gewaltsame und möglichst vollständige Integration der nationalen Ökonomie in den fremdbestimmten Weltmarkt. Die Mission des „Entwicklungslandes“ änderte sich von der „Entwicklung“ zur Integration in einen global-hierarchischen Kapitalismus. Soziale und politische Rechte, Wohlstand, Wirtschaftswachstum und Sicherung der Grundbedürfnisse sind zu ideologischen und leeren Wörtern geworden. Nicht nur wurden die Wunden des Kolonialismus nicht geheilt, sondern auch das Erbe des Kolonialismus wurde von den postkolonialen „nationalen“ Staaten genutzt, um sich in das globale Kapital zu integrieren.

Vom Mythos zur Realität der liberalen Demokratie

Die Geschichte des zeitgenössischen Kapitalismus, der die globalen Machthierarchien vertieft und die globalen Ungleichheiten in beispielloser Weise verschärft hat, hat gezeigt, dass die sogenannten „sich entwickelnde“ Gesellschaften sich keinem selbst entwickelten Ziel nähern, sondern ihre Gesellschaften ausgeliefert sind. Westeuropa und Nordamerika haben kein historisches Modell und keinen Massstab für historische Zeit (Zeitlichkeit), die andere Gesellschaften nachvollziehen könnten. Die Verneinung einer homogenen, linearen und segmentierten historischen Zeit, die in der Aufklärungsbewegung und der Philosophie Hegels wurzelt, ist nicht nur ein Produkt postkolonialer Studien, sondern wurzelt in der objektiven Realität aus der Bewegung des globalen sozialen Widerspruchs im Kapitalismus.

Datei:Manifestation contre la réforme des retraites, Paris, le 28 mars 2023 — 37.jpg

Waren es früher Faschismus und Krieg, die in den Werken von Bloch, Benjamin und Adorno die europäische Philosophie der linearen Zeit in Frage gestellt haben, so ist es nun das Erbe des Kolonialismus und der globalen Ungleichheiten, die die Zeitphilosophie zwangen, die Pluralität historischer Zeiten zu akzeptieren. Im Gegensatz zum kulturellen Pluralismus der Postkolonialisten:innen wird diese Pluralität historischer Zeiten aktiv vom Kapital bzw. dem prozessierenden sozialen Antagonismus geschaffen. Die historischen Entwicklungen der heutigen Welt haben auch gezeigt, dass der Kapitalismus keinen logischen Zusammenhang mit der Demokratie hat, auch nicht in Form einer formalen Demokratie, d. h. Gleichheit vor dem Gesetz und Bürgerrechten.Weder die religiöse autoritäre Diktatur (mit der Brutalität der Revolutionsgarden) in der Islamischen Republik sind getrennt vom kapitalistischen Körper, noch der Autoritarismus der Macron-Regierung mit seinen Verstössen gegen die Demokratie in Frankreich. Die Berichterstattung über die Gelbwesten in Radio und Fernsehen der Islamischen Republik Iran als Beweis für die Tiefe der Krise und die Repression der Demonstranten:innen im Westen ist ebenso absurd und lächerlich wie die liberale Erzählung des französischen Fernsehen vom revolutionären Jina-Aufstand im Iran als eine Bewegung, die einen Rechtsstaat wie in Frankreich anstrebt. Wenn es im Kapitalismus Rechte gibt, sind sie das Produkt von Geschichte und Klassenkampf im weitesten Sinne. Ja, es stimmt, dass der Kapitalismus Lohnarbeit auf der allgemeinen Ebene voraussetzt, aber er endet nicht notwendigerweise mit „freier“ Lohnarbeit4.

Fazit

So wie die Ära der Entwicklung im globalen Süden seit Jahrzehnten vorbei ist, so ist auch im globalen Norden die Zeit nationaler Wohlfahrtsstaaten längst vorbei. Das Kapital erreicht seine Einheit nicht mehr auf nationaler Ebene. Neben der Neugruppierungen des Kapitals schafft der Staat vor allem die Bedingungen für die Reproduktion des transnationalen Kapitals durch Deregulierung und Neoliberalisierung der Wirtschaft. Das Finanzkapital spielt dabei die entscheidende Rolle für die Herstellung eines Massstabs der globalen Profitraten.

Die Globalisierung des Kapitals bedeutet daher gerade keinen Verlust der Macht des Staates gegenüber scheinbar transnationalen feindlichen Kräften, sondern er erlangt eine doppelte neue Bedeutung: der Staat hat nun entscheidende Aufgaben bei der Integration des nationalen Raums und wie auch der nationalen Zeit in den globalen Kapitalraum. Das sind zwangsläufige Folgen der Entnationalisierung des Territoriums und der gesellschaftlichen Zeiten, die traditionell davon abhängen. Mit einem Wort, die Mission des nationalen Staates in der historischen Gegenwart ist nichts anderes als die Denationalisierung der Wirtschaft als Voraussetzung für den Eintritt in den globalen Markt und die Reproduktion des globalen Kapitals.

Deswegen wird der Wille des „Bürgers/ der Bürgerin“ immer mehr beiseite geschoben, und die Exekutive des Staates geniesst eine doppelte Macht im Vergleich zu Legislative und Kontrollinstitutionen. Im globalisierten Zeitalter verschwindet der Staat nicht, sondern seine Funktion und sein Wesen, insbesondere seine herausgehobenen Institutionen wie die Regierung, werden neu definiert. Mit Frankreichs Verfassungsartikel 49.3 kann die Regierung der Legislative die Macht auf trickreiche Weise entziehen und Gesetze willkürlich durchbringen. Er besagt, dass ein von der Regierung unter Berufung auf ihn eingebrachtes Gesetz als angenommen gilt – es sei denn, ein innerhalb von 24 Stunden eingereichter Misstrauensantrag gegen die Regierung erhält eine Mehrheit.

Er darf nur drei Mal pro Sitzungsperiode angewandt werden. Allerdings gibt es eine Ausnahme: wenn sich das geplante Gesetz auf das Staatsbudget bezieht – und das ist auch bei der Rentenreform der Fall. Die formale liberale Demokratie ist unter solchen Bedingungen tot, weil die Menschen nicht in der Lage sind, durch Wahlen und parlamentarische Vertretung politisch an ihrem kollektiven Schicksal teilzunehmen. Der Autoritarismus der französischen Regierung ist nicht nur Macron eigen, sondern dem Staat im zeitgenössischen Kapitalismus eigen.

Organisation und Politik von unten stehen in einer solchen Situation vor grossen Herausforderungen. Die objektive Situation diktiert die populäre Politik, sich so weit wie möglich von der parlamentarischen Demokratie und der rechtlichen Intervention zu distanzieren und stattdessen dem Staat und der herrschenden Klasse gesellschaftspolitisch entgegenzutreten. Dies ist ein Thema, das in Zukunft einer gesonderten Diskussion bedarf.

Morteza Samanpour

Fussnoten:

1 Nach Macrons neoliberalen Gesetzen wird die Zahl der Versicherungsprämienjahre von 41 auf 43 steigen. Das bedeutet, dass eine Person im Alter von 64 Jahren nur dann Anspruch auf eine volle Altersrente hat, wenn sie 43 Jahre gearbeitet hat.

2 Siehe den letzten Teil des zweiten Bandes von Marx‘ Kapital.

3 Sandro Mezzadra and Robert Neilson, The Politics of Operation: Excavating Contemporary Capitalism (Durham and London: Duke University Press, 2019)

4 In Frankreich mussten Frauen bis 1965 eine offizielle und gesetzliche Erlaubnis ihrer Ehemänner einholen, um arbeiten zu dürfen. Als Marx das Kapital (1867) veröffentlichte, waren die Disziplinar- und Strafvorschriften für die Beendigung des Arbeitsvertrags umfangreich, in dem Sinne, dass Einzelpersonen einen Vertrag frei schliessen, aber nicht davon zurücktreten konnten. Dies sind nur historische Beispiele, um den Mythos des Kapitalismus als Gleichheit vor dem Gesetz zu negieren, was einer gesonderten Diskussion bedarf, um im Detail analysiert zu werden.

Erstveröffentlichung auf Farsi

Author Jules*         /       Source    :    Own wirk        /        Date     :    28 March 2023, 16:55:36

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Unten         —      Dans le cortège parisien de la manifestation du 28 mars 2023 contre la réforme des retraites.

Verfasser Jules*         /     Source    :      Own work      /       Date    :      28. März 2023, 16:27:28

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Die Macht, NEIN zu sagen

Erstellt von DL-Redaktion am 3. April 2023

ROSA ELEFANT IM RAUM

Quelle       :    RATIONALGALERIE

Autor: Uli Gellermann

Kayvan Soufi-Siavash redete jüngst am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin – dort wo die neue deutsche Demokratiebewegung ihren Anfang nahm. Mit seiner Rede ermunterte er die Teilnehmer der Kundgebung zur Selbstermächtigung. Seine Rede sollte verbereitet werden. Wer sie begreift, der ist reif für Veränderungen. Wer sie weitergibt, der verbreitet das Virus der Demokratie. Das kann sehr ansteckend wirken.

Worüber man in diesem Land nicht reden darf

„Ich war die Tage im Berliner Zoo auf der Suche nach einem Tier.

Einem Tier, das ich dort nicht finden konnte – obwohl es mir im täglichen Leben seit Jahren permanent begegnet.
Die Rede ist von diesem gigantischen rosa Elefanten, der seit dem Jugoslawienkrieg 1999 überall in der Republik im Wege herumsteht und den wir alle tagtäglich erkennen können, über den dieses Land aber nicht sprechen darf oder will.

Befragung im Polizeigewahrsam

Dieser rosa Elefant steht für die Erkenntnis, dass das, was wir Demokratie nennen, also die Herrschaft durch das Volk, volk-kommen ins Leere läuft. Und zwar zu allen Themen, zu denen wir, die Bürger, später zur Kasse gebeten werden – in dem Sinne, dass wir für sie einen Preis zu bezahlen haben.
Ob Bankenpolitik, Flüchtlingspolitik, NATO-Politik oder jüngst Gesundheitspolitik: Wir werden nie wirklich gefragt.
Und selbst wenn, so ist der Regierung unsere Antwort ziemlich egal. Sie handelt stets so, dass sie immer das Gegenteil von dem beschließt, was die Mehrheit abgestimmt hätte, HÄTTE man sie dazu direkt befragt.
Direkte Befragung findet in der BRD nur in Polizeigewahrsam statt.
Und auch nur für Otto Normalbürger, die sich durch Präsenz auf der Straße ungebeten demokratisch betätigen. Das Hochhalten des Grundgesetzes reichte dazu in den Corona-Hochzeiten.
Das HOCHHALTEN des Grundgesetzes galt ganz offiziell als eine unerlaubte politische Äußerung! Ich habe diesen Spruch von der Polizei, hier auf dem Rosa-Luxemburg-Platz mehrfach gehört.

Das Stück „Die Angepassten“

Was ich nicht gehört habe, war Widerspruch, z.B vom Theater Volksbühne im Hintergrund – im Gegenteil. Diese Institution war während der gesamten Corona-Zeit auf der Seite der Regierung und verhüllte seine Fassade wie Christo seinerzeit den Reichstag – nur dass es bei Christo Kunst war.
Bei der Volksbühne handelte es sich um Opportunismus: Dieses Haus hat seine Glaubwürdigkeit verspielt.
Der Vorhang ist gefallen und was wir sehen konnten, war das Stück „Die Angepassten“.

Mauer der Propaganda

Natürlich ist diese Kurzbeschreibung des Status quo in diesem Land eine für mich typische Verschwörungstheorie. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen. Muss man auch nicht, sie steht ja schon: in den Köpfen der meisten.
Es ist die Mauer der Propaganda, an der kontinuierlich gearbeitet wird.

Als freier Reporter in Weißrussland

Ich war die letzten Tage in Weißrussland.
Als freier Reporter mache ich mir generell selber ein Bild von der Lage. Das unterscheidet mich von den Hofberichterstattern und Atlantik-Brücke- Journalisten, die wir beim Tagesspiegel, der taz, bei FAZ, Spiegel und natürlich ARD und ZDF finden.
Diese Menschen sind so angepasst, dass sie Seymour Hersh für den Halbbruder von Julian Assange halten und sich fragen, warum der immer noch auf freiem Fuß ist.

Weißrussland hat nie vergessen, was Krieg bedeutet

Warum war ich in Weißrussland?
Es ging mir um die Frage, was weiß Russland, was wir nicht wissen und die Antwort habe ich ihnen mitgebracht:
Weißrussland hat nie vergessen, was Krieg bedeutet.

Ein Drittel der Weißrussen ermordet

Es gibt dort eine lebendige und vor allem aufrichtige Erinnerungskultur. So war ich in Chatyn – dem weißrussischen Chatyn, nicht zu verwechseln mit dem russischen Katyn.
Der Ort Chatyn steht für das Auslöschen von mehr als 200 Dörfern durch die Wehrmacht. Mehr als 200 Dörfer wurden buchstäblich dem Erdboden gleich gemacht. Die Menschen wurden in Scheunen gejagt und angezündet. Wer versuchte zu entkommen, der traf auf ein Maschinengewehr oder einen Flammenwerfer.
Insgesamt wurde ein Drittel der damals 10 Millionen Weißrussen ermordet. Frauen, Kinder, Säuglinge, Schwangere, Alte wurden systematisch vernichtet.
Dieses Verbrechen an den Weißrussen jährt sich in diesem Jahr zum 80sten Mal. An der Gedenkstätte waren Diplomaten und Medienvertreter aus aller Welt. Zehntausende von Weißrussen hatten sich wie jedes Jahr dort versammelt.
Nicht zu finden war auch nur ein deutsches Medium oder ein Vertreter der Republik unter Olaf Scholz.

Scholz kann sich nicht erinnern

Scholz kann sich entweder nicht erinnern, z.B. an Cum Ex, die Außenpolitik der SPD unter Willy Brandt – oder er macht in Washington gute Miene zum bösen Spiel, wenn ihm dort sein Chef Joe Biden erklärt, dass die BRD bei Nord Stream 2 bald in die Röhre schauen werde.

Zurück nach Weißrussland: Belarus wird vom Westen sanktioniert.
Weil es immer noch Kontakt zu seinem Nachbarn Russland hält. Weil es mit Russland spricht und weil der weißrussische Präsident kein lupenreiner Demokrat ist, der seinen Bürgern echte Freiheit vorenthält.

Friedensnobelpreis: 7 Länder in 8 Jahren bombardieren

Während der gesamten Corona-Zeit war etwa das Tragen von Masken in Weißrussland immer freiwillig.
Daran kann man erkennen, wes Geistes Kind dieser weißrussische Präsident ist. So wird das nie etwas mit dem Friedensnobelpreis. Dazu müsste er schon wie Obama 7 Länder in 8 Jahren bombardieren.

Russische Panzer durch McDonalds-Filiale ersetzen

In Weißrussland traf ich auf eine mich beschämende Gastfreundschaft. Zusammen mit 50 anderen deutschen Friedensaktivisten wurden wir herzlich begrüßt und konnten Blumen niederlegen.
Was ich nicht konnte, war offen darüber zu sprechen, wie der Westen aktuell mit der eigenen Geschichte umgeht.
In Deutschland werden Denkmäler abgebaut, welche an die Befreiung von den Nazis durch die Rote Armee erinnern und demontiert, was auch nur entfernt an Russland erinnert oder Russisch im Namen trägt. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die russischen Panzer vor dem Brandenburger Tor entfernt werden, um sie durch eine McDonalds-Filiale zu ersetzen.
Zur Befreiung von Auschwitz wurden die russischen Befreier, also die Nachfolger der Roten Armee, beim letzten Mal schon nicht mehr eingeladen.

Rolle Russlands fälschen.

Ich halte das für eine skandalöse und unfassbar geschmacklose Geste. Es ist die Vorstufe, die Rolle Russlands im Zweiten Weltkrieg zu fälschen.
Wer die wahre Geschichte des Zweiten Weltkriegs vergessen lassen möchte, plant, sie zu wiederholen.

100 Milliarden Euro großer Elefant

Dieser rosa Elefant ist nicht zu übersehen. Er ist 100 Milliarden Euro groß und nennt sich Sondervermögen.
Er kommt als Wiedereinführung der Wehrpflicht, Dienstpflicht genannt, durch die Tür. Die Sondervermögen wurden, wie seinerzeit die Kriegskredite, die den Ersten Weltkrieg erst ermöglichten, schon wieder durch die SPD bewilligt.
Wer hat uns erneut verraten? A-Sozial-Demokraten.

Abhängigkeit von den USA

Wir sind Lichtjahre von einer halbwegs eigenständigen Außenpolitik entfernt. Es gab sie einst unter Willy Brandt und Egon Bahr.
Heute leben wir in der vollkommenen Abhängigkeit von den USA. Spätestens seit dem Nord-Stream Anschlag der NATO auf das NATO-Mitglied BRD wissen wir, was Washington für Deutschland vorgesehen hat: Wir sollen – wie damals – der Führung bis in den Untergang folgen.

Deutschland ist als Kampfzone vorgesehen

Anders als unter der Regierung Helmut Kohl besteht die politische Elite der Bundesrepublik mittlerweile nur noch aus Erfüllungsgehilfen, die zu schlicht sind, um zu erkennen, dass der nächste große Krieg, der aktuell von westlichen Eliten vorbereitet wird, sich gegen Russland, aber vor allem gegen China richtet und auf der eurasischen Platte ausgetragen werden soll.
Deutschland ist dabei als Kampfzone vorgesehen und wird ohne Skrupel der USA geopfert werden: Deutschland kann weg. Es war als politischer Rivale stets eine Nervensäge und ist heute politisch so unterbelichtet, dass es beim eigenen Untergang auch noch aktiv mithilft. Mit Baerbock, Habeck und Co. haben wir bildungsferne Schichten in deutschen Führungspositionen.
Ein Selbstmordkommando, das den Sprenggürtel für ein Mode-Accessoire hält und bereit ist, den Knopf zu drücken, weil der diesmal grün lackiert ist.
Wer in Deutschland rechts abbiegen möchte, muss den grünen Pfeil nehmen.

Deutschland zum Abschuss frei

Wenn japanische Kamikazeflieger sich im Zweiten Weltkrieg aufgeopfert haben, geschah dies freiwillig und aus Loyalität zum eigenen Land.
Unsere Politiker geben Deutschland zum Abschuss frei, weil man ihnen wahrscheinlich in Washington erklärt hat, dass ein nicht mehr existierender Industriestandort Deutschland gut für das Klima sei. Nur so sei der Kurswechsel um 360 Grad möglich, wird sich Annalena denken …

BRD unter Rot-Grün schafft sich ab

Die BRD unter Rot-Grün schafft sich ab. Und Corona war dabei nur der Testlauf. Es ging nie um Gesundheit, es ging um das Einüben des Ausnahmezustandes: für den Kriegsfall.
Wie weit würden die Bürger sich an die neuen Regeln halten? Gegenseitiges Denunzieren bei Regelverstößen: Wer würde mitmachen? Und wer nicht ?
Das galt es herauszufinden und die Daten sind abgespeichert. Unterm Stich lief die Täuschung perfekt und nahezu jeder Widerstand wurde im Keim erstickt oder niedergeprügelt.
Die Rolle der Presse, der Polizei oder Justiz waren dabei mit wenigen Ausnahmen beschämend.

Marktkonforme Demokratie

Die Presse hat sich zum Propaganda-Werkzeug der Konzerne machen lassen. Die Konzerne sind die eigentliche Regierung. Wer was zu sagen hat, trifft sich in Davos. Da, wo’s einen Effekt hat, wenn etwas global beschlossen wird.
Wir leben in einer marktkonformen Demokratie, wie Merkel schon bestätigte. Gemeint war Konzernfaschismus, aber das traute sich Mutti nicht zu sagen.

Was bedeutet es eigentlich, Uniform zu tragen?

Die Polizei hat der Politik dabei geholfen, das Grundgesetz niederzuknüppeln, als sie Bürgern mit dem Schlagstock begegnete, die für ihre bis dato unveräußerlichen Grundrechte auf die Straße gingen.
Aber was bedeutet es eigentlich, Uniform zu tragen?
Diese Uniform repräsentiert nicht die Regierung, sie repräsentiert den Staat und seine Verfassung.
Der Staat wiederum sind wir: die Bürger. Und eben nicht eine übersichtliche korrupte Politkaste, die sich eher mit Lobbyisten trifft als mit den Wählern.

Polizisten für Aufklärung

Wenn Sie, liebe Polizisten, abends ihre Uniform ausziehen, erwachen Sie in dem Land, dem Sie zuvor geholfen haben, seine Bürger niederzuprügeln. In diesem Land leben Ihre Frau und Ihre Kinder.
Erkennen Sie, wie Sie benutzt werden?
Orientieren Sie sich in Zukunft an Kollegen, die es auch unter Ihnen gibt und schließen Sie sich diesen Kollegen an.
Ich spreche von den Polizisten für Aufklärung und bedanke mich für ihr mutiges Handeln.
Werte Polizisten! Ich hatte außerhalb der Corona-Demos immer wieder mit Ihnen zu tun und Sie machten stets einen super Job. Bei Corona wurden Sie leider vorgeführt.
Wachen Sie auf und stehen Sie auf der richtigen Seite der Geschichte! Das hat Vorteile. Sie können später ihren Kindern und Enkelkindern erklären: Ich habe nicht mitgemacht. Ich habe mich nicht missbrauchen lassen. Ich habe mich an meinen Eid erinnert, den ich auf mein Land, die Bundesrepublik Deutschland geschworen habe.
Sie haben nicht der aktuellen Regierung Ihre Treue geschworen, sondern der Bundesrepublik Deutschland. Einem Land, das vorgibt, demokratisch zu sein.

Erweiterte Verhörmethode

Und wo stand während der Coronazeit die Justiz?
Sie stand und steht, dort, wo sie auch bei Julian Assange oder Michael Ballweg stand und steht. Die Justiz hat das Unrecht unter Corona erst ermöglicht, indem sie der Politik jeden Wunsch erfüllte. Ähnlich wie US-Juristen seinerzeit erklärten, Waterboarding sei gar keine Folter, sondern nur eine „erweiterte Verhörmethode“ („enhanced interrogation technique“).
Auch die deutsche Justiz ist kein Garant für das Grundgesetz mehr. Sie ist im Gegenteil ein zuverlässiger Partner bei dessen Demontage.

Und wo standen die Künstler?

An der Volksbühne haben wir es gesehen. Die Volksbühne titelte damals: „Wir sind nicht Eure Kulisse“.
Stimmt, ihr seid die Bühne für staatliche Willkür. Ohne staatliche Subventionen gehen bei euch die Lichter aus.
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
Brecht würde brechen und Rosa Luxemburg darauf bestehen, eure Adresse in „Platz der Bücklinge“ umzubenennen.

Stay at home

Was ist aus der ZDF-Anstalt geworden?
Was aus den sogenannten Gangster Rappern in Berlin? Ihr seid „Stay at home“-homies!
Das hat mit NWA soviel zu tun wie Smudo mit Snoop Dog.

Respekt an Nena, Uwe Steimle oder Nicolai Binner

Wir, die Bürger, welche sich gegen die Willkür der Regierung gewehrt haben, sind mehr Gangster im Geiste, als ihr alle zusammen. Mein Respekt geht raus an Nena, Uwe Steimle oder Nicolai Binner.

Terroranschlag auf die Nord-Stream-Pipeline

Kommen wir zur zum Terroranschlag auf die Nord-Stream-Pipeline.
Hier handelt es sich vor allem um einen Anschlag auf die deutsche Industrie. Deutschland muss jetzt sein Gas um den x-fachen Preis in den USA und Norwegen einkaufen, während Russland sein Gas zu Höchstpreisen weltweit anbietet – und auch loswird.

Auf die deutsche Presse NULL verlassen

Wer wissen will, was Phase ist, kann sich auf die deutsche Presse NULL verlassen. Die deutsche Presse verbreitet, wo immer es von Washington gefordert wird, US-Propaganda.
Ohne das journalistische Urgestein Seymour Hersh wüssten die Deutschen nur das, was an Märchen von der Tagesschau in Umlauf gebracht wird.

Frage an den Mittelstand:

Wo bleibt da eigentlich Ihre Empörung? Man hat Sie gerade an die Konkurrenz verraten!
Wo bleibt Ihre Verbundenheit zu Ihrem Land, dem Standort Deutschland?
Hätten Sie noch die Güte, sich zu erheben!? Z.B. für ihre Belegschaft – Sie sind doch Familienunternehmen. Dann handeln Sie wie eine Familie: Stehen Sie füreinander ein, und füreinander auf. Papi und Mami machen den Anfang in einem Familienunternehmen. Sie zeigen sich loyal gegenüber ihrer Belegschaft und ihrem Land.

Investieren in die größten Profite

Die Großkonzerne kennen keine Loyalität. Für sie steht das D nicht für Deutschland, sondern für Dollar. Sie investieren immer dort, wo sie die größten Profite machen können. Die Großkonzerne folgen aktuell dem Ruf der USA, denn Amerika lockt mit billigen Energiepreisen und tollen Gewinnen.

Deutschland Kriegsgebiet

Und noch eine Frage an den deutschen Mittelstand: Warum sehen Sie zu, wie Deutschland über illegale Lieferungen von Kampfpanzern in ein Kriegsgebiet zur Kriegspartei wird?
Sollte der von unseren Medien vollkommen verzerrt dargestellte Ukraine-Krieg sich ausweiten, ist auch Ihr Standort, Ihr Unternehmen betroffen.

Der Ukraine-Krieg begann 2014

Der Ukraine-Krieg begann nicht mit dem illegalen Grenzübertritt der Russen unlängst in der Ukraine. Er begann 2014 mit dem illegalen Putsch der USA in Kiew und dem jahrelangen Beschuss der Region Donbass, um dort vor allem Ukrainer mit russischen Wurzeln zu vertreiben und zu töten.
Wer diesen Teil der Geschichte einfach weglässt, lügt – wie einst ein deutscher Kanzler, als er sagte, ab 5.45 Uhr werde „zurück“-geschossen.

USA: „Die einzige Weltmacht“

Der Krieg gegen Russland über den Hebel Ukraine war von Washington lange geplant und offen angekündigt.
Der langjährige US-Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski schrieb das Drehbuch zum Ukrainekrieg. Lesen Sie sein Buch über die USA: „Die einzige Weltmacht“.

Kennen Sie die Bilder von Berlin in der Stunde Null?

Jeder, der das erkennt und nicht aufsteht, nimmt billigend in Kauf, dass Deutschland erneut in eine militärische Auseinandersetzung mit Russland gerät.Können Sie sich noch an den Ausgang beim letzten Mal erinnern?
Kennen Sie die Bilder von Berlin in der Stunde Null?

Sind Sie IRRE, wenn Sie denken, es würde dieses Mal zu unseren Gunsten ausgehen??

Russland wird uns das nicht vergessen

Angela Merkel hat neulich offen zugegeben, das Minsker Abkommen hätte nur der Täuschung gedient. Ziel war es von Anfang an, die Ukraine aufzurüsten und fit zu machen für einen Stellvertreterkrieg gegen Russland.
Mit dieser Politik hat die Ex-Bundeskanzlerin die deutsche Diplomatie verraten.
Ist das unser Zeichen der Dankbarkeit für die Wiedervereinigung?
Russland wird uns das nicht vergessen.

Einen nuklearen Holocaust riskieren

An alle Scharfmacher in Regierung und bei der Presse: Wissen Sie was Krieg ist? Wohl kaum.
Wenn es nach mir ginge, würde man in diesem Land mal für lächerliche 7 Tage den Strom abstellen.
Glauben Sie mir, das, was binnen dieser Tage an Schaden entstünde, würde ausreichen, um ihnen eine Lektion zu erteilen.
Deutschland würde im Chaos versinken und Sie würden nie wieder auf die Idee kommen, in irgendwelchen Talkshows von einem „robusten Mandat“ zu faseln oder ernsthaft zu fordern, man sollte eine nukleare Antwort auf Putins Politik „nicht von vornherein ausschließen“, denn das wäre ein Zeichen von Schwäche.
Wer so etwas öffentlich von sich gibt, ist irre und riskiert einen nuklearen Holocaust. Er hat in Führungspositionen nichts verloren.

Milliarden kassiert für unerforschte Plörre

An dieser Stelle ein Wort zur Pharma-Industrie.
Die Pharma-Industrie hat es nach der Bankenkrise ebenfalls geschafft, Deutschland auszunehmen wie eine Weihnachtsgans. Sie hat für völlig unerforschte Plörre Milliarden kassiert und kommt mit keinem Cent für die Folgen bei den Opfern auf. Das ist ein Skandal.

Impfopfer mit irreparablen Schäden

Laut Lauterbach existieren offiziell 20.000 Impfopfer mit zum Teil irreparablen Schäden.
Zum Vergleich: Bei Contergan waren es 3000 und das Medikament wurde vom Markt genommen.
Pfizer-Biontech-Plörre bekommen Sie immer noch. Sie wird weiter verimpft, sogar an Kinder und Schwangere. Hier handelt es sich um ein Verbrechen, denn mit der Gesundheit der Bürger wird bewusst gespielt.
Die Bürger wurden von der eigenen Regierung zu Versuchskaninchen erklärt und der Scharlatan Lauterbach wird uns am Ende mit dem Satz kommen, den schon Mielke kurz vor Schluss von sich gab: „Ich liebe doch alle Menschen.“
Es wird Zeit für ein zweites Nürnberg, Herr Lauterbach – und an Herrn Spahn erinnern wir uns auch noch.

Hinterzimmer-Verträge sittenwidrig

Die Verantwortlichen gehören vor ein ordentliches Gericht und die Pharma-Industrie an den Kosten für die Opfer beteiligt. Ihre Hinterzimmer-Verträge sind sittenwidrig und wurden in Wahrheit nicht mit unabhängigen Volksvertretern abgeschlossen, sondern mit Lobbyisten, die man zuvor zu Spitzenpolitikern gemacht hatte.
Des Weiteren fordere ich, dass 50 % der GEZ-Gebühren in einen Opferfonds für Impfschäden fließen sollten. Die GEZ-Medien haben mit ihrer Impfpropaganda so viel Schuld auf sich geladen, dass sie dafür jetzt bezahlen müssen.

Zerstörung des Sozialstaates

Ein Wort an das, was sich Regierung nennt:
Die Aufgabe jeder Regierung besteht darin, das eigene Volk vor Schaden zu bewahren. Das bedeutet vor allem: alles für den sozialen Frieden im Inland und den Frieden mit einem Nachbarn zu tun.
Und was tut unsere aktuelle Bundesregierung?
Sie arbeitet aktiv an der Zerstörung des Sozialstaates. Sie öffnet Grenzen, ohne auch nur im Ansatz über die Folgen nicht geleisteter Integration nachzudenken.
Wie will sie die Millionen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge so in Deutschland einbinden, dass sich nicht unzählige Parallelgesellschaften bilden? Darauf hat sie keine Antwort.
Die Regierung benutzt Flüchtlinge. Unter anderem, indem sie seit Jahren vermeidet zu fragen, vor wem oder was diese Menschen eigentlich auf der Flucht sind. Die Antwort würde in den meisten Fällen nämlich lauten: vor einem aktuellen NATO-Krieg oder den hochsubventionierten Exportprodukten der EU.

System von fake-money ist nicht mehr zu retten

Die NATO ist ein Angriffsbündnis, dessen Ziel es ist, für die EU und die USA Märkte zu erobern. Würde die NATO mit ihrer „Außenpolitik“ aufhören, wäre übermorgen das Kapitel des Finanzkapitalismus zu Ende. Er würde noch schneller zusammenbrechen als WTC 7.
Vor wenigen Tagen stand die Großbank Credit Suisse kurz vor dem Untergang und konnte nur durch die UBS und später Blackrock vor dem Crash gerettet werden … vorübergehend.
Sehen wir der Wahrheit ins Auge: Dieses System von fake-money ist nicht mehr zu retten – game over.

Chinesische Wirtschaft ist der deutschen überlegen

Ein Wort zur Wirtschaft jenseits des Dollarraums. Als sich dieser Tage Putin mit dem chinesischen Staatschef traf, um stabile langjährige Wirtschaftsbeziehungen zu vereinbaren, musste jedem klar werden, was das für Deutschland bedeutet:
Wir sind mittelfristig raus.
Russland hat sich vom Exportland Deutschland abgewendet und kauft jetzt in China ein. Und glauben Sie mir, die chinesische Wirtschaft ist der deutschen überlegen.

Titanic verlassen

Welche Möglichkeiten haben wir in Deutschland, um nicht unterzugehen?
– Wir müssen die Titanic verlassen, solange die Rettungsboote noch zu Wasser gelassen werden können, oder besser: solange die USA diese Rettungsboote nicht gesprengt haben.
– Wir brauchen eine eigene europäische Perspektive und unabhängige Außenpolitik. Diese Politik kann sich nur am Frieden mit unseren Nachbarn orientieren. Wandel durch Handel sollte die deutsche Losung sein. Innerhalb einer US-hörigen, gelenkten Demokratie ist diese Politik nicht möglich. Sie wird sabotiert.
– Wir brauchen daher direkte Demokratie. Alle 4 Jahre sein Kreuz zu machen, ist eine Simulation von Demokratie.
– Parteiprogramme müssen betreffs ihrer Kernaussagen verpflichtend sein. Wer wie die Grünen mit dem Verbot von Rüstungsgütern in Krisengebiete wirbt, um nach der Wahl das Gegenteil zu tun, ist ein Betrüger. Die Wahl sollte wiederholt werden oder aber der Export verboten.

Wahlbetrug NACH der Wahl

In der Folgenlosigkeit für offensichtliche politische Täuschung liegt das Dilemma für den Verlust in das Vertrauen demokratischer Institutionen.
Bei uns findet der Wahlbetrug NACH der Wahl statt. Wir brauchen Wahlbeobachter zwischen den Wahlen, nicht nur davor.

Unsichtbaren Machtpyramide

Und zum Schluss zum Kern unseres Problems, von dem immer nur die Symptome behandelt werden: Unser Problem ist unser Geldsystem. Private Banken schöpfen Geld aus dem Nichts und haben dabei den Bezug zur Realwirtschaft vollkommen verloren. Alles basiert auf Zins- und Zinseszins. Diese Konstruktion führt zwangsläufig in den Krieg, denn es herrscht Wachstumszwang.
Dass wir ausgerechnet in einer Wirtschaftsnation wie der BRD nicht darüber sprechen dürfen, hat viele Gründe; der Wesentliche jedoch ist der politische Klimawandel – und der ist zu 100% vom Menschen gemacht. Allerdings von nur sehr wenigen Menschen. In einer für die meisten unsichtbaren Machtpyramide.

Krieg gegen die Menschheitsfamilie

Aktuell verfügen 8 (in Worten: acht) Menschen über das gleiche Vermögen wie die untere Hälfte der Menschheit, aktuell etwa 3.5 Milliarden Menschen.
In einer derart ungerechten Welt kann es keinen Frieden geben und wer eine derart ungerechte Welt nicht anprangert, ist an echtem Frieden nicht interessiert – im Gegenteil. Er benötigt die ungerechte Verteilung, um seinen Krieg gegen die Menschheitsfamilie führen zu können.

Bergpredigt unter 2G-Regeln

Wie hätte Jesus auf die eben genannten Zahlen reagiert? Hätte Jesus die Bergpredigt unter 2G-Regeln gehalten, wenn die römische Regierung das verlangt hätte? Hätte er die Stimme erhoben?
Fragen Sie sich, wann Sie zum letzten Mal die eigene Stimme erhoben haben, um gegen allgemeines Unrecht zu protestieren.

Sind Sie die Veränderung, die Sie sehen wollen?

Mein Rat: Folgen sie Ihrem Herz. Ihr Herz ist deutlich schwerer durch Propaganda zu manipulieren als Ihr sogenannter Verstand. Glauben Sie nicht alles, was Sie denken. Vertrauen Sie verstärkt dem, was Sie fühlen.

Experte für Ihr Inneres

Werden Sie ein Experte für Ihr Inneres und werden Sie aktiv.
Werden Sie Teil der Friedensbewegung – Teil der Friedhofsbewegung sind Sie schon. Überwinden Sie die Angst, mutig zu sein.
Machen Sie sich selber stolz, indem Sie die Empfehlungen der Regierung zurückweisen, die nur dazu dienen, Ihre Ohnmacht zu stabilisieren.
Sie sind nicht ohnmächtig – im Gegenteil: Sie haben die Macht, NEIN zu sagen. NEIN zu einer Politik, die nicht ehrlich ist. Einer Politik, die spaltet. Einer Politik, die ihnen erklärt, es wäre solidarisch, die eigenen Verwandten im Altenheim verrecken zu lassen, anstatt sie zu besuchen und sie menschliche Nähe und Würde spüren zu lassen. NEIN zu einer Politik, die Ihnen erklärt, mit dem Export von schweren Waffen würde man Kriege beenden. Einer Politik, die jeden gemachten Vorschlag für alternativlos erklärt.
Sie wissen, dass das alles gelogen ist.

„Du sollst nicht lügen“ – aber du sollst auch nicht schweigen, wenn Dritte es in Deinem Namen tun.

Was antwortete Ho Chi Minh während des Vietnamkrieges, als er von US-Reportern gefragt wurde, was er von westlicher Zivilisation halte?
Er antwortete:
„Ja, eine westliche Zivilisation wäre eine wirklich gute Idee.“

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DIE * WOCHE

Erstellt von DL-Redaktion am 3. April 2023

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Kolumne von Friedrich Küppersbusch

Sharon Stone, Streiks für weniger Geld: Die Grünen und die Ratte Sachzwang. Grün ist eher ein Gefühl als eine Politik. Und Punk ist nicht erst seit Campinos Frack, sondern schon seit Helmut Schmidt tot.

Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Zur Osterwoche kein „Spiegel“-Titel über Jesus.

Und was wird besser in dieser?

„Spiegel“-Titel nagelt Grüne ans Kreuz.

Der König kam, sprach im Bundestag und fuhr mit dem ICE. Welchen Eindruck hat Deutschland wohl bei Charles III. hinterlassen?

Dafür müsste ich Hoheit in den Kopf gucken können. Bin sicher, seit Monty Python nichts so Lustiges mehr gesehen zu haben.

Dem Koalitionsausschuss ist das Klimaschutzgesetz von 2019 zum Opfer gefallen. Was bleibt noch von grünen Inhalten in der Ampel außer Waffenlieferungen an die Ukraine?

Grün ist eher ein Gefühl als eine Politik. In Kommunen und Ländern haben und nutzen Grüne Macht; im Bund läuft ihr moralischer Rigorismus der alten Ratte Sachzwang in die Zähne. Rot-Grün wurde abgewählt, nachdem Trittin Atomausstieg und Dosenpfand durchgeschädelt hatte. Heute müssen sie sich wieder entscheiden, ob sie etwas erreichen – oder einfach gut aussehen wollen.

Im Tarifstreit des öffentlichen Diensts von Bund und Kommunen wird es bis Mitte April keine Arbeitsniederlegungen mehr geben, solange wird geschlichtet. Hätten ein paar Streiktage mehr diesem Land nicht ganz gut getan?

Ich kann’s kaum abwarten. Was man Anfang 2022 für einen Euro gekauft hat, wird Ende 2023 ca. 1,13 Euro kosten. Die Forderung der Gewerkschaften – 10,5 Prozent, mindestens 500 Euro – bleibt also noch unter dem Kaufkraftverlust. In Worten: Es würde für etwas weniger Geld gestreikt. Die Arbeitgeber schlagen dagegen fünf Prozent auf zwei Jahre vor, plus Einmal­zahlungen. Vermutlich, weil Krankenpfleger und Müllfahrerinnen schuld sind am Erdgasfiasko und dem Ukraine-Krieg. Dagegen hat man sich bei der Post bereits auf ca. eine rote Null geeinigt: 11,5 Prozent auf zwei Jahre. Die Frage scheint weniger, ob das ein allseits fairer Abschluss ist, und mehr: Wie viel rituellen Radau beide Seiten aufführen, bevor sie es zugeben.

Für ihre Rolle in „Basic Instinct“ bekam Sharon Stone 1992 nach eigenen Angaben eine halbe Million Dollar. Ihr Mit- und Gegenspieler Michael Douglas habe 14 Millionen verdient. Ist die Welt seitdem gerechter geworden?

Ja, sagt Sharon Stone – ein bisschen. Beim Dreh „expliziter Szenen“ sei sie die einzige Frau am Set gewesen und habe die Garderobiere zu ihrem Schutz mitgebeten. Nach dem Erfolg wollte sie Regie führen – die Studiobosse hätten sie ausgelacht. Beides sei heute anders. Bleibt der Gender Pay Gap, auch wenn man abzieht: Douglas war ein Megastar, für Stone war es der Durchbruch. Kein Produzent wird die Gage einer Newcomerin hochverhandeln, doch Stones Beispiele zeigen: Es lässt sich etwas bewegen.

Das Bild von Campino im Frack und mit Franziska Giffey beim Dinner für die Royals sorgte für Aufregung. Ist Punk jetzt endgültig dead?

Ja, seit 2015, da starb Helmut Schmidt. Eine Cola, ein Kaffee, zwei Gletscherprisen und ’ne Reyno-Menthol in einer achtminütigen „Tagesthemen“-Schalte. Und dann erst mal Moderator Wickert ob seiner inkompetenten Fragen zusammenfalten: Das war Punk. Schmidt galt vielen als Law-and-order-Ikone, interessant war jedoch, wie er sich dahin flegelte. Er war innerlich frei, und wenn Campino das mit seinem Frack für sich sagt: welcome.

Am 1. April vor einem Jahr konnte die ukrainische Armee Butscha befreien. Welche Rolle spielen die dort verübten Massaker der russischen Streitkräfte für die Wahrnehmung des Krieges?

Quelle            :           TAZ-online            >>>>>        weiterlesen

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Paris und Feuer-lahmes Berlin

Erstellt von DL-Redaktion am 2. April 2023

’Paris’ brennt und ’Berlin’ ist lahmgelegt.
Bürgerprotest im deutsch-französischen Ländervergleich

Von Dr. Nikolaus Götz

Fast gleichzeitig ist es im Frühjahr 2023 in der Französischen Republik und in der Bundesrepublik Deutschland zu größeren sozialen Auseinandersetzungen gekommen. Während jedoch das Verlangen der deutschen Protestler um eine bessere Entlohnung für Ihre Arbeitsleistungen eher friedlich in den gewerkschaftlich-staatlichen Interaktionsstrukturen verläuft, kam es bei den französischen Protesten wegen der Rentenreform sofort zu Massendemonstrationen mit Gewaltausschreitungen. Die auf Erregungsjournalismus getrimmte Berichterstattung der Massenmedien orientierte sich deshalb eher auf das „brennende Paris“ mit ’action’, als dass sie den nur ’Konsumenten am Bildschirm’ das „lahmgelegte Berlin“ mit den ’deutschen Trillerpfeifen’ zeigte. Dem politisch aufmerksamen Betrachter fallen jedoch nicht nur die offensichtlichen Unterschiede bei der medialen Berichterstattung auf, sondern er kann auch nationale Unterschiede zwischen Deutschen und Franzosen in der jeweils angewandten Strategie der Konfliktlösung erkennen.

„Jede Gegenwehr ist berechtigt“, schreibt ein ’Autonomer’ in einer Onlinezeitung (1) bei der Beschreibung der aktuellen französischen Krawalle, die gewisse „Casseurs“ (2) nicht nur in Paris, sondern auch in Bordeaux, Marseille oder anderswo in Frankreich veranstalten. Bei sozialen Protesten versammelt sich „der französische Bürger“ direkt auf der Straße. So verlässt er sein individuelles Zuhause, wechselt damit seinen Status vom ’Privatmann’ zum ’Citoyen’ und solidarisiert sich nun als politischer Akteur mit seinen gleichdenkenden Landsmännern. Der Franzose braucht dafür überwiegend keine Gewerkschaft oder Partei, die ihm politische Ziele vorgibt. Das versammelte „kleine Volk“ in den Straßen erzwingt sich so die Aufmerksamkeit der „großen Köpfe“, die im repräsentativen parlamentarischen System stellvertretend für „das Volk“ die ’res publica’ erledigen. Damit knüpft die auf dem ’Place de la République’ aufmarschierte französische Volksmasse an ihren traditionellen Geist der „ungezähmten Gallier“ mit der berühmten Revolution von 1789 an. Oftmals jedoch stürzen die heißspornigen Jugendlichen vom vermummten ’Black block’ als ’Kämpfer gegen das Scheißsystem’ ihre übrigen Mitbürger, die aktuell zu 100 000enden friedlich protestierenden Franzosen in die unsägliche Gewaltspirale, die sofort mediale Beachtung findet. Via Fernsehen wird das kolportierte „brennende Paris“ mit seinen Bildern weltweit Symbol für renitenten aber erfolgreichen französischen Bürgerprotest.

Doch “Gewalt erzeugt Gegengewalt“, weswegen es auch in der Deutschen Verfassung legimitierend heißt: „Alle (Staats-) Gewalt geht von Volk aus.“ (3) Der angerichtete Kollateralschaden bei den aktuellen Protesten zwischen den französischen Staatsbürgern und der staatsschützenden Polizei ist wieder unübersehbar und trägt bekanntermaßen eher zur Eskalation eines Konfliktes bei, als dass er die Konfliktursachen lösen würde (4). Dennoch meinen viele Deutsche bewundernd: Die Franzosen wissen sich zu wehren und ihre ’Rechte’ zu erkämpfen, während wir Deutsche nur in der Kneipe herum maulen! Auch jubelt der eingangs zitierte Anonymus offen heraus, dass „Arbeit“ nicht für ihn gemacht ist und, dass das „System“ zu bekämpfen sei. Genau nach dieser Denk- und Handlungsweise haben schon vor der Coronazeit die ’Casseurs’ oder die ’linken’(?) autonomen Schläger der ’Black blocks’ mit dazu beigetragen, die überwiegend friedlichen Proteste der französischen Gelbwesten zu beenden. Bedauerlicher Weise haben diese „nur Krawallbrüder“ die engagierten Bürgerproteste der französischen Gelbwesten damals durch ihre ’Action’ kriminalisiert und so die weitere Teilnahme von politisch aufgeklärten, friedlich protestierenden Franzosen eher verhindert. Dadurch wurden die berechtigten umfangreichen Interessen und die erarbeiteten Korrekturvorschläge am politischen französischen System (5) durch diese „Lustdemonstranten“ zum Erliegen gebracht. Obgleich ’Autonome’ wie dieser Artikelschreiber sich vielleicht in die Tradition des ’revolutionären Syndikalismus’ stellen, stehen sie in Wirklichkeit politisch im Lager der Bourgeoisie, sind contraproduktiv und tragen zur wirtschaftlich-politischen Systemstabilisierung bei. Eigentlich sind sie damit ’rechts’, auch wenn sie das Gegenteil behaupten. Und so brennt „Paris“ wieder, wie denn die Bilder der Massenmedien es dem braven deutschen KonsumCitoyen der Gegenwart abschreckend zeigen. Doch die Mobilmachung der Bürger in Frankreich läuft jetzt erst so richtig an: „Aux armes citoyens, formez vos bataillons….“, ist jetzt überall in Frankreich zu hören (dt.: Zu den Waffen Bürger, bildet eure Bataillone..)!(6)

Dass der französische Bürgerprotest gegen die politische Vorgehensweise ihres Präsidenten Emmanuel Macron berechtigt ist, tritt bei vielen Kommentatoren in den Hintergrund. Um seine Reformpläne der Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre durchzusetzen, hat der Präsident der Republik nämlich sogar eine parlamentarische Abstimmung der Regierungsvorlage in der Französischen Nationalversammlung verhindert. Den umgehend folgenden Sturzversuch seiner Regierung durch ein Misstrauensvotum hat er gerade noch überlebt. Auch das politische System von Frankreich ist, so zeigt es gerade der direkt gewählte „Vorsteher“ dieser République Française, keine echte „Volksherrschaft“. Der Repräsentant seines Volkes, der sogenannte „König“ Macron, kann den breit artikulierten Volkswillen die ’volonté de tous’ ignorieren und machen, was er für politisch richtig erachtet. Deshalb ist die aktuelle politische Systemkrise dieser ’levée des masses’ (Massenerhebung) direkt auf ihren Herrscher zurückzuführen. Die um politische Vermittlung besorgten französischen Gewerkschaften raten nun dem Präsidenten Macron, die Rentenreform einfach fallen zu lassen, um eben weiteren Schaden durch die Wut der Volksmasse seiner „république en marche“ auf allen Straßen der französischen Nation zu vermeiden (7). Gut ist, dass der französische „Roi Macron“ das geplante Treffen mit dem englischen König Karl III. abgesagt hat. Dieser besucht nun das friedliche Deutschland, in dem gerade nichts mehr geht und fährt: „Ruhe ist nämlich die erste Bürgerpflicht“, seitdem es Berliner Herrscher gibt! Die im Lohnkampf zu verteilende „tarte des revenues“ (der Einkommenskuchen) ist im deutschen Präsidialpalast Bellevue (Zur guten Aussicht!) schon aufgetischt worden. Ob jedoch „das Volk“ den Kuchen bekommt oder wieder nur „die Großindustrie“, ist in der aktuellen Streiklage noch ungeklärt.

Im März des Jahres 2023 flattern so erneut die bunten Fahnen der Berichtserstattung laut. Mit Paris steht auch Berlin im Blickpunkt der Betrachtung. Nach der schrecklichen Fernsehmanipulation der Corona-Pandemie ab dem März 2020 und dann dem im März 2022 folgenden bösartigen Krieg des Russen gegen das arme ukrainische Volk bläst jetzt ein neuer ’Wind of change’ in die deutschen Fernsehstuben. Nach den kapitalstärkenden Vorberichten der ’Macht um 8’ zur Börsenlage folgen sodann die abwinkenden Expertenerklärungen um eine Gehaltserhöhung’ für die arbeitenden, stets lohnabhängigen ’Proletarier’ in den 16 Bundesrepubliken. Die rein willkürlich vorgenommenen Preiserhöhungen des Warenkorbes und die unverschämte Gewinnsucht des Managements in den international organisierten Wirtschaftsunternehmen mit der sogar angedrohten Hungersnot (sic.) haben zu einem seit langem nicht erlebten, einem verschärften Streik in der Bundesrepublik Deutschland geführt. Zu dieser Tarifverhandlungskrise haben auch die Verteuerungen der Versicherungsbranche und die ungebremste Lust der Banken für ’illegale’ Geldgeschäfte beigetragen: Diese Unternehmen sitzen nämlich alle mit im nun leeren Geldboot der Crédit Suisse. Doch zu solcher Analyse sind die gesendeten Medienexperten nicht fähig! Die deutschen Tarifkämpfe verlaufen ’klassisch’, wobei die Forderung nach Ausgleich der Inflation und der erfolgten Preiserhöhung für alle Arbeitnehmer 10,5% mehr Lohn betragen soll. Und „wie immer“ sind die „da oben“ aber nicht für die „da unten“! Während die Franzosen die ’königlichen’ Verhandlungspartner zur Beschleunigung des Umverteilungsprozesses oftmals nach der bewährten pädagogischen Lehrmethode „Schläge auf den Hinterkopf erhöhn das Denkvermögen!“ festnageln, müssen die Deutschen Gewerkschaften endlich, aber friedlich, das komplette Transportwesen lahm legen – natürlich ausgenommen die Notfalldienste. Bei dem methodischen Empörungsjournalismus erzählen die alten schwarzen Volksempfänger lieber die Mär von „Paris in Flammen“ als über die eher ’trockenen’ Verhandlungsergebnisse der Gewerkschaftsvertreter. Der lustlose Kommentar vom ’Boss der Bosse’, der jedes Mal von „Erpressung“ redet, wird erneut als „brandneu“ dem fast schon eingeschlafenen Deutschen Michel verkauft. Doch „Ausschreitungen“ wie in Frankreich nach dem Motto: „Keine Keilerei ohne Polizei“, gibt es bei den deutschen Biedermännern nicht, zumal die protestbereiten Deutschen sich ihren politischen Unmut oder auch zurückgehaltenen ’Zorn’ vorher beim zuständigen Ordnungsamt genehmigen lassen. Die Frage nach den Gewinnern der aktuellen Krise ist dabei in Deutschland ebenso offen wie in Frankreich. Die mediale Abschlussfrage der Fernsehreporter zielt deshalb erneut in Richtung Westen. Und dort gibt es bekanntermaßen „Nichts Neues“.

Anmerkungen:

1 Siehe: www.untergrund-blättle.ch/politik/europa/frankreich-randale-in-paris-7621.html

2 Unter einem ’Casseur’ (frz.) wird ein ’Schläger’ oder ’Krawallbruder’ verstanden. Diese treten natürlich vermummt auf, um unerkannt zu bleiben, zumal sie (während Demonstrationen) Steine werfen, Autos anzünden oder sonstige als Straftat angesehene Handlungen begehen.

3 „Alle Staatsgewalt geht von Volk aus.“ Vgl.: Grundgesetz der BRD, Artikel 20. Die vom Volkskörper ausgehende Gewalt macht „das Staatswesen“ und nicht etwa ’Gott’ oder ein ’Monarch’. Jean Jacques Rousseau jedoch lehnt alle repräsentativen Staatsinstitutionen ab. Er geht von einer radikalen Unveräußerbarkeit der Volkssouveränität aus.

4 Siehe beispielsweise: www.francetvinfo.fr/meteo/secheresse/mega-bassines-c-etait-des-armes-de-guerre-face-a-des-manifestants-denoncent-avec-emotion-les-manifestants-de-sainte-soline_5735084.html

5 Siehe die Übersetzung aller Forderungen der französischen Gelbwesten bei: GÖTZ, Nikolaus: Die französischen Gelbwesten. Eine Bürgerbewegung mit ihren politischen Forderungen. Saarbrücken 2019 (Veröffentlichte Artikel auf der Onlinezeitung scharf-links.de)

6 Zwischen 650 000 bis 900 000 Demonstranten erwarten die französischen Mainstream Medien, während die Organisatoren von längst die Zahl in Millionen Teilnehmer rechnen (3,5 Millionen nach der Gewerkschaft CGT). Siehe entweder: www.francetvinfo.fr/economie/ retraite/reforme-des-retraites/ direct-reforme-des-retraites-emmanuel-macron-recoit-elisabeth-borne-et-les-cadres-de-la-majorite-ce-midi_5735072.html oder: www.francetvinfo.fr/econo mie/retraite/reforme-des-retraites/infographie-reforme-des-retraites-visualisez-en-un-graphi que-le-record-de-la-mobilisation-de-2023-par-rapport-aux-precedents-mouvements _5632952 . html

7 Vgl: www.francetvinfo.fr/economie/retraite/reforme-des-retraites/direct-reforme-des-retraites-la-france-insoumise-et-les-communistes-refusent-de-rencontrer-elisabeth-borne_ 574 3568.html

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Oben       —     Paris avenue de Clichy grève éboueurs mars 2023

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Die Volksrepublik China

Erstellt von DL-Redaktion am 2. April 2023

Die chinesische Auffassung von Demokratie

In Schland durfte von der FDP  nur „Hoch auf den gelben Wagen“ gesungen werden.

Quelle       :        Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Während der Westen der VR China jegliches Demokratieverständnis schlichtweg abspricht, erläutern und veröffentlichen hochrangige Experten des ältesten und heute wieder sehr lebendigen Kulturstaates der Welt auf einem Forum des Central South University’s Human Rights Centers die Besonderheiten der chinesischen Demokratie.

Ein Blick in die chinesische Verfassung erleichtert das Verständnis. Dort wird schon in der Präambel eine ‚demokratische Diktatur des Volkes‘ skizziert. Im Kapitel I. Art. 1 steht dann: „Die Volksrepublik China ist ein sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht“.

Seit 40 Jahren hat sich in China viel getan, um zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt zu werden. Dringend Zeit also für eine aktuelle Bestandsaufnahme in Sachen Demokratie chinesischer Art (DCA). Alle Experten sind sich darin einig, dass das Wesentliche des chinesichen Demokratie der Respekt und die Wahrung der Menschenrechte ist. Chen Youwu, Dekan der Guangdong University of Technology’s School of Law sieht die DCA pragmatisch als Mittel zur Realisierung eines Gemeinwohls für die chinesische Bevölkerung von 1,4 Mrd Menschen, also zur koordinierten, friedvollen Entwicklung von Zivilisation, Menschen, Natur und materiellen Gütern.

Aus chinesischer Sicht ist Demokratie demnach ein Gesamtprozess (whole-process), der auch international gelten sollte. Die Rolle der Komunistischen Partei ist eine Besonderheit der DCA und in diesen Gesamtprozess eingebunden. Dabei geht die Macht im Staat vom Volke aus, denn neben der CPC sind im Volkskongress noch weitere acht Parteien und andere Interessengruppen vertreten und werden gehört.

Aus Unwissen über oder Desinteresse an chinesischer Kultur und Geschichte übersehen wir, dass die CPC (Communist Party of China) China von Unterdrückung und Ausbeutung durch westliche Demokratien befreit und wieder zu Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein entwickelt hat. Seit der Gründung 1949 hat China mehrere Reformen hinter sich gebracht und sich bemerkenswert entwickelt.

Ein großer Unterschied zwischen der DCA und anderen Demokratieformen ist ihr sozialer Charakter und ihre stetige Entwicklung. Für China gibt es gewichtige historische und soziale Gründe, einen eigenen demokratischen Weg einzuschlagen, der sich von westlichen Demokratien deutlich unterscheidet. Andere Länder, andere Sitten, also Gegebenheiten, die aus unserer Sicht nicht verständlich oder ungewöhnlich sind, haben tief wurzelnde Bedeutung und sind nur im Kontext des Landes und seiner Geschichte zu verstehen. Die Werte asiatischer Gesellschaften können ohne tiefere Kenntnis asiatischer Zivilisationen nicht verstanden werden. Umso wichtiger ist es gerade bei den aktuellen Veränderungen in der Welt, sich ehrlich mit der Kultur und Geschichte Chians zu beschäftigen, bevor man voreielige Beurteilungen abgibt.

Demokratie gibt es bei der Diversität der Staatsformen und Kulturen auf unserer Welt nicht in nur einer Art und Weise. Die westliche Denke, ihre Demokratie mit Gewalt durchzusetzen und anderen Ländern aufzuzwingen ist falsch, denn ein Volk will stets eine Politik, die seine Probleme löst. Es gibt kein Monopol auf Demokratie und ihre Definition. Alle Menschen haben das Recht, ihre Volksherrschaft (Demokratie) so zu gestalten und fortzuentwickeln, dass alle sich in kulturtypischer Weise an der politischen Willensbildung beteiligen können. Die DCA als Gesamtprozess ist da neu.

Urheberrecht
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Oben       —     伟大历程 辉煌成就——庆祝中华人民共和国成立70周年大型成就展

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KOLUMNE – GERASCHEL

Erstellt von DL-Redaktion am 2. April 2023

Der neue König von Deutschland

Selbst wenn alles nur als Geflüster gilt –  es gibt unter Lumpen keine Unterschiede.

Eine Kolumne von Doris Akrap

Royaler Staatsbesuch in Berlin ind Hamburg. Die Empörung darüber, dass ein Monarch im Bundestag sprechen durfte, ist billig. Beim Talkshow-Habitus des FDP-Chefs sieht die Sache schon anders aus.

Die Royal Family informierte am Donnerstag, dass Charles III. und Camilla den Wochenmarkt am Berliner Wittenbergplatz besucht hätten. Der sei über 150 Jahre alt und seit 1996 ein Begegnungsort, auf dem Nachrichten und Produkte ausgetauscht würden – twitterten sie.

Hätte ich das Programm für den Deutschlandbesuch des erfahrenen Ökobauern geplant, der in Berlin und Brandenburg unter- und überirdische Kartoffeln gucken war, ich hätte ihn zum Maybachufer in Neukölln geschickt. „Locals call it Türkenmarkt“, hätte ich ihm verraten. Und dass der über 130 Jahre alt ist und seit den 1960ern ein Begegnungsort, auf dem Nachrichten und Produkte ausgetauscht würden – und zwar solche, von denen die Deutschen lange keine Ahnung hatten: Auberginen und Ausländer.

Keine Ahnung habe ich, was Charles III. wirklich von den Deutschen denkt. Wahrscheinlich so was in die Richtung: wenig witzig, wenig Style, dafür aber viel korrekte Kartoffeln. Nach Einschätzung der Experten hatte er bei seinem Deutschland-Besuch weniger die Mission, den Radieschen-, Rettich- und Runkelrübenanbau der Krauts auszukundschaften, sondern die Briten in der EU wieder hoffähig zu machen. Und deswegen sagte er wohl auch so viele warme, eine gemeinsame Zukunft beschwörende Worte. Auf Deutsch.

Zwar hätte ich ihn gern gefragt: „Sie sprechen aber gut Englisch. Wo haben Sie das denn gelernt?“ Denn so schön wie der britische König sein Englisch spricht, klingt es sonst nur, wenn ein x-beliebiger Italiener sein Italienisch spricht. Aber auch vor des Königs Deutsch möchte ich einen Knicks machen. Er stolperte bei seinen Reden eigentlich nur bei „Rechenschaftspflicht“, wer nicht?

Müheloses Switchen und Folklore

Wo britische Medien verzückt feststellten, dass der König mühelos zwischen Deutsch und Englisch switche, war das mediale Echo in Deutschland dazu eher verhalten. Man hat sich hier abgewöhnt, Menschen, die man für Nichtdeutsche hält, für ihr Deutsch zu loben.

Steuerverprasser unter sich

Bei Charles spielte für den Spracherwerb sicher weniger sein Migrationshintergrund als sein Privatlehrerhintergrund eine Rolle. Trotzdem: Hätte die deutsche Gesellschaft um Hitler einen Bogen gemacht, hieße Charles Mountbatten-Windsor heute nach seinen Vorfahren Karl Battenberg.

Die Deutschen auf Deutsch zu adressieren nimmt ihm zu Hause aber keiner mehr krumm: Die Feindschaft zu Deutschland ist nur noch folkloristisch motiviert. So wie sich die Briten auch nur noch aus folkloristischen Gründen die Krone leisten. Die kostet zwar Geld, mischt sich aber nicht ein und lässt sich für politische Charmeoffensiven nutzen.

Quelle       :          TAZ-online         >>>>>      weiterlesen

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Oben     —     Cartoon about women discussing slightly „racy“ novel: Forbidden fruit tastes best. – It’s surely never „Marie Group“? – No – For the final you must not read. I was very innocent to look at it, but it is dangerous for us poor women – You may think you (whispers) – – Oh, You Sweet Lord – and I truly believe that I today will ask at the rental library – just to see if they really should have that sort of books.

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Unten      —   Prinz Charles III. am 31.03.2023 in Hamburg

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Zwei gegensätzliche Modelle

Erstellt von DL-Redaktion am 1. April 2023

Streiks machen Schlagzeilen in Deutschland wie in Frankreich.

Reichstagsgebäude von Westen.jpg

Folgen wir unserer Sprache, müssten hier die Gewählten Vertreter der Reichsbürger sitzen. Aber die Politik zeigt schon eigenartige Auslegungen wenn sie sich selber schützen will.

Von  :    JAYRÔME C. ROBINET

Doch Tradition, Funktion und die Ziele der Gewerkschaften in beiden Ländern könnten kaum unterschiedlicher sein. Während deutsche Gewerkschaften die Lage der Ar­bei­te­r:in­nen verbessern wollen, lehnen die französischen Kompromisse ab.

Seit Anfang März sind die Straßen in mehreren Städten Frankreichs mit Müll übersät, Berge von Müllsäcken türmen sich mit ihrem Gestank auf, nach Angaben der Pariser Stadtverwaltung liegen mittlerweile fast 10.000 Tonnen nicht abgeholter Müll in der französischen Hauptstadt. Der Streik bei der Müllabfuhr ist Teil der aktuellen Proteste gegen die Rentenreform. In Deutschland höre ich häufig, dass Frankreich bei sozialen Protesten einen Vorsprung hätte und dass in meiner alten Heimat der Geist der Revolution noch herrschen würde. Nun möchte ich mit diesem Mythos aufräumen. Um zu verstehen, warum Streiks und Demonstrationen in Frankreich nicht wirklich einem „revolutionären Geist“ folgen, müssen wir uns anschauen, wie Gewerkschaften im Unterschied zu Deutschland funktionieren und wie außerdem das präsidentiell-parlamentarische Regierungssystem in Frankreich mitunter einer „präsidentiellen Monarchie“ ähnelt.

Zweifellos sind sowohl in Deutschland als in Frankreich Gewerkschaften legitime Organe zur Vertretung der Interessen von Ar­beit­neh­me­r:in­nen. Hinsichtlich der Organisationsformen wie auch der Ziele und Vorgehensweisen unterscheidet sich die Gewerkschaftsarbeit in den zwei Ländern. Der Politologe René Lasserre beschreibt in einer Essaysammlung die Entstehung und Methoden der Gewerkschaften auf beiden Seiten des Rheins. Der Kontrast sei so groß, dass man in vielerlei Hinsicht sagen könnte, dass es sich eigentlich um zwei gegensätzliche Modelle handelt.

Seit ihren Ursprüngen am Ende des 19. Jahrhunderts steht die französische Gewerkschaftsbewegung unter dem Zeichen des Pluralismus: zum einen der Organisationsformen, darunter Berufssyndikalismus und Industriesyndikalismus; zum anderen der Ideologien, darunter Anar­chis­t:in­nen, Mar­xis­t:in­nen, So­zia­lis­t:in­nen und Chris­t:in­nen. Die Folge der Zerstrittenheit unter den Gruppen waren zahlenmäßig schwache Organisationen. Laut einer vom französischen Arbeitsministerium veröffentlichten Studie lag im Jahr 2019 der gewerkschaftliche Organisationsgrad insgesamt – im öffentlichen und privaten Sektor zusammen – bei 10,3 Prozent. In gewisser Weise sind französische Gewerkschaften eine Minderheitsbewegung.

Dazu kommt nun der vielleicht wichtigste Punkt: Der Syndikalismus in Frankreich ist stark geprägt von einer Tradition des Protests gegen die soziale Ordnung. Im Grunde sind französische Gewerkschaften nicht so sehr ein Mittel zur Verteidigung der Interessen der Arbeiter:innen, sondern sie verstehen sich vielmehr als Instrument zur Umgestaltung des kapitalistischen Systems. Obwohl sich heute die Gewerkschaften in der Grande Nation nicht mehr auf den revolutionären Syndikalismus der direkten Aktion berufen würden, sondern sich in vielfältiger Form am wirtschaftlichen und sozialen Leben beteiligen, bleiben sie dem sozialen Dialog gegenüber misstrauisch. Sie sind weitgehend auf Konfrontation eingestellt, anstatt auf Engagement oder Teilhabe, die ihre Autonomie einschränken könnte. Insbesondere lehnen sie jede Form der Zusammenarbeit mit den Ar­beit­ge­be­r:in­nen oder dem Staat ab, auch wenn diese Zusammenarbeit konstruktiv sein könnte. Das zeigt sich auch darin, dass in Frankreich die meisten Be­am­t:in­nen streiken dürfen.

Im Gegensatz dazu haben sich die deutschen Gewerkschaften im Zuge der Sozialdemokratie von Anfang an als eine relativ homogene Massenbewegung entwickelt. Nach der Aufhebung des Bismarck’schen Verbots im Jahr 1890 und infolge der Industrialisierung Deutschlands bevorzugte man die moderne Form der Industriegewerkschaft. Ab 1914 wurden mächtige und effiziente Organisationen gegründet. Und nun kommt der vielleicht wichtigste Punkt: Am Ende der Weimarer Republik und während der großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre führten Meinungsverschiedenheiten zwischen So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen und Kom­mu­nis­t:in­nen sowie die Rivalitäten mit den christlichen Gewerkschaften zu einer Schwächung der Gewerkschaftsbewegung und schließlich zu ihrer Kapitulation vor den Nazis. Wie so oft zog Deutschland dann die Lehre aus der Geschichte: Nie wieder schwache Gewerkschaften, die vor dem Staat kapitulieren. So wurde in der Nachkriegszeit die Gewerkschaftsbewegung auf der Grundlage der parteipolitischen Neutralität wiederaufgebaut. Es entstand eine quasi einheitliche Gewerkschaftsbewegung, in der ein großer Mehrheitsverband, der DGB, heute knapp 6 Mil­lionen Mitglieder vereint. Die Tendenz ist sinkend, trotzdem liegt der gewerkschaftliche Organisa­tions­grad insgesamt in Deutschland entscheidend höher als in Frankreich.

Aber die Franzosen haben schon früher ihre politischen Versager in die Verbannung geschickt und machen Heute aus dem Vorraum ihres Palast, einen Platz für Camper. 

Während deutsche Gewerkschaften nun versuchen, die unmittelbare Lage der Ar­bei­te­r:in­nen durch Tarifverhandlungen im Rahmen der bestehenden Gesellschaft zu verbessern, lehnen die französischen Gewerkschaften Kompromisse im Namen einer utopischen Zukunft ab. Wer will, mag hier den revolutionären Geist Frankreichs spüren, in der Sache ist das aber eher kontraproduktiv.

Die Schwäche der Gewerkschaften in Frankreich, ihr Widerwille, Kompromisse einzugehen und damit einhergehende Verpflichtungen anzunehmen, hindert sie daran, eine reale soziale Aufgabe zu übernehmen. Dem Dialog abgeneigt, stellen sie den Konflikt in den Vordergrund: Mit Demonstrationen und Generalstreiks wollen sie den Kapitalismus zum Kippen bringen. Die deutschen Gewerkschaften sind da realistischer.

So ist es kein Zufall, dass die wirtschaftliche und industrielle Situation Frankreichs heute so miserabel ausschaut. Während die deutsche Wirtschaft ihr Wachstumsmodell auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und den Export stützt, setzt die Wirtschaftspolitik in Frankreich auf den Konsum und die Kaufkraft der Haushalte. Der Politikwissenschaftler Felix Syrovatka hält das für den Grund, warum die Deutschen die Rentenreformen besser akzeptiert hätten. Weil für eine Wirtschaft, die auf der Wettbewerbsfähigkeit von Exporten beruht, die Senkung der Lohnkosten wichtiger sei als der Erhalt der Kaufkraft der Rentner:innen.

Aber könnte der starke Rückgang der Industrie in den letzten zwanzig Jahren in Frankreich auch auf die Vorgehensweise der Gewerkschaften zurückzuführen sein? Regelmäßig wird das Land ja für Tage, Wochen oder Monate buchstäblich blockiert. Wir erinnern uns an die Gelbwesten-Bewegung: Drei Jahre später ist es wieder so weit. Wieder wird das öffentliche Leben in Frankreich durch landesweite Proteste eingeschränkt – diesmal gegen die Rentenreform. Stilllegung der wichtigsten Raffinerien, Streik der Müllabfuhr, Ausfälle im Zug- und Flugverkehr, Streik an Schulen, Demonstrationen mit Ausschreitungen und Zusammenstößen mit der Polizei, Bushaltestellen verwüstet und Mülltonnen angezündet – womit das erwähnte Abfallproblem teilweise gelöst ist.

Die Kehrseite der Medaille ist, dass die französischen Gewerkschaftsführungen in Wirklichkeit wenig Gestaltungsfreiraum haben. In Deutschland ist ein Streik nur das letzte Mittel – in Frankreich ist er gewissermaßen eine Vorstufe zu jeglichen Verhandlungen. Gemäß René Lasserre ist die Abneigung gegen den sozialen Dialog in Frankreich nicht nur auf die Gewerkschaften zurückzuführen, sondern sie wird auch von einem nicht unerheblichen Teil der Ar­beit­ge­be­r:in­nen geteilt, insbesondere in den kleinen und mittleren Unternehmen. Dies bleibt nicht ohne Folgen. Denn das erfordert das ständige Eingreifen des Staates, der in der Tat der eigentliche Regulierer und Schiedsrichter der gesellschaftlichen Verhältnisse ist.

Quelle         :         TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

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Oben       —     Reichstag building, seen from west

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KOLUMNE-Fernsicht-Indien

Erstellt von DL-Redaktion am 1. April 2023

Es gibt eine Chance für Homo-Ehen in Indien

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Kolumne Fernsicht von  : PRIYANKA BORPUJARI

Vor zwei Jahren kostete das Coronavirus in Indien eine halbe Million Menschen das Leben. Damals, als die Leichenhallen überfüllt waren, konnte vielleicht nur ein Mitglied der Familie die Verstorbenen zum Krematorium geleiten. Doch wer sollte den letzten Weg mit ihnen machen?

Verkehrsunfälle sind in Indien eine vergleichbare, wenn auch meist vernachlässigte Epidemie. Wer wäre für Sie der Notfallkontakt? Bei Verheirateten würde man erwarten, dass der Ehepartner benachrichtigt wird. In Indien werden die Krankenhausbeschäftigten dies allerdings dann nicht tun, wenn ihr Partner oder ihre Partnerin das gleiche Geschlecht wie Sie haben. Er oder sie dürfte auch keine Entscheidungen für Sie fällen. So wird nicht nur für den Fall eines Ablebens deutlich, dass die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe benötigt wird, herbeigesehnt wird – als rechtlicher Hebel zur Umwälzung des Status quo.

Nun eröffnet sich die Chance, dass die Homo-Ehe genauso wie die Ehe für heterosexuelle Paare durch die indische Justiz und das Parlament anerkannt wird. Auf den Weg gebracht wurde dies, als an mehreren lokalen Gerichten Petitionen eingereicht wurden. Nun hat der vorsitzende Richter des Obersten Gerichts in Indien gefordert, dass alle Petitionen gemeinsam dem höchsten Gericht vorgelegt werden. Er heißt Dhananjaya Chandrachud, und er hat bereits das Recht auf Privatsphäre anerkannt, hat „unnatürliche sexuelle Handlungen“ entkriminalisiert und hat Frauen unabhängig von ihrem Familienstand das Recht auf eine Abtreibung zugesprochen. Die lokalen Petitionen nahmen Bezug auf bestehende Gesetze. Einige dieser Gesetze sollen nur geringfügig umformuliert werden, bei anderen soll eine freiere Interpretation ermöglicht werden.

Die Ehegesetze in Indien hängen im Wesentlichen von der Religion der Eheschließenden ab. Das Ehegesetz für Hindus erlaubt eine Heirat „zwischen zwei Hindus“ und geht nicht auf deren Geschlecht ein, sodass eigentlich die Option für gleichgeschlechtliche Ehen von Hindus besteht. Sollten diese erlaubt werden, müsste dies automatisch auch Homo-Ehen unter dem „Special Marriage Act“ zulassen. Er regelt Ehen zwischen Partnern unterschiedlichen Glaubens. Ein anderes Gesetz, der „Citizenship Act“, ermöglicht es indischen Staatsbürgern im Ausland, den Status eines „Overseas Citizen of India“ zu erlangen. Dies gilt auch für deren nichtindische Ehepartner, und im Wortlaut des Gesetzes wird nicht spezifiziert, welches Geschlecht die Ehepartner haben müssen. Also könnte das Oberste Gericht auch für diese Personengruppe gleichgeschlechtliche Ehen legalisieren.

Rechtsgerichtete Hindus kritisieren diese Petitionen und sagen, dass die Justiz dies nicht für die Gesellschaft entscheiden könne. Aber der große juristische Erfolg von 2018, als das Oberste Gericht „unnatürliche sexuelle Handlungen“ – gemeint war damit vor allem Homosexualität – entkriminalisierte, ist Grund genug für Hoffnung. Im April soll über die Petitionen verhandelt werden.

Quelle          :         TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Ich – Ich – ich arbeite nicht

Erstellt von DL-Redaktion am 31. März 2023

Wann kommt die Wagenknecht-Partei?

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Erst wenn dem Plakat-träger die Arme abgefallen sind !

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von     :    Edith Bartelmus-Scholich

Anfang März kündigte Sahra Wagenknecht an, nicht mehr für DIE LINKE kandidieren zu wollen. Wenig später konkretisierte sie in einem ZDF-Interview ihre Vorstellungen vom eventuellen Aufbau einer eigenen Partei.

Demnach will sie bis zum Ende des Jahres ihre Entscheidung treffen. Bis dahin will sie prüfen, ob die Voraussetzungen für eine bundesweit bei Wahlen erfolgreiche Partei gegeben sind. Sie machte damit klar, dass die Gründung einer eigenen Partei nicht an ihrem Willen wohl aber an unzureichenden Voraussetzungen scheitern könnte.

Der Fraktions- und der Parteispitze war schon seit Monaten bekannt, dass Wagenknecht nicht wieder für den Bundestag kandidieren will. Nun hat sie selbst dies öffentlich gemacht, aber in einer Tonalität („nicht wieder für DIE LINKE“), die Fraktions- und Parteispitze sich sicher so nicht gewünscht haben. Die Erklärung entweder als Publizistin zu arbeiten oder ein neues politisches Projekt zu beginnen, lässt immer noch offen, ob Wagenknecht mit einer eigenen Partei zu Wahlen antreten wird.

Eine Neugründung nur zu den eigenen Bedingungen

Wagenknechts Offenheit was die Zukunft betrifft, ist die Methode mit der sie den beginnenden Parteibildungsprozess ihren eigenen Bedingungen unterwerfen will. Der sozialkonservative Flügel der Partei DIE LINKE strebt tatsächlich ein eigenes Projekt an, aber nicht um jeden programmatischen und strategischen Preis. Wagenknecht hat zwar in „Die Selbstgerechten“ eine programmatische Grundlage aufbauend auf den Werten Nation, Leitkultur und Leistungsgesellschaft vorgelegt, aber diese ist auch unter ihren Anhänger*innen umstritten. Bedeutende Stimmen der „Populären Linken“ erklären, dass ein neues Projekt programmatisch mehr sein und breiter aufgestellt werden müsse als eine bloße Wagenknecht-Partei. Hier zeigt sich der Anspruch, die Programmatik und die Strategie einer neuen Partei demokratisch selbst zu bestimmen. Andererseits ist allen Beteiligten völlig klar: Eine sozialkonservative Partei wird ohne Wagenknecht nicht an den Start gehen. Hier setzt diese an um zu verdeutlichen, dass es die Parteigründung nur zu ihren Bedingungen geben wird.

Ein enger Zeitrahmen

Die Ankündigung von Wagenknecht musste spätestens jetzt erfolgen. Eine Parteigründung und die Kandidatur bei Wahlen erfordern einen langen Vorlauf, anderthalb Jahre wäre sehr ambitioniert. Die Liste zur Wahl des Europäischen Parlaments muss spätestens am 24. Februar 2024 eingereicht werden. Die Landeslisten zur Wahl des nächsten Bundestags müssen ungefähr im April/Mai 2025 gewählt sein. Zum Europäischen Parlament kann eine Liste antreten, zur Bundestagswahl definitiv nur eine Partei. Chancenreich ist eine solche Partei nur dann, wenn sie in allen Bundesländern Landeslisten aufstellen kann. Wagenknecht konnte folglich nicht mehr länger warten. Geplant war diese Weichenstellung schon im Herbst 2022.

Wagenknecht und ihrem engen Umfeld ist dabei völlig klar, dass für ein Parteiprojekt mehr zusammenkommen muss als nur der sozialkonservative Flügel der Partei DIE LINKE. Dieses „Mehr“ wird am besten durch große öffentliche Kundgebungen und Veranstaltungen angezogen. Geeignet hätte sich dazu die Kundgebung zum Auftakt des „Heißen Herbstes“ in Leipzig. Wagenknecht wollte dort sprechen, die Rechte mobilisierte nach Leipzig. Da es eine linke Kundgebung war, konnte die Spitze der Linkspartei den Wagenknecht-Auftritt verhindern. Der Zeitplan geriet ins Stocken. Kurz vor Weihnachten wurde bekannt, dass es mit dem zum Jahreswechsel in Kreisen ihrer Anhängerschaft angekündigten Bruch von Wagenknecht mit der Partei nun doch noch nichts werden würde. Der neue Zeitplan sah Online-Konferenzen ab Mitte Januar und eine Präsenz-Konferenz im Mai vor.

Zwei Szenarien

Die Veröffentlichung des „Manifests für den Frieden“ und die Kundgebung am 25. Februar waren die Mittel, das „Mehr“ für den Parteibildungsprozess anzuziehen. Bemerkenswert ist die offenbar zentrale Rolle von Klaus Ernst. Eigentlich sollte im Spätherbst (nach Leipzig!) eine Saalveranstaltung mit Wagenknecht in Schweinfurt stattfinden. Sie wurde verschoben und hat nun Anfang März (nach Berlin!) stattgefunden. Die Bilder des vollen Saals (550 Plätze) sind genau in Schweinfurt problemlos zu generieren.

Es gibt jetzt zwei Szenarien: Entweder setzt sich Wagenknecht mit ihren Vorstellungen durch, dann kommt die Wagenknecht-Partei. Oder Wagenknecht setzt sich nicht mit ihren Vorstellungen durch, dann kommt keine Wagenknecht-Partei und der sozialkonservative Flügel bleibt teilweise in der LINKEN. Diese zweite Option gilt als weniger wahrscheinlich.

Sollten die Vorstellungen, die Wagenknecht an ein eigenes Parteiprojekt hat, nicht erfüllt werden, wird sie dieses Projekt beerdigen. Eine Minderheit ihrer Anhänger*innen wird dann in der LINKEN bleiben, die Mehrheit wird austreten. Der Mitgliederverlust und gewisse Störungen würde DIE LINKE nicht mehr beeinträchtigen als jetzt auch. Die verbleibenden Mitglieder des sozialkonservativen Flügels werden innerhalb der Partei vermutlich nicht mehr einflussreich sein.

Mit einer Friedensliste ins Europa-Parlament

Die erste Option ist wahrscheinlicher. Am 6. Mai trifft sich die „Populäre Linke“ in Hannover um Vorentscheidungen für eine Neugründung zu treffen. Es ist zu erwarten, dass nach der Konferenz ein Antritt zur Wahl des Europäischen Parlaments vorbereitet wird. Dazu soll noch nicht eine Partei gegründet werden, sondern nur eine „Friedensliste“. Es darf abgewartet werden, wer diese Liste anführen wird. Es werden sicher nur einige wenige Mitglieder der LINKEN auf dieser Liste kandidieren. Andere Anhänger*innen von Wagenknecht werden überwiegend zu diesem Zeitpunkt noch in der Partei bleiben. Sie werden vermutlich innerparteilich Angriffe starten und den Wahlkampf der Partei DIE LINKE behindern.

Der Einzug dieser Liste in das Europa-Parlament scheint sicher, da es (bis jetzt) keine 5%-Hürde gibt. Abzuwarten ist nur, mit wie vielen Abgeordneten eine solche Liste ins Europäische Parlament einziehen wird und, ob sie DIE LINKE hinter sich lässt. Ein Ergebnis, bei dem DIE LINKE weniger Wählerstimmen und Abgeordnete erzielt als eine „Friedensliste“, wäre für DIE LINKE sicher nicht vorteilhaft.

Eine „Friedensliste“ wird nicht ohne Wahlkampfunterstützung von Wagenknecht auskommen. Spätestens wenn öffentlich wahrnehmbar wird, dass Wagenknecht eine „Friedensliste“ mitgründet und im Wahlkampf unterstützt, muss die Bundestagsfraktion sie ausschließen, falls sie nicht schon vorher austritt. Da in diesem Fall ihr nahe stehende MdB auch nicht mehr in der Linksfraktion bleiben werden, geht der Fraktionsstatus spätestens zu diesem Zeitpunkt verloren. Das bedeutet weniger Mitarbeiter, weniger Geld, Gefährdung der Rosa-Luxemburg-Stiftung etc. Auch die parlamentarischen Möglichkeiten werden geringer. Vor allem die materiellen Ressourcen von Fraktion und Partei sind allen Beteiligten – auch den MdB und Mitarbeiter*innen, die der Wagenknecht-Flügel stellt – sehr wichtig und das ist ein Grund für den zögerlichen Umgang mit der diskutierten Neugründung.

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Nach einem erfolgreichen Wahlantritt zum Europäischen Parlament werden sich in der LINKEN auch diejenigen entscheiden, die es bislang noch vermieden haben. Es spricht einiges dafür, dass es in diesem Fall Austritte in Höhe von ca. 25% der Mitgliedschaft geben könnte. Neben Sozialkonservativen werden auch Mitglieder mit Karriereambitionen oder solche, die andernfalls ihre Existenzgrundlage verlieren, wechseln.

Das Potential für eine populistische, linkskonservative Partei ist da

Wenn die Wagenknecht-Partei kommt, wird sie (erst einmal) bei Wahlen erfolgreich sein. Es gibt seit Jahren eine Repräsentationslücke, die z.T. für den hohen Anteil an Nichtwählern ursächlich ist. Nicht repräsentiert ist ziemlich genau ein „Linkskonservatismus“, wie ihn Wagenknecht umreißt. Das Potential besteht aus Wähler*innen, die sich gleichzeitig einen starken Staat (autoritär) als auch eine gerechte Verteilung (sozial) wünschen. Sie sind rückwärtsgewandt was die Sozialpolitik und konservativ was die Gesellschaftspolitik betrifft. Auf diese Klientel zielt Wagenknecht seit Jahren. Beim ersten Wahlantritt zur Bundestagswahl wird die neue Partei auch Protestwähler*innen anziehen. Teile dieses Segments der Wählerschaft wählen derzeit die AfD. Überhaupt darf erwartet werden, dass eine Wagenknecht-Partei die Wahlergebnisse der AfD halbieren wird. Wagenknecht ist in rechten Kreisen sehr beliebt.

Wagenknecht unterschätzt die AfD, wie zuletzt aus ihren Äußerungen gegenüber dem Parteivorstand der LINKEN zu entnehmen war. Offenbar hält sie diese für eine „normale Parlamentspartei“. Sie wird daher anfällig für eine Zusammenarbeit mit der AfD sein. Die Blütenträume von Jürgen Elsässer von einer Regierung aus Wagenknecht-Partei und AfD haben darin eine Grundlage.

Die Folgen für DIE LINKE

Ein Ausscheiden des sozialkonservativen Flügels oder dessen Marginalisierung bedeutet für DIE LINKE, dass sich die Mitgliederbasis stark verändern wird. DIE LINKE wird eine plurale Partei bleiben, aber (fast) ohne Sozialkonservative. Die Pluralität der Partei muss den verbleibenden Mitgliedern garantiert werden.

Die Bedingungen unter denen linke Politik gestaltet werden muss, haben sich in den letzten 15 Jahren stark verändert. Diesen Veränderungen kann DIE LINKE nach dem Ausscheiden des sozialkonservativen Flügels objektiv leichter gerecht werden. Denn angesichts der Herausforderungen konnte sich die Mehrheit der Partei schon seit Jahren nicht mehr mit dem sozialkonservativen Flügel auf zielführende politische Antworten einigen. In den letzten Jahren entwickelte die Partei daher nicht das Profil, welches angesichts von Kriegen, Klima- und Umweltkrise, weltweitem Rechtsruck, Migrationsbewegungen und zunehmender Verarmung weiter Teile der Bevölkerung angemessen und erfolgreich sein kann. Aus dieser Krise kommt die Partei nur mit einem entschlossenen programmatischen und strategischen Erneuerungsprozess, der rasch gestartet werden muss. Keinesfalls darf DIE LINKE nun noch weiter Wagenknecht die Initiative überlassen.

Edith Bartelmus-Scholich, 30.03.2023

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Oben       —     Kurz vor dem Beginn der Hannover Messe 2016, die unter anderem von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama eröffnet wurden, organisierte ein Trägerkreis zum Samstag, den 23. April 2016 auf dem hannoverschen Opernplatz eine Demonstration unter dem Motto „TTIP und CETA stoppen.

Foto: Bernd Schwabe – Own work

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  • Created: 23 April 2016

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Unten      —   „Bunte Westen“ protest in Hanover, 16th february 2019

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Flimmern + Rauschen

Erstellt von DL-Redaktion am 31. März 2023

Grusel garantiert – Berichte über höhere Rundfunkgebühren

Eine Kolumne von Steffen Grimberg

„Geheime ARD-Akten“ sollen laut Wirtschaftsportal „Business Insider“ zeigen, wie sehr der Rundfunkbeitrag erhöht wird. Doch das entpuppt sich als Panikmache.

Bürger*innen, empört euch! „Geheime ARD-Akten zeigen, wie die öffentlich-rechtlichen Sender den Rundfunkbeitrag auf mehr als 20 Euro erhöhen wollen“, blökt diese Woche das eigentlich geschätzte „Wir haben da mal wieder ne Tonne belastendes Material aus dem RBB bekommen“-Portal Business Insider. Prompt dröhnt der verschwörungspolitische Resonanzraum: „GEZ: Rundfunkbeitrag soll raketenhaft ansteigen! ARD-Chefs schmieden angeblich Plan.“ Was schwer nach AfD klingt, ist eine aktuelle Schlagzeile von Der Westen, der Sammelwebsite diverser NRW-Regionalzeitungen der Funke-Gruppe.

Es ist ihnen scheinbar egal, dass die Politik den Betrag festsetzt, nicht die Öffentlich-Rechtlichen. Und das auch erst, wenn die Beitragskommission KEF das Ganze auf Sparsamkeit geprüft hat. Worum geht es also? Alle vier Jahre melden die Öffentlich-Rechtlichen an, wie viel Geld sie zur Erfüllung ihres Auftrags brauchen. Einsendeschluss bei der KEF ist Ende April.

Weil aber reizvolle Abkürzungen wie GEZ mit dem zugehörigen Zahlenwerk immer gut für Grusel und Reichweite sorgen, wird medial schon im Vorfeld auf die Pauke gehauen. Die Zahlen von Business Insider, das steht da auch, sind vom letzten Sommer. Es handelt sich um einen Wunschbetrag der Sender, von dem alle Beteiligten wissen, dass er nie Realität wird. Trotzdem wird darüber berichtet. Die ARD wird vermutlich nicht mal in dieser Höhe anmelden. Und die KEF streicht aus der öffentlich-rechtlichen Rechnung auch noch ziemlich runde Summen wieder raus, weil es wirtschaftlicher geht. Bei der letzten Anmeldung waren es 1,5 Milliarden.

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Wer weiß das nicht : „Der Deutsche stolpert immer über  seine Wurzeln!“

Mitleid mit den Öffentlich-Rechtlichen ist nicht angebracht

So weit, so schlicht. Dabei gäbe es wirklich Punkte, die mal zu diskutieren wären. Warum gibt es für einkommensschwächere Menschen, die vom Theater übers Museum bis zur Schwimmhalle vergünstigten Eintritt zahlen, keinen ermäßigten Rundfunkbeitrag? Stattdessen bellt Pawlows Hund und alle regen sich auf. „Aber nur, weil sie angestachelt wurden und sich alle im Vorfeld aufregen sollen?“, fragt die Mitbewohnerin.

Quelle       :          TAZ-online          >>>>>       weiterlesen

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KOLUMNE Cash & Crash

Erstellt von DL-Redaktion am 30. März 2023

Bankenkrise in der Schweiz – Illusion des sicheren Hafens

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Von Ulrike Herrmann

Die Krise der Credit Suisse und die Übernahme durch ihre Konkurrentin UBS demaskieren das Geschäftsmodell der Schweiz. Die Bankenkrise in der Schweiz hat das Geschäftsmodell des Landes mit dem völlig überteuerten Franlen demaskiert.

Die Schweiz wirkt stabil und reich. Doch plötzlich scheint dieses Bild nicht mehr zu stimmen: Die zweitgrößte Bank, die Credit ­Suisse, musste von der Konkurrentin UBS übernommen werden, um eine Pleite zu verhindern.

Die Schweiz ist eine wichtige Steueroase, Anleger halten sie für sicher. Eine Illusion

In der Schweiz wird dieses Desaster als Staatskrise empfunden. Zu Recht. Die Credit Suisse zeigt, dass das eidgenössische Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Für das kleine Land ist es gefährlich, sich als Steueroase zu inszenieren und weltweit Gelder anzuziehen.

Aber von vorn: Zunächst wirkt die Pleite der Credit Suisse wenig spektakulär, schließlich geraten immer wieder Unternehmen in die Krise. So müssen in Deutschland diverse Filialen der Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof schließen, weil sie Verluste schreiben. Ähnlich war es auch im Fall der Credit Suisse: Sie hatte hohe Kosten, aber kein profitables Geschäftsmodell. Der relevante Unterschied ist nur, dass die Bank keine Unterhosen verkauft, sondern mit Geld hantiert – was die Pleite brisant macht.

Der Untergang der Credit Suisse­ war langfristig unvermeidlich. Sie hätte nur überleben können, wenn sie ihre Vermögensverwaltung noch weiter ausgebaut hätte. Doch dieser Markt ist schon gefährlich überdehnt, weil auch alle anderen Schweizer Banken davon leben, internationale Gelder zu betreuen.

Wichtige Steueroase

Vor der Coronakrise sammelte sich bei den zehn größten Schweizer Banken ein Finanzvermögen von 3,8 Billionen Franken – obwohl die Wirtschaftsleistung des Landes nur bei 717 Milliarden Franken lag. Die Schweiz erinnert an einen riesigen Geldballon, der nur noch mit einer dünnen Leine am Boden verankert ist.

Die Schweiz ist die zweitwichtigste Steueroase der Welt, und Anleger drängen in das kleine Land, weil sie einen „sicheren Hafen“ suchen. Doch dieser Eindruck beruht auf einer Illusion. Da so viele Investoren Franken kaufen, steigt dessen Wert, woraus die Investoren messerscharf schließen, dass der Franken sehr wertvoll sein muss – weswegen sie noch mehr davon kaufen.#

File:Ulrike Herrmann W71 01.jpg

In Wahrheit ist der Franken ein Verlustgeschäft. In einem Züricher Restaurant kostet ein schlechtes Kartoffelgratin mit schlechtem Wein 60 Franken. In Berlin wäre das gleiche Essen schon mit 25 Euro zu teuer. Das Schweizer Statistikamt hat genau nachgerechnet: Im Jahr 2021 benötigte man 167 Franken, um einen Warenkorb zu kaufen, der in der EU nur 100 Euro gekostet hätte. Der richtige Wechselkurs wäre also 1,67 Franken für einen Euro gewesen. Stattdessen lagen Franken und Euro fast gleichauf.

Der überbewertete Franken ist eine schwere Bürde für die Schweiz, weil er die heimischen Waren auf dem Weltmarkt zu teuer macht. Von 2012 bis 2021 ist die Schweizer Wirtschaft pro Kopf um 4,5 Prozent gewachsen. Das ist nicht viel für ein Jahrzehnt.

Nur im Ausland reich

Quelle        :        TAZ-online           >>>>>        weuterlesen

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Oben      —     Protest vor der Credit Suisse auf dem Bundesplatz im Rahmen einer Klimakundgebung 2019

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Illusionen der Kleinbürger

Erstellt von DL-Redaktion am 29. März 2023

Krieg in der Ukraine: Luxemburgs Legende

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Ein Schlagloch von Georg Seeßlen

Wo die Debatte über den Krieg zum politischen Spektakel eskaliert, gerät der gemeinsame Nenner rasch aus dem Fokus. Andersdenkende werden zu Feinden.

Mal persönlich gesprochen: Was die Positionen von Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer und ihren An­hän­ge­r*in­nen anbelangt, so geht meine Reaktion übers Anderer-Meinung-Sein deutlich hinaus.

Es bildet sich da, meiner bescheidenen Meinung nach, keine Diskursgemeinschaft, die nach Möglichkeiten zum Frieden sucht, sondern eine hybride, bewusstlose und ein klein wenig clowneske Gemeinschaft, die fatal an „Querdenker“ und „Coronaleugner“-Szenen erinnert, das Rechte und das Linke quergestrickt, die Verschwörungsphantasmen und die schwarzbraunen Immerdabeis, die berechtigte Opposition zur hegemonialen Mainstreamerzählung und der sektenhafte Bruch mit dem Common Sense, die Forderung nach Gehör und die Taubheit gegenüber Einwänden, die Mischung aus Aggression und Opferstatus, die Verbindung humanistischer Anliegen mit geradezu zynischem nationalem Interesse – diese Melange entzieht sich meiner Vorstellung von kritischem Denken.

Allerdings weiß ich auch nicht so recht, wovor ich mehr erschrecken soll, vor der offenbar in Kauf genommenen Attraktion, die solche Mixtur für – wie sagt man? – den „rechten Rand“ darstellt, oder über die allfällige moralische Entrüstung, die selbst in der noch nicht vollkommen heruntergekommenen Presse an Hysterie grenzt. Es geht da, scheint’s, weniger um das Bemühen, zu klarerem Denken zurückzufinden, als um die Konstruktion von Feindbildern und um Anlässe zur Empörung.

Wenn die so indizierten – wie sagt man? – „medienaffinen Personen“ freilich genau das am besten gebrauchen können, nämlich von der richtigen falschen Seite als „Feindbild“ behandelt zu werden, dann ist von der politischen Debatte tatsächlich nur der Spektakelwert geblieben. Und den lassen sich auch unsere – wie sagt man? – „Qualitätsmedien“ nicht entgehen.

Schwere Mission

Die Verspektakelung entwickelt sich exponentiell; am Ende gibt es zwischen den beiden rhetorisch aufgeblasenen Moralpredigten, die jeweils die andere Seite der Unmoral bezichtigen, keine Luft mehr zum Atmen, keinen Platz mehr für einen freien Gedanken. Und schnell ist dabei vergessen, dass es um zwei widersprüchliche und gleichwohl miteinander verbundene Dinge geht. Darum, ein Land und seine Gesellschaft gegen eine Aggression zu verteidigen, aber auch darum, das Leiden der Menschen in der Ukraine zu beenden.

(Und, nebenbei bemerkt, es gibt auch ein russisches Leiden.) Dieser Widerspruch ist nicht in einem politischen Spektakel aufzulösen, sondern nur durch kluges und moralisches Denken und Handeln. Wie aber sollte das gelingen, wenn wir uns das freie Denken abtrainieren lassen? Rosa Luxemburg hat uns eine ebenso schöne wie schwere Aufgabe hinterlassen: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.“

Kleinbürgerliche Illusionen

In der Welt versucht Sven Felix Kellerhoff, „Leitender Redakteur Geschichte“, Rosa Luxemburg dieses Wort abspenstig zu machen, denn eine kommunistische Frau darf sich doch nicht an unserer Vorstellung von Freiheit vergreifen, nicht wahr? „Schon am 20. November 1918, der Kaiser war gerade erst seit elf Tagen gestürzt, positionierte sie sich im Leitartikel der Roten Fahne unmissverständlich. Die Nationalversammlung sei ‚ein überlebtes Erbstück bürgerlicher Revolutionen, eine Hülse ohne Inhalt, ein Requisit aus den Zeiten kleinbürgerlicher Illusionen vom ‚einigen Volk‘, von der ‚Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit‘ des bürgerlichen Staates.“ Unerhört! Bloß doof, dass sie mit ihrer Einschätzung der kleinbürgerlichen Illusionen auf so schreckliche Weise recht behalten sollte …

Memorial, close to lower lock, Berlin-Tiergarten

Welt-Leser*innen wissen so genau, was es mit der Freiheit von Andersdenkenden auf sich hat, dass sie in ihren Kommentaren gern noch was draufgeben, wie etwa dies hier: „R.L. und K.L. wollten unter dem Vorwand einer bürgerlichen Revolution den Bolschewismus als Staats-/Regierungsform. Mit Demokratie hatten sie wirklich nichts im Sinn. Das rechtfertigt natürlich nicht ihre Ermordung. Doch dem politischen Treiben, ihrer Agitation u.w. musste ein Ende bereitet werden.“

Mal abgesehen davon, dass Rosa Luxemburg alles andere als „Bolschewistin“ war – aber hier müsste man beginnen, eben genauer, fairer und „freier“ zu lesen und zu debattieren –, kann man durchaus erschrecken über solch rechtskonservatives Grundrauschen: Nicht gleich ermorden, die Andersdenkenden, aber ihrem Treiben muss doch ein Ende bereitet werden.

Rosa Luxemburgs Idee der Freiheit ist schon in „normalen“ Zeiten eine ganz schöne Zumutung. In Zeiten von Krise und Krieg – also mittlerweile fast immer – steht sie zur Disposition; jetzt kann es nur noch um „unsere“ Freiheit gehen, die von den anderen bedroht wird. Und jetzt wird die Grenze zwischen Andersdenkenden und Feinden obsolet.

Ringen um die richtige Erzählung

Quelle          :         TAZ-online             >>>>>         weiterlesen

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Oben     —       Sculpture of Rosa Luxemburg, made by Rolf Biebl, standing in front of the Neues Deutschland building, Franz-Mehring-Platz, FriedrichshainBerlin.

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Wir sollten uns vertrauen

Erstellt von DL-Redaktion am 29. März 2023

Wir sollten uns vertrauen – Der Aufstand in gelben Westen

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von     :      Hanna Mittelstädt

„Überall muss das Unglück zurückgeschlagen werden“ ist eine Parole aus dem Pariser Mai 68.

Genau gegen dieses elende Überleben im herrschenden Unglück, gegen die Gewalt dieses Ausschlusses vom gesellschaftlichen Reichtum und die damit einhergehende Unwürde schliessen die aktuellen Kämpfe in Frankreich wieder an.Auf zwei Dokumente des aktuellen französischen Widerstands möchte ich hinweisen: Der Dokumentarfilm „Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten“ von Emmanuel Gras (Kinostart 2013) und das mit vielen Fotos versehene Buch „Wir sollten uns vertrauen – Der Aufstand in gelben Westen“ von Luisa Michael (2019).

Der Film porträtiert die Gelbwestengruppe aus Chartres und zeigt anschaulich, wie sich durch die Durchbrechung der Scham der Armut und der Isolation ein kollektives revolutionäres Subjekt mit vielfältigen Gesichtern herausbildet. Wir sehen die Überlebensbedingungen, die Kommunikation, die Verbindungslinien mit den Demonstrationen in Paris, die Reflexionsprozesse, das Wachsen, die sozialen Beziehungen, die Niederschlagungen und internen Konflikte. „Fragend schreiten wir voran“, die Leitlinie der Zapatisten seit ihrer Erhebung 1994 in Chiapas, Mexiko, wird hier ganz selbstverständlich praktiziert, und auch, dass das Basiselement einer revolutionären Bewegung die freundschaftlichen Bindungen sind, wie es das Unsichtbare Komitee formuliert hat. Es ist ein genauer Film, ein wunderbarer Film ohne Pathos, aber mit der tiefen Berührung durch die Offenheit der Protagonist*innen. Eine Begegnung, die lange nachhallt.

Sehr gut ergänzt wird der Film durch das Buch von Luisa Michael, die ihre anfangs skeptische Beteiligung an einer Gelbwesten-Gruppe im Pariser Nordosten und in Montreuil beschreibt. Auch hier wird, noch ausführlicher und vielfältiger, von dem „fragenden Voranschreiten“ erzählt: Wie kommen wir zu einer echten Gegenmacht, wie erhalten wir unsere Autonomie, wie können wir die partikularen Kämpfe, also etwa die gegen die neo-koloniale Gewalt in den Vorstädten, die Lohnkämpfe und die gegen die Verschärfung des Arbeitsrechts, die feministischen und genderpolitischen Ansätze, die antirassistischen Bewegungen und Initiativen etc. verbinden?

In beiden Dokumenten wird die unmittelbare Entwicklung basisdemokratischer Strukturen deutlich: Vollversammlungen, Delegiertenwahlen für die Versammlung der Versammlungen, lokale Basiskomitees, maisons de peuple, Clubs zur Fortbildung und Reflexion über die ablaufenden Prozesse bilden ein weitmaschiges Gewebe, das sich durch die Erfahrungen verdichtet. Einvernehmlich ist die Ablehnung jeder politischen Repräsentation und ihrer Institutionen (Parteien, Gewerkschaften, mediale Vermarktung) und der Wille zur Herausbildung anderer Strukturen des Gemeinsamen. Es war klar, dass niemand die Lösung hatte, jeder aber das Recht, sich zu irren. Es entwickelte sich ein Vertrauen in die kollektive Intelligenz.

Da die Gelbwesten auf den Kreisverkehren der Provinz (im November 2018) entstanden, ergaben sich mit deren Zusammenfliessen quasi automatisch die Verbindungslinien zwischen dem ländlich/periurbanen Raum und den Grossstädten. Und in den Grossstädten, speziell in Paris, kamen verschiedenartige Bewegungen zusammen, sogar auf internationaler Ebene durch die Exilanten aus Kämpfen und Bewegungen aus anderen Teilen der Welt. Neben den Demonstrationen auf der Strasse waren Blockaden des kapitalistischen Flusses ein erfolgreicher Störfaktor der kapitalistischen Maschine: Strassenblockierungen, Unterbrechungen der Lieferketten, Bestreikung der Logistikunternehmen und Raffinerien.

Immer wieder war es wichtig, sich Zeit für den Reflexionsprozess zu nehmen, langsam zu sein, die Vorstellungen voneinander und von den nächsten Schritten beweglich zu halten. Über die Ablehnung des Produktions- und Konsumsystems hinaus, das die Armut und den Ausschluss so vieler Menschen bedingt, war der Reflexionsprozess eine Ideensammlung für die Frage: Wie sieht eine andere Welt aus und wie gelangen wir dahin? Auch hier ging es um Selbstermächtigung und Würde.

Der gewaltige Repressionsapparat, der seit dem verhängten und nie zurückgenommenen Ausnahmezustand in Frankreich (2015 unter dem Vorwand des Kampfs gegen den Terror) aufgebaut wurde, schlug erbarmungslos zu. Der Einsatz von Gummigeschossen führte zu Hunderten Schwerverletzter, die Augen oder Hände verloren, zu mindestens einer Toten, die im offenen Fenster ihrer Wohnung erschossen wurde. Massenhafte Verhaftungen auf den Demonstrationen, Präventivverhaftungen und Straflosigkeit der Polizei und der paramilitärischen Einheiten führten zu einer immer weitergehenden fundamentalen Ablehnung des „Systems Macron“.

Heute wird das wieder aufgenommen. Die aktuelle Radikalität, Wut, Aussichtslosigkeit innerhalb des Bestehenden, Ungerechtigkeit der Verhältnisse nimmt die bei den Gelbwesten gemachten Erfahrungen wieder auf, die durch die einschneidenden Massnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus Anfang 2020 abrupt und totalitär abgebrochen wurden (Macron wähnte sich im Krieg!). Es geht vordergründig um die Rentenreform und ihre undemokratische Durchsetzung, aber darüber hinaus geht es um ein ganz anderes Leben. Ein Leben in Würde und Gerechtigkeit, ein Leben, das über das Überleben hinaus geht. Das gute Leben eben.

In dem Sinne heisst: „Wir sollten uns vertrauen“ auch: „Wir sollten uns etwas zutrauen“, was die vielen Menschen auf den Strassen Frankreichs gerade tun.

„Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten“ von Emmanuel Gras, Frankreich 2022 https://dropoutcinema.org/archive/3507/

Luisa Michael: Wir sollten uns vertrauen – Der Aufstand in gelben Westen, Edition Nautilus Hamburg 2019. ca. SFr. 28.00

Unsichtbares Komitee: Der kommende Aufstand (2010), An unsere Freunde (2015), Jetzt (2017), alle Edition Nautilus, Hamburg

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Oben        —   Les Gilets Jaunes

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Her mit dem Unterhalt!

Erstellt von DL-Redaktion am 28. März 2023

Unterstützung für Stiefmütter und -väter

Ein Debattenbeitrag von Elsa Koester

Als Stiefmutter trägt unsere Autorin Verantwortung für zwei kleine Menschen – auch finanziell. Doch der Staat behandelt sie, als sei sie kinderlos.

Was stimmt nicht mit meinem Kontostand? Da ist ein Minus, wo doch sonst immer ein Plus war? Ist das die Inflation? Denn meinen Lebensstil habe ich kaum geändert: Dieselbe Wohnung, kein Auto, und Restaurants, Bars und Reisen sind doch viel seltener geworden, seit der … richtig: Seit der Kids! Mein Kontostand leidet, seit ich Stiefmutter geworden bin. Wo ich vorher Miete nur für mein WG-Zimmer zahlte, zahle ich jetzt mehr Miete für eine Vierzimmerwohnung, in der mein Partner, ich und zeitweise die zwei Kinder leben. Wo ich vorher nur für meine Fischstäbchen zahlte, zahle ich jetzt Fischstäbchen für zwei kleine Menschen mit. Und der Staat? Gibt mir nichts dafür! Keine Stiefkinder-Freibeträge, keine Steuererleichterungen. Vom Kindergeld sehe ich nichts. Kinderzuschläge zahlt mir mein Arbeitgeber keine. Denn aus sozialstaatlicher Perspektive bin ich ja: kinderlos. Erklären Sie das mal meinem Konto.

Nun lässt sich das alles ja wunderbar erklären: Die Kinder, für die der Staat Unterstützung zahlt, sind ja nicht mehr geworden, es waren zwei, als sie nur zwei Eltern hatten, und es sind immer noch zwei, jetzt, wo sie zwei Eltern plus eine Stiefmutter haben. Die Freibeträge gelten also weiter für beide Eltern, und das Kindergeld geht an dasjenige „echte“ Elternteil, das das Kind gerade mehr betreut, und Kinderzuschläge gibt es bei den Arbeitgebern der Eltern meiner Stiefkinder eh keine. Ich mag zwar Stiefmutter geworden sein und immer mehr Verantwortung für die Kids tragen, aber finanziell bin ich aus der Elternsache raus: Das für die Kindersorge notwendige Geld landet bei den biologischen Eltern, also sollen sie auch zahlen.

Aber haben Sie mal mit einer Familie zusammengelebt? Das geht ja ungefähr so: Fünf Uhr abends, Heimweg, Whatsapp: „wir brauchen noch Fischstäbchen für heute Abend, ich schaff es nicht, hol noch den Kleinen ab“, „ok kauf ich“, „ah und Ketchup“, „ok“, dann die Stieftochter: „hey hab gehört du gehst einkaufen bitte sushipapier und die geilen onigiri und saft“, „ok“, „kaffee ist auch alle“, und guck mal, der Lieblingsjoghurt vom Kleinen, und ach ja, Klopapier und Olivenöl, zack, 40 Euro für einen ungeplanten Feierabendeinkauf. Und dann drei Tage später noch mal und dann noch mal. Machen Sie dann wirklich eine Liste? „1 Onigiri für Stieftochter, Saft“?

Und dann holen Sie sich das Geld von Ihrem Partner fein säuberlich wieder, wenn dieser gerade mit Kopfschmerzen auf dem Sofa liegt, weil sein Konto seit der Trennung ständig ins Minus rollt am Ende des Monats, seit zwei Eltern plötzlich zwei Wohnungen finanzieren müssen, und nicht mehr nur eine? Ich bringe das nicht übers Herz. Und ich bin ja auch Stiefmutter! Ich trage die emotionale Verantwortung für die kleinen Menschen, mit denen ich jetzt seit drei Jahren zusammenlebe. Warum sollte ich nicht auch finanziell Verantwortung übernehmen? Ich muss nach einer Trennung ja auch keinen Unterhalt für meine Stiefkids zahlen, heißt es. Ja, warum eigentlich nicht?

Das kleine Sorgerecht ist ein Witz: Wer es hat, darf gerade mal die Kleine von der Kita abholen

Mit Zeit. Anerkennung. Und Geld auf dem Konto

Diese Gesellschaft verändert ihr Familienleben. Die Ampelregierung hat das eigentlich längst verstanden: „Familien sind vielfältig. Sie sind überall dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, und brauchen Zeit und Anerkennung“, so steht es im Koalitionsvertrag. In Regenbogenfamilien tun sich häufig drei Eltern für ein Kind zusammen: Zwei Väter und eine Mutter, zwei Mütter und ein Vater. Und auch werdende Hetero-Eltern suchen sich manchmal eine dritte Elternperson, um die Familie für die Kinder zu vergrößern. Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP hat deshalb Pläne: Er möchte das „kleine Sorgerecht“ auf bis zu vier Elternpersonen ausweiten. Vier rechtliche Eltern? Wow!

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Leider ist es so: Außer auf dem Koalitionspapier verändert sich überhaupt nichts. Zum einen ist das „kleine Sorgerecht“ ein Witz: Wer es hat, darf gerade mal die Kleine von der Kita abholen (geht auch so) und entscheiden, was der Kleine auf sein Brot bekommt. Zum anderen geht es da um Rechte, nicht um Geld. Finanzielle Unterstützung der multiplen Elternschaft? Da wartet man bei einer Regierung mit FDP-Beteiligung lange. Auch queere Mütter warten noch immer auf ihr Elterngeld und ihre Kinderfreibeträge – auf die Gleichstellung zu Heteromüttern also.

Den Liberalen geht es weniger um soziale Sicherheit als mehr um liberale Freiheit: Alles muss möglich sein im Zusammenleben, aber bitte ohne Verbindlichkeit, und kosten darf es auch nichts. Ihr wollt zu dritt ein Kind? Bitteschön, wir ermöglichen euch alles, wir sind ja liberal! Aber wie ihr das finanziert bekommt, das schaut doch bitte selbst. Und so ist die Frage der Familiengründung, der Trennung und der Familienneugründung als Patchworkfamilie in dieser Gesellschaft leider weiterhin eine soziale Frage. Wer zu wenig Geld hat, kann keine zwei Wohnungen finanzieren und bleibt womöglich als sich hassendes Elternpaar zusammen. Wer zu wenig Geld hat, kann als Stiefelternteil weniger Verantwortung für die Kinder übernehmen, als sie oder er das vielleicht möchte.

Quelle        :          TAZ-online          >>>>>       weiterlesen

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DIE * WOCHE

Erstellt von DL-Redaktion am 27. März 2023

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1b/Die-Woche.png?uselang=de

Kolumne von Friedrich Küppersbusch

Halbe China-Woche, volle Verantwortung für die Ukraine und Özil-Anteile bei Rot-Weiss Essen. Kaum ist Xi Jinping aus der Tür, will Putin Atomwaffen nach Belarus verlegen. Wir sind mittendrin. – Deal oder Sack Reis.

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Lamento über bevorstehenden Streik.

Und was wird besser in dieser?

Trotzdem Streik.

Chinas Staatsoberhaupt Xi hat Putin besucht – ganze drei Tage lang! Was sagt uns diese ungewöhnlich lange Staatsreise?

Na ja, ’ne halbe China-Woche. Kaum ist Xi Jinping aus der Tür, will Putin Atomwaffen nach Belarus verlegen. Schwer zu lesen: Hat Putin sich das Okay dazu geholt vom „Gast auf Augenhöhe“ – oder ist es gut russische Art, alten Freunden einen Schwall hinterherzukotzen? China und Russland forderten eine „gerechte multipolare Weltordnung“, also keine alleinige Supermacht. Jedenfalls keine, die nicht China oder Russland heißt, mag man argwöhnen. Nun reisen Macron und von der Leyen für das europäische Supermächtchen nach Peking. Da liegt alles auf dem Tisch: Chinas Nein zur nuklearen Eskalation – wie zur „Ausweitung militärischer Bündnisse“. Also kein Nato-Beitritt der Ukraine. Deal oder Sack Reis. Das wird nicht ohne die USA entschieden, wonach die taz mich möglicherweise gleich fragen wird.

US-Außenminister ­Antony Blinken schließt langfristig Verhandlungen über die künftigen Grenzen der Ukraine nicht aus. Die Entscheidung darüber liege aber bei den Ukrainern. Wem würden Sie die Entscheidung überlassen?

Nach einem Jahr Lieferungen schwerer Moral und Waffen ist die Ukraine heute das, was ein Jahr Moral und Waffen aus ihr gemacht hat: Wir stecken mit drin. Deshalb ist es wohlfeil und billig, den Krieg mit allen verfügbaren Mitteln zu unterstützen, ohne auch Verantwortung für sein Ende zu übernehmen. Vor einem Jahr hatte Selenski einen neutralen Status für die Ostukraine und ein 15-jähriges Moratorium über die Krim vorgeschlagen. Sicherheitsgarantien statt Nato-Beitritt, Neu­tra­lität – Rückeroberung, Siegfrieden. Je nach Kriegsverlauf wandelte sich die Kiewer Position. Das ist verständlich und eben auch vom Westen mit geschaffen. Eine Ukraine, „die den Krieg gewinnen muss“, ist ein anderes Land als eine Ukraine, die ihre Toten zählt. Und eigentlich könnten es nur die entscheiden, die nichts mehr entscheiden können.

Bauministerin Klara Geywitz rät Menschen, aufs Land zu ziehen, weil in Städten der Wohnraum knapp ist. Ist diese Maßnahme effektiver als ein Mietendeckel oder die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne?

Das wird lustig, wenn Dörfler beim fernen Supermarkt anrufen – und der Anruf beim anderen Dörfler nebenan im Homeoffice landet. Dann setzt sich in der Stadt ein Lkw mit einer Dose Joghurt in Bewegung gen Land. Wahrscheinlich bringen sie einen Hausarzt und einen Kindergarten gleich mit. Landflucht ist eine Option für Besserverdienende, die das Umland der Großstädte eh schon preisverdorben haben. Ein Bündnis aus Gewerkschaften, Sozialverbänden und Mieterbund fordert deshalb ein 50-Milliarden-Programm für Sozialwohnungen, also einen bescheidenen Halbwumms. Denn während die Ampel ihr Ziel – 100.000 vergünstigte Wohnungen pro Jahr – gründlich reißt, verschwindet statistisch alle 19 Minuten eine Sozialwohnung. Vermutlich aufs Land. Der naturreligiöse Glaube an den Markt scheint unausrottbar. Also bitte: Wer an den Markt glaubt, glaubt an Konkurrenz. Zum Beispiel staatliche.

Der deutsche Nationalspieler Mesut Özil hat mit 34 Jahren das Ende seiner Karriere bekanntgegeben. Was hat das bei Ihnen ausgelöst?

Tiefe Trauer. Bei jedem Özil-Transfer verdiente sein Ausbildungsverein Rot-Weiss Essen noch mal einen Brosamen mit.

In Frankreich streiken und demonstrieren Hunderttausende gegen die von Präsident Macron durchgeboxte Rentenreform. Warum gibt es so etwas bei uns eigentlich nie?

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Oben     —        Bearbeitung durch User: Denis_Apel –

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Was ist los – Grönemeyer ?

Erstellt von DL-Redaktion am 26. März 2023

„Klar gibt es reichlich Bekloppte“

Das Interview führte Dosi Akrap

Herbert Grönemeyer über sein neues Album. – Herbert Grönemeyers neues Album „Das ist los“ ist politisch, wie immer. Ein Gespräch über Krisendeutschland, Zuversicht und Ratgeber-Pop.

wochentaz: Herr Grönemeyer, was glauben Sie, welches Lied von Ihrer neuen Platte hat sich bei mir als hartnäckiger Ohrwurm eingenistet?

Herbert Grönemeyer: „Behutsam“?

Nein.

„Herzhaft“?

Nein.

„Das ist los“?

Genau. Knaller. „Das ist los“ – der Song zum Albumtitel. Eine schnippische Antwort auf die oft als unangemessen empfundene Frage „Was ist los?“.

Ja. Das kommt von meinem Produzenten Alex Silva, der Waliser ist. Immer, wenn ich ihn frage: „Was ist los?“, antwortet er „Das ist, was ist los!“ Er übersetzt das direkt aus dem Englischen „That’s what happens“. Alex fragt mich auch immer: „Was heißt eigentlich Samma?“ Das sage ich angeblich immer beim Autofahren.

Warum dann nicht „Samma“ oder „Hömma“ als Titel, sondern „Das ist los“?

Weil der Song erklären soll, wie ich jetzt gerade in der Badehose aussehe. Es soll eine Standortbeschreibung sein. Alex und ich haben nach 25 Jahren zum ersten Mal gemeinsam eine Nummer geschrieben. Wir sind wie ein altes Ehepaar, das von der Freude und der Albernheit erzählt.

Bankenkrise, Emirat / Schuldenbremse, Windradpark / Lifehacks, Burnout, Horoskop / Cis, binär und transqueerphob / Gucci, Prada, Taliban / Schufa, Tesla, Taiwanwahn …“ Klingt jetzt nicht gerade nach Ehealltag.

Sondern?

Nach Polittalk.

Sicher, alles ist politisch. Aber für mich ist das Politische immer selbstverständlicher Bestandteil meines Lebens und meiner Musik und nichts Besonderes.

Reden wir alle zu viel und zu oberflächlich über Politik?

Wir sind ja hier nicht beim Eisstockschießen. Die Lage, in der wir uns befinden, ist hochkomplex und nicht ungefährlich. Aber was macht das mit uns? Wo sind wir mit unseren Ängsten? Was bedeutet das für uns kulturell? Diese Fragen kommen zu kurz.

Was ist, Kid? Kriegst du alles mit?“, lautet der Refrain in „Das ist los“. Sind die Kids nicht mehr all right?

Oh doch. Die sind total all right. Es ist nur so, dass ich jetzt 67 werde. Ich versuche mir auf alles, was so auf mich reinprallt, einen Reim zu machen. Ich kann mir aber ja aufgrund meines Alters genehmigen, nicht mehr alles mitzukriegen. Aber wie kommt ein 40 Jahre jüngerer Mensch durch das ­Dickicht der Informationen? Was sind die Zwänge, was die Ängste? Die Zeile ist nicht als Anklage gemeint.

Wie dann?

Im Sinne einer sorgenden Nachfrage: Wie kommt ihr damit klar? Jede Generation hat ja ihre Themen, mit denen sie organisch verbunden ist. Ich bin mit Vietnam und Hippies groß geworden. Bei den Jungen heute habe ich das Gefühl, die Entfremdung von der Gesellschaft ist um ein Vielfaches größer.

Dazu passt der erste Satz auf dem Album: „Hoffnung ist grade so schwer zu finden“, aus dem vorab veröffentlichten Song „Deine Hand“. Ansonsten geht es auf der Platte aber meistens gut gelaunt zur Sache: mit treibendem Beat und Synthiesound, mit Witzigkeit und Mutmacherlyrik. Das hat dann so gar nichts mehr von Verzweiflung.

Für mich ist Kunst immer der Versuch, eine Perspektive zu erarbeiten. Kunst muss irgendwo hinleiten. Auch in der Trauer oder der Melancholie muss Kunst motivieren. Die Frage war: Schafft man es in dieser komplexen Zeit mit all den Ängsten eine Platte zu machen, die nicht larifari und trallalaheißassa hopsasa ist, aber trotzdem in sich eine Kraft birgt und Zuversicht erschließt? Worauf kann man sich stützen, was sind die Dinge, die positiv stimmen in dieser schweren Zeit? Und für mich ist die Hilfsbereitschaft der Menschen eben eine große Sache. Darüber wird viel zu wenig gesprochen. Wie haben in diesem Land eine beeindruckend erwachsene Attitüde, mit denen Geflüchteten begegnet wird. Das ist eben nicht nur heute mit Blick auf die Ukrainer so. Das war auch 2015 so. Da steckt eine große Form von Humanismus dahinter. Das ist eine großartige Basis für eine positive, gemeinschaftliche Entwicklung unserer Gesellschaft. Da hol ich mir meinen Nährstoff her.

Dafür, dass Sie auf einem Konzert in Wien sehr laut „Keinen Millimeter nach rechts“ gebrüllt haben, wurden Sie heftig attackiert.

Ich weiß schon seit 40 Jahren, dass ich nicht nur Fans habe. Wir sind eine diffuse Gesellschaft, ist doch klar, dass es unter 80 Millionen auch reichlich Bekloppte gibt. Und damit meine ich jetzt nicht die, die meine Musik nicht mögen. Aber es rennen hier doch nicht nur lauter Egoisten rum, das muss man einfach auch mal feststellen.

Nicht nur. Aber in Ostdeutschland brennen wieder Flüchtlingsheime. Und die CDU hat mit rassistischen Inhalten die Wahlen in Berlin gewonnen.

Das bekomme ich mit und das ist gemein und feige. Aber deswegen müssen wir ja nicht immer gleich in eine hochdramatische, pauschalisierende „Oh mein Gott, wie furchtbar“-Stimmung verfallen. Fakt ist, dass wir in Deutschland einer Million Menschen Obdach bieten. Die Gesellschaft ist erwachsener, als man denkt und weiter als die Politik. Natürlich ist es kein Zuckerschlecken, Geflüchtete bei sich aufzunehmen. Die Lösung kann aber nicht sein, die Leute abzuschieben oder nachts ins Kopfkissen zu beißen, weil man nicht mehr weiter weiß. Man muss offen thematisieren, dass es kompliziert ist.

Deutschland, eine Nation von Nachts-ins-Kopfkissen-Beißern?

Wir müssen nicht gleich durchdrehen, nur weil zwei prominente Frauen eine Demo machen. Das können wir schon aushalten. Das neue Deutschland hat jetzt seinen 30. Geburtstag hinter sich. Wir können doch nicht bei jedem Windstoß noch um Hilfe schreien wie kleine Kinder. Als eines der größten Länder Europas haben wir die Verantwortung, auch mal ein bisschen Ruhe zu bewahren.

In der Unruhe liegt die Kraft“ heißt es doch in Ihrem neuen Lied „Angstfrei“.

Ja. Aber damit meine ich, dass wir uns mehr Gedanken darüber machen müssen, was wir mal werden wollen, wenn wir groß sind. Was für ein Team wollen wir eigentlich sein? Wie verwirrt wollen wir sein? Wie verrückt? Dafür braucht es Unruhe. Es ist total unverschämt, dass es einen Ost-Beauftragten gibt, wo es doch gar kein Ostdeutschland gibt. Es gibt auch kein Westdeutschland. Bochum ist Westdeutschland. Bayern ist es nicht. Wir brauchen keinen Ost-Beauftragten, sondern einen Beauftragten für die Zukunft dieses Landes, einen Stab, der sich damit beschäftigt, wo dieses Deutschland in 50 Jahren sein soll. Der britische Ökonom Paul Collier beschreibt die alte Sozialdemokratie als eine Kultur des Füreinandereinstehens. Ich komme aus dem Ruhrpott, ich kannte diese Kultur. Die ist aber verloren gegangen. Wir müssen uns verpflichtet fühlen, uns Gedanken zu machen, wie wir da wieder hinkommen.

Glücklich der, der auch mal nichts weiß“, „Danke deinem Leben für die Zeit“, „Suche in deinem Leben keinen Sinn“, „Versuchs mit Eleganz, nimm es voll und ganz“ singen Sie in Ihrem neuen Song „Eleganz“. Wären Sie beleidigt, wenn man sagen würde, Herbert Grönemeyer macht Ratgeber-Pop?

Nein, da wär schon was dran. Ich lauf jetzt aber auch nicht als blauäugiger Depp rum. Eher so wie ein Fußballtrainer, dessen Team die ganze Zeit verliert, aber der trotzdem glaubt, dass in seinem Team alles steckt, er muss es nur rausholen. Aber „Eleganz“ ist jetzt nicht gerade der größte stilistische Beitrag meinerseits. Ist eher so mein „Don’t worry be happy“.

Wichtig ist nur, dass man Alltag kann“. Die Zeile macht mich fertig. „Nur“ Alltag?

Ich singe extra „Alltach“, damit man es auch versteht. Alltag ist eine elementare Herausforderung. Nur auf Glücksmomente warten kann jeder. Alltag ist harte Arbeit.

So ganz entschieden zwischen Unruhe und chillen ist Ihre Platte nicht. Im Lied „Genie“ singen Sie: „Du wälzt Probleme von links nach rechts, danach ist dir schlecht“.

Das ist schon besser. Also stilistisch gesehen.

Ihre Texte sind in Lyrikbänden erschienen und Sie dichten so wunderschöne Zeilen wie „Du verschaffst meinem Ich Übergewicht“. Kürzlich sprachen Sie im Münchner Lyrik Kabinett unter dem Titel „Die Worte müssen in die Musik“ mit dem Literaturwissenschaftler Michael Lentz über Ihre Texte. Er musste sehr oft lachen. Ich muss auch über Sätze lachen, von denen ich nicht weiß, ob Sie die lustig gemeint haben. Zum Beispiel: „Wer nicht strampelt, klebt an der Ampel und wartet auf Grün“.

Lachen Sie nur. Das will das Lied ja. Es geht ja in dem Text darum, nicht ständig um Erlaubnis zu fragen.

Ich muss lachen, weil ich dachte, das sei ein Appell, nicht darauf zu warten, bis die Ampelregierung was gegen die Klimakatastrophe tut.

Nee, darum ging es in dem Lied nicht. Dass die Grünen allerdings die Aktionen der Klima-Aktivisten als „nicht zielführend“ diskreditieren, finde ich absurd. Als müsste eine Bewegung bei der Regierung anrufen und fragen, ob es okay ist, wenn man morgen demonstrieren geht. In Deutschland sollte endlich was passieren, ohne dass man dafür vorher eine Unterschrift verlangt.

Es wird häufig die Entpolitisierung der Popmusik beklagt. Bei Ihnen bekommt man den Eindruck, Sie werden von Platte zu Platte politischer. Haben Sie das Gefühl, politisch verantwortlich zu sein?

Quelle          :         TAZ-online           >>>>>         weiterlesen 

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Oben       —         Herbert Grönemeyer – Herbert Grönemeyer singt seine offizielle Hymne „Komm zur Ruhr“ am 09.01.2010 auf der Eröffnungsfeier zur RUHR.2010 in Essen Zollverein. Im Hintergrund: Mark Kofi Essien

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Beförderungen der Polizei

Erstellt von DL-Redaktion am 26. März 2023

Keine Chance gegen Wunschkandidaten

Die Erfüllung meiner Wünsche lassen mir FDlügel wachsen

Von Johanna Henkel-Waidhofe

Die Beförderung von Beamt:innen ist so wichtig für das Funktionieren des deutschen Staatswesens, dass die Regeln dafür Eingang ins Grundgesetz fanden: Nach „Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung“ muss entschieden werden. In Baden-Württemberg geht’s auch anders, sogar an der Spitze der Polizei.

Eine Hoffnung musste die CDU schon begraben. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss mit dem sperrigen Titel „Handeln des Innenministers und des Innenministeriums im Fall des Verdachts der sexuellen Belästigung gegen den Inspekteur der Polizei und Beurteilungs-, Beförderungs- und Stellenbesetzungsverfahren“ konnte seine Arbeit nicht im Schnelldurchlauf bis spätestens Ende Februar beenden. Im Gegenteil: Nur eine Handvoll der insgesamt fast 50 Zeug:innen ist bisher gehört worden. Nach heutigem Stand wird bis tief ins nächste Jahr getagt werden.

Die zweite, noch größere Hoffnung handelt davon, dass Thomas Strobl, Vize-Regierungschef und Landesvorsitzender der Union, doch mit einem dezent blauen Auge davonkommen möge. Hier stehen die Aussichten so schlecht nicht. Viele Details des Falls sind kompliziert und kleinteilig, gravierende Verfehlungen und Missstände dringen einfach nicht so recht durch bis zum Publikum. Und: Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält seine schützende Hand weiterhin über seinen schwarzen Stellvertreter. „Die Maßstäbe sind einfach verrutscht“, klagt Sascha Binder, Vize in der SPD-Landtagsfraktion und Obmann im Ausschuss. Baden-Württemberg habe einen Innenminister, der sich „praktisch alles leisten kann“. Nach den Kriterien früherer Jahre hätte er „längst zurücktreten oder der Ministerpräsident hätte ihn entlassen müssen“.

Längst geht es nicht mehr nur um den Auslöser der ganzen Affäre: Gegen den Inspekteur der Polizei (IdP), Andreas Renner, war ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden wegen des Verdachts sexueller Übergriffe, und sein oberster Dienstherr Strobl gab einen Brief von Renners Anwalt weiter an den Journalisten Franz Feyder von den „Stuttgarter Nachrichten“. Inzwischen musste der Innenminister deshalb eine saftige Zahlung über 15.000 Euro berappen. Obendrein, eine jener filigranen und zugleich – nach früheren Kriterien – rücktrittsauslösenden Erkenntnisse, hatte der Innenminister der ermittelnden Justiz monatelang verschwiegen: nämlich dass er selber den Brief durchgestochen hatte, also wissentlich ins Leere ermitteln ließ.

Noch schwerer wiegen die Umstände von Renners Beförderung. Zeugenaussagen vor dem Ausschuss ergaben, dass Strobl wenige Monaten vor der Berufung zu Baden-Württembergs ranghöchstem Polizisten nicht nur den smarten Aufsteiger zu seiner „Zielvorstellung“ erklärt hatte, wie einer der Spitzenbeamten vor dem Ausschuss formulierte. Er verlangte sogar zugunsten seines Favoriten eine „rechtskonforme Besetzung“, was logischerweise überhaupt nur dann erwähnenswert ist, wenn daran Zweifel bestehen könnten. Der Gipfel ist, wie allen Mitbewerber:innen, unter anderem von Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz persönlich, per Telefon die Präferenz  des Ministers und die Aussichtslosigkeit der eigenen Bewerbung mitgeteilt wurde.

Eine Turbo-Karriere von Strobls Gnaden

„Auf Biegen und Brechen“, kritisiert Binder, habe die „beispiellose Turbo-Beförderung an der Spitze der Landespolizei“ möglich sein müssen. Von der im Grundgesetz verlangten Bestenauslese könne überhaupt keine Rede sein, denn eine „Clique von Entscheidungsträgern“ sei „vorbei an Recht und Gesetz“ vorgegangen, habe die Auswahl getroffen, und versuche, diese im Nachhinein als rechtmäßig hinzustellen. Es gebe sehr strenge Regeln für den Aufstieg, sagt auch die FDP-Obfrau Julia Goll, aber die seien außer Kraft gewesen.

Wunschbeförderungen rechtskonform zu organisieren, ist kompliziert, weil das System die ja eigentlich ausschließen will. Artikel 33, Absatz 2 beschreibt das Prinzip der Bestenauslese: „Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.“ Dieser Anspruch könne mit Hilfe der Verwaltungsgerichte durchgesetzt werden, heißt es in einem der vielen Kommentare. Dabei gehe es nicht um einen „Anspruch auf Beförderung, sondern um einen Abwehranspruch gegen die Beförderung eines weniger geeigneten Mitbewerbers“. Ziel einer Klage sei die Feststellung, „dass der ausgeschriebene Dienstposten nicht mit dem Konkurrenten besetzt und das Auswahlverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts wiederholt wird“.

All dem war die Führung des Ministerium aus dem Weg gegangen, so dass Renner, gemäß dem Wunsch des Chefs, als einziger Kandidat für den Spitzenposten übrig blieb. Zum 1. November 2020 trat er sein Amt an, weil er, so Strobl bei Übergabe der Ernennungsurkunde, „genau das richtige Format“ dafür habe. Ob er es damals schon hätte besser wissen müssen, kann erst in künftigen Zeugenvernehmungen geklärt werden.

Sekt zum Feierabend. Auch für die Chefin

Dass seltsame Sitten herrschten, ist bereits offenbar. Im Innenministerium gab’s unter Beamt:innen schon mal Feierabendbier, wie der frühere Amtschef Julian Würtenberger bestätigt. Von den Runden hat er gehört, dabei war er nie, abgestellt hat er die Gepflogenheit aber nicht. Dabei kamen sogar Gäste von außen, darunter der CDU-Landtagsabgeordnete und Strippenzieher Siegfried Lorek, selber früher Polizist, heute Staatssekretär im Justizministerium. Und Renner ging ohnehin deutlich weiter, denn in seinem Büro wurde Sekt ausgeschenkt, wenn Mitarbeiter:innen-Gespräche fließend ins außerdienstliche Beisammensein übergingen. Auch an jenem 12. November 2021, an dem sich der Vorfall der sexuellen Belästigung einer Untergebenen ereignet haben soll.

Grün ist hier aber nur der Wald im Hintergrund.

Die Polizistin hatte sich schon einmal höher qualifizieren wollen, war aber gescheitert. Ob und wieso überhaupt ausgerechnet der IdP der Richtige sein soll, um eine Vorbereitung für einen Neuanlauf in seine Hände zu nehmen, müssen künftige Zeugenvernehmungen klären. Immerhin war er maßgeblich für Beförderungen zuständig. Bekannt ist aber der konkrete Ablauf dieses Spätnachmittags und Abends. Denn Landespolizeipräsidentin Hinz kam nach Ende des offiziellen Teils des Gesprächs in das Büro, ist wieder gegangen, dann doch wiedergekommen, eine Dreiviertelstunde geblieben, und sie habe ein Glas Sekt getrunken: „Vor dem Hintergrund der wirklich weitreichenden Folgen für die Mitarbeiterin habe ich diesen Abend und das, was da passiert ist, sehr oft hinterfragt.“

Quelle          :      KONTEXT: Wochenzeitung-online           >>>>>         weiterlesen

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Oben       —       Serie: Regionalkonferenz der CDU Baden-Württemberg am 21. November 2014 in Appenweier zur Vorstellung der Bewerber für die Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl 2016 Bild: Thomas Strobl

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KOLUMNE * Red Flag

Erstellt von DL-Redaktion am 26. März 2023

Tiktok-Format „Unverlangt eingesandt“: – Lustiger Literaturbetrieb

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Kolumne von Fatma Aydemir

Ein Mensch schickt einen Text zur Veröffentlichung an einen Verlag – und der stellt ihn dann öffentlich bloß. Humor ist immer so eine Sache.

Alle müssen Content machen. Auch bei deutschen Literaturverlagen, deren Marken sich ja meist eher aus der eigenen Tradition generieren, ist angekommen: Wer neue Zielgruppen erreichen will, muss auf Social Media. Und zwar nicht einfach nur mit einer nüchternen Bewerbung des eigenen Programms, sondern mit Verlosungen, Behind-the-scene-Material und witzigen Videos.

Humor ist hierzulande, wenn nach unten getreten wird.

Nun ist Humor natürlich immer so eine Sache. Hierzulande funktioniert er augenscheinlich am besten, wenn nach unten getreten wird. Folgerichtig hat sich der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch (KiWi) das Tiktok-Format „Unverlangt eingesandt“ ausgedacht, bei dem sich in Kurzvideos über Manuskript-Einreichungen lustig gemacht wird. Also ein Mensch schreibt da jahrelang an einem Text, fasst sich irgendwann ein Herz, sendet ihn an einen Verlag und der guckt dann bloß rein, um daraus pseudolustigen Content zu generieren.

Für Lacher soll in „Unverlangt eingesandt“ der selbstsichere Ton der Anschreiben sorgen sowie die Formfehler und Forderungen der unbekannten Autor_innen. In einer Einsendung etwa verlangt der_die Autor_in 10.000 Euro Vorschuss für das beiliegende Manuskript und gibt an, dass der Text noch vier weiteren Verlagen zum Angebot vorliegt. Was den Zuschauer_innen aber unausgesprochen als lächerliche, weil dreiste Forderung verkauft wird, ist in Wahrheit ein sehr realistisches Angebot für einen Konzernverlag wie KiWi. Und für die schreibende Person sowieso: Angenommen in einem Romanmanuskript stecken zwölf Monate Arbeit, dann sind das zehn Riesen durch zwölf brutto – was daran ist nochmal dreist und funny?

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Ein Verkehrszeichen, das vor Kiwis warnt

Es verwundert kaum, dass wir in dem Format nichts über die Textqualität der Manuskripte erfahren, sondern lediglich von den Anschreiben. Denn das unfreiwillig Komische an „Unverlangt eingesandt“ ist, dass suggeriert wird, irgendein Großverlag schaue sich 2023 noch die unverlangt eingesandten Manuskripte an. Dabei treffen doch längst Literaturagenturen die Vorauswahl, lektorieren Manuskripte vor, bieten sie den Verlagen an. Der Verlag braucht sich somit gar nicht mehr durch Texte wühlen, die abseits von diesen Strukturen entstehen, er bietet einfach mit anderen Verlagen um jene Texte und Autor_innen, die ihm irgendwie „gut verkäuflich“ vorkommen, gemessen an einem chronisch verspäteten Trendverständnis. Und beschwert sich anschließend darüber, dass die Agenturen den Markt kaputt machen. Kurz: Es ist eigentlich genauso wie überall.

Branchenübliche Codes

Nur dass in einer anderen Branche vielleicht die Hemmung größer wäre, sich öffentlich über Jobbewerbungen lustig zu machen. Denn nichts anderes ist eine Manuskripteinreichung: eine Bewerbung. Und nichts anderes ist das Autor_innendasein: ein Job. Der kapitalistische Blick auf (noch) nicht kommerziell erfolgreiche Autor_innen und generell Künstler_innen ist dagegen ein mitleidiger bis verächtlicher: „Haha, guck mal, der Spinner denkt, er sei was Besseres. Geh mal arbeiten.“

Quelle        :           TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Oben     —   Eine wehende rote Fahne

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Unten      —       Ein Verkehrszeichen, das vor Kiwis warnt, welche die Straße überqueren

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Demokratie mit Lücken

Erstellt von DL-Redaktion am 25. März 2023

Israel und die fehlende Verfassung des Landes

Jeder Politiker findet immer noch Mitschuldige welche sie hofieren. Würden solche – z.B. von der westlichen Welt ignoriert werden, würden sich die Situationen sehr schnell ändern. 

Von Joseph Croitoru

Die Kampagne der israelischen Rechten gegen den Obersten Gerichtshof begann lange vor der letzten Wahl. Ein Problem ist die fehlende Verfassung des Landes. In der „konstitutionellen Revolution“ sehen liberale Kreise bis heute die angemessene Umsetzung eines spezifisch jüdischen Gerechtigkeitsempfinden.

Israel erlebt derzeit eine tiefe konstitutionelle Krise. In ihrem Kern steht ein Autoritätskonflikt zwischen Parlament und Exekutive einerseits und dem sich als juristische Kontrollinstanz begreifenden Obersten Gerichtshof (OGH) andererseits. Seine Wurzeln liegen in der Gründerzeit des israelischen Staates. Dessen Unabhängigkeitserklärung vom 14. Mai 1948 folgte der Vorgabe des UN-Teilungsplans für Palästina vom November 1947, die vorsah, dass die zu wählende „verfassungsgebende Versammlung“ des jüdischen Staates eine Verfassung verabschiedet. Das Gremium wurde wegen des noch andauernden arabisch-israelischen Kriegs erst Anfang 1949 gewählt und erklärte sich im Februar zum israelischen Parlament (Knesset). Zur Verabschiedung einer Verfassung kam es indes nicht, weil sich die Abgeordneten über ihren Charakter nicht einigen konnten – oder wollten. Nicht unähnlich zu heute war die damals tonangebende Regierungspartei – David Ben Gurions sozialistische „Partei der Arbeiter Eretz Israels“ (MAPAI) – nicht gewillt, ihre Vollmachten von grundlegenden Rechtsnormen einschränken zu lassen. Ben Gurions Haltung wurde von seinen religiösen Koalitionspartnern mitgetragen, für die als Verfassungsgrundlage nur das jüdische Religionsgesetz in Frage kam. Dagegen wehrten sich Säkulare von links wie rechts. Im Juni 1950 kam es schließlich zu einer Kompromisslösung, als die Knesset entschied, verfassungsähnliche Strukturen in Form von einzelnen Grundgesetzen zu schaffen. Bis heute wurden dreizehn solcher Gesetze verabschiedet.

Das Fehlen einer Verfassung hatte weitreichende Folgen. Der junge israelische Staat übernahm große Teile des britisch-kolonialen Mandatsrechts, das teilweise auf osmanischem Recht gründete. Mit diesen übernommenen Gesetzeswerken war das Selbstverständnis des Staates Israel als Demokratie aber nur begrenzt vereinbar. Eine weitere Konfliktquelle stellte der doppelte Anspruch des Staates dar, demokratisch und zugleich exklusiv jüdisch zu sein. Diese Widersprüche sollte der Oberste Gerichtshof lösen. Dieser wurde schon im Sommer 1948 vom provisorischen israelischen Staatsrat ins Leben gerufen; die anfängliche Zahl von fünf amtierenden Oberrichtern wurde mit den Jahren sukzessive erhöht, zuletzt 2009 auf fünfzehn. Die vom OGH ausgeübte Normenkontrolle sollte Gesetzesmissbrauch durch den Staat verhindern. Allerdings unterwarfen sich die Oberrichter bis in die sechziger Jahre weitgehend dem Primat der nationalen Sicherheit und stellten sich auch dann hinter die Regierung, wenn die sich nicht gerade demokratiekonform verhielt. So etwa bei der sogenannten administrativen Haft ohne Strafverfahren – ein Erbe des britischen Mandatsrechts, von dem vor allem Palästinenser bis heute betroffen sind.

Weil sich die Oberrichter bei ihren Entscheidungen in Ermangelung einer Verfassung auf die Gleichheit postulierende israelische Unabhängigkeitserklärung wie auch auf die Rechtsprechung in westlichen Demokratien oder sogar auf die Bibel beriefen, kam es gelegentlich doch zu Konflikten mit dem Gesetzgeber. So beispielsweise, als der OGH 1969 ein Parteifinanzierungsgesetz für ungültig erklärte und die regierende Arbeitspartei auf der Vormacht des Parlaments bestand. Den Richtern warf sie Inkonsequenz vor mit dem Argument, dass sie die Regierung doch bei weit problematischeren Fällen wie Hauszerstörungen oder der Ausweisung palästinensischer Terroristen unterstützten. Die Ultraorthodoxen standen mit den meist säkularen Oberrichtern ohnehin laufend auf Kriegsfuß, besonders dann, wenn sie in die Rechtsprechung der religiösen Gerichte eingriffen.

Die bislang bedeutendste Wende in Israels Rechtskultur vollzog sich zu Beginn der neunziger Jahre. Als es in der Zeit der großen Koalition von Arbeitspartei und Likud in den späten achtziger Jahren zum politischen Stillstand kam, formierte sich im Land eine Protestbewegung, die strukturelle Reformen forderte. Mit ihrer Initiative „Verfassung für Israel“ verfolgten damals mehrere Rechtsprofessoren das Ziel, einen umfangreichen Grundrechtskatalog zur Verabschiedung zu bringen. Zwar scheiterten sie am Widerstand der Ultraorthodoxen, doch gelang es schließlich ihrem Mitstreiter Amnon Rubinstein, Juraprofessor und Abgeordneter der liberalen „Shinui“-Partei, 1992 zwei neue Grundgesetze mit verfassungsähnlichem Charakter einzubringen: Sie wachen über die Berufsfreiheit und die „Würde und Freiheit des Menschen“.

Berlin and Israel walls

Willige Helfer gesucht und gefunden! 

Damit lag ein konstitutioneller Referenzrahmen für Menschenrechte vor, auf den der OGH zurückgreifen konnte, was er auch energisch tat. Konservative israelische Juristen beklagten sich schon bald über dieses Vorgehen. Sie warfen den Oberrichtern „richterlichen Aktivismus“ vor, über dessen Nutzen und Nachteil in Israels juristischen Zeitschriften nun kontrovers diskutiert wurde. Zu den Befürwortern eines selbstbewussteren Auftretens des OGH gehörte auch der international angesehene und damals an der Hebräischen Universität in Jerusalem lehrende Rechtsprofessor Aharon Barak. 1993 vertrat er in einer wegweisenden Abhandlung die Ansicht, dass der OGH sich nicht mit der Rolle eines punktuellen Korrektivs des Gesetzgebers begnügen sollte. Weil es keine Verfassung gebe, sollten die Oberrichter die gesamte israelische Rechtsprechung Schritt für Schritt der Lebensrealität im Land anpassen und überall dort korrigierend eingreifen, wo die Gesetzgebung Lücken aufweise.

Die Fachdebatten der Juristen wuchsen sich zu regelrechten Grabenkämpfen aus, als 1995 Aharon Barak zum Präsidenten des OGH gewählt wurde. Moshe Landau, Amtsvorgänger und Zionist der alten Garde, warnte die Oberrichter schon damals davor, die neuen Grundgesetze dazu zu nutzen, die Rechte des Individuums über die Interessen der Allgemeinheit zu stellen und so den Egoismus in der israelischen Gesellschaft zu stärken. Ungeachtet solcher Bedenken wuchs die Bedeutung des OGH kontinuierlich. In dieser in Israel als „konstitutionelle Revolution“ bezeichneten Entwicklung sehen liberale Kreise bis heute die angemessene Umsetzung eines aus ihrer Sicht spezifisch jüdischen Gerechtigkeitsempfindens. Der OGH war aber schon unter seinem Präsidenten Barak, dessen Amtszeit bis 2006 dauerte, von unterschiedlichsten Seiten heftiger Kritik ausgesetzt. So warfen Menschenrechtler und Besatzungsgegner dem Gericht Verrat an den eigenen Prinzipien vor, weil es willkürliche Internierungen und auch Folter von Palästinensern wiederholt abgesegnet hatte. Für die ultranationalistischen Siedler und auch die Ultraorthodoxen verkörpert der OGH bis heute eine „Rechtsdiktatur“ – und nicht nur für sie.

Quelle       :         TAZ-online           >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben      —     President Donald J. Trump delivers remarks with Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu Tuesday, Jan. 28, 2020, in the East Room of the White House to unveil details of the Trump administration’s Middle East Peace Plan. (Official White House Photo by Shealah Craighead)

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Einigung: Post – Ver.di

Erstellt von DL-Redaktion am 25. März 2023

Tarifabschluss bei der Post – ein Abschluss, der Fragen aufwirft

La grève des mineurs du Pas-de-Calais, 1906.jpg

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von  :    Suitbert Cechura

Ein harter Job und schlechte Bezahlung: Auch wenn der Laden brummt, darf man sich nicht zu viel erwarten – die schweren Zeiten verbieten es!

Zu Beginn der Tarifrunde mit dem Post-Konzern – noch vor der ersten Verhandlungsrunde – gab die Verdi-Gewerkschaft ihr Ziel bekannt: „Die Beschäftigten brauchen dringend einen Inflationsausgleich und sie erwarten darüber hinaus eine Beteiligung am Unternehmenserfolg.“ (Pressemitteilung Verdi, 5.1.23)

Die Vorbereitung auf die Tarifrunde lief vorbildlich, mit großer Mobilisierung und Warnstreiks. Die Mitglieder stellten sich mit 85,9 Prozent bei der Urabstimmung hinter ihre Gewerkschaft und stimmten für einen Streik. Statt zu streiken, setzte sich Verdi dann aber mit den Arbeitgebern zusammen und schloss ganz rasch einen Tarifvertrag ab, der weder einen Reallohnverlust verhindert noch eine Beteiligung am 8-Milliardengewinn der Post beinhaltet. Dieses Verhalten der Tarifkommission, die sich für ihren schnellen Erfolg lobte, wirft eine Reihe von Fragen auf.

Von Beginn an ein Abschluss á la IG-Metall oder IG BCE angestrebt?

Auffällig ist, dass die Tarifkommission nach dem Abschluss von den ursprünglichen Zielen offenbar nichts mehr wissen will, wenn sie das Ergebnis schönrechnet und den Erfolg daran festmacht, dass die Gegenseite ihre Angebote verbesserte habe: „Positiv sind die hohe Einmalzahlung im April, die Erhöhung der monatlichen Inflationsausgleichssonderzahlung um 20 Prozent gegenüber dem letzten Angebot der Arbeitgeber und das Vorziehen der tabellenwirksamen Festbetragserhöhung um acht Monate. Mit diesem Tarifergebnis wird unser wichtigstes Ziel, einen Inflationsausgleich insbesondere für die unteren Einkommensgruppen zu schaffen, nach den aktuellen Prognosen der zu erwartenden Preissteigerungsrate erreicht.“ (Andrea Kocsis, Verdi Pressemitteilung, 11.3.23)

Die Inflationsausgleichssonderzahlung von 1020 € gleicht aber den Reallohnverlust des letzten Jahres in keiner Weise aus. Über den teilt Verdi selber mit: „Die Tariferhöhungen in 2021 und 2022 blieben zusammen um fünf bis sieben Prozent hinter der Inflationsrate zurück.“(Verdi, WiPo-Informationen, 1/23) Jetzt mag zwar rechnerisch die ab Mai vereinbarte Ausgleichssonderzahlung von 180 € der offiziellen Inflationsrate entsprechen, nur weiß auch die Gewerkschaft, dass die offiziellen Inflationsraten Durchschnittswerte darstellen und gerade Menschen mit geringem Einkommen, wie viele Postzusteller, von der Inflation stärker betroffen sind: „Inflation ist nicht für alle gleich. Die hohen und weiter steigenden Preise treffen Haushalte mit kleinen Einkommen und mit Kindern besonders stark.“ (WiPo, 1/23)

Hinzu kommt: „Die ‚Inflationsprämien‘ sind zudem – ebenso wie die in den letzten Jahren vereinbarten Corona-Prämien und sonstigen Einmalzahlungen – nicht tabellenwirksam, das heißt sie erhöhen nicht die Ausgangsbasis für künftige Tariferhöhungen und mindern so dauerhaft die Lohnentwicklung und die Kaufkraft. Die Einmalzahlungen fallen weg, aber auch wenn die Inflationsraten in den kommenden Jahren wieder geringer werden, sinkt das Preisniveau insgesamt nicht.“ (WiPo, 1/23)

Also stellen die Sonderzahlungen keine Erhöhung der Tariflöhne dar, ein dauerhafter Reallohnverlust wird damit festgeschrieben. Denn die Tariferhöhung von 15 Prozent war ja auf ein Jahr berechnet und nicht auf zwei Jahre. Eine Verlängerung der Laufzeit hatte Kocsis noch nach der dritten Verhandlungsrunde abgelehnt (Pressemitteilung Verdi, 10.2.23). Nun erfolgt die Tariferhöhung erst im nächsten Jahr und bemisst sich an Prognosen und nicht an den Notwendigkeiten der Beschäftigten.

Mit ihren unterschiedlichen Sonderzahlungen folgt Verdi jetzt ganz der Regierungslinie, an die sich auch die Schwestergewerkschaften von IG Metall und IG BCE gehalten haben. Mit den Steuer- und Sozialabgaben-freien 3000 € als Abfindung für den Verzicht auf Lohnerhöhungen hat die Regierung die Maßstäbe für die deutschen Tarifrunde vorgegeben, die offenbar auch Verdi umsetzen will. Sonst könnten ja noch – man stelle sich das vor – Verhältnisse wie in Frankreich oder Großbritannien einreißen, wo sich die Arbeitervertretungen um die Interessen ihrer Mitglieder kümmern, statt sich an die Regierungslinie zu halten.

Das Wort Abfindung ist hier übrigens wörtlich zu nehmen, sollen sich doch die Arbeitnehmer mit den Reallohnverlusten abfinden und auf einen Ausgleich verzichten, der den Reallohn auf Dauer sichert. Die Gewerkschaften stellen sich so ihrer nationalen Verantwortung bei der Verhinderung des neuerdings wieder aufgetauchten Gespenstes einer „Lohn-Preis-Spirale“. Diese Bezeichnung stellt – man erinnere sich nur an die beiden letzten Jahre – die Welt auf den Kopf, denn es waren die Preise, die auf breitere Front stiegen, und nicht die Löhne, die vielmehr der Entwicklung hinterherhinkten.

Warnstreiks usw.: ein Tariftheater zur Mitgliedergewinnung?

Ging es hier also wieder einmal um ein Tariftheater? Dies vermuteten schon einige Medien im Vorfeld und der Abschluss scheint ihnen Recht zu geben. Offenbar war die ganze Tarifauseinandersetzung nicht auf die Durchsetzung der anfangs formulierten Forderungen gerichtet. Verdi wollte sich vielmehr unübersehbar als die kämpferische Alternative zu den anderen Gewerkschaften präsentieren und so Mitglieder für sich gewinnen. Verdi-Chef Werneke verkündete stolz, „rund 45.000 Neueintritte bei der Gewerkschaft seien nicht zuletzt auf die Tarifauseinandersetzungen beim ehemals staatlichen Unternehmen zurückzuführen“ (Junge Welt, 17.3.23).

Mitglieder und Sympathisanten sollten sich bei den Streikaktionen anscheinend im Gemeinschaftsgefühl ergehen. Man war in der Öffentlichkeit präsent, erntete auch Anerkennung, das war’s dann. Damit die aktivierten Mitglieder nicht auf die Idee der Durchsetzung ihrer Forderungen kommen, wurde der Streik abgeblasen und eine schnelle Vereinbarung präsentiert.

Und jetzt der Abschluss im Öffentlichen Dienst?

Zu erwarten ist, dass Verdi hier seine Mitglieder genauso verschaukelt wie beim Postabschluss und eine Vereinbarung akzeptiert, die statt Reallohnsicherung einen Strauß von Sonderzahlungen bietet – ebenfalls in Übereinstimmung mit der Regierungslinie. Vor der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst wurde anscheinend auch kein Abschluss angestrebt, der bei den Mitgliedern zu große Erwartungen weckt.

Schließlich wird bei Verdi-Mitgliedern der Spruch des ehemaligen Vorsitzenden Bsirske kolportiert, der gewarnt haben soll: Wer die Mitglieder auf die Bäume treibt, müsse sie auch wieder runterholen können. Solchen Warnungen kann man entnehmen, dass die Verdi-Funktionäre ihre Mitglieder offenbar als Tarifstatisten behandeln, die sich auf Kommando als Streikkomparsen aufführen, bei Bedarf aber auch wieder brav arbeiten gehen. Das Problem scheint die Tarifkommission zur Zeit wieder bei ihren Mitgliedern zu sehen.

Denn die prekäre Lage ist auch aus Verdi-Sicht klar: „Die zentrale Herausforderung für die Tarifpolitik besteht in diesen Zeiten darin, trotz der starken Preissteigerungen die Realeinkommen der Beschäftigten und ihrer Familien zu sichern. Im Jahr 2022 ist dieses Ziel deutlich verfehlt worden, die preisbereinigten Reallöhne sanken um über drei Prozent, nach der ‚alten‘ Berechnung der Inflationsrate um über vier Prozent. Dies kann der Tarifpolitik allerdings nicht angelastet werden, da ganz überwiegend noch Tarifverträge galten, die in Zeiten der Pandemie bei viel geringeren Inflationsraten abgeschlossen worden waren.“ (WiPo, 1/23)

Und die Verdi-Mitglieder?

Das muss die Gewerkschaft natürlich herausstellen: Die Misserfolge kann man ihr nicht anlasten. Und die Mitglieder müssen es glauben. Aber werden sie sich dieses Ergebnis jetzt bieten lassen? Es liegt an ihnen, in der Urabstimmung zum Tarifabschluss, die noch bis zum 30. März läuft, diese Vermutung entweder zu bestätigen, indem sie Ruhe geben, oder zu dementieren, indem sie dagegen stimmen. Unmut gibt es an der Verdi-Basis durchaus. David Maiwald (JW, 17.3.) hat sich dort erkundigt. „Viele Kollegen wissen“, so äußerte sich ein Postzusteller, „und zwar weil Verdi das kommuniziert hat, dass diese Sonderzahlung langfristig weniger Geld in der Tasche bedeutet. Außerdem wird anteilig auf die Arbeitszeit ausgezahlt“, was gerade bei den Teilzeit- und Abrufkräften weitere Einbußen bedeutet.

Kritische Gewerkschafter (siehe die Homepage: netzwerk-verdi.de) fürchten auch, dass der jetzige Abschluss von der Arbeitgeberseite propagandistisch genutzt wird und die Behauptung untermauert, dass mehr einfach nicht drin ist. Darauf sollte man nicht hereinfallen! Wer natürlich schon beim Aufstellen der Forderung davon ausging, dass wie gewöhnlich bloß die Hälfte und damit ein Reallohnverlust rauskommen wird, der liegt mit diesem Abschluss richtig. Wer sich gegen den Reallohnverlust stemmen will, muss sich mit der Gewerkschaftsführung anlegen.

Zuerst erschienen bei Telepolis

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Oben       —      La grève des mineurs du Pas-de-Calais

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KOLUMNE-Fernsicht-China

Erstellt von DL-Redaktion am 25. März 2023

Bei aller Verbitterung Mut und Hoffnung nicht verlieren

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Kolumne Fernsicht von  :  Shi Ming

Kaum hatte der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen gegen Wladimir Putin verhängt, schon machte sich Chinas KP-Chef Xi Jinping auf nach Moskau zum Freundschaftsbesuch.

Mit Chinas Unterstützung für Putin wird die Internationale Gemeinschaft erst recht keine Chance haben, den Haftbefehl jemals umzusetzen. Es wäre ohnehin eine Weltpremiere, auf die wir wohl lange warten müssen.

Doch nicht nur Putin drohen die Richter. Auch gegen den Ex-Präsidenten der USA, Donald Trump, steht vermutlich ein baldiges Verfahren an. Ein gefundenes Fressen für die KP-Propaganda. China werde niemals das westliche Modell, darunter unabhängige Justiz, kopieren. Man kenne eine bessere Demokratie, bei der das Volk von Anfang bis Ende demokratisch lebe. Seltsam nur: Gewählt wird niemals. Nicht ein Gericht, sondern die Partei bestimmt, wer aufgrund welchen Verbrechens mit welchem Strafmaß verurteilt wird. Noch wissen wir nicht, was Trump bevorsteht. Sicher ist jedoch, dass Xi davon wenig erfahren möchte, schon gar nicht am eigenen Leibe.

Doch die Welt ist unbezwingbarer, als Autokraten es sich offensichtlich einbilden. Noch so mächtig mögen diese Männer in der Vergangenheit gewesen oder noch immer sein. Einer grundmenschlichen Beurteilung, ob sie Verbrechen begangen haben oder nicht, entkommen sie nicht. Nicht einmal in dieser verunsicherten Welt, wo so viele schon davon reden, dass es nicht nur keine Kategorie „richtig“ oder „falsch“ mehr gebe, sondern auch kein „faktisch“ oder „fake“. Trump wie Putin sind verrufen auch für ihre Dreistigkeit, Tatsachen zu verdrehen: Aus Aggression gegen die Ukraine wurde laut Putin ein Feldzug gegen den Faschismus und gegen eine Osterweiterung der Nato. Aus blanker Missachtung der Rechtstaatlichkeit durch einen Massenmob gegen das legitime Parlament wurde laut Trump ein „patriotischer“ Aufstand derer, die fürchteten, ihnen würde ihr Land genommen werden. Nun wird klar, dass dieser Dreistigkeit Einhalt geboten werden sollte. Wichtiger noch: Der Dreistigkeit wird Einhalt geboten.

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Nicht, dass die pure Moralität obsiegt. Eine politische Realität erzwingt den Etappenerfolg. Putin erleidet auf dem Schlachtfeld in der Ukraine Niederlagen. Mittlerweile positioniert sich in Europa Russlands letzter slawischer Bruder Serbien gegen Moskau und liefert Raketen an die Ukraine, um die Aggressoren zurückzuschlagen. In Asien ist es Pakistan, das die Ukraine mit Militärhilfe unterstützt.

Quelle         :       TAZ-online            weiterlesen

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Oben     —     Vogelbeobachtung in Panama

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Quellen der Arroganz

Erstellt von DL-Redaktion am 24. März 2023

ZWERGE GEGEN CHINA

Zwerge werden immer an großen Tische empfangen um Tatsachen zu demonstrieren

Quelle       :    RATIONALGALERIE

Autor: Uli Gellermann

Aus Jux eine Weltmacht anpinkeln?

Jüngst war Scholz, der Große, der Kanzler des Deutschländchens, in den USA. Da kam er aufgepumpt zurück und forderte öffentlich „Konsequenzen“ sollte China Waffen an Russland für den Ukraine-Krieg liefern. Hat jemand Xi Jinping zittern gesehen?

Chinesen nicht vor Angst gestorben

Da die Chinesen offenkundig nicht vor Angst gestorben sind, hat Frau Stark-Watzinger, die Bundesbildungsministerin von der Groß-Partei FDP nachgelegt und die Insel Taiwan besucht: „Mir liegt viel daran, die bestehende Kooperation in Wissenschaft, Forschung und Bildung zu stärken und auszubauen“, sagte die FDP-Politikerin nach ihrer Ankunft in der Hauptstadt Taipeh. So, als ob es zwischen Taiwan und der Bundespublik zwischenstaatliche Beziehungen gäbe.

Häuptlingsfrau „Großes Maul“

Die grüne Häuptlingsfrau „Großes Maul“ Annalena Baerbock, hatte schon im Wahlkampf 2021 ihr Motto zur Chinapolitik verkündet und von einem „Mix aus Dialog und Härte“ gefaselt. Die VR China hat das Gekläff von der Höhe einer Weltmacht aus, einfach nicht wahrgenommen.

Volksrepublik China wichtigster Handelspartner

Im Jahr 2022 wurden Waren im Wert von 298,2 Milliarden Euro zwischen Deutschland und der Volksrepublik China gehandelt (Exporte und Importe). Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, war damit die Volksrepublik China im Jahr 2022 zum siebten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner.

Großmacht China anpinkeln

Können die Watzingers, Baerbocks und Scholzens lesen? Dann dürften ihnen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes bekannt sein. Wenn sie trotzdem die Großmacht China anpinkeln, dann wird es sich um eine besondere Form deutscher Arroganz handeln.

Mut zur Tollkühnheit

Worauf mag sich dieser Hochmut gründen? Bei Scholz auf einen schweren Gedächtnisverlust rund um den Cum-Ex-Skandal? Bei Baerbock um ihre galoppierenden Gedankenfehler, die sich in permanenten Sprachfehlern äußern? Ob es die jährlich 50.000 deutschen Schul-Abbrecher sind, die der Bildungsministerin Stark-Watzinger den Mut zur Tollkühnheit einflößen?

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Gestern noch Bildung welche sich heute als politische Verdummung zeigt.

Quellen dieser Arroganz

Welche Quellen diese Arroganz auch immer haben mag: Sie sind trübe und werden einer Wirklichkeit nicht gerecht, die den Deutschen dringend ein unideologisches Verhältnis zur VR China nahelegt.

Urheberrecht

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Grafikquelle :

Oben      —     President of Russia Vladimir Putin at a meeting Federal Chancellor of Germany Olaf Scholz in the Kremlin in Moscow.

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Unten       —     Wehrschatzmarke des Deutschen Schulvereins aus der Zeit des Ersten Weltkriegs.

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Reise zu Protest verweigert:

Erstellt von DL-Redaktion am 24. März 2023

Innenministerium mauert bei politischem Reiseverbot

Wer fragt in einen freien Land vor der Ausreise nach einer Erlaubnis an? 

Quelle          :        Netzpolitik ORG.

Von    :    

Die Bundespolizei verweigerte im Februar dem Vorsitzenden eines antifaschistischen Verbandes die Ausreise zu einer Demo nach Bulgarien. Auf eine schriftliche parlamentarische Frage zu dem Vorfall antwortet das Innenministerium ausgesprochen schmallippig.

Am 24. Februar verweigerte die Bundespolizei dem Vorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), Florian Gutsche, am Flughafen in Berlin die Ausreise nach Bulgarien. Dort wollte der 34-jährige an einer Demo gegen einen Nazi-Aufmarsch teilnehmen. Stattdessen erwartete ihn am Flughafen ein Zivilpolizist, später durchsuchten und befragten Gutsche Beamte und erteilten ihm ein sechstägiges Reiseverbot – nicht nur nach Bulgarien.

Nach Informationen des VVN-BdA wurde die Verfügung damit begründet, dass damit zu rechnen sei, dass Gutsche „das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland erheblich schädigen“ würde. Indizien sah die Polizei in „mitgeführter Kleidung und Utensilien, die klar dem linken Phänomenbereich zuzuordnen sind“. Laut Pressemitteilung des VVN-BdA waren diese Gegenstände ein schwarzer Pulli, eine schwarze Jacke, eine Fahne und eine Broschüre der Organisation. Auf dieser Grundlage unterstellte die Polizei Gutsche eine mögliche Teilnahme an gewalttätigen Protesten. Gutsche selbst sagt der taz, dass er nie für irgendetwas verurteilt wurde in seinem Leben.

Wurden PNR-Daten genutzt?

Fraglich ist, wie die Polizei überhaupt dazu kam, dass sie Gutsches Reise auf dem Radar hatte. Denkbar ist, dass Gutsche – ohne Verurteilung – in einer Datei für politisch motivierte Gewalttäter gelandet ist und seine Reise mittels der Vorratsdatenspeicherung von Flugdaten (PNR) den Behörden bekannt wurde. Die Bundespolizei hat auf Presseanfragen von taz und nd bislang nicht geantwortet.

Im Jahr 2020 hat das Bundespolizeipräsidium 25.280 Personendaten aus der Fluggastdatenspeicherung vom Bundeskriminalamt (BKA) mit einer Aufforderung für sogenannte Folgemaßnahmen erhalten. Diese Maßnahmen sind hoch umstritten: Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hatte die Fluggastdatenspeicherung im vergangenen Dezember für rechtswidrig erklärt: Dem BKA fehle eine grundrechtskonforme Rechtsgrundlage. Zuvor hatte schon der Europäische Gerichtshof die Datensammlung moniert.

Zugeknöpfte Antwort

Auf eine schriftliche Frage der linken Bundestagsabgeordneten Martina Renner antwortete das Bundesinnenministerium nur mit einer allgemeinen Antwort zur Rechtsgrundlage (§ 10 Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit § 7 Absatz 1 Nummer 1 des Passgesetzes) und verweigerte sonst jede Auskunft zum Fall Gutsche. In der Antwort heißt es:

Die mit der Fragestellung gewünschten Auskünfte zu etwaigen durch die Bundespolizei bei der Ausreise einer Person festgestellten die vorgenannte Gefahr begründenden Tatsachen berühren das Persönlichkeitsrecht Dritter. Unter Abwägung des parlamentarischen Fragerechts und des damit einhergehenden öffentlichen Informationsinteresses mit dem gleichzeitig hier notwendigen Schutz der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen kommt die Bundesregierung vorliegend zu dem Ergebnis, dass diesbezügliche Auskünfte nicht und – wegen des höchstpersönlichen Charakters der angefragten Daten – auch nicht eingestuft übermittelt werden können. Ob und inwieweit eine Auskunft an den Betroffenen möglich ist, obliegt auf dessen Anfrage der Entscheidung der zuständigen Sicherheitsbehörde im konkreten Einzelfall.

Weiter heißt es: Die Bundespolizei prüfe bei allen Personen, d. h. auch aus allen Phänomenbereichen der Politisch Motivierten Kriminalität, soweit diese bei der Ausreise angetroffen werden, ob einzelfallspezifisch gefahrenbegründende Erkenntnisse vorliegen, die in der Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtsgüterabwägung Ausreiseuntersagungen an der Grenze erforderlich machen würden.

Gutsche selbst erwägt laut dem nd eine Klage gegen das Ausreiseverbot.

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KOLUMNE – NAFRICHTEN

Erstellt von DL-Redaktion am 24. März 2023

Norbert Lammert in Namibia: – Wenn Almans sich blamieren

Von       :     Mohamed Amjahid

Ex-CDU-Bundestagspräsident Norbert Lammert hat Namibias Präsidenten über chinesischen Einfluss belehrt. Das sind eurozentrische Analysen.

Wie sehr kann sich ein Alman im Ausland blamieren? Norbert Lammert: Ja! Der ehemalige CDU-Bundestagspräsident und aktuelle Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung war 2018 zu Besuch in Namibia. Ein Auszug aus einem Gespräch zwischen Lammert und dem namibischen Präsidenten Hage Geingob macht seitdem vor allem in afrikanischen Medien die Runde. Zu sehen ist zunächst, wie Norbert Lammert in selbstgefälligem Ton Geingob vor der Präsenz Chinas in Namibia warnt. „Die Zahl der Chinesen, die hier in Namibia leben, ist viermal so hoch im Vergleich zur deutschen Community“, sagt Lammert.

Geingob sitzt zurückgelehnt in einem Sessel und stoppt Lammert früh: Der namibische Präsident fragt lächelnd, was so grundsätzlich das Problem des weißen Mannes sei. Lammert brauche niemanden zu belehren und solle lieber über Deutsche (und ihre Verbrechen in Namibia) reden. „Während wir Deutsche ohne Visum und auf dem roten Teppich in unser Land lassen, werden wir in Deutschland regelrecht misshandelt“, sagt Geingob. Lammert bleibt nichts übrig, als die Fresse zu halten.

Wer wird wer in seinen Clan Missliebig fliegt um die Welt und redet ganz salopp – Schrott

Es existieren einige eurozentrische Analysen, dass in vielen Gesellschaften des sogenannten Globalen Südens die chinesische und russische Propaganda so stark seien, dass viele Menschen und Regierungen auf dieser Welt ihre Solidarität mit der Ukraine und ihren westlichen Verbündeten verweigern. Es stimmt, dass diese Propaganda-Maschinen weltweit aktiv sind und die Interessen Chinas und Russlands forcieren. Was aber auch stimmt: Es braucht keinen Putin, damit die Menschen im sogenannten Globalen Süden skeptisch gegenüber westlichen Interessen eingestellt sind. Schuld an dieser Skepsis ist der Westen selbst.

Verbrannte Erde

Wo immer man hinschaut, haben vor allem die USA und europäische Regierungen verbrannte Erde hinterlassen: Die Diktatur von Augusto Pinochet in Chile konnte nur mit Hilfe der USA aufrechterhalten werden, der Vietnamkrieg prägte eine ganze Generation und in diesen Tagen jährt sich die Invasion des Irak zum zwanzigsten Mal. Eine militärische Aggression, die bekanntermaßen auf Lügen fußte. Viele schlimme Dinge sind in den vergangenen 500 Jahren passiert und die Menschen vergessen nicht so einfach: Kolonialismus, postkoloniale Machtgefälle, westliche Koalitionen mit autoritären Regimen, unzählige Norbert Lammerts, die ihre Rolle übertreiben.

Quelle        :       TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Oben     — „Was uns leitet – Eckpfeiler einer bürgerlichen Kultur“ Dr. Norbert Lammert „Verfassungspatriotismus statt Leitkultur? Alte Auseinandersetzungen und neue Einsichten“ … Abbildung: Porträtfoto Plakatart: Ankündigungsplakat Auftraggeber: CDU Fraktion im Hessischen Landtag Objekt-Signatur: 10-031 : 40002 Bestand: CDU-Plakate ( 10-031) GliederungBestand10-18: Landtagsfraktionen Lizenz: KAS/ACDP 10-031 : 40002 CC-BY-SA 3.0 DE

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Politik Systeme + die Ämter

Erstellt von DL-Redaktion am 22. März 2023

Solidarität mit Wilfried Porwol

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Von:   Jimmy Bulanik

der Künstler Wilfried Porwol benötigt die Solidarität der Menschen. Kalkar ist ein Ort im Kreis Kleve, in dem die „AfD“ mehrfach einen Parteitag abgehalten hat. Auch die Menschen, welche im Bundesland Nordrhein – Westfalen am Ostermarsch teilgenommen haben, kennen Kalkar.

In Kalkar steht in der Öffentlichkeit ein Objekt, welches an jene gedenken soll, welche sich im zweiten Weltkrieg an Kriegsverbrechen wie Völkermord verantwortlich und schuldig gemacht haben. Auf der Rückseite des Objektes wurde ein Zitat von Adolf Hitler in Stein gemeißelt.

Der Künstler, Wilfried Porwol hat seit vielen Jahren mehrfach den Kontakt zur Justiz in Nordrhein – Westfalen. Weil der Humanist dieses Objekt farblich verändert hat. Da es nicht würdig ist, in der Öffentlichkeit zu stehen und geehrt zu werden.

So wurde Wilfried Porwol vom Gericht zu Geldstrafen verurteilt, weil er seinem Gewissen gefolgt ist. Nun benötigt dieser Spenden um den Rechtsstaat zu beschäftigen.

Spendenkonto:
Kontoinhaber: Werner Steinecke
IBAN: DE41 32 45 00 00 1030 56 95 19
Verwendungszweck: Denk Mal
Sparkasse Rhein Maas

Wilfried Porwol geht es bei Gericht darum, dass anerkannt wird, dass dieses Objekt nichts zum öffentlichen Gedenken ist, geschweige zur Staatsräson dieser Republik im Herzen der Europäischen Union gehört. Wie wichtig es ist, sich gegen den Rechtsextremismus einzusetzen, zeigt eine aktuelle politische Straftat am Mittwoch, den 15.03.2023, im Kreis Kleve in der Gemeinde Kranenburg. Dort wurden in der Öffentlichkeit Hakenkreuze angebracht, weshalb derzeit die Justiz im Bundesland Nordrhein – Westfalen wie die Polizei in Krefeld und die Staatsanwaltschaft Kleve in der politischen Strafsache der Sorte Rechtsextremismus ermittelt. Laut dem Leiter der Pressestelle des Polizeipräsidium Krefeld, Bernd Klein lautet das Aktenzeichen bei der Polizei Krefeld: 23 03 15 – 18 30 A 09 58.

Die beschauliche, niederrheinische Gemeinde Kranenburg mit der direkten Grenze zum Königreich der Niederlanden befindet sich an der historischen Liberation Route Europe. Das ist es, wofür es sich lohnt in der Öffentlichkeit zu gedenken. Dafür haben massenhaft gute Menschen aus diversen Ländern der alliierten Kräfte einen finalen Preis gezahlt.

Dieses Objekt in Kalkar ist ein Schandfleck im Kreis Kleve. Dies zu beenden ist eine Aufgabe der Politik. Ob für die Bürgermeisterin Britta Schulz britta.schulz@kalkar.de, den Landrat des Landkreis Kleve Christoph Gerwehrs christoph.gerwers@kreis-kleve.de oder den Bundestagsabgeordneten Stefan Rouenhoff für den Wahlkreis 112 stefan.rouenhoff@bundestag.de. Aus dem gesamten Bundesgebiet dürfen diese Personen angeschrieben werden.

Es sind die natürlichen Personen, welche die Staatsräson definieren. Deshalb sollten alle von ihrem Grundrecht Gebrauch machen, welches sakrosankt bleiben werden wird. Diese Emails kosten kein Geld für das Porto.

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Es bedarf einzig und allein des guten Willens dazu. Für die Gesellschaft im Kreis Kleve gibt es nichts an diesem Objekt der Schande im Kontext des zweiten Weltkrieges zu gewinnen. Eher ist das Entfernen dessen ein humanistisches Signal mit Strahlkraft.

Die Zukunft wird das sein, was die Menschen daraus gestalten. Darin gibt es viel Positives zu bewahren als auch zu gewinnen. Mitunter für die Generationen an Kindern, welche in der Zukunft geboren werden.

Dass diese durch unser Streben gänzlich profitieren werden, die Kapazitäten frei haben werden, sich ihren Aufgaben und Herausforderungen widmen zu können, denn das Thema der Gerechtigkeit wird zeitlos bleiben.

Jimmy Bulanik

Nützliche Links im Internet:

Lied van de vrijheid

www.youtube.com/watch?v=TaDl1MH9sm4

Hannie Schaft

www.youtube.com/watch?v=YeBJjgnMXtg

Ode an die Freude (Flashmob)

www.youtube.com/watch?v=kbJcQYVtZMo

Liberation Route Europe

www.liberationroute.com/de

Pressemitteilung der Polizei Kleve zu den öffentlich angebrachten Hakenkreuze in Kranenburg

www.presseportal.de/blaulicht/pm/65849/5465176

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Grafikquellen   :

Oben       —   Marktplatz im Zentrum von Kalkar

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Krise, welche Krise ?

Erstellt von DL-Redaktion am 21. März 2023

Die Situation ähnelt der „Flüchtlingskrise“ von 2015.

Die EU erschwert es zwischen Verbrecher und Politikrt-innen zu Unterscheiden

Ein Debattenbeitrag von Daniel Bax

Doch die Debatte über ukrainische Geflüchtete verläuft völlig anders. Der Grund dafür ist Rassismus. Ein Zwei-Klassen-Asyl widerspricht den Werten, für die Europa sich sonst so gerne rühmt.

Was für einen Unterschied die Herkunft geflüchteter Menschen doch macht! Deutschland sieht sich zum zweiten Mal in kurzer Zeit mit einer großen Fluchtbewegung konfrontiert. Doch es geht damit völlig anders um als beim letzten Mal. Bis vor einem Jahr lautete das Mantra noch, „2015“ dürfe sich nicht wiederholen. Nun erleben wir mit der Massenflucht aus der Ukraine eine vergleichbare Krise wie zwischen 2014 und 2016, als Hunderttausende vor den Kriegen in Syrien, Irak und Afghanistan nach Europa flohen. Aber niemand kritisiert, Scholz habe „die Grenzen geöffnet“, oder zieht in Zweifel, dass ihre Aufnahme grundsätzlich „zu schaffen“ ist. Niemand fordert eine „Obergrenze“ für Geflüchtete aus der Ukraine. Nicht einmal von einer „Flüchtlingskrise“ ist die Rede – und das, obwohl allein aus der Ukraine schon jetzt mehr neue Flüchtlinge in Deutschland gezählt wurden als zwischen 2014 und 2016 zusammen.

Gewiss: Auch jetzt ächzen Städte und Kommunen unter dem Andrang so vieler Menschen, die Schutz und ein Dach über den Kopf brauchen. Auch jetzt lud die Regierung deshalb wieder zu einem „Flüchtlingsgipfel“, wo um Geld und die gerechte Verteilung von Geflüchteten gestritten wurde. Und auch jetzt regt sich mancherorts Unmut und rechter Protest. Aber im Vergleich zu 2015 verläuft die Debatte vernünftig, rational und gesittet – ganz anders als zwischen 2014 und 2016, als Gewalt und Untergangsstimmung herrschten. Damals hetzte die rechtsradikale Pegida-Bewegung auf den Straßen gegen „Bahnhofsklatscher“ und „Invasoren“. Mehr als Tausend Angriffe auf Flüchtlingsheime registrierten die Behörden 2015, im Jahr darauf nochmals genauso viele.

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Ich bin der Gauck – ich verspritze meine eigene Jauche

Namhafte Publizisten wie Rüdiger Safranski warfen der Regierung vor, Deutschland mit Flüchtlingen zu „fluten“. Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck salbaderte, unsere Herzen seien zwar weit, doch unsere Möglichkeiten begrenzt. Und Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo entschuldigte sich quasi dafür, dass die Medien anfangs zu viel Mitgefühl gezeigt hätten.

Jetzt, wo noch mehr Flüchtlinge als damals in Deutschland Zuflucht suchen, nur diesmal aus der Ukraine, sind diese Stimmen verstummt. Selbst der spärliche Rest der Pegida-Bewegung demonstrierte zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine nur noch für „Frieden“ und hetzte nicht gegen die Menschen, die von dort flüchten.

Es ist nun nicht so, dass Menschen aus der Ukrai­ne keinen Rassismus kennen würden. Vorbehalte gegen Ost­eu­ro­päe­r*in­nen haben in Deutschland eine lange Tradition. Noch im Jahr 2004 musste sich die damalige rot-grüne Bundesregierung von der CSU vorwerfen lassen, „Schwarzarbeit, Prostitution und Menschenhandel“ begünstigt zu haben, weil sie die Visa-Vergabe für Ukrai­ne­r*in­nen erleichtert hatte. Seit 2017 dürfen ukrainische Bür­ge­r*in­nen sogar visumsfrei nach Europa reisen.

Die geopolitische Lage ist der Grund dafür, dass sich der Wind gedreht hat. Seit dem 24. Februar vergangenen Jahres gehört die Ukraine zu Europa, wenn man der offiziellen Rhetorik glauben mag. Auf Grundlage der „Massenzustrom-Richtlinie“ der EU dürfen Flüchtlinge von dort seit dem 3. März 2022 frei nach Europa reisen. Dieser humanitären Willkommenskultur möchten sich nur wenige verschließen. Und anders als 2015, als die Hilfsbereitschaft in breiten Teilen der Bevölkerung nur anfangs sehr groß war, ist die positive Stimmung gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine auch nach einem Jahr noch fast immer ungetrübt.

Natürlich spielt es eine Rolle, dass vor allem Frauen und Kinder nach Deutschland kommen und sie vor einem Krieg in der Nähe fliehen. Aber der Hauptgrund, warum sie anders aufgenommen werden als viele Flüchtlinge vor ihnen, ist schlicht: Rassismus. Nirgendwo zeigt sich das so krass wie im Nachbarland Polen. 2015 wehrte sich Polen strikt dagegen, nur ein paar Tausend Flüchtlinge aufzunehmen, und wollte höchstens Christen Asyl gewähren. Noch im Herbst 2021 verhängte die Regierung an ihrer Ost-Grenze den Ausnahmezustand, weil dort ein paar Tausend Menschen aus dem Irak und Afghanistan campierten, die aus Belarus nach Europa gelangen wollten. Nun hat Polen in kurzer Zeit über 1,5 Millionen Menschen aus der Ukraine aufgenommen, so viel wie kein anderes Land in Europa. Polen kann also, wenn es will. Plötzlich ist es auch okay, dass Flüchtlinge einfach von dort aus weiterziehen, wohin sie wollen.