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Archiv für die 'Bildung' Kategorie

Ziemlich unsensibel

Erstellt von Redaktion am 23. September 2021

Geschlechtergerechte Sprache

Von Dörte Stein

Gendersternchen schaffen neue Hürden und schließen jene, die wenig oder nicht lesen können, aus. Sprache sollte nicht unnötig verkompliziert werden.

Die Kanzlerkandidaten und die Kanzlerkandidatin stolpern sich im Wahlkampf durch ihre Glaubenssätze zum Gendern. Obwohl die Gleichstellung von Männern und Frauen mittlerweile gesellschaftlicher Konsens ist, herrscht ein erbitterter Streit darum, ob und wie diese sprachlich abgebildet werden soll. Vom Gesetzesentwurf im „generischen Femininum“ bis zu „Genderwahn“ und „Sprachpolizei“ – in der überhitzten Debatte verlieren wir aus dem Blick, worum es wirklich geht: Inklusion. Es ist Zeit, den ungelösten Widerspruch zwischen geschlechtergerechter Sprache und Barrierefreiheit in den Fokus zu rücken.

Um gleich mit einem verbreiteten Irrtum aufzuräumen: Der Gender-Doppelpunkt ist nicht barrierefrei, ebenso wenig wie das Sternchen. Cordula Schürmann, Prüferin bei der Bundesvereinigung LebenshilfeGendersprache schafft Irritationen, die teils sogar gewollt sind, um für geschlechtliche Vielfalt zu sensibilisieren. Relativ unsensibel ist dieses Vorgehen jedoch im Hinblick auf die Barrierefreiheit. Die angeblich „diskriminierungsfreie“ Sprache schafft Hürden, die anderen Menschen die Teilhabe erschweren.

„Erschwert wird das Textverständnis für Menschen mit sehr geringen Lesekompetenzen (Adressierte der Leichten Sprache) oder Leseungeübte (Adressierte der Einfachen Sprache, etwa 40 Prozent der Bevölkerung). Wegen der komplizierteren Rechtschreibung und Grammatik wird es schwieriger, die Schriftsprache zu erlernen. „Bei geübten Lesenden sinkt die Lesegeschwindigkeit, bei weniger geübten auch die Lesemotivation“, sagt der Soziologe Wolfgang Beywl.

Barrierefreiheit ist im Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung verankert und soll in allen öffentlichen Einrichtungen umgesetzt werden, das gilt auch für Information und Kommunikation. Jedoch wird dem Thema weit weniger Beachtung geschenkt als der sprachlichen Gleichstellung der Geschlechter.

Es bricht kein Shitstorm aus bei Texten, die für viele nicht zugänglich sind, zum Beispiel für Menschen mit Lernschwierigkeiten, Seh- oder Hörbehinderung, aber auch Autismus, Demenz oder Schlaganfall. Nicht zu vergessen Kinder und Alte. Um Teilhabe für alle Menschen zu ermöglichen, sollte die öffentliche Sprache einfach und verständlich sein. Aus diesem Grund verbieten Sachsen und Schleswig-Holstein nicht das Gendern, sondern das Sternchen an Schulen. Sie wollen geschlechterneutrale Sprache nach den Regeln des Rates für deutsche Rechtschreibung.

So wird im Saarland gegendert ! Wer erkennt sie nicht ?

Da sich die geschlechtergerechte Sprache in einer Experimentierphase befindet, gibt es keine festen Regeln. Sie ist uneinheitlich und widersprüchlich, sie verschiebt die Bedeutung von Sonderzeichen und grammatischen Formen. Wer ohnehin schon Schwierigkeiten mit dem Lesen oder dem Sprachverständnis hat, braucht keine zusätzlichen Hürden. Domingos de Oliveira, Dozent und Referent für Inklusion und digitale Barrierefreiheit, ist weder für noch gegen eine gendergerechte Sprache.

Die bisher üblichen Formen hält er jedoch für ungeeignet: „Da jede Gendervariante bei Text und Sprache gängige Konventionen verändern muss und damit komplizierter macht, trägt keine davon in unserem Sinne zur Barrierefreiheit bei. Es wäre wünschenswert, wenn sich die Betroffenen-Gruppen auf eine für alle Seiten akzeptable Variante einigen.“

Viele blinde und sehbeeinträchtigte Menschen nutzen eine Sprachausgabesoftware, die Sonderzeichen vorliest, weil das Sternchen, der Unterstrich und der Doppelpunkt noch andere Funktionen erfüllen müssen, als auf geschlechtliche Vielfalt hinzuweisen. Dennoch können die Gendermarker nicht einfach ausgeblendet werden, denn das würde die Sprache vom Schriftbild entkoppeln und letztlich Blinde aus der politisch korrekten Sprache ausschließen.

Teilnehmende und Abteilungsleitung

Quelle         :          TAZ         >>>>>           weiterlesen

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Oben     —   Aufkleber auf einem Hinweis­schild in Kiel an der Hörnbrücke (2015)

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Streiken und Besetzen

Erstellt von Redaktion am 22. September 2021

Bildungspolitik kommt im Wahlkampf zu kurz.

Deutscher Bundestag

Hier sprechen Doktoren,  Professoren und Justiziare über die Bildungswege ihrer persönlichen  Orientierungsstufen ?

Ein Schlagloch von Matthias Greffrath

Bisweilen liegen gerade hier die Parteienvorstellungen weit auseinander. Und es braucht neue Ideen. Schule muss die Fähigkeiten zur Selbstständigkeit, zur Balance von Selbstsorge und Gemeinwohl entwickeln.

Ein Thema hat in all diesen Triellen keine Rolle gespielt: Schule und Bildung. Und das ist erstaunlich, denn weniges hat ein Jahr lang Millionen von Familien und Hunderttausende von Lehrern mehr gequält. Und kaum ein Thema hätte sich besser zum Streiten geeignet. Auf der einen Seite die nationalmeritokratische Fraktion – etwa der FDP: Wir brauchten „die weltbeste Bildung“, die früheste Förderung, um „die Leistungsbereitschaft eines jeden zu entfesseln, damit der Wohlstand in Deutschland zu Hause bleibt“.

Am entgegengesetzten Pol die ewigen reformpädagogischen Ideen von Ganztagsschule „mit mehr Zeit zum Lernen, ohne die Angst vorm Scheitern“, mehr Lehrerinnen und Lehrern, „ganzheitlicher Bildung, wo jedes Kind ein Instrument erlernen, Theater spielen, Schwimmen lernen kann“.Im Augenblick fließt Geld für die schnelle Digitalisierung, die als pädagogische Wunderwaffe propagiert wird.

Eine neue Bildungsidee müsste sehr viel weiter ausgreifen. Natürlich brauchen wir Grundfertigkeiten und Wissen, um zu verstehen und gestalten zu können: als Klempnerin oder Sozialarbeiter, Arzt oder Polizistin, Pfleger oder Ministerin. Vieles von diesem Wissen lässt sich mit der Hilfe von Software aneignen. Das schafft Raum. Denn angesichts einer Zukunft voller Engpässe, zunehmender Verteilungskämpfe, wachsender Ohnmachtsgefühle, angesichts der Angriffe der Medienindustrie auf Lebenszeit und Gemüt wird es zur vornehmlichen Aufgabe der Schule, die Fähigkeiten zur Selbstständigkeit, zur Balance von Selbstsorge und Gemeinwohl zu entwickeln, zum Mut, Neues zu wagen.

Alle Pädagogik seit Sokrates, Comenius, Rousseau und Pestalozzi hat auf die Schule als Sozialraum gesetzt, als Ort, an dem ich auf Erwachsene treffe – Lehrer und möglichst auch andere –, die mich fordern, die mich überraschen, Persönlichkeiten, an denen ich mich abarbeite, die mir etwas vormachen, vorlegen, vorleben. Die meine Leidenschaft oder meinen Widerstand entzünden.

Zeichnung: Jens Spahn sagt "Hartz 4 bedeutet nicht Armut"; in seiner Hand ein Bündel Scheine (Monatsgehalt), im Hintergrund sind Dienstwagen und freies Zugfahren angedeutet.

Reden wir heute nicht über Merkel sondern von Spahn, oder Scheuer, oder, oder ! Wer würde nicht vom Pfusch am Bau sprechen würde ein Gesundheitsminister als Maurer auf dem Bau die gleiche Qualität abliefern? 

Vieles an der Organisation des Lernwesens bremst solche Lehrer aus, Rahmenpläne sehen so etwas wie Charakterbildung (sorry für das alte Wort) nicht vor. Das Beste wäre also, so schlägt es Gerald Hüther in seinem neuesten Buch vor, die Schule würde sich auf das konzentrieren, „was sie auch bisher schon gemacht (hat): Aufbewahrung, Unterricht, Leistungskontrollen, Vergabe von Zertifizierungen und Abschlüssen“. Zur Berufsschule werden also. Es wäre dann nicht mehr Aufgabe des Lehrers, die Heranwachsenden dazu zu befähigen, „ein gelingendes, sinnerfülltes und glückliches Leben“ zu führen. Wenn die Schule ihr Kerngeschäft ordentlich macht – die begeisterungsfreie Wissensvermittlung –, dann könnte, so die Konsequenz, alles, was man klassischerweise Menschenbildung nannte, was jetzt Potenzialentwicklung heißt, am besten den Kindern selbst überlassen bleiben oder von denen erledigt werden, die es mit Lust und Liebe und Zeit machen – oder als Geschäftsfeld entwickelt haben: in den Workshops und Events und Summercamps der Kreativitätsindustrie. Die Sparten Wissen und Werte zu trennen, das Schwarzbrot dem Staat und den Glanz der freudigen Erfahrungen privaten Unternehmern zu überlassen.

Die Logik, die hinter derlei Abhilfen steht, ist dieselbe, mit der Wirtschaftsliberale und Großverleger dem öffentlichen Rundfunk oktroyieren möchten, er solle sich auf das informationelle Schwarzbrot, also auf die Vermittlung von Kultur, Wissenschaft und Nachrichten beschränken – und die Unterhaltung, den Fußball und das Tingeltangel den Profitsendern überlassen. Aber solches Outsourcen führt dazu, das tragende Institutionen im Kern immer schlanker werden, das gilt für Krankenhäuser wie für Schulen und für die Demokratie insgesamt.

Quelle         :        TAZ-online        >>>>>        weiterlesen

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Oben     — In Demokratien sind Parlamente wichtige Orte der politischen Entscheidungsfindung – hier der Deutsche Bundestag (2020)

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Fehlende Chancengleichheit

Erstellt von Redaktion am 21. September 2021

Linke Parteien werden schon lange von Aka­de­mi­ke­r*in­nen beherrscht.

Flag of Die Linke

Von Karl-Martin Henschel

Das spielt rechtspopulistischen Parteien in die Hände.

Einst waren die linken Parteien Arbeiterparteien. Das ist anscheinend vorbei. Zwei Drittel der weißen Wäh­le­r*in­nen ohne Hochschulabschluss haben in den USA 2016 Donald Trump gewählt. Von Europa bis nach Australien – in allen wohlhabenden Demokratien werden linke Parteien nicht mehr von Arbeiter*innen, sondern überwiegend von Aka­de­mi­ke­r*in­nen gewählt. Was ist passiert?

Viele Po­li­ti­ke­r*in­nen erklärten seit den 1990er Jahren, Bildung sei die Lösung für die wirtschaftlichen Folgen der Globalisierung – für wachsende Ungleichheit, stagnierende Löhne und den Verlust von gutbezahlten Arbeitsplätzen in der produzierenden Industrie. Linksliberale Politiker wie Bill Clinton, Toni Blair, Gerhard Schröder und besonders Barack Obama haben durch die starke Betonung von Chancengleichheit durch Bildung mit dazu beigetragen, dass nichtakademische Berufe entwertet wurden.

Es entstand der Eindruck, dass der „Arbeiter“ nichts mehr zählt. Die Aussage von Obama, dass jeder Mensch eine Chance auf einen Hochschulabschluss habe, er müsse nur hart genug arbeiten, war keine Antwort auf die wachsende Ungleichheit in einer Gesellschaft, in der zwei Drittel der Bevölkerung keinen solchen bekommen. Tatsächlich war dies eine Diskriminierung der Mehrheit der Menschen, die das Gefühl haben mussten, selbst schuld zu sein und im Wettbewerb versagt zu haben.

Es ist offensichtlich falsch, in den populistischen Protesten nur Engstirnigkeit oder Wut auf die wachsende Ungleichheit zu sehen. Die Klagen und Proteste der Menschen, die Donald Trump gewählt haben, sind auch moralischer und kultureller Natur. Es geht ihnen nicht nur um Löhne und Arbeit, sondern auch um gesellschaftliche Wertschätzung.

83 Prozent im Bundestag haben Examen

Die weißen Männer in den USA ohne Hochschulabschluss fragen sich, warum Frauen, Farbige und Behinderte gefördert werden, sie aber als „White Trash“ diskriminiert und in Fernsehsendungen als „dumm“ und „ungebildet“ dargestellt werden, wie zum Beispiel Homer Simpson. Der US-Philosoph Michael Sandel spricht daher von einer Meritokratie. Im US-Kongress haben 95 Prozent der Abgeordneten einen akademischen Grad.

Im Bundestag sind es 83 Prozent, während nicht mal 2 Prozent einen Hauptschulabschluss haben. Auch in der Wirtschaft hat sich der Glaube an Zeugnisse immer mehr verbreitet. Heute darf man ohne Uni-Abschluss kaum noch eine Gruppe leiten. Wenn dann noch der Eindruck entsteht, dass die „smarten“ Hochschulabsolventen arrogant auf die Mehrheit der Bevölkerung, die nicht studiert hat, herabschauen, erwächst daraus ein Hass, der sich nicht primär gegen die „Reichen“, sondern vor allem gegen die Bildungselite wendet.

Das ist der Sprengstoff für linke und auch grüne Politik. Nur ein Drittel der Anhängerschaft der Republikaner in den USA bewerten höhere Bildung positiv. Auch die AfD spielt auf dieser Klaviatur, plakatiert „Deutschland – aber normal“, um so anti­elitäre Gefühle zu mobilisieren. Die Betonung der Chancengleichheit erweckt den Eindruck, dass damit etwas gegen die Ungleichheit getan wird. Das wirkte jedoch um so unglaubwürdiger, je mehr dies immer stärker in Kontrast mit der Wirklichkeit geriet.

Denn tatsächlich landete der Einkommenszuwachs seit den 1980er Jahren nur bei den oberen Einkommen. Das Realeinkommen der ärmeren Hälfte der Bevölkerung ist in den USA in den letzten 40 Jahren sogar gesunken. Das reichste 1 Prozent bekommt mit über 20 Prozent des Gesamteinkommens mehr als die ärmeren 50 Prozent, die nur 12 Prozent erhalten.

Arme werden noch ärmer

Auch in Deutschland hat die Ungleichheit dramatisch zugenommen. Der Anteil der unteren Hälfte der Bevölkerung am Gesamtvermögen fiel seit 1980 von 5 Prozent auf unter 2 Prozent. Dazu hat erheblich die Abschaffung der Vermögenssteuer und das Amputieren der Erbschaftssteuer beigetragen. Allerdings sind die Zahlen in Deutschland noch deutlich von denen in den USA entfernt.

Chancengleichheit klingt also gerecht. Aber das Konzept der Leistungsgesellschaft beinhaltet ein grundsätzliches ethisches Problem. Denn selbst wenn echte Chancengleichheit hergestellt würde, stellt sich die Frage, ob und wann der Erfolg eines Menschen tatsächlich sein Verdienst ist. Dass ein Baseballspieler in den USA Millionen verdient, in Europa dagegen nicht, ist einfach Zufall. Intelligenz ist teilweise auch angeboren. Natürlich gehört zum Erfolg fast immer auch Fleiß und harte Arbeit.

Aber auch diese hängen erheblich von motivierenden Eltern oder Leh­re­r*in­nen ab. Wenn aber die Menschen nicht alle gleiche Anlagen und Ausgangsbedingungen haben, dann kann weder Schulerfolg noch hohes Einkommen ein Wertmaßstab für die Beurteilung von Menschen sein. Deshalb sollte man Arbeit und Engagement jedes Menschen anerkennen und würdigen. Dagegen hat der ökonomische Erfolg nichts mit Verdienst für die Gesellschaft zu tun.

Eine Ver­käu­fe­r*in oder eine Kran­ken­pfle­ge­r*in leisten sicher mehr für die Gesellschaft als ein Börsenspekulant, der das Hundertfache an Geld verdient, aber nicht „verdient“. Daher sind die einseitige Betonung von Leistung und Bildung und die Aussage „Jede*r kann es schaffen – durch harte Arbeit“ demütigend für die zwei Drittel der Bevölkerung, die keinen Hochschulabschluss haben – es also nicht geschafft haben.

Leistung und Verdienst bedingt sich nicht

Quelle         :           TAZ-online            >>>>>          weiterlesen

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Oben      —     Flag of Die Linke

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Unten      —       Lorenzkurve der Einkommens- und der Vermögensverteilung in Deutschland (2005/2007)

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Das Interview der Woche

Erstellt von Redaktion am 18. September 2021

„Dem Markt sind Menschenegal.  – Mir nicht“

Eckart von Hirschhausen.jpg

Das Interview mit Eckhard von Hirschhausen führte Peter Unfried

Der Moderator und Mediziner Eckart von Hirschhausen engagiert sich jetzt für Klimapolitik. Ein Gespräch über tödliche Hitze, Motivations­probleme und Grenzen des Kapitalismus.

Am Montagmorgen dieser Woche kommt Eckart von Hirschhausen mit einem Elektroroller die Luisenstraße in Berlin-Mitte heruntergefahren. Vor einem Selbstbedienungscafé stoppt er. Unterm Arm trägt er einen Anzug, den er in ein paar Stunden in der Bundespressekonferenz tragen wird, um über „Diabetesprävention und Klimaschutz“ zu sprechen.

taz am wochenende: Herr von Hirschhausen, Sie gehören zu Deutschlands populärsten Fernsehstars und moderieren Samstagabendshows. Nun engagieren Sie sich sehr intensiv für Klimapolitik. Das irritiert manche.

Eckart von Hirschhausen: Wir leben in irritierenden Zeiten, und da finde ich es gut, dass sich in der Wahlkampfzeit sehr viele Prominente für eine wirksame Klimapolitik engagieren und – Gott sei Dank – auch versuchen, ihr öffentliches Gewicht dafür in die Waagschale zu werfen. Mein Buch „Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben!“ mache ich nicht als Fernsehmoderator, sondern ich mache das als Arzt, als Wissenschaftsjournalist­, als Mitbegründer von Scientists for Future und als Gründer der Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“. Das ist ein Unterschied.

Sie sind bisher nicht als Wahlkämpfer aufgefallen.

Stimmt, ich habe mich noch nie im Wahlkampf eingemischt, das ist neues Terrain. Und das tue ich auch nicht für eine Partei, sondern ganz klar für ein Thema, in dem natürlich unterschiedliche Parteien schon unterschiedlich viel vorgearbeitet haben. Ich bringe jetzt das ein, was meiner Ansicht nach bisher fehlte im Diskurs.

Was ist das?

Der Zusammenhang von Klimakrise und Gesundheit. Das halte ich tatsächlich für einen Gamechanger. Und ich halte auch 2021 für ein Jahr, in dem ein social tipping point erreicht wird, also in dem viele Menschen plötzlich kapieren, dass die Klimakrise nicht ein theoretisches physikalisches Problem von Eisbären ist. Da hat die unmittelbare Gesundheitsrelevanz bisher gefehlt.

Was heißt das konkret?

Wir sind, zum Beispiel, ein Land mit massiven Hitzetodesfällen. Darüber wird kaum gesprochen, weil die Leute eben nicht dramatisch wie bei der Flutkatastrophe alle in einer Nacht versterben, sondern über einen längeren Zeitraum, eine stille Katastrophe. Es sind dieses Jahr bereits mehr als zehnmal so viele Menschen durch Hitze gestorben als durch die Flutkatastrophe. Das macht aber keine Schlagzeilen. Wir haben immer so getan, als wäre Hitze nur unangenehm. Aber Hitze tötet. Und lange bevor sie tötet und wir einen Herzinfarkt haben, ist auch unsere Laune, unsere Produktivität, extrem davon abhängig, dass wir einen kühlen Kopf haben. Hitze macht mega-aggressiv. Das erklärt auch, warum Menschen unter Hitze mehr Fehler machen, es mehr Unfälle, mehr Sui­zide gibt. Als ich noch als Arzt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Berlin gearbeitet habe, habe ich das selbst erlebt, wie stark auch die seelische Gesundheit unter Hitze leidet. Das sind alles Themen, die bisher in der Diskussion kaum vorkommen. Ich will einer der Motoren sein, damit sich das ändert. Schauen Sie sich hier diesen Turm von der Berliner Charité an …

… der steht da die Straße runter …

… das ist ein Treibhaus. Total absurd. Ein modernes Gebäude, bei dem überhaupt nicht über Hitzeresilienz nachgedacht wurde. Das heißt nicht umsonst Treibhauseffekt. Wenn Wärme reinkommt, aber nicht mehr raus, sitzen wir in der Falle. Und da können wir uns auch nicht rauskaufen. Bei 41 Grad Körperkerntemperatur ist für den Menschen Schluss. Das versteht jeder, und deswegen glaube ich, dass die medizinischen Metaphern geeignet sind, den Leuten die Dringlichkeit klarzumachen: Wir sind in einer lebensbedrohlichen Situation.

„Hirschhausen ist ein Aufklärer, aber er spaltet nicht“, schreibt der Publizist Nils Minkmar über Ihr Buch. „Er geht mit schlechtem Beispiel voran und sucht dann den Rückweg.“ Trifft das Ihre Strategie?

Ja, ich schreibe ein subjektives Sachbuch, persönliche Geschichten, auch über die eigenen Verstrickungen als „aufgeklärter Verschmutzer“. Es sind ja gerade die Menschen, die am meisten über Umwelt reden, die objektiv einen höheren Fußabdruck haben, weil sie gebildeter und reicher sind, sich eine größere Wohnung, mehr Autos und Urlaube leisten können. Diese Widersprüche gelten auch für mich.

Sie lähmen Sie aber nicht mehr?

Nein, das habe ich abgelegt. Du musst nicht perfekt sein, um den Mund aufzumachen. Es hilft, wenn man sich vorher ein bisschen schlau gemacht hat.

Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie Sie im Hitzesommer 2018 im Alter von über 50 plötzlich die Dimension der Klimakrise verstanden haben. Warum hat das so lange gedauert?

Durch die Fridays wurde ich unsanft daran erinnert, wofür ich mich mit 17 schon eingesetzt habe. Mich hat auch die Begegnung mit der Verhaltensforscherin Jane Goodall geprägt, die mich fragte: Wenn wir Menschen immer behaupten, die schlauesten auf diesem Planeten zu sein, warum zerstören wir dann unser Zuhause? Davor war ich der Doktor, der erst mal Medizin erklärt, der sich mit positiver Psychologie auskennt, der über Glück spricht und über Prävention. Dann wurde mir klar, dass die Klimakrise die größte Gesundheitsgefahr im 21. Jahrhundert ist, das aber bei ganz vielen im Gesundheitswesen noch überhaupt nicht angekommen ist. Menschen mit Vorerkrankungen sind extrem gefährdet, etwa Diabetiker. Das sind inzwischen acht Millionen Menschen in diesem Land. Und deswegen finde ich als Arzt all das so wichtig, was die Politik der letzten Regierung nicht getan hat und was wir jetzt dringend brauchen: Verkehrswende, Energiewende, Agrarwende.

Das ist alles gesundheitsfördernd?

Und wie. Das ist kein „Verzicht“ sondern Win-win! Wenn wir autofreie Innenstädte hätten und die Leute mehr Fahrrad fahren können, ohne von einem übermüdeten Lkw-Fahrer beim Rechtsabbiegen getötet zu werden, dann haben wir weniger Übergewicht, weniger Herzinfarkte und Schlaganfälle. Wenn du dich nach der „Planetary Health Diet“ pflanzenbasiert ernährst und wir, wie in Dänemark, eine Quote haben von Bioessen in öffentlichen Kantinen, Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern, dann sind die Leute gesünder, haben weniger kardiovaskuläre Erkrankungen. Weniger Pestizide, weniger Parkinson. Wenn wir weniger Feinstaub einatmen, haben wir auch weniger Lungenerkrankungen, aber auch weniger Demenz und Diabetes.

Was ist der Zusammenhang?

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Die kleinsten Feinstaubpartikel sind die fiesesten. Die kommen durch die Lunge direkt in die Blutbahn und dann in jedes Organ. Der Körper versucht verzweifelt, diese winzigen Fremdkörper loszuwerden, es kommt zu chronischen Entzündungen. Feinstaubbelastung korreliert mit vielen Erkrankungen, die man erst mal überhaupt nicht damit zusammenbringt: Psychosen, Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, Entzündungen der Gefäße, die bei Schlaganfall und Herzinfarkt der Auslöser sind – und eben Diabetes. Und, und, und. Das wurde lange ignoriert. Aber inzwischen gibt es dafür eine Offenheit in der Gesundheitsbranche, die ja tendenziell sehr konservativ und auch sehr apolitisch ist.

Ist sie das?

Ja, außer für ihre eigenen Belange haben sich die Ärzte – bis auf die Ärzte gegen den Atomkrieg – selten engagiert. Aber da wächst auch etwas. Gerade hier in Berlin gibt es jetzt tolle Allianzen. Das finde ich auch das Plakative und Erhellende an der Coronapandemie: Wir verstehen dadurch besser, dass wir Gesundheit nicht auf der individuellen Ebene lösen können, sondern dass nur die Gemeinschaft Schutz und Immunität geben kann.

Nun versuchen ja engagierte Leute seit Langem klar zu machen, dass die Klimakrise nicht nur die Eisbären bedroht, sondern Freiheit, Demokratie, Sicherheit, Wohlstand der Leute. Warum ist Gesundheit für Sie der Schlüssel für klimapolitische Mehrheiten?

Wenn die Ärztin, der Arzt etwas sagt, hat das immer noch Gewicht. Auch bei Menschen, die Politik nicht so glaubwürdig finden. Das ist der Hebel, der bisher noch unzureichend genutzt wurde. Die Menschen sind sehr unterschiedlich in ihrer politischen Weltanschauung, aber die Gesundheit ist allen wichtig. Auch die der Kinder und Enkel.

Sie haben unlängst einen ARD-Tagesthemen-Kommentar gesprochen, indem Sie sich gegen solche Begriffe wie „Jahrhundertflut“ verwahrt haben.

Quelle          :          TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquelle :

Oben      —   Eckart von Hirschhausen

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2.) von Oben       —        Das Bettenhaus, Blick vom Dach des Reichstags

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Kinder + Corona Pandemie

Erstellt von Redaktion am 2. September 2021

Warum wird Kindern so viel zugemutet?

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Eine Kolumne von Sascha Lobo

In vielen Bundesländern hat die Schule schon wieder angefangen, doch effektiven Coronaschutz für Kinder gibt es noch immer nicht. Der Grund dafür ist so alt wie traurig.

Am 1. September 2021 befinden wir uns im Jahr zwei der globalen Pandemie, die 20 Monate zuvor im Januar 2020 auch in Europa begonnen hatte. Vor diesem Hintergrund lässt sich frohen Mutes ein kleines Ratespiel veranstalten: Wieviel Euro Förderung des Bundes sind bereits für mobile Luftfilteranlagen in Kindergärten und Schulen geflossen? An die Orte also, wo sich nach den Sommerferien die größten Ansammlungen Ungeimpfter in geschlossenen Räumen befinden?

Die richtige Antwort dürfte lauten: Null Euro. Wenn nicht in den letzten Tagen blitzartig Gelder geflossen sind, von denen wir noch nicht wissen. Doch das ist eher unwahrscheinlich – womit wir bei den zwei Gründen für dieses erstaunliche Versäumnis wären. Einer davon ist konkret, der andere lässt einen vor Wut rasen.

Der konkrete ist, dass entsprechende Anträge seit dem 27. August 2021 überhaupt erst gestellt werden können. Ging vorher nicht, weil – je nachdem, wen man fragt – entweder der Bund oder die Länder blockierten, irgendeine Unterschrift fehlte und eine Verwaltungsvorschrift des Bundes geändert werden musste. Wenn man die Erfahrung aus den Novemberhilfen für Unternehmen als Muster begreift, dann dürfte die Auszahlung um den Spätsommer 2031 beginnen.

Der andere, vor Wut rasend machende Grund für das Versagen gegenüber den Jüngsten ist die prinzipielle Geringschätzung, mit der dieses Land seinen Kindern begegnet. Dass man fast anderthalb Jahre lang sich getraut hat, Lüften als wichtigste Coronamaßnahme bei Kindern vorzuschlagen. Statt die anderthalb Milliarden Euro für Luftfilter in Klassenräumen zu besorgen, als man im Spätsommer 2020 auch für Theater, Museen und Parlamentsgebäude plante.

Der Teufel Demografie

Die Geringschätzung war natürlich schon vor Corona da, die deutsche Kindermissachtung lässt sich neben vielen anderen Daten an einem beschämenden Wert festmachen. Als Angela Merkel 2005 Kanzlerin wurde, waren 19,5 Prozent der Kinder in Deutschland armutsgefährdet. 2020 betrug dieser Wert 21,3 Prozent, und besser lässt sich kaum ausdrücken, dass Kinder einfach politisch vernachlässigbar sind. Um Interpretationsspielchen zu vermeiden – die Zahlen stammen von der Bertelsmann Stiftung, die nicht unbedingt als Speerspitze des Sozialismus bekannt ist. Diese Entwicklung ist um so beschämender, als die wirtschaftliche Entwicklung der letzten zehn Jahre in Deutschland spektakulär gut war. Und dass es eine Reihe von Reformen und Maßnahmenpaketen gab, die zumindest Kinderarmut hätten eingrenzen sollen. Nicht passiert, offensichtlich. Aber natürlich ist die Politik nicht immer überall für alles alleinverantwortlich.

Die Überalterung der Gesellschaft hat die Interessenlage verschoben. Der Teufel Demografie schlägt erbarmungslos zu, bei der kommenden Bundestagswahl wird es dreimal so viele Wählende über 60 geben wie Wählende unter 30 Jahren. Rentner sind politisch wichtiger als Kinder und ihre Eltern zusammen. Leider lassen sich Eltern aber traditionell auch immer und immer wieder mit Lippenbekenntnissen abspeisen, Kinder seien voll wichtig. Und bald gäbe es auch ganz bestimmt einen tollen, preiswerten Kitaplatz.

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Wer hat Angst vor »Peng!«?

Erstellt von Redaktion am 23. August 2021

Kunst darf nicht auf der Terrorliste landen

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Eine Kolumne von Sibylle Berg

Wenn Kunst politisch wird, ist oft der Staat nicht weit: Büros werden durchsucht, Materialien beschlagnahmt. Dabei ist politische Kunst in Deutschland selten genug – eine gefährliche Entwicklung.

Wie schwach ist ein Staat, der Angst vor Kunst hat? Der zulässt, dass KünstlerInnen zum einen von Andersdenkenden – oder sagen wir vereinfacht: Faschisten – auf Todeslisten genannt werden, und der zum anderen Kunstverhinderung immer wieder auf die politische Agenda setzt? Wie schwach ist ein Staat, der pandemiebedingtes Verschwinden von Kunst und Kultur bedauernd in Kauf nimmt?

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Digitalisierung in Schulen

Erstellt von Redaktion am 6. August 2021

Ort für Wissensvermittlung

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Von Mathias Greffrath

Durchdigitalisierte Schulen sind keine Lösung im Klassenkampf. Öffentliche Schulen sind Begegnungsort für Kinder unterschiedlicher Milieus.

Die Hängematte ist nass vom Regen, Urlaubsbücher ausgelesen, die Kinder haben sich verkrümelt – Langeweile schleicht sich ein. Doch da liegt noch die taz vom letzten Mittwoch mit Ilija Trojanows Plädoyer für utopischen Realismus.

Richten wir unseren Möglichkeitssinn auf die Kluft zwischen der Entschlossenheit, mit der die Schulbehörden zum „uneingeschränkten Regelbetrieb“, also zum pädagogischen Viereck aus Lehrplan, Klassenraum, Jahrgangsstufen, Präsenzunterricht und Benotung zurückkehren wollen, und dem Chor der Realisten, die über Auffangpakete, Nachholcamps, Lüftung und Schichtunterricht reden. Vor allem aber über eines: beschleunigte Digitalisierung. Niemand bestreitet den Nutzen von Tablets und Lernsoftware.

Reaktionär wird das nur, wenn derlei Werkzeuge zur Wunderwaffe werden. Der Lehrermangel, so dekretieren es CDU-Modernisierer in ihrem Manifest „Neustaat“, werde so chronisch wie Corona bleiben. Die rettende Konsequenz daraus sei deshalb die durchdigitalisierte Schule. Nicht als Notlösung, sondern als Demokratisierung von Bildungswegen, die bislang nur den Kindern einer „ehrgeizigen Oberschicht […] aus dem Bildungsbürgertum“, die „überdurchschnittlich solvent und bildungsnah“ ist, offenstehe.

Also den Kindern der Grünen. Die technopopulistische, antibürgerliche Rhetorik – „Humboldt für alle“ – ist nicht neu. Seit sechs Jahren propagiert Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, die Digitalisierung als Klassenkampf gegen das Bildungsbürgertum. Der Vorsprung der Kinder aus Familien mit Bücherschränken und Sprachurlaub werde durch Lernsoftware schrumpfen.

Heuer entwickelt Dr. Dräger gar die Vision einer durchdigitalisierten Bildungs- und Lebenskarriere, vom Kindergarten mit seinen lösungskompetenzfördernden Lernprogrammen über die Universität, an der Algorithmen orientierungslosen Studienanfängern ein Studienfach vorschlagen, das zu ihnen passt, bis hin zu Computerspiel-Scores, die über die berufliche Platzierung entscheiden.

2082 in Rente

„Amazon und Netflix machen es uns vor“, strahlt da der Moderator, „die wissen schon, was wir wollen, bevor wir es wissen, das müsste doch auch in der Bildung möglich sein.“ Noch lässt sich die Glaubensbereitschaft für solche Youtube-Chinoiserien an der Zahl der Seitenaufrufe messen: es sind ganze 17. Aber wo wäre eine Gegenutopie?

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„Wenn die Schule einen Sinn haben soll“, schrieb einst Neil Postman, der Soziologe der Kindheit und der Medien, „dann müssen die Schüler, ihre Eltern und ihre Lehrer einen Gott haben, dem sie dienen können.“ Gott?? „Gott“ ist für Postman gleichbedeutend mit einer „großer Erzählung“, die „genug Kraft hat, die es Menschen ermöglicht, diese Erzählung in den Mittelpunkt ihres Lebens zu stellen“.

Die Schule sei mit Sicherheit auf dem Weg an ihr Ende, wenn sie keinen Grund fürs Lernen, fürs Zusammensein an einem Ort mehr angeben kann. Dabei gibt es diesen Grund. Wer in diesem Jahr eingeschult wird, der geht, nach jetziger Rechnung, 2082 in Rente. Er oder sie werden erleben, ob es gelingt oder nicht, den Kohlenstoffausstoß der Menschheit so zu senken, dass die Polkappen nicht weiter schmelzen als schon abzusehen ist.

Er oder sie wird Migrationsschübe, Hitzewellen, die Vollautomatisierung erleben, ein paar Pandemien und Dinge, von denen wir jetzt noch nichts ahnen. Wie müsste eine Schule aussehen, die hilft, diese Zeit zu bestehen? Mit Sicherheit reicht da nicht das Wahlpflichtfach „Nachhaltigkeit“ mit zwei Wochenstunden.

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Oben     —     Die Schule von Circus Krone.

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# Ich Bin Hanna :

Erstellt von Redaktion am 3. August 2021

Promoviert, habilitiert, perspektivlos

Endlich sind prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft im Fokus der breiteren Öffentlichkeit angekommen. Ausgangspunkt war der von uns Anfang Juni initiierte Twitter-Hashtag #IchBinHanna.[1] Er geht zurück auf ein inzwischen gelöschtes Erklärvideo des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), in dessen Zentrum eine animierte Figur namens Hanna steht.[2] Die fiktive Hanna stellt eine Wissenschaftlerin dar, die sich laut Video noch qualifiziert und deshalb einen befristeten Vertrag nach dem anderen bekommen darf, bis die zwölf Jahre Höchstbefristungsdauer des WissZeitVG (sechs Jahre vor, sechs Jahre nach der Promotion) aufgebraucht sind. Diese fast schon zynische Sichtweise hat Tausende von Wissenschaftler*innen in den sozialen Medien dazu veranlasst, die gravierenden Missstände des deutschen Wissenschaftssystems anhand persönlicher Geschichten offenzulegen.

Dank der Sonderbefristungsregelung und der starken Ausrichtung auf kurzfristige Projektgelder gibt es an deutschen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen kaum noch unbefristet angestelltes wissenschaftliches Personal – mit Ausnahme der auf Lebenszeit verbeamteten W2- und W3-Professuren, die inzwischen aber nur noch 13 Prozent aller wissenschaftlich Beschäftigten ausmachen. Insgesamt liegt die Befristungsquote mittlerweile bei 78 Prozent, bei den unter 45jährigen sogar bei 92 Prozent[3] – in keinem anderen Beschäftigungszweig hierzulande finden sich derartige Zustände. Vielmehr sollte das Normalarbeitsverhältnis prinzipiell eine unbefristete Dauerstelle sein,[4] was die Befristungsquoten für den restlichen Arbeitsmarkt auch abbilden.[5]

Begründet wird die Sonderbefristung in der Regel damit, dass es sich bei der Wissenschaft um ein „besonderes Arbeitsumfeld“ handele, das mit anderen Formen der Erwerbsarbeit nicht vergleichbar sei. Hier spielt die immer wieder angeführte Argumentationsfigur, der zufolge nur stete Fluktuation in der Wissenschaft Innovation erzeuge, eine wesentliche Rolle. Zugleich halten es einige der an der Diskussion Beteiligten für akzeptabel, Menschen bis ins fünfte Lebensjahrzehnt als „Nachwuchs“ zu bezeichnen, der sich noch in der „Qualifikation“ befinde und folglich auch keinen Anspruch auf eine unbefristete Beschäftigung habe.

Dass wissenschaftlich Angestellte dauerbefristet sind, ist jedoch nur eines der vielen Probleme. Dank der strikten Regelungen des WissZeitVG müssen zahlreiche hochqualifizierte Akademiker*innen die Wissenschaft nach jahrelanger Berufserfahrung verlassen und sich beruflich neu orientieren. Als eine Begründung für die Höchstbefristungsdauer wurde immer wieder der Schutz der Arbeitnehmer*innen genannt, die danach entfristet werden sollten. Doch es ist schwer, eine der raren Professuren zu ergattern – und Hochschulverwaltungen suchen Entfristungen unter allen Umständen zu vermeiden, nicht zuletzt, weil man sich nicht langfristig finanziell binden will oder kann.

Prekäre Verhältnisse muss man sich leisten können

Bis Mitte 40 sind wissenschaftliche Erwerbsbiographien daher überwiegend von Umzügen, Pendeln und Phasen zwischenzeitlicher Arbeitslosigkeit geprägt.[6] Folglich wird nicht nur eine Familiengründung behindert, was vor allem Frauen vor die Alternative stellt, die Wissenschaft zu verlassen oder gegebenenfalls ungewollt kinderlos zu bleiben. Gleichzeitig ist die wissenschaftliche Laufbahn für Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder familiären Verpflichtungen, für die ständige Umzüge nicht zumutbar sind, mit massiven zusätzlichen Hürden verbunden.

Personen, die Einkommenseinbußen durch Teilzeitstellen und Vertragslücken nicht durch eigene Rücklagen überbrücken können oder deren Aufenthaltsgenehmigung vom Arbeitsvertrag abhängt, werden systematisch benachteiligt und sind entsprechend in der deutschen Wissenschaft eindeutig unterrepräsentiert. Insofern ist es ausgesprochen zynisch, dass das zuständige Ministerium die aktuelle Befristungspraxis mit Chancengerechtigkeit zu rechtfertigen sucht: Nicht eine Generation, heißt es im Hanna-Video, solle das „System“ verstopfen, allen solle der Weg zur wissenschaftlichen Qualifikation offenstehen. Gemeint sein können damit aber nur jene, die sich derart prekäre Verhältnisse überhaupt leisten können.

Ineffiziente Häppchenforschung

Während für Studium und Promotion die Forderung nach einer gewissen Fluktuation zur Gewährleistung von (alle berücksichtigenden!) Teilhabechancen noch überzeugen mag, ist eine entsprechende Forderung mit Blick auf die Postdoc-Phase – also den Zeitraum nach dem Abschluss einer Doktorarbeit – hanebüchen. Dass eine Generation einer anderen Platz machen muss, damit alle in den „Genuss“ jahrelanger Unsicherheit und Zwangsteilzeit kommen können, hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Hier geht es vielmehr darum, eine möglichst preisgünstige Masse an willigen Arbeitnehmer*innen zu erhalten, die sich aufgrund ihrer prekären Lage kaum organisieren können und aus Angst, keine Vertragsverlängerung zu bekommen, nicht auf der Einhaltung der ihnen zustehenden Arbeitsrechte bestehen. Wissenschaftler*innen leisten im Durchschnitt (!) 13 bzw. 10 Stunden unbezahlte Mehrarbeit pro Woche (vor bzw. nach der Promotion),[7] was sich im Jahr auf rund 12 Wochen zusätzliche Arbeitsleistung summiert, von der die Hochschulen unentgeltlich profitieren. Urlaubstage verfallen oder werden nur auf dem Papier genommen, während man selbstverständlich weiterarbeitet und natürlich per E-Mail erreichbar bleibt.

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Viel Masse für wenig Hirn ? Schaut auf die Regierung!

Das derzeitige System schadet der Wissenschaft als Ganzes sowie der Qualität des Studiums in Deutschland. Personen, die ständig um den nächsten Vertrag bangen oder Gelder für ihre Stelle erst über aufwändige Drittmittelanträge selbst einwerben müssen, betreiben kaum innovative, ergebnisoffene und riskante Forschung. Sie forschen vielmehr zu Themen, von denen sie annehmen, dass Vorgesetzte und Gutachter*innen diese für förderungswürdig halten. Da alle von Drittmitteln abhängen – die Grundfinanzierung an den Hochschulen beträgt inzwischen nur noch 50 Prozent[8] – und der Normalbetrieb nur durch befristete Gelder überhaupt aufrechtzuerhalten ist, werden immer mehr Anträge gestellt, während die Bewilligungsquote notwendig sinkt. Es wird also sehr viel Aufwand in das Schreiben, Begutachten und Verwalten von Anträgen investiert, die am Ende zu nichts führen. Dies ist hochgradig ineffizient.

Das derzeitige System schadet der Wissenschaft als Ganzes sowie der Qualität des Studiums in Deutschland.

Darüber hinaus zwingt das Drittmittelwesen Forscher*innen dazu, ihre Forschung projektförmig zu organisieren und in Häppchen von maximal drei Jahren zu zerlegen. Nur: Grundlagenforschung braucht deutlich länger und fällt dadurch zunehmend weg. Zudem entstehen aus der Projektforschung Folgekosten, die aber niemand tragen will. So stehen an vielen deutschen Hochschulen teuerste Gerätschaften, die keiner mehr bedienen kann, weil das kompetente Personal längst weiterziehen musste; mühsam aufgebaute Webpräsenzen und Datenbanken werden nach Ende der Förderzeit nicht mehr gepflegt oder gehen wieder vom Netz. Nachhaltige Forschung sieht anders aus.

Quelle        :         Blätter-online           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Beschilderung an der Umzäunung der sog. „Kreuzbauten“ im Regierungsviertel in Bonn, Heinemannstraße (Bezirk Bad-Godesberg/Hochkreuz). Die Aufnahme wurde vom Grundstückszugang auf der Max-Löbner-Straße aus gemacht.

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Debattenreihe Klima

Erstellt von Redaktion am 23. Juli 2021

Klimaschutz mit Auto

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Von Ferdinand Dudenhöffer

Die Chance für eine bessere Klimapolitik ist da. Die konkreten Auswirkungen müssten den Menschen nur nachvollziehbar erklärt werden.

Wie konnte das so schiefgehen? Bei der Sonntagsfrage von Forsa hatten die CDU/CSU Anfang April Zustimmungswerte von 21 Prozent und die Grünen 28 Prozent. Drei Monate später lagen die CDU/CSU bei 30 Prozent und die Grünen bei 19 Prozent. Sicher, ein Teil des Absturzes geht auf das Konto des gescheiterten Baerbock-Buchs. Doch Buch und Lebenslauf erklären nicht alles.

Dabei ist der politische Gegner Armin Laschet eher oberflächlich, verkündet Pyrrhussiege und ändert seine Meinung öfters schon mal. Beispiel: Das verunglückte WDR-Interview mit der „jungen Frau“, Susanne Wieseler, der er am Tag der Hochwasserkatastrophe sagte, dass man wegen eines Ereignisses an einem Tag seine Politik doch nicht ändere. Sein Bundesland NRW steht weit schlechter da, als er es anpreist. Eine groß angekündigte Ruhrkonferenz sollte den Aufbruch für das Ruhrgebiet auslösen und hat sich in kleinteilige Projektgrüppchen zerlegt. Die Olympia-Bewerbung von NRW ist ein Scherbenhaufen. Das von ihm selbst ausgerufene Elektromobilitätsland NRW läuft hinterher. Der Aachener Hochschullehrer und Rotary-Freund Günter Schuh hatte mit viel Trara und Landesgeldern erst den Streetscooter, dann den e.go und dann Pläne einer Batteriezellenfabrik aus der Taufe gehoben. Es waren die Vorzeigeprojekte für Laschet, auf die er mächtig stolz war.

Übrig geblieben ist davon so gut wie nichts. Immer wieder hatte die Laschet-Mannschaft versucht, Batteriezellfabriken in NRW anzusiedeln, aber weder Tesla, noch CATL, noch sVolt, noch Farasis, noch Northvolt oder Stellantis bauen Zellen in NRW. Sie haben sich für Grünheide, Erfurt, das Saarland, Bitterfeld, Salzgitter und Kaiserslautern entschieden. Die anderen waren erfolgreich, nur das von Armin Laschet ausgerufene Elektroautoland NRW ist gescheitert. Zufall?

Noch im Herbst 2019 war „Fridays for Future“ für Laschet eine Schülerbewegung. Wenig ehrlich erklärte er bei der Flutkatastrophe NRW zum Klimaschutz-Vorreiterland. Im Ländervergleich hat NRW im letzten Jahr 25 Millionen Tonnen weniger CO2 ausgestoßen. Das entspricht einem Drittel des CO2-Rückgangs in Deutschland. Was Laschet verschweigt: NRW stößt dreimal so viel aus wie etwa Bayern oder Baden-Württemberg und pro Einwohner das Doppelte von beiden Bundesländern. Ein Großteil der Einsparung ist das Ergebnis der Abschaltung der Steinkohlekraftwerke. Damit hat Laschet wirklich nichts zu tun. Die Verdienste gehen zurück bis auf den früheren Bundeswirtschaftsminister Werner Müller und Ex-Kanzler Gerd Schröder. Gern schmückt sich Laschet mit dem Kohleausstieg. Tatsächlich hat NRW den schnelleren Ausstieg mit verhindert.

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Hiervon träumen wohl viele der kleinen Wichtigtuer ?

Oberflächlich, sprunghaft und fadenscheinig prangert Laschet geplante Benzinpreiserhöhungen der Grünen an. Dabei weiß er genau, dass die CO2-Besteuerung in Berlin beschlossen wurde. Immerhin erklärt er höhere Treibstoffsteuern für notwendig, aber den Billigflug nach Mallorca definiert er als eine Art Grundrecht. Jeder müsse sich schließlich den jährlichen Mallorca-Flug leisten können. Warum also verlieren die Grünen im Wettkampf mit Armin Laschet?

Das grüne Wahlprogramm ist ehrgeizig. Aber was bedeutet es für Otto Mustermann, wenn seine Lebenshaltungskosten mit erhöhten CO2-Preisen beängstigend steigen? Das Schlagwort Energiegeld soll es richten. Aber was konkret erhält Mustermann? Allgemeine Aussagen wirken bei staatlichen Abgaben wenig glaubhaft. Dazu kamen die unglücklich verkürzten Interviews, bei denen die Steuer hängen blieb, das Energiegeld aber unter den Tisch fiel. Ähnlich zum Verbot der Inlandsflüge. Es macht Sinn, nicht die ganze Welt in einem Satz zu erklären, sondern eine Sache in den konkreten Auswirkungen für den Einzelnen nachvollziehbar zu machen. Was erwartet die Autobesitzer von einer grünen Kanzlerin?

Quelle         :        TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquelle      :

Oben      —     Wahlkampf-Plakat der CDU Nordrhein-Westfalen zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2017 mit dem Spitzenkandidaten Armin Laschet

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Warnsystem Cell Broadcast

Erstellt von Redaktion am 22. Juli 2021

Die bürokratische Verhöhnung des 21. Jahrhunderts

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Das genau ust die arrogante, dumme  Überheblichkeit der Politik.

Eine Kolumne von Sascha Lobo

Warum gibt es in Deutschland das zuverlässige Katastrophen-Warnsystem Cell Broadcast nicht? Das hat drei niederschmetternde Gründe: lächerlichen Geiz, peinliche Parteipolitik der CDU und tödliche Besserwisserei.

Noch dazu haben Fachleute wie der Grünen-Fachpolitiker Malte Spitz immer und immer wieder die Einführung von Cell Broadcasts dringend empfohlen. Zuletzt übrigens zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 sowie nach dem spektakulär vergeigten »Katastrophen-Warntag 2020«, einem groß angelegten, bundesweiten Testlauf für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe im September 2020. Dieser Warntag ging so schief, dass der damalige Chef dieses Amts gefeuert wurde. Unter anderem klappte die Benachrichtigung der Bevölkerung nur schlecht, auch die Nina-App versagte.
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Die AG Kritis, eine Arbeitsgemeinschaft engagierter, digital äußerst sachkundiger Bürgerinnen und Bürger, muss man sich als eine Art Chaos Computer Club für sogenannte kritische Infrastrukturen vorstellen, die gebraucht werden, um eine Gesellschaft funktionsfähig zu halten. Nach dem katastrophalen Katastrophen-Warntag schrieb die AG Kritis über Cell Broadcasts: »Es funktioniert technisch in vielen anderen Ländern der Welt einwandfrei, die EU hat entsprechende Weichen mit einer Verordnung gestellt. Gerade dann, wenn die Mobilfunknetze völlig überlastet sind und Daten an Apps wie Nina nicht mehr durchkommen, funktionieren Cell Broadcasts aufgrund der sehr geringen Datenlast noch am wahrscheinlichsten.«

Quelle     :          Spiegel-online            >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben    —       Cell Broadcast Samsung Galaxy 8 Android 8.0

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Unten          —        Sascha Lobo; 10 Jahre Wikipedia; Party am 15.01.2011 in Berlin.

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Der Bundesrechnungshof

Erstellt von Redaktion am 13. Juli 2021

Die deutschen Kosten des Krieges in Afghanistan

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Zeige mir mit wem du gehst und ich sage dir wer ich bin.

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Axel Mayer

Die deutschen Kosten des Krieges in Afghanistan: 12 oder 47 Milliarden Euro?
Bundesrechnungshof: „Es gibt keine allgemein akzeptierte Zahl zu den Kosten“

Eines der erstaunlichsten Phänomene des  verlorenen Krieges in Afghanistan ist das 20-jährige, geringe öffentliche Interesse am Krieg, seinen Ursachen, Opfern, Folgen und an den Kosten.
Viele Medien berichteten nach dem Truppenrückzug von deutschen Kriegskosten von 12 Milliarden / 12.000.000.000 Euro. Die konservative Zeitung „Die Welt“ schrieb allerdings schon am 26.05.2010 von möglichen deutschen Kriegskosten von bis zu 47 Milliarden Euro und diese Zahl wird auch in der aktuellen ZDF-Sendung „Der Preis des Krieges: Afghanistan“ genannt.

Aus diesem Grund habe ich mich als Kreisrat in einem Brief an den Präsidenten des Bundesrechnungshofs, an Herrn Kay Scheller gewandt, mein Erstaunen über die doch sehr unterschiedlichen Angaben ausgedrückt und nach den tatsächlichen Kosten gefragt. Ich war bei meiner Anfrage von einer etwas konkreteren Antwort ausgegangen, denn zwischen den öffentlich genannten Kosten liegt doch ein erheblicher Unterschied von 35 Milliarden / 35.000.000.000 Euro.

Erfreulicherweise hat der Bundesrechnungshof geantwortet und die Antwort ist erstaunlich.
Hier zwei Zitate aus dem Brief des Bundesrechnungshofes, den Sie unter www.mitwelt.org/kosten-opfer-afghanistan-krieg vollständig abgedruckt finden:

  • „Wie Sie in Ihrem Schreiben zutreffend feststellen, ist die Ermittlung der Kosten des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan seit seinem Beginn im Jahr 2001 komplex. Eine allgemeingültige Definition von „Einsatzkosten“ besteht nicht. Die Kosten sind abhängig von der Bewertung, welche Ausgaben aus dem Bundeshaushalt der Afghanistan-Einsatz unmittelbar oder auch nur mittelbar verursacht hat.“
  • „Vor diesem Hintergrund kann ich Ihnen keine allgemein akzeptierte Zahl zu den Kosten des Afghanistan-Einsatzes nennen.“

Da bestätigt der Rechnungshof, dass er eigentlich nichts weiß, schreibt aber gleichzeitig: „Die Ausgaben für Auslandseinsätze sind in jedem Jahr Gegenstand der Verhandlungen über den Bundeshaushalt. Der Bundesrechnungshof unterstützt die politischen Entscheidungsträger in diesem Verfahren mit den Erkenntnissen aus seinen Prüfungen der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes.“

Ich hatte nicht mit einer konkreten Zahl gerechnet, denn eine solche kann es nicht geben. Doch weder die 12-, noch die 47 Milliarden Euro Kosten wurden vom Bundesrechnungshof bestätigt, dementiert oder infrage gestellt. Die deutschen Kosten des Krieges in Afghanistan können also bei 12 oder 47 oder noch wesentlich mehr Milliarden Euro liegen. Hier ist es wieder: das nicht vorhandene öffentliche Interesse am verlorenen Krieg und seinen Kosten.

Bei  Uniformträgern  setzt immer zuvor der Verstand aus!

Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 8. Juli 2021 über die amerikanischen Kriegskosten: „Das Pentagon hat für den Krieg 825 Milliarden Dollar ausgegeben. Zusammen mit der zivilen Hilfe, die in das Land geflossen ist, liegen die Kosten des Krieges weit über zwei Billionen Dollar.“ Da erscheinen die deutschen Kriegskosten von 12 Milliarden Euro doch erstaunlich günstig…

Eigentlich wäre es die Aufgabe der Qualitätsmedien, der „vierten, kontrollierenden Gewalt“, endlich einmal die Kostenfrage gründlich zu recherchieren und zu berichten. Ansonsten wäre es schon erfreulich, wenn sie in Zukunft bei der Nennung der konkreten Kriegskosten zumindest verunsichert wären. Extrem teuer war er, nicht nur gemessen am „Ergebnis“ auf jeden Fall.

Axel Mayer, Kreisrat, Endingen

(Sie wundern sich, warum ein Kreisrat solche Fragen stellt? Weil andere nicht fragen oder sich mit unerklärlichen Antworten zufrieden geben.)

Urheberecht
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Grafikquellen      :

Oben        —      German Chancellor Angela Merkel on a visit with the German ISAF forces in Afghanistan. She is meeting with Major-General Hans-Werner Fritz, commander of the German forces in Afghanistan. origianl caption: A meeting was held between Gen. David H. Petraeus, commander, International Security Assistance Force, President of Afghanistan Hamid Karzai and Chancellor of Germany Angela D. Merkel, at Headquarters Regional Command North Dec. 18. ISAF RC North supports Afghanistan in creating a functioning government and administration structure, while preserving Afghan traditions and culture. (U.S. Navy photo/Mass Communication Specialist 2nd class Jason Johnston)

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Wahl Koma statt Wahlkampf

Erstellt von Redaktion am 11. Juli 2021

Laschet, der Klimawandel des kleinen Mannes

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Die politische Null und sein politischer Influencer im Hintergrund ?

Eine Kolumne von Samira El Ouassil

Armin Laschet setzt wie Merkel auf asymmetrische Demobilisierung. Die Folge: Viele Menschen wollen eine Veränderung, glauben aber nicht, dass ihre Stimme entscheidend ist – und gehen dann einfach nicht zur Wahl.

Stellen Sie sich vor, Angela Merkel würde dieses Jahr zum ersten Mal als Kanzlerkandidatin antreten; sie würde erstmalig Wahlkampf machen. Was würde sie in Interviews sagen? Wie würde sie ihre Fernsehauftritte bei Anne Will und Markus Lanz, bei Linda Zervakis und Louis Klamroth oder bei »Brigitte Live« bestreiten? Imaginieren Sie, wie sie immer wieder darüber sprechen würde, was die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wollen und was sie, Merkel, leisten würde, um das zu erreichen, wofür sie stünde.

Haben Sie das vor Augen? Gut, und jetzt nehmen Sie mal an, Merkel hätte keine Ahnung von Wissenschaft und würde, wenn’s drauf ankommt – bei Fragen zur Klimakrise oder Pandemie – statt Expertise und Fakten nur anekdotische Evidenzen, heitere persönliche Geschichtchen und Kalendersprüche aufrufen. Können Sie sich das vorstellen? Sehr schön. Dann tauschen Sie Merkels lakonische, manchmal etwas betuliche Art gegen eine gutbürgerliche, kumpelhafte Stehtischhaltung aus, dazu ab und zu impulsive Ausbrüche und eine krawattige Ungehaltenheit. Konnten Sie mir bis hierher folgen? Sehr gut! Damit wären wir beim Wahlkampf von Armin Laschet angekommen.

Asymmetrische Demobilisierung

Was habe ich auch anderes erwartet? Die Union führt aktuell einfach genau den gleichen kollektiv sedierenden Wahlkampf auf wie schon die letzten drei Bundestagswahlen zuvor. Dem Kandidaten Laschet gelingt es jedoch auf eine neuartige Weise, das derzeit an Trivialität kaum zu übertreffende Wahlkampfgeschehen mit strategisch eingesetzter Ignoranz noch weiter zu verdumpfen. Vor allem in der thematischen Zurückhaltung hat sich Laschet offensichtlich sehr erfolgreich von der asymmetrischen Demobilisierung inspirieren lassen, für die Merkel so berühmt wurde.

Die sogenannte asymmetrische Demobilisierung ist eine Taktik, die Wahlforscher Mathias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen und verantwortlich für das ZDF-»Politbarometer«, im letzten Jahrzehnt erfolgreich für Merkel umgesetzt hat. Ihr Ziel ist es, durch Nivellierung parteilicher Unterschiede und durch Vermeidung öffentlicher, parteipolitischer Kontroversen zu verhindern, dass Wähler sich aufgrund der Debatten und ihrer Emotionalisierung provoziert genug fühlen, zur Urne zu gehen. Das heißt, SPD-, Grünen- oder FDP-Wähler sollten durch die allgemeine Wattigkeit entmutigt, also demobilisiert werden, der Unionswähler jedoch gleichzeitig natürlich weiterhin motiviert – deswegen: asymmetrisch.

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Merkels Wahlkämpfe zeichneten sich stets durch eine derart exemplarische asymmetrische Demobilisierung aus, dass es aus demokratietheoretischer Sicht fast schon bedenklich wurde: Die Kanzlerin erlaubte keinerlei Streitthemen, die einer anderen Partei eine Selbstprofilierung ermöglicht hätten, denn durch Reibung würde der politische Kern des anderen sichtbar – und die Kanzlerin müsste schlimmstenfalls selbst Stellung beziehen.

Merkel arbeitete in Wahlkämpfen nur mit Themen, die keine Angriffsfläche und Abgrenzungsmöglichkeit boten, und näherte sich zugleich der SPD und den Grünen in entscheidenden politischen Fragen an, wie beispielsweise bei der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, beim Mindestlohn, beim Ausstieg aus der Wehrpflicht oder der Atomenergie. Deshalb gab es für viele Wählerinnen und Wähler kaum Gründe, nicht einfach weiterhin die eine Partei zu wählen, die sowieso schon an der Macht war. Mit dieser Strategie (beziehungsweise Nichtstrategie) lähmte Merkel die politische Diskussion in die Stagnation eines demokratischen Nullsummenspiels. Es handelte sich weniger um Wahlkämpfe, sondern vielmehr um Wahlkoma.

Quelle       :         Spiegel-online           >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —       Armin Laschet beim Programmausschuss der CDU Rheinland-Pfalz am 23. Januar 2021.

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Eine These der Jugend

Erstellt von Redaktion am 10. Juli 2021

Wer Boomer hatet, disqualifiziert sich selbst

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Sie sollten sich nur der Politik entsagen, sonst ist es um sie geschehen! Die Politik frisst ihre eigenen Kinder !

Von Beate Wilms

Zwei Jahre lang habe ich gedacht: Das kann die nicht besser wissen. Das hat der bloß so zugespitzt. Das hört schon wieder auf. Aber nachdem nun auch Kolleg:innen, die ich ansonsten sehr schätze, das Feindbild der Fridays for Future übernehmen und sich auf „die Boomer“ als Quelle allen (Klima-)Übels einschießen, reicht es mir. Schluss damit! Hört endlich auf!

Privilegiert?! Konsumsüchtig?! Wachstumsgläubig?! Wer eine Generation so allgemein und unreflektiert hatet, kann nur im Tal der Ahnungslosen wohnen, ohne Internet, ohne Bibliotheken, ohne Kontakt zu Menschen, die zwischen Mitte der 1950er und Ende der 1960er Jahre geboren sind. Da hätte man ansonsten nämlich einfach mal nachlesen können, wer oder was diese Boo­me­r eigentlich sind. Oder besser noch: Ei­ne:n von ihnen fragen.

Ich zum Beispiel hätte bereitwillig geantwortet. Hätte berichtet, wie undankbar es war, im selben Jahr geboren worden zu sein wie 1.357.303 andere Kinder in Deutschland, das damals noch BRD und DDR war. Denn das Wort „Boomer“ hat nichts mit gut, groß, schön oder teuer zu tun. Es ist die Abkürzung von Babyboomer, was nur heißt: Verdammt viele Schreihälse auf einmal. Zu viele. Viel zu viele…

Kleiner Vergleich gefällig? Voriges Jahr kamen hierzulande gerade mal 773.100 Babys auf die Welt, das sind fast die Hälfte weniger.

Warum die Geburtenrate in meiner Kindheit explodierte, ist schnell erzählt: Zum Babyboom kam es, als der Zweite Weltkrieg lange genug her war und es wieder genug Männer und in der Bundesrepublik, in die ich hineingeboren wurde, auch einen gewissen Wohlstand gab. Wobei Wohlstand hieß, dass sich die Familien einen (!) gebrauchten (!) VW oder Opel und ein (!) Telefon leisten konnten. Oder zwei Wochen Sommerurlaub. Im eigenen Land natürlich, fast wie heute mit Corona: Nordsee, Eifel, Hunsrück – wir kommen!

Dafür war die Verhütung ein Problem. Die Antibabypille? Die musste erst noch zugelassen werden und gab es dann dank der bundesdeutschen Ärztemoral auch nur für Verheiratete, die schon drei oder vier Kinder plus schlimmste Menstruationsbeschwerden hatten. Erst 1970 änderte sich die Verschreibungspraxis – und, oh Wunder!, mit dem Babyboom war es dann schnell vorbei.

Zur Generation der Babyboo­me­r zu gehören, hieß also vom ersten Atemzug an keinen Platz zu haben. Spielwiesen waren überfüllt, Kindergartenplätze praktisch nicht vorhanden. In der Schule stopfte man uns mit 45 Mädchen und Jungen in eine Klasse. Bei den Ausbildungsstellen reichte es dann gar nicht mehr, und die Hochschulen waren schon vollgelaufen, bevor wir uns immatrikulieren konnten. War doch genau mein Jahrgang nicht der erste große, dafür aber zahlenmäßig der stärkste. Diejenigen, die es von uns dann doch irgendwie ins Arbeitsleben schafften, zahlen zwar brav anderen die Rente. Doch für unsere eigene werden wir natürlich immer noch zu viele sein – und für die Pflegeversicherung erst recht.

Wir, werte Generation X, Y, Z, waren die ersten in der Bundesrepublik, für die brüchige und unstete Berufswege mit geringfügiger Beschäftigung, mit schlecht bezahlten Tätigkeiten, mit Niedriglohn und Leiharbeit normal waren. Um uns herum bauten die Regierungen den Sozialstaat erst ein bisschen aus, dann aber rapide ab, bis er nicht mehr wiederzuerkennen war, und erfanden im Zusammenspiel mit den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden und deren Verbündeten die „Ellbogengesellschaft“. Egoismus, Konkurrenz, Rücksichtslosigkeit und Eigennutz hießen die neuen Tugenden, mit denen wir uns aus der Masse herausrüpeln sollten.

Wir haben gegen Wald­sterben und Atomkraft protestiert

Wer das alles gar nicht wissen will und sich stattdessen ein „Boomer-Privileg“ herbeifantasiert, sollte nicht anderswo von Wokeness reden!

Hättet Ihr mich gefragt, hätte ich Euch auch etwas anderes erzählt: Zum Beispiel, dass es ein Mythos ist, dass sich Boomer nicht für die Zukunft unseres Planeten interessieren. Wer bitteschön hat denn Anfang der 1980er Jahre gegen das Waldsterben protestiert, das vor allem die Folge des sauren Regens war? Wer hat es geschafft, dass die europäischen Staaten, die USA, Kanada und die Sowjetunion 1983 das Genfer Luftreinhalteabkommen abschlossen? Dass Rauchgase entschwefelt wurden, sich der Katalysator durchsetzte, Grenzwerte für Schwefeldioxidausstoß und Stickoxide festgelegt wurden? Boo­me­r kämpften gegen ozonschichtvernichtende Fluorchlorkohlenwasserstoffe, gegen Autobahnen, gegen Atomkraftwerke, Wiederaufbereitungsanlagen, Endlager, aber auch gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen im Kalten Krieg – und gegen die Asylpolitik der Bundesregierung.

Quelle       :          TAZ-online         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Fridays For Future Hamburg 1st march 2019

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„Eine rein arische Firma“

Erstellt von Redaktion am 28. Juni 2021

Vom Hakenkreuz zum Bundesverdienstkreuz

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Quelle     :     Untergrundblättle – CH 

Marcus Staiger / lcm.

Das „rein arische Familienunternehmen“ der Reimanns. Wer sich auf Spurensuche nach den reichsten Deutschen begibt, der muss ein paar Klippen umschiffen.

Die Reimanns haben in diesem Jahr mit einem Familienvermögen von 32 Milliarden Euro die Spitzenposition im Milliardärs-Ranking des Manager-Magazins erobert und sind trotzdem nur schwer zu finden. Keine Fotos. Keine Videos. Keine näheren Angaben zu den Personen hinter den Milliarden. Stattdessen „Die Reimanns“ eine deutsche Auswandererfamilie in Texas und Personal einer Vorabendserie auf RTL II. Was? Das sollen die reichsten Deutschen sein? Natürlich nicht. Erst mit dem Zusatz „Unternehmerfamilie“ kommt man der Sache näher und stösst in diesem Zusammenhang dann auch auf die JAB Holding Company s.à r.l., die laut Wikipedia die Vermögenswerte der deutschen Unternehmerfamilie Reimann verwaltet.

Zu diesem Firmenkonglomerat gehören unter anderem Mehrheitsbeteiligungen am Parfümhaus Coty und dem Kaffeehersteller Jacobs Douwe Egberts, Anteile an Reckitt Benckiser – einem Grosskonzern, der Reinigungsmittel herstellt -, sowie zahlreiche weitere Beteiligungen, die so gut wie alles umfassen, was man in einer gut sortierten Drogerieabteilung so kaufen kann plus noch mehr Kaffee – und Teemarken.

Gegründet wurde das Unternehmen, aus dem die spätere Holding hervorgegangen ist, im Jahr 1851 als sich der Salmiakhüttenbesitzer Joh. A. Benckiser mit dem Chemiker Ludwig Reimann zusammentat und beide eine gemeinsame GmbH mit Sitz in Ludwigshafen aus der Taufe hoben.

Mit Hitler zur Marktmacht

Richtig Fahrt aufgenommen hat die Firma allerdings erst in den 1930 Jahren als Albert Reimann senior, der Enkel von Ludwig Reimann, die Leitung des mittelständischen Chemieunternehmens übernahm. Er und sein Sohn Albert Reimann junior waren bekennende Nationalsozialisten und stellten ihr Unternehmen schon im Jahr 1933, direkt nach Hitlers Machtübernahme, als NS-Musterbetrieb auf. Durch den Einsatz von mehreren hundert Zwangsarbeiter:innen gelang der Firma ein wirtschaftlicher Aufstieg, der selbstverständlich in die junge Bundesrepublik hinüber gerettet werden konnte.

Albert Reimann junior, der für seine Grausamkeit insbesondere gegenüber Zwangsarbeiterinnen bekannt war, gelang sogar das Kunststück, sich als Opfer des Nationalsozialismus auszugeben, obwohl er nach Angaben der New York Times gute Kontakte zu den Grössen des Nazi-Regimes unterhielt. So schrieb er im Jahr 1937 an Heinrich Himmler persönlich: „Wir sind ein über hundertjähriges, rein arisches Familienunternehmen. Die Inhaber sind unbedingte Anhänger der Rassenlehre.“

Darüber hinaus war der Jurist und Richter Reimann senior von 1937 bis 1941 Präsident der Industrie- und Handelskammer für die Pfalz, die ebenfalls ihren Anteil an der Arisierung von jüdischem Eigentum hatte, was einer späteren Mitgliedschaft im Beirat der Wirtschaftskammer Ludwigshafen nicht im Wege stand – plus zahlreicher Ehrungen für seinen Sohn. Dieser erhielt zum Beispiel im Jahr 1963 das grosse Bundesverdienstkreuz und im Jahr 1973 das grosse Bundesverdienstkreuz mit Stern.

Nach all dem muss man allerdings ein bisschen graben, denn was an Artikeln über die Reimanns auf den Seiten der Wirtschaftsjournaille zu finden ist, strotzt nur so vor Bewunderung gegenüber der unfassbaren Kapital-Akkumulation. Und selbst das Mainstream-Magazin Galileo ist sich nicht zu schade, ein Propagandavideo über die Reimanns zu produzieren, in dem die unternehmerische Spitzenleistung der Chemiefabrikanten aus der Pfalz gewürdigt wird, die selbstredend allesamt natürlich gar nicht mehr in der Pfalz wohnen – doch dazu später mehr.

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Könnte für die  heutigen Müllentsorgung auch Probleme bereiten.

Kein Wort in diesem Schmierenstück der Hofberichterstattung über die Zwangsarbeiter:innen oder arische Musterbetriebslösungen. Kein Wort zu den ganz persönlichen Ausrastern von Opa und seinen Lügen, stattdessen das Märchen vom ehrbaren, deutschen, mittelständischen Betrieb, der Anfang der 1980er Jahre fast pleite gegangen wäre und beinahe von der internationalen Konkurrenz von Nestlé, Unilever, Procter Gamble und Konsorten geschluckt worden wäre.

Peter ohne Socken und Sakko

Doch dann tritt er auf, der Mann, der seit den 1980ern die Reimanns in der Öffentlichkeit repräsentiert. Das Gesicht der Familie. Der Manager. Der Retter. Peter Harf betritt die Bildfläche oder wie er den Reporter von Galileo wissen lässt: „Sie können ruhig Peter zu mir sagen.“

Soviel Ungezwungenheit beeindruckt die bürgerliche Presse und auch die Wirtschaftswoche kriegt sich in einem Portrait über den Topmanager ob dessen unkonventioneller Lockerheit kaum ein: „Kein Sakko, keine Socken: Der oberste Reimann-Vermögensverwalter Harf pfeift auf Konventionen. Der Kunststoffboden vor dem Aufzug wirkt blass und abgetreten. Das Büro im Londoner Stadtteil Belgravia ist offen wie ein Loft, das Parkett stammt aus dem Baumarkt, und die langen Schreibtischplatten aus weissem Acryl sehen aus wie vom Möbeldiscounter Ikea. Wenn dann der Chef zur Begrüssung Sakko-frei und in Slippern ohne Socken daherkommt und persönlich den Kaffee holt, ginge JAB glatt als junge Internet-Bude durch.“ Hach, wenn man da nicht mitmachen will.

Schaut man sich das Geschäftsgebaren des Peter Harf allerdings näher an, so erkennt man schnell, dass dieser Typ keine Gefangenen macht, oder wie die Welt im Jahr 2014 voller Bewunderung schreibt: „Derzeit ist der 68-Jährige dabei, mit der von ihm geführten JAB Holding einen der grössten Kaffeekonzerne der Welt aus dem Boden zu stampfen. Jacobs Douwe Egberts, so der Name der neuen globalen Nummer zwei nach Nestlé, wird vom Start weg mehr als fünf Milliarden Euro umsetzen. Mit Senseo gehört der Erfinder von Kaffeepads dazu, mit Tassimo einer der schärfsten Rivalen von Nestlé im Kapselgeschäft.“ Müll hat einen Namen – Nestlé; und seit ein paar Jahren eben auch Jakobs Douwe Egberts.

Da das Kaffeegeschäft zum damaligen Zeitpunkt keinen Marktführer hatte, auf der anderen Seite aber ein Markt ist, der nicht von heute auf morgen einbricht, hat sich JAB, verstärkt durch Milliardenkredite, daran gemacht das Feld aufzurollen. Denn, das weiss ja schliesslich jeder – mit der grösseren Marktmacht kriegt man auch die besseren Konditionen und man kann billiger einkaufen. Die Kaffeebauern und Bäuerinnen werden Luftsprünge gemacht haben, als sie das gehört haben.

Und so geht das mit jedem Markt, den der Peter ins Visier nimmt. Ob Luxusgüter wie die Schuhmarke Jimmy Choo, den Parfumhersteller Coty oder auch pharmazeutische Produkte. Das Prinzip ist immer das gleiche. JAB mischt mit, steigt ein, kauft auf und konsolidiert.

Kein Wunder deshalb, dass die Holding mit ihrem Stammhaus Reckitt Benckiser auch in den US-amerikanischen Opioid-Skandal verwickelt war. Eine Meldung, die man übrigens nicht unbedingt in den einschlägigen Wirtschaftsblättern finden konnte, sondern lediglich in der Tageszeitung junge welt. Am 25.10.2019 schrieb das Blatt: „Der britische Konsumgüterkonzern »Reckitt Benckiser«, zu dem bis 2014 laut Handelsblatt (Donnerstagausgabe) die Pharmafirma »Indivior« gehörte, hat sich im Streit mit US-Bundesstaaten um das unsachgemäss vermarktete opioidhaltige Medikament »Suboxone« auf einen Vergleich geeinigt. Das Unternehmen habe im Rahmen des Kompromisses eine Zahlung von 700 Millionen Dollar (629 Millionen Euro) akzeptiert, teilte New Yorks Generalstaatsanwältin Letitia James am Mittwoch mit. In den USA sind zwischen 1999 und 2017 fast 400.000 Menschen an den Folgen von Opioidmissbrauch gestorben.“

Zu Corona-Zeiten verdienen die Reimanns übrigens auch prächtig an ihren diversen Hygiene Artikeln wie Sagrotan und darüber hinaus wird gerade in den Bereich Tierkliniken und Tiermedizin investiert. Ein Markt, der Analysten zufolge jährlich um vier bis fünf Prozent wächst und zudem weniger reguliert ist als andere Segmente des Gesundheitsbereichs. Den Dienstleistungen und damit auch den Einnahmen von Privatkliniken und Privatärzten sind kaum Grenzen gesetzt, der Forschung ebenfalls. Grosse Konzerne wollen davon profitieren und können den Markt zudem als Testfeld für weitere Expansionen in Richtung Humanmedizin nutzen. Mal schauen, was da noch auf uns zukommt.

Überraschend bei diesen ganzen, weltumspannenden Transaktionen ist eigentlich nur, dass man die Leute, die dahinter stecken tatsächlich kaum kennt und dass sie es geschafft haben, die Fassade des kleinbürgerlichen Familienunternehmens aufrecht zu erhalten. Auch Peter Harf wird im nationalen Ranking der Supermanager auf einige Hundert Millionen geschätzt, schliesslich ist er Teilhaber an den von ihm geleiteten Unternehmen. Im Gespräch mit der Welt antwortet er auf die Frage, ob das Vermögen der Reimanns richtig eingeschätzt wird, aber ganz bescheiden: „Es geht uns gut.“

Diese vor sich her getragene Bodenständigkeit ist es wahrscheinlich, was die Reimanns so unsichtbar erscheinen lässt. Dabei lässt Harf keinen Zweifel daran, dass sein grosses Vorbild weder der „ehrliche Kaufmann“ noch die Tüftlerin aus dem deutschen Mittelstand ist. Sein Vorbild heisst Warren Buffet, den er bei der „Schlacht um Avon“ kennen gelernt hat, wie sich „die Welt“ auszudrücken pflegt. „Warren Buffett ist für mich ein Vorbild“, sagt Harf, „der sich durch die Wucht seines enormen Vermögens nicht verbiegen hat lassen und es dennoch – oder gerade deswegen – stetig vermehre.“ Der Mann, der den „Klassenkampf von oben“ führt, als unbeugsamer und charakterfester Geldvermehrer mit Augenmass – damit identifizieren sie sich gern, die Reimanns und Peters dieser Welt.

Günstig aufgearbeitet

Dass es mit der vermeintliche Bodenständigkeit aber gar nicht so weit her ist, versteht sich in diesem Universum fast von selbst. Entgegen der Legende der heimatverbundenen Chemiefabrikant:innen aus der Pfalz leben die Erben heute in der Schweiz, in Österreich oder Italien. Warum? Na weil sich dort Erbschaft- und Unternehmenssteuern besser optimieren lassen als hierzulande – normaler Move.

Ebenso normal in diesem Zusammenhang erscheint dann letztendlich auch, dass sich Familie Reimann sage und schreibe ganze 70 Jahre lang Zeit gelassen hat, um die eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten. Doch auch hier sucht der Clan den Schulterschluss mit der deutschen Otto-Normal-Familie. Wie andere Unternehmerdynastien auch, die ebenfalls von Sklavensystem der Zwangsarbeit im NS-Regime profitiert haben, behauptet man ganz einfach, dass man von nichts gewusst habe und lässt die berufenen Akademiker:innen balsamische Worte finden.

So sagt der von der Unternehmerfamilie Quandt beauftragte Historiker Joachim Scholtyseck in einem Beitrag des Deutschlandfunks: „Man kann sich eben vorstellen, in einer Familie ist es schmerzhaft, sich von so einem Bild zu lösen, dass der Grossvater eben doch ein ganz grosser Held gewesen sei. Und ein solcher Ablösungsprozess ist niemals ganz einfach und kann auch nicht ganz einfach sein. Ich weiss das aus meiner eigenen Familie. Und es gibt eben sicherlich genügend andere Beispiele.“

Verständnis für die Täter, selbst wenn diese als Fabrikbesitzer Zwangsarbeiterinnen nackt vor ihren Baracken haben stramm stehen lassen, sie bei Widerstand sexuell missbrauchten, sie in ihren eigenen Privatvillen misshandelt haben oder Kriegsgefangene während der Bombennächte aus den Bunkern jagen haben lassen. Dass der Opa dann auch noch nach oder während dem Krieg eine Affäre mit einer jungen Frau beginnen konnte, deren Vater als Jude deportiert und vermutlich in einem KZ ermordet wurde und aus dieser Verbindung dann auch noch drei uneheliche Kinder hervorgingen, macht die Geschichte in den Augen der bürgerlichen Presse zu einer „besonders tragischen Geschichte“, weil sich da Opfer und Täter vermischen. Dass Opa Albert auch noch Jahrzehnte später erzählen konnte, die französischen und belgischen Zwangsarbeiter hätten bei ihm immer Wein bekommen und geweint, als sie gegen Kriegsende die Firma verlassen mussten – das ist eine Farce.

“Wir waren sprachlos und weiss wie eine Wand”, so schildert Peter Harf in einem Stern-Interview die Situation, als die von der Familie bestellten Historiker:innen 2019 die Ergebnisse der Ahnenforschung präsentierten. Nicht ohne anzumerken, dass man dann nun doch sehr erleichtert sei, „dass es jetzt raus ist.” Umgehend wurde dann auch angekündigt, dass man 10 Millionen Euro an eine entsprechende Organisation spenden wolle, um ehemalige Zwangsarbeiter zu entschädigen und ausserdem hat man die familieneigene Benckiser Stiftung in Alfred Landecker Stiftung umbenannt, nach dem verschwundenen jüdischen Vater von Emilie Landecker, der Geliebten von Albert Reimann junior.

Diese soll sich der Erforschung von Ursachen und Folgen der Shoa widmen sowie dem Kampf für liberale, demokratische Grundwerte und in den nächsten 10 Jahren mit jährlich 25 Millionen Euro aus dem Familienvermögen ausgestattet werden. Das ist immerhin mehr als die fünf Millionen, die die Quandts und Flicks dieser Welt für ihre Whitewashing-Kampagnen ausgegeben haben, angesichts des Riesenvermögens aber immer noch Peantus.

Zur Verdeutlichung des Wahnsinns an Reichtum, den Peter Harf im Namen der Familie Reimann angehäuft hat, muss man sich nur vorstellen, was unsereiner in der Regel an Vermögen besitzt. Die meisten von uns so gut wie nichts, aber angenommen wir hätten 1.000 Euro zur freien Verfügung und das würde einer Edelstahlfolie mit 0,1 mm Dicke entsprechen, dann hätte ein Mensch mit dem Vermögen von einer Million einen Turm in der Höhe von zehn Metern. Das entspricht einem zwei- bis dreistöckiges Haus.

Mit drei Millionen kommen wir in die Region eines Berliner Mietshauses und bei 10 Million sind wir schon bei einem Hochhaus von 100 Metern. Bei 33 Milliarden allerdings bewegen wir uns in einer Höhe von 330 Kilometern. Wir befinden und dann in der sogenannten Thermosphäre und die Erde unter uns ist nur noch ein kleiner blauer Ball. Die Einmalzahlung von 10 Millionen ist aus dieser Entfernung überhaupt nicht zu sehen und die 250 Millionen in der Höhe eines Berges von 2.500 Metern vielleicht.

Hervorgebracht wird dieser Reichtum heute, wie könnte es anders sein, durch eine Armee von Arbeiter:innen verteilt auf dem ganzen Globus. Wer ein Durex-Kondom kauft, beschert den Reimanns Profit, die Marke ist Teil von Reckitt Benckiser. Der Rohstoff – bei Durex dezidiert kein Fair-Trade-Naturkautschuk, sondern der billige Industriekautschuk – ist berüchtigt für seine für Mensch und Natur katastrophalen Herstellungsbedingungen. Dann geht‘s ab in die Megafabrik im chinesischen Qingdao. Und von da aus in den Handel und zum Konsumenten. Billiglohn und Missachtung der Natur sind integraler Teil dieser Produktionskette – und ähnlich könnte man das für dutzende andere Produkte aus dem Hause Reimann auflisten.

Social Business

Kein Wunder, dass für Harf und Konsorten das soziale Engagement in diesem Zusammenhang dann auch nur noch ein „Business“ wie jedes andere ist. In dem Gespräch mit der Wirtschaftswoche, das allerdings noch vor der Aufdeckung der Nazivergangenheit stattgefunden hat, erklärt er den Ansatz und Ablauf für karitative Projekte im Hause Reimann folgendermassen. Da sitzt die Familie bei ihren wechselnden Familientreffen in irgendwelchen Hotels in Italien, London, Luxemburg oder Amsterdam zusammen und macht sich Gedanken, wie man mit dem Geld auch mal was Gutes tun kann. Der Peter, dem man vertraut, geht dann los und setzt um, worüber man am Kamin so sinniert hat und so machte er zum Beispiel aus der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) eine der effizientesten Hilfsorganisationen.

„Nach den gleichen unternehmerischen Prinzipien erneuert er nun die karitative Arbeit der Reimanns“, heisst es in der Wirtschaftswoche und weiter: „Wir nennen es nicht Wohltätigkeit, sondern Social Business, weil wir wie ein Unternehmen mit unseren Mitteln grösstmöglichen Erfolg haben wollen.“ Dabei verknüpft die Organisation Reimann-Gelder mit Mitteln der öffentlichen Hand und anderen Wohltätern, „Denn so wichtig Effizienz im Geschäftsleben ist“, sagt Harf, „im sozialen Bereich ist sie am Ende noch viel wichtiger.“

Wenn dein ganzes Leben nur aus Gewinnstreben besteht, dann ist das wohl so. Ein Leben ohne Skandale und Luxusyachten im ganz normalen kapitalistischen Exzess, aufgebaut auf Zwangsarbeit und Verbrechen. Dass man damit durchkommt, das ist das eigentlich Erschreckende an diesen Reimanns. Und den zahlreichen anderen.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Grafikquelle      :

Oben      —   Adolf Hitler’s 50th birthday party in Australia. Taken in a German Club, Adelaide.

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Von Führern und Verführten

Erstellt von Redaktion am 27. Juni 2021

„Ein kollektives Versagen“

ein Interview von Konstantin Nowotny 

Für Winfried Nachtwei ist der deutsche Afghanistan-Einsatz ein Desaster im Kampf gegen den Terror.

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit vollzieht sich derzeit der Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan. Dabei gäbe es sehr viel darüber zu sagen. Der Sicherheits- und Friedensexperte Winfried Nachtwei von den Grünen zieht eine kritische Bilanz.

Winfried Nachtwei: In der Tat, die wesentlichen strategischen Ziele dieses Einsatzes wurden verfehlt. Die Entscheidung vom 22. Dezember 2001 zur Teilnahme an der UN-mandatierten ISAF jedoch war meiner Meinung nach richtig.

Sie standen damals nicht alleine mit dieser Meinung bei den Grünen.

Ja. In meiner Fraktion herrschte weitestgehend Konsens. Die Staaten standen schließlich vor der Frage: Was tun, gegenüber einem durch 23 Jahre Krieg und Terror zerrütteten Land, das Terroristen als Rückzugsort nutzten? Und da war ziemlich einmütig die Auffassung: Ein solches Land braucht dringend internationale Unterstützung. Die halte ich weiter für richtig. Dass dies mit einer enormen Unterschätzung der Herausforderung und einem strategischen Dissens unter Verbündeten einherging, steht auf einem anderen Blatt.

Wie hat sich das für einen Grünen-Abgeordneten angefühlt, über diesem Einsatzbeschluss zu sitzen und zu sagen: Das ist jetzt der Zeitpunkt für einen Militäreinsatz?

Diese Wochen seit September 2001 war die heißeste Zeit, die ich in meinem politischen Leben erlebt habe. Am Brandenburger Tor demonstrierten wenige Tage nach dem 11. September 200.000 Leute für Solidarität mit den USA. Als es bald danach um die deutsche Beteiligung an der US-geführten „Operation Enduring Freedom“ in Afghanistan ging, war das bei uns heftigst umstritten.

Dann kam die Vertrauensfrage des Kanzler Schröder.

Das war der härteste Hammer, der Druck durch die Vertrauensfrage, die der Kanzler gestellt hat – aus eigener Machtvollkommenheit. Diese wurde für viele Kolleginnen und Kollegen in den Koalitionsfraktionen de facto als Erpressung wahrgenommen, weil dadurch die Koalition auf dem Spiel stand. Damals erhielten wir einen Brief von Erhard Eppler (SPD) : Setzt deshalb nicht das rot-grüne Projekt aufs Spiel.

Sie haben sich für Krieg entschieden.

Aus damaliger Sicht nein. In einem Beschluss zur Enduring-Freedom-Entscheidung am 16. November haben sich SPD und Grüne eindeutig von einem „Krieg gegen den Terror“ distanziert und für politisch umfassende Terrorbekämpfung und militärisches Vorgehen gegen Al Qaida ausgesprochen,

Und dennoch: Sie kommen aus der Friedensbewegung, und Sie haben die Bundeswehr nach Afghanistan geschickt, in den Krieg.

Es war eine schwierige Gewissensentscheidung: nicht nur die Frage, ob ich solch einen Einsatz mit meinen grundlegenden Werten und Prinzipien vereinbaren kann, sondern auch die Frage, was ich mit meiner Entscheidung anrichte. So oder so sah ich da keine Lösung. Für ein paar Tage habe ich ernsthaft erwogen, mein Mandat zurückzugeben.

Wenn Sie von heute zurückblicken: Inwiefern hatte diese Entscheidung einen Einfluss auf die Einstellung der Grünen gegenüber Militäreinsätzen?

Diese Einstellung hatte sich schon über die Konflikte auf dem Balkan geändert. Die erste positive Beschlussfassung der Fraktion zu einem Einsatz war SFOR in Bosnien. Das war noch vor der Wahl 1998, also ohne Koalitionszwang. Dieser Einsatz in Bosnien war unserer Erfahrung tatsächlich gewaltverhütend.

Sie waren zur damaligen Zeit auch selbst in Afghanistan. Was hatten Sie vor Ort für einen Eindruck?

Dass unsere Befürchtungen, Gottseidank, in den ersten Jahren nicht eintrafen. Sie glauben gar nicht, was das für eine Aufbruchsstimmung war in Kabul! Wenn man da durchfuhr, da konnte man fast etwas leichtsinnig werden.

Wann kippte die Stimmung?

Vor Ort sehr deutlich 2006, als im Süden erkennbar Krieg zurückkehrte. Ein Bundeswehrgeneral sagte uns : „Verdammt jetzt muss sich schnell was ändern.“ Wir haben das nach Berlin transportiert, aber da: kalte Schulter. Von da an hat es eine immer stärkere Kritik der Fraktion, auch der Partei, an der Afghanistan-Politik der Bundesregierung gegeben. Wir haben immer wieder eingefordert, zu eruieren: Wo stehen wir, was haben wir erreicht, was ist richtig , was ist falsch gelaufen? Aber das war ein ständiges Anrennen gegen Gummiwände, jahrelang.

Sorgte die Bundesregierung nicht für regelmäßige Unterrichtungen über die Lage in Afghanistan?

Die offiziellen Unterrichtungen waren vor allem seit der sukzessiven Verschärfung der Lage ab 2006 und besonders ab 2008 völlig unzureichend, weil sie im wesentlichen aus Einzelfallberichterstattung bestanden. Da ist was passiert, da ist was passiert. Aber Trends, Schwerpunkte, zusammenfassende Analyse – hat es nicht gegeben. Und deshalb habe ich 2008 angefangen selbst Materialien zur Sicherheitslage in Afghanistan zusammenzustellen. Offiziere sagten mir, sie bekämen in der Bundeswehr nicht solche Informationen.

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In Schland waren die Wege zwischen zwischen Verführten und ihren Führern immer schon sehr kurz! Hoch lebe die Tradition. 

Woher haben Sie diese Informationen bezogen?

Durch meine Vorortbesuche, durch die Auswertung verschiedenster Quellen im Internet. Die Sicherheitslage war das eine, und das andere war die enorm wichtige Aufbaulage, zu der es nie ein Gesamtbild gab.

Und noch weniger informiert wurden die Bürger*innen. 2009 war eine Mehrheit der Deutschen dann für den Abzug.

In den ersten Jahren gab es eine mehrheitliche Zustimmung. Der damalige Bestseller Drachenläufer weckte Interesse an dem kriegsgeplagten Land. Die Stimmung ist aber dann mit der Zunahme der Anschläge und natürlich vor allem 2009 mit dem Luftschlag gekippt. Die bis dahin beschönigende Informationspolitik der Bundesregierung zerplatzte.

Trotzdem ist die Bundeswehr bis heute in Afghanistan geblieben, wieso?

Die Frage, was im Land passiert, wenn die Bundeswehr abgezieht, spielt für diese Frage eine zentrale Rolle. Die – leider auch sehr realistische – Befürchtung war, dass dann der Krieg nicht aufhört, sondern vielleicht sogar verschärft weiterläuft. Die Linke sendete die Botschaft, dass mit dem Abzug der Krieg zu Ende ist, und diese Erwartung hielt ich für falsch. Zugestimmt hat dem Einsatz dann trotzdem nur noch eine Minderheit der Grünen Fraktion.

Quelle         :      Der Freitag           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     — Deutsche ISAF-Patrouille mit drei ATF Dingo bei Masar-e Scharif

Unten     —       German Chancellor Angela Merkel on a visit with the German ISAF forces in Afghanistan. She is meeting with Major-General Hans-Werner Fritz, commander of the German forces in Afghanistan. origianl caption: A meeting was held between Gen. David H. Petraeus, commander, International Security Assistance Force, President of Afghanistan Hamid Karzai and Chancellor of Germany Angela D. Merkel, at Headquarters Regional Command North Dec. 18. ISAF RC North supports Afghanistan in creating a functioning government and administration structure, while preserving Afghan traditions and culture. (U.S. Navy photo/Mass Communication Specialist 2nd class Jason Johnston)

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KOLUMNE – AUFRÄUMEN

Erstellt von Redaktion am 27. Juni 2021

Rapper, da kommt ihr nicht drum rum

Von Viktoria Morasch

Frauenhass geht zwar seit Jahrhunderten als Kultur durch, dreht sich aber eigentlich nur um Machterhalt. Und ist nicht okay, weder in der Oper bei „Aida“ noch „auf der Straße“ aus dem Mund von Rappern.

Als Teenager hörte ich viel Rap (wegen meiner Brüder) und viel Klassik (wegen meiner Schule). Meine russische Klavierlehrerin nahm mich regelmäßig mit in die Oper. Dort sah ich Frauenfiguren sterben: Aida, Carmen, Desdemona … Sie opferten sich oder wurden ermordet. Grund dafür war meistens, dass sie irgendwie falsch geliebt hatten. Ich erinnere mich an endlose Todesszenen, nicht selten begleitet von einem Männersolo, laut, emotional, triumphierend. Zu Hause auf meinen CDs hörte ich zum Beispiel :„bitches ain’t shit but hoes and tricks“.

Zwischen Konzertsaal und „Straße“ liegen Welten, die eines gemein haben: Frauenhass geht als Kultur durch. Aber nur weil etwas jahrhundertealt ist und von sogenannten Genies erdacht, ist es nicht automatisch okay. Und nur weil jemand „von unten“ kommt, kann er nicht machen und sagen, was er will. Zumal Frauen aus dem Rapgeschäft schon lange darauf hinweisen: Es hört nicht bei den Lyrics auf, es geht backstage weiter.

Der Rapper Snoop Dog, Autor der Zeilen „bitches ain’t shit but hoes and tricks / lick on these nuts and suck the dick“, sagte dem Sender Sky news vor einigen Jahren, dass er seine Meinung über Frauen (so ganz allgemein) inzwischen geändert habe. Er wisse jetzt, dass eine Frau eine beautiful person sein kann. Die alten Lyrics bereue er aber nicht. Man könne sich ja nicht für etwas schämen, über das man einfach nicht Bescheid gewusst habe. Dass Frauen Menschen sind, zum Beispiel?

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So wie die Alten sungen – so zwitschern es  die Jungen? Politiker als Paradebeispiele 

Auch in Deutschland lassen Fans und Medien Rappern viel durchgehen. Als seien diese Männer nicht zurechnungsfähig, nur weil sie keine reichen Eltern hatten. Die Argumentation geht so: Hey, er hat doch letztens schon gelernt, dass Antisemitismus nicht klar geht (Applaus!), bestimmt sieht er irgendwann auch ein, dass Frauen mehr sind als bitches, die vor ihm zu knien haben.

Man ist geduldig (im Grunde seit Jahrhunderten), dabei sind diese Rapper oft auch schon Mitte dreißig und hatten fünf Alben lang Zeit, sich ein paar Fragen zu stellen. Ist es okay, Frauen wie Abfall zu behandeln? Geht auch ohne Studium. Am schlimmsten ist dieser Paternalismus-Klassiker, um misogyne Rapper in Schutz zu nehmen: „So ist das halt da, wo der herkommt“. Bullshit. Frauenhass war noch nie Kultur, sondern immer Machterhalt. Aus Texten müssen natürlich keine Taten folgen, hoch lebe die Kunstfreiheit, Gewalt aber fängt bei Worten an, das gilt für Rassismus genauso wie für Misogynie.

Quelle      :         TAZ         >>>>>       weiterlesen

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Oben     —           Ein bunter Scherbenhaufen von rot  bis braun – ein Scherbenhaufen

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Wer ist Hanna?

Erstellt von Redaktion am 17. Juni 2021

Aufstand der Akademiker-Innen

Politiker-Innen: „Morgen, Morgen nur nicht Heute – sagen immer faule Leute“

Von Nicole Opitz

Unter dem Hashtag #IchbinHanna ist eine Debatte über prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft entbrannt. Drei Wissenschaftlerinnen erzählen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) erklärte in einem Video, was das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) ist. Ein Gesetz, das dafür sorgt, dass vor allem Promovierende und Postdocs befristete Stellen unterschreiben. Damit das „System nicht verstopft“ werde, wie es in dem Video heißt. Die Protagonistin in dem Erklärvideo heißt Hanna.

Wis­sen­schaft­le­r:in­nen initiierten deshalb den Hashtag #IchbinHanna, unter dem sie berichteten, was die dauerhaften Befristungen für sie bedeuten: Druck, Planungsunsicherheit, unerfüllte Kinderwünsche und das Verlassen der Wissenschaft gehören dazu. Für einige ist auch klar: Sie sind nicht Hanna, weil sie auf ein Visum angewiesen sind oder als BPoC Diskriminierungsstrukturen ausgesetzt sind, die auch andere Auswirkungen haben als prekäre Arbeitsverhältnisse. Mittlerweile wurde das Video vom BMBF offline genommen und per Stellungnahme auf die Kritik reagiert.

„Ich habe schon Videokonferenzen aus dem Krankenhaus heraus gemacht“

Ich schreibe meine Doktorarbeit über Zeitlichkeit und Behinderung in der zeitgenössischen amerikanischen Literatur. Ich habe Mukoviszidose, eine chronische Stoffwechselerkrankung. Mit Mukoviszidose hat man eine reduzierte Lebenserwartung. Als ich angefangen habe zu studieren, war es teilweise so, dass ich gesagt habe: „Ich erreiche das Rentenalter ja gar nicht.“ Und dachte mir: „Na ja, was soll’s, dann habe ich halt nicht so die Mega-Kar­rierechancen, ich weiß eh nicht, wie alt ich werde. Dann kann ich auch in die Wissenschaft.“ Ich habe Glück, dass es ein neues Medikament gibt, mit dem es mir viel viel besser geht. Das normalisiert meine Lebenserwartung ein Stück weit, aber jetzt muss ich mich doch mit diesem schrecklichen Arbeitsmarkt auseinandersetzen.

Gerade arbeite ich in meinem dritten Vertrag, der im Juli ausläuft. Ich weiß, dass die Verlängerung beantragt ist, aber die ist noch nicht durch. Meine Chefin will mich zwar weiterbeschäftigen, aber dass ich nicht weiß, ob und wann mein Arbeitsvertrag verlängert wird, nimmt mir die Motivation.

Es erzeugt diese völlig paradoxe Situation: Natürlich will ich schnell fertig werden mit der Diss, aber in dem Moment, wo ich mit der Diss fertig werde, habe ich keinen Job mehr. Das ist eine Qualifikationsstelle und die muss ich wieder freimachen. Das hat einen Einfluss auf die Lebensplanung. Und der Druck macht total was mit einem. Du vergleichst ständig Lebensläufe mit anderen, die viel veröffentlicht haben und hier noch mal eine Konferenz organisiert haben. Dadurch entsteht ein Zwang zur totalen Hyperproduktivität. Du musst immer noch ein bisschen besser sein als die anderen.

Manchmal kollidiert dieser Zwang zur Überproduktivität aber mit meinem Körper: Ich muss regelmäßig ärztlich kontrolliert werden, Medikamente nehmen, ich muss inhalieren. Das kostet alles Zeit. Und oft habe ich einfach nicht so viel Kraft. Weil: für meinen Körper ist alles – das ganz normale Funktionieren, rumlaufen, Treppensteigen, Essen – anstrengender. Und ich kann mich nicht immer rausziehen: Ich habe schon Videokonferenzen gemacht aus dem Krankenhaus heraus, um den Anschluss nicht zu verlieren. Und klar, das ist noch mal ein extra Druck, ich muss es eben auch besonders gut machen, um zu beweisen, dass ich ja trotz und wegen der Behinderung immer noch hier mitreden darf.

Dorothee Marx (32) promoviert an der Uni Kiel zu chronischen Erkrankungen und Behinderungen in Comics und Literatur

„Zurück an eine deutsche Uni möchte ich nie mehr“

Ich habe meinen Magister in Deutschland gemacht und bin nach einem Jahr als wissenschaftliche Hilfskraft weggegangen. Meine Erfahrung ist die, wie es für jemanden mit einer sozialen Herkunft in der Ar­bei­te­r:in­nen­klas­se und mit „Migrationshintergrund“ an der Uni war. Das ist nur ein Faktor, warum ich mich entschieden habe, nicht in Deutschland an der Uni zu bleiben, aber auch Finanzen und mein Forschungsinteresse hängen damit zusammen. 2017 habe ich in Edinburgh promoviert über die postkoloniale Situation der Stadt Brüssel. Jetzt arbeite ich als Wissenschaftlerin in den Postcolonial und Decolonial Studies. Zurück an eine deutsche Uni möchte ich nie mehr.

Meine Sicht ist eine privilegierte: Ich hatte eine großartige Mentorin. Dazu kommt, dass ich keine Kinder oder keine Pflegeverantwortung für irgendjemanden habe. Ich konnte gehen. Das ist selbst, wenn man in Deutschland bleibt, ein Problem mit den sehr kurzfristigen Verträgen. Dass man immer in der Position sein muss, seine Koffer zu packen und nächstes Jahr woanders zu arbeiten. Das ist für viele unmöglich.

Was mich so wahnsinnig daran frustriert, ist diese Vorstellung: Wer ist diese Person, für die diese Stellen geschaffen werden? Wenn das Bildungsministerium sagt, dass dass Wissenschaftszeitgesetz tatsächlich in irgendeiner Weise eine gute Sache sein soll, dann kann sie ja nur eine gute Sache sein für jemanden, der:­die total unabhängig ist, der:­die keine Verpflichtungen in irgendeiner Art hat. Ich kann ja auch diese Kurzfristigkeit psychisch nur aushalten, wenn ich ein Sicherheitsnetz habe. Wenn ich weiß: Ach, wenn ich keinen Job kriege, dann zieh ich einfach wieder bei Mama und Papa ein.

Was in der Debatte um das Wissenschaftszeitgesetz untergeht, ist auch das System der deutschen Uni. Dok­to­ran­d:innen, vor allem die, die mit einem Arbeitsvisum an einer deutschen Uni angestellt sind, haben ein problematisches Abhängigkeitsverhältnis zu ih­­re­r:ih­rem Gutachter:in. Es kommt in diesem System zu vielen Situationen, die ich auch so nicht mehr erlebt habe, seitdem ich in Großbritannien arbeite. Zum Beispiel wie Lehrende in höher gestellten Positionen sich über Studierende äußern, über deren Hintergrund, Interessen, Ausdrucksfähigkeit, und auf sie eingehen. Äußerungen, die latent rassistisch, klassistisch, sexistisch sein können. Momente, in denen ich mir gedacht habe: Das ist kein Umfeld, in dem ich mich wiederfinden will. Wo ich das Gefühl hatte, dass ich wahnsinnig viel erklären muss – auch meine Existenz in diesem Raum ständig erklären muss.

Dann kommt hinzu, was und wie in Deutschland unterrichtet wird. Gerade in so recht traditionsverwurzelten Fächern wie der Romanistik. Es ist ein relativ weißer Kanon – es findet wenig statt, was Dekolonialisierung angeht. Es gibt zwar positive Ausnahmen, aber wir brauchen einen langfristigen Wandel. Wenn sich jemand denkt: Okay, bin ich drin, aber fühle mich als Ar­bei­ter:­in­kind und/oder als nichtweißer Mensch trotzdem fehl am Platz. Ich denke, das ist das Hauptproblem.

Sarah Arens (35) hat in Saarbrücken Romanistik studiert, in Edinburgh ihre Promotion in Postcolonial und Decolonial Studies verfasst und arbeitet heute als Wissenschaftlerin in St. Andrews, Großbritannien

„Gerade arbeite ich auf meinem elften Vertrag“

Quelle        :        TAZ         >>>>          weiterlesen

Arbeitsbedingungen an Hochschulen:

Sie wollen nicht mehr Hanna sein

Auch zu faul seine Benennungen auszuschreiben Beispiele ? BAFIN – WissZeitVG 

Kommentar von Ralf Pauli

Die Arbeit an Unis ist prekär. Um das zu ändern, braucht es für alle qualifizierten Wis­sen­schaft­le­r:in­nen Aussicht auf eine unbefristete Stelle.

Das Video, das seit Tagen Wis­sen­schaft­le­r:in­nen in Rage bringt, ist hübsch gemacht. Darin ist eine animierte Doktorandin im weißen Kittel und mit Brille zu sehen – Hanna, eine Biologin. Vor rund drei Jahren hat das Bundesbildungsministerium das Video veröffentlicht, um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz – kurz WissZeitVG – zu erklären.

Mit dem Gesetz wollte die Bundesregierung die prekäre Arbeitssituation von Nach­wuchs­wis­sen­schaft­le­r:in­nen verbessern. In dem Erklärvideo hört sich das jedoch ganz anders an. Befristete Verträge werden dort als innova­tions­fördernd gelobt, Entfristungen als unsozial gebrandmarkt. Wer schon während oder nach der Promotion eine Stelle auf Lebenszeit erhält, so kann man das Video verstehen, verbaut der nachfolgenden Generation die Karrierechancen.

Für Nachwuchswissenschaftler:innen, die sich über Jahre von Vertrag zu Vertrag hangeln, muss das wie blanker Hohn klingen. Unter dem Hashtag #IchBinHanna berichten sie von Zukunftsängsten, Leistungsdruck und unmöglicher Lebensplanung. Viele von ihnen sind 35 Jahre oder älter.

Quelle          :         TAZ       >>>>>        weiterlesen

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Oben     —   Gruppe der Scientists for Future am 15. März 2019 (InvalidenparkBerlin-Mitte)

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B-Zentrale politische Bildung

Erstellt von Redaktion am 16. Juni 2021

Seehofers Haus diktierte Definition

„BILD“ in den Krallen des Adler ?

Von Volker Agar

Die „Bild“ und ein CDU-Politiker machen Druck. Dann greift das Innenministerium in den Linksextremismus-Teaser der bpb ein. Das zeigen nun interne Mails.

Es ist nur ein Satz, aber der Streit über ihn sagt viel aus über die politische Gegenwart in der Bundesrepublik und die Geisteshaltung in manch ihrer Institutionen:

„Im Unterschied zum Rechtsextremismus teilen sozialistische und kommunistische Bewegungen die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – interpretieren sie aber auf ihre Weise um.“

Man erkennt, wie maß­geblich die Bild die Überarbeitung des Teasers im Linksextremismus dossier angestoßen hat.

Im Januar hatte die taz darüber berichtet, wie sich über diesen Satz, der aus der ehemaligen Einleitung des Linksextremismus-Onlinedossiers der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) stammt, zuerst ein konservativer und rechter Shitstorm bildete; und wie dieser Satz, der von einem renommierten Wissenschaftler verfasst worden war, zuerst aus dem Netz genommen und dann durch eine unwissenschaftliche Linksextremismusdefinition des Verfassungsschutzes ersetzt worden ist.

Schon damals war bekannt, dass die bpb diese Änderung auf Anweisung des Bundesinnenministeriums (BMI) vorgenommen hatte, denn die Bildungsbehörde ist dem Ministerium nachgeordnet, das BMI hat die Fachaufsicht über die bpb inne. Konkret heißt das, dass die bpb dem zuständigen BMI-Referat berichten muss und das Referat zugleich die Möglichkeit hat, in die Arbeit der bpb einzugreifen, wenn es einen Anlass dazu sieht.

BMI hatte verneint, dass Leitung eingebunden war

Genau dies geschah in dem Fall des Linksextremismus-Teasers. Im März hat die taz bereits anhand der Mailkorrespondenz zwischen der bpb und dem BMI rekonstruiert, wie der Eingriff erfolgt ist. Diese lag ihr als Ergebnis einer Anfrage des Informationsportals FragDenStaat nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) vor. Bemerkenswert an dieser Kommunikation war, dass das BMI mehrere wissenschaftliche Änderungsvorschläge der bpb zurückgewiesen hat, und der bpb am Ende eine unwissenschaftliche Linksextremismusdefinition ähnlich jener des Verfassungsschutzes aufgedrängt hat, an der die für die politische Bildung eigentlich nicht zuständige BMI-Abteilung für öffentliche Sicherheit (ÖS) mitgewirkt hatte.

Nun liegt der taz die interne Kommunikation des BMI vor, ebenso als Ergebnis einer IFG-Anfrage von FragDenStaat. Absender- und Empfängeradressen hat die Behörde geschwärzt, die wichtigsten Akteure lassen sich aber über Signaturen und die Inhalte der Mails rekonstruieren.

Aus dieser Kommunikation geht einerseits hervor, welch zentrale Rolle die Bild-Zeitung und der Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzender des bpb-Kuratoriums, beim Eingriff des BMI gespielt haben.

Andererseits ist der behördeninternen Kommunikation zu entnehmen, dass die Hausleitung, anders als zunächst behauptet, doch entscheidend in den Vorgang eingebunden gewesen ist – das BMI hatte im Februar gegenüber der taz die Frage verneint, ob Bundesinnenminister Horst Seehofer oder zuständige Staatssekretäre in die Überarbeitung des Einleitungstextes eingebunden gewesen seien.

Das Ministerium hat also gelogen, um das Ausmaß dieses Vorgangs zu verschleiern, der sich nun mit Blick auf die interne Kommunikation des Ministeriums weiter vervollständigt. Aktiv beteiligt an dem Vorgang war, das geht aus dem Schriftverkehr hervor, das Ministerbüro von Horst Seehofer, eingebunden waren zudem Staatssekretäre.

„Haben Sie da ein griffiges Zitat für uns?“

Die Rekonstruktion:

Am 11. Januar setzt die Bild-Zeitung den Vorgang, der letztendlich zur Überarbeitung des Teasers führen wird, wie folgt in Gang: Nach rechter Empörung auf Twitter am 10. Januar fragt Bild bei Thorsten Frei an, verweist dabei auf einen Tweet von Hubertus Knabe. In der Anfrage, die der taz vorliegt, heißt es:

„Wie schätzen Sie das ein? Haben Sie da ein griffiges Zitat für uns?“

Ein Mitarbeiter von Frei liefert schon nach knapp zwei Stunden mehr als ein griffiges Zitat und weist darauf hin, dass Frei gerne in seiner Funktion als Kuratoriumsvorsitzender der bpb zitiert werden könne. Am Abend desselben Tages kontaktiert ein Mitarbeiter von Frei das BMI und verweist auf die Presseanfrage der Bild. Frei, heißt es in der Mail an das BMI, „würde sich sehr freuen, wenn Sie auch diesen Sachverhalt in Ihrer Aufsichtsfunktion genauer in den Blick nehmen könnten“. Und weiter: „Zumindest sollte unserer Ansicht die irritierende Darstellung auf der Webseite entsprechend kritisch überarbeitet werden.“

2018-11-29 Besuch BM Horst Seehofer bei MP Reiner Haseloff in Magdeburg 1956.jpg

Das Gesicht der Deutschen Bildung

Gleichzeitig regt der Mitarbeiter ein Gespräch des BMI mit der bpb-Leitung an, bei dem man „durchaus auch noch einmal über die Darstellung bestimmter Themen sprechen“ könne. Zum Thema Linksex­tremismus gäbe es kaum Publikationen, und „bei dem wenigen, das es gibt, passieren solche Schnitzer“.

In einer Antwort des BMI am darauffolgenden Tag versichert dieses, dass man eine Korrektur des Textes mit der bpb besprechen und das Anliegen des Abgeordneten auch bei einem Gespräch mit der bpb-Leitung thematisieren werde. Am 11. Januar stellt die Bild auch eine Anfrage an das BMI, was die behördeninterne Kommunikation zum Vorfall endgültig in Schwung bringt, und es beginnen Beratungen über eine bestmögliche Antwort auf diese Presseanfrage der Bild.


In der Kommunikation zwischen den zuständigen BMI-Stellen wird über einen Antwortvorschlag beraten, in dem es heißt, dass das BMI die bpb gebeten habe, die Formulierung zu überarbeiten, „um Missverständnisse künftig auszuschließen“. Der Vorschlag sei so formuliert, weil der Verfasser die Befürchtung habe, „dass Bild andernfalls titelt ‚BpB relativiert Linksextremismus und BMI findet nichts dabei‘“.

Dieser Vorschlag wird dann zur „Billigung“ dem „St K“, also offenbar dem zuständigen Staatssekretär Markus Kerber, vorgelegt. Auch eine interne Sprachregelung bezüglich der Antwort an die Bild wird vereinbart. Der parlamentarische Staatssekretär Volkmar Vogel hat zuvor mit Verweis auf Posts verschiedener Bundestagsabgeordneter und einer Beschwerdemail darum gebeten. Nach kleinen Überarbeitungen verschickt das Ministerium die Antwort auf die Presseanfrage.

„Bild“-Zeitung als Impulsgeber

Man erkennt schon an diesem Punkt, wie maßgeblich die Bild-Zeitung die Überarbeitung des Teasers im Linksex­tre­mis­mus­dos­sier angestoßen hat – wie sehr die Beamten des BMI ihr Handeln an der Bericht­erstattung der Bild-Zeitung ausrichten.

Am 12. Januar tritt das BMI in den Austausch mit der bpb und veranlasst, den Einleitungstext aus dem Netz zu nehmen und einen neuen Einleitungstext abzustimmen. Die bpb antwortet, dass sie bereits eine Überarbeitung vorgenommen habe.

Diese neue Version ist etwas ausführlicher als die vorherige, enthält ein Zitat des Soziologen und Politikwissenschaftlers Armin Pfahl-Traughber, ehemaliger Referatsleiter der Abteilung Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz. Auch der umstrittene Satz ist noch da. Doch heißt es nicht mehr, dass sozialistische und kommunistische Bewegungen die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit „teilen“, sondern sich auf diese „berufen“.

Das für die bpb zuständige BMI-Referat GII4, „Politische Bildung und politische Stiftungen“, möchte den „streitgegenständlichen Satz“ aber entfernt haben, weil es auch so bei der „Vermischung von kommunistischen Bewegungen mit liberalen Ideen“ bleibe, das könne „als Relativierung und Verharmlosung von Kommunismus verstanden werden“. Auch der nächste Vorschlag der bpb vom Morgen des 13. Januar enthält ein Zitat von Pfahl-Traughber, der umstrittene Satz aber ist nun verschwunden. Das trifft im zuständigen BMI-Referat auf Einverständnis.

Diese Version, heißt es in der Kommunikation, solle nun der Leitung der Abteilung G zur Billigung vorgelegt werden, das ist die für die bpb zuständige Abteilung „Grundsatz, Planung und Kommunikation“. In der Behördenhierarchie befindet sich diese Abteilungsleitung direkt unter dem Staatssekretär, in diesem Fall Markus Kerber, auf den der Bundesinnenminister folgt.

An diesem Punkt scheint die Sache also bereits erledigt zu sein. Ein Eingriff durch das BMI ist zwar erfolgt, ein Satz wurde gelöscht. Aber die bpb hat es noch geschafft, an einer halbwegs wissenschaftlichen Definition von Linksextremismus festzuhalten und in der neuen Version zumindest einen Wissenschaftler zu Wort kommen zu lassen.

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Neuer Verfassungsschutzbericht

Die Gefahr droht von rechts

EPP Helsinki Congress in Finland, 7-8 November 2018 (45044283104).jpg

Willkommen im Club unter Humpty und Dumpty

Ein Kommentar von Stefan Reinecke

Innenminister Seehofer gibt sich angesichts der steigenden Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten alarmiert. Auch er begreift nun das Offenkundige.

Dass ein CSU-Innenminister bei der inneren Sicherheit zu Hyperbeln greift, ist keine Überraschung. Es ist ein eingefrästes konservatives Muster, die Gefahr, die Staat und Gesellschaft droht, in grellen Farben zu malen. Denn das hat den schönen Nebeneffekt, sich selbst als Fels in der Brandung und den Verfassungsschutz als effektive Institution in Szene zu setzen, ohne die gesetzestreuen BürgerInnen schlaflose Nächte drohen würden.

Dass Horst Seehofer von Alarmzustand redet, ist diesmal aber mehr als steile Rhetorik. Es gibt amtlich 33.000 Rechtsextremisten, davon ist ein Drittel möglicherweise gewaltbereit. Dabei zählt der Verfassungsschutz 20.000 Reichsbürger aus Gründen, die nicht recht einleuchten, gar nicht zum Phänomen Rechtsextremismus. Diese Zahlen lassen nach Halle und Hanau eine Rhetorik des Alarms nicht ganz abseitig erscheinen.

Die gute Nachricht ist: Auch Seehofer hat das Offenkundige begriffen – die größte Bedrohung geht von Rechtsextremen aus. Der Verfassungsschutz hat, nachdem er die Neue Rechte jahrelang nicht so recht ernst genommen hatte, erkannt, dass ein gerader Weg von der Theorie zur Praxis führen kann. Leute wie Götz Kubitschek träumen von einem Bürgerkrieg zwischen Biodeutschen und Migranten, von der Rettung der „völkisch nationalen Homogenität“.

Quelle        :        TAZ        >>>>>        weiterlesen

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Grafikquelle    :

Oben       —       Reichswappen mit Reichsadler ab 1928, als deutscher Bundesadler des Bundeswappens ab 1950

2.) von Oben    —   Besuch von Bundesinnenminister Horst Seehofer bei dem Ministerpräsidenten von Sachsen-AnhaltReiner Haseloff, am 29. November 2018 in MagdeburgStaatskanzlei des Landes.

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Unten      —      7 November 2018

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Debattenbeitrag Klima

Erstellt von Redaktion am 15. Juni 2021

Tiefergelegter Verstand in der Politik wenn es um Klima geht

Detection and attribution of climate change (NOAA NCDC).png

Von Helmut Holzapfel und Manfred Kriener

Der geschröpfte kleine Autofahrer ist wieder da. Doch wissenschaftliche Daten belegen: Von billigem Sprit und Pendlerpauschale profitieren vor allem Reiche.

Beim Auto hört der Spaß auf. Das war bei den Deutschen schon immer so. Bleifuß, Benzin im Blut und tiefergelegter Verstand bei Tempo 180. Aber stimmt das überhaupt noch? Nein, es stimmt immer weniger. Die Liebe zum „Wagen aus Eisen mit vier Rädern, die viel schneller laufen als jemals ein Pferd“ (der chinesische Mandarin Kao-tai) ist erloschen. Weniger Führerscheine, weniger Autobesitz, weniger PS-Neurosen – das ist bei den Jüngeren unübersehbar. Der fossile Automobilismus hat mit Stau, Gestank und Klimakrise, mit Flächenfressen und Stadtzerstören seine Reize verloren, der Lack ist ab. Es gibt neue, andere Lifestyle-Produkte, auch das Fahrrad ist eines.

In der Politik ist das noch nicht angekommen. Für Union, SPD, FDP und offenbar sogar für die Linke gilt das alte Narrativ. Das Auto ist die glitzernde Wunschmaschine und der Autofahrer ein unter Naturschutz stehender Akteur, der vor dem Umweltzirkus grüner Latzhosenbrigaden beschützt werden muss. Der groteske Streit um die Benzinpreise bestätigt die alte libidinöse Bindung zwischen Politik und Autofahrern und Autoindustrie. Kaum hat Annalena Baerbock ihre Hochrechnung von 16 Cent Spritpreiserhöhung durch die – von der Bundesregierung – eingeführte CO2-Bepreisung ausgesprochen, stacheln die Autoparteien reflexartig die Benzinwut an. Sie lassen den prototypischen Fabrikarbeiter mit dem mühsam abbezahlten VW Polo wie Kai aus der Kiste auferstehen: Der von steigenden Benzinpreisen geprügelte Familienvater wohnt mit vier Kindern draußen auf dem Land und quält sich täglich im Kleinwagen durch die Staus zur Arbeit, wo er am Fließband Schrauben dreht und abends erschöpft nach Hause fährt, um dort den Cent umzudrehen. Deshalb: Billiger Sprit um jeden Preis

Doch diese Figur ist ein nach Belieben instrumentalisiertes Phantom, eine verkehrspolitische Fata Morgana. Die automobile Wirklichkeit sieht anders aus. Die von Verkehrswissenschaftlern erhobenen Daten belegen eindrucksvoll, dass nicht die kleinen Leute, auch nicht die Frauen, sondern vor allem einkommensstarke Männer von niedrigen Spritpreisen und Pendlerpauschale profitieren. Gutverdiener wie Manager und Ingenieure pendeln auf doppelt so langen Strecken wie Menschen mit einfacher beruflicher Tätigkeit. Die externen Kosten des Autos und sogar die Subventionen zahlen dagegen diejenigen, die gar kein Auto haben. Die gibt es! Selbst am Audi-Standort Ingolstadt besitzen nur 48 von 100 Menschen ein Auto. Und es zahlen auch die, die wenig fahren: Frauen, Alte, ärmere Bevölkerungsschichten. Männer fahren sehr viel längere Distanzen und fahren generell mehr Auto. Alte und Arbeitslose fahren weniger. Wer wenig verdient und damit auch wenig oder keine Steuern zahlt, profitiert kaum oder gar nicht vom Steuerabzug durch die Pendlerpauschale.

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Verfügen von den heutigen Regierungsmittgliedern vielleicht nur deren Chauffeure über einen gültigen Führerschein ?

Die weiten Strecken fahren nicht die Armen, sondern die Reichen, die heftig vom Staat auf Kosten der anderen für jeden Kilometer steuerlich erheblich subventioniert werden. Das Wunderbare an der Sache ist nun, dass bei steigenden Benzinpreisen die Politik wegen der Ärmeren interveniert, gerne gesehen von den Begüterten und Subventionierten, die sofort noch mehr Subventionen einfordern. Genannt wird dieser Irrsinn „soziale Gerechtigkeit“. Umweltpolitisch ist es das Phänomen „linke Tasche, rechte Tasche“. Der CO2-Preis macht die Klimakiller teurer, um sie zurückzudrängen und die Klimaziele zu erreichen. Die Entfernungspauschale und billiges Benzin bewirken das Gegenteil, sie sind verkehrstreibend und belohnen lange Fahrten. Dass diese Subventionen auch noch unsozial sind, haben offenbar nur die Grünen bemerkt, die allerdings unter dem Trommelfeuer der letzten Tage defensiv agieren, wie der Parteitag zeigte.

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Grafikquellen         :

Oben        —     Effects (floods) of Typhoon Vamco (2020) in San Rafael, Bulacan

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Unten      —   UN-Klimakonferenz in Bonn 2017; Anlässlich der Konferenz präsentierte der Künstler Achim Mohné seine Bodenarbeit „0,0064 Megapixel – Planet Earth is blue and there´s nothing I can´t do“ auf dem Vorplatz der Bundeskunsthalle. Es handelte sich um einen analogen Nachbau einer digitalen Bildstruktur die ein großflächiges Mosaik der Erde darstellt.

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Eine Lektion aus der Krise

Erstellt von Redaktion am 9. Juni 2021

Wir können Bürokraten und Verwaltungen nicht wählen – und wir können sie schon gar nicht abwählen

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Ein Schlagloch von Georg Seeßlen

Eine gute Verwaltung wäre menschlich, vernünftig, transparent, unkor­rum­pierbar und gerecht. Dafür brauchen wir erst mal eine linke Kritik der Bürokratie.

Eine Krise ist, na ja, so gut wie das, was eine Gesellschaft aus ihr lernt. Was das anbelangt ist der Verdacht groß: Corona ist eine echte Scheißkrise. Nehmen wir Bürokratie als Beispiel.

In unserer arg vereinfachenden politischen Endloserzählung geht es um die Beziehung von „Regierung“ und „Volk“. Die Regierung braucht ein gutes Volk. Also eines, das seine Steuern zahlt und nicht gleich zu den Nazis rennt, wenn ihm etwas an der Regierung nicht passt. Und das Volk braucht eine gute Regierung. Also eine, die Versprechungen einhält und nicht gleich Polizei und Justiz losschickt, wenn ihr wer im Volk nicht passt.

Aber Regierung und Volk sitzen ja selten gemütlich beieinander. Sie begegnen sich vielmehr hauptsächlich symbolisch und Sprechschau-rhetorisch. Und da ist der Verlogenheitsfaktor in der Regel groß genug, um Menschen fernzuhalten, die sich was aus Würde und Unabhängigkeit machen.

Nein, nicht Zeremonien und Zeichen sind es, die Regierung und Volk praktisch miteinander verbinden, sondern ein „intermediärer Sektor“, in dem sich die Interessen beider Seiten treffen sollen. Von der Seite des Volkes her sind das Organisationen wie Gewerkschaften, Vereine, Verbände, Genossenschaften, aber auch Medien, Bewegungen, Szenen. Von der Seite der Regierung treten Ordnungsmächte (wie die Polizei), Information (darfst auch „Propaganda“ sagen) und, last but not least Verwaltung in diesen intermediären Sektor. Eine traditionelle Verwaltung besteht in der Umsetzung des Regierungswillens in ökonomische, kulturelle und alltägliche Praxis.

Eine demokratische Verwaltung, wenn es so etwas gibt, würde zwischen dem Willen der Regierung und den Bedürfnissen des Volkes vermitteln, und zwar bis in jeden Einzelfall hinein. Was wäre also eine gute Verwaltung? Klar: menschlich, vernünftig, transparent, selbstlos, also unkorrumpierbar und gerecht. Eine solche ideale Verwaltung gibt es auf Erden nicht. Wir wären schon froh, wenn man sich von allen Seiten darum bemühte.

Wie wir wissen, steht es um den intermediären Sektor nicht zum Besten. Die Gewerkschaften beschränken sich auf Tarifspiele und verteilen an ihre Mitglieder bunte Blättchen mit Reklame für Kreuzfahrten und Gewinnspiele. Die Berufsverbände lösen sich als Lobbynetzwerke auf, die Medien, nun ja. Und die Verwaltung? Wir nennen sie Bürokratie, und wohl jede und jeder von uns hat Geschichten zu liefern, wie würdelos, ungerecht, menschenfeindlich, rücksichtslos, widersinnig, lahmarschig, undurchsichtig, inkompetent und so weiter Bürokratie sein kann. Verwaltung ist uns im Alltag viel näher als Regierung, die direkte Macht eines Bürokraten betrifft uns mehr als die indirekte der Politik, weil eine Regierung viel versprechen kann, was ihre Bürokratie dann schon zu verhindern wissen wird. Und weil wir Bürokraten nicht wählen und schon gar nicht abwählen können.

Eine Uniform, Fahne und der Marsch zeigt die Reaktion

Krisen machen auch hier etwas sichtbar, was sonst in alltäglicher Praxis verborgen ist. So sprechen wir auch jetzt wieder (und natürlich nicht zu Unrecht) vom Versagen der Regierung und dem einzelner Ministerien ganz besonders. Vom großen strukturellen Versagen der Bürokratie in nahezu allen Folgeproblemen der Pandemie dagegen wird vergleichsweise wenig gesprochen.

Bürokratie ist ein Subsystem der Gesellschaft, und sie ist ein Subsystem in jedem Subsystem. Die Wissenschaft, die Medizin, das Finanzwesen, die Kultur, die Bildung, sie alle haben ihre eigene Bürokratie, die wiederum mit der Metabürokratie des Staates verflochten ist.

Quelle          :           TAZ         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben      —   Karikatur von Gerhard Mester zum Thema Klimawandel und Kohleverbrennung: – Totschlagargument Arbeitsplätze (Stichworte: Globus, Erde, Klima, Kohle, Energie, Umwelt)

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Streit in der Saarland-Linken

Erstellt von Redaktion am 9. Juni 2021

Keine Stimme von Oskar und Sahra

Von Christoph Schmidt-Lunau

Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht rufen zur Nichtwahl ihrer Partei im Saarland auf. Es gibt Streit um gekaufte Stimmen.

Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine gehen auf Konfrontation. Die beiden prominentesten Linken aus dem Saarland rufen dazu auf, den Spitzenkandidaten der eigenen Landespartei, den Bundestagsabgeordneten Thomas Lutze, nicht zu wählen. Jede Stimme für die Linke im Saarland bei der kommenden Bundestagswahl sei eine Stimme für Lutze „und damit für eine Politik und ein Verfahren innerparteilicher Willensbildung, die von Sahra Wagenknecht und mir grundsätzlich abgelehnt werden“, erklärte Lafontaine zum Wochenbeginn.

Nach dem Desaster bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt erreichen die heftigen Auseinandersetzungen im bislang erfolgreichsten Westlandesverband der Partei einen neuen Höhepunkt. Am Sonntag hatte sich Lutze, seit 2009 Bundestagsabgeordneter und aktueller Linken-Landesvorsitzender, bei der Entscheidung über Platz eins der saarländischen Landesliste gegen den 27-jährigen Landtagskandidaten Dennis Lander durchgesetzt, nach schmutziger Personaldebatte.

Der Landesversammlung in Neunkirchen vorangegangen war bereits ein heftiger Schlagabtausch zwischen den verfeindeten Lagern um Lafontaine und der von ihm geführten Landtagsfraktion auf der einen, und dem Landesvorstand unter Lutzes Vorsitz auf der anderen Seite. Lafontaine hatte Lutze aufgefordert, auf eine Kandidatur zu verzichten, weil die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Manipulationsvorwürfen ermittle. Lutze und der Landesvorstand wiederum hatten Lafontaine den Parteiaustritt und den Verzicht auf sein Landtagsmandat nahegelegt.

Mit Lutzes Wahl am Wochenende habe sich erneut „das Betrugssystem wie bei den zurückliegenden Aufstellungsversammlungen durchgesetzt“, argumentiert Lafontaine nach dem Showdown, dem er selbst ferngeblieben war. Lafontaine spricht erneut von „betrügerischen Machenschaften“. Gegenüber der taz habe Lutze 2018 zugegeben, „für fünf bis sechs Mitglieder eine Patenschaft übernommen“ zu haben. „Heute ‚hilft‘ er vermutlich eher 50 bis 60 Mitgliedern bei der Beitragszahlung und einige seiner Unterstützer ‚helfen‘ bei der Rekrutierung fingierter Mitglieder ebenfalls. Das erklärt das Wahlergebnis in Neunkirchen“, so Lafontaine.

Lutze ist sich keiner Schuld bewusst

Nach einer Strafanzeige der früheren Landesvorsitzenden Astrid Schramm ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Urkundenfälschung. Es geht um eine Liste von Beitragszahlungen in Höhe von insgesamt 1.286 Euro, die der frühere Lutze-Mitarbeiter Mekan Kolasinac im Auftrag und aus dem Budget Lutzes bei der Landesgeschäftsstelle mit fingierten Beitragsquittungen eingezahlt haben will, um deren Stimmberechtigung zu sichern.

Quelle        :       TAZ          >>>>>         weiterlesen

Streit bei der Linken im Saarland:

Im Modus der Selbstzerstörung

Wenn es im Kopf fehlt – kommen die Füße und zertreten den Rest

Ein Kommentar von Christoph Schmidt-Lunau

Während sich im Saarland die Linken-Politiker Lafontaine und Lutz bekriegen, schaut die Bundespartei tatenlos zu. Das könnte sich als folgenschwer erweisen.

Oskar Lafontaine ruft zum Wahlboykott auf. Denn der Spitzenkandidat der Saar-Linken sei unwählbar. Das ist für die Linkspartei brandgefährlich. Lafontaine war im Saarland ja stets Garant für gute Wahlergebnisse. In einer aktuellen Umfrage liegt die Linke dort bei 14 Prozent.

Selbst sein Widersacher, der Landesvorsitzende Thomas Lutze, bescheinigt der Landtagsfraktion unter Lafontaines Vorsitz hervorragende Arbeit. Wenn der jetzt vor Lutze warnt und ihn als Betrüger beschimpft, könnte das das Ende beider Karrieren einleiten.

Der Bundestagsabgeordnete Lutze hat zwar die Kandidatenkür gewonnen. Doch nach der Schlammschlacht der beiden Lager ist er angezählt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und könnte Anklage erheben. Die Landeswahlleiterin hatte bereits vor vier Jahren die von Lutze angeführte Landesliste wegen Manipulationsverdachts nur unter schweren Bedenken zugelassen.

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Grafikquellen          :

Oben     —    Das Silwinger Luxuspärchen  / DL/  privat — CC BY-SA 3.0   :

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2.) von Oben          —     Ein bunter Scherbenhaufen von rot  bis braun – ein Scherbenhaufen

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Mission Entschwoerungen

Erstellt von Redaktion am 3. Juni 2021

„Die Anfragen zum Umgang mit Verschwoerungsideologien haben sich von 2019 bis 2021 mehr als verdreifacht“

Von Johannes Drosdowski

Schü­le­r-In­nen, die von gefährlichen Tests erzählen. Eltern, die Lehrkräften Videos von Co­ro­nal­eug­ne­r-In­nen nahelegen. Verschwörungsmythen haben längst ihren Weg in die Klassenzimmer gefunden. Was tun ?

Peer Gärtner* ist zu spät. Als er versucht, seine Schü­le­r*in­nen im Unterricht gegen Verschwörungsmythen zu stärken, bevor sie bei ihnen ankommen, muss er feststellen: Sie sind längst da. Lügen über ein Virus aus dem Labor, über Bill Gates, über eine Regierung, die die Bevölkerung angeblich unterdrücken will – sie haben längst den Weg zu seinen Schü­le­r*in­nen an einer bayerischen Mittelschule gefunden. „Die ganzen typischen Erzählungen waren bei den Schülern schon aufgeploppt.“ Gärtner hat ein Problem.

30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland halten Verschwörungserzählungen für wahrscheinlich richtig oder sicher richtig, wie eine repräsentative Befragung von Infratest dimap zwischen Oktober 2019 und Februar 2020 mit mehr als 3.200 Teilnehmenden ergab. 11 Prozent sind laut der im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung durchgeführten Studie überzeugte Verschwörungsgläubige – und das noch vor der Pandemie.

Die Schule ist kein geschlossener Raum, bei dem gesellschaftliche Entwicklungen außen vorbleiben. Ideen werden hineingetragen durch Eltern, Schüler*innen, Lehrkräfte – auch Verschwörungsmythen. Und so sehen sich Schü­le­r*in­nen mit verschwörungsideologischen Lehrkräften konfrontiert, Leh­re­r*in­nen müssen mit Verschwörungsmythen von Schü­le­r*in­nen und Eltern umgehen.

Das spürt auch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). „Die Anfragen zum Umgang mit Verschwörungsideologien haben sich von 2019 bis 2021 mehr als verdreifacht und machen jetzt etwa ein Viertel aller Anfragen an uns aus“, sagt Berater Michael Sulies. Auch im Kontext Schule konnte die MBR diese Steigerung feststellen. Sulies erreichen Fortbildungsanfragen für Re­fe­ren­da­r*in­nen und Beratungsgesuche zum Umgang mit Verschwörungsideologien im Kollegium, bei Schü­le­r*in­nen und Eltern.

Peer Gärtner sah sich schon vor der Pandemie mit verschwörungsgläubigen Jugendlichen konfrontiert. Der Geschichts- und Politiklehrer spricht in Ruhe mit ihnen, fühlt nach, woher die Einstellungen stammen. „Dort, wo die eigenen Ängste gelagert sind, docken Verschwörungsmythen an“, erklärt Beate Leinberger. Sie ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin und Professorin für Soziale Arbeit an der Internationalen Hochschule Nürnberg. Seit dem Ausbruch des Virus wachse die Angst. Verschwörungsmythen betrachtet Leinberger als Plattformen, die Gläubigen Orientierung gäben. „Ein Mythos kann einen wahren Kern haben, an den die Jugendlichen sich klammern, mit dem sie argumentieren.“ Aktuell bieten viele ihnen diese Plattformen an.

Oft sind es die Eltern, die den Jugendlichen den Zugang zu Verschwörungsideologien eröffnen. Das erlebt Christoph Becker*. Der Politiklehrer unterrichtet an einer Privatschule in Berlin. Mindestens drei seiner Siebt- und Achtklässler seien durch ihre Eltern dem „Querdenken“-Milieu nahe, begleiteten sie sogar auf Demonstrationen. Becker will sie damit nicht alleine lassen. Er nutzt Online-Einzelgespräche mit den Jugendlichen, fragt sie, was sie auf der Demo erlebt haben, wie es ihnen gefallen hat. „So kann ich sehen, welchen Erlebnissen die Schülis ausgesetzt sind, und kann es mit ihnen gemeinsam einordnen.“ Die Schü­le­r*in­nen nehmen das Angebot an. Relativ ungefiltert berichteten sie dann von angeblich gefährlichen Tests und nutzlosen Masken. Und sie haben Fragen an Becker: „Warum bezeichnen mich Leute als Nazi, wenn ich auf ‚Querdenken‘-Demos gehe?“

Laut Psychotherapeutin Leinberger ist es wichtig, den Jugendlichen zuzuhören, sich mit ihren Perspektiven auseinanderzusetzen und möglichst neutral zu diskutieren. „Eine Diskussion lebt von These und Antithese. Ein Mythos aber ist eine Verfestigung von nur einem dieser Bestandteile.“ Die Diskussion als Ausweg aus einer Gedankensackgasse. Schü­le­r*in­nen bloßzustellen sei jedoch „nicht Sinn der Sache“. Stattdessen müsse ein Raum für Ideen geöffnet werden, auch für die Ideen der anderen Schüler, sagt Leinberger. „Wenn ein Schüler, der einem Verschwörungsmythos anhängt, mitbekommt, dass da 28 Menschen anders denken, ist das eine Möglichkeit, angeregt zu werden.“ Nur so sei man in der Lage, den eigenen Standpunkt zu verändern.

Doch manchmal lassen sich Standpunkte nicht ändern. Gärtner kennt das Scheitern. Bei zwei Schü­le­r*in­nen dringt er auch nach noch so umfangreichen Gesprächen nicht durch. „Fakten und Aufklärung haben nicht gefruchtet. Die Beziehung zu mir war nicht prägend genug, als dass sie von ihrer Ideologie hätten ablassen können.“ Er trifft mit den Schü­le­r*in­nen eine Vereinbarung über Dinge, die in seinem Klassenraum nicht gesagt werden dürfen, zieht eine rote Linie.

Gärtner und Becker finden es wichtig, auch mit den Eltern ins Gespräch zu kommen. Bei Becker entstehen dabei immer wieder Konflikte. Manche Eltern beschränkten sich darauf, ihm Yotube-Kanäle von Co­ro­nal­eug­ne­r*in­nen zu empfehlen. Andere schrieben ihm E-Mails, in denen sie einen kritischeren Umgang mit den Maßnahmen der Bundesregierung fordern oder dass sich die Schule über die Hygienemaßnahmen hinwegsetzt. Immerhin zahle man ja Schulgeld. Einige Eltern schickten ihre Kinder gar nicht mehr in die Schule. Während ihre Mit­schü­le­r*in­nen im Wechselunterricht sind und sich ihr Leben langsam wieder normalisiere, blieben sie ausschließlich im Online-Unterricht. Bei ihnen sieht Becker momentan besonders große Motivationsprobleme.

Quelle       :         TAZ         >>>>>         weiterlesen

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Oben     —     Protestwagen fordert freie Impfentscheidung, Berlin am 1. August 2020

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DER ROTE FADEN

Erstellt von Redaktion am 1. Juni 2021

Disruptiv begabt in Küche und Politik

Roter Faden Hannover rote Zusatzmarkierung.jpg

Durch die Woche mit Silke Mertins

Die Woche im Rückblick. Diesmal über die Gemeinsamkeiten von TikTok-Rezepten, Parteichefs und Impfempfehlungen.

Die Minderjährige, die zu meiner Infektionsgemeinschaft gehört, findet mich sehr begabt. Sie hebt hierbei besonders meine Talente im Bereich Putzen, Kochen, Aufräumen und Katzenklo hervor. Warum also sollte sie im Haushalt zur Hand gehen, etwa die Spülmaschine ausräumen oder den Müll raustragen, wenn ich derart mit Begabungen gesegnet bin? „Du kannst das einfach besser als ich.“

Neuerdings treibt sich die Minderjährige jedoch auffällig häufig in der Küche herum. Da werden kurze Anweisungen erteilt, welche Zutaten zu besorgen sind, und bitte ohne wieder herumzutrödeln, und dann geht es ans Werk. Ich soll mich derweil woanders aufhalten, nur nicht im Weg stehen oder gar Ratschläge erteilen. Gekocht wird nach Tiktok-Rezepten, wie ich erfahren durfte. Daraufhin habe ich mir vorsichtshalber schon mal einen kleinen Notvorrat im Schlafzimmerschrank angelegt.

Für Dinge wie diese neue Tiktok-Küche sind Adjektive wie disruptiv erschaffen worden. Hier wird etwas zerstört und nach und nach vollständig ersetzt durch etwas Neues. Disruptiv ist beispielsweise, wenn ein Technologieunternehmen Autos baut, ein Discounter Strom anbietet oder ein grüner Parteichef Defensivwaffen in ein Krisengebiet liefern will. Die jeweilige Infektionsgemeinschaft, Branche oder Partei sieht in diesem Augenblick aus wie eine Schneekugel, die brutal durchgeschüttelt wird.

In etwa so wie ein Teenager­gehirn mehrmals am Tag. Zur Tiktok-Küche und den betroffenen Branchen lässt sich noch nichts Abschließendes sagen, aber Robert Habeck hat ganz offensichtlich keine Lust, mit dem Schütteln aufzuhören. Im Schneegestöber ist diese Woche plötzlich einer zu sehen, von dem man gehofft hatte, er sei vollauf damit beschäftigt, sich aus recycelten Pfanddosen ein Denkmal zu bauen: Jürgen Trittin, der Mann mit dem großem Talent dafür, die Wahlergebnisse der Grünen nach unten zu korrigieren.

Auf diese Weise gelang es ihm schon, die Bundestagswahlen 2013 und 1998 zu versemmeln. Warum sollte es nicht auch dieses Mal klappen? Trittin möchte nun also, dass Habeck nicht mehr schüttelt, sondern der Partei bitteschön nur noch das sagt, was sie gerne hört, damit sie es sich mit ihren wunderbaren Grundsätzen in der duftig-grünen Kuschelecke gemütlich machen kann. Diese Hoffnung wird sich wohl nicht erfüllen. Trittin hätte vielleicht eines der letzten vier Bücher seines Parteichefs lesen sollen, dann wüsste er:

Disruption ist Habecks besondere Begabung. Eher würde er beim Kühemelken Völkerrecht studieren als davon abzurücken, dass Europa die Ukrai­ne sicherheitspolitisch allein gelassen hat und Hilfe zur Selbstverteidigung braucht. Begabungen können allerdings sehr verschieden sein. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz etwa ist sehr speziell talentiert. Er kann den Charakter und Klang von Worten beeinflussen.

Quelle        :        TAZ        >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben        —             Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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Unten         —   Schneekugel als Reisemitbringsel; durch Verdunstung ist die Wassermenge bereits verringert

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Unbedingt abwehrbereit

Erstellt von Redaktion am 30. Mai 2021

Grüne Außen- und Sicherheitspolitik

Dannenrod forest protest at green party headquarter Berlin discussion with Robert Habeck 2020-10-28 05.jpg

Sonnenblumen wurden immer gerne verteilt, nur sind diese unterdessen unter der Sonneneistrahlung  gefährlich ins schwarz-braune Milieu gealtert und schreien nach frischen Wasser !

Von Ulrich Schulte

Robert Habeck erntet viel Kritik für seinen Vorstoß, der Ukraine Waffen zu liefern – auch intern. Was ist von den Grünen außenpolitisch zu erwarten?

Seine Reise an die Front in der Ukraine hat Robert Habeck tief beeindruckt. Scharfschützen erschössen ukrainische Soldaten an der Grenze, erzählte er danach. Russische Sniper, so hätten es ihm Ukrainer berichtet, hätten ihren eigenen Fingerabdruck. „Einige schießen direkt in die Stirn, einige schießen immer ins Auge.“ Aber was folgt aus solchen Grausamkeiten eines Konflikts direkt vor der Haustür der EU? Habeck, der mit Schutzweste und Helm ein zerstörtes Dorf besichtigte, machte einen für einen Grünen überraschenden Vorschlag. Waffen zur Verteidigung, also Defensivwaffen, könne man der Ukraine „schwer verwehren“, sagte er am Dienstag im Deutschlandfunk.

Baerbock wirbt für eine europäische Armee, in der sich Fähigkeiten einzelner Staaten ergänzen sollen

Ein Aufschrei folgte, Spitzenleute von CDU, SPD und Linken übten heftige Kritik. Auch einzelne, fachpolitisch versierte Grüne gingen auf Distanz. Zwar sind die Grünen schon lange keine pazifistische Partei mehr, aber sie fordern eine restriktive Linie bei Rüstungsexporten, die besagt: keine Waffen in Kriegsgebiete. Wollte Habeck wirklich Luftabwehrgeschütze oder Panzerabwehrraketen an die Ukraine liefern lassen, wie sich der Botschafter des Landes wünschte? Es folgte ein Eiertanz der Grünen-Spitze. Aus „Defensivwaffen für die Ukraine“ (Habeck am Dienstag) wurden erst „Nachtsichtgeräte und Verletztentransporte“ (Habeck am Mittwoch) und schließlich die Unterstützung der unbewaffneten und zivilen OSZE-Mission, die den Konflikt in der Ostukraine seit 2014 beobachtet (Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock am Mittwochabend).

Bei den Grünen erlebe man „Selbstfindung auf der internationalen Bühne“, spottete SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Falls Habeck die Grünen mit Blick auf eine Regierungsbeteiligung als außenpolitisch erwachsen hinstellen wollte, ging das gründlich schief.

Was zu einer größeren Frage führt: Welche Außen- und Sicherheitspolitik wäre eigentlich von einer Kanzlerin oder Außenministerin Annalena Baerbock zu erwarten? Die Grünen verstehen sich als dezidiert proeuropäische Partei, die an vielen Stellen für eine stärkere europäische Integration und Zusammenarbeit eintritt – auch in der Militärpolitik. Baerbock wirbt für eine gemeinsame europäische Armee, in der sich Fähigkeiten einzelner Staaten ergänzen sollen. Auffällig ist auch die klare Westbindung: Die Grünen von heute sind Transatlantiker. „Wir fühlen uns den USA freundschaftlich verbunden“, sagte der Außenpolitiker Jürgen Trittin. Es gebe eine große, historisch begründete und kulturelle Nähe. „Mit keinem anderen Land der Welt haben wir, trotz Differenzen, so viele Interessenüberschneidungen.“

Baerbock verbrachte als Schülerin ein Austauschjahr in Florida, eine Erfahrung, von der sie heute noch gerne erzählt. Neulich trat sie bei der US-Denkfabrik Atlantic Council auf – um einem CNN-Journalisten in fließendem Englisch grüne Politik zu erklären. Die Grünen glaubten, sagte sie, eine starke EU und eine starke transatlantische Beziehung – auch basierend auf der Nato – seien der gemeinsame Boden, auf dem die Zukunft gebaut werde.

Verhältnis zur Nato hat sich entspannt

Die warmen Worte sind kein Zufall, Beispiele für die grün-amerikanische Freundschaft gibt es viele. So hat sich zum Beispiel ihr Verhältnis zur Nato, die sie noch in den 90ern auflösen wollten, entspannt. Im Entwurf für das Wahlprogramm wird das Militärbündnis als „unverzichtbarer Akteur“ bezeichnet, der die Sicherheit Europas garantiere und der Renationalisierung der Sicherheitspolitik entgegenwirke.

Zwar lehnen die Grünen das Zweiprozentziel ab, weil sie es für zu abstrakt und statisch halten. Aber eine gut ausgestattete und ausreichend finanzierte Bundeswehr finden sie notwendig. „Wir müssen uns da ehrlich machen. Ja, in manchen Bereichen muss man mehr investieren, damit Gewehre schießen und Nachtsichtgeräte funktionieren“, sagte Baerbock der Süddeutschen Zeitung im November 2020.

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Politik hat sich nie verändert ! Immer wenn für eine Partei die Macht im Blickwinkel erscheint, rutscht der Verstand in den Keller.

Was in den USA ebenfalls wohlwollend gesehen wird, ist ihre Haltung zu Nord Stream 2. Die Grünen wollen die Gaspipeline am liebsten schnell stoppen. Sie führen dabei klimaschutzpolitische Gründe an, etwa den, dass die Pipeline die Abhängigkeit von fossilem Erdgas auf Jahrzehnte zementiere. Aber ihnen geht es auch um Geopolitik, um die Abhängigkeit von Putins Russland und um die Sorge der osteuropäischen Nachbarn. Habeck wies diese Woche richtigerweise darauf hin, dass die Pipeline in der Ukraine als Bedrohung gesehen werde.

CEM ÖZDEMIR „Ich kann an Roberts Äußerungen nichts Falsches erkennen“

Auch bei Einsätzen der Bundeswehr machten sich die Grünen locker. Nicht nur, dass sie 1999 unter Außenminister Joschka Fischer bekanntlich die deutsche Beteiligung am völkerrechtswidrigen Kosovokrieg durchsetzten, sie stimmten 2001 auch dem Einsatz in Afghanistan zu oder später dem Mali-Engagement. Seit Jahren diskutieren die Grünen, wie mit Blockaden des UN-Sicherheitsrats umzugehen ist. Jener kommt nicht oder nur langsam zu einem einheitlichen Votum, da zu seinen ständigen Mitgliedern neben den USA, Frankreich und Großbritannien auch Russland und China zählen.

Für sein Werben für den Kosovokrieg traf Joschka Fischer damals ein Farbbeutel. Um das Ja der Basis zu bekommen, spielte er sogar auf Auschwitz an. Solche Debattenschärfe wäre heute nicht mehr denkbar. Die Grünen von heute ticken pragmatischer. Im Entwurf für das Wahlprogramm skizzieren sie einen Weg, wie Kriegseinsätze auch ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats legitimiert werden könnten. Da heißt es: „Wenn der Sicherheitsrat im Falle von schwersten Menschenrechtsverletzungen anhaltend blockiert ist, soll die Generalversammlung an seiner Stelle über friedenserzwingende Maßnahmen mit qualifizierter Mehrheit beschließen.“

Mitunter wagemutiger als die Union

Quelle        :          TAZ       >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —       Protestaktion an der Bundesgeschäftsstelle der Partei Bündnis 90/Die Grünen gegen den Bau der Autobahn 49 am 28. Oktober 2020. Bei der Aktion wurde ein Gespräch mit einer Person aus dem Parteivorstand gefordert. Der Bundesvorsitzende Robert Habeck kam daraufhin zu einem Gespräch.

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Post von Augstein

Erstellt von Redaktion am 23. Mai 2021

Der Lange Marsch in die Zukunft

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Eine Kolumne von Franziska Augstein

Vor dreißig Jahren war China ein unterentwickeltes Land. Heute wird es im Westen als Bedrohung wahrgenommen. Dabei hält es die Volksrepublik wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg: »Wir sind wieder wer.«

Die meisten Chinesen, ob gebildet oder ungebildet, sind in einem einig: Die Zivilisation ihres Landes ist alt, ist erhabener als die der Länder anderer Kontinente. Was an europäischen Monumenten in chinesischen Freizeitparks nachgebaut wird, dient der Erbauung an exotischer ferner Kultur. Ebenfalls eines Sinns sind die meisten Chinesen darin, mit Scham der Zeiten zu gedenken, da im 19. Jahrhundert ihr Land von Großbritannien unterjocht wurde und im frühen 20. Jahrhundert von Japan.

Quelle        :          Der Spiegel          >>>>>      weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben         —     Longgang Town, Cangnan County, Zhejiang, China

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Marx als Linksextremist

Erstellt von Redaktion am 15. Mai 2021

Neues vom Verfassungsschutz

Wer wundert sich noch über Deutsche Behörden?
Haben die nicht schon immer zu spät ihre Arbeit aufgenommen ?

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Johannes Schillo

Die Debatte, die im Gefolge des Welttags der Pressefreiheit am 3. Mai 2021 den Deutschen Bundestag beschäftigte und die auch die Beobachtung der linken Tageszeitung Junge Welt (JW) durch den Verfassungsschutz thematisierte, hat mit einer Stellungnahme des Bundesinnenministeriums einen aufschlussreichen Abschluss gefunden: Der Parlamentarische Staatssekretär des BMI Günter Krings verteidigte diese Überwachungspraxis, zu der die Linkspartei eine Anfrage gestellt hatte (siehe: „Doppelte Standards“ https://www.jungewelt.de/artikel/402169.junge-welt-und-verfassungsschutz-doppelte-standards.html, daraus alle Zitate).

Die Stellungnahme, die in der Öffentlichkeit kaum beachtet wurde – im Blick auf Pressefreiheit machen „uns“ ja andere Länder Sorgen, nicht das eigene –, bringt für alle, die beruflich mit Schreiben und Lesen zu tun haben, eine interessante Klarstellung. Das vor allem wegen zwei Dingen.

Wo der Extremismus beginnt

  • Erstens wird mit dieser Beobachtung, die seit mehreren Jahren erfolgt und wegen der Bekanntmachung in den jährlich vorgelegten Verfassungsschutzberichten für die Zeitung negative wirtschaftliche Folgen hat, der Aufgabenbereich des VS in bemerkenswerter Weise ausgedehnt. Laut Verfassungsschutzgesetzgebung sollen Organisationen beobachtet werden, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen. Und das – teils jahrelange – Zögern der Behörden, Bewegungen wie etwa PEGIDA in diesem Sinne als Beobachtungsobjekt einzustufen, ist ja bekannt. Bei der JW handelt es sich nun offenkundig nicht um eine Organisation. Das Innenministerium nimmt dies auch einerseits zur Kenntnis, wertet aber andererseits die Tatsache, dass sich die JW-Redaktion auf die Marxsche Theorie beruft und dementsprechend vor allem Autoren aus dem linken Spektrum zu Wort kommen lässt, als „Aktionsorientierung“, die die Gleichsetzung mit einer Organisation erlauben soll. Somit werden Redakteure, Autoren und Leser/Abonnenten gewissermaßen als ein einheitliches, zumindest vernetztes, tendenziell verfassungsfeindlich agierendes Kollektiv in Haftung genommen, obwohl von einem Organisierungs- oder Vereinheitlichungsprozess keine Rede sein kann und obwohl die Beiträge und Leserbriefe im Blatt eindeutig ein Spektrum unterschiedlicher bis gegensätzlicher Positionen erkennen lassen. Jedenfalls muss man festhalten, dass bereits der Diskussionsprozess, der an den Marxismus anknüpft, vom Verdikt des Extremismus getroffen werden soll.
  • Zweitens wird die Verfassungsfeindlichkeit inhaltlich begründet, und zwar mit der Bezugnahme dieses Diskussionsprozesses auf die marxistische Theorietradition. Marxisten hätten die Absicht, so das BMI, „nicht nur zu informieren, sondern eine ›Denkweise‹ herauszubilden, um bei den Bevölkerungsgruppen, die sie als Unterdrückte oder Ausgebeutete identifizieren, Verständnis und die Bereitschaft zum Widerstand hervorzurufen“. Die Verfassungsfeindlichkeit des Marxismus wird dabei paradigmatisch – und angesichts der allseits konstatierten Erfahrungen sozialer Ungleichheit wohl auch nicht ganz zufällig – am Begriff der Klassengesellschaft festgemacht. Laut Innenministerium „widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde. Menschen dürfen nicht zum ›bloßen Objekt‹ degradiert oder einem Kollektiv untergeordnet werden, sondern der einzelne ist stets als grundsätzlich frei zu behandeln.“ Also ist über die Diskussion hinaus bereits die theoretische Grundlage ein Fall für den Verfassungsschutz.

Redaktionelle Verantwortung: neu gefragt

Der Autor dieser Zeilen sieht sich durch die offiziellen Auskünfte jedenfalls direkt in die Verantwortung genommen und hat sich in diesem Sinne auch an verschiedene Redaktionen gewandt, z.B. im Bereich der (außerschulischen) politischen Bildung, für die er ab und zu Texte anfertigt. So hat er zuletzt die Veröffentlichung von Christoph Butterwegge über die „Ungleichheit in der Klassengesellschaft“ (Köln 2020) für die Zeitschrift Außerschulische Bildung (Nr. 1/21) rezensiert. Er hat die Redaktion jetzt darauf hingewiesen, dass er gelegentlich in der JW schreibt, dort zuletzt einen Essay über Heideggers „Sein zu Faschismus“ veröffentlicht hat (2.2.2021) und dass Professor Butterwegge ebenfalls in der JW veröffentlicht, nämlich zuletzt am 9.9.2020 eine Kurzfassung seiner Studie zur sozialen Ungleichheit.

Nach den Klarstellungen des Innenministeriums müssen Redaktionen jetzt in doppelter Weise auf der Hut sein. Formal wären Butterwegge und sein Rezensent als JW-Autoren ein Fall der vom VS inkriminierten Strategie des Blattes, auf die Öffentlichkeit einzuwirken; sie vertreten dort „eine bestimmte inhaltliche Linie“, die die „Meinungsbildung der Bevölkerung“ beeinflussen will (dies die vom BMI benannten linksextremistischen Merkmale), und tragen dies sogar in andere Medien. Inhaltlich würde das ebenfalls zutreffen, denn Butterwegges letzte Publikation bezieht sich explizit auf die Diagnose der Klassengesellschaft, der aktuelle Relevanz zugesprochen wird. Der Autor geht auf die Theorie von Karl Marx zurück und kritisiert von dort aus u.a. die moderne Armutsforschung, die die unterschiedliche Stellung der Menschen im marktwirtschaftlichen Produktionsverhältnis und damit den Gegensatz von Kapital und Arbeit ignoriere. Der Rezensent hat dies zustimmend aufgenommen und festgehalten, dass sich der Befund vom grundlegenden Klassencharakter der bundesdeutschen Gesellschaft in der gegenwärtigen pandemischen Krisenlage wie unter einem Brennglas zeige.

Laut der neuesten Aufgabenbestimmung des VS, wie sie in der Bundestagsdebatte zur Sprache kam und aus dem Regierungslager verteidigt wurde, wären demnach der Autor Butterwegge wie auch der Rezensent Schillo und die verantwortlichen Redakteure der betreffenden Fachzeitschriften den verfassungsfeindlichen Bestrebungen, wie sie von der Tageszeitung JW ausgehen sollen, tendenziell zuzuordnen. Angesichts der neu definierten Extremismus-Lage müssten sie sich jedenfalls, um diesen Verdacht auszuräumen, von solchen Bestrebungen distanzieren.

Meinungsbildung unter antiextremistischer Kontrolle

Es geht also um einen Vorgang, den die schreibende Zunft, aber auch alle, die mit Bildungsarbeit in Schule oder außerschulischem Bereich zu tun haben, aufmerksam registrieren sollten. Hier wird eine Linie fortgesetzt, die der Verfassungsschutz bereits vor Jahren, als hier und da eine Marx-Renaissance ausgerufen wurde, einschlug. Der Marxismus wurde, so vom VS-Experten Armin Pfahl-Traughber, als verfassungsfeindliches Programm identifiziert, und zwar im Blick auf den Modus der Rezeption (vgl. „Marx als Linksextremist“, in: J. Schillo, Zurück zum Original – Zur Aktualität der Marxschen Theorie, Hamburg 2015, S. 87ff): Wer Marxens Ausführungen für richtig hält, ist ein Extremist und wird damit tendenziell aus dem öffentlichen Diskurs ausgegrenzt; wer sich aus einer Distanz heraus auf die Theorie bezieht und sie weiterentwickelt, revidiert, kritisiert etc., darf das ungehindert tun. Wobei diese Vorschrift noch ohne die Beanstandung der theoretischen Leistung von Marx auskam: Die Freiheit, sich bei der Kritik der politischen Ökonomie wie in einem Steinbruch zu bedienen, wurde gewährt. Die Auswahl der Theoriebausteine wird nun begrenzt, der Klassenbegriff kann demnach nicht mehr ohne Weiteres verwendet werden.

Speziell betrifft dieser Vorgang die politische Bildung. Seit längerem versteht sich ja der Verfassungsschutz als eigenständiger Bildungsakteur, was in der Praxis zu weit ausgreifenden Maßnahmen führt. Ob Rechts- oder Linksextremismus, ob Islamismus/Salafismus oder Gewaltbereitschaft bei Fußballfans, ob Hate Speech oder Desinformation im Internet, ja sogar bei förderungsrechtlichen Fragen oder geschichtspolitischen Veranstaltungen – überall fühlt sich der Dienst zuständig, wie zuletzt noch einmal die Publikation von VVN-BdA und Humanistischer Union (Cornelia Kerth/Martin Kutscha, Was heißt hier eigentlich Verfassungsschutz? Köln 2020) deutlich gemacht hat. Und in der Extremismus-Frage beansprucht er sowieso die politisch-theoretische Deutungshoheit.

Horschtel der Irrlichternde Herr – seines Gescher !

Das jüngste Beispiel für einen solchen expansiven Kurs war die Konstruktion eines neuen extremistischen Tatbestands – „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ – zur Überwachung der „Querdenker-“Szene. Wenn dieses Konstrukt Bestand hat, müssen also jetzt Redaktionen, die über kritische Wortmeldungen oder Publikationen informieren, in ihrem Rezensionsteil z.B. vor der genannten Publikation von Kerth/Kutscha warnen. Denn sie bezweifelt die offizielle staatliche Darstellung, dass der Verfassungsschutz die Verfassung schützt. Professor Hajo Funke, der als Wissenschaftler die diversen NSU-Untersuchungsausschüsse begleitete, hat in einem Interview (https://www.heise.de/tp/features/Dann-bin-ich-auch-ein-Delegitimierer-6033873.html) ebenfalls auf diesen Punkt aufmerksam gemacht und sich als „Delegitimierer“ bekannt: Er bezweifelt nämlich, dass die Untersuchungsausschüsse zu den letzten Staatsschutzskandalen wirklich das Ziel der rückhaltlosen Aufklärung verfolgten.

Und, last but not least, hat jetzt Butterwegge, der Mitglied im wissenschaftlichen Gutachtergremium für den neuen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung war, die Vorlage des Berichts in dieser Woche kritisch unter die Lupe genommen. Die Regierung wolle sich damit ein positives Zeugnis ausstellen – „welch ein Irrwitz“! So Butterwegge im taz-Interview (12.5.21). Sein Fazit: „Der Bericht fungiert als politischer Persilschein“. Der Mann entdeckt also nicht nur in der BRD eine Klassengesellschaft, sondern delegitimiert auch noch das ehrenwerte Bemühen der deutschen Politik, die Armut zu bekämpfen. Wenn er an solchen Expertisen festhält, dürfte er bald mit beiden Beinen im extremistischen Lager stehen.

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Man sieht, die Zulassungsbedingungen zum öffentlichen Diskurs werden neu geregelt – und das zu einem Zeitpunkt, wo Deutschland lautstark die Unterdrückung der Pressefreiheit in anderen Ländern wie China oder Russland anprangert. Bleibt die Frage, was man als Aufklärung über gesellschaftliche Sachverhalte heute noch sagen darf, ohne ins extremistische Fahrwasser und damit ins Visier des hochgerüsteten deutschen Sicherheitsapparates zu gelangen.

Eine erste Fassung dieses Statements, das auch den entsprechenden Zeitschriften-Redaktionen zugeleitet wurde, ist bei Telepolis am 14. Mai 2021 erschienen.

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Oben         —     Karl-Marx-memorial from Lew Jefimowitsch Kerbel in ChemnitzGermany; called „Nischel

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Ein Klick zu viel

Erstellt von Redaktion am 10. Mai 2021

Boris Palmer soll die Grünen verlassen

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Das letzte Foto vor grünen Hintergrund ?

Von Benno Stieber und Ulrich Schulte

Es ist nicht das erste Mal, dass der Tübinger mit seltsamen Thesen auffällt. Aber geht es nach den Grünen, ist das Fass jetzt übergelaufen. Der Mann soll weg.

Boris Palmer wäre nicht Boris Palmer, wenn er zum Gegenschlag nicht das Rampenlicht suchen würde. Kaum ist die Aufregung über seinen bösen Satz auf Facebook abgeebbt, in dem das N-Wort in Verbindung mit dem männlichen Genital fiel, kaum hat der grüne Landesparteitag ein Parteiordnungsverfahren gegen ihn angestrengt und sein einstiger Förderer Ministerpräsident Winfried Kretschmann gesagt, das gehe „einfach nicht“, da veröffentlicht Tübingens Oberbürgermeister in der konservativen Zeitung Welt am Sonntag einen Gastbeitrag.

Gegen die um sich greifende Ideologie der Cancel Culture wehre er sich „mit jeder Faser meines politischen Daseins“, schreibt Palmer da. „Wer das verstehen will, muss wissen, dass ich als Kind meinen Vater in der JVA Stammheim besucht habe. Der engste Kontakt bestand darin, meine Hände auf eine Panzerglasscheibe zu legen. Er war 18 Monate im Gefängnis, unter anderem weil er Nazis Nazis nannte. Ich kann Ächtung und Existenzvernichtung wegen angeblich falscher Wortwahl niemals akzeptieren. Das beschädigt den Kern der liberalen Demokratie.“

So sieht Palmer das. In seiner eigenen Welt ist er ein Kämpfer für die liberale Demokratie, einer, der sich gegen selbst ernannte Sprachpolizisten und Twitter-Denunzianten wehrt. Darunter macht er es nicht.

Seit Samstag sind Palmer-Festspiele angesagt, wieder einmal. Der wohl prominenteste Kommunalpolitiker Deutschlands hat eine heftige Debatte über Rassismus ausgelöst – mit Äußerungen über den ehemaligen deutschen Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo.

Um Palmer herum tobt ein Sturm. Twitter und Facebook explodieren am Wochenende förmlich, Linke empören sich über Palmers Entgleisung, Rechte jubeln. Die Grünen, diese selbst ernannte Antirassismuspartei, wollen ihn loswerden, jetzt endgültig. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sieht sich genötigt, am Samstagmorgen zu reagieren. „Die Äußerung von Boris Palmer ist rassistisch und abstoßend“, twittert sie. „Sich nachträglich auf Ironie zu berufen, macht es nicht ungeschehen. Das Ganze reiht sich ein in immer neue Provokationen, die Menschen ausgrenzen und verletzen.“

Annalena Baerbock, grüne Kanzlerkandidatin

„Palmers Äußerung ist rassistisch und abstoßend. Das Ganze reiht sich ein in immer neue Provokationen, die Menschen verletzen“

Was ist passiert? Das Drama entzündet sich an einem Dialog in den Untiefen des Netzes, der in den Kommentaren unter einem Facebook-Post Palmers stattfindet. Facebook ist Palmers liebste Bühne, Zehntausende folgen ihm hier, seine Beiträge werden hundertfach geteilt und tausendfach kommentiert. Auf dem Profilbild lächelt er mit grünem Fahrradhelm. Oft postet er Wissenswertes aus Tübingen, News aus dem Gemeinderat, die Corona-Inzidenzzahlen – aber immer wieder auch Thesen zur aktuellen Politik.

Am Freitag schreibt er über die Wirkung eines verbalen Ausrutschers auf die Karrieren der beiden Ex-Nationalfußballer Jens Lehmann und Dennis Aogo. Eine Kettenreaktion, die vor wenigen Tagen damit begann, dass Lehmann in einer Whatsapp-Nachricht gefragt hatte, ob Aogo im TV-Sender Sky ein „Quoten-Schwarzer“ sei, und daraufhin bei Hertha BSC rausflog. Einen Tag später trat Aogo selbst den Rückzug an – er hatte bei Sky am Dienstagabend den Ausdruck „Trainieren bis zum Vergasen“ gebraucht und ließ daraufhin seine Expertentätigkeit beim Sender ruhen.

Palmer findet solche Konsequenzen überzogen, er hält sie für Auswüchse der sogenannten Identitätspolitik. „Lehmann weg. Aogo weg. Ist die Welt jetzt besser? Eine private Nachricht und eine unbedachte Formulierung, schon verschwinden zwei Sportler von der Bildfläche“, schreibt Palmer auf Facebook. Der Furor, mit dem Stürme im Netz Existenzen vernichten könnten, werde immer schlimmer. „Cancel Culture macht uns zu hörigen Sprechautomaten, mit jedem Wort am Abgrund.“

Der Satz mit dem N-Wort

Ein User stichelt unter dem Post: „Na mal wieder Rassismus relativieren?“ Palmer antwortet trocken: „Der Aogo ist ein schlimmer Rassist. Hat Frauen seinen N****schwanz angeboten.“ Nicht nur, dass Palmer das N-Wort benutzt, eine früher in Deutschland genutzte rassistische Bezeichnung für Schwarze. Die ordinäre Anspielung auf Aogos Penis transportiert das rassistische Klischee, dass schwarze Männer sexuell besonders aktiv seien.

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Der Vater der Gedanken  – welche ihm doch so sehr stanken ?

Palmer bezieht sich offensichtlich auf einen abfotografierten Kommentar eines anderen Face­book-Accounts, vorgeblich von einer Frau, auf Aogos Facebook-Seite, die dem Fußballer ohne Beleg vorwirft, ihrer Freundin auf Mallorca ein sexuelles Angebot gemacht und dabei das N-Wort verwendet zu haben.

Unklarheit herrscht über die Person, die hinter dem Profil steckt. Der Account mit einem Frauennamen, der beim sozialen Netzwerk Dutzende Male vertreten ist, ist in der Form nicht mehr auffindbar. Bei einer Rückwärtssuche nach dem Profilbild führt die Spur zu einer Beauty-Bloggerin aus Norwegen.

Der Bild-Zeitung sagt Palmer am Samstag, er habe selbst Zweifel an der Echtheit des angeblichen Aogo-Zitats gehabt, in dem das N-Wort ursprünglich verwendet wurde. „Mir war natürlich klar, dass es sich bei den Facebook-Vorwürfen gegen Aogo, auf die ich angespielt habe, sehr wahrscheinlich um ein Fake handelt.“

Die Frage ist dann: Warum wiederholt er sie ohne Not? Egal, ob seine Bemerkung nun ironisch gemeint war, wie er beteuert, oder nicht: Palmer gibt eine unbelegte herabwürdigende und rassistische Behauptung wieder – samt einer diskriminierenden Vokabel, die viele Menschen verletzt. Ein Shitstorm nimmt am Freitagabend seinen Lauf: Aufmerksame MitleserInnen fertigen Screenshots, verbreiten sie über Twitter, Hunderte empören sich. Die Welle rollte.

Für die Grünen ein Vorfall zur Unzeit

Bei den Grünen laufen intern die Drähte heiß. Was tun? Erstmals in ihrer Geschichte sieht sich die Partei im Rennen ums Kanzleramt, sie zielt auf die ganze Gesellschaft – ein Rassismusskandal in den eigenen Reihen ist das Letzte, was Kanzlerkandidatin Baerbock gebrauchen kann. Außerdem ist es ja nicht das erste Mal, dass Palmer die Partei vor den Kopf stößt. Mit ihrem Statement am Samstagmorgen übt Baerbock Schadensbegrenzung. Sie geht auf maximale Distanz zu dem Tübinger – und droht mit Folgen. „Nach dem erneuten Vorfall beraten unsere Landes- und Bundesgremien über die entsprechenden Konsequenzen, inklusive Ausschlussverfahren.“

Wie diese aussehen, ist am Samstag zu besichtigen. Die Grünen in Baden-Württemberg halten einen digitalen Parteitag ab, eigentlich sollte es eine ungetrübte Feierstunde der Partei werden. Vor Kurzem sind sich die Grünen und die CDU einig über den Koalitionsvertrag unter Grün-Schwarz geworden. Der „grünste Koalitionsvertrag aller Zeiten“ (Winfried Kretschmann) sollte im Mittelpunkt stehen und mit ihm der einzige grüne Ministerpräsident, vielleicht noch ein paar Bundestagskandidaten dazu.

Palmers Entgleisung zieht die Aufmerksamkeit ab vom grünen Erfolg. Wie der schwierige Onkel, der die Familienfeier nach ein paar Schnäpsen mit Pöbeleien stört, zwingt er den Grünen eine ganz andere Debatte auf. Was in normalen Jahren nervt, kann im Wahljahr über Sieg oder Niederlage entscheiden.

Die Anklage

Wegen Palmer verzögert sich der Beginn des Parteitags um eine Dreiviertelstunde. Dann wird kurz über das Prozedere abgestimmt: Erst der Koalitionsvertrag, dann der nervige Parteifreund. Als der Tagesordnungspunkt „Abstimmung über ein Parteiordnungsverfahren gegen Boris Palmer“ aufgerufen wird, ist es schon Nachmittag. Der Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand, in seiner stets verbindlichen Art das komplette Gegenteil von Boris Palmer, tritt vor das Mikrofon.

Erinnert daran, dass man ziemlich genau vor einem Jahr schon einmal über ein Parteiordnungsverfahren gegen den Tübinger Oberbürgermeister beraten habe. Damals ging es um seine Äußerung zu den Coronamaßnahmen. „Ich sag’s Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären – aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen“, hatte Palmer damals im Fernsehen gesagt.

Quelle      :         TAZ         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben         —   Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen, Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, in Köln Boris Palmer

2. von Oben     —     Winfried Kretschmann im Rahmen des Länderrates der GRÜNEN am 17. September 2017 in Berlin (Gasometer Schöneberg)

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Unten       —         Boris Palmer bei der Eröffnung des Schokoladenfestivals chocolART 2019 in Tübingen

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Jetzt die Bildungsrevolution!

Erstellt von Redaktion am 9. Mai 2021

Corona-Aufholpaket der Bundesregierung

Von Anna Lehmann

Die Coronakrise legt die Ungerechtigkeiten im Bildungssystem offen. Um sie zu beseitigen, reicht kein Geld – die Art zu lernen muss sich ändern.

Das Schuljahr, das nie richtig begonnen hat, ist in einigen Bundesländern schon fast wieder zu Ende. In wenigen Wochen gibt es Zeugnisse. Alles wie gewohnt also. Obwohl alles anders ist. Fast 90 Prozent der Schulen arbeiten derzeit im sogenannten Wechselmodell, das heißt, die Schüler kommen für einige Stunden oder Tage in die Schule und bearbeiten ansonsten Aufgaben zu Hause.

Als Deutschland vor über einem Jahr in den Lockdown ging, war viel von der Krise als Chance die Rede. So, als wenn plötzlich der geliebte Diesel kaputtgeht und man zum ersten Mal ernsthaft darüber nachdenkt, ob man ein eigenes Auto braucht. Und als die Schulen schlossen und der Schulalltag stockte, fragten sich viele, ob wie und was dort gelernt wird, wirklich noch ins 21. Jahrhundert passt.

Die Krise hält an, die Chance blieb bislang ungenutzt. Die Schulen stiegen, so gesehen, einfach auf ein Hybridauto um. Viele Schü­le­r:in­nen und Leh­re­r:in­nen erhielten zwar im Hauruckverfahren Tablets, sie tummelten sich plötzlich auf Lernplattformen und trafen sich in Videokonferenzen. Der digitalen Revolution in den Schulen folgte bislang jedoch keine Bildungsrevolution.

Die Zeit des Ausschlafens ist für die meisten Kinder wieder vorbei, der Leistungsdruck zurück. Die Kul­tus­mi­nis­te­r:in­nen halten krampfhaft an veralteten Bildungsstandards fest, in denen der Begriff „soziale Medien“ noch nicht mal auftaucht. Sie betonen den Wert von Prüfungen und Zensuren; auch das Sitzenbleiben, das im vergangenen Schuljahr ausgesetzt war, ist wieder üblich.

Warum Zensuren?

Die Zahl der Schüler:innen, die während der Schulschließung den Anschluss verloren haben, wird wohl wachsen, die Bundesbildungsministerin rechnet damit, dass bis zu 20 Prozent der Schü­le­r:in­nen deutliche Lernlücken haben. Die Bundesregierung hat deshalb in dieser Woche ein sogenanntes Aufholpaket beschlossen – 1 Milliarde Euro soll allein in Nachhilfe und Zusatzunterricht fließen, um Lernlücken in den Kernfächern zu schließen.

Die Biontech-Gründer:innen haben nicht Formeln gepaukt und dann aus dem Gedächtnis in vier Stunden einen Impfstoff entwickelt

Falsch ist es nicht, Kinder, die langsam lernen oder bei denen zu Hause keine Bücherwände stehen, gezielt und zusätzlich zu fördern. Falsch ist jedoch der Gedanke, dass dafür ein Jahr und eine Milliarde Euro genügen. Denn die Coronakrise hat bestehende Verwerfungen im Bildungssystem nur schärfer zutage treten lassen. Dass die häusliche Umgebung viel Einfluss darauf hat, wie ein Kind in der Schule reüssiert, gilt nicht erst in Zeiten des Zuhauselernens.

Quelle          :            TAZ           >>>>>         weiterlesen

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Oben     —       Thailändische Grundschüler auf dem Schulweg

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Post von Augstein

Erstellt von Redaktion am 9. Mai 2021

Das Ende der Covid-19-Politik

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Eine Kolumne von Franziska Augstein

Das öffentliche Klima ist schlechter als zu Zeiten des Kalten Kriegs. Wer damals Verständigung mit dem Osten forderte, wurde nur angefeindet. Wer sich aber heute über die Anti-Corona-Maßnahmen lustig macht, wird geradezu verteufelt.

In den Neunzigerjahren hatte ich gedacht, Neonazis seien gegen den Rechtsstaat und gegen die bundesdeutsche Demokratie und ihre Gesetze, mit einem Wort: gegen unseren Staat. Dann erhielt ich eine Lektion. Das sei so nicht richtig: Neonazis hielten korrekte, staatliche Ordnung für sehr wichtig, weshalb sie sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den Straßen halten würden. Später war ich bei Freunden auf dem Land eingeladen. Einer warnte mich telefonisch, bevor ich mich ins Auto setzte: Aufpassen möge ich, es gebe einige Blitzanlagen auf dem Weg. Meine Antwort: Er müsse sich keine Sorgen machen, ich würde fahren wie ein Neonazi.

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Inland Pandemiepolitik

Erstellt von Redaktion am 6. Mai 2021

Die deutsche Rentokratie,  jetzt auch mit Corona-Topping

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Eine Kolumne von Sascha Lobo

Kein Impfstoff für Kinder, keine Luftfilter für Schulen: Corona hat mit pandemischer Gnadenlosigkeit offengelegt, wie wenig junge Menschen in Deutschland zählen. Das äußert sich auch abseits der Politik.

Natürlich kann man das Kinder- und Jugendfiasko so positiv verdreht erzählen, wie es hierzulande üblich ist. Dass Kinder seltener schwere Verläufe von Covid-19 entwickeln. Dass Kindergärten und Schulen geöffnet wurden, obwohl sie in anderen Ländern als Ansteckungsherde identifiziert wurden. Ja, so sehr kümmert man sich um die jungen Leute, dass man sie nach einem verlorenen Jahr mit kaum verkappten Durchseuchungsstrategien konfrontiert.

Aber die Wahrheit ist hier, wie in vielen Bereichen: Corona hat mit pandemischer Gnadenlosigkeit offengelegt, wie wenig junge Menschen zählen in Deutschland. Das ist, um es deutlich zu sagen, keine neue Erkenntnis. Trotzdem ist sie als Neuaufguss Geschmacksrichtung Covid besonders bitter. Weil diese Jugendmissachtung nicht nur parteiübergreifend konsensfähig erscheint, sondern auch abseits der Politik herrscht, bis in die Köpfe der älteren Mehrheit hinein.

Ein Beispiel dafür aus dem letzten Jahr: Auf dem sozialen Netzwerk für Boomer, einer merkwürdigen Multiplattform namens Facebook, fanden sich im vergangenen Jahr endlose, hasserfüllte Litaneien über schlimme junge Leute, die »Coronapartys« feierten. Der Name verschleierte, dass es sich oft um Freilufttreffen im Park handelte, an dem Ort also, an dem laut Aerosol-Forschenden 0,1 Prozent aller Covid-Infektionen stattfinden. Darüber schimpft Onkel Andreas unflätig und geht am nächsten Tag in sein Großraumbüro, wo er maskenlos acht Stunden PowerPoint-Vorlagen mit Quartalsergebnissen ausfüllt, begleitet vom UKW-Radio.

Es ist verräterisch, dass die erste, breit medialisierte Äußerung zum Impfstoff für Kinder von Biontech-Chef Uğur Şahin kommen musste, bevor die bisherige Nichtexistenz überhaupt größer thematisiert wurde. Die Gegenprobe hat Gesundheitsminister Spahn abgeliefert, der sich Ende Dezember 2020 – längst ist der Impfstoff in aller Munde, die Impfkampagne hat bereits begonnen – so geäußert hat: »Ich bin optimistisch, dass wir im Laufe des nächsten Halbjahres allen ein Impfangebot machen können.« Ja, nee. Eben nicht allen. Stand Mai 2021 existiert kein zugelassener Impfstoff für Kinder. Man kennt dieses »alle«, es heißt: alle, die gelten, und es bezieht junge Menschen nicht mit ein. Oder etwas boshafter unterstellend könnte man sagen: Mit »alle« sind eben alle Wahlberechtigten gemeint.

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Es ist ja auch ein treffendes Symbol für dieses Land, dass bis zu seinem vorübergehenden Sturz aus Gier mit Philipp Amthor ausgerechnet der älteste unter 30-Jährige des Landes als konservative Nachwuchshoffnung galt. Ein Mann, der bis hin zu seiner Aufnahme in die »Vollversammlung des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Berlin« perfektes Greisenmimikry zur politischen Kunstform erhoben hat. Man kann Amthors Erfolgsstrategie der Altenimitation sogar als Notwehr in einer Gesellschaft begreifen, die Seriosität anhand der Zahl der Jahre beurteilt.

In Sachen Corona haben sich Scharen junger Menschen in den Zwangsdeal gefügt, über ein Jahr ihres Lebens zu opfern, vorrangig, um Ältere zu schützen. Im Gegenzug bekamen sie wenig, ergänzt um schlechten Empfang und herablassende Boomer-Erzählungen davon, wie gut ihnen bekommen würde, auch mal zu verzichten, so wie sie selbst damals im Krieg, den sie nicht erlebt haben. Dabei kann – aus sozialer, psychologischer, gesellschaftlicher Sicht – dieses fehlende Jahr ernsthafte Konsequenzen in der Entwicklung haben. Ganz zu schweigen von den explodierenden Zahlen der häuslichen Gewalt an Kindern.

Quelle          :        Spiegel-online           >>>>>         weiterlesen

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Mehr als nur Anerkennung

Erstellt von Redaktion am 3. Mai 2021

Klassismus umfasst mehr als Bildungsdiskriminierung.

Wer könnte dort die Hammelbeine langgezogen bekommen ? Merkel oder ihr Influencende Nasenbär ?

Von Andreas Kemper

Die Debatte über Klassismus ist spät auch in Deutschland angekommen. Jetzt wird sie mit falschem Fokus geführt – und ignoriert die antiklassistische Praxis.

Klassismus ist der älteste aller Diskriminierungsbegriffe. Bereits in den 1830er Jahren wurden Klassenunterschiede als „Classism“ bezeichnet. In den 1970er Jahren wurde dieser Begriff in den USA parallel zu Sexismus von dem lesbischen Arbeitertöchterkollektiv „The Furies“ wiederbelebt. In Deutschland dauerte es noch einmal fünfzig Jahre. Jetzt endlich wird Klassismus auch hier in den Medien diskutiert. Allerdings läuft in dieser Debatte einiges schief.

Daher ist es nötig, daran zu erinnern, wofür der Begriff Klassismus steht: Unterdrückung aufgrund des sozialen Status. Der Begriff bezieht sich also nicht nur auf Fragen der Anerkennung, wie in verschiedenen Beiträgen behauptet wird, sondern auf die ganze Palette, die die Politikwissenschaftlerin Iris M. Young in ihrem Artikel „Five Faces of Oppression“ (Fünf Gesichter der Unterdrückung) benannt hat: Ausbeutung, Machtlosigkeit, Marginalisierung, Gewalt und Kulturimperialismus. Kulturimperialismus bedeutet, dass die besondere Perspektive einer gesellschaftlichen Gruppe unsichtbar gemacht wird. Sie wird stereotypisiert und als „das Andere“ markiert.

All dies sind Aspekte von Klassismus, die Geringverdiener*innen, Erwerbslose, Wohnungslose oder Ar­bei­te­r*in­nen­kin­der betreffen. Sie reichen von der Vermögens- und Eigentumsverteilung bis zum Wohnen, von der Gesundheit bis zur Bildung. Was Klassismus im Bildungssystem konkret heißt, führt pars pro toto eine Studie vor Augen, die Schulen in Wiesbaden untersucht hat. Das Ergebnis: Die Schulnote 2,5 führt bei 70 Prozent der privilegierten Schü­le­r*in­nen zu einer Gymnasialempfehlung, aber nur bei 20 Prozent der nichtprivilegierten. Nicht die Leistung, sondern der Bildungsstand und das Einkommen der Eltern spielen eine wesentliche Rolle bei der Verteilung der Bildungschancen.

Die Iglu-Studie (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) zeigte 2016 bundesweit einen ähnlichen Befund. Bei gleicher Lesekompetenz und den gleichen kognitiven Fähigkeiten erhalten Kinder aus privilegierten Elternhäusern gegenüber denen aus der Arbeiterklasse 3,37-mal so oft eine Gymnasialempfehlung. 2001 betrug dieser Bevorteilungsfaktor noch 2,63. Die strukturelle Benachteiligung von Ar­bei­te­r*in­nen­kin­dern nimmt nicht ab, sie wächst. Die Ungerechtigkeiten beginnen mit der Geburt und setzen sich über Kitas, Grundschulen und weiterführende Schulen fort. Im Studium und selbst noch, wenn man promoviert hat, bleibt die soziale Herkunft ausschlaggebend, so der Elitenforscher Michael Hartmann.

Heike Helen Weinbach, Professorin für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Didaktik im Kindesalter, und ich haben in dem vor zwölf Jahren erschienenen Buch „Klassismus. Eine Einführung“ die ganze Palette der Klassismus-Aspekte ausgeführt. Die aktuellen Debattenbeiträge in der taz, Zeit und vor allem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung („Klassismus. Überbau ohne Basis“ von Isabell Opperbeck vom 21. 4.) kreisen indes einseitig um den Begriff Anerkennung. Die Behauptung, Klassismus werde akademisch ohne Basis als Anerkennungsbegriff benutzt, führt in die Irre. Klassismus ist kein „Überbau ohne Basis“, es ist ein Basisbegriff. Mehr noch: Der Begriff Klassismus ist ein Praxisbegriff und nur ein Nebenprodukt der antiklassistischen Praxis. Die aber wird in der aktuellen deutschen Diskussion ausgeblendet.

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Vor 20 Jahren organisierten sich erstmals studierende Ar­bei­te­r*in­nen­kin­der in einer Vollversammlung und wählten Ver­tre­te­r*in­nen mit dem politischen Auftrag, gegen die Diskriminierung von Ar­bei­te­r*in­nen­kin­dern im Bildungssystem vorzugehen. An der Uni Münster wurde das erste autonome Referat von Ar­bei­te­r*in­nen­kin­dern gegründet. Als Initiator kann ich versichern, dass es nicht darum ging, Ar­bei­te­r*in­nen­kin­der passförmig zu machen, um so Bildungsaufstiege zu erleichtern. Das Ziel ist vielmehr, den „Habitus-Struktur-Konflikt“ (Lars Schmitt) von studierenden Ar­bei­te­r*in­nen­kin­dern zu verändern, und zwar durch den Abbau der Bildungsbarrieren, die Aka­de­mi­ke­r*in­nen­kin­der privilegieren. Im Zuge dieser politischen und praktischen Selbstorganisierung habe ich auf den Begriff Klassismus zurückgegriffen. Zu dieser Praxis gehörte eine von mir initiierte internationale Konferenz der WorkingClass/PovertyClass Academics, das Arbeiterkinder-Magazin Dishwasher, das Institut für Klassismusforschung und mehr. Nach zahlreichen Anläufen gründete sich dann erst 2019 nach einer Vollversammlung das nächste Arbeiter*innenkinder-Referat.

Quelle        :       TAZ        >>>>>          weiterlesen

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Grundgesetz wird Makulatur

Erstellt von Redaktion am 1. Mai 2021

Meinungsfreiheit und Pressefreiheit zur Disposition

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Wolfgang Bittner

In der kürzlich veröffentlichten Rangliste der Pressefreiheit der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) ist Deutschland von Rang 11 für 2020 auf Platz 13 abgerutscht und erhielt statt „gut“ nur noch die Bewertung „zufriedenstellend“.(1) Vorstandssprecher Michael Rediske nannte das ein „deutliches Alarmsignal“. Er führt die Verschlechterung der Lage auf die „vielen Übergriffe auf Corona-Demonstrationen“ zurück. Damit meint er nicht die Übergriffe der Staatsgewalt auf regierungskritische Journalisten im Verlauf der Demonstrationen, die es nachweislich gab,(2) sondern Attacken von Demonstranten auf Journalisten, die es ebenfalls gab. Für Deutschland sei daher ein besserer Schutz der Medienschaffenden durch die Polizei zu fordern.

In der ARD-Tagesschau vom 20. April 2021 sprach der RSF-Geschäftsführer Christian Mihr von einer Verfünffachung der Übergriffe auf Medienschaffende in Deutschland für das Jahr 2020.(3) Ebenso wie Rediske, sieht Mihr die Pressefreiheit insbesondere dadurch bedroht, dass Journalisten immer wieder massiv auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung von Demonstrationsteilnehmern angegriffen worden seien. Weiter hieß es in der Sendung, dass in vielen Ländern staatliche Stellen die Pressefreiheit bedrohten, so zum Beispiel in Brasilien und China. In Deutschland seien es dagegen aggressive Demonstranten. Mihr führte aus, in vielen anderen Ländern würde „unabhängige Information als Falschmeldung deklariert“, damit gegen Journalisten vorgegangen werden könne.

Der Einschätzung der RSF zur bedrohten Pressefreiheit schloss sich der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Frank Überall, in einer Stellungnahme an. „Die Politik muss die Rangliste als Weckruf begreifen“, sagte er, die Innenminister müssten sich dem Thema annehmen. „Wenn das wichtige Grundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit immer weiter eingeschränkt wird, haben wir in Deutschland ein massives Problem“, so Überall. Auch 2021 sei es in den ersten Monaten bei Corona-Demonstrationen zu Angriffen auf Berichterstatter gekommen. „Wir werden als Systemjournalisten beschimpft“, erklärte der DJV-Vertreter. „Ja, wir stehen für das demokratische System. Wer das ablehnt, hat in uns sozusagen die richtigen Gegner.“(4)

Verdrängung der politischen Realität

Erstaunlich ist die Selbstgefälligkeit, mit der diese Verteidiger der Presse- und Meinungsfreiheit auftreten. Ganz offensichtlich ignorieren sie oder wollen es nicht wissen, dass in den staatskonformen Medien und von führenden Politikern Propaganda betrieben, Fakten unterdrückt oder vernebelt werden und zum Teil auch gelogen wird, und dass viele Menschen inzwischen aggressiv darauf reagieren. Bei genauer Betrachtung ist festzustellen, dass es eine Pressefreiheit in Deutschland – so es sie je gegeben hat – nicht mehr gibt, weil fast nur noch regierungsnahe Meinungen verbreitet werden. Hinzu kommt, dass seit Jahren schon in den Leitmedien zu wichtigen Anlässen Meldungen und ganze Artikel von dubiosen Agenturen übernommen werden, die offensichtlich Propaganda im Sinne der US-Politik betreiben. Das ist der eigentliche Skandal, über den nicht gesprochen wird, weil das politisch nicht opportun ist.

Wenn jetzt der Börsenverein des deutschen Buchhandels zu einer „Woche der Meinungsfreiheit 2021“ vom 3. bis 10. Mai aufruft,(5) mag das gut gemeint sein, aber es geht einher mit einer Verdrängung der politischen Realität und ist ein Zeichen dafür, wie weit die Indoktrination auch unter Kulturschaffenden bereits fortgeschritten ist. Darauf deutet u.a. die Teilnahme der Soros-nahen Initiative „Die offene Gesellschaft“ hin, die 2017 als Verein in Berlin gegründet wurde (der Spekulant und Multimilliardär George Soros sponsert z. B. „Regimechanger“ und antirussische Organisationen wie das NATO-nahe Recherchenetzwerk Bellingcat). Außerdem sind mehrere Organisationen beteiligt, die sich – offenbar aus Unkenntnis der globalpolitischen Strategien der USA – für Umsturzbewegungen in Weißrussland, Myanmar oder Hongkong einsetzen.

In der Charta der Meinungsfreiheit, zu deren Unterzeichnung der Börsenverein aufruft, heißt es:

Meinungsfreiheit erfordert eine Debattenkultur, für die sowohl der Staat wie auch die Zivilgesellschaft eine Verantwortung tragen… Gewaltausübung gegen Andersdenkende durch physische und psychische Einschüchterung, Drohung und finanzielle Druckmittel ist unzulässig.“(6)

Das sind fromme Wünsche. Denn festzustellen ist, dass es in Deutschland zu prekären politischen Themen keine Debattenkultur gibt und dass physische und psychische Einschüchterung sowie Drohungen und Druck gegen Andersdenkende sowohl vom Staat ausgehen als auch in der Zivilgesellschaft immer mehr um sich greifen.

Am 8. Juli 2020 forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Antrittsrede für die EU-Präsidentschaft einen effektiveren Schutz vor Desinformation, Hass und Hetze.(7) Wenn sie dazu noch für Wahrheit und Transparenz in „unserer“ Demokratie eintritt, ist das an Heuchelei nicht mehr zu überbieten. Denn gerade die von den Leitmedien hofierten Politiker schüren durch Hetzkampagnen, Diffamierung und Verleumdung den Hass gegen Russland. Kritiker ihrer Corona-Politik möchte etwa Kanzlerin Angela Merkel am liebsten in die Nähe von psychisch Kranken rücken.(8) In ihrer Neujahrsansprache vom 31. Dezember 2020 erklärte sie der Bevölkerung, die „Verschwörungstheorien der Unverbesserlichen“, seien „nicht nur unwahr und gefährlich“, sie seien auch „zynisch und grausam“.(9)

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Desinformation als Tagesgeschäft

Führende Politiker wie auch namhafte Journalisten wollen Hetze und Fake News bekämpfen. Aber Hetze und Desinformation ist ihr Tagesgeschäft, wie sich ständig in Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen erweist.(10) Wäre es nicht so verhängnisvoll, könnte man es als Kuriosum bezeichnen, dass Regierungspolitiker und ihnen zugewandte Journalisten, die hetzen und lügen, Hetze und Fake News bekämpfen wollen.

Auch der Auswärtige Dienst der EU verbreitet Fake News in großem Stil, wenn es um Russland geht. 2016 wurde eine Spezialeinheit mit dem Namen „East StratCom Task Force“ (Strategisches Kommunikationsteam Ost) gebildet, die sich um eine angeblich „großflächig organisierte Propaganda“ russischer Behörden in den Ländern der EU kümmert. Experten der EU-Kommission sind sicher, dass Moskau das Ziel verfolge, die Europäische Union zu destabilisieren, und mit gezielter Desinformation und Verunsicherung eine „hybride Kriegsführung“ betreibe.(11) Eine dreiste Umkehrung der Tatsachen.

Nach Ansicht der „Faktenfinder“ dieser obskuren Task-Force-Behörde der EU, die alle Medien nach angeblichen Fake News durchforsten, ist beispielsweise das gegen sein eigenes Statut verstoßende Aggressionsbündnis NATO ein Friedensbündnis, der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen Jugoslawien von 1999 war aus humanitären Gründen rechtens, und die massive westliche Aufrüstung gefährdet nicht das System globaler Sicherheit, sondern dient dem Frieden. Wer eine andere Meinung vertritt, muss sich vorsehen. Der Druck auf Google, Facebook und Twitter ist verstärkt worden, und sogar Strafmaßnahmen gegen sogenannte Desinformanten sind im Gespräch. Es gehe darum, „ein koordiniertes Vorgehen zu schaffen, das voll und ganz mit unseren europäischen Werten und Grundrechten im Einklang steht“,(12) so die staatlich geprüften Zensoren vom „Strategischen Kommunikationsteam Ost“.

Des Weiteren plant das EU-Parlament eine Verordnung zur Abwehr der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte. Terroristisch organisierte Aktivitäten, Radikalisierung und Rekrutierung sollen frühzeitig erkannt und verhindert werden. In einem Bericht des „Instituts für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit“ der Juristischen Fakultät an der Berliner Humboldt-Universität heißt es:

Zentraler Bestandteil der Verordnung sind kurze Fristen, innerhalb derer die Internetfirmen strafbare Inhalte entfernen müssen. Außerdem fordert die Kommission Uploadfilter für bereits bekanntes „extremistisches“ oder „terroristisches“ Material. Hierfür sollen die Algorithmen auf eine Datenbank zurückgreifen, die YouTube, Google, Twitter und Facebook gestartet haben. Dort werden keine ganzen Dateien gespeichert, sondern deren digitaler Fingerabdruck. Europol betreibt in Den Haag eine „Meldestelle“ für Internetinhalte, die selbst das Internet nach mutmaßlich kriminellen Inhalten durchsucht und anschließend Aufforderungen zur Entfernung an die Firmen versendet. Zur Verwaltung dieser Meldungen benutzt die EU-Polizeiagentur eine „Internet Referral Management Application“ (IRMa)… Im Rahmen eines Pilotprojekts wurden Frankreich, die Niederlande sowie Belgien an die IRMa angeschlossen, im Januar folgte das BKA, das mittlerweile eine eigene „nationale Meldestelle“ betreibt.“(13)

Ganz dem entspricht der Medienkrieg der Briten gegen Russland, der immer wieder aufs Neue befeuert wird. Anfang 2019 ist durch Leaks der Hackergruppe Anonymous die ursprünglich geheime britische Antirussland-Organisation „Integrity Initiative“ bekannt geworden, die in Deutschland eine Propaganda-Zelle gebildet hat, um antirussische Kräfte in Medien und Expertenkreisen zu konzentrieren.(14) Das russische Nachrichtenportal Sputnik Deutschland berichtete wie folgt:

Ziel sei es, einerseits ‚prorussische‘ Standpunkte und Informationen zu sabotieren und andererseits anti-russische Kampagnen zu fördern und zu starten, um Russland politisch zu isolieren. Während der Fokus auf Großbritannien liegt, sollen in ganz Europa und darüber hinaus ‚anti-russische Zellen‘ aufgebaut werden. Auch im postsowjetischen Raum, beispielsweise in Moldawien, Serbien oder Armenien ist die ‚Integrity Initiative‘ aktiv, weitere Dependancen sollen folgen.“(15)

Konglomerat von Antisemiten und absurden Verschwörungstheoretikern“

Ein Progagonist staatlicher Kontrolle und Überwachung ist der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der Querdenken 711 vom Verfassungsschutz überwachen lassen will. In einem Interview mit dem Münchner Merkur sagte er: „Es entwickelt sich ein wachsendes Konglomerat von Rechtsextremen, Reichsbürgern, Antisemiten und absurden Verschwörungstheoretikern, die der Politik sogar Satanismus vorwerfen“.(16) Der Verfassungsschutz müsse diese Entwicklung „genau unter die Lupe nehmen“. Söder warnte: „Jeder sollte genau hinschauen, mit wem man demonstriert.“ Offensichtlich sollen damit Demonstrationen schon im Ansatz verhindert werden.

Der Blick zurück, verhindert bei vielen Politikern die Sicht nach vorne

Wie weit die Eingriffe in die Presse- und Meinungsfreiheit inzwischen gehen, wird deutlich, wenn der Journalist und Herausgeber des kritischen Internetportals KenFM, Ken Jebsen, mitteilt, dass er Berlin, wo sich sein Studio befindet, verlässt. Er wurde in den Mainstream-Medien diffamiert, von ihm produzierte Videos, die zum Teil Millionen Aufrufe erhalten haben, wurden von YouTube gesperrt, auf ihn wurde ein Attentat verübt, er und seine Familie werden bedroht. Er begründete seinen Schritt wie folgt:

Der digitale Raum in der Corona-BRD wird täglich enger. Zensur ist inzwischen alltäglich und macht freien Journalismus zu einem Spießrutenlauf. KenFM gehört im deutschsprachigen Raum zu den reichweitenstärksten Presseportalen und wird in Berlin immer massiver behindert. … Wenn wir Gäste einladen, werden deren spätere Vorträge im öffentlichen Raum verhindert. Studios zu bekommen, um Gäste vor Publikum zu interviewen, ist nahezu unmöglich geworden. Und zu allem Überfluss löscht und sperrt YouTube willkürlich unsere Veröffentlichungen.“(17)

Am 19. November 2020 wurden KenFM sowie die Internetmedien Sputnik Deutschland, NuoViso und Rubikon von YouTube (Tochtergesellschaft von Google) komplett gelöscht.

Aktuelle Beispiele für die inkorrekte Berichterstattung in den deutschen Medien und die Verlogenheit der US-affinen Politiker gibt es zur Genüge, man braucht nur in die Zeitung und ins Fernsehen zu schauen oder das Radio anzustellen. Da wird über eine Verstärkung der Streitkräfte Russlands an seiner Südwestgrenze als aggressiver, friedensgefährdender „Truppenaufmarsch“ berichtet, aber kaum ein Wort über das NATO-Manöver „Defender 2021“ mit 28.000 Soldaten in der Schwarzmeerregion verloren. Der wegen des Verstoßes von Bewährungsauflagen verurteilte und in Haft befindliche Alexej Nawalny wird in den westlichen Medien als ein von Wladimir Putin politisch Verfolgter dargestellt, während über den Whistleblower Julian Assange Schweigen herrscht und auch unterschlagen wird, dass Nawalny während seiner „Rekonvaleszenz“ mit Unterstützung aus den USA einen Propagandafilm über einen angeblichen Palast Putins am Schwarzen Meer produziert hat. Und so weiter.

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Die USA haben Russland und seit einiger Zeit nun auch China zum Feind erklärt, und unter Kanzlerin Merkel ist Deutschland nicht nur zum Hauptakteur der Hetze gegen Russland, sondern zur militärischen Speerspitze der NATO gegen den „Feind im Osten“ geworden. Gehetzt wird auch gegen sogenannte Verschwörungstheoretiker, Putinversteher, Kremlpropagandisten, Antisemiten und überhaupt gegen alle, die sich kritisch zur Regierungspolitik äußern. Das wird von den staatstragenden Medien und großen Teilen der Bevölkerung folgsam übernommen, von den Exekutivorganen sowieso. Von selbsternannten Richtern zu „Protestlern“ erklärte Kritiker fallen der Ächtung anheim, sie dürfen diskriminiert werden. Das erfuhren etwa 50 Schauspielerinnen und Schauspieler, die sich in Kurzvideos kritisch-satirisch zu den Corona-Maßnahmen der Regierung geäußert hatten.(18) Ihnen schlug eine Welle hasserfüllter Ablehnung entgegen und ihr Kanal #allesdichtmachen wurde von YouTube aus den Suchergebnissen gelöscht. Immerhin kam es kurzfristig zu einer öffentlichen Diskussion.

Medien-Versagen in der Corona-Krise

Wie sehr die Medien in der Corona-Krise versagen, zeigte sich bei der Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes, das einen fragwürdigen Inzidenzwert aufgrund eines umstrittenen PCR-Tests als Grundlage für gravierende Eingriffe in die Bürgerrechte vorsieht. Dass es sich dabei um ein willkürliches Zahlenspiel handelt, scheint vielen der Abgeordneten, die über das Gesetz entschieden haben, nicht klar zu sein. Der Inzidenzwert, der sich nicht nach Erkrankten, sondern nach der Anzahl der positiv Getesteten richtet, kann durch mehr oder weniger durchgeführte Testungen beliebig erhöht oder verringert, also manipuliert werden, er taugt daher keinesfalls als Begründung für staatliche Zwangsmaßnahmen, die sogar Ausgangssperren vorsehen. Aber gegen die Novellierung des Gesetzes, das eindeutig verfassungswidrige Bestimmungen enthält, gab es in den Medien kaum fundierten Widerspruch, im Gegenteil, Kritiker wurden beschimpft und diffamiert.

In Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es:

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Ein hervorragendes Grundrecht! Doch die deutsche Realität sieht so aus, dass zwar jeder seine Meinung haben und sogar frei äußern darf, aber wenn es um ihre Verbreitung geht, endet die Gewährleistung des Grundgesetzes. Das zeigt sich tagtäglich. Was nicht in das vorgegebene Raster passt, wird zensiert oder nicht veröffentlicht. Das begreifen immer mehr Menschen und trauen sich, zu widersprechen. Zu hoffen ist auf eine breite demokratische Gegenbewegung.

Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. Von ihm erschienen 2017 „Die Eroberung Europas durch die USA“, 2019 „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“ sowie „Der neue West-Ost-Konflikt“ und 2021 „Deutschland – verraten und verkauft“.

Quellen und Anmerkungen

(1) www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2021

(2) Vgl. Wolfgang Bittner: Deutschland – verraten und verkauft, zeitgeist, Höhr-Grenzhausen 2021, S. 224 und 240.

(3) www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-42503.html

(4) Pressefreiheit in Gefahr: Journalistenverband fordert Polizeischutz für Reporter – SWR Aktuell

(5) Woche der Meinungsfreiheit – Mehr als meine Meinung! (woche-der-meinungsfreiheit.de)

(6) Charta der Meinungsfreiheit – Woche der Meinungsfreiheit 2021 (woche-der-meinungsfreiheit.de)

(7) www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/rede-von-bundeskanzlerin-merkel-zur-deutschen-eu-ratspraesidentschaft-2020-vor-dem-europaeischen-parlament-am-8-juli-2020-in-bruessel-1767368

(8) www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/buergerdialog-studierende-1829030; vgl. auch www.spiegel.de/wissenschaft/corona-news-am-dienstag-15-12-2020-rki-meldet-14-432-neuinfektionen-und-500-weitere-todesfaelle-a-fc68d04d-0186-4b5a-b993-bf602f0f6f3a

(9) www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/mediathek/bundeskanzlerin-merkel-aktuell

(10) Zur Meinungsmanipulation durch die ARD-Tagesschau: Uli Gellermann/Friedhelm Klinkhammer/Volker Bräutigam: Die Macht um acht – Der Faktor Tagesschau, Köln 2017

(11) Vgl. Wolfgang Bittner: Der neue West-Ost-Konflikt, zeitgeist, Höhr-Grenzhausen 2019, S. 99 ff., sowie Göttinger Tageblatt, 24.2.2016, S. 2

(12) www.nachdenkseiten.de/?p=52733. Siehe auch: Hannes Hofbauer: Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung, Wien 2017

(13) Internetkontrolle im Eiltempo | CILIP Institut und Zeitschrift

(14) Siehe Wolfgang Bittner: Der neue West-Ost-Konflikt, S. 58 ff.

(15) https://de.sputniknews.com/politik/20190107323518373-integrity-initiative-einfluss-eu/

(16) www.tagesschau.de/inland/soeder-querdenker-verfassungsschutz-101.html

(17) https://kenfm.de/kenfm-verlaesst-berlin/ (27.10.2020)

(18) https://allesdichtmachen.de/ (26.4.2021)

Erstveröffentlichung: https://www.nachdenkseiten.de/?p=71961

Urheberrecht
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Grafikquellen      :

Oben         —     Artikel 5 des Grundgesetzes – eine Arbeit von Dani Karavan an den Glasscheiben zur Spreeseite beim Jakob-Kaiser-Haus des Deutschen Bundestags in Berlin

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Beamte in Aktion !

Erstellt von Redaktion am 21. April 2021

Die scheele Ablehnung eines höheren Regelsatzes

WDR Integrationsgipfel 2016 - 1800 - Wie schaffen wir es - Detlef Scheele-5256.jpg

Was hörten wir als Kinder in der Familie: „Ihr lernt nur für euch selber – wer nichts gelernt hat, muss später als Politiker oder Beamter für den Staat arbeiten!“

Quelle:    Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Mit schwindelerregender Arroganz und Unsachlichkeit äußerte sich der BA-Chef D. Scheele in einem Interview in „Die Zeit“ gegen eine Erhöhung des Regelsatzes von derzeit 446€ auf 600€. Das war von Sozialverbänden und Gewerkschaften gefordert worden. Die scheelen Begründungen sind umso krasser, als der Regelsatz nicht nur Empfänger von HartzIV betrifft, sondern auch Bezieher von Grundsicherung im Alter mit ganz anderen Bedürfnissen und ohne jede Aussicht, je wieder eine Arbeit zur Sicherung ihre Lebensunterhaltes aufnehmen zu können.

Der Reigen der abstrusen Ablehnungen des ehemaligen Hamburger Sozialsenators (SPD) beginnt mit seinem Zweifeldass Menschen überhaupt mit 600 Euro deutlich zufriedener wären. Von welchen Menschen redet er da? Die Lebensumstände der betroffenen Menschen mit Stromabschaltungen und vergeblichen Tafel-Besuchen scheint er nicht zu kennen oder wahrhaben zu wollen. Wie bitte sollen sich die „Leute selber berappeln und möglichst gut bezahlte Arbeit finden“, wenn einerseits die aktuelle Pandemie unplanbare Verhältnisse schafft und andererseits Betagte in Grundsicherung sich schon zum Einkauf aufrappeln müssen. Blanker Hohn aus dem Munde eines Staatsbeamteten, der an sich zu verantwortungsvollem Sozialverhalten verpflichtet sein sollte.

Geradezu pervers werden die scheelen Ablehnungen, wenn er sich auf seine eigene Jugend beruft. Als der heute 64-Jährige etwa 1977 sein Studium begann, befand sich Deutschland in einer Hochform, die wirtschaftlich auch durch heutige Bezieher von Grundsicherung erarbeitet worden ist. Und auch die Hochform von heute produziert durch niedrige Löhne, Zeitverträge und ein prekäres System der Altersvorsorge ein Heer von Grundsicherungsempfängern von morgen, während sich die Großindustrie, IT-Technik und Finanzwirtschaft ihrer Mitverantwortung für das Gemeinwohl durch perfide Kapitaltransfers entzieht.

Schon einmal hat eine SPD-Grande vorgegaukelt, dass und wie gut man vom Regelsatz leben kann, und die hohe Politik ist ihm blind gefolgt. Für den scheelen BA-Chef ist die Art der Finanzierung seines eigenen Studiums als Hofkehrer beim Otto-Versand scheinbar die Referenz und Vorbild schlechthin. Für ihn scheint es also ganz normal zu sein, dass eine Alleinerziehende oder ein Familienvater durch Arbeiten aller Art verzweifelt versucht, über die Runden zu kommen, oder dass ein altes Mütterchen mit gekrümmtem Rücken Papierkörbe nach leeren Flaschen absuchen muss, um sich die Sonderangebote im Supermarkt leisten zu können.

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So schräg zeigen sich dann Politiker, Beamte und Religions-Lehrer in der Öffentlichkeit !

Wie kann es sein, dass der Vorstandchef der Bundesagentur für Arbeit (BA) mit solch scheeler Geisteshaltung und ohne jede sachliche Begründung Hilfen für die Ärmsten der Armen ablehnt, während andererseits Spekulanten leistungsloses Einkommen durch Subventionen und Förderungen aller Art garantiert wird? Würden Wohlhabende und unvorstellbar Reiche nur nach denselben Regel besteuert wir normale Arbeitnehmer, wäre eine ordentliche Grundsicherung kein Problem. Aber eine angemessene und längst überfällige Besserung der Lebenssituation missgönnt der BA-Chef den Menschen in Grundsicherung. Nomen est omen!

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Oben         —   WDR Integrationsgipfel 2016. Panel: „Wie schaffen wir es?“ Teilnehmer: Detlef Scheele, Vorstandsmitglied Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg

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Kolumne-KEINE WIDERREDE

Erstellt von Redaktion am 15. April 2021

Bundes – Notbremse

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Eine Kolumne von Bettina Gaus

Die Bundesregierung prescht im Kampf gegen die Seuche vor – mit zweifelhaften Mitteln. Es droht eine Verfassungskrise.

Die Bundeskanzlerin hatte in letzter Zeit viel, sehr viel zu tun. Es ist zeitraubend, von der Seitenlinie die aus eigener Sicht falschen Entscheidungen anderer zu verfolgen. Nun hat sie sich allerdings doch dazu entschieden, wieder selbst ein wenig regieren zu wollen. Aber wenn Angela Merkel dazu schon bereit ist, dann will sie sich künftig von niemandem mehr hineinreden lassen – nicht von den Landesregierungen und schon gar nicht vom lästigen Parlament. Sie möchte sich auch nicht mehr erklären müssen. Darauf läuft im Ergebnis die Änderung des Infektionsschutzgesetzes hinaus, das so schnell wie möglich durch den Bundestag gepeitscht werden soll.

Anders ausgedrückt: Ausgerechnet eine Bundesregierung, die aus guten Gründen mehr Vertrauen innerhalb kürzerer Zeit verspielt hat als irgendeine ihrer Vorgängerinnen, möchte sich jetzt die Vollmacht erteilen lassen, Grundrechte ohne weitere Debatte außer Kraft setzen zu können. Widerspruch ist möglich, vor allem jederzeit in Talkshows. Oder vor Gericht. Das zeugt allerdings von einem seltsamen Verständnis unserer demokratischen Verfassung.

Ja, selbstverständlich ist es wünschenswert, dass Gesetze und Verordnungen im Hinblick auf die Seuchenbekämpfung künftig verlässlicher und leichter durchschaubar sind als bisher. Für bundesweite Regelungen spricht vieles. Ja, die unerfreuliche Entwicklung im Hinblick auf Corona erfordert schnelle, auch drastische Maßnahmen, die sicherlich nicht allen gefallen werden. Ja, eine Regierung muss handlungsfähig sein. Aber gegenwärtig wird der Eindruck erweckt, als bestünde die Wahl nur zwischen Tatenlosigkeit und Atemlosigkeit. Das ist Unfug.

Seit über einem Jahr werden Grundrechte massiv eingeschränkt. Verschärfungen sind möglich, jetzt schon und auch weiterhin. Zumindest lokal und regional. Das öffentliche Leben in Deutschland ist in vielen Bereichen weitgehend lahmgelegt. Vielleicht zieht sich das noch länger hin als ursprünglich erwartet. All das ist jedoch keine – gar keine – Rechtfertigung dafür, die Rechte des Parlaments auszuhebeln.
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So ganz ohne Kopf – walze ich alles platt

Der Bundestag ist das höchste Verfassungsorgan. Die Treffen von Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten rangieren nicht nur niedriger – sie sind im Grundgesetz überhaupt nicht vorgesehen. Was nicht grundsätzlich gegen sie spricht. Aber es ist seltsam, wenn in Meldungen zu lesen ist, Angela Merkel »drohe« den Ländern mit dem Bundestag. Was ist denn das für eine Rangfolge?

Festzustellen ist allerdings, dass gegenwärtig alle Beteiligten mit ihrer »Entmachtung« – was immer darunter zu verstehen ist – überaus zufrieden zu sein scheinen. Verständlich. Sie können sich wegducken und im Zweifel alles auf die Exekutive des Bundes schieben. Praktisch. Das entspricht allerdings nicht genau ihrem Auftrag.

Quelle          :           Spiegel-online            >>>>>          weiterlesen

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Unten     —     On 2005-06-12 Angela Merkel announced on occasion of a party convention of the Christian Democratic Party in Kiel (a town in northern Germany), one would have to roll down all brake shoes (German idiom for „obstacles“) which stand in the way of growth. Of course, in order to do that, she needs the Merkelroller

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Massenmörder F. J. Huber

Erstellt von Redaktion am 8. April 2021

Massenmörder und Gestapo- Chef
fast 20 Jahre im Dienste der CIA

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Franz Josef Huber

Quelle      :        INFOsperber CH.

Urs P. Gasche /   

Der SS-General und Komplize von Adolf Eichmann hat Zehntausende Juden in den Tod geschickt. Doch die CIA setzte ihn als Spion ein.

Erst jetzt zugängliche Archive der Geheimdienste der USA und Deutschlands brachten es ans Licht: Einer der schlimmsten Nazi-Massenmörder wurde am Ende des Zweiten Weltkriegs vor Verfolgung verschont und geschützt, weil er der CIA und auch dem deutschen Bundesnachrichtendienst BND nützlich war als Spion gegen den kommunistischen Osten.

Der «Report München» der ARD und die New York Times haben Auszüge aus den Geheimdienst-Dokumenten am Dienstag publiziert. Nur wenige grosse Medien berichteten bisher darüber.

In Wien möglichst alle Juden vernichtet

Nach der deutschen Annexion von Österreich im Jahr 1938 wurde Huber Gestapo-Chef eines grossen Teil Österreichs einschliesslich Wiens und befahl dort alsbald, «unerwünschte … Juden sofort zu verhaften und ins Konzentrationslager Dachau zu überführen».

Dachau wurde im Januar 1933 eröffnet. Jahrelang war «die Gestapo und die Polizei unter Hubers Führung in Wien dafür verantwortlich, Juden einzusammeln, sie in Züge zu verfrachten und in Konzentrationslagern ihrem Schicksal zu überlassen», erklärte Professor Moshe Zimmermann von der Hebrew University in Jerusalem in der NYT. Huber habe Zehntausende Menschen in den Tod getrieben.

Huber lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1975 unbehelligt und mit einer Rente in München

Die CIA liess belastendes Material möglichst verschwinden und stellte Huber nach Ende des Krieges als Spion an. Erst fast zwanzig Jahre nach Kriegsende, 1964, entliess ihn die CIA nach Angaben der NYT aus Angst, seine Vergangenheit könne die Geheimdienste doch noch in Verruf bringen. Weil Huber seine Vergangenheit gegenüber der CIA nie verheimlichte, wurde seine Entlassung als «unbegründete Entlassung» eingestuft, so dass er bis zu seinem Tod 1975 im Alter von 73 Jahren eine Rente beziehen konnte.

Ab 1956, als der BND gegründet wurde, war Huber von Anfang an auch in dessen Diensten. Das bestätigte im «Report München» der BND-Chefhistoriker Bodo Hechelhammer: «Die Suche nach Geheimdienstleuten mit klarer antikommunistischer Einstellung führte viel zu oft zu ehemaligen Nazis.»

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Auslieferungsgesuche von Österreich und Forderungen von Opfer-Anwälten, gegen Huber zu ermitteln, hätten die US-Besatzungsorgane und Geheimdienststellen «mit zahlreichen bürokratischen Vorwänden» abgelehnt. Die USA hätten die deutschen Behörden mit Erfolg dazu gedrängt, dass sie Huber im Entnazifizierungsverfahren mit einer bedingten Verurteilung und einer Busse davonkommen liessen.

Anders als andere Naziverbrecher musste Huber nie flüchten und untertauchen, sondern lebte stets unter seinem richtigen Namen ein unbeschwertes Leben. «Das ist kaum zu fassen und eine Schande, dass Huber ein ruhiges Leben unter seinem eigenen Namen führen konnte», erklärt Professor Shlomo Shpiro der Bar-Ilan-University in Israel.

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Die Querdenker machen –

Erstellt von Redaktion am 4. April 2021

Der Aufstand des Mittelstands

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Von  und 

Vor einem Jahr begannen in Deutschland die Querdenker-Proteste. Doch es gibt in vielen Ländern ähnliche Bewegungen. Was kennzeichnet ihr Denken? Eine Grundsatzbetrachtung

Dieser Text ist erstmals in der „Boston Review“ in englischer Sprache erschienen. Die hier vorliegende Fassung ist demgegenüber leicht gekürzt.

Im Laufe des vergangenen Jahres hat sich weltweit spontaner Widerstand gebildet gegen staatliche Bemühungen, das Coronavirus durch Lockdowns, Social-Distancing-Vorgaben, Maskenpflicht und Impfungen unter Kontrolle zu bekommen. Diese Bewegungen, die von wütenden Freiberuflern und Selbstständigen angeführt werden, sind eher ein „Aufstand des Mittelstands“ denn ein „Aufstand der Massen“ à la José Ortega y Gasset. Im Unterschied zum Populismus, der noch 2017 die Debatten beherrschte, sind diese Bewegungen nun weniger an medienwirksame Wortführer und Parteien gebunden; sie sind im traditionellen politischen Spektrum schwerer zu verorten und nicht so sehr auf die Übernahme politischer Macht fixiert.

In Anlehnung an die deutsche Bewegung der Querdenker bezeichnen wir die Strategie hinter den diversen Gruppierungen als „Querdenken“ und das allgemeinere Phänomen, für das sie stehen, als „Querdenkertum“. Dabei geht die Idee des Aufstiegs eines Querdenkertums über den deutschen Kontext seiner Namensgebung hinaus. Die Querdenker sind nicht zuletzt ein Produkt neuer Technologien und veränderter Kommunikationsverhältnisse. Sie stellen die herkömmliche Links-rechts-Unterscheidung gern infrage (wobei sie im Allgemeinen politisch extrem rechten Überzeugungen zuneigen), geben sich doppeldeutig bis zynisch gegenüber parlamentarisch organisierter Politik und verbinden ganzheitliche und spirituelle Überzeugungen mit einem beharrlichen Sprechen über individuelle Freiheiten.

In ihren extremen Auswüchsen teilen Querdenker-Bewegungen die Überzeugung, dass Macht per se verschwörerisch ist. Staatliche Macht kann gar nicht legitim sein, glauben viele Querdenker, weil der Prozess der Auswahl des Regierungspersonals angeblich von den Mächtigen selbst kontrolliert werde und de facto illegitim sei. Diese Überzeugung ist oft mit dem Eintreten für eine disruptive Dezentralisierung verbunden, dem Wunsch nach verteiltem Wissen und damit verteilter Macht sowie der Anfälligkeit für rechte Radikalisierung. Querdenker-Bewegungen handeln sowohl mit altvertrauten als auch mit neuartigen Fantasien über eine Herrschaft der Eliten. Sie wenden sich gegen angeblich totalitäre Autoritäten wie den Staat, Big Tech und Big Pharma, die großen Banken, die Klimaforschung, die Mainstream-Medien und die politische Korrektheit. In vielerlei Hinsicht sind sie die Nachkommen der außerparlamentarischen sozialen Bewegungen der Siebzigerjahre. Doch deren damaliger Idealismus und ihr Verlangen nach kollektivem Handeln und einer Entkommerzialisierung ist bei den Querdenkern auf das Minimalprogramm einer Verteidigung des Raums autonomer Entscheidungsgewalt geschrumpft.

Der Stempel des Märtyrertums

Nichts ist leichter, als an dieser Stelle „Verschwörungstheorie“ zu rufen und solche Mobilisierungen als krankhafte Symptome eines von Krankheitsbedrohungen geprägten Jahres abzutun, in dem die USA als „Superspreader“ des Misstrauens fungierten, wie Heidi Larson von der London School of Hygiene and Tropical Medicine der Washington Post sagte. Für den Kulturtheoretiker Jeremy Gilbert allerdings hat der Begriff „Verschwörungstheorie“ viele Schwächen mit der älteren Kategorie des „Populismus“ gemein: Zu oft dienten beide Begriff dazu, bestimmte politische Auffassungen vorschnell als illegitim aus jeglichem Diskurs auszuschließen, womit man diesen Haltungen gerade den Stempel des Märtyrertums aufdrücke, den sich ihre Anhänger so sehr ersehnten.

Einem alten Axiom der Politikwissenschaft zufolge arbeiten Regierungen mit „Zuckerbrot, Peitsche und Predigten“ – mit Zwang und Anreizen also, aber auch mit Informationen. Das Querdenkertum zeigt, dass der universelle Zugang jedes Menschen zum Internet, die aufmerksamkeitsabsorbierende Macht der sozialen Medien und die Dynamik des „Erregungskapitalismus“ die Begründung staatlichen Handelns erschweren und so Raum für eine feindselige Gegenöffentlichkeit geschaffen haben – für die Agenten des „Desinfotainments„, für soziale Bewegungen wie aus Alices Kaninchenbau, Plattformverschwörungen für die Plattformwirtschaft. Uns bleibt nichts anderes übrig, als dort hinabzusteigen.

Die Versuche, diesen sich lawinenartig ausbreitenden Bewegungen – die ein ganzes Spektrum an Positionen gegen den Staat, gegen den Lockdown, gegen Maskentragen und gegen Impfungen umfassen – einen Namen zu geben, fielen bislang eher bemüht aus. Während es in den USA so schien, als bilde die Unterstützung des unlängst abgewählten Präsidenten für diese divergierenden Positionen eine naheliegende Klammer, erklärten Beobachter die Heterogenität der Querdenker-Bewegungen anderswo zu ihrem Kernpunkt. Der Economist sprach von einem „bunten Haufen„, der sich auf Demonstrationen treffe, in denen oft New-Age-Homöopathen neben Skinheads und QAnon-Anhängern marschieren. Für Naomi Klein eint eine Art „Verschwörungssmoothie“ die Protestierenden in verschiedenen Ländern. Der Soziologe Keir Milburn sprach von einer „kosmischen Rechten“ in Großbritannien. Der brasilianische Philosoph Rodrigo Nunes zog seine Lehren aus dem Massenphänomen namens „bolsonarismo“ und beschrieb die Proteste als latente Manifestation von „denialism„, einer Verleugnungshaltung, die sich der Unfähigkeit verdanke, mit dem ungeheuren Ausmaß der Herausforderungen klarzukommen, vor denen die Menschheit derzeit stehe.

Die Querdenker sind keine Unterschichtenbewegung

Die erste wissenschaftliche Untersuchung der Bewegungen von Corona-Skeptikern in Deutschland, Österreich und der Schweiz stellt diese vorläufigen Etiketten infrage. Soziologen und Soziologinnen der Universität Basel um Oliver Nachtwey haben herausgefunden, dass die Bewegung zumindest in Deutschland nicht von klassischen Rechten dominiert wird. Bei den vergangenen Bundestagswahlen hat der größte Prozentsatz der heute aktiv an Querdenker-Protesten Beteiligten für die Grünen gestimmt (23 Prozent), der zweitgrößte für die Linke (18 Prozent), gefolgt von 15 Prozent für die AfD. Eine Mehrheit unter diesen Querdenkern zeigt keine spezielle Antipathie gegen Zugewanderte oder Muslime und ist auch nicht der Meinung, dass Frauen wieder zu traditionellen Rollen zurückkehren sollten. Die meisten erkennen die wissenschaftlichen Beweise für den Klimawandel an und die Tatsache, dass der Holocaust stattgefunden hat. Die eine Leugnung (Corona) bedingt nicht unbedingt auch andere Leugnungen.

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Die Befragten glauben allerdings an die Existenz einer stark abgeschotteten Elite, die die Medien, den Staatsapparat, die Großunternehmen und die Finanzindustrie beherrsche. Sie sind der Meinung, dass Medien und Staat angeblich maßlose Angst in der Bevölkerung verbreiten, die Wahrheit unter den Teppich kehren und das Volk täuschen wollen. Fast zwei Drittel glauben, die Bill and Melinda Gates Foundation befürworte eine weltweite Zwangsimpfung.

Was die soziale Herkunft betrifft, sind die Querdenker keineswegs eine Unterschichtenbewegung. Die von den Basler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Befragten rechnen sich selbst überwiegend der Mittelschicht zu und sind überproportional häufig Selbstständige (25 Prozent; der Anteil der Selbstständigen an der Gesamtmenge der Erwerbstätigen in Deutschland beträgt lediglich 9,6 Prozent). Weltweit werden Proteste gegen staatliche Corona-Maßnahmen häufig von Inhabern kleiner Unternehmen und Selbstständigen angeführt, denen üblicherweise die soziale Bindung einer Gewerkschaftsmitgliedschaft fehlt und deren Beschäftigungssicherheit geringer ist als die von Beamten oder Angestellten großer Unternehmen, die im Homeoffice in „Angestellten-Quarantäne“ arbeiten können.

Die große Unzufriedenheit

Kleinunternehmer und Selbstständige haben einen Grund, wütend zu sein. Die sogenannte K-förmige Erholung der Konjunktur hat die Konzerne begünstigt; während die kleineren Unternehmen litten, haben größere Gewinne gemacht und breiten Zugang zu privatwirtschaftlichen wie staatlichen Krediten erhalten.

Die Unzufriedenheit geht über den Protest auf der Straße hinaus. Einer Umfrage zufolge beurteilten Ende vergangenen Jahres rund 40 Prozent der deutschen Mittelständler – der Betreiber kleiner und mittlerer Unternehmen – die Reaktion der Bundesregierung auf die Pandemie „als schlecht“ oder „sehr schlecht“. Zwar zeigen sich viele Kleinunternehmer in Deutschland und anderswo frustriert über unzureichende staatliche Maßnahmen – die sich von Land zu Land in Form von Direktzahlungen, Lohnzuschlägen und Arbeitslosenunterstützung erheblich unterscheiden –, doch wollen die meisten einfach nur, dass die jeweilige Regierung ihren Aufgaben effektiv nachkommt. Diese Menschen wollen mit wilden Fiktionen, die im Netz kursieren, nichts zu tun haben. Doch weil ein wachsender Bevölkerungsanteil durch soziale Medien und Videoplattformen Falschinformationen ausgesetzt ist, überrascht es nicht, dass eine beträchtliche Minderheit (die in den meisten Ländern mindestens zehn Prozent ausmacht) ihren Weg in irgendeine Dimension des Querdenkertums gefunden hat.

Auf welchen gemeinsamen Nenner aber soll man die extremere Form von Opposition bringen? „Antilockdown“ wird der Breite der Kritik nicht gerecht, die für viele von der Ablehnung dessen, was die Franzosen als „le confinement“ bezeichnen, bis hin zur prinzipiellen Skepsis gegenüber Masken, Impfungen und häufig der Realität der Pandemie selbst reicht. Viral gegangene Videos wie Plandemic oder Hold-Up (geschätzte Zuschauerzahl mehr als zehn beziehungsweise sechs Millionen Menschen) beschreiben die Pandemie als einen Vorwand für globale Eliten, um einen tiefgreifenden Umbau des menschlichen Alltagslebens durchzuführen. Rund 80 Prozent der von den Baselern befragten deutschsprachigen Querdenker hielten Covid-19 für nicht schlimmer als eine schwere Grippe, während 96 Prozent sagten, sie würden sich nicht impfen lassen, selbst wenn die Vakzine garantiert keine Nebenwirkungen hätte.

Beim Begriff „Querdenken“ muss man an die Querfront denken, die in der Zwischenkriegszeit die „rote“ kommunistische mit der „braunen“ faschistischen Bewegung verband. Doch verdankt sich der Begriff „Querdenken“ einem ganz anderen Ursprung, nämlich dem Jargon der Marketing- und Beratersphäre. Seit Jahrzehnten zirkuliert „Querdenken“ im PowerPoint-Jargon für die Geschäftsführungsebene neben verwandten Ausdrücken wie „Bruch“, „über den Tellerrand blicken“ oder dem Apple-Gebot aus der Dotcom-Zeit: „anders denken“. In den frühen Nullerjahren gab es einige Jahre lang ein Wirtschaftsmagazin namens Querdenker. Die Genese des Ausdrucks ist passend, fasst er doch eine politisch vielfältige Gruppe von Akteuren trefflich zusammen, die sich unter einer formal leeren Sprechblase aus der Welt der Medienberatung vereint – einer Welt, aus der, wie wir sehen werden, viele der Organisatoren der Bewegung in Wirklichkeit auch stammen.

Was die aktuelle Situation so explosiv macht, sind genau diese freiberuflich tätigen Medien-Wizards, politisch bewegten Heilsbringer und Entrepreneur-Nonkonformisten, die soziale Spannungen gezielt verschärfen wollen. Das dient der eigenen Autorität und oft auch der Selbstbereicherung. Der Zustand der querdenkenden Bewegung in Deutschland ist dahingehend besonders aufschlussreich. Es gibt drei Grundtypen, die für die deutsche Szene von zentraler Bedeutung sind und die sich in verschiedenen Kontexten der weltweiten techno-politischen Turbulenzen zu festen Größen entwickeln. Sie bilden Modellfiguren, die sich von Land zu Land in unterschiedlicher Verkörperung wiederholen: der Bewegungsstrippenzieher, der rechtsgewendete linke Ideologe und der rechtsextreme Esoteriker.

Der Bewegungsstrippenzieher

Im vergangenen August fanden in Berlin zwei Anti-Covid-Protestveranstaltungen statt, die erste mit 20.000 und die zweite mit 38.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Zur ersten Demonstration unter dem Motto „Das Ende der Pandemie – Tag der Freiheit“ gehörte am 1. August eine Kundgebung mit großer Bühne auf der Straße des 17. Juni; die zumeist maskenlose Menge erstreckte sich vom Brandenburger Tor bis zur Siegessäule. Besorgniserregend schien die Ansammlung von Menschen augenscheinlich unterschiedlichster Gesinnung: Hippies, Kriegsgegner, Libertäre, Reichsbürger, Neonazis, Alternativmediziner, Impfgegner und unpolitische Linksliberale, um nur einige zu nennen. Ein vergleichsweise kleiner rechtsextremer Protest aber, bei dem es am Abend nach der Demonstration am 29. August fast zu einer Erstürmung des Reichstags gekommen wäre, beherrschte wochenlang die öffentliche Diskussion.

Am 1. August stand Michael Ballweg auf der Bühne am Brandenburger Tor. Der Stuttgarter Unternehmer und IT-Entwickler hat mehrere Start-ups gegründet, unter anderem im Jahr 1996 die media access GmbH. Sie verkauft Software und Dienstleistungen im Bereich Senior-Experten-Management, mit denen Unternehmen pensionierte Mitarbeiter zur Beratung bei bestimmten Projekten reaktivieren können.

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„Ich stehe heute hier, weil mir die Welt, wie sie mir von der Bundesregierung präsentiert wird, nicht gefällt“, verkündete Ballweg auf der Bühne in Berlin. Obwohl er die Existenz des Coronavirus nicht leugnet, insistiert er: „Es gibt keine Pandemie.“ Und damit gebe es auch keine Notwendigkeit für angeblich verfassungswidrige staatliche Maßnahmen. „Für mich steht das Q für das englische Wort question„, erklärte Ballweg, „eine Gruppe von Fragestellern, die uns zum Nachdenken und Recherchieren anregen.“ Wie es sich für einen guten Unternehmer gehört, hat Ballweg den Begriff „Querdenken“ in verschiedenen Wortkombinationen markenrechtlich schützen lassen. Im August teilte seine media access GmbH auf ihrer Website unter der Überschrift „Zum Status der Demokratie“ mit, Großkunden wie die Robert Bosch AG und thyssenkrupp hätten ihre Verträge aufgrund von Ballwegs Aktivismus gekündigt; diese bestätigten zwar die Auflösung der Geschäftsbeziehungen, doch verwies etwa Bosch darauf, das sei aus wirtschaftlichen Gründen und vor Ballwegs Engagement als Querdenker geschehen. Ballweg stellt sich dennoch als Opfer politisch motivierter Zensur dar und kündigte im vergangenen September den Verkauf von media access an.

Die Intransparenz der Finanzierung

Seit Ballweg hauptberuflich als Bewegungsstrippenzieher unterwegs ist, werden die Finanzen diverser Querdenken-Gruppen genauer unter die Lupe genommen. Die Stuttgarter Gruppe Querdenken 711 um Ballweg bittet um Schenkungen (bis zur Betragsgrenze, ab der Schenkungen versteuert werden müssen) per PayPal oder Überweisung, die direkt auf ein Konto von Ballweg gehen; Spendenquittungen könnten nicht ausgestellt werden, heißt es auf der Website, man arbeite „derzeit an der Eintragung der Gemeinnützigkeit„. Auf diese Weise erspart sich die Bewegung auch bestimmte Probleme, die mit einer kollektiv geführten politischen Organisation verbunden sein können – und etwa Sahra Wagenknechts Bewegung Aufstehen 2018/2019 plagten. Gleichzeitig entwickelt Querdenken eine basisdemokratische Struktur aus selbst organisierten Gruppen, die ihre Transparente, T-Shirts und Embleme aus Stuttgart beziehen. Auch von einigen größeren Deals hat Ballweg profitiert, etwa mit Busunternehmen, die Demonstranten durchs Land transportieren, oder mit Randfiguren wie jenem ehemaligen Erotik-Hotline-Betreiber, dem es nach eigenen Angaben 5.000 Euro wert war, auf der Querdenken-Bühne tanzen zu dürfen.

Nachdem die Querdenken-Bewegung Gegenwind bekommen hatte wegen ihres Mangels an Transparenz und dafür, dass sie die Teilnahme von Neonazis an ihren Demonstrationen duldete, warf sie seriösen Medien vor, sie zu verleumden. Auch verurteilte sie förmlich Links- wie Rechtsextremismus, während sie Grußbotschaften an die schwerlich gemäßigte, aus den USA stammende QAnon-Bewegung übermittelte. Trotzdem pocht Ballweg darauf: „Wir sind keine politische Bewegung und auch keine Partei. Wir sind eine demokratische Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft mit einer großen Vielfalt.“

Ballwegs Hang zur Intransparenz wird nur noch durch seinen Mangel an Charisma übertroffen. So gleicht er eher dem Strippenzieher der italienischen Cinque-Stelle-Bewegung, dem Internetunternehmer Davide Casaleggio, als deren Mitbegründer, dem publikumswirksam auftretenden Kabarettisten Beppe Grillo. Die von Querdenken entwickelten Vorstellungen stellen jedoch selbst die konspirativsten Elemente der Fünf Sterne in den Schatten. Und ihr digital angetriebenes Theater stützt sich hinter der Bühne auf Allianzen mit einer bunten Gruppe von Medienunternehmern, die sich herkömmlichen Etiketten entziehen.

Der rechtsgewendete linke Ideologe

Quelle         :         Die Zeit         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben       —         Demonstration von rechten und verschwörungsideologischen Gruppen gegen die Änderung des Infektionsschutzgestzes, in der sie ein „Ermächtigungsgesetz“ sehen am 18. November 2020 in Berlin. Die Demonstration im Bannkreis wurden verboten, der Protest davor wurde wegen Verstoßes gegen die Infektionsschutzverordnung aufgelöst.

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2. von Oben      —     Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin am 29. August 2020.

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Unten         —     Angela Merkel

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Studieren in der Pandemie

Erstellt von Redaktion am 28. März 2021

Unis müssen digital begeistern

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Von Marius Ochs

Das Studium gleicht momentan einem Abgrund. Einem Abgrund aus digitalen schwarzen Kacheln. Läuft es so weiter, könnten ganze Jahrgänge verloren gehen.

Corona hat es geschafft: Studieren macht mir keinen Spaß mehr. Dabei geht es mir im Vergleich zu anderen Studierenden noch gut. Ich stehe kurz vor meinem Bachelor, musste mich also nicht ausgerechnet in einer Zeit, in der man die Wohnung nicht verlassen soll, an einer neuen Uni oder gar in einer neuen Stadt zurechtfinden. Das Campusleben habe ich noch kennengelernt, die Atmosphäre eines vollen Hörsaals genau wie den Geschmack von verkochtem Mensaessen, und mehr als einmal habe ich nach Seminarende auf dem Fakultätsflur noch spontane Diskussionen geführt.

Bis vor einem Jahr dachte ich selten über den Wert dieser Erfahrungen nach. Sie waren selbstverständlich. Wer aber in den letzten beiden Semestern anfing zu studieren, kennt sie nur noch aus Erzählungen oder Filmen. Und auch für das dritte digitale Semester, das am 1. April beginnt, ist Besserung nicht in Sicht.

Als Friedrich Nietzsche schrieb „Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein“, meinte er nicht den digitalen Alltag an den Hochschulen seit März 2020. Doch dort ist das Zitat erschreckend aktuell. Das Studium gleicht momentan einem Abgrund. Einem Abgrund aus digitalen schwarzen Kacheln.

Klappt man den Laptop auf, um mittels der Videokonferenz-Software Zoom an einer virtuellen Vorlesung oder einem digitalen Seminar teilzunehmen, blickt man oft in eine gähnende Leere. Kaum jemand hat seine Kamera an, zeigt freiwillig sein Gesicht. Umringt von schwarzen Kacheln ist es kaum möglich, Interesse und Begeisterung zu entwickeln. Man wird zum Zoombie.

Studieren macht arm und krank

Doch Forschung setzt Begeisterung voraus! Die Freude am Lernen und Entdecken, die Fähigkeit, im Team Thesen zu entwickeln und zu testen. Läuft es weiter wie jetzt, könnten ganze Jahrgänge potenzieller For­sche­r*in­nen verloren gehen.

Im schlimmsten Fall macht Studieren momentan arm und krank. Vielen brechen die Nebeneinkünfte weg, vor allem weil die Gastronomiejobs fehlen. Produktiver persönlicher Austausch, ob in der Referatsgruppe, in der Mensa oder beim Bier in der Kneipe, ist kaum möglich. Emotionale Entlastung durch Fachschaftspartys oder Hochschulsport fehlt (und nicht zu vergessen: eine Universität ist ja auch eine riesige analoge Datingplattform). Spazierengehen half da noch nie. Isolation und Einsamkeit belasten Studierende in ganz Deutschland. Nicht wenige ziehen sogar zurück zu ihren Eltern.

Für das Sommersemester brauchen wir deshalb dringend Strategien, um den Verlust des Campuslebens auszugleichen. Digitales Lernen muss endlich Begeisterung wecken! Möglichkeiten dazu gibt es. Digitale Plattformen wie „Gather“, bei denen man sich als Avatar in verschiedenen Themenräumen treffen kann, sind eine Alternative zu Zoom. Sie helfen beim spielerischen und gruppenbasierten Lernen. Kein Campus, aber immerhin.

Eine Bekannte von mir, die seit Herbst an der Uni Darmstadt studiert, erzählt, dass sie sich häufig mit dem Stoff allein gelassen fühlte. „Man bekommt seine Texte und das ist dann, als hätte man einfach nur Hausaufgaben. Nur kenne ich keinen meiner Kommilitonen, um mich darüber auszutauschen.“ Doch auch theoretische Texte können digital zusammen bearbeitet werden. Fragen, Gedanken und Widerspruch lassen sich problemlos in gemeinsamen Dateien teilen. Gegen das Gefühl von Isolation und Einsamkeit kann das helfen.

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Am Ende bewahrte ein Dozent, der regelmäßig zu Beginn seines Seminars offene Themenrunden veranstaltet, meine Bekannte vor dem Abbruch: „So konnte man wenigstens mal hören, dass es Anderen ähnlich geht.“

Die technischen Voraussetzungen sind durchaus da, man muss sie nur nutzen – und die Studierenden auch dazu aktiv ermuntern. Gerade gegenüber Erstsemestern, die noch vom Frontalunterricht der Schulen geprägt sind, geht mit dem Lehrauftrag auch eine pädagogische Verpflichtung einher. Das macht die Situation momentan auch für die Do­zen­t*in­nen belastend. Viele scheinen sich ihrer neuen Verantwortung allerdings gar nicht bewusst zu sein. Ändert sich das nicht bald, besteht die Gefahr, dass der wissenschaftliche Nachwuchs verloren geht.

Quelle        :          TAZ          >>>>>         weiterlesen

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Oben         —         Lecture Theatre 1, Ashworth Labs Photograph taken by Annie Caldwell

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Ein deutsches Drama

Erstellt von Redaktion am 24. März 2021

Vor dem Oster-Lockdown

Es ist März und trotzdem wird es im Land immer kälter

Ein Schlagloch von Georg Diez

Die Politik verwaltet Missstände, die Bür­ge­r:in­nen schauen mit Faust’schem Fatalismus zu. Die Lösungsseite aber, das Konstruktive, fehlt komplett.

Im deutschen Wesen gab es stets dieses Schwanken zwischen Welteroberung und Weltabgewandtheit. Das eine wurde mal mit kriegerischer Energie und mal mit wirtschaftlichem Elan betrieben, das andere war immer eine deutsche Grundierung, seit der Romantik spätestens, aus einer tiefen Verstörung entstanden wiederum über das Wesen dieser Welt; kein Wunder, dass die Dialektik hier geboren wurde.

Zwei Seelen also sind es, hat mal jemand gesagt, und so sind beide, Zaudern wie Hochmut, deutsche Realität. Es ist eine Unsicherheit, die dieses Land durchzieht, kompensiert durch eine herrische Art, die das eigene Scheitern mitreflektiert. Das Autoritäre, das sich in verschiedenen Gestalten zeigt, trägt hier immer auch die Signatur der eigenen Schwäche. Diese deutsche Tiefenunentspanntheit zieht sich bis ins Gesicht von Michael Müller, dem Regierenden Bürgermeister von Berlin.

Und so ist das Schauspiel, das wir gerade erleben, ein sehr deutsches Drama, durchzogen von Faustschem Fatalismus. Die Müdigkeit des Alten prägt die Auftritte und Aktionen, das Stöhnen aus der Studierstube, haben nun ach, ist im ganzen Land zu hören. Aus Unentschlossenheit ist schon lange Phlegma geworden, und weil das Publikum weit weg ist, im Lockdown auf den billigen Plätzen, bleibt für die Politik das Parkett der eigenen Plattitüden. Hilflosigkeit herrscht, und so ziehen die Scharen lieber fort, nach Mallorca.

Dass das wiederum geschehen darf, ist Teil des Dramas, weil diese touristische Form der Welteroberung wiederum ja ein sehr gelerntes Verhalten nach dem verlorenen Krieg wurde. Expansionsstreben also per Wohnwagen statt mit Wehrmachtpanzern, hätte man in den politisierten 70er Jahren vielleicht gesagt, oder die kollektive Club-Med-Flucht vor dem eigenen Schuld-Ich, hätten die therapeutischen 80er Jahre diagnostiziert. Oder doch Hedonismus der demokratischen Art, im Geist der konsumistischen 90er Jahre?

Ratloses Umhertaumeln

Zu bestaunen ist hier jedenfalls die leicht panische Form von Weltaneignung, die von Weltenflucht oft kaum zu unterscheiden ist. Provinz ist schließlich überall, was dann auch den geistigen Diskurs gerade prägt, da unterscheiden sich die TUI-Kolonnen nicht so sehr von den Feuilleton-Kohorten, die sich auch lieber mit ziemlich sinnlosen Schlachten über angebliche Sprachzensur oder Schlimmeres selbst bespaßen, als sich den Zumutungen der nahen Zukunft zu widmen. Oder sogar deren Chancen und Möglichkeiten.

Prof. Giovane Irribarem de Mello dentro da Gaiola de Faraday.JPG

Deutsche in Käfighaltung fressen den Politiker-Innen aus der Hand!

Die Langeweile, die diese Diskussionen unter Gleichgesinnten prägt, die sich als Dissidenten der Meinungsfreiheit gerieren, wäre schon in ruhigeren Zeiten schwer zu ertragen – in diesen Drama-Tagen aber, wo Schüler und Eltern ratlos umhertaumeln, Künstler, Selbständige, Gastronomen ihre Wut kaum noch finanzieren können und die immer neuen Fristen bis zur nächsten MPK mit scheinbar lockerer Hand gesetzt werden, wird sie zum Spiegel dessen, was man leicht als Porträt eines jämmerlichen Landes zeichnen könnte.

Selbstverkleinerung der Handelnden

Auch die Maßnahmen, die nun wieder verkündet wurden, zielen auf den kollektiven Innenraum, Abschottung, Kontrolle, die Einzelnen in ihrer Stube, des Dramas erster Teil – die Faust’sche Verzweiflung wiederum, die ihn hinaus treibt zu Wissenschaft und Welteroberung im Geiste, die technische, die gedankliche, die konstruktive, die Lösungsseite, sie fehlt fast komplett, in den Diskursen der politischen Repräsentanz genauso wie in den sie begleitenden medialen Formen und Foren. Und das ist dann vielleicht das eigentliche Drama.

Quelle        :          TAZ        >>>>>        weiterlesen

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Oben           —       Bundeskanzlerin Deutschland Federal Chancellor Germany

Unten       —         Gaiola de Faraday 23/04/2012

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Ministerium für Flugtaxis

Erstellt von Redaktion am 19. März 2021

Die GroKo und die Digitalisierung

Von Svenja Bergt

Man hört das Desinteresse und die Ideenlosigkeit heraus, wenn die GroKo über Technik spricht. Für den digitalen Impfpass verheißt das nichts Gutes.

Als Kanzleramtsminister Helge Braun, seines Zeichens Digitalstratege der Bundesregierung und übrigens auch Arzt, kürzlich bei „Anne Will“ zu Gast war, offenbarte er für einen kurzen Moment den vollen Charme eines Menschen, der mit dem Rücken zur Wand steht. Es ging um die Corona-Warn-App der Bundesregierung, die nicht ganz schlecht ist, aber eben auch nicht ganz gut und ganz sicher an vielen Stellen verbesserungswürdig. Dummerweise wurde Braun in diesem Moment auf die Schwächen der App hingewiesen und gab daraufhin, offensichtlich eingeschnappt, zurück: „Warum muss der Staat alles anbieten?“

Man hätte es ihm in dem Moment nicht verdenken können, hätte er zeitgleich mit dem Fuß aufgestampft. Denn natürlich hat er recht: Der Staat muss nicht alles anbieten. Flugtaxis zum Beispiel. Muss sich der Staat nun wirklich nicht drum kümmern. Werden vom Verkehrsministerium trotzdem mit einem Förderprogramm von mehr als 15 Millionen Euro unterstützt.

Der Satz von Helge Braun offenbart eine zentrale Problematik, die der Technologiedebatte in der bundesdeutschen Politik, allen voran bei Union und SPD, innewohnt: eine weitverbreitete Haltung, die aus einer Kombination aus Ideenlosigkeit und Desinteresse besteht. Nicht ein Desinteresse, das dazu führt, das Thema ganz links liegen zu lassen, das nicht, dazu ist es einfach zu präsent. Die Zeiten, in denen sich auch die eine oder der andere Bun­des­po­li­ti­ke­r:in unsicher war, was eigentlich ein Browser ist, sind ja wohl hoffentlich vorbei. Aber es gibt ein Desinteresse, das verhindert, Technologie, ihren Einsatz, die Möglichkeiten, die Folgen wirklich ernst zu nehmen und im Detail zu durchdenken.

Das zeigt sich in vielen Bereichen: in der merkwürdig inkonkreten Debatte über den Einsatz von künstlicher Intelligenz beispielsweise. Auch bei selbstfahrenden Autos, die eher als eine Art Science-Fiction-Adaption dargestellt werden, ohne konkretes Konzept dafür, wie ihre Nutzung etwas Gutes schaffen könnte. Wenn Technologie ein Thema ist, dann am liebsten in Kombination mit Überwachung. Die Faustregel: Wenn die Regierungskoalition über Technik spricht, kommen Flugtaxis heraus und Vorratsdatenspeicherung. Oder eben die Corona-Warn-App, der das Wort „vergurkte“ mittlerweile so oft vorangestellt wurde, dass man meinen könnte, es handle sich um die offizielle Beschreibung.

An der Corona-App ist gar nicht alles falsch

Dabei ist an dieser App gar nicht alles falsch. Einiges ist gut, zum Beispiel die datensparsame Architektur. Oder dass sie in einem erstaunlich offenen Prozess als Open-Source-Anwendung programmiert wurde, was möglich gemacht hat, dass es mittlerweile einen Fork gibt, also eine Abspaltung anderer Ent­wick­le­r:in­nen mit anderen Features. Anderes ist dagegen schlecht gelaufen. So hatte die Bundesregierung erst auf ein weniger datensparsames Modell gesetzt, der Schwenk zu einem besseren Modell kostete Zeit, und die Entwicklungskosten sind exorbitant.

Aber das zentrale Problem ist: Die App ist nicht ganzheitlich gedacht. Rund um die App fehlt es – abgesehen von eigens eingerichteten Hotlines – an allem. An einer zuverlässigen und flächendeckenden Anbindung sämtlicher relevanten Akteure, Arztpraxen, Gesundheitsämter und Labore. Es gibt nicht einmal ein verlässliches Konzept dafür, was Menschen tun sollen, deren App auf einmal eine rote Warnung ausspuckt. Zwar können Ärz­t:in­nen auch dann einen PCR-Test abrechnen. Jedoch berichten Patient:innen, die eine Warnung erhalten haben, aber keine Symptome zeigen, immer wieder von Schwierigkeiten, einen Test zu bekommen.

Zudem sind die Weiterentwicklungen sehr überschaubar, eine seit Monaten vorgeschlagene datenschutzfreundliche Cluster-Erkennung ist nicht absehbar. Stattdessen gibt es schon Kommunen, die die private App Luca, die weder Open Source ist noch mit Transparenz glänzt, einbinden und damit de facto zum Standard für Nut­ze­r:in­nen machen.

Die Corona-App steht damit symptomatisch für die Folge der eingangs beschriebenen desinteressiert-ideenlosen Haltung: Technologien werden fast immer isoliert betrachtet, losgelöst vom Ökosystem, in dem sie sich befinden oder befinden werden. Noch einmal zum Beispiel autonomes Fahren. In der Debatte über die Gesetze, die dazu schon beschlossen wurden und noch beschlossen werden sollen, geht es viel um herausragende Schnelligkeit bei der Entwicklung und Zulassung, um den Wirtschaftsstandort Deutschland, um Shuttleverkehr, vielleicht auch noch mal um die Reduktion von Unfällen. Aber wenig um folgende Fragen: Was heißt das denn für andere Verkehrsteilnehmer:innen? Für die Stadtentwicklung? Für uns als Gesellschaft? Welche Ziele wollen wir erreichen, und wie können wir diese Technologie dafür nutzen?

Pandemie als Brennglas

Wer Technologien nur als kontextlose Inselphänomene betrachtet, verkennt ihre Bedeutung für die Gesellschaft und macht sie zum Selbstzweck. Und nimmt sich gleichzeitig die Chance, sie in positive Bahnen zu lenken. Wer zu spät kommt, kann nur noch regulieren, nicht mehr gestalten.

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Die Pandemie wirkt hier, wie auch bei zahlreichen anderen Problemen, als Brennglas. Denn einerseits hat sie zu einem Digitalisierungsschub geführt, der praktisch sämtliche Lebensbereiche erfasst. Digitaler Unterricht und Arbeiten im Homeoffice sind wahrscheinlich die sichtbarsten Beispiele, aber auch: digitale Ausstellungen, virtuelle Konferenzen, gestreamte Clubnächte, Opern und Kindertheatervorstellungen. Menschen, die Weihnachten und Silvester per Videokonferenz zusammen feiern.

Patienten, die ihre Ärztinnen über Videosprechstunde treffen. Kleine Läden, die mangels Onlineshop eine Videoberatung per Smartphone anbieten samt anschließender Lieferung des Gekauften. Vieles davon ist aus der Not entstanden, nicht alles passt für alle, und nicht alles wird bleiben oder in dem Maße weiter genutzt werden, wenn eine ausreichende Menge an Geimpften unterwegs ist. Aber ein Teil schon.

Gleichzeitig war – Stand Jahreswechsel 2020/21, also knapp ein Jahr nach Beginn der Pandemie in Deutschland – bei rund zwei Dritteln der Gesundheitsämter noch nicht die Open-Source-Software im Einsatz, die sich auch bei der Kontaktverfolgung im Kampf gegen Ebola bewährt hat. Stattdessen gab es Excel-Tabellen oder eigene Softwarelösungen. Mit der Konsequenz, dass die Kommunikation zwischen den Ämtern länger dauert und sich die Kontaktverfolgung verzögert. Auch hier zeigt sich der Mangel an ganzheitlichem Denken.

Wäre der digitale Impfpass fälschungssicher?

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Wessen Tränen zählen?

Erstellt von Redaktion am 11. März 2021

Rassismus beim britischen Königshaus

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Von Mohamed Amjahid

Die Rassismusvorwürfe an die Royals drohen vom Klatsch überdeckt zu werden. Doch sie sind politisch – und können Vorbild für Marginalisierte sein.

Am zweiten Tag nach der Ausstrahlung des schockierenden Interviews von Meghan Markle und Prince Harry mit der US-Moderatorin Oprah Winfrey folgen erste Konsequenzen. Der Bucking­ham Palace reagiert auf Markles Rassismusvorwürfe mit einem kurzen Statement: Die königliche Familie sei traurig und nehme alles sehr ernst.

Der britische Star-Moderator Piers Morgan, der Markle seit Jahren vor einem Millionenpublikum sexistisch und rassistisch beleidigt, verliert seinen Job bei der TV-Sendung „Good Morning Britain“.

40.000 Beschwerden gingen allein nach der Ausstrahlung des Interviews bei Morgans Arbeitgeber, dem Sender ITV, ein. Überall auf der Welt war die Spannung groß, welche Enthüllungen das Gespräch mit Meghan Markle und Prince Harry wohl hervorbringen werde. Zwar sprach das Ehepaar – typisch britisch – höflich und zurückhaltend, inhaltlich wurde es allerdings mehr als nur deutlich. Selbst Oprah Winfrey, die in ihrem Leben so einige spektakuläre Interviews geführt hat, musste an einigen Stellen authentisch nach Luft schnappen und innehalten.

Das zweistündige Interview ist eben keine reine „Hollywood Show“, es passt nicht in das Ressort „Klatsch & Tratsch“, wo Berichterstattung über die Royals normalerweise stattfindet und sie als eine Art schrullige Familienbande mit Telenovela-haften Zickenkriegen zeichnet.

Hier geht es um mehr: um mentale Gesundheit, einen Mangel an weiß-privilegierter Selbstreflexion, fehlende Machtkritik und eine historisch gewachsene ausbeuterische Haltung, die fester Bestandteil im Selbstverständnis des Buckingham Palace zu sein scheint.

Koloniale Vergangenheit

Am 2. Juni 1953 wurde Elizabeth II. zur Queen des Vereinigten Königreichs, Australiens, Kanadas, Neuseelands, Südafrikas, Britisch-Ceylons (das heutige Sri Lanka) und Pakistans gekrönt. Sie thronte über ein britisches Imperium, das sich in Kriegen und mit rassistischer Gewalt an den Reichtümern anderer Gesellschaften bediente. Ein Reich, das selbst nach der Unabhängigkeit einiger seiner vormals besetzten Territorien noch großen wirtschaftlichen und politischen Einfluss ausübte.

Die Queen hat sich nie für die Kolonialverbrechen ihres Landes entschuldigt – zum Beispiel für die Rolle Großbritanniens im dehumanisierenden Handel mit versklavten Menschen aus Afrika. Das britische Königshaus war ein Pfeiler dieses kolonialen Projekts. Im Kontext dieser historischen Kontinuitäten muss das Interview einer Schwarzen Frau betrachtet werden, die sich von einem der einflussreichsten Paläste der Welt getrennt hat.

Markle erzählt von der grundsätzlichen Skepsis gegenüber ihrer Person in der Royal Family, vom unerträglichen Druck und ihren daraus resultierenden Suizidgedanken. Eine Therapie sei ihr verweigert worden, da diese nicht gut für die „Institution“ sei. Eine Aussage Markles fällt dabei besonders auf: „Ich bin bereit zu sprechen, meine eigenen Entscheidungen zu treffen und für mich selbst zu reden.“

Kri­ti­ke­r*in­nen sagen, Markle habe ja vor der Hochzeit mit Prince Harry gewusst, was auf sie zukommen würde: ein starres Protokoll, royale Disziplin und der Druck der Öffentlichkeit. Doch in der heutigen Zeit kann die Liaison mit einem Prinzen nicht bedeuten, dass damit die eigene Subjektivität und Sprechfähigkeit aufgegeben wird.

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Markle hat sich mit dem Oprah-Interview von den Windsors nicht nur emanzipiert, sie feierte mit dem Auftritt ihre Unabhängigkeit. Es muss sich für den Buckingham Palace wie ein Déjà-vu angefühlt haben.

Die Hautfarbe des Babys

Der wohl meistzitierte Satz aus dem Interview dreht sich um die Hautfarbe von Archie, dem Erstgeborenen von Meghan Markle und Prince Harry. „Es gab Bedenken und Gespräche, wie dunkel seine Haut sein wird, wenn er auf die Welt kommt“, sagt Markle. Oprah Winfrey und Millionen von Zu­schaue­r*in­nen staunten nicht schlecht, dass sich der Rassismus in der britischen Königsfamilie auf so plumpe Art und Weise geäußert haben soll. Beim erneuten Nachdenken ist es aber doch nicht so überraschend.

Markle ging nicht näher darauf ein, wer im Palast diese unsägliche, rassistische Aussage gemacht haben soll. Man kennt es als von Rassismus betroffene Person: Vorsichtig herantasten, obwohl man vollkommen im Recht ist. Natürlich muss auch dieser Vorwurf zunächst als das gelesen werden, was er ist: ein Vorwurf. Der Buckingham-Palast muss die Schilderung von ­Meghan Markle aber erst mal entkräften. Und in der Vergangenheit hat sich die Royal Family eher entschieden, im Sinne ihres Images zu kommunizieren und nicht im Sinne von Aufklärung.

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Oben       —     Wax sculpture in Madame Tussauds Museum in London, UK.

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Rechte APO-mediale Macht

Erstellt von Redaktion am 11. März 2021

Die neueste Ideologieproduktion aus dem Hause »Springer«

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BILD – Julian Reichelt

von Albrecht von Lucke

Ein Jahr nachdem die Coronapandemie in ihrer ganzen Dramatik in Europa angekommen ist, hat die Seuchenlage auch in Deutschland ihren wohl gefährlichsten Punkt erreicht. Neue, infektiösere Mutationen drohen den alten Virustyp auf breiter Front zu verdrängen. Zugleich ist die Europäische Union unter deutscher Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 mit ihrer zögerlichen Einkaufspolitik bei der Impfstoffbeschaffung massiv in Rückstand geraten. Folglich kommt auch in Deutschland die Impfkampagne im ersten Quartal 2021 nur schleppend in Gang, wodurch die Regierungen in Bund und Ländern erheblich unter Druck stehen. Zugleich rächen sich die politischen Versäumnisse seit dem vergangenen Sommer, speziell in der Schulpolitik, beim Schutz der besonders vulnerablen Gruppen, insbesondere in Altersheimen, und beim Aufbau größerer industrieller Kapazitäten zur Herstellung von Impfstoffen. Damit erweist sich die regierende große Koalition zum ersten Mal in der Coronakrise als massiv angreifbar.

Normalerweise ideale Voraussetzungen für einen spannenden Wahlkampf in diesem Superwahljahr. Doch kaum mehr als ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl dümpelt die parteipolitische Auseinandersetzung weiter vor sich hin – auch mangels überzeugender Regierungsalternativen jenseits der nächsten, voraussichtlich schwarz-grünen Variante der großen Koalition. Zugleich fällt mit der AfD die stärkste Oppositionspartei als ernstzunehmende Kraft faktisch aus. Da sie seit Beginn der Coronapandemie deren Gefährlichkeit geleugnet hat, kann sie die populistische Klaviatur jetzt nicht derart brutal bespielen wie noch vor fünf Jahren in der Flüchtlingsfrage.

Eigentlich ein Glücksfall für die Gesellschaft, doch genau in diese populistische Lücke stößt jetzt ein anderer Akteur – nämlich der Springer-Konzern mit dem im medialen Raum wohl ambitioniertesten Projekt der vergangenen Jahre, dem neuen Sender-Format „Bild live“. Springer geht damit ganz gezielt in die Offensive, und zwar in einem bemerkenswerten medialen Dreiklang von „Bild live“, dem immer populistischeren Leitmedium „Bild“ und der radikalen Ideologieschmiede „Die Welt“. Dieses Trio infernale dient einem dreifachen Zweck: erstens, die mediale Hegemonie zu erlangen, um damit – zweitens – auf die geschwächte politische Klasse Druck auszuüben und so drittens das entstehende Machtvakuum mit den eigenen, dem Verlag genehmen Zielen und Inhalten zu füllen – und zwar dezidiert gegen jede progressive, auf ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtete Politik.

Zum Regieren braucht es – »Bild«, »BamS« und »Bild live«

„Zum Regieren brauche ich BildBamS und Glotze“, hatte der Medienkanzler Gerhard Schröder einst gesagt. Um selbst die mediale wie politische Hegemonie zu erlangen, hat Springer daraus offensichtlich seine eigenen Schlüsse gezogen. Da man mit „Bild“ und „BamS“ bereits über die beiden maßgeblichen Boulevard-Faktoren im eigenen Hause verfügt, widmet man sich jetzt dem dritten entscheidenden Faktor, der „Glotze“ – und zwar durch den Aufbau eines hauseigenen Senders als missing link für die Deutungshoheit im öffentlichen Raum. Dabei soll „Bild live“ etwas dezidiert anderes als der ebenfalls bei Springer produzierte klassische Nachrichtensender „Welt TV“, vormals N24, sein – nämlich weit aggressiver in Inhalt wie Form.

Vor fünf Jahren hatte das Projekt noch ausgesprochen überschaubar, ja fast amateurhaft begonnen. Doch schon damals propagierte „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt offensiv sein Ziel – den „Angriff aufs Fernsehen“ als eine Revolution, die weit über das lineare TV hinausgeht. „Mir geht es darum: Wann immer etwas passiert, ist Bild live.“[1]

Anfangs wurde Reichelt noch dafür belächelt. Heute dürfte den meisten das Lachen vergangen sein. Denn dank Corona als einem die Digitalisierung enorm beschleunigenden Ereignis ist der Aufbau von „Bild live“ inzwischen erstaunlich weit vorangeschritten. Kaum ein Politiker oder eine Politikerin, sieht man einmal von der Kanzlerin ab, der oder die sich den Anfragen von „Bild“ entzöge; alle rennen – auch mangels anderer Live-Möglichkeiten im Corona- und Superwahljahr – dem neuen Sender förmlich das Studio ein. So etwa nach dem jüngsten Corona-Gipfel am 10. Februar, als sich Kanzleramtschef Helge Braun den Fragen von „Bild“-Vize Paul Ronzheimer stellte – im Laufband untertitelt nicht, wie sonst üblich, mit „Gespräch“ oder „Interview“, sondern mit „Merkels wichtigster Mann im Verhör“. Ebenfalls kurz zuvor „im Bild-Verhör“: Gesundheitsminister Jens Spahn. Hier artikuliert sich die zugrundeliegende aggressive, fast schon inquisitorische Geisteshaltung – „Bild live“ als die Stimme des Volkes gegen die Politikerkaste.

Zugleich formuliert Reichelt ohne Umschweife seine medienpolitische Ambition – nämlich mit Bewegtbildern ins Kerngeschäft der öffentlich-rechtlichen Sender einzudringen. Und zwar nicht nur revolutionär in der Form, nämlich ohne eigenen TV-Kanal, sondern auch in der Sache: „Wir konkurrieren nicht mit anderen Nachrichtensendern darum, wer die dpa-Eilmeldung zuerst ins Laufband stellt“, so Reichelt. „Unser Anspruch ist, diese News zu generieren.“ Dabei sucht gezielt die Auseinandersetzung mit den Öffentlich-Rechtlichen: Der „Bild live“-Talk „Die richtigen Fragen“ sendet daher bewusst am Sonntag um 21:45 Uhr, als Frontalangriff auf das ARD-Flaggschiff „Anne Will“, die meistgesehene Talkshow im deutschen Fernsehen.

Was aber ist das – unternehmerische und politische – Ziel des Projekts? Rein unternehmerisch geht es in erster Linie um maximale Reichweite: Bis Ende 2021 solle „Bild live“ von möglichst vielen Menschen als ihr täglicher Newssender wahrgenommen werden, so Reichelt. Agiert man derzeit noch temporär und zudem auf einer Seite, die nicht extra für das Fernsehen gestaltet wurde, ist das eigentliche Ziel eine TV-geeignete Plattform mit durchgängigem Programm. Reichelt bezeichnet „Bild live“ denn auch als „Startup in der größten Nachrichtenlage aller Zeiten“ – mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass hinter diesem „Startup“ ein medialer Milliarden-Konzern steht. Laut Pressemitteilung vom Dezember 2020 will Springer allein in diesem Jahr mehr als 22 Mio. Euro in den Ausbau der Bewegtbildstrategie von „Bild live“ investieren und 70 neue Stellen schaffen.

»Bild live« als deutsche »Fox News«?

Auch inhaltlich ist Reichelts Ziel klar: Mit „Bild live“ soll der „Modus Bild“ ins Fernsehformat übersetzt werden. In der Pionierzeit der 1950er Jahre kreierte der legendäre „Bild“-Chef Rudolf Michael das Konzept der „Vergröberung und Zuspitzung“ als gezieltes Emotionsmanagement. Um dieser Stärke von „Bild“ gerecht zu werden und so die Bindung an die Marke „Bild“ insgesamt zu erhöhen, soll nun auch „Bild live“ die „Geschichten, die das Land bewegen und die Menschen am dringlichsten betreffen“, anders, „empathischer“ und „sehr emotionalisiert“, erzählen. „Ich sehe zwei Säulen für unser Programm, die Double-O-Strategie, wie ich sie nenne: Ongoing und Opinion“, so Reichelt. Die Dramatik der Coronakrise liefert dafür den idealen Startpunkt: Die Pandemie wird für „Bild live“ zur perfekten Fortsetzungsstory, die man zugleich mit einer knallharten Kommentierung immer wieder anheizt.

Reichelt erhebt damit den Anspruch, direkt an den Gründungsvater des Verlages anzuknüpfen und dessen Projekt ins digitale Zeitalter zu übersetzen: „‚Bild‘ wurde ja von Axel Springer als gedruckte Antwort auf das Fernsehen konzipiert. Wir nutzen jetzt neue Technologien, um das, was Axel Springer nicht machen konnte – weil es keine Lizenz gab –, konsequent weiter zu denken“, so der „Bild“-Chef. Anders ausgedrückt: Was für Springer noch unmöglich war, nämlich ganz Deutschland auch mit bewegten Bildern zu bespielen, unternimmt jetzt Reichelt mit den neuen Möglichkeiten von „Bild live“.

Tatsächlich hat „Bild live“ bereits jetzt erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Medienlandschaft. So wird der Sender inzwischen regelmäßig vom „Deutschlandfunk“ – dem für die politischen Entscheider maßgeblichen Nachrichtenkanal – zitiert bzw. als O-Ton versendet, was eine immense Aufwertung bedeutet. Zeigt es doch, dass auch die Öffentlich-Rechtlichen an „Bild live“ trotz dessen derzeit noch nicht einmal sonderlich hohen Einschaltquoten offenbar nicht mehr vorbeikommen – oder es zumindest meinen.

Schon seit langem bestimmt die Bild-Zeitung mit ihrem Aufmacher als Agenda-Setter die morgendliche Lage und Debatte in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Obwohl Springer-Chef Mathias Döpfner ARD und ZDF wegen deren kostenloser Textangebote auf den Online-Plattformen immer wieder massiv attackiert[2] und sogar verklagt, fungieren die Öffentlich-Rechtlichen so bereitwillig als Multiplikator für die „Bild“-Meinung. Dank dieses politisch-medialen Geschäftsmodells ist der Einfluss von „Bild“ trotz weit geringerer Kioskverkäufe als zu seinen Hochzeiten noch immer immens.[3] Und „Bild live“ verschafft dem Verlag jetzt einen weiteren strategischen Vorteil gegenüber seinen Mitkonkurrenten: Noch spät am Abend geführte „Bild-Verhöre“ können am nächsten Morgen schon in der Bildzeitung stehen. Denn die neuen live geführten und gesendeten Interviews ersparen „Bild“ die Autorisierung – und damit eine Menge Zeit. Ein wachsender Teil der gedruckten „Bild“ stammt daher mittlerweile aus Interviews von „Bild live“.[4] Das TV-Format hat so die Bild-Zeitung längst maßgeblich verändert – und damit zugleich den gesamten Mediendiskurs in Deutschland.

Faktisch bedeutet „Bild live“ – noch mehr Emotionalisierung und Polarisierung qua Konfrontation im Verhörstil. All das lässt den Verdacht aufkommen, dass der Springer-Konzern damit anstreben könnte, das deutsche Pendant des US-Senders „Fox News“ von Rupert Murdoch aufzubauen. Gegenüber dem Online-Medien-Magazin DWDL bezeichnet Reichelt dies als „eine gewaltige Fehleinschätzung“: „Das Geheimnis der Marke ‚Bild‘, der Erfolg und das Wachstum, ist nicht möglich geworden durch Spaltung, sondern durch Besinnung auf das, was uns eint. Auf ‚Fox News‘ kann sich nur die Hälfte des Landes einigen, wir haben den Anspruch, alle zu erreichen.“ Es gebe „keinen größeren Konsens in Deutschland als die Marke ‚Bild‘“, so Reichelt.[5]

Hinter diesem angeblichen Konsens und dem Willen von „Bild“ zur gesellschaftlichen Einheit verbirgt sich eine bemerkenswerte Selbstverharmlosung. Denn wenn eines „Bild“ – gerade in den vergangenen Jahren unter Julian Reichelt – dezidiert nicht ausgemacht hat, dann der Wunsch, dieses Land zu einen. „Spalten statt versöhnen“, lautet die Devise des „Bild“-Chefs. Keine Zeitung hat in den zurückliegenden Jahren derart Front gegen die Regierung gemacht wie „Bild“ – und mit der Coronakrise hat dieses Leitmotiv noch einmal eine ganz neue Dimension erreicht.

Die Bild-Zeitung selbst ist daher der zweite Pfeiler der neuen Springer-Offensive. Gewiss, das aggressive Gut gegen Böse war schon immer die Tradition von „Bild“. Zugleich war die Zeitung auch im Stil stets populistisch, also radikal vereinfachend und zuspitzend, weshalb ihr Erfinder Axel Cäsar Springer sie auch als seinen „Kettenhund“ bezeichnete. Das Neue der „Bild“-Strategie besteht nun allerdings darin, dass die Zeitung sich seit geraumer Zeit auch der Kernelemente des Populismus als Ideologie bedient: Auf der einen Seite gibt es das gute Volk, dessen Stimme und Vertretung „Bild“ sein will, und auf der anderen Seite die bösen oder jedenfalls rundweg versagenden politischen Eliten. Kreiert wurde diese mediale Strategie bereits unter Reichelts Vorgänger Kai Diekmann, der 2013 fast manifestartig gegen die Regierung Front machte: „BILD geht in die Opposition. Und wird Außerparlamentarische Opposition. APO! BILD wird der neuen Regierung bei jeder Gelegenheit auf die Finger hauen! Hart. Schmerzvoll. Und ohne Gnade.“[6]

Von Boenisch bis Diekmann – die Bild-Zeitung der Bonner Republik

Quelle       :        Blätter           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben       —       Julian Reichelt in der WDR-Sendung „Maischberger“ am 7.11.2018

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Der Testlauf beginnt

Erstellt von Redaktion am 7. März 2021

Corona-schnell-Tests an Schulen 

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Unter den Uniformen ist so oder so jedes Freie Hirn verschwunden !

Von Ralf Pauli

Die Schulen öffnen nach und nach. Schnelltests für Schü­le­r-In­nen sollen helfen, das Risiko zu minimieren. Dabei sind noch viele Fragen offen.

So wie im Domgymnasium Magdeburg könnte der Schulalltag demnächst überall aussehen. Am Montag kurz nach sieben trudeln die ersten Schü­le­r:in­nen ein. Im Eingangsbereich halten sie an einer der vier „Fieberstationen“. Nach­ein­ander stellen sie sich vor die Messgeräte, ein Infrarotsensor misst die Temperatur an der Stirn.

Das Ergebnis wird unmittelbar angezeigt, eine Lehrkraft nickt das Ganze ab. Wer mehr als 37,3 Grad hat, muss wieder nach Hause. Der Rest darf weiter zu Teil zwei des schuleigenen Hygienekonzepts vorrücken: den Antigen-Schnelltest vor Unterrichtsbeginn.

Seit dieser Woche dürfen in Sachsen-Anhalt wieder alle Schü­le­r:in­nen zurück an die Schulen, sofern die 7-Tages-Inzidenz in ihrem Kreis unter 200 liegt. Eine ähnliche Regel gilt für Thüringen bis zur Inzidenz 100.

Ab Montag öffnen schrittweise auch in Rheinland-Pfalz und dem Saarland die weiterführenden Schulen. Die Woche darauf folgen voraussichtlich weitere sieben Bundesländer. Die Kul­tus­mi­nis­te­r:in­nen seien sich einig, dass noch im März alle Schülerinnen und Schüler wieder zur Schule gehen sollen, sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Britta Ernst (SPD), am Freitag.

Die Öffnungen sind jedoch umstritten. Die ansteckendere Virusmutation B.1.1.7 breitet sich rasant aus. Und in fast allen Bundesländern stieg zuletzt die 7-Tages-Inzidenz. Um die Pandemie unter Kontrolle zu halten und gleichzeitig schrittweise aus dem Lockdown zu kommen, haben sich Bund und Länder am Mittwoch auf eine umfassende Teststrategie geeinigt.

1.000 Schnelltests aus dem Schuletat

Auch Schü­le­r:in­nen sollen mindestens einen freiwilligen Gratistest pro Woche erhalten. Momentan bietet das lediglich das Saarland für die Grundschulen an. Woanders gibt es regelmäßige Tests bislang nur für Lehrkräfte. Auch in Sachsen-Anhalt.

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Dietrich Lührs hat deshalb vorgesorgt. Der Schulleiter des Magdeburger Domgymnasiums hat aus dem Schuletat 1.000 Schnelltests für die erste Schulwoche mit allen Jahrgangsstufen angeschafft, für 3,50 Euro das Stück. Am Montag sind die ersten 425 Schü­le­r:in­nen getestet worden, die an dem Tag mit Präsenzunterricht dran waren – am Dienstag dann die übrigen 423.

Kein Test fiel positiv aus, niemand hatte erhöhte Temperatur, nur zwei Schüler wollten sich nicht testen lassen. „Insgesamt ein sehr gutes Ergebnis“, sagt Lührs und meint damit auch die breite Testbereitschaft am Domgymnasium, einer Privatschule in freier Trägerschaft.

Fast eine Doppelstunde

Der Schulsanitätsdienst habe den Schü­le­r:in­nen gezeigt, wie sie die Wattestäbchen vorsichtig in die Nase einschieben müssten, zudem wurden Lehrkräfte geschult. Trotzdem hätten Fiebermessen und Testen zusammen fast eine Doppelstunde gedauert. „Mit der Routine wird es hoffentlich besser.“

Die Hauptsache aber sei, dass nun regelmäßig unter schulischer Aufsicht getestet werde. Den Bund-Länder-Beschluss sieht Lührs deshalb positiv: „Ich hoffe, dass die Politik nun endlich handelt.“

Gut möglich, dass Schulleiter Lührs enttäuscht wird. Der Bund hat zwar zugesagt, ab Montag die Kosten für einen wöchentlichen Schnelltest pro Person durch geschultes Personal zu übernehmen. Das scheint jedoch für die versprochenen Schnelltests an Schulen nicht zu gelten. Laut Bund-Länder-Beschluss müssen sich die Länder darum selbst kümmern.

Doch wann genau die Schulen mit diesen Tests rechnen dürfen, können die meisten Landesregierungen noch nicht sagen. Der Berliner Senat spricht von Mitte März, das Bayerische Gesundheitsministerium teilt auf Anfrage mit, die ersten 1,3 Millionen Tests in den „nächsten Wochen“ verteilen zu wollen.

Erst nach Ostern?

Der Thüringer Kultusminister Helmut Holter (Linkspartei) rechnet sogar erst nach den Osterferien im April mit den Schnelltests an Schulen. „Bei der Beschaffung dieser Schnelltests müssen noch verschiedene Details geklärt werden“, sagt Holter.

Zum einen sei noch nicht klar, welche Rolle der Bund bei der Bestellung dieser Tests spiele. Zum anderen müsse das Land Thüringen eine eigene Teststrategie definieren. Holter weiß, dass die Zeit drängt. Thüringen ist das Bundesland mit der am Abstand höchsten 7-Tage-Inzidenz. Sie liegt aktuell bei 128 – Tendenz steigend.

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Alle hier gezeigten Fotos stammen aus 2020. Wo bleiben unsere Werte-Penner-Innen der Regierung ?

Spätestens bei einem Wert von 200 müssen die Schulen schließen, das Thüringer Gesundheitsministerium empfiehlt diesen Schritt bereits bei der Inzidenz 150. Aktuell sind deshalb schon in 6 der 23 Kreise im Land die Schulen geschlossen. „Flächendeckende Schnelltests sind jetzt sehr wichtig, dass wir wieder runter kommen von den hohen Werten“, sagt Holter der taz.

Den Vorwurf, die Kultusministerien hätten die Beschaffung der Schnelltests verschlafen, weist Holter zurück. Thüringen habe schon im Januar entschieden, neben den Lehrkräften auch den Schü­le­r:in­nen der Abschlussklassen einen regelmäßigen Antigen-Schnelltest zu ermöglichen.

Dafür hat der Freistaat eine Vereinbarung mit der Kassenärztlichen Vereinigung getroffen, ähnlich wie andere Länder auch. Seither können nicht nur Lehrer:innen, sondern auch Ab­itu­ri­en­t:in­nen für einen Gratistest in die Arztpraxis gehen. Zudem kommen Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Deutschen Roten Kreuzes und Johanniter an die Schulen.

Quelle         :       TAZ         >>>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben         —       U.S. Navy hospital corpsmen assigned to Michaud Expeditionary Medical Facility, test U.S. Army Soldiers from Charlie Company, 1-186th Infantry Battalion, Task Force Guardian, Combined Joint Task Force – Horn of Africa, for COVID-19 during a routine screening at Camp Lemonnier, Djibouti, April 26, 2020. (U.S. Navy photo by Chief Mass Communication Specialist Elisandro T. Diaz)

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2.) von Oben       —     Test auf COVID-19 in Maubisse, Osttimor

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Unten      —     Screening in the population of Xomezana Riba (Lena, Asturias) to identify people with Covid-19.

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Auf ein Wort zum Staatsfunk

Erstellt von Redaktion am 6. März 2021

Auf der Jagd nach Einschaltquoten

File:Ka Pro Sieben Logo.jpg

Quelle     :    Untergrund-blättle CH.

Lyrik von Axel Michael Sallowsky

Mit Sex und Crime
und vielen infantilen Rate-Spielen,
mit Talk-Shows ohne Witz und ohne Geist,
ohne Biss und ohne Pepp,
also mit reinstem Medien-Nepp
und immer billigeren Zoten
buhlen alle deutschen Sender
dreist
Tag und Nacht
um höhere Einschalt-Quoten

Die Grenzen des guten Geschmacks
werden permanent überschritten,
Tabus schamlos missachtet
und brutal niedergerissen
Auf Menschenwürde, Ethik und Moral
wird in allen Medien
fast nur noch laut geschissen

Ach,
Du Land eines Lessing, Goethe, Schiller,
Heine, Kleist, Hermann Hesse, Tucholsky,
eines Stefan Zweig, Heinrich und Thomas Mann,
was tut man Dir,
ja, was tut man Dir,
nein,
was tust Du selbst Dir an?

Wenn ich mitunter also zappe
so durch den deutschen Medienwald,
(heftig dabei nach Frischluft schnappe),
so ist das stets ein Horror-Trip,
und es wird im Herz mir kalt,
bitterkalt
Ob nun ZDF oder ARD,
auch bei ihnen tut`s mir oft schon weh,
denn auch dort wird ja fast nur noch
geblödelt, gemordet, gehurt und geschändet
und wenn`s dann bei SAT 1
im Morgengrauen endet,
geht`s bei den andern privaten Piraten
heiter noch weiter
auf der Nonsens-Krimi- und Pornoleiter,
gedopt durch Action pur
rund um die Uhr

Ja,
angesichts dieser doch
sehr bedrohlichen Lage
stell ich mir mit jedem Tage
immer wieder auch die Frage:
Wer sind in diesem Spiel der Quoten
eigentlich die Idioten,
sind`s die Macher,
sind`s die Lacher,
sind`s die Akteure,
sind`s die Voyeure?

Sie sehen, meine Damen und Herren,
dass diese Fragen
mittlerweile zu zentralen Themen
unseres Lebens geworden sind,
zumal sich in unserer Gesellschaft
gegenwärtig eine geradezu gigantische
(ich wiederhole) eine gigantische
Wesens-Verhaltens-und Bewusstseinsveränderung
vollzieht: Ein bislang recht zivilisiertes
abendländisches Kultur-Volk
mutiert unaufhaltsam
zu einem von den Medien gelenkten,
von allen guten Geistern verlassenen,
jeden Schwachsinn konsumierenden Fernseh-Volk
von äusserst schlichtem Gemüte

Und so rufe ich an dieser Stelle
den Intellektuellen dieses Landes,
den Schriftstellern, Philosophen, den Politikern,
den Künstlern und allen denkenden Menschen zu:
Nehmt diesen Zustand der totalen medialen Verblödung
nicht länger mehr auf die leichte Schulter

Warum?
So hört also: Denn eh Ihr`s noch zu End gedacht,
taumelt und baumelt
auch Ihr als Marionetten an den Strippen dieser Macht

Und so verlöschen im Lande der Denker und der Dichter für immer dann des Geistes Lichter, denn von Anstand, Würde, von sozialer Verantwortung, von Schönheit und Kultur, weit und breit kaum noch eine Spur Mein Gott, wo leb ich nur, mein Gott, wo leb ich nur?

Du Land der Dichter und der Denker,
was nur ist mit Dir gescheh`n?
Dein Gemüt ist krank.
Dein Geist noch kränker
Ach, Deutschland,
wohin nur wirst Du geh`n?
Deutschland,
ich habe Angst um Dich
und auch um mich

Postskriptum

Und so wird man denn auch
eines fernen Tages
auf einem Grabstein die Inschrift finden:
Eine lange Fernseh-Nacht
hat Deutschland zunächst um den Schlaf,
dann um den Verstand
und schliesslich
um`s Leben auch gebracht

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Grafikquelle       :    File:Ka Pro Sieben Logo.jpg

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Uni Frankfurt gegen Asta

Erstellt von Redaktion am 23. Februar 2021

Wenn der Asta der Uni-Leitung zu politisch ist

Von Kevin Culina

Darf der Asta der Universität Frankfurt zu Klimastreiks aufrufen oder sich zur BDS-Kampagne äußern? Das muss ein Verwaltungsgericht klären.

Sollen Studierendenvertretungen an den Universitäten sich politisch zu allem äußern dürfen? Zu schlechtem Mensa-Essen und fehlenden Schreibtischen in der Bibliothek? Oder auch gegen den Israelboykott und für einen besseren Klimaschutz?

Dieser Konflikt besteht seit Jahrzehnten und ist immer wieder Anlass für Rechtsstreits. Im Kern geht es um die Frage, ob dem Allgemeinen Studierendenausschuss (Asta) nur ein „hochschulpolitisches“ oder auch ein „allgemeinpolitisches“ Mandat zustehe. Diese Auseinandersetzung wird derzeit wieder einmal an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main geführt. Ob der Asta seine Rechte übertreten hat, wie die Uni-Leitung behauptet, muss das Verwaltungsgericht beantworten.

Die rechtliche Situation um jene Beschränkung politischer Bekenntnisse erscheint auf den ersten Blick klar. Die Hochschulgesetze der Länder schreiben den Asten nur ein hochschulpolitisches Mandat zu, als gewählte Studierendenvertretungen und Körperschaften öffentlichen Rechts dürfen sie sich nicht zu allen allgemeinpolitischen Themen äußern.

So auch in Hessen. Allerdings haben die Asten auch die Aufgabe, die politische Bildung und das staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein der Studierenden zu fördern. So steht es im hessischen Hochschulgesetz. Und darauf beruft sich der Asta, wenn er sich politisch äußert.

Gegen Sexismus, für Klimastreik

Und das tut er. In seinen Stellungnahmen tritt der Frankfurter Asta seit Jahren links, grün und antirassistisch auf, etwa indem er mit zu Klimastreiks aufruft, die sexistischen Äußerungen sogenannter Pick-up-Artists kritisiert oder sich klar gegen den umstrittenen Weiterbau der A49 stellt. Das Uni-Präsidium schickte dem Asta mehrfach Bescheide, in denen es das Überschreiten des „hochschulpolitischen Mandats“ beklagte.

In der Stellungnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht, die der taz vorliegt, nennt das Uni-Präsidium mehrere Beispiele eines „anhaltenden rechtswidrigen Verhaltens“ des Asta, die zum Teil schon länger zurückliegen: eine Solidaritätserklärung mit den Students for Future sowie ein Aufruf zu einer Klimastreikwoche 2019, ein Antifa-Diskussionsbeitrag aus der Asta-Zeitung, eine Solidaritätserklärung mit Kurdistan gegen eine türkische Militäraktion sowie eine Resolution gegen die umstrittene antiisraelische Kampagne „Boykott, Divestment, Sanctions“ (BDS).

Der Asta habe seine gesetzlichen Kompetenzen, sein „hochschulpolitisches Mandat“ hierbei überschritten. Dadurch sei „ein Eingreifen der präsidialen Rechtsaufsicht geboten“ gewesen, erklärt Olaf Kaltenborn, Sprecher der Goethe-Universität. Gegenüber dem Asta begründet die Hochschulleitung: Politische Bildung bedürfe „am Neutralitätsgebot orientierter Berücksichtigung verschiedener politischer Sichtweisen“, heißt es in dem Bescheid an den Asta, der der taz vorliegt. Sofern allgemeinpolitische Veranstaltungen vom Asta organisiert würden, müssten diese diverse politische Sichtweisen aufzeigen.

Mathias Ochs, einer der Asta-Vorsitzenden, widerspricht vehement. „Es muss möglich sein, einen Brückenschlag von hochschulpolitischen zu allgemeinpolitischen Themen zu machen“, so Ochs. Die Studierendenvertretung legte entsprechend Widerspruch gegen den letzten Bescheid ein. Der Fall liegt jetzt beim Verwaltungsgericht.

Unverständnis auf vielen Seiten

„Besonders überraschend“ sei in der Stellungnahme der Uni-Leitung die Nennung der Resolution gegen BDS aus 2017 gewesen, sagt Ochs. Darin habe man sich für den Austausch mit israelischen Wis­sen­schaft­le­r:in­nen ebenso stark gemacht wie für ein sicheres jüdisches Leben an deutschen Hochschulen.

Der Beschluss stieß auf großen Zuspruch: Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), der bundesweite Dachverband der Hochschulen, begrüßte den Frankfurter Beschluss und verabschiedete im November 2019 einen ähnlichen. Auch die ­Goethe-Universität ist Teil der HRK. Der Asta findet diesen Aspekt entsprechend „besonders kontrovers“, so Ochs.

Ein gemeinsames Vorgehen gegen israelbezogenen Antisemitismus würde nun „dem Wunsch zum Opfer fallen, die politische Willensbildung der Studierendenschaft zu kontrollieren und zu beschneiden“, kritisiert die Asta-Vorsitzende Kyra Beninga. Auch Ruben Gerczikow ist über das Vorgehen des Präsidiums irritiert. „Für uns ist klar: der Kampf gegen Antisemitismus an Hochschulen gehört gefördert und nicht mit juristischen Maßnahmen unterbunden“, betont das Vorstandsmitglied der Jüdischen Studierendenunion (JSUD).

Quelle     :      TAZ         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben      —     I, Dontworry

Unten     —   Mensa

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Heilsversprechen Homeoffice

Erstellt von Redaktion am 22. Februar 2021

Zu den Schattenseiten eines arbeitspolitischen Shootingstars

Seit Beginn der Coronapandemie macht auch hierzulande ein Modell mobiler Arbeit eine erstaunliche Karriere: das Homeoffice. Angetrieben durch den Versuch, der Pandemie auch in der Arbeitswelt Paroli zu bieten, gewann das Arbeiten von zu Hause erheblichen Auftrieb. Bot vor der Pandemie etwa jeder vierte Betrieb in Deutschland die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten an – wobei diese zumeist nur stundenweise genutzt wurde und ganze Homeoffice-Tage eher die Ausnahme bildeten[1] –, waren es während der Pandemie gut drei Viertel der Firmen.

Während der ersten Welle arbeiteten im April 2020 bereits 34 Prozent der Beschäftigten ganz oder teilweise im Homeoffice, unter den Beschäftigten mit Hochschulabschluss waren es sogar – je nach Studie – 60 bis 67 Prozent.[2] Zwar schwanken die Zahlen zu Beginn des Jahres 2021. Doch die Wissenschaft ist sich weitgehend einig: Das Potential des Homeoffice ist noch lange nicht ausgeschöpft. Nach Berechnungen des Münchner ifo-Instituts dürften „etwa 56 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland prinzipiell einen Zugang zu Homeoffice haben“.[3] Dem Homeoffice scheint eine blühende Zukunft beschieden.

Angesichts dessen setzte Finanzminister Olaf Scholz eine steuerliche Förderung des Homeoffice auf die Agenda; Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wollte sogar einen Rechtsanspruch darauf einführen – womit er allerdings am Widerstand von Arbeitgebern und vom Koalitionspartner scheiterte. Doch lange beließen es Bund und Länder im Corona-Lockdown weitgehend bei freundlichen Appellen an die Unternehmen, „großzügige Homeoffice-Möglichkeiten zu schaffen“.[4] Dabei spielen im Infektionsgeschehen die Arbeitsstätten auch außerhalb von Alten- und Pflegeheimen eine durchaus relevante Rolle, wie nicht nur die Corona-Ausbrüche in der fleischverarbeitenden Industrie vom Sommer letzten Jahres vermuten lassen.

Doch während Schulen und Kitas weitgehend, Restaurants sogar ganz schließen müssen und Kontakte im Privatbereich auf eine nicht im gleichen Haushalt lebende Person reduziert werden sollen, handelte die Politik lange Zeit so, als würde das Infektionsgeschehen vor den Werkstoren, Büros und Verwaltungsgebäuden weitgehend haltmachen. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann forderte dagegen einen Rechtsanspruch auf Homeoffice in der Coronakrise – zumindest dort, wo es machbar ist.[5] Aber erst die enorm angestiegenen Todes- und Infektionszahlen führten auf dem Corona-Gipfel vom 19. Januar zu dem Beschluss, wonach aufgrund der Pandemie „Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber überall dort, wo es möglich ist, den Beschäftigten das Arbeiten im Homeoffice ermöglichen müssen, sofern die Tätigkeiten es zulassen“.

Die stechenden Trümpfe mobiler Arbeit

In der Debatte über das Homeoffice geht es allerdings um weit mehr als um ein taugliches Instrument zur Pandemiebekämpfung. Das Homeoffice ist inzwischen geradezu zum Synonym guter Arbeit im postindustriellen Kapitalismus avanciert. Dies gilt offenbar für beide Seiten der Arbeitsbeziehungen. Neben dem Infektionsschutz scheint es den Beschäftigten neue Optionen der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit zu eröffnen. Und viele Unternehmen sahen im Homeoffice nicht nur die Chance, in der Arbeitswelt Sozialkontakte zu verringern, sondern auch dafür, sich als moderne Arbeitgeber mit modernen und flexiblen Arbeitsmodellen zu profilieren.

Repräsentiert und antizipiert das Homeoffice damit das „Büro“ oder gar das „Arbeitsmodell der Zukunft“?[6] Deutet die Wertschätzung auf Beschäftigten- und Unternehmensseite darauf hin, dass das Homeoffice eine „einmalige Chance für die deutsche Arbeitskultur“[7] verkörpert, die die Interessen beider Seiten zu verbinden vermag? Markiert es gar einen humanisierungspolitischen Durchbruch für die Arbeit der Zukunft?

Wie so oft ist die Sache komplizierter. Ein differenzierter, arbeitssoziologisch informierter Blick auf Entwicklungsdynamiken und Interessenlagen zeigt, dass es sich beim Homeoffice wohl eher um einen humanisierungspolitischen Scheinriesen handelt.[8] Je mehr man sich dem spektakulären Phänomen nähert, umso mehr schrumpfen dessen Ausstrahlungs- und Orientierungskraft. Als Symbol der humanen Arbeitswelt der Zukunft erweist es sich als heillos überfordert.

Unbestreitbar ist zunächst, dass das Homeoffice in der Pandemie und darüber hinaus über stechende Trümpfe verfügt. Zumindest solange die privaten Haushalte nicht zu Hotspots der Infektion werden, scheinen die eigenen vier Wände ein sicherer Ort zu sein. Wenn die Wegezeiten zur und von der Arbeit entfallen, schwindet die Gefahr von Masseninfektionen in den Pendlerströmen der Ballungsräume. Und wer nicht im Büro ist, kann nicht zum Teil betrieblicher Ansteckungsketten werden. Auch nach Corona wird der Wunsch anhalten, wenigstens zeitweise im Homeoffice arbeiten zu können.[9] Die Vermeidung von Pendelzeiten inklusive ermüdender Rushhour-Staus oder verpasster Anschlusszüge stellt auch jenseits der Pandemie einen Gewinn an Lebenszeit dar. Und unter entsprechenden Bedingungen ermöglicht die Arbeit im Privatbereich auch eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit – in Form von Kinderbetreuung und Pflegetätigkeiten –, die aufgrund der Persistenz traditioneller Geschlechterrollen vor allem auf den Schultern der Frauen lastet. Hinzu kommen mögliche Vorteile bei den Arbeitsbedingungen. Die Büro- und Projektarbeit der Gegenwart ist vielfach durch schrumpfende Büroräume oder überfüllte Großraumbüros geprägt – mit entsprechend unergonomischen Arbeitsplätzen und teils erheblichen Lärmkulissen, die wiederum bei den Beschäftigten massive Konzentrationsstörungen zur Folge haben. Demgegenüber kann das Büro im Privatbereich zum Ort weitgehend ungestörter Konzentration werden.

Und schließlich eröffnet das Homeoffice die Chance auf einen zumindest befristeten Ausbruch aus betrieblichen Hierarchien, Kontrollsystemen und Kodizes. Das Arbeiten am Computer in der bequemen Jogginghose ist dabei nicht einmal das Entscheidende. Die arbeitspsychologische Forschung ist sich einig, dass mangelnde Führungs- und Sozialkompetenz von Vorgesetzten in der modernen Arbeitswelt zum zentralen Stressfaktor und Treiber von Burn-out-Problemen unter den Beschäftigten avanciert ist. Wer wollte nicht von der Aussicht begeistert sein, den autoritären oder hektischen Abteilungs- oder Projektleiter gegen vertraute Familienmitglieder auszutauschen? Kein Wunder also, dass mit dem Homeoffice vielfach Einsatzbereitschaft und Zufriedenheit unter den Beschäftigten steigen.[10]

Erste Regulierungsversuche im Schattenreich des Privaten

Die Wertschätzung des Homeoffice hat also gute Gründe, sie ist aber keineswegs ungetrübt. Im Gegenteil: Je länger das Homeoffice andauert, desto mehr steigt auch die Unzufriedenheit.[11] Das zeigen nicht zuletzt die Erfahrungen aus Vor-Corona-Zeiten. Schließlich ist das Arbeiten im Privaten nichts Neues: Schon vor der Pandemie war diese Arbeitspraxis bedeutend und vor allem unter hochqualifizierten Beschäftigten die Regel. Was während der offiziellen Arbeitszeit am Arbeitsplatz nicht bewältigt wird, wandert oftmals in Aktentaschen, auf Sticks oder als E-Mail-Datei ins Büro nach zu Hause und wird dort in der Schattenwelt des Privatlebens verrichtet – nach individuellen Bedingungen und unreguliert, sprich: außerhalb der offiziellen Regeln der Arbeitsverfassung. Demgegenüber ist die Telearbeit, wie die offizielle Variante des kontinuierlichen Arbeitens von zu Hause im deutschen Arbeitsschutzsystem genannt wird, weitgehend reguliert. Sie kommt über alle Wirtschaftssektoren zum Einsatz. Telearbeitsplätze sind vom Arbeitgeber fest eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze im Privatbereich der Beschäftigten.[12] Ein solcher Arbeitsplatz gilt erst dann als eingerichtet, wenn Arbeitgeber und Beschäftigte die Bedingungen, vor allem zu wöchentlicher Arbeitszeit und Dauer der Einrichtung der Telearbeit, arbeitsvertraglich oder im Rahmen einer Vereinbarung festgelegt haben. Zugleich muss die benötigte Ausstattung mit Mobiliar, Arbeitsmitteln einschließlich der Kommunikationseinrichtungen durch den Arbeitgeber oder eine von ihm beauftragte Person im Privatbereich des Beschäftigten bereitgestellt und installiert werden.

Während die weitgehend unregulierte Abend- und Wochenendarbeit unter hochqualifizierten Beschäftigten eher die Regel ist, bleibt die regulierte Telearbeit in der heutigen Arbeitswelt eine Ausnahme. Das Homeoffice der Corona-Ära ist dagegen weit verbreitet, aber wenig reguliert. In der Rechtswelt der Arbeitsverfassung war es bisher ein weitgehend unbekanntes Wesen. Erst in der im August 2020 in Kraft getretenen Sars-CoV-2-Arbeitsschutzregel taucht das Homeoffice der Corona-Ära als arbeitsschutzrelevanter Rechtsbegriff erstmals in einem offiziellen Vorschriftenwerk auf.[13] Diese für die Unternehmen verbindliche Regel konkretisiert für den Zeitraum der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ die Anforderungen an den Arbeitsschutz, um das Infektionsrisiko für Beschäftigte am Arbeitsplatz zu senken oder auf niedrigem Niveau zu halten. Homeoffice wird dort als Form des mobilen Arbeitens bestimmt, die es den Beschäftigten ermöglicht, nach vorheriger Abstimmung mit dem Arbeitgeber zeitweilig im Privatbereich etwa unter Nutzung von Notebooks für den Arbeitgeber tätig zu sein. Es zielt auf die Reduzierung der Zahl der im Betrieb anwesenden Beschäftigten und die Unterstützung der Abstandsregeln. Auch für die Arbeit im Homeoffice, so die Regel weiter, gelten die einschlägigen Schutzvorschriften des Arbeitsschutz- und des Arbeitszeit-Gesetzes. Und der Arbeitgeber hat Sorge dafür zu tragen, dass Beschäftigte auch im Falle fehlender technischer Möglichkeiten ihre Arbeitsaufgaben erfüllen können und ausreichend Zugang zu betrieblicher Kommunikation und Informationen haben. Schließlich sollen Führungskräfte für die psychischen Belastungen sensibilisiert werden, die mit den Veränderungen in der Arbeit im Zuge des Infektionsschutzes einhergehen.

Mit Blick auf das arbeitsschutzrechtliche Regelwerk erwies sich die Bekämpfung der Coronapandemie also durchaus als innovativ. Durch sie fand das Homeoffice – zumindest für die Zeit der epidemischen Notlage – Eingang in die Rechtswelt des Arbeitsschutzes; die Geltung wichtiger Schutzvorschriften für die mobile Arbeit wurde bestätigt. Vor allem die explizite Forderung, Gesundheitsgefährdungen im Homeoffice zu ermitteln und zu beseitigten, kollidiert mit der arbeitsweltlichen Realität – und kann deshalb nur begrüßt werden.

Das Homeoffice unter dem Druck kapitalistischer Imperative

Quelle         :       Blätter         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben        —       2014 – Palácio do Jaburu Fotos: Anderson Riedel

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Laschet, der Luftikus

Erstellt von Redaktion am 21. Februar 2021

Kanzlerkandidatur der Union

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Hier in einer Reihe mit seinen Vorgänger von 2019. Wir sehen er Läuft immer hinterher !

Mag er es wohl auf den steinernen Kackstuhl  „Des heiligen Kaiser Karl des Großen“, einer der größten Mörder seiner Zeit, als einer  seiner Nachfolger Probe zu sitzen? Die Klette eines Narren wurde ihm 2020 um gehangen.

Von Pascal Beucker

Der CDU-Chef wirbt um die wachsende Zahl der Lockdown-Gegner-Innen. Die Vorstellung, er könnte im Herbst Bundeskanzler werden, beunruhigt.

Armin Laschet fühlt sich missverstanden. Mal wieder. Mit seinem misslungenen Auftritt auf dem digitalen Neujahrsempfang des baden-württembergischen CDU-Wirtschaftsrates am vergangenen Montag hat sich der potenzielle Kanzlerkandidat der Union keinen Gefallen getan.

Bei seinem Versuch, die Konservativen und Wirtschafts­liberalen in der CDU zu bezirzen, hat er auf fatale Weise den falschen Ton angeschlagen. „Man kann nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfindet“, sagte er.

Was soll man davon halten, wenn der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens einen Satz von sich gibt, der auch von einem irrlichternden „Querdenker“ stammen könnte? Laschet hat in den Tagen danach versichert, damit nicht die von ihm selbst mit verabschiedeten Beschlüsse des letzten Bund-Länder-Gipfels infrage gestellt zu haben.

Aber genau diese Wirkung haben seine Worte: Sie lassen beschlossene Coronaschutzmaßnahmen als Willkürakte erscheinen. Es ist ihm abzunehmen, es nicht so gemeint zu haben. Aber das macht es nicht besser.

Laschet rechtfertigt sich, auf jene „Aktivisten“ gezielt zu haben, die sich erst für Lockerungen des Lockdowns aussprechen, wenn der Wocheninzidenzwert unter 10 Neuinfektionen pro 100.000 Ein­woh­ne­r:in­nen gesunken ist. Es geht ihm also um die Ablehnung der No-Covid-Strategie. Allerdings müsste Laschet eigentlich wissen, dass sich hier nicht irgendwelche „Aktivisten“ irgendeinen Grenzwert ausgedacht, sondern anerkannte Wis­sen­schaft­le­r:in­nen einen gut begründeten Vorschlag vorgelegt haben.

Es ist infam, ihnen zu unterstellen, sie wollten „verhindern, dass Leben wieder stattfindet“. Das Gegenteil ist richtig. Dass sich Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder und Kölns parteilose Oberbürgermeisterin Henriette Reker als An­hän­ge­r:in­nen des „No-Covid“-Ansatzes bezeichnet haben, sollte Laschet zu denken geben.

Laschets Geraune

Gleichwohl lässt sich darüber streiten, ob ein solcher Weg in Deutschland politisch gangbar wäre. Aber darum geht es Laschet nicht. Er versucht vielmehr durch Geraune die Stimmung der wachsenden Zahl der Unzufriedenen gerade in der Wirtschaft zu bedienen, die lieber heute als morgen den Lockdown beendet sehen wollen – koste es, was es wolle.

Man müsse halt „eine gewisse Sterblichkeit hinnehmen, um dauerhaft zur Normalität zurückkehren zu können“, formulierte das in dieser Woche unverblümt Michael Hüther, der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Hüther gehört dem von Laschet einberufenen Ex­per­t:in­nen­rat Corona in NRW an.

Quelle     :       TAZ        >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen   :

Oben     —     Charlemagne Prize 2019.

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Unten      —     Die Stufen hinauf zum Thron

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Digitaler Schulunterricht

Erstellt von Redaktion am 15. Februar 2021

Häppchen bis zum nächsten Absturz

App iSkull, an augmented human skull.jpg

International

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Die Pandemie verändert unseren Alltag jetzt seit einem knappen Jahr. Der Schulunterricht erfolgt in weiten Teilen »digital«, so wird das jedenfalls genannt. Die Wahrheit ist viel schlimmer.

Am Donnerstagabend hatte Kanzleramtschef Helge Braun eine unangenehme Aufgabe: Er wurde in den »Logo«-Kindernachrichten angemessen kritisch zum Zustand des digitalen Unterrichts an deutschen Schulen befragt. Die Zielgruppe der Sendung kennt das Problem ja aus erster Hand. Noten für die Leitung des Schulsystems wollte Braun nicht geben, da könnten ja die Länderchefs sauer werden. Er hoffe aber, dass das »jetzt immer besser funktioniert« mit Computer für Schülerinnen und Schüler. Bis »Ende des Schuljahres, wenn es dann Noten gibt, da sind wir dann hoffentlich richtig gut«. So also die Position des Kanzleramts, zwölf Monate nachdem Covid-19 in Deutschland angekommen ist.

In ganz Deutschland passieren derweil an jedem Werktag Dinge, die für Eltern und Schüler jetzt normal sind, für normale Büroangestellte aber kaum vorstellbar.

Total überraschend, jede Woche wieder

Ein Beispiel: Man loggt sich auf jeden Fall möglichst deutlich vor acht Uhr morgens in die Cloud-Plattform der Schule ein, um sich die aktuellen Aufgaben abzuholen, am besten schon am Vorabend. Warum? Weil die Plattform ab acht Uhr so überlastet ist, dass sie entweder gar nicht mehr oder nur noch im Schneckentempo funktioniert.

Wer an einem Montagvormittag eigentlich an einer über diese Cloud abgewickelten Videokonferenz teilnehmen möchte, hat unter Umständen Pech gehabt – die letzten Schüler trudeln um kurz nach eins ein, weil das der erste Zeitpunkt ist, zu dem eine Verbindung mit dem System überhaupt wieder hergestellt werden kann. Wie jeden Montag war der Ansturm offenbar einmal mehr völlig überraschend.

Der spielt wieder »Fortnite«

Schülerinnen und Schüler fliegen im laufenden Betrieb aus Videokonferenzen, aber keiner bekommt es mit. Manche führen das schlau selbst herbei: Weil die Schul-Videokonferenzsysteme in der Regel browserbasiert sind, kann man als Schüler, wenn man weiß, wie das geht, mit einem Rechtsklick auf der Maus den Seitenquelltext bearbeiten. Und die Seite so bei sich selbst zum Absturz bringen (verraten Sie das nicht ihren Kindern).

Representation, Punch Denmark, 1889.jpg

Home-Office Deutschland 

Andere sitzen mit für ihre Mitschüler klar zuzuordnendem, allzu konzentriertem Gesichtsausdruck vor der Webcam. Die Augen huschen hektisch hin und her, das Gesicht wird bläulich flackernd erleuchtet. Alle außer der Lehrerin sehen: Der spielt wieder »Fortnite«.

Der spielt wieder »Fortnite«

Schülerinnen und Schüler fliegen im laufenden Betrieb aus Videokonferenzen, aber keiner bekommt es mit. Manche führen das schlau selbst herbei: Weil die Schul-Videokonferenzsysteme in der Regel browserbasiert sind, kann man als Schüler, wenn man weiß, wie das geht, mit einem Rechtsklick auf der Maus den Seitenquelltext bearbeiten. Und die Seite so bei sich selbst zum Absturz bringen (verraten Sie das nicht ihren Kindern).

Andere sitzen mit für ihre Mitschüler klar zuzuordnendem, allzu konzentriertem Gesichtsausdruck vor der Webcam. Die Augen huschen hektisch hin und her, das Gesicht wird bläulich flackernd erleuchtet. Alle außer der Lehrerin sehen: Der spielt wieder »Fortnite«.

Der pseudodigitale Schulalltag

Es gibt auch im Jahr 2021 noch Lehrkräfte, denen die elementaren Funktionen der Videokonferenzsysteme, die sie benutzen, nicht vertraut sind: »Sagt mal Lia, sie soll ihr Mikro anmachen.« – »Lia kann sie hören, Frau Meier.«

Anderswo werden weiterhin PDFs ausgedruckt, sofern der Drucker geht und der Toner nicht alle ist. Aufgaben gibt es, mehr als sonst, oft viel mehr. Manche werden kontrolliert oder sogar korrigiert, manche nicht. Manchmal gibt es nicht einmal eine Rückmeldung darüber, ob die abgegebene Arbeit überhaupt angekommen ist.

Es gibt Lehrerinnen und Lehrer, die sich enorme Mühe geben, auch gegen den Widerstand der inadäquaten Technik. Aber das sind nicht alle.

Ich bin sicher, es gibt noch eine Vielzahl weiterer Anekdoten aus dem pseudodigitalen Schulalltag der Gegenwart. Wenn Sie eine zu bieten haben, schreiben Sie sie doch in die Kommentare, ich bin gespannt.

Entwicklungsland-hafte Parallelrealität

Immerhin: Viele Schulen verleihen mittlerweile Tablets oder Laptops, sodass auch die, die nicht entsprechend ausgestattet sind, am Unterricht teilnehmen können. Genauer gesagt: könnten. Wenn die Cloud nicht gerade schon wieder zusammengebrochen oder der Rechner des Lehrers nicht gerade abgestürzt wäre. »Mein Internet ist heute ziemlich schlecht« ist das neue »Der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen«.

Für Millionen von Menschen ohne schulpflichtige Kinder, die hierzulande anderen Homeoffice-Tätigkeiten nachgehen, ist kaum vorstellbar, in was für einer halbdigitalen, Entwicklungsland-haften Parallelwelt der digitale Unterricht in Deutschland auch noch ein Jahr nach dem Beginn der Pandemie stattfindet. Die meisten Büroarbeiter benutzen Videokonferenzsysteme professioneller Anbieter. Auch die haken zwar manchmal, funktionieren im Großen und Ganzen aber verlässlich. Davon kann die Nutzerschaft diverser Schul-Cloud-Angebote nur träumen.

Quelle       :         Spiegel-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben      —    app iSkull, an augmented human skull

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2.) von Oben      —     Representation. – But is there now any of you who know what it means to be represented? – May I – Yes, it is like mother telling Frederik on a Sunday that he shall go to our bench in Our Lady’s Church, that’s how our family is represented.

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Laizismus in Frankreich

Erstellt von Redaktion am 12. Februar 2021

Das französische Dilemma

Wenn sich ein Staat an seine von ihm selbst verordneten Gesetze nicht halten will ? Dann stinkt es nicht nur in Paris !

Ein Artikel von Harriet Wolff

Immer stärker wächst sich staatliches Misstrauen in Frankreich zum Generalverdacht gegen Mus­li­m:in­nen aus. Wird der Laizismus Kampfbegriff?

Ich grüße Sie, herzlich willkommen!“ Abdelhamid Khamlichi, 50, steht in einem lichten Gebetsraum der Al-Fath-Moschee in Noisy-le-Sec, nicht weit entfernt von der Pariser Stadtgrenze. Wir sprechen per Video-Interview. Khamlichi ist von Beruf Sozialarbeiter, seit 30 Jahren engagiert er sich im Gemeindeleben von Moscheen. Mittlerweile ist er Imam, leitet als Vorbeter die religiösen Belange der Moschee. Seit einigen Jahren wirkt er auch als Gefängnisseelsorger. Er spricht mit Häftlingen, die beim „Islamischen Staat“ (IS) waren, „die psychisch zerstört sind und keine Ahnung vom Islam als Religion haben“. Khamlichi versucht, friedliches Denken zu fördern – „viele von ihnen waren noch nie in einer Moschee“. Solche Menschen seien fast nur in den sozialen Medien unterwegs, vor allem dort passiere die Radikalisierung. „Die Moscheen“, so sieht es dieser Imam, „spielen dabei, zumindest in Frankreich, nur selten eine Rolle.“

Khamlichi, ein zugewandter, kontaktfreudiger Mensch, verkörpert ein, in jener Schärfe, spezifisch französisches Dilemma. Er engagiert sich für eine humane, aufgeklärte Form des Islam. Doch was er tut, stößt zum Teil bei Staat und Gesellschaft auf Misstrauen, das sich nicht die Mühe macht, zwischen radikaler Einflussnahme und Dialogangebot zu unterscheiden. Immer stärker wächst sich jenes Misstrauen zum Generalverdacht gegen Mus­li­m:in­nen aus. Der wird befeuert durch islamophobe Sendungen auf privaten TV-Kanälen wie „CNews“ – mit dem rechten Querschläger und Figaro-Kolumnisten Éric Zemmour, der jüdisch-algerische Wurzeln hat.

Auch das Gesetz, über das die französische Nationalversammlung kommenden Dienstag nach wochenlangen heftigen Debatten abstimmt, wurzelt letztlich in antiislamisch geprägter Einflussnahme auf die Gesellschaft – vor dem Hintergrund einer islamistisch motivierten Attentatsserie in Frankreich seit 2015. Derzeit „Loi républicaine“ (republikanisches Gesetz) genannt, zielt diese Initiative der Parlamentsmehrheit von Präsident Emmanuel Macrons Regierungspartei LREM, die eigentlich alle weltanschaulichen und religiösen Gruppen adressiert, auf verschärfte Beobachtung und Sanktionierung islamischer Kulturvereine und Verbände. Ihnen unterstehen die Moscheen in Frankreich. Sie sind, ähnlich wie fast alle deutschen muslimischen Verbände, keine öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften und unterliegen dem Privatrecht. Auch die katholische und die protestantische Kirche sind im Nachbarland juristisch wie Vereine organisiert.

Gesetzlich, und das seit 1905, sind die Sphären der Religion und des Staates also strikt getrennt. „In der Realität angekommen, beginnen die Fragen“, so Éric Vinson. Der 50-Jährige ist pädagogischer Leiter des interreligiösen Programms Emouna an der Pariser Hochschule Sciences Po. „Es gibt hierzulande“, so Vinson, „keinen Konsens beim Thema Laizität.“ Den studierten Politikwissenschaftler beunruhigt, in welchem Zustand die französische Gesellschaft ist. „Ich sorge mich um mein Land. Wir dividieren uns gerade unversöhnlich auseinander, so wie die USA beim Thema Rassismus und Black Lives Matter.“ Der Islam müsse gleich behandelt werden wie alle anderen Religionen auch. Die immer wieder passierenden Attentate seien „furchtbar und unverzeihlich“, doch die übergroße Mehrheit der Muslime sei friedlich. „Der andauernde Aktionismus, das zur Schau gestellte Beschützertum Macrons vor dem Islam“, glaubt Vinson, „führt jedoch nur noch tiefer in eine gesellschaftliche Spirale der Angst.“

Imam Khamlichi hat vorletztes Jahr das Programm Emouna durchlaufen. Emouna bedeutet „Amen“ und wurde 2016 von Ver­tre­te­r:in­nen aller größeren Religionsgemeinschaften Frankreichs gegründet. Das Ziel: mehr Wissen übereinander, Austausch und Diskussion der Religionen. Buddhisten, Juden und orthodoxe Christen, ebenso wie Katholiken, Protestanten und Muslime, die meist in Gemeinden arbeitend, besuchen gemeinsam die Veranstaltungen an der Sciences Po – Frauen wie Männer. Nach einem knapp dreiwöchigen Studienkurs, der trotz der rigiden laizistischen Vorgaben des Staates dann doch diskret mitfinanziert wird vom Innenministerium, erhalten die Teil­neh­me­r:in­nen ein Zertifikat.

Éric Vinson, Leiter eines interreligiösen Programms „Ich sorge mich um mein Land. Wir dividieren uns gerade unversöhnlich auseinander“

Von Emouna hat Khamlichi für sich und seine Aufgaben in der Moschee al-Fath viel mitgenommen. „Es war ein ganz unverstelltes Eintauchen in andere Religionen, ein ganz praktischer interreligiöser Dialog“. Endlich habe man hier offen, durchaus auch kritisch und stets vertrauensvoll miteinander sprechen können. Das, so Khamlichi, sei leider sonst höchst selten im öffentlichen Raum. Es herrsche ein Klima der Verunsicherung, „Muslime werden vielerorts stigmatisiert.“ Knapp 9 Prozent der Bevölkerung gehören, so das unabhängige Pew Research Center 2016, dem Islam an – rund 5,7 Millionen. In Deutschland sind es knapp 5 Millionen. Schätzungen gehen in Frankreich von 30.000 bis 40.000 gewaltbereiten Salafisten aus. Glaubende wie Säkulare sind unter den Muslim:innen, die Mehrheit von ihnen mit algerischen oder marokkanischen Wurzeln.

Auf dem Papier vertreten werden sie vom CFCM, dem Rat des muslimischen Kults. Er ist der große islamische Dachverband in Frankreich, 2003 auf Betreiben des damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy gegründet – und von Anbeginn „zerstritten“, wie es Imam Khamlichi beschreibt. Seine These: Die aktuelle Regierung und Macron sprächen meist nicht mit den richtigen Leuten, „die einzelnen Verbände sind fast alle abhängig von ihren Heimatländern, werden von ihnen politisch gesteuert. Diese Verbandsmenschen lieben Frankreich nicht.“ Khamlichi kritisiert aber auch seine eigene Gemeinschaft. Viel zu selten engagierten sich gläubige Muslime sicht- und hörbar für einen fortschrittlichen Islam. Ein weiteres Problem sei, dass viele Leiter von islamischen Kulturvereinen wenig gebildet seien.

Was denkt der Imam über das „loi républicaine“, über die aktuelle Gesetzesinitiative der französischen Regierung? Er überlegt kurz, dann sagt er knapp: „Es ist ein Dokument des Misstrauens gegen uns Muslime.“ Der französische Staat habe bereits alle polizeilichen und juristischen Möglichkeiten, islamistischen Umtrieben ob im Netz, in der Moschee oder sonst wo nachzugehen und sie zu ahnden. Die Republik „braucht nicht mehr draufzusatteln, sie muss nur zielführender durchgreifen“.

Vieraugengespräch mit Macron im Élysée-Palast

So schätzt es auch Ghaleb Bencheikh, ein Franzose mit algerischen Wurzeln, Islamologe und Präsident der liberal eingestellten „Fondation d’Islam de France“ ein. Am Telefon stellt er glasklar fest: „Es gibt für den Islam keine wirklich zentralen Autoritäten – das sehe ich als Problem für die Auseinandersetzung mit dem Staat, nicht für den Reichtum der Religion. Der eine Islam existiert nicht.“ Der 60-Jährige, der letztes Jahr zum Vieraugengespräch mit Macron im Élysée-Palast eingeladen war, sieht gedankliche und handfeste Unschärfen bei der Haltung des Staatschefs zur Laizität.

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Xavier Chavane, katholischer Priester „Wir sind in so vielem so fortgeschritten, aber in unseren Identitäten verhaken wir uns gnadenlos“

Der ging in seinem Wahlkampf 2017 rhetorisch noch mit einer entspannteren, den Islam proaktiv einbindenden Form der Laizität hausieren – um liberal Denkende für sich zu gewinnen. Davon ist heute bei ihm nichts mehr zu spüren. Bencheikh drückt es so aus: „Macron will einen Islam nach Maß. Aber wie passt dieser autoritär anmutende Wunsch mit der eigentlich strikten französischen Laizität und dem Ziel zusammen, sich aus allen Religionen herauszuhalten?“

Regelmäßig wirbt Bencheikh in den Medien für einen aufgeklärten Islam – „der Versuch, den Islam zu verstehen, heißt nicht, ihn zu entschuldigen“. Diesen Eindruck habe er aber bei den Regierenden – „sie wollen sich nicht darauf einlassen, genauer hinzuschauen“. Das, was derzeit in Frankreich passiere, sei auf gewisse Weise vergleichbar mit dem Kulturkampf Ende des 19. Jahrhunderts, als sich im „Guerre des deux France“ die katholische Kirche und säkulare Kräfte erst mal zerlegten, bevor sie dann 1905 das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat aushandelten – das theoretische Fundament der französischen Laizität heute.

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Verordnete Laizität per Gesetz

AUS PARIS EIN KOMMENTAR VON RUDOLF BALMER

Die Gesetzesvorlage, die derzeit von den französischen Abgeordneten in der Nationalversammlung debattiert wird, ist ein politisches Mehrzweckobjekt. Gemäß dem offiziellen Titel soll dieses Paket an Artikeln „die Republik“ und insbesondere ihre Laizität „stärken“. Staatspräsident Emmanuel Macron nannte im Oktober 2020 in einer Grundsatzrede im Vorort Les Mureaux die von ihm ausgemachte Gefahr für den Zusammenhalt der Nation beim Namen: „Wir müssen den islamistischen Separatismus anpacken.“

Sein Ausgangspunkt ist die terroristische Bedrohung durch radikalisierte Islamisten. Noch unter dem Schock der Ermordung des Lehrers Samuel Paty, der zuvor auf Netzwerken mit vollem Namen angeprangert und bedroht worden war, soll es ein eigenes Delikt werden, wenn Ver­tre­te­r:in­nen des öffentlichen Dienstes in dieser Weise im Internet attackiert werden. Aus Sicht der Staatsführung besteht zudem das noch größere Risiko des „communautarisme“. Darunter sollen separatistische Bestrebungen von religiösen Gemeinschaften verstanden werden, die ihren Glaubensgeboten einen Vorrang vor den Gesetzen der Republik geben und ihre Anhänger so vom Rest der Gesellschaft isolieren.

Einer der zahlreichen Vorschläge in der Gesetzesvorlage geht daher in die Richtung, den obligatorischen Schulbesuch aller Kinder zu bekräftigen und den Unterricht in der Familie nur auf Ausnahmefälle zu reduzieren. In anderen Artikeln des Laizitätsgesetzes soll der Einfluss ausländischer Geldgeber, die den Bau und Unterhalt von Moscheen finanzieren, gemindert oder zumindest transparenter gemacht werden. Parallel zur Parlamentsdebatte hatte sich Macron mit den Repräsentanten des Rates des muslimischen Kults mühsam auf eine Charta der republikanischen Grundwerte und auf ein einheitliches Diplom für in Frankreich ausgebildete Imame geeinigt.

Quelle       :         TAZ          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen    :

Oben      —     Pariser Moschee 2006

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Unten        ––     Notre-Dame im November 2019 (nach dem Brand)

 

 

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Ein kleines Textbuch

Erstellt von Redaktion am 3. Februar 2021

Humanismus im Kurs oder als Büchlein?

Quelle       :      Scharf  —   Links

Von Georg Korfmacher, München

Auf ein und derselben website bewirbt humanistisch!net, das PR-Portal der Humanistischen Vereinigung K.d.ö.R. (HV), einen 6-Wochen-Online-Kurs mit Abschluss als geprüfter Humanist für 49 €, ebenso wie ein Büchlein für 9,50 € mit dem Hinweis: „Wir brauchten ein Buch über Humanismus als aktive Lebenseinstellung“. Was nun? Warum braucht man ein Büchlein, wenn man schon einen Kurs mit hochwertigem, qualifizierten Zertifikat hat? Oder füllt das Büchlein eine Lücke, die man im Kurs übersehen hat? „The Little Book of Humanism“ schaffte es immerhin auf Anhieb in die Top 10 der Sunday Times.

Es handelt sich bei „The Little Book of Humanism“ also um ein kleines Buch oder Büchlein. Alice Roberts und Andrew Copson scheinen da „eine gelungene und inspirierende Meditation veröffentlicht [zu haben], die Interessierten als kompakter Einstieg in die humanistische Ideen- und Gedankenwelt dienen soll“. Aha, da ist wohl der Unterschied zum eigenen Kurs. Roberts, Präsidentin von Humanists UK,  und Copson, Präsident der Humanists Internationa, bieten nur einen  Einstieg, während der Kurs der HV nach spezieller Abschlussprüfung zum geprüften Humanisten mit hochwertigem Zertifikat führt und somit zur Gewissheit, dass man nach 6 Wochen ein Humanist ist. Wer hätte sich so etwas vorstellen können?

Im Interview zum Büchlein und Verweisen blitzen hie und da einfache ebenso wie überraschende Gedanken auf, wie z.B. auf den Protestantismus. Dieser soll vorgemacht haben, „dass eine Weltanschauung nie nur klug und durchdacht sein muss, sondern sich auch gut anfühlen muss. Dass der säkulare Humanismus eine Weltanschauung in diesem Sinne sein kann, belegt dieses Bändchen wie kaum ein Vorgängerprodukt.“ Humanismus also doch mit Religion als Vorbild?

Ganz und gar nicht gelegen kann der HV eine Feststellung der Autoren sein: „Kritisch zu denken und skeptisch zu sein, ist die Grundlage der humanistischen Ideen.“ Dazu zitieren sie Harold Blackham mit der Aussage, dass es für Humanisten keine Autorität gibt, die  über jeden Zweifel erhaben ist und als Standard verwendet werden kann. Da muss die HV sich schon die Frage nach ihrer Autorität/Legitimation für die Ausgabe eines Zertifikats als geprüfter Humanist gefallen lassen. Das Dilemma der HV: im Humanismus gibt es keine Autorität oder Legitimation, die Eigenschaft Humanist durch ein Zertifikat nach Prüfung festzustellen. Wer sich solches anmaßt, hat Humanismus scheinbar nicht richtig verstanden, zumal auch die Humanists International auf ihrer website ganz klar sagt, dass sich jeder als Humanist betrachten kann, der mit dem auf ihrer website vorgetragenen Gedankengut im Wesentlichen einig geht. Also ohne Prüfung mit Zertifikat zum geprüften Humanisten, ohne Zulassungsprozeduren, ohne Rituale und ohne Verbandszugehörigkeit! Humanisten sind Humanisten, sobald sie sich autonom und eigenverantwortlich dazu entschieden haben. Sie pfeifen auf ein Zertifikat für ihre Geisteshaltung!

Also, dann doch lieber das Büchlein. Nicht nur weil es deutlich billiger ist als der HV-Kurs, sondern weil man es auf dem eigenen Erkenntnisweg immer wieder zur Hand nehmen kann, um sich an das Wesentliche im Humanismus zu erinnern. Ein geprüfter Humanist ist obsolet noch bevor er auf das Zertifikat stolz sein kann.

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Grafikquellen      :   Der junge Massimiliano Sforza trifft Maximilian I. Abbildung aus dem Livre de JésusCastello Sforzesco, Biblioteca Trivulziana, Mailand

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Politiker und Humanismus ?

Erstellt von Redaktion am 30. Januar 2021

Ein Zertifikat wider jeden humanistischen Geist

Quelle:    Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

Sozusagen als schöne Bescherung im Dezember 2020 bietet die Humanistische Vereinigung K.d.ö.R. (HV) einen 6-Wochen-Kurs zum geprüften Humanisten an.  Dieser als „Produkt“ bezeichnete Humanismus-Kurs mit Zertifikat widerspricht jeder humanistischen Gesinnung, das Leben autonom zu gestalten, eigenverantwortlich und in Harmonie mit der Welt. Ein solches Zertifikat ist auch unvereinbar mit der dezidierten Aussage von Humanists International (HI), wonach es keiner Zulassungsprozedur, Einführungssriten oder Verbandszugehörigkeit bedarf, um  Humanist zu sein. (To be a humanist there is no entrance procedure, no necessary rite of passage, and no hierarchy to which you must belong.) An sich sollte die HV das wissen, ist sie doch Mitglied von HI. Der Kurs-Tutor aber macht die kühne Zusage, aus einem Menschen ohne Vorkenntnisse in nur 6 Wochen, nach bestandener Abschlussprüfung mit hochwertigem und qualifiziertem Zertifikat und für nur 49 €, einen geprüften Humanisten zu machen.

Schier abwegig erscheint es, dass man eine humanistische Geisteshaltung zu einem billigen Lehrstoff degradiert, der dann sogar noch zertifiziert wird und zum geprüften Humanisten führt. Und wie müssen alle Humanisten fühlen, die bisher im persönlichen Umfeld oder öffentlich in Sachen Humanismus unterwegs sind, ohne geprüfte Humanisten zu sein. Sind sie ohne Zertifikat überhaupt für ihre Tätigkeit legitimiert?

Dabei kann man sich das von der HV angebotene Zertifikat ganz einfach dadurch ersparen, dass man die Website von HI und dort insbesondere die Sparte: Was ist Humanismus? (What is Humanism?) durchstöbert. Da findet man u.a. die Amsterdamer Erklärung mit den sieben fundamentalen und weltweit anerkannten Prinzipien des Humanismus, ein Minimum-Statement und schließlich den erlösende Hinweis, dass jeder als Humanist gilt, der sich mit den vorgestellten Gedanken im Wesentlichen identifizieren kann, und zwar selbst dann, wenn es noch irgendwelche Spitzfindigkeiten geben sollte. (Anyone who broadly agrees with the above might be described as a humanist, or might identify themselves as a humanist (even if they happen to have one or two quibbles)). Na, wer hätte das gedacht? So einfach geht Humanismus, auch ganz ohne Prüfung und Zertifikat und Gebühr.

Vielleicht am schlimmsten wären die heute noch nicht absehbaren Langzeitfolgen eines zertifizierten Humanismus als Auslöser eines Zwei-Klassen-Humanismus mit eben geprüften Humanisten à la HV und solchen, die sich auf HI berufen.

Die Darstellungen der HI bedeuten, dass ein Humanismus-Zertifikat wider jeden humanistischen Geist ist. Und das macht das „Produkt“ der HV nicht nur völlig unglaubwürdig, sondern geradezu lächerlich. Was macht der geprüfte Humanist denn mit seinem Zertifikat? Beruflich ist es wertlos, es qualifiziert ihn für gar nichts. Und für die Bescheinigung einer humanistischen Gesinnung ist es laut HI unnötig und somit sinnlos. Dumm gelaufen, Geld zum Fenster hinausgeworfen! Geprüfter Humanismus à la HV mit Zertifikat geht so ganz sicher nicht und sollte schleunigst in der Versenkung verschwinden. Gegenüber dem einladenden Geist der Humanists International ist das „Produkt“ der HV eher abstoßend.

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Humanistischer Unterricht am Fürstenhof: Massimiliano Sforza als Schüler mit seinem Erzieher Gian Antonio Secco (links). Buchmalerei von Giovanni Pietro da Birago in dem für Massimiliano angefertigten Exemplar der lateinischen Grammatik (Ars minor) des Aelius Donatus, der Handschrift Mailand, Biblioteca Trivulziana, Ms. 2167, fol. 13v (um 1496/1499)

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Der fatale Jetztismus

Erstellt von Redaktion am 30. Januar 2021

Corona zeigt uns, wie sich globale Krisen anfühlen. 

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Von Luisa Neubauer

Als Reaktion schalten viele in einen radikalen Gegenwartsmodus. Doch wollen wir die Erderwärmung stoppen, gilt es, Zukünfte zu verteidigen.

In den ersten Monaten der Coronapandemie sprach man oft davon, dass wir durch die Bewältigung dieser Krise lernen würden, wie Krisen insgesamt ernst genommen und bewältigt werden können. Auch ich dachte das. Man glaubte, dass wir – dadurch gestärkt – auch selbstbewusst die ökologischen Katastrophen angehen würden. Mittlerweile denke ich, dass im schlimmsten Fall das Gegenteil eintreten könnte. Aber von Anfang an.

Mühelos ist es der Gesellschaft gelungen, fast ein gesamtes Jahr Corona zu behandeln, ohne ernsthaft über die direkte Gegenwart hinauszublicken. Wäre es anders gewesen, hätte sich gezeigt, dass Corona zwar überraschend kam, aber keinesfalls eine Überraschung war. „Die Auswirkungen wären kaum abzuschätzen, gleichwohl katastrophal“, schrieben die Ver­fas­se­r:in­nen im Grünbuch für Öffentliche Sicherheit schon im Jahr 2015 über die Gefahren von mutierten Sars-Viren in Deutschland.

Die Lehren aus dem 20. Jahrhundert schienen so eindeutig: Gefahr geht von Männern in Kriegslaune aus, vom Faschismus, von dreckigen Industrien und überheblichen Technologien. Und dann kommt das 21. Jahrhundert und präsentiert ausgerechnet die Fledermaus, die von der menschlichen Gier zur Wanderschaft gezwungen wird. Es sind Tiere wie sie, die Zoonosen wie HIV, Ebola, Mers und vermutlich auch Covid-19 bei zu aggressiver Nähe auf Menschen übertragen.

Politik ist in diesen Zeiten immer weniger das, was wahr ist, und wird immer mehr zu dem, was sich gut anfühlt. Kurzatmige Erzählungen verfangen, hohle Souveränität und Schnellschussreaktionen werden belohnt. Nirgendwo wird das deutlicher als in der Coronapolitik. Denn Corona ist eben, entgegen den gängigen politischen Narrativen, kein Einzelfall. Sondern viel eher ein Vorbote, von dem, was kommt, wenn Naturzerstörung und hemmungsloses Emittieren pandemische Zeitalter und ökologische Katastrophen provozieren.

Aus dieser Blindheit ergibt sich die politische Unfähigkeit, sich mit dem zu beschäftigen, was jenseits der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz, geschweige denn nach der nächsten Welle, passieren kann – oder muss.

Gleichzeitig aber wächst die gesellschaftliche Skepsis gegenüber Quick-Fixes, die Menschen sind ja nicht blöd: Man erlebt ein erschöpfend langsames Impfgeschehen, während das Virus zunehmend mutiert, das Raunen über eine dritte Welle setzt ein. Und ganz zart lugt dahinter die Frage auf, was genau uns davon abhalten sollte, in absehbarer Zeit wieder in eine Pandemie hineinzurasseln.

Diese Stimmung trifft nun auf eine schon länger anwachsende Gegenwartspräferenz. Denn schon deutlich vor Corona haben Teile der Klimabewegung, Medien und Politik angefangen, die Zukunft mit einer relativ unausweichlichen Katastrophe gleichzusetzen.

Das schien einst eine hilfreiche Strategie zu sein: Wenn die Menschen die Krise nicht sehen wollen, bringt man sie zu ihnen. Heute hat sich die Situation jedoch radikal geändert, niemand muss sich mehr ausmalen, wie unbarmherzig ungebremste Krisen sein können. Wir erleben es ja gerade.

Und so hat die Kombination aus coronabedingter Krisenmüdigkeit und erwachsendem Bewusstsein für die nahenden planetaren Kipppunkte ganz nebenbei das Gegenwärtige als beste verfügbare Option zementiert. Wenn die Zukunft schlicht eine extremere Version des Heute sein soll, dann wollen viele nach der nächsten Welle noch lieber nochmal eine Runde Gegenwart verkonsumieren, statt sich mit Zukunftsfragen zu belasten. Feiern bis zur Apokalypse.

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Wir erleben eine neuartige Zukunftsverdrossenheit. Kleine Fortschritte gehen unter in einer Welt, die hitzt, schmilzt und flutet wie nie zuvor. 67 Prozent der Deutschen sehen die Klimakrise als große Gefahr. Früher wäre das ein gutes Zeichen gewesen, die Leute wären also bereit, zu protestieren, etwas zu tun. Genau das hat sich jetzt geändert, es fehlt an Perspektive. Wofür lohnt es es sich noch zu kämpfen? Mittlerweile scheint nichts mehr so radikal, wie hoffnungsvoll in die Welt zu blicken.

Als wäre das nicht genug, ist all das nun das Einfallstor für jene, die die stumpfe Singularisierung der Krise nutzen und verhindern wollen, dass die Ausbreitung des Coronavirus symptomatisch und der notwendige Wandel systemisch gedacht werden. Der Versuch, die Stimmen des Wandels und die Idee einer ganzheitlichen Krisenbewältigungsstrategie zu zermürben, nimmt Kampagnencharakter an. Man verspricht schnelle Lösungen, radikalisiert jene, die die Normalisierung von Hunderten Coronatoten pro Tag hinterfragen, und bittet die Klima­krise, nicht mehr zu nerven – man habe ja anderes zu tun. Schließlich erklärt die konservativ-liberale Ecke – hochstrategisch – die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens für unmöglich. Weil die Coronakrise ja gezeigt habe, dass wir doch nicht so gut in Krisenbewältigung sind. Erst Corona, danach tiefer rein in das Wachstum um jeden Preis. Klimaschutz wird stilisiert als Langzeitform der Coronapolitik: kein Spaß mehr, keine Freiheiten mehr, kein Mehr mehr.

Quelle        :      TAZ         >>>>>         weiterlesen


Grafikquellen    :

Oben        —       1JahrNurBlockiert: Luisa Neubauer liest ihre Rede vor, die sie vor einem Jahr beim ersten Streik von Fridays For Future Berlin gehalten hat. Berlin, 13.12.19

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Impfen im Humanismus

Erstellt von Redaktion am 27. Januar 2021

Geprüfter Humanist in 6 Wochen

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Quelle:    Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

In der Ankündigung der Humanistischen Vereinigung K.d.ö.R. (HV) erklärt der KursTutor stolz, dass man ohne Vorkenntnisse in 6 Wochen geprüfter Humanist mit einem hochwertigen und qualifizierten Zertifikat werden kann. Auch für einen promovierten Philosophen gilt das gedruckte und gesprochene Wort! Allen Humanisten und denen, die es werden wollen, verschlägt es schier den Atem. Da bemüht man sich Jahre und oft auch ein Leben lang, ein Humanist zu sein bzw. zu werden, und völlig unerwartet kommt ein Angebot daher, die ganze Mühe in nur 6 Wochen für nur 49 € und mit einem Zertifikat zum geprüften Humanisten erledigen zu können. Da hat sich ein promovierter Philosoph nach seiner Flucht aus dem Elfenbeinturm [der Universitätslehre] hinein ins richtige Leben etwas scheinbar grandios Neues einfallen lassen, das er aber wohl selbst nicht ganz versteht. Um welche Qualifikation handelt es sich denn eigentlich? Welchen hohen Wert hat das Zertifikat und wofür? Ist er denn selbst geprüfter Humanist? Hat er sich die von ihm ausgedachte Prüfung vielleicht selbst abgenommen? Und wie steht es mit seinem Verbandsvorsitzenden, der weltweit in Sachen Humanismus unterwegs aber (noch) kein geprüfter Humanist ist? Und wie sollen sich da erst alle anderen Humanisten aus anderen humanistischen Organisationen fühlen, die jetzt plötzlich ohne wertvolles und qualifiziertes Zertifikat als geprüfter Humanist dastehen?

Die im GG §5 garantierte Freiheit der Lehre kann die Legitimation für den Kurs zum geprüften Humanisten nicht sein, weil es einen Beruf Humanist nicht gibt. Eine Lebenseinstellung kann zwar gelehrt, aber nicht zertifiziert werden, es sei denn in einem total autoritären System. Es gibt in unserer Gesellschaft bis heute keine gesetzlich anerkannte Prüfung oder Prüfstelle für Humanismus. Zertifizierungen gibt es z.B. in der beruflichen Fortbildung. So kann man nach einer entsprechenden Ausbildung und Prüfung ‚Geprüfter Hausmeister‘ oder ‚Geprüfte Krankenschwester‘ werden und hat somit den Nutzen einer beruflichen Qualifikation. Was aber ist der Nutzen des ‚Geprüften Humanisten‘? Sicherlich in der Kasse der HV und im Ego des Kurs-Tutors. Der geprüfte Humanist kann damit gar nichts anfangen, weder beruflich noch persönlich. Humanismus ist nämlich eine Geisteshaltung, ein lebenslanger Prozess, der den Menschen immer wieder fordert und nie endgültig abgeschlossen ist. Die Weltdachorganisation Humanists International (vormals IHEU) stellt klar fest, dass niemand ein Zertifikat braucht, um ein Humanist zu sein (Nobody needs a certificate to be a humanist), und weiter: Mit einem Test kann man nicht zertizieren, dass man ein richtiger Humanist ist, das ergäbe keinen Sinn (It is not a test to certify that you are a real humanist, which would make no sense). Demnach ist ein Zertifikat zum geprüften Humanisten von eben dem Dachverband für sinn- und nutzlos erklärt, dessen Mitglied die HV ist. Das sollte die HV eigentlich wissen.

Fazit: Ein geprüfter Humanist mit wertvollem und qualifizierten Zertifikat nach 6 Wochen ist ein Unding und führt die Initiative der HV ad absurdum (in die Absurdität).

Urheberrecht
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Quellenangabe :

La collection sur les „Célébrations Nationales“ (productions 1999-2003) de la mission de la recherche et de la direction des archives de France du ministère de la culture. www.celebrations.culture.fr Trois collections de productions éditoriales pour internet ont été initiées, dès 1997, par la mission de la recherche du ministère de la culture, dans le but de profiter des nouveaux modes de communication en ligne pour mieux faire connaître les résultats de recherches menées sur de grands sujets culturels et rendre accessibles des documents de tous types (textes, dessins, manuscrits, archives, sons, films, photographies) habituellement réservés aux professionnels. Chaque production éditoriale a été conçue par un ou des chercheurs spécialistes du domaine et par l’équipe multimédia de la mission de la recherche et de la technologie du ministère de la culture : MRT (ou du musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée : MuCEM pour la collection sur les recherches ethnologiques). Le laboratoire LEDEN de l’université Paris VIII a fait bénéficier la MRT et le MuCEM de son expérience et de son expertise multimédia tout au long de ces dix dernières années. Les réalisations techniques des productions éditoriales ont été confiées à plusieurs sociétés, choisies après avoir été mises en concurrence. De nombreux graphistes ont collaboré à ces productions afin de personnaliser chaque projet et leur donner une identité visuelle forte. Au fil du temps et de l’évolution technologique, il a été fait appel à des modules animés, interactifs, réalisés en Flash, ou à des représentations en 3D pour mieux faire comprendre certains contenus scientifiques. Malgré des budgets de production limités, pris en charge essentiellement par sur les crédits de la MRT, les règles d’accessibilité ont été respectées le plus possible et de nombreuses productions ont été traduites en langue étrangère. Ces collections offrent aujourd’hui aux internautes un très vaste ensemble de ressources multimédias, portant sur : 1. Les grands sites archéologiques (français ou étrangers mais fouillés par des français) (la collection a été produite en collaboration avec les services de l’archéologie du ministère, du CNRS, d’universités, de collectivités locales) 2. Les Célébrations nationales (la collection a été produite en collaboration avec la direction des archives de France) 3. Les recherches ethnologiques (la collection a été produite avec le musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée : MuCEM et plus récemment avec la mission du patrimoine ethnologique du ministère) De nombreux prix nationaux et internationaux ont été attribués, soit à une des 3 collections, soit à des productions particulières.

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Home Open Education

Erstellt von Redaktion am 27. Dezember 2020

Rückschritte und Fortschritte

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Quelle       :    Netzpolitik ORG.

Gastbeitrag, Dominik Theis, Maximilian Voigt – in Wissen

Schule auf, Schule zu: Die Erfahrungen mit digitalem Lernen in diesem Pandemie-Jahr waren von Chaos und Frustration geprägt. Was über Jahre versäumt wurde, lässt sich in der Krise nicht schnell nachholen. Doch inzwischen scheinen Bund und Länder auf Kurs und es besteht Hoffnung, fassen unsere Gastautoren zusammen.

Maximilian Voigt ist Projektleiter in den Bereichen Open Hardware und Open Education bei der Open Knowledge Foundation. Dominik Theis koordiniert das Bündnis Freie Bildung.

Die im März herbeigesehnten Entwicklungen im Bildungsbereich haben sich nur bedingt bewahrheitet. Denn über Jahre hin aufgeschobene Defizite lassen sich nicht im Ausnahmezustand aufholen. Im Dezember 2020 blicken wir auf ein Jahr zurück, das durch Chaos und Frustration geprägt ist. In dieser Situation gehen Sensationen beinahe unter, etwa der extrem gestiegene Einsatz von Cloud-Systemen in der Schule: In der JIM-Studie (Jugend Information Medien) berichteten im Juli 55 Prozent der befragten Lernenden, dass sie in der Schule in einer Cloud arbeiten. Als die Forschenden dieselbe Frage im April stellten, waren es nur 22 Prozent. In drei Monaten ist damit die Anbindung der Schulen an Clouds und Lernplattformen um 150 Prozent gestiegen – das schaffen aktuell kaum andere Softwarelösungen.

Hoffnung am Horizont

Cloud-Systeme eröffnen viele neue Möglichkeiten und entkoppeln das Lernen von einem physischen Ort. Diese Entwicklungen legen Grundlagen für eine Bildung, die dezentraler funktionieren kann, mehr Eigenverantwortung seitens der Lernenden ermöglicht und Open Educational Resources (OER) in die Breite trägt.

Das gibt Hoffnung auf ein widerstandsfähiges und offenes Bildungssystem. Mit den Plattformen WirLernenOnline und MUNDO sind 2020 weitere infrastrukturelle Säulen hinzugekommen. Im Rahmen eines komplementären Ansatzes, der einerseits community-basiert und andererseits “Top-Down” angelegt ist, sollen mit den Plattformen Bildungsmaterialien kuratiert und zugänglicher werden.

Darüber hinaus hat die Bundesregierung mit den Zusatzvereinbarungen zum Digitalpakt Schule (Corona-Hilfen I – III) das instabile Fundament der digitalen Transformation des Bildungswesens gestärkt. Des Weiteren einigten sich Bund und Länder auf sieben Handlungsstränge, die die Einrichtung von Kompetenzzentren für digitales Unterrichten, der Entwicklung einer Bildungsplattform zur Vernetzung der bestehenden Systeme sowie die Förderung von qualitativ hochwertigen digitalen Bildungsmedien, insbesondere Open Educational Resources (OER), vorsehen. Im Haushalt 2021 wurden dafür 90 Millionen Euro eingeplant und mit Biegen und Brechen 12 Millionen Euro für die Umsetzung der ausstehenden OER-Strategie reserviert.

Noch ist unklar, wie diese bildungspolitischen Vorhaben im Detail ausgestaltet werden. Doch sie gehen in die richtige Richtung und bilden eine gute Grundlage, um 2021 Bildung gerechter, inklusiver und partizipativ zu gestalten.

Zwei Schritte vor, zwei zurück

Diese Entwicklungen sind längst überfällig. Offene Bildung ist keine Modeerscheinung und wird seit vielen Jahren bearbeitet. Im Jahr 2015 beleuchtete eine Arbeitsgruppe mit Vertretungen der Länder und des Bundes die positiven Wirkungsmöglichkeiten von OER. Daraufhin verabschiedete das BMBF 2016 zwei Förderrichtlinien, durch die zahlreiche Projektvorhaben entstanden, die für die Etablierung von OER und zeitgemäßen Bildungsformaten wichtige Grundlagen schafften.

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Währenddessen wurde der Diskurs um Digitalisierung und Bildung immer breiter geführt. Allerdings lag der Fokus dabei maßgeblich auf Technik. Bund und Länder konzentrierten sich auf die Ausstattung von Schulen mit Smartboards und WLAN, ohne Qualifizierungsmaßnahmen für Lehrkräfte und digitale Kompetenzen mitzudenken. Inzwischen sind vielversprechende Projekte ausgelaufen. Das Ende von OERinfo, einem Rückgrat der Open-Education-Community, und anderen Projekten macht noch einmal deutlich, dass die Politik lange Zeit falsche Prioritäten setzte.

Jetzt scheinen Bund und Länder auf Kurs und es besteht Hoffnung. Die kommenden Monate werden entscheiden, ob es sich nur um leere Pakete handelt oder nachhaltige Veränderungen, die schnell bei Lehrenden und Lernenden ankommen. Die für das Frühjahr angekündigte OER-Strategie wird hier richtungsweisend sein.

Offene Technologiebildung gefragt

Dabei sind digitale Kompetenzen nach wie vor ein elementares Thema. Das gilt insbesondere auch für offene Bildungsszenarien, wie die zahlreichen Probleme zeigen, die im Zuge von “Homeschooling” aufgetreten sind. Sie erfordern einen selbstbestimmten, souveränen Umgang mit Technologie und Medieninhalten. Nur damit können Lehrende aus einem tiefen Verständnis heraus mit geeigneten Anwendungen Bildung gestalten und Lernende in selbstgesteuerten Lernszenarien fundierte Entscheidungen treffen.

Während die aktuellen Entwicklungen im Bildungsbereich diese Ziele zu verfehlen drohen, fordern geplante Anwendungsfälle des maschinellen Lernens einmal mehr dringenden Handlungsbedarf. Kompetenzen werden größtenteils beschränkt auf ihre Anwendung von Tools. Fähigkeiten, die darüber hinausgehen, stehen selten im Fokus. Erforderlich ist daher eine „offene Technologiebildung“, also Ansätze, die die technische Funktion in den Mittelpunkt stellen und einen selbstbestimmten Umgang mit Technologie fördern.

Das Rad nicht neu erfinden

Schulen können diese Herausforderungen nicht aus sich selbst heraus lösen. Daher entstehen zahlreiche Konzepte, die sie darin unterstützen sollen und bestehende Strukturen mitdenken. Beim Forum Open Education wurden dazu verschiedene Ansätze entwickelt. Wie das “Lernen in regionalen Netzwerken”, die die Zusammenarbeit zwischen lokal vorhandenen Akteuren stärken. Im Zentrum dabei stehen offene Werkstätten – wie Hack- oder Makerspaces -, die Knotenpunkte zwischen außerschulischer und schulischer Bildung sein können, ein offenes Lernen erlebbar machen sowie technische Kompetenzen fördern.

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Ein weiterer Ansatz fokussiert auf Bibliotheken. Mit entsprechender Ausstattung und Fortbildung könnten sie zu Medienzentren umgestaltet werden und nicht nur analoge und digitale Bücher verleihen, sondern auch mobile Geräte und zudem Lehrkräfte in digitalen Fragen beraten.

Vernetzen, aber nicht zentralisieren

Es geht also um die Integration von bereits etablierten Strukturen und mehr Vernetzung – besonders auch von Bildungsinfrastruktur, die auf Single Sign-on und offene Schnittstellen ausgerichtet werden sollte. So wird die Heterogenität und Einbindung von Vorhandenem gewährleistet und die Grundlage für Innovation geschaffen. Dabei muss Open-Source-Software zum Einsatz kommen, um Bildungseinrichtungen digitale Souveränität zu ermöglichen.

Um die nötige Ausfallsicherheit und Weiterentwicklung sicherzustellen, braucht es darüber hinaus Förderstrukturen, die die Entwicklung freier Software und Infrastrukturen nachhaltig sichern. Dazu trägt eine vitale Open-Source und Open-Education-Gemeinschaft entscheidend bei. Daher muss der Bund und die Länder auf Kooperation, nicht auf Konkurrenz setzen. Das agile Zusammenarbeiten und ein informeller Kooperationsstil sollten 2021 im Vordergrund stehen.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

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Grafikquellen      :

Oben      —      Studenten studeren in openbaar leercentrum AGORA

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Unten      —    Mein PC Nr. 3

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Humanismus auf Deutsch

Erstellt von Redaktion am 27. Dezember 2020

Geht Humanismus wirklich so?

Quelle:    Scharf  —  Links

Ein Kommentar von Georg Korfmacher, München

In ihrem Dezember-Newsletter postuliert die Humanistische Vereinigung K.d.ö.R.: So geht Humanismus! und bietet an: „In sechs Wochen zum Humanismus-Zertifikat“. Es ist zweifellos neu, dass man ein Zertifikat in Humanimus machen kann und dass es eine Vereinigung gibt, die sich des absoluten Wissens des Humanismus mit Lehrhoheit berühmt. Das aber widerspricht jeder humanistischen Grundhaltung, die man so beschreiben kann: selbstbestimmt leben, selbstverantwortlich und in Harmonie mit der Welt. Das sagt alles und bedarf keiner Zertifizierung. Dies ist das Verständnis des aufgeklärten Humanimus, wie er sich in Frankreich im 18. Jahrhundert herausgebildet hat. Er begann mit Cogito ergo sum, und gipfelte zunächst in der Erklärung der Menschenrechte von 1789, um sich bis heute stetig fortzuentwickeln.

Humanismus ist eben keine Lehre, eher ein Leitmotiv, das sich in vielerlei Ausprägungen präsentiert und sich je nach Alter und Umfeld entwickelt. Wohl deshalb hat Julian Huxley sein berühmtes Buch  „Humanist Frame“ genannt. Also ein Rahmen für ein humanistisches Leben, von der Bildung über die Wissenschaft und Sozialverhalten bis hin zur Kultur, Kunst und Spiritualität. Ja, auch Spiritualität, denn wir Menschen handeln nicht immer vernünftig, und (noch) nicht alle Phänomene sind wissenschaftlich erklärbar. Alles aber ist evolutiv. Panta rhei.

Humanismus mit Zertifikat ist auch keineswegs ein Kuschelkurs für „Eine Welt, in der jede*r dafür akzeptiert wird, was und wie er*sie ist“. Nein! Autonomie und Eigenverantwortung zwingen zur Abgrenzung dann, wenn anderes Verständnis und Gebaren z.B. zu Unterdrückungen jeder Art führt. Ein Beispiel dafür ist die französische Tageszeitung L’Humanité für soziale Gerechtigkeit, Ökologie und menschliche Emanzipation. Oder le Mouvement International des Entrepreneurs Humanistes  mit dem pikanten Nebengeschmack der Bescheidenheit.

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Was will man da in 6 Wochen zertifizieren, wenn sich allein in Deutschland schon mehrere humanistische Organisationen tummeln, die sich teilweise spinnefeind sind, weil sich jede im Besitz der Wahrheit wähnt. „Die“ Wahrheit aber gibt es nicht. Will man da etwa Protagoras und seine These vom Menschen als Maß aller Dinge in heutigem Zeitgeist zertifizieren? Oder den einen Weg, die Wirklichkeit zu verstehen und dem Leben einen Sinn zu geben? Wäre es da nicht viel hilfreicher, Tips und Hilfen zum überhaupt Erkennen des Sinnes des Lebens zu vermitteln? Aber bitte nicht mit Zertifikat, denn was heute möglicherweise wahr ist, kann morgen schon fragwürdig sein. Also wofür ein „hochwertiges qualifiziertes Zertifikat“? Welcher hohe Wert und von wem und für was qualifiziert?

So geht Humanismus mit Sicherheit nicht. Das Projekt ist ebenso anmaßend wie flopträchtig, jedenfalls abgrundtief anti-humanistisch und irreführend, weil es eine Zusicherung beinhaltet, die der Humanismus nicht geben kann und will. Der Humanismus will den Menschen nicht aus seiner Eigenverantwortung entlassen und schon gar keinen starren Wertekatalog von der Stange mit Lehrhoheit. Grober Unfug, mit oder ohne Zertifikat.

Urheberrecht
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Grafikquellen        :

Oben     —       Schiller, Wilhelm und Alexander von Humboldt, Goethe

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Unten        —      Wounded arriving at triage station, Suippes, France from sanitary train. Selected by Scott.

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Streit um Humbold-Forum

Erstellt von Redaktion am 24. Dezember 2020

Sammlungen im Spannungsfeld

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Gastbeitrag  von  Ilja Labischinski

Der Streit um das Humboldt-Forum berührt Grundfragen: Brauchen wir Museen und Sammlungen? Eine Innenansicht aus dem Berliner Ethnologischen Museum

In den vergangenen Jahren ist in Deutschland und weit darüber hinaus ein heftiger Streit um den Sinn und Zweck ethnologischer Museen und deren Sammlungen im 21. Jahrhundert entbrannt. Es geht um die koloniale Vergangenheit der Bestände, um Forderungen nach Rückgaben und neuerdings immer wieder auch um den sachgerechten Erhalt der Objekte. Das Ethnologische Museum der Staatlichen Museen zu Berlin steht im Zentrum der hiesigen Debatte. Zusammen mit dem Museum für Asiatische Kunst wird es in naher Zukunft den mit Abstand größten Teil des Humboldt Forums im neuerrichteten Berliner Stadtschloss bespielen. Die damit verbundene Aufmerksamkeit, das Interesse an den Sammlungen und der in den Häusern geleisteten Arbeit ist höchst erfreulich. Und doch wirkt die Diskussion bisweilen einseitig und unterkomplex, treten die vielschichtigen Realitäten des Arbeitsalltags in den betroffenen Museen nur selten zutage. Höchste Zeit also für eine Innenansicht von Mitarbeiter*innen und Partner*innen, die mit den Sammlungen des Berliner Ethnologischen Museums zum Teil seit vielen Jahren umgehen.

Komplex und häufig sensibel

Ein zentraler Aspekt der Arbeit an ethnologisch ausgerichteten Museen sind Kooperationen mit Vertreter*innen aus den Gesellschaften und Regionen, aus denen die Objekte ursprünglich stammen. Solche Kooperationen gehören am Ethnologischen Museum in Berlin seit Jahrzehnten zum Alltag. Die damit verbundene gemeinsame Forschung findet zu großen Teilen in den Depots statt, vorbereitet und begleitet von Depotverwalter*innen und Restaurator*innen. Für diese Zusammenarbeit gibt es am Berliner Ethnologischen Museum zahlreiche Beispiele, darunter Kooperationen mit tansanischen, namibischen, nordamerikanischen, indischen sowie brasilianischen Partner*innen und Institutionen. Sie erzählen viel über die komplexe und oft mit Sensibilitäten verbundene Arbeit der Museumsbeschäftigten. Im Folgenden soll dies am Beispiel des gemeinsamen Forschungs- und Ausstellungsprojekts mit Vertreter*innen der in Nebraska (USA) beheimateten Omaha (Umoⁿhoⁿ) veranschaulicht werden, die eine weit über 100-jährige Geschichte mit dem Museum verbindet.

Francis La Flesche: Ein indigener Ethnologe und Sammler der Omaha

Diese Geschichte geht so: 1894 beauftragte das Königliche Museum für Völkerkunde in Berlin (das heutige Ethnologische Museum) den indigenen Ethnologen Francis La Flesche, eine Sammlung von Objekten seiner eigenen Kultur zusammenzutragen. Vier Jahre später traf die Sammlung mit rund 60 Objekten in Berlin ein, darunter Zeremonialgegenstände, ein Kriegshemd, Werkzeuge, Spiele und Musikinstrumente der Omaha. La Flesche gilt heute als erster indigener Ethnologe Nordamerikas. Nachdem er seine frühe Kindheit auf dem Omaha-Reservat verbracht hatte, schickte ihn sein Vater auf die presbyterianische Internatsschule, wo er nicht nur Englisch sprechen und schreiben lernte, sondern auch seine bisherige Lebensweise aufgeben musste. Nach dem erfolgreichen Abschluss eines Jurastudiums in Washington D.C. unterstützte er in den folgenden Jahren den Ponca-Häuptling Standing Bear bei dessen Kampf um die Anerkennung von Bürgerrechten für alle Native Americans in den Vereinigten Staaten; eine Erfahrung, die seine spätere Arbeit als Wissenschaftler und politischer Aktivist prägen sollte. In den 1880er-Jahren schließlich lernte La Flesche die Ethnologin und Musikwissenschaftlerin Alice Fletcher kennen, die ihn dazu ermutigte, Ethnologie zu studieren. Gemeinsam verfassten sie später ein noch heute als ethnologisches Standardwerk geltendes Buch zu den Omaha.

Geschichte in der Gegenwart

Aktuell bildet die Sammlung von Francis La Flesche den Ausgangspunkt eines Forschungs- und Ausstellungsprojektes, das gemeinsam mit dem Nebraska Indian Community College (NICC) realisiert wird. Wynema Morris, selber eine Angehörige der Omaha und am NICC als Professorin für Native American Studies tätig, vier ihrer Student*innen, ein Enkel von Francis La Flesche sowie ein Mitarbeiter des NICC erarbeiten zusammen mit einem kuratorischen Team aus Berlin die Ausstellung Gegen den Strom: Francis La Flesche und die Umóⁿhoⁿ. Die Präsentation, die Ende 2021 eröffnen soll, thematisiert die Biografie und die Sammlung von Francis La Flesche und will deutlich machen, wie Geschichte und Vergangenheit die Gegenwart der Omaha bis heute prägen. Als das Berliner Team an das NICC mit der Idee herantrat, gemeinsam eine Ausstellung über La Flesche zu entwerfen, waren die Mitarbeiter*innen dort über die Existenz der Sammlung von Francis La Flesche zunächst völlig überrascht. „Wir wollen nicht, dass schon wieder ein Weißer unsere Geschichte erzählt”, war die erste Reaktion von Wynema Morris. Sie war es auch, die die Bedingung für eine Zusammenarbeit ausgab: „Wir sprechen, Ihr hört zu!“ Die beteiligten Vertreter*innen der Omaha forderten ein, was ihnen bis dahin immer verwehrt wurde: ihre Geschichte aus eigener Perspektive zu erzählen.

Ethnologische Arbeit heute: Beitrag zu einer neuen Beziehungsethik?

Nach dem gemeinsam zurückgelegten Weg sagt Wynema Morris heute: „Die Zusammenarbeit mit dem Ethnologischen Museum in Berlin wird vom NICC inzwischen als ein sehr positiver, wegweisender Schritt betrachtet. Von Anfang an wirkte diese Kooperation dabei zurück auf die Arbeit des Colleges. So wird beispielsweise der Katalog, den Francis La Flesche seinerzeit für die Sammlung erstellte, an Mitglieder der Community verteilt und hat seither als „Berlin Catalgoue“ einen festen Platz in der Lehre des NICC. So zeigt das Projekt exemplarisch, welche Bedeutung historische Sammlungen heute haben können und welches Potenzial in gemeinsam konzipierten Ausstellungen liegen kann. Übrigens ist das gemeinsame Ziel aller Beteiligten, die Objekte in Zukunft für eine nachfolgende Ausstellung nach Nebraska zu bringen.“

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Auch auf anderer Ebene ist die Berliner Sammlung von besonderer Bedeutung, zeugt sie doch vom Widerstand gegen die Kolonisierung. Da die Erfahrungen mit Rassismus, Gewalt und Landverlust die Lebensumstände der Omaha-Community bis heute beeinflussen, bietet sie den Menschen die Möglichkeit, mit Stolz auf ihre eigene Geschichte zu blicken und diese zu präsentieren. Die gemeinsame Arbeit an der Sammlung zeigt, wie tiefgreifend koloniale Kontexte in die Sammlungen ethnologischer Museen eingeschrieben sind. Genau um diese Kontexte aufzuarbeiten, gibt es seit Ende 2019 ein aus vier Mitarbeiter*innen bestehendes Team für postkoloniale Provenienzforschung am Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin, das untersucht, wie die Objekte des Ethologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst in die Sammlungen gelangt sind. Bei einem Bestand von rund 500.000 Objekten bei weitem nicht ausreichend, aber dennoch ein wichtiger Schritt.

Quelle       :    Der   Freitag       >>>>>       weiterlesen

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Oben        —   Berliner Schloss, Humboldt Forum, Berlin, Deutschland, September 2020

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KOLUMNE * MACHT

Erstellt von Redaktion am 12. Dezember 2020

Ich bin kein Ichling

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Von Bettina Gaus

Kennen Sie wirklich jemanden, der heimlich zu Coronapartys geht? Moralische Anklagen und Ermahnungen sind jedenfalls ungeeignet, um eine Pandemie in den Griff zu bekommen

Ich habe es satt, beschimpft zu werden. Interesse an meinem Leben? Es spielt sich derzeit weitgehend zwischen der Annahme von Onlinebestellungen und meinem Schreibtisch ab. Also ziemlich risikolos. Mein Terminkalender ruht in einer Schublade. Die wenigen Daten, die ich darin eintragen müsste, kann ich mir auch so merken.

Heute habe ich zum ersten Mal in meiner eigenen Wohnung eine Maske getragen. Als ein Handwerker kam. Noch vor wenigen Monaten habe ich Masken für blödsinnig gehalten. Es ist ja möglich, dazuzulernen.

Kaum jemand außer wirklich böswilligen Menschen wirft einem Virologen, einer Journalistin oder einem Politiker vor, dass sie vor einem Jahr oder vor sechs Monaten nicht wussten, was sie heute wissen. Und ich bin nach wie vor unendlich dankbar, dass nicht ich Entscheidungen treffen muss, die am Ende zu Todesfällen führen können. Sei es, weil jemand an einer Corona-Infektion stirbt oder sich in Folge einer Depression das Leben nimmt.

Aber warum maßen sich so viele Leute ein Urteil über die angebliche Leichtfertigkeit der Bevölkerung an? „Sämtliche Ermahnungen an die Vernunft der Bundesbürger haben offenbar nichts gebracht“, erklärte ein Moderator der „Welt“-Nachrichten. Ein Kolumnist auf Spiegel online schrieb: „Eine Gesellschaft, in der das Ich vor dem Wir kommt, ist fruchtbarer Boden für eine Pandemie. Und so stolpern wir Ichlinge durch diese Krise.“

Ich weiß nicht, in welchen Kreisen sich diese Kollegen bewegen – aber es sind nicht meine. Mein gesamtes Umfeld tut seit Wochen nichts anderes, als sich verantwortungsbewusst zu verhalten. Möglichst wenige Kontakte, möglichst vorsichtig. Aber einige müssen öffentliche Verkehrsmittel benutzen, in der Tat. Andere können nicht von zu Hause aus arbeiten. Und für wieder andere ist es nicht vermeidbar, eine Arztpraxis aufzusuchen. Pech.

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Niemand – absolut niemand –, den oder die ich kenne, verbringt die Freizeit mit der Planung von Coronapartys oder gibt grinsend die Adressen weiter, in denen – höh höh höh – heimliche Treffs von Clubliebhabern stattfinden.

Kein Zweifel: So etwas gibt es, leider. Und, ja: In Medien finden derlei Aktivitäten viel Beachtung. Jede Abweichung von der Norm ist eben spannender als die Norm – so funktioniert Massenkommunikation. Aber die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung vergnügt sich nicht damit, illegale Zusammenkünfte zu organisieren. Sondern legt Masken an.

Quelle      :       TAZ-online         weiterlesen


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Unten     —  The 2nd Marine Division Band performs during the 2nd Marine Logistics Group change of command ceremony aboard Camp Lejeune, N.C., July 12, 2012. Maj. Gen. Michael G. Dana, commanding general of 2nd MLG, relinquished his command to Col. Mark R. Hollahan. (U.S. Marine Corps photo by Sgt. Anthony L. Ortiz / Released)

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Let’s go, Menschheit!

Erstellt von Redaktion am 10. Dezember 2020

Abgebrochenes Spiel Paris gegen Istanbul

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Von Andreas Rüttenauer

In der Champions League wurde Geschichte geschrieben. Spieler verließen den Platz, weil ein Schiedsrichter sich rassistisch äußerte.

Dieser Champions-League-Fußballabend hat viele Geschichten geschrieben. Größere und kleinere Helden kommen darin vor. Cristiano Ronaldo hat beim 3:0 von Juventus Turin in Barcelona zwei Mal getroffen. Und ein gewisser Klub aus Leipzig hat in einem irren Spiel das ruhmreiche Manchester United eliminiert.

Doch der Held dieses Abends in der Champions League war ein anderer, einer, der gar nicht auf dem Feld stand: Demba Ba. Der Stürmer aus dem Senegal hat von der Ersatzbank aus den europäischen Fußball einmal kräftig durchgeschüttelt. Sein Einsatz führte zum Abbruch des Spiels zwischen seinem Klub Başakşehir Istanbul und Paris Saint-Germain. Es war ein Einsatz im Kampf gegen den Rassismus im Fußball. Es war ein kleines Wortgefecht, und es war ein großer Schritt für die Menschlichkeit.

Das Spiel war noch keine 15 Minuten alt, als geschah, was seinesgleichen sucht in der Fußballgeschichte. Nach einem Foulpfiff protestierte ­Pierre Webó, der kamerunische Co-Trainer des türkischen Meisters, lautstark. Dem vierten Offiziellen, der in seiner Nähe stand, missfiel das. Er wies den Schiedsrichter der Partie darauf hin. „Negru“ hat er dabei gesagt.

Demba Ba ist nun außer sich und stellt den Mann zur Rede, gibt ihm trotz aller Aufregung einen Schnellkurs in antirassistischer Sprache und ruft seine Mitspieler dazu auf, das Feld zu verlassen. Alle Spieler folgen ihm, auch die Pariser verlassen das Feld. Deren Weltstars Kylian Mbappé und Neymar gaben später auf ihren Social-Media-Accounts Solidaritätsadressen für Webó ab. Es ist das größte Zeichen, das Spieler in einem Wettbewerbsspiel gegen Rassismus je abgegeben haben.

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Der Verband kann nun nicht mehr mit dem Finger auf einzelne Bösewichte zeigen

Das Schiedsrichterteam aus Rumänien kann dem Spektakel nur ratlos zusehen. „Negru“ heiße doch nur schwarz auf Rumänisch, hatten sie sich versucht zu verteidigen. Demba Ba ließ sich auf eine Diskussion gar nicht erst ein. „‚Dieser weiße Typ da‘, das würden Sie doch nie sagen. Also hören Sie mir zu: Warum sagen Sie zu einem Schwarzen Mann ‚dieser schwarze Typ?‘“

Mit diesem Satz, der als Videoschnipsel längst millionenfach geteilt wurde, hat der Stürmer das Problem so klar benannt, dass für die Beteiligten keine Fragen mehr offenblieben. Sie verließen den Platz. Das Spiel musste abgebrochen werden. Ein Termin für die Fortsetzung des Spiels wurde von der veranstaltenden Europäischen Fußballunion Uefa angesetzt.

Quelle :      TAZ         >>>>>         weiterlesen


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Oben     —      Autor :    Uefa Champions League

Public domain
Diese Arbeit ist in den Vereinigten Staaten öffentlich zugänglich, weil es sich um eine Arbeit handelt, die von einem Beamten oder Mitarbeiter der Regierung der Vereinigten Staaten im Rahmen der offiziellen Aufgaben dieser Person gemäß Titel 17, Kapitel 1, Abschnitt 105 des US-Codesvorbereitet wurde. Anmerkung: Dies gilt nur für Originalwerke der Bundesregierung und nicht für die Arbeit eines einzelnen US-Bundesstaates, Territoriums,Gemeinwesens, Countys, einer Gemeinde oder einer anderen Unterteilung. Diese Vorlage gilt auch nicht für Briefmarkendesigns, die seit 1978von der United States Postal Service veröffentlicht wurden. (Siehe Nr. 313.6(C)(1) des Kompendiums der Praktiken des US-Urheberrechtsamtes). Sie gilt auch nicht für bestimmte US-Münzen; siehe Die US Mint-Nutzungsbedingungen.

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Unten         —           A bad day at the office, where a combination of questionable refereeing decisions and our inability to convert countless chances.

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USA – 3. November 2020 :

Erstellt von Redaktion am 2. Dezember 2020

Der Blick in den Abgrund

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Von Albrecht von Lucke

Schon im Vorfeld des 3. November war klar, dass diese US-Wahl keine Wahl wie viele andere sein würde.[1] Doch die Ereignisse der Wahlnacht selbst wie auch der folgenden Tage haben sie endgültig zu einem existenziellen Vorgang für die Vereinigten Staaten, aber auch für die gesamte demokratische Welt gemacht. Diese Wahl wurde zu einem Exempel für die Angreifbarkeit und Verletzlichkeit der Demokratie.

Seit den ersten Hochrechnungen am Wahlabend durchläuft die demokratische Welt drei Phasen: erstens die Phase des Schocks, zweitens die Phase der Erleichterung, manche sprechen gar von einer Erlösung – und drittens, und zwar mehr und mehr, eine Phase der Ernüchterung, im besten Falle der Versachlichung, im schlimmsten aber einer neuerlichen, vielleicht noch gefährlicheren Polarisierung.

Der eigentliche Schock ereignete sich am Wahlabend um 19 Uhr 59 Washingtoner Ortszeit, als Noch-Präsident Donald Trump ankündigte, dass er den Ausgang der Wahl nicht anerkennen werde: „Dies ist ein Betrug an der amerikanischen Öffentlichkeit. Dies ist eine Peinlichkeit für das Land. Wir waren auf dem Weg, diese Wahl zu gewinnen, und offen gesagt: Wir haben diese Wahl gewonnen“, so Trump im O-Ton. „Das ist ein sehr großer Moment. […] Wir wollen, dass das Gesetz in der richtigen Weise angewendet wird. Wir werden vor den Supreme Court ziehen. Wir wollen, dass alles Wählen endet.“ Das war in der Tat ein großer, genauer: ein historischer Moment. Denn damit machte Trump unmissverständlich klar, dass er nach vier Jahren der Bekämpfung der US-amerikanischen Institutionen auch den letzten Schritt zu gehen bereit ist, nämlich den der Missachtung, ja der völligen Negierung der Wahl und ihres Ergebnisses als des heiligsten Akts der Demokratie.

Gewiss kann man sagen, Trump habe diese Strategie – nämlich die Verwerfung der Briefwahlstimmen – im Vorfeld bereits angekündigt.[2] Doch die Androhung ist das eine, die tatsächliche Durchführung aber macht die Ankündigung zu einem ungeheuerlichen Vorgang, zumal in den USA als der wichtigsten, da mächtigsten Demokratie der Welt. Es ist daher aus demokratischer Perspektive nicht übertrieben, von einem Blick in den Abgrund zu sprechen.

Darin aber steckte zugleich auch ein zutiefst aufklärerisches Moment. Obwohl Trump sich stets als Volkstribun, als der einzig wahre Vertreter des Volkes geriert – gegen den angeblichen deep state des Establishments –, hat er am Ende seiner Amtszeit dem amerikanischen Volk seine ganze Verachtung demonstriert, übrigens auch allen republikanischen Briefwählern, deren Stimmen er gleichfalls für null und nichtig erklärte. Die Behauptung der Populisten, sie allein handelten im Namen des Volkes wurde radikal konterkariert, genau wie der wohl bekannteste Ausspruch der US-Demokratie, aus Abraham Lincolns historischer Rede in Gettysburg: Demokratie ist die „Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk“. Mit seiner Aussage am Wahlabend hat Trump endgültig bewiesen, dass es ihm nie um eine Regierung durch und für das Volk ging, sondern allein um die Herrschaft seines Clans. In diesem Augenblick kehrten sich Trumps Worte gegen ihn selbst. Er selbst agierte als deep state – als tiefer Staat gegen das Volk. Getreu der Devise, nicht „the winner“, sondern „The looser takes it all“, als ein Tyrann der Minderheit. Es war die finale Selbstdemaskierung, ein Putsch von oben gegen die Demokratie – ein Schockmoment für die USA, aber auch darüber hinaus, als ein Moment von globaler Ausstrahlung. Denn in diesem Augenblick wurde klar, wie ungemein fragil der Vorgang der demokratischen Wahl ist und wie schnell – selbst in einer über Jahrhunderte gewachsenen Demokratie wie der der Vereinigten Staaten – der pure Kampf um die Macht bewährte Verfahren beinahe außer Kraft setzen kann. Insofern muss man Donald Trump fast dankbar sein – dafür, dass er auch noch diesen letzten, radikalsten Schritt seiner Regierungszeit gegangen ist. Trump hat demonstriert, wie schnell eine Demokratie den liberalen, rechtsstaatlichen Pfad verlassen kann. Zugleich hat er aller Welt gezeigt, was unter „illiberaler Demokratie“ zu verstehen ist, von der sein Bruder im Geiste Viktor Orbán spricht – nämlich faktisch die Abschaffung der Demokratie. Deshalb war schon der Wahlabend, ohne dass überhaupt ein Ergebnis vorgelegen hätte, von immenser globaler Bedeutung.

Trump hat die US-Demokratie damit ihrer maximalen Belastungsprobe ausgesetzt – wenn man von einer möglichen militärischen Steigerung absieht. Doch wie um diesen Schritt auch noch zu vollziehen, ging der Nächste in der Clan-Riege, Trumps ältester Sohn Donald jr., in den folgenden dramatischen Stunden noch über seinen Vater hinaus und sprach, in Übernahme der Worte aus Goebbels Sportpalastrede, vom „totalen Krieg“, den es nun auszufechten gelte. „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen“, hatte Goebbels in einem Aufsatz im Jahr 1928 das strategische Ziel der NSDAP ausgegeben. „Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren.“[3] Ohne auch nur in irgendeiner Weise die besondere Dimension des Nationalsozialismus relativieren zu wollen, wird man darin die zentrale Strategie zur Machterlangung jedes modernen Autokraten sehen müssen: die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln zu untergraben, um sich ihrer zu entledigen – und sich wenn nötig, wie das Beispiel der beiden Trumps jetzt lehrt, mit allen antidemokratischen Mitteln an der Macht zu halten.

Vom Schock zur Erleichterung

Trump hat sich am 3. November als ein potentieller Diktator selbst entlarvt, der willens und auf dem Wege war, den Populismus zur Diktatur auszubauen. In diesem Augenblick des Wahlabends ist damit klargeworden, dass es diesmal nicht mehr nur – wie in normalen demokratischen Wahlen – um den Machtwechsel ging, sondern zugleich auch um die fundamentale Verteidigung der Demokratie.

Hier aber setzt die zweite Phase ein, die Phase zunehmender Erleichterung, die fast zu einer Erlösung wurde, als am Tag vier nach der Wahl Joe Biden endlich als president elect bestätigt wurde. Während die im Vorfeld befürchteten und von Trump provozierten militanten Aufstände ausblieben, funktionierten die demokratischen Verfahren. Damit war klar, dass die USA diesmal noch scharf an der Katastrophe vorbeigeschrammt sind.

Joe Biden gebührt ein doppelter Dank; erstens dafür, dass er in dieser hochangespannten Situation an den demokratischen Regeln und Gepflogenheiten strikt festgehalten hat. Indem die Demokraten insgesamt der Versuchung widerstanden, selbst in das Rennen um die schnellstmögliche Ausrufung des Wahlsiegers einzusteigen, haben sie ihrem Namen als Demokraten Ehre gemacht und zugleich bewiesen, dass es neben den Trumpisten weiterhin ein starkes anderes Amerika gibt.

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Zweitens gebührt Biden große Anerkennung dafür, dass es ihm gelungen ist, Trump überhaupt zu schlagen. Zur Erinnerung: Das letzte Mal, dass ein Präsident nach nur einer Amtszeit aus dem Weißen Haus vertrieben wurde, war 1992, als Bill Clinton George Bush senior besiegte. Und ein Zweites kommt hinzu: Trump konnte 72 Millionen Stimmen erringen – mehr als Barack Obama, als er 2008 auf einer Welle der Begeisterung in seine erste Amtszeit segelte, und mehr als je ein Republikaner vor ihm gewann. Am Ende erhielt Trump neun Millionen Wählerstimmen mehr als noch im Jahr 2016. Dass Biden diese enorme Zahl noch um sechs Millionen übertraf und mit 78 Millionen Stimmen das beste je erreichte Ergebnis erzielte, macht seinen Sieg bereits zu einem historischen.

Zugleich zeigt es aber auch, wie ungemein schwer es auch diesmal war, den großen Volksverhetzer und -verführer zu schlagen. Ohne Corona, so die Ironie der Geschichte, hätte Trump die Wahl mit großer Wahrscheinlichkeit gewonnen – wobei unklar ist, was ihm am Ende mehr geschadet hat: die Pandemie selbst oder sein totales Versagen bei ihrer Bekämpfung.

Inzwischen steht fest, dass Biden 306 Wahlleute gewinnen konnte – genauso viele wie Trump vor vier Jahren und deutlich mehr als die erforderlichen 270. Und dennoch wurde das zweite große Ziel der Demokraten, die Mehrheit im Senat zu erringen, aller Wahrscheinlichkeit nach verfehlt. All jene, die behaupten, dass Joe Biden ein schwacher, da wenig kämpferischer Kandidat gewesen sei, mögen in dieser Hinsicht Recht haben – und reden doch am Kern der Sache vorbei. Ja, Biden war offensichtlich nicht der richtige Mann, um klar, also mit dem erhofften und prognostizierten Erdrutschsieg auch den Senat zu gewinnen – aber er war offensichtlich der Richtige, um überhaupt gegen Trump zu gewinnen. Ob ein anderer der Kandidaten geeigneter gewesen wäre, ist rein hypothetisch und gehört in den Bereich der Legendenbildung. Biden jedenfalls gelang es, die „blue wall“ in Michigan, Wisconsin und Pennsylvania wieder zu errichten, indem er etliche der „alten weißen Arbeiter“ im Rustbelt zurückeroberte, die Clinton an Trump verloren hatte. Für seinen Sieg brauchte es aber auch das Bündnis zwischen Moderaten und Progressiven in der demokratischen Partei, mit „Trump muss weg“ als verbindendem Leitmotiv. Daran hatte es vier Jahre zuvor, im Wahlkampf von Hillary Clinton, noch gemangelt, als viele der Linken gar nicht erst zur Wahl gingen.

Quelle       :      Blätter         >>>>>         weiterlesen


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Oben       —     escalada

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KOLUMNE * MACHT

Erstellt von Redaktion am 30. November 2020

Begnadigung von Michael Flynn
Fast wie bei Monopoly

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Von Bettina Gaus

Das Begnadigungsrecht ist eine Verbeugung des Staates vor der Humanität. Es überrascht nicht, dass Donald Trump es nun missbraucht.

Getümmel, Getümmel, Eilmeldungen. Alle höchst dramatisch – und sehr erwartbar. Demokraten in den USA sind empört, zumindest einige Republikaner sind begeistert. Der noch amtierende US-Präsident Donald Trump hat seinen ehemaligen Sicherheitsberater Michael Flynn begnadigt. Der war in die Russland-Affäre verwickelt und könnte vielleicht noch einiges erzählen, was für Trump unangenehm wäre. Von Machtmissbrauch bis zu Rehabilitierung eines Helden reichen die Reaktionen. Die Grundsatzfragen hinter dem Konflikt sind jedoch interessanter als eilige Pressemitteilungen.

Das Begnadigungsrecht – das übrigens nicht nur der US-Präsident, sondern auch der deutsche Bundespräsident hat – wirkt auf den ersten Blick wie ein grotesker Widerspruch zu Prinzipien der Demokratie. Keine Mehrheitsentscheidung liegt ihm zugrunde, sondern allein der Wille des Staatsoberhaupts. Warum nicht gleich die Monarchie wieder einführen?

So kann man das sehen. Ich sehe das anders und bin eine Anhängerin des Begnadigungsrechts. Es erkennt die Tatsache an, dass nicht einmal das beste Rechtssystem den Anspruch erfüllen kann, den Umständen jedes Einzelfalles gerecht zu werden. Deshalb ist es manchmal eben geboten, „Gnade vor Recht“ ergehen zu lassen. Anders ausgedrückt: Es ist die Verneigung des Staates vor der Humanität.

Wenn sie erst mal auspacken

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Selbstverständlich birgt das die Gefahr des Missbrauchs. Wie jedes Privileg. Und selbstverständlich wird es von Donald Trump missbraucht. Das kann ja nun nicht wirklich überraschen. Er nutzt Vorrechte bekanntlich gern für eigene Zwecke. Ich nehme jede Wette an – und das ist kein riskantes Glücksspiel –, dass er vor seinem Auszug aus dem Weißen Haus auch noch weitere Leute begnadigen wird, die ihm gefährlich werden können, wenn sie erst einmal auspacken.

Heftig diskutiert wird derzeit in den USA eine noch sehr viel weiter gehende Frage, und hier wird es endgültig absurd: Kann und wird Donald Trump sich selbst begnadigen, um damit Verfahren abzuwenden, die ihm nach dem Ende seiner Amtszeit drohen – wenn er nicht mehr immun ist? Ich finde die Frage lustig. Die Tatsache, dass sich derzeit Verfassungsrechtler und vielleicht eines Tages der Supreme Court damit auseinandersetzen müssen, hat eine groteske Seite. Als gebe es derzeit keine drängenderen Probleme.

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Unten     —        Herní festival Essen SPIEL 2008 – Monopoly

Herní festival Essen SPIEL 2008 – Monopoly

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KOLUMNE * MACHT

Erstellt von Redaktion am 17. November 2020

Überhebliche Staaten von Amerika

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Von Bettina Gaus

In die Kommentierung der Wahl in den USA hat sich ein Ton eingeschlichen, der unserer Autorin missfällt. Eine Ermahnung – auch an Joe Biden.

Seit Tagen sitze ich wie festgeklebt vor CNN. Immer häufiger zucke ich jedoch zusammen, weil sich da ein Ton einschleicht, den ich jahrzehntelang nur zu gut kannte, inzwischen aber fast vergessen hatte. Und den ich noch nie ertragen konnte.

Wie ausgerechnet der Außenminister so etwas sagen könne, empörte sich eine Moderatorin nach der Äußerung von Mike Pompeo, es werde einen reibungslosen Übergang zu einer zweiten Amtszeit von Trump geben. Die Journalistin war fassungslos. Schließlich gehöre es zu den Aufgaben des Außenministers, andere Staaten zum Re­spekt vor Wahlergebnissen zu ermahnen.

Tatsächlich? Wer hat Mike Pompeo denn mit dieser Aufgabe betraut? Die UNO? Nein.

Viele Leute in den Vereinigten Staaten fühlen sich zu dieser Rolle quasi naturrechtlich berufen, sind sie doch „die älteste Demokratie der Welt“, wie die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright vor ein paar Tagen behauptete. Sie müsste es eigentlich besser wissen. Als promovierte Politologin hat sie sicher schon mal von der Demokratie in der griechischen Antike, von der Magna Carta und der englischen Bill of Rights gehört.

Demokratie ohne Wahlrecht für alle

Frühe Formen der Demokratie lassen sich nicht mit der heutigen vergleichen, sie haben große Teile der Bevölkerung von der politischen Teilhabe ausgeschlossen. Das ist aber kein Argument, denn es galt ursprünglich auch für die Demokratie in den USA. Das Frauenwahlrecht wurde dort erst 1920 eingeführt, ein Jahr später als in Deutschland. In der Praxis galt es für weiße Frauen.

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Das ist kein Vorwurf. Gerade für eine Deutsche, auch für eine Nachkriegsgeborene, ist Zurückhaltung angebracht, wenn von historischen Irrwegen und Versäumnissen die Rede ist. Was aber nichts daran ändert, dass eine bestimmte Form des US-amerikanischen Selbstbewusstseins – vulgo: Arroganz – einfach nervt. Nein, es geht um mehr: Sie ist gefährlich für internationale Beziehungen.

„Wir gelten als das Land, das am meisten bewundert wird in der Welt“, sagte eine andere CNN-Moderatorin. Wie kommt sie darauf? Also, ich finde Kanada und Neuseeland ziemlich prima. Natürlich lässt sich darüber diskutieren. Aber der beiläufige Satz der Kollegin ist ja keine Einladung zu einer Diskussion. Sondern eine Feststellung. So wie die Erklärung, dass die Erde keine Scheibe ist.

Überheblichkeit und Antiamerikanismus

Quelle       :       TAZ-online           >>>>>          weiterlesen

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Unten     —   Hereford Cathedral’s 1217 edition of Magna Carta was exhibited at the New-York Historical Society from 23 – 30 September 2015 as part of the Magna Carta Tour. Read more at www.gov.uk/magnacartatour

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Distanzen im Sozialstaat

Erstellt von Redaktion am 16. November 2020

Eine zeitgemäße gerechte Sozialstaatlichkeit

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Von Jimmy Bulanik

Die Menschen im Inland erachten es in allen Bundesländern für notwendig das es eine zeitgemäße und gerechte Sozialstaatlichkeit bedarf. Der Zeitgeist der Agenda 2010 ist seit langem vorbei. Die Bundespolitik hat dies offensichtlich nicht erkennen wollen.

Gleichwohl die Zivilgesellschaft ist mit ihren berechtigten Bedürfnissen von Belang. Dies betrifft diverse Segmente. Das Einkommensverhältnis muss in der Wirklichkeit für alle steigen.

Die Bedingungen eines Arbeitsvertrages muss gerechter werden. Insgesamt muss die humane Wertschöpfung gerecht gewürdigt werden. Alle Kapazitäten sind vorhanden.

Die Räson muss hergestellt werden. Je mehr die Menschen in allen Bundesländern dahingehend aktiv werden, desto mehr handhaben sie die Vertretung ihrer legitimen Interessen für sich selber und jenen Menschen welche am Herzen liegen richtig. Dabei ist wichtig das die Erscheinungsformen in der Öffentlichkeit sichtbar werden wird.

Das hohe Gut des Versammlungsrecht ist dabei von entscheidender Bedeutung. Die Einbindung eigener Medien mittels des Internet ist unverzichtbar. Auf der Ebene des Versammlungsortes sind Einladungen an die Politik im Stadtrat, Landtag, Bundestag immer vorteilhaft.

Bündnispartnerschaften sind immer hilfreich. Auch diese gilt es zu kontaktieren. Das können sein der Paritätische Wohlfahrtsverband, der VdK, der DGB, die Verdi.

Ebenfalls zu überlegen ist, welche Fraktion als ansprechend erachtet wird. Das kann das Bündnis 90 / Die Grünen sein. An denen führt politisch und gesellschaftlich kein Weg vorbei.

Darum sollten diese bei humanistischen und ökologisch – sozialen Ziele eingebunden werden. Mit ihnen sollte über das bedingungslose Grundeinkommen proaktiv kommuniziert werden. Die Linke hingegen ist seit vielen Jahren nicht in der Lage sich dafür zu entscheiden.

Auch das muss berücksichtigt werden. Die zeitgemäße soziale Gerechtigkeit wird nicht von der Bundespolitik geschenkt werden. Deshalb müssen die Menschen in der Republik dafür streben.

Eine Email an MdB für den eigenen Wahlkreis können alle bewerkstelligen. In diesen gegenwärtigen Zeiten besteht genug vakante Zeit dafür. Der Bundestag wird konstatieren das sich Menschen vermehrt für ihre Interessen einsetzen.

Die Zeit für die soziale Gerechtigkeit ist gekommen

Der grundsätzliche Weg zu einer erfolgreichen Veranstaltung nach dem Versammlungsrecht muss angemeldet werden. Bedingt durch den Föderalismus entweder bei der örtlichen Polizei oder im zuständigen Rathaus. Das Thema der zeitgemäßen sozialen Gerechtigkeit muss benannt werden.

Angaben werden notwendig werden. Die Anzahl der zu Personen welche zu der Veranstaltung erwartet werden. Welche Materialien zur Außendarstellung verwendet werden.

Selbst erstellte Dokumente zum Beispiel. Vorbereitete MP3 Dateien mit einer Rede, Lieder, Fahnen, Transparente, Megaphone, Schilder, Sprühkreide etc. Die Menschen welche als die Ordnung auf der Versammlung ausüben werden.

Pro fünfzig Personen bedarf es eine Person mit einer weißen Armbinde mit schwarzer Aufschrift „Ordnerin“, bzw. „Ordner“ muss sichtbar getragen werden. Kosten entstehen nicht für das Anmelden einer Veranstaltung in der Öffentlichkeit. Es gibt kein Mindestalter für das Anmelden einer Veranstaltung unter freiem Himmel nach dem verbrieften Grundrecht auf Versammlung.

Immer sinnig ist im Vorfeld einer Veranstaltung die Studien mit evidenten Daten der sozialen Verbände zu haben. Gute Argumente und Tatsachen untermauern den Erfolg einer öffentlichen Veranstaltung zur Thematik der sozialen Gerechtigkeit.

Strategisch ist es gänzlich ratsam soziale, außerparlamentarische Bewegungen wie Fridays For Future, Black Lives Matter mit zu mobilisieren. Im Gegenzug ein verbindlicher Teil derer Mobilisierung bei bevorstehenden Friday For Future Kundgebungen zu sein.

Die Orte für die Kundgebungen sollten mit Bedacht ausgesucht werden. Geeignet sind Orte an denen die öffentliche Aufmerksamkeit sicher ist. Zum Beispiel die Wohnorte der Reichen oder Orte an denen diese sich gerne privat aufhalten.

Dann kam der BASTA machte alles zu PASTA

Das kann ein Golfclub sein. Ein Tennis Club, ein Wassersport Club oder beliebte Orte des Konsum. Je öfter diese beehrt werden, desto besser ist es seine Ziele in der Wirklichkeit zu bewerkstelligen.

Die Kontinuität ist bei solchen Veranstaltungen für humanistische Ziele wie der Ökologie, soziale Gerechtigkeit muss konstant hoch bleiben.

Lasst die reichen ein Adressat der gemeinsamen Themen sein. Sollen sie doch die Kanäle ihrer Kommunikation in die Politik, Wirtschaft nutzen. Ladet diese Menschen auf eure Kundgebungen ein und wirbt um sie.

In jedem Fall wünsche ich alle ein glückliches Gelingen ! Die Zeit ist günstig. Sie zu nutzen obliegt uns allen.

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Grafikquellen        :

Oben       —     social distancing

2020-03-Detalls i conseqüències del COVID-19 al País Valencià

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Feind und Kunde

Erstellt von Redaktion am 5. November 2020

Kiyaks Deutschstunde  / Islamismus

Besuch Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rathaus Köln-09916.jpg

Hier – wird Schreiben gelernt! Mutti nuschelte immer vom „Wir“ . Sie hatte nie gelernt ein Deutsches „ICH“ auszusprechen, was zeigt wie lange sie hinter der Mauer auf ihre Freiheit gewartet hatte.

Eine Kolumne von Mely Kiyak

Angela Merkel sagte nach dem Attentat von Wien, der Kampf gegen die Anstifter von Terror sei ein „gemeinsamer Kampf“. Das stimmt nicht ganz.

Nein, Verzeihung, mit Verlaub: Der islamistische Terror ist nicht, wie Angela Merkel nach dem Attentat von Wien sagte, „unser gemeinsamer Feind“. Wer genau ist mit diesem „uns“ gemeint? Die Österreicher und die Deutschen? Der Westen, die Europäer, wer? Falls mit dem gemeinsamen Feind jene Staaten gemeint sind, die islamistischen Terror unterstützen, dulden oder gar rekrutieren, so möchte man festhalten, dass es die gleichen Staaten sind, die zu den Stammkunden der deutschen Waffenindustrie zählen. Angefangen von Saudi-Arabien bis zur Türkei werden ununterbrochen Waffen, Panzer, Munition geliefert. Sie landen von dort aus direkt oder indirekt bei islamistischen Kriegern. Der islamistische Terror scheint dann ein Störfaktor zu sein, wenn er die Europäer betrifft und auf europäischem Gebiet stattfindet. Ansonsten wird mitverdient.

Der islamistische Terror ist natürlich nicht nur das Werk von Einzeltätern, sondern hat ähnlich wie der Rechtsextremismus Strukturen. Je nach Ausprägung und je nach Land findet die Rekrutierung mal mehr, mal weniger staatlich geduldet statt. Wenn türkische militärische Interventionen, bei denen islamistische Milizen, in der Kurdenregion Rojava beispielsweise, zuvor mit theologischem oder patriotischem Geist auf allen möglichen öffentlichen Kanälen aufgewertet wurden, dann hat man es eben nicht nur mit Attentätern zu tun, sondern mit staatlichen Strukturen. Kurz: Der gemeinsame Feind ist je nach deutscher politischer Befindlichkeit mal ein Feind und dann wieder ein Kunde.

In einer 60-seitigen Broschüre, die kostenlos im Internet abrufbar ist und nur wenige Monate alt ist, hat Dr. Simone Wisotzki für das Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung im Auftrag von Greenpeace eine Bilanz der vergangenen 30 Jahre über deutsche Rüstungsexporte in alle Welt zusammengetragen. Da kann man sehen, dass deutsche Waffen in Pakistan oder Katar zu einer Bewaffnung islamistischer Terroristen führten.

Widerspruch auch bei diesem Satz der Kanzlerin: „Der Kampf gegen diese Mörder und ihre Anstifter ist unser gemeinsamer Kampf.“ Nun möchte man doch erinnern: Hatte man mit einem der eifrigsten Anstifter der islamistischen Gewalt nicht vor Jahren einen sogenannten „Türkei-Europa-Deal“ vereinbart. Schon vergessen? Man schaute bewegt und bewundernd vom fernen Deutschland aus zu, wie Kurdinnen in Gummischlappen gegen bärtige Krieger kämpften, und nahm es hin.

Genauso als Amnesty International der Türkei und ihren islamistischen Milizen in Nordsyrien schwere Verbrechen zur Last legte, da sprang die deutsche Regierung den tapferen Kurdinnen und Kurden, die gegen diese Mörder kämpften, nicht etwa bei. Sondern sie setzte die Politik des türkischen Machthabers auf deutschem Boden fort, indem sie in Deutschland diejenigen bestrafte, die Fahnen der YPG, der Frauenmiliz YPJ und der PYD schwenkten. Diese drei syrischen Antiterrororganisationen waren es, die sich mit dem IS anlegten. Nicht, dass Fahnenschwenken irgendeinen Nutzen hätte, aber so mancher Kurde hielt in Deutschland diese Symbole hoch, um seinen Respekt und seine Solidarität mit der kurdischen Widerstandbewegung im Kampf gegen islamistische Mörder zu bekunden, und wurde dafür verurteilt.

Die Opfer sind sehr allein

Welchen Symbolwert hat es, wenn man die Politik eines türkischen Dulders von islamistischem Terror auf deutschem Boden weiterführt? Es bedeutet, dass einem der Terror komplett wurscht ist, wenn er fremde Kinder, Frauen und Männer betrifft und dass es eben keinen „gemeinsamen“ Feind gibt. Beweise lassen sich andauernd finden.

Quelle       :        Zeit-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquelle        :

Chancellor Angela Merkel signs the Golden Book of Cologne during her visit to the City Hall.

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Die Mendel´schen Regeln 6

Erstellt von Redaktion am 3. November 2020

Es genügt nicht, defensiv zu sein

Von Meron Mendel

Ist der 9. 11. ein „Schicksalstag“ der Deutschen? Ist die Tatsache, dass die friedliche Revolution in der DDR an einem 9. 11. im Mauerfall kulminierte, Anlass genug, ihrer zusammen mit den Pogromen 1938 zu gedenken? Geht man nach der hessischen AfD, soll beiden Ereignissen künftig gleichermaßen gedacht werden, soll der 9. 11. zu einem „Gedenk- und Feiertag“ werden. Wie sich das darstellen soll, ob etwa am Vormittag gedacht und am Nachmittag gefeiert werden soll, ließ Frank Grobe, parlamentarischer Geschäftsführer der hessischen AfD, in seiner Rede vor dem Landtag offen. Unter dem Motto „Wo Licht ist, ist leider auch immer Schatten“ trug er stattdessen diverse Ereignisse vor, die sich ebenfalls am 9. 11. zutrugen: etwa das erste NSDAP-Verbot, der Geburtstag von Björn Engholm oder die Gründung der Caritas. Alles unter dem Motto: „Nur ein geeintes Volk, welches über einen symbolkräftigen Gedenk- und Feiertag verfügt, kann sich neuen Herausforderungen leichter stellen.“

Es ist nur eines von vielen geschichtspolitischen Schlachtfeldern, die die Rechten derzeit eröffnet haben, auf denen sie die Deutungshoheit über Begriffe, Symbolik, Daten und Namen beanspruchen. Wenn die Novemberpogrome nur mehr ein Ereignis unter vielen Feier- und Gedenkanlässen sind, so das Kalkül, muss sich Deutschland mit seiner lästigen Vergangenheit nicht mehr herumschlagen – oder gar Konsequenzen daraus ziehen.

Diese geschichtspolitischen Manöver mögen weniger bedrohlich erscheinen als drastische „Ausländer raus“-Kampagnen – es ist jedoch kein Zufall, dass die Rechten so viel Energie auf sie verwenden. Erste Aufgabe der leider wohl bald aus Steuermitteln geförderten AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung wird ein Geschichtsrevisio­nismus light sein; ein Bild der Vergangenheit, in welchem man wieder unbekümmert stolz darauf sein kann, ein Deutscher zu sein. Teil dieser Strategie sind subtile Umdeutungen von Begriffen wie „Demokratie“, „Pluralismus“ und „Menschenrechten“, die in dieses Narrativ passen. So wird unter Demokratie etwa die Herrschaft des Volks als einer einzelnen ethnischen Gruppe verstanden oder wie von Gauland neulich als Widerstand gegen die vermeintliche „Corona-Diktatur“ stilisiert; unter „Pluralismus“ ein Ethnopluralismus, in welchem die Menschheit wieder nach Herkünften verteilt werden soll. Wenn Konservative einen „Rassismus gegen Weiße“, „Sexismus gegen Männer“ oder gar „Rassismus gegen Polizisten“ feststellen, ein Bundesinnenminister gar „deutschenfeindliche Straftaten“ zählen will, sind sie stets schon dieser Strategie auf dem Leim gegangen.

Auch hier hat sich die Rechte wieder einmal ein Tool emanzipatorischer Bewegungen und marginalisierter Gruppen angeeignet – in diesem Fall das „Reclaimen“, das Wiederaneignen von Begriffen, die ursprünglich zur Abwertung der eigenen Gruppe dienten. Prominentes Beispiel sind die ursprünglich pejorativen Vokabeln „gay“ bzw. „schwul“, die von der Schwulenbewegung affirmativ besetzt wurden. Hier hat die Rechte von Gramsci gelernt – sie streben kulturelle Hegemonie an, verändern den vorpolitischer Raum („Metapolitik“), um die Grenzen des Sagbaren auszuweiten und den eigenen randständigen Diskurs in den Mainstream zu tragen. Die Entwertung des 9. 11. als zentraler Bezugspunkt des Nachkriegsgedenkens gehört dazu.

Quelle         :       TAZ           >>>>>          weiterlesen

Zur gleichen Thematik :

Die Mendel’schen Regeln 4

Die Mendel’schen Regel 3

Die Mendel’schen Regeln 2

Streit ums Jüdische Museum

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Grafikquellen     :

Oben          —       Meron Mendel 2018

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Unten      —      Gedenkstele an Anne Franks Geburtshaus

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Nachruf: Peter Grottian

Erstellt von Redaktion am 2. November 2020

Blackrock-Kritiker
starb vier Wochen nach Blackrock-Tribunal:

Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft – OSI –

Quelle:    Scharf  —  Links

Nachruf von Hannes Sies

Friedrich Merz, Ex-Blackrock-Boss lässt sich in der CDU feiern, andere kritisierten die mächtigste Schattenbank der Welt, doch Prof. Peter Grottian ist jetzt verstummt. Der Politik-Professor und Aktivist Peter Grottian ist tot. Er verstarb am Donnerstag abend in einem Krankenhaus im österreichischen Bregenz in Vorarlberg, jw.

Peter Grottian war bis 2007 rund zwei Jahrzehnte lang Professor am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Er begnügte sich mit einer Teilzeit-Professur, ergänzte wissenschaftliche Forschung um konkretes Engagement (statt sich mit Drittmitteln, „Gutachtertätigkeit“ für Konzerne und ähnlicher Wissenschafts-Korruption die prallen Beamten-Taschen noch weiter vollzustopfen, wie viele seiner Kollegen), sorgte etwa im Jahre 2004 für Schlagzeilen, als er zum Schwarzfahren im öffentlichen Nahverkehr aufrief. So wurde Grottian zu einer „Hassfigur“ (RBB) für konservative Politiker, die wiederholt seine Entlassung aus dem Staatsdienst forderten -vergeblich. Er wurde vom Verfassungsschutz bespitzelt, mehrfach ermittelte die Berliner Polizei gegen ihn, ohne ihm disziplinar- oder strafrechtliche Folgen anhängen zu können.

Auch nach seiner Emeritierung blieb Grottian natürlich politisch aktiv in zahlreichen politischen Initiativen, war Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac-Deutschland. Zuletzt organisierte er mit anderen Aktivisten das (außer von kriecherischen Mainstream-Medien versteht sich) vielbeachtete Blackrock-Tribunal in Berlin. Während der designierte Kanzlerkandidat der Union, der Multimillionär und Privatflieger Friedrich Merz, sich als Deutschland-Boss bei Blackrock eine goldene Nase verdiente, kritisierte Grottian diese mächtigste Schattenbank der Welt. Blackrock spielte eine dubiose Rolle in der Finanzkrise ab 2007 und musste 2020 millionenschwere Bußgelder zahlen, nachdem das Unternehmen gegen Meldebestimmungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) verstoßen hatte. Die asoziale Ausbeutungspolitik von Blackrock wurde auf dem von Grottian mitorganisierten Tribunal ebenso angeprangert wie die rücksichtslose Zerstörung der Umwelt (neuerdings unter einem Greenwashing-Mäntelchen aus der PR-Abteilung), das Ausquetschen von Mietern und Arbeitnehmern, Rüstungsgeschäfte, zwielichtige Intransparenz usw.

„Das Digitale lag ihm nicht“, schreibt Netzpolitik in einem Grottian-Nachruf; Extinction Rebellion und Fridays for Future habe er zuletzt dafür kritisiert, dass sie acht Stunden täglich in ihren „Sozialen Medien“ rumhängen, statt gegen die Herrschenden zu kämpfen. Er habe bis zuletzt handschriftliche Briefe geschrieben und sich in einem Projekt noch 2002 vehement gegen Internetpräsenz ausgesprochen: „Kein Mensch braucht eine Webseite“. Später hatte er doch sein Politblog: https://grottian.wixsite.com/homepage

Doch für Peter Grottian waren stets die menschliche Begegnung, das Schmieden von Bündnissen und die politische Aktion wichtiger.

Vita Prof. Peter Grottian

·         geb. 27.Mai 1942 in Wuppertal, Studium der Sozialwissenschaften in Berlin und Freiburg

·         Promotion in Sozialwissenschaften 1973 an der Universität Bielefeld nach mehrjähriger Forschungsarbeit zur Ministerialbürokratie und Politik der inneren Reformen

·         Seit 1979 Professor an der FU Berlin für Politikwissenschaft: Staats- und Verwaltungsforschung

·         Ab 1985 Teilzeit-Professor, seit 2007 a. D. aber im Unruhestand; Bewegungsunternehmer in Menschenrechts- und Bürgerrechtsorganisationen, Sozialprotesten, Bildungsstreikbewegung, globalisierungskritischen Bewegungen und sozialen Bewegungen gegen Rüstungsexporte

Arbeits- und Tätigkeitsfelder

·         Kampagnen gegen Berufsverbote (1974-1977)

·         Entwicklung eines Teilzeit-Professoren-Modells (gemeinsam mit Wolf-Dieter Narr und Bodo Zeuner) auf 2/3-Basis, das in 150 Varianten realisiert worden ist und zeigt: Führungspositionen sind teilbar.

·         Agenda 2010 – und Alternativstrategien (zus. mit W.-D. Narr/ R. Roth) (2002-2009)

·         Tarifverhandlungsstrategien für mehr Arbeitsplätze und die Rolle der Gewerkschaften

·         Strategien zur Halbierung der Arbeitslosigkeit (Grundeinkommen, selbstorg. Arbeitsplätze etc)

·         Sozialstaatsumbau und die Krise des staatlichen Einnahme- und Ausgabensystems

·         Beschäftigungsstrategien im öffentlichen Dienst und im halböffentlichen, selbstorganisierten Sektor (2000-2014)

·         Grund- und Sozialrechte

·         Zukunftschancen der jungen Generation

·         Dienst- und Besoldungssystem des öffentlichen Dienstes (Beamtenrecht) – Strategien zur Abschaffung des Beamtentums

·         Macht- und Arbeitsteilung der Geschlechter insbesondere Männerlernprozesse

·         Geschlechterdemokratische Arrangements von jungen Paaren (zus. mit P. Döge, K. Kassner, A. Rüling)

·         Der Berliner Bankenskandal und die Organisierung von Bürgerprotesten sowie andere Finanzmarktproteste (2009-2014)

·         Pfade aus der Finanzmarktkrise (Struktur des Bankensystems, Verbot von Finanzprodukten, politische Kontrolle, Aufsicht etc.)

·         Sozial- und Armutsproteste in der Metropole Berlin (Sozial- und Bildungsprotest, Schwarzfahr-Aktionen für ein Recht auf Mobilität, Sozialproteste in den Reichtumszonen, verdeckte Armut), kritische Einordnung der „Tafeln“ als falscher Problemlöser (zus. mit Prof. Selke)

·         Banken-Tribunal im Rahmen von attac-Deutschland (April 2010)

·         Finanz-, Haushalts- und Steuerpolitik (u. a. alternatives Konjunkturprogramm, Modelle zur Abschaffung von Armut und Arbeitslosigkeit), Steuerstaatsmodelle

·         Ziviler Ungehorsam und neuere Sozialproteste Neuere Sozialproteste zu Regelsatzerhöhungen, Belagerung von Arbeitsagenturen, „Zahltage“ vor den Arbeitsagenturen, Problematisierung der Tafeln in der Armuts- und Sozialpolitik, Kampagne gegen Zwangsumzüge

·         Konzepte zur solidarischen Arbeitsumverteilung – Ko-Sprecher der attac-AG ArbeitFairTeilen (gemeinsam mit Prof. Mohssen Massarrat) (2007-2009)

·         Innovationen in der Lehre an den Hochschulen: Evaluierungen in Berufsfeldern (Verbleibsstudien), Evaluierung der Lehre, Projekttutorienprogramme für autonomes Lernen der Studierenden, Berufspraxisprojekte, Ökonomisierung von Hochschulen, Prekariatsprobleme von Lehrbeauftragten

·         Mitwirkung beim Bildungsstreik 2009/2010 mit Aktionen des zivilen Ungehorsams (Deutsche Bank, Hypo Real Estate)

·         Lösungskonzepte für Stuttgart21 (Demokratie-Labor Baden-Württemberg und regionale Formen des zivilen Ungehorsams)

·         Lehrveranstaltungen zu Bildungspolitik, Ziviler Ungehorsam, Demokratie, sozialen Bewegungen in Europa (2009-2015).

·         Mitarbeit in der Initiative „Andere Banken braucht das Land“ zusammen mit Urgewald, Foodwatch, Face of Finance, Kritische Aktionäre, attac (2013)

·         Mitarbeit im Bündnis „Aufschrei – stoppt den Waffenhandel“ sowie der Kampagne „Legt den Leo an die Kette“ mit Aktionen bei der Deutschen Bank, Rheinmetall, Heckler & Koch und Diehl (2009-2014)

·         Dispozins-Kampagne gegen Abzocker-Banken (2014)

·         Konzepte gegen die EU-Jugendarbeitslosigkeit (2014)

·         Warum soziale Bewegungen nicht von der Erosion der repräsentativen Demokratie profitieren (2014)

·         Wie demokratisch sind eigentlich soziale Bewegungen? (2014)

·         Warum Bankkunden die Lämmer des Kapitals sind (2014)

·         Warum die Linke auf die sozialen Bewegungen nur marginalen Einfluss hat (2014)

·         Boykotte gegen den VW-Skandal (2016)

·         attac – ein sinkendes Schiff in den sozialen Bewegungen? (2016)

·         Merkel in der Unentbehrlichkeitsfalle – für eine Begrenzung der Amtszeit (2016)

Publikationen

·         Strukturprobleme staatlicher Planung, 1974. Hrg: Handlungsspielräume der Staatsadministration (m. A. Murswieck) 1974.

·         Politische Folgen reduzierten Wachstums (1980).

·         Ohne Zweifel für den Staat (m. B. Blanke, J. Brückner, G. Frankenberg, H. Holdmann. W.-D. Narr, H. Schmidt) 1982.

·         Großstadt und neue soziale Bewegungen. (m. W. NelIes) 1983.

·         Arbeit schaffen – jetzt! (m. M. Bolle) 1983.

·         D. Wohlfahrtswende (m. F. Krotz, G. Lütke, H. Pfarr) 1988.

·         Die Halbierung der Arbeitslosigkeit 1994.

·         Wozu noch Beamte? (m. H. Dürr, W-D. Narr, H. Mommsen, D.Wunder, H. Simonis) 1996.

·         Sich selbst eine Arbeit geben – Alternativen zur „Repressanda 2010“ 2003.

·         Soziale Menschen- und Grundrechte in Sozialprotesten realisieren (m. R. Roth, W. D. Narr) 2005.

·         Die Trias von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Die Linke – vor einer Dynamisierung? 2007

·         Aufruf an die Studierenden: Verweigert den BA-Abschluss (zusammen mit W. D. Narr) 2008.

·         Vom Verschwinden des zivilen Ungehorsams in neuen sozialen Bewegungen 2008.

·         Div. Publikationen zu einer Strategie für einen erfolgreichen Bildungsstreik 2009/2010 zus. mit Michael Kolain

·         Die Arbeitslosigkeit und die Tafeln gleichzeitig abschaffen! – eine realistisch-unrealistische Utopie, Mai 2010

·         Stuttgart21 scheitert am regionalen Widerstand, in: Lunapark 7/2011 Lösungsmodelle und Befragungen

·         Diverse Veröffentlichungen (u.a. in taz, FR, SZ, Freitag, Graswurzel, Kontext) zum Waffenhandel und Waffenexport nach Saudi-Arabien sowie den Sozialen Bewegungen gegen Waffenhandel (2012-2016)

·         Strategien gegen europäische Jugendarbeitslosigkeit (Freitag Community 2013)

·         Plädoyer für eine andere Merkel-Kritik (Kontext Okt. 2014)

·         Die Mängel der Merkel, in Cicero 1/2015 + FR von 11/2016

Mitgliedschaften/Würdigungen/Auftritte

·         Komitee für Grundrechte und Demokratie (1978-2016)

·         Berliner Sozialforum und AG Soziales Berlin im Berliner Sozialforum (2002-2007)

·         Initiative Berliner Bankenskandal (2002-2007)

·         Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac-Deutschland (2008-2016)

·         Mitinitiator der Kampagne „Legt den Leo an die Kette“ innerhalb des Bündnisses „Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ (2009-2014)

·         Auszeichnung der Rosa-Luxemburg-Stiftung für die Initiative Berliner Bankenskandal (2004)

·         Träger des Ossip-Flechtheim-Preises für zivilen Ungehorsam (2006)

·         Mitinitiator des Bildungsstreiks 2009/2010

·         Mitglied in „Keine Waffen vom Bodensee“ (2015-2016)

·         Auftritte in „3 nach 9“, „Hart aber Fair“, Frontal21, HR, WDR, SWR2, NDR, RBB, Deutschlandfunk

https://grottian.wixsite.com/homepage

https://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/mitarbeiter/prof_dr_petergrottian/index.html

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/

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Grafikquellen   : Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft – OSI –

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Neue Corona-Maßnahmen

Erstellt von Redaktion am 1. November 2020

Viel Kritik, wenig Alternativen

Datei:Bundestagsplenum (Tobias Koch).jpg

Geht es nicht an erster Stelle darum die Verantwortung von den Regierungsschultern auf die Rücken der „Experten“ zu verlagern ?

Von Felix Lee, Anna Lehmann, Malte Kreutzfeldt und Finn Mayer-Kuckuk.

Ob AfD oder FDP, ob Bodo Ramelow oder Ärztefunktionäre: Kritiker der beschlossenen Maßnahmen gibt es reichlich – und Kritik an der Kritik.

Ist es Profilierungssucht? Sind es persönliche Eitelkeiten? Ist es das Prinzip der Oppositionsarbeit? Oder ist die Kritik an den Maßnahmen der Bundesregierung und der Landesregierungen zur Eindämmung der Pandemie berechtigt? Bei der Bewertung der Coronamaßnahmen ist die informierte Öffentlichkeit derzeit verwirrt: Dass die Opposition, allen voran FDP und AfD, gegen die Maßnahmen wettert, ist nachvollziehbar, ist es doch gewissermaßen ihr Job.

Dass Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei als Einziger unter den 16 Länderchefs ausschert, ist einer gesonderten Betrachtung wert. Doch auch prominente Mediziner halten die Schließung von Gastronomie- und Kulturbetrieben für überflüssig und empfehlen stattdessen, „mit dem Virus zu leben“.

Unmittelbar vor der Videokonferenz der Kanzlerin mit den Ministerpräsident*innen lud am Mittwoch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zum Pressegespräch und stellte ein Papier vor: „Wir setzen auf Gebote anstelle von Verboten, auf Eigenverantwortung anstelle von Bevormundung“, lautet ihre Kernthese. Der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen übte dabei scharfe Kritik an der Bundesregierung. „Es ist falsch, nur mit düsterer Miene apokalyptische Bedrohungsszenarien aufzuzeichnen“, sagte er. Und kritisierte etwas, was gar nicht zur Diskussion stand: „Wir können nicht das ganze Land wochen- und monatelang in eine Art künstliches Koma versetzen.“ Ein pauschaler Lockdown sei „weder zielführend noch umsetzbar“, behauptete Gassen. Zudem verwies er darauf, dass nur 5 Prozent der Intensivbetten mit Covid-19-Patient*innen belegt seien.

Wissenschaft und Ärzteschaft

Unterstützt wurde der oberste Funktionär der Kassenärzte dabei von den Virologen Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit. Sie haben das Papier mitverfasst, das außer von der KBV auch von zahlreichen Ärzteverbänden unterzeichnet wurde. Präsentiert wurde es unter dem Titel „Gemeinsame Position von Wissenschaft und Ärzteschaft“.

Was dabei verschwiegen wurde: Relevante Teile der Wissenschaft und der Ärzteschaft sehen die Situation vollkommen anders. Schon am Dienstag hatten die Präsident*innen der sechs großen deutschen Forschungsorganisationen – Deutschen Forschungsgemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft und Leopoldina – genau das Gegenteil gefordert. „Es ist ernst“, warnen sie und fordern, alle Kontakte drei Wochen lang um drei Viertel zu reduzieren.

Auch aus der Ärzteschaft gab es Widerstand gegen die Erklärung der KBV – vor allem von jenen, die direkt mit den schwerkranken Covid-19-Patienten zu tun haben. Uwe Janssens, Präsident der Vereinigung der Deutschen Intensivmediziner, widerspricht entschieden Gassens Einschätzung, dass die Situation auf den Intensivstationen noch entspannt sei. Viel mehr bahne sich eine „Notsituation“ an, in wenigen Wochen drohe eine Überlastung, wenn das starke Wachstum nicht gestoppt werde. Tatsächlich verdoppelt sich die Zahl der Covid-19-Patient*innen in den deutschen Intensivstationen derzeit in weniger als 10 Tagen; aus den 1.400, die KBV-Chef Gassen am Mittwoch genannt hatte, wurde am Freitag schon 1.839. Auch die Aussage, dass ein Lockdown nicht wirke, „kann man so nicht stehen lassen“, erklärte Janssens. Die Vereinigung der Intensivmediziner hat sich der KBV-Stellungnahme darum ausdrücklich nicht angeschlossen.

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Eine scharfe Distanzierung gibt es auch von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin und dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten. Sie waren ohne ihre Zustimmung zunächst als Unterstützer des Papiers aufgeführt worden, weil der Spitzenverband der Fachärzte Deutschland, in dem sie Mitglied sind, dieses unterzeichnet hat. Die Stellungnahme trage „nur zu einer weiteren unnötigen Verunsicherung der Bevölkerung bei“, erklärte der Präsident des Anästhesisten-Verbands, Götz Geldner. Viel stärker als im Frühjahr gehe es jetzt darum, einen Kollaps der gesamten Intensivmedizin in Deutschland und damit sehr viele Todesfälle zu verhindern. Protest kommt auch von einzelnen praktischen Ärzten: „Sie mögen unsere gewählten Standesvertreter sein, aber gegenwärtig sprechen Sie sicherlich nicht repräsentativ für ‚die Ärzteschaft‘ “, heißt es in einem Gegenaufruf des Allgemeinmediziners Rainer Röver aus Überlingen. Statt „realitätsferner Appelle“ brauche es „schnelles und entschlossenes Handeln“.

Laute Kritik im Bundestag

Laute Kritik am Vorgehen der Regierung gab es am Donnerstag im Bundestag. Allen voran die AfD wirft der Bundesregierung vor, die Maßnahmen seien undemokratisch, sie habe „diktatorisch“ entschieden. Drastische Worte ist die Bundesregierung vonseiten der AfD gewohnt. Doch auch die FDP wettert, Volksvertreter im Parlament seien nicht ausreichend eingebunden worden. Die Runde der Ministerpräsidenten mit der Bundesregierung sei kein Verfassungsorgan, doch sie trete immer wieder mit weitreichenden Eingriffen in das Leben der Menschen hervor.

Schon am Donnerstag reagierte Vizekanzler Olaf Scholz auf den Vorwurf eines undemokratischen Vorgehens. „Es hat eine umfangreiche parlamentarische Beteiligung gegeben“, sagte der SPD-Finanzminister. Der Bundestag habe etwa 70-mal über Coronahilfen beraten. Und er hat recht. Grundlage für den Infektionsschutz ist tatsächlich ein mit Mehrheit beschlossenes Bundesgesetz.

Quelle      :         TAZ        >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben      —         Bild aufgenommen während des Wikipedia-Bundestagsprojektes 2014Kabinett Merkel III.

Urheber Tobias Koch

Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland“ lizenziert.

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O.- Brief von Oleg Musyka

Erstellt von Redaktion am 13. Oktober 2020

Offener Brief von Oleg Musyka an Bild-Journalist Julian Röpcke

Quelle        :      Scharf   —   Links

Von Ulrich Heyden, Moskau

Die Bild-Zeitung hat ein neues Opfer gefunden. Der ukrainische Staatsbürger Oleg Musyka, der den Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014 nur mit Glück überlebte, wurde in einem Bild-Enthüllungsartikel von Julian Röpcke am 25. September als „Berliner Aktivist und Kreml-Agent“ beschimpft.

Nun wehrt sich Musyka in einem Offenen Brief an Julian Röpcke. Musyka ist ein seit 2017 in Deutschland anerkannter politischer Flüchtling. Er lebt seit 2014 in Berlin und reist seitdem durch ganz Europa, um über die repressive Politik der ukrainischen Regierung gegen Oppositionelle aufzuklären.

Die Bild-Zeitung hat es offenbar darauf abgesehen, dass die deutschen Behörden Musyka den Status des politischen Flüchtlings entziehen. Als politischer Aktivist in Berlin versuche er „Deutschland zu destabilisieren“, behauptet das Blatt. Bild beruft sich dabei auf Informationen von namentlich nichtgenannten Vertretern „westlicher Geheimdienste“.

Angriffe auf politisch Andersdenkende, Angehörige anderer Völker und Religionen gehören zum Wesen der Bild-Zeitung. Wir erinnern uns: In den 1960er Jahren agierte Bild als Kampfblatt der Reaktionären gegen die Studentenbewegung. Am 11. April 1968 wurde der Studentenführer Rudi Dutschke von Josef Bachmann in Berlin angeschossen. Die Bild-Zeitung hatte mit ihrer Berichterstattung über Dutschke und die Studentenbewegung die Stimmung angeheizt und trug von daher eine Mitschuld an dem Anschlag.

Statt über unverschuldete Armut und die Opfer imperialistischer Kriege schreibt die Bild-Zeitung über „Sozialschmarotzer“, „faule Asylanten“ und während der Finanzkrise in Griechenland 2010 über „faule Griechen“.

Die Bild-Zeitung ist die am meisten gerügte Zeitung Deutschlands. Doch das Blatt trampelt weiter auf der Menschenwürde herum. Seit 1986 bekam Bild wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte und falscher Darstellung 219 Rügen des Presserates.

Die Bild-Zeitung ist eine Schande für die Demokratie. Sie tritt das Grundgesetz mit Füßen. Dort heißt es in Artikel 1, „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, und in Artikel 3, „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Ich habe bereits zwei Artikel zum Fall Bild-Zeitung gegen Oleg Musyka geschrieben. Diesen Artikeln kann man weitere wichtige Informationen zu dem Fall entnehmen:

https://www.heise.de/tp/features/Bild-Zeitung-attackiert-politischen-Fluechtling-aus-der-Ukraine-4913607.html

https://deutsch.rt.com/europa/107239-kreml-agent-politischer-fluchtling-aus/

 Dokumentiert:

 Offener Brief „Oleg Muzyka – Schutz der Ehre und der Würde“

–        Warum schreibe ich diesen Brief? – Weil ich keine andere Möglichkeit sehe, die Redaktion der BILD-Zeitung dazu zu bewegen, auf meine Frage zu antworten, nach dem sie einen Artikel über mich veröffentlich haben “Ist dieser Berliner Aktivist ein Kreml – Agent?”

–          Der Link zum Artikel: htts://www.bild.de/bild-plus/politik/inland/politik-inland/mh17-nawalny-und-hygiene-demos-ist-dieser-berliner-aktivist-ein-kreml-agent-72915664.bild.html

Der Journalist namens Julian Röpcke verfasste den Artikel, veröffentlicht in der online-Version am 25. September 2020.

Das Beste in einer Streitsituation ist, offen auf alle Fragen unter Zeugen (Journalisten) zu antworten. Daher beschloss ich eine Pressekonferenz zu organisieren. Die Zeit für die Organisation war knapp, ich habe einen zeitnahen Termin am 07. Oktober 2020 um 10.00 Uhr gesetzt.

Am 02. Oktober 2020 habe ich erste Einladungen mit Pressrelease versendet. Auf der Liste der eingeladenen Gäste waren Dutzende deutsche Redaktionen, auch die von BILD. Zum zweiten Mal habe ich die Einladungen am 04. Oktober 2020 wiederholt.

Ich habe VIER Tage für die Vorbereitung auf die Pressekonferenz eingeräumt, während der Artikelautor Julian Röpcke mir angeboten hat, innerhalb von 3 Stunden auf seine Fragen zu antworten.

Ich habe gespannt auf die Pressekonferenz gewartet – besonders auf die wichtigsten Gäste, die Vertreter der BILD-Redaktion und den Autor Julian Röpcke. Diese sind aber nicht erschienen, daher musste ich mit ihren leeren Plätzen reden.

Es geht um meine Ehre und Würde, daher kann ich die genannte Veröffentlichung nicht einfach hinnehmen. Ich verlange von dem Verfasser des Artikels, Julian Röpcke, meine Fragen zu beantworten:

1.     Bitte beweisen Sie meine Zusammenarbeit mit russischen Sicherheitsbehörden im Jahre 2014 bei angeblicher Planung der Gründung von „Noworossija“ in Odessa.

2.     Bitte legen Sie Nachweise zu meinen „Kremlbesuchen“ in Moskau vor.

3.     Bitte beweisen Sie Ihre Behauptung, dass die Internationale Plattform „Globale Rechte friedlicher Menschen“ in Kooperation mit dem Medienprojekt „Bonanza Media“ durch den „Kreml“ direkt finanziert wird – wie Sie im BILD behaupten.

4.     Welche deutsche Spezial- / Sicherheitsbehörden hat Julian Röpcke kontaktiert, um über meine Person zu reden?

Von welchen Spezial- / Sicherheitsbehörden „anderer Länder“ erhielt Julian Röpcke die Informationen zu meiner Person?

Die Antworten auf die Fragen von Julian Röpcke, adressiert an mich, sind in meinem Facebook-Profil „Oleg Muzyka“ veröffentlicht, auch die Videokonferenz vom 07. Oktober 2020. Es wird kein Problem sein, diese zu finden, weil der größte Teil des Artikels aus Informationen aus den sozialen Netzwerken kompiliert ist.

Zusammenfassend möchte ich Folgendes formulieren:

1.     Können wir Julian Röpcke als Mitarbeiter / Kooperationspartner ausländischer Spezial- und Sicherheitsdienste betrachten, weil er nach seinen eigenen Behauptungen von diesen Informationen über andere Personen / über mich erhalten kann?

2.     Die Antworten auf meine Fragen an den Autor und an die Redaktion von BILD möchte ich innerhalb von 7 Werktagen erhalten.

3.     Nach Ablauf dieser Frist ohne erforderlichen Belege werde ich verlangen, den Artikel „htts://www.bild.de/bild-plus/politik/inland/politik-inland/mh17-nawalny-und-hygiene-demos-ist-dieser-berliner-aktivist-ein-kreml-agent-72915664.bild.html von der WEB-Site zu entfernen und eine öffentliche Berichtigung zu der Situation und Entschuldigung an meine Adresse zu veröffentlichen.

4.     Ansonsten behalte ich mir vor, meine Ehre und Würde auf dem Rechtsweg zu verteidigen.

Oleg Muzyka, Berlin, 08.10.2020

den Betrieben eine revolutionäre Organisation entsteht.

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Grafikquellen       :  2 –  DL/Redaktion/UP – Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0

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Die Kosten der Coronakrise

Erstellt von Redaktion am 9. Oktober 2020

Wer begleicht die Rechnung?

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Brett vorm Kopf – Faust unterm Kinn so schwimmen dann die Gelder hin.
Politische Schmarotzer haben noch nie für ihre Schäden gehaftet !

von Rudolf Hickel

Die Corona-Pandemie hat einen fundamentalen Paradigmenwechsel in der öffentlichen Haushaltspolitik erzwungen: Über lange Jahre war die Finanzpolitik auf die Begrenzung der Neuverschuldung beim Bund und eine Nullverschuldung bei den Ländern eingeschworen. Doch die sozial und ökonomisch hoch zerstörerische Gewalt der Coronakrise hat gleichsam über Nacht zum sprunghaften Anstieg der zu finanzierenden Staatsaufgaben geführt. Wie aber wurde auf diesen zuvor unvorstellbaren Finanzierungsbedarf der Gebietskörperschaften und sozialen Sicherungssysteme reagiert? Mit dem Mut, Tabus zu brechen – und das zuvor gepflegte Dogma eines Staats ohne Neuverschuldung hinter sich zu lassen.

Zur Finanzierung der vielen milliardenschweren Programme, die für die Bewältigung der Folgen der Coronakrise schnell und wirksam durchgesetzt werden mussten, wurden gigantische Kredite durch den Bund und die Länder auf den Finanzmärkten aufgenommen. Genau das ist in dieser historischen Krisensituation hochgradig rational.

Auch wenn es im ersten Moment überrascht, signalisieren selbst die Finanzmärkte, und insbesondere die großen institutionellen Anleger, Zustimmung, indem sie Staatsschuldtitel in Abwägung zwischen Rendite und Sicherheit als „sicheren Hafen“ weiter präferieren – trotz Minusrenditen etwa bei den zehnjährigen Staatsschuldtiteln.

Die gewaltige Dimension der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Neuverschuldung lässt sich an den beiden Nachtragshaushalten des Bundes vom März und Juni 2020 demonstrieren. Durch neue Schulden in Höhe von insgesamt 217,7 Mrd. Euro geht die Bundesregierung mit sage und schreibe 137,8 Mrd. Euro über die zulässige Grenze hinaus. Das ist der Betrag, der nach der Schuldenbremse in Art. 115 Grundgesetz „binnen eines angemessenen Zeitraums getilgt“ werden muss. Auch die Bundesländer mussten trotz der seit 2020 grundsätzlich verbotenen Kreditaufnahme Haushaltslöcher im Umfang von über 60 Mrd. Euro stopfen.

Der gesamtstaatliche Finanzierungssaldo wird also im laufenden Jahr die Maastricht-Zielgröße für Neuverschuldungen von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um gut vier Prozent überschreiten. Auch die gesamtstaatliche Maastricht-Schuldenstandquote von knapp 60 Prozent im Jahr 2019 dürfte nach vorläufigen Berechnungen der Deutschen Bundesbank Ende des laufenden Jahres mit 75 Prozent des BIP klar überschritten werden. In den Folgejahren wird dann ein leichter Rückgang auf 70 Prozent erwartet.[1]

Rechtlich zulässig ist diese eklatante Abweichung von der normalen Schuldenregel durch die seit 2009 geänderte Finanzverfassung: Art. 109 GG zur „Haushaltswirtschaft in Bund und Ländern“ definiert neben der „Naturkatastrophe“ seither eine weitere Ausnahme, die exakt auf die Coronakrise passt: die „außergewöhnliche Notsituation, die sich der Kontrolle des Staates“ entzieht.[2] Das Konstrukt von 2009 ging allerdings stets davon aus, dass die Folgen des Ausnahmezustandes schnell in die Normalität überführt werden können und damit beherrschbar sind. Demzufolge sieht Art. 115 Absatz 2 Satz 7 GG vor, die durch die Ausnahme gerechtfertigte Zusatzkreditaufnahme „binnen eines angemessenen Zeitraums“ über einen Tilgungsplan zurückzuführen. Angesichts der gigantischen öffentlichen Neuverschuldung, die die Pandemie erzwungen hat, passt der vorgeschriebene kurzfristige Tilgungsplan jedoch nicht auf die Coronakrise, da er eine immense jährliche Belastung der Staatshaushalte zur Folge hätte.

Damit stellt sich die Frage, wie mit der Finanzierung dieses Schuldensprungs künftig umgegangen wird – und wer für die Tilgung samt Zinsen am Ende aufkommt. Als der Gesetzgeber ab 2009 mit der „außergewöhnlichen Notsituation“ eine Ausnahme von der maximalen Neuverschuldung des Bundes und der Nullverschuldung der Länder festschrieb, konnte er in keiner Weise von der fiskalischen Wucht einer solchen Situation wie der Coronakrise ausgehen. Allein schon deshalb ist es legitim, ja erforderlich, alternative Finanzierungsinstrumente zu konzipieren. Ohne diese müsste der Kapitaldienst für die gigantischen Summen aus den laufenden Haushalten finanziert werden. Die wahrscheinliche Folge wären massive Ausgabenkürzungen nach dem Muster der bisherigen Austeritätspolitik, sprich: vor allem Sozialabbau und das Zurückfahren öffentlicher Investitionen.

Trotzdem fordern die Gralshüter der Schuldenbremse in Politik und Wissenschaft einen engstirnig kurzen Tilgungsplan nach dem vorgegebenen Muster des Grundgesetzes. Um diesen auch durchsetzen zu können, wird die bisherige Schuldenbremse ohne jeden Hinweis auf die breite Kritik als Erfolg für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze dargestellt.[3] Dabei haben die letzten Jahre zu einer hoch defizitären Entwicklung der öffentlichen Investitionen geführt. Deshalb muss dringend eine Diskussion über die Frage geführt werden, welche Alternativen zur Finanzierung der Corona-Schulden sinnvoll sind. Denn von dieser Antwort hängt am Ende auch die Akzeptanz der hohen Belastungen für die Menschen ab.

Die Staatsverschuldung neu vermessen

Im Widerspruch zur im Grundgesetz festgeschriebenen zügigen Tilgungsverpflichtung gewinnt in der Finanz- und Wirtschaftswissenschaft mittlerweile die Position an Bedeutung, dass – angesichts der anhaltenden makroökonomischen Konstellation von Null- oder gar Minuszinsen – keine Veranlassung besteht, sich über die hohen Staatsschulden größere Sorgen zu machen. Im Gegenteil könne es geradezu sinnvoll sein, die existierenden Schuldenberge auf lange Zeit hinzunehmen. Pioniere dieser „progressiven Denkschule“ sind die Ökonomen Olivier Blanchard und Lawrence Summers, die diese Kernthesen schon im Oktober 2017 – also lange vor der Corona-Pandemie – auf der Konferenz „Rethinking Macroeconomic Policy“ des „Peterson Institute for International Economics“ präsentiert haben.[4] Auch in Deutschland gewinnt die produktive Rolle der Staatsverschuldung in hochreifen Wachstumsgesellschaften mit sich säkular abschwächender Wirtschaftsdynamik gegenüber der fiskalisch-orthodoxen Denkschule an Bedeutung.

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Für den Verzicht auf eine schnelle Tilgung und den auf mittlere Sicht produktiven Einsatz der Staatsverschuldung sprechen die makroökonomischen Rahmenbedingungen: Die Zinssätze liegen knapp über der Nullzone und die gesamtwirtschaftliche Preisentwicklung bewegt sich wegen unzureichender Nachfrage in der Realwirtschaft mit knapp über null Prozent nicht im Bereich der Inflation. Es droht daher eher eine Deflation, die den ökonomischen Absturz beschleunigen würde. Hinzu kommt eine sich abschwächende Finanzierung von Sachinvestitionen ohne den Einsatz von Krediten. Daher werden mit den Staatskrediten nicht, wie immer wieder behauptet, private Investitionen verdrängt („crowding-out“). Im Gegenteil: Staatliche Ausgaben verstärken die unternehmerische Investitionsbereitschaft sogar noch („crowding-in“). Auch die immer wieder zu hörende Behauptung, mit Schulden werde künftigen Generationen eine schwere Last vererbt, trifft nicht zu. Schulden haben immer dann eine positive intergenerative Wirkung, wenn mit öffentlichen Krediten in eine zukunftsfähige Infrastruktur investiert und eine intakte Umwelt vererbt wird. Aufgrund derartiger Vorteile ist künftigen Generationen eine gerecht verteilte Beteiligung an den Staatsschulden über die Finanzierung des Kapitaldienstes durchaus zumutbar.

Das zentrale Problem stellt dagegen das seit vielen Jahren zu beobachtende sogenannte Übersparen dar:[5] Die Geldvermögensbildung wächst erheblich schneller als die Sachinvestitionen. Dadurch fließen Einkommen aus Wertschöpfung nicht in ausreichendem Ausmaß wieder per Nachfrage in die Wirtschaft zurück. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen konzentriert sich der Reichtum immer stärker bei den Einkommens- und Vermögensstarken, die in den vergangenen Jahrzehnten durch eine aggressive Suche nach rentablen Anlagen bei hoher Risikobereitschaft immer größere Geldvermögen akkumulieren konnten. Zum anderen schöpfen die produzierenden Unternehmen immer weniger ihre Möglichkeiten zur Kreditfinanzierung für produktive Investitionen aus. Seitdem die Finanzmärkte eine immer größere Rolle bei der Vermögensmaximierung spielen, fällt die gesamte Kreditaufnahme geringer aus als die Sachinvestitionen, werden also auch hier gewaltige Finanzierungsüberschüsse gebildet. Anstatt jedoch die Überschüsse der privaten Haushalte und auch der produzierenden Unternehmen durch die Aufnahme von staatlichen Krediten für öffentliche Investitionen zu nutzen, weitete sich das gesamtwirtschaftliche Übersparen sogar noch aus. Dagegen muss der Staat als „Lückenbüßer“ auftreten, der die entsprechende Kreditaufnahme zur Finanzierung der notwendigen Ausgaben übernimmt.

»Übersparen« als zentrales Problem

Diese gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge wurden in den letzten Jahren durch die herrschende Austeritätsideologie systematisch verdrängt. Vor allem der Bund entwickelte sich seit 2015 mit der die Schuldenbremse noch überbietenden Zielsetzung der „schwarzen Null“ selbst zum Überschusssektor, trug also zum Übersparen bei. Anders als in früheren Jahren schöpft der Staat heute nicht mehr die Finanzierungsüberschüsse vor allem der privaten Haushalte ab.[6] Das dadurch noch potenzierte gesamtwirtschaftliche Übersparen – durch die privaten Haushalte, den Staat und die nicht-finanziellen Kapitalgesellschaften – erklärt die sinkenden Zinssätze, die eher deflationäre als inflationäre Lage und schließlich die zur Stagnation neigende wirtschaftliche Wachstumsschwäche.

Dieser Spar-Investitionsfalle lässt sich nur dadurch entrinnen, dass der Staat aus der Rolle des bloßen Sparers aussteigt und die Finanzierungsüberschüsse der privaten Haushalte sowie der produktionswirtschaftlichen Unternehmen abschöpft und so erst wieder ökonomisch und gesellschaftlich produktiv macht. Denn sinnvolle öffentliche Investitionen schaffen neue Aufträge für die Wirtschaft. Die Vorschläge aus der progressiven Denkschule der Finanzwissenschaft zeigen damit, dass die Aufnahme öffentlicher Kredite seriös begründet ist. Dies gilt insbesondere in der Coronakrise, die durch enorme Nachfrage- und Angebotsdefizite geprägt ist. Der makroökonomische Spielraum für staatliche Kreditfinanzierung, so die Schlussfolgerung, wird in dem gegenwärtigen stagnativen Klima jedenfalls über Jahre hinaus groß sein. Eine langanhaltende Verschuldung gefährdet somit nicht, sondern stärkt die Finanzstabilität und das Wirtschaftswachstum.

Offensichtlich genießt diese Schuldenpolitik auch das Vertrauen der Finanzmärkte, wie die anhaltende Präferenz für deutsche Staatsanleihen trotz einer Minusrendite auf den weltweiten Finanzmärkten zeigt. Unlängst bezeichnete sogar der ausgesprochen schuldenrestriktive Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, in einem Interview die zu erwartende Schuldenstandquote von 75 Prozent der Wirtschaftsleistung als zwar sehr hoch, fügte jedoch hinzu: „Aber sie lässt sich weiter stemmen.“[7] Im Monatsbericht vom August 2020 betont die Deutsche Bundesbank: „Steigende Defizite und Schulden sind gerechtfertigt, um der Pandemie und ihren Folgen zu begegnen und dauerhaften wirtschaftlichen Schäden entgegenzuwirken.“[8]

Olaf Scholz und die fatale schwarze Null

Höchst fatal ist dagegen die Ankündigung von Olaf Scholz: „Natürlich muss es unsere Perspektive sein, dass wir ab 2022 wieder Haushalte aufstellen, die den grundgesetzlichen Vorgaben für normale Zeiten entsprechen.“ Aufgrund dieses eklatanten Widerspruchs – auf der einen Seite der gesamtwirtschaftlich erfolgreiche Einsatz der Staatsverschuldung gegen die Coronakrise, auf der anderen Seite der wachsende Druck, diese Verschuldung möglichst schnell durch einen Tilgungsplan zu beenden – wuchert die mit Ängsten besetzte Diskussion über die Frage, wer die Rechnung für den Kapitaldienst der Corona-Schulden eigentlich bezahlen soll.

Denn diejenigen, die eine schnelle Rückkehr zur schwarzen Null und damit die Abwicklung der aufgehäuften Neuschulden verlangen, setzen darauf, die Finanzierung des Kapitaldienstes über die öffentlichen Kernhaushalte durchzusetzen. Dadurch droht die Gefahr des Abbaus staatlicher Ausgaben auch im Bereich der öffentlichen Zukunftsvorsorge, etwa bei der Rentenversicherung, zusammen mit der Anhebung von Massensteuern.

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Hände falten zum Gebet und ein Lied – zwei, drei

Dabei kann die Schuldenfinanzierung bis zum Ende der Coronakrise und damit zu einer noch länger nicht eintretenden Rückkehr zu einer normalen Wirtschafts- und öffentlichen Budgetentwicklung problemlos fortgesetzt werden.[9] Wenn jedoch die am Ende erforderliche Tilgung politisch durchgesetzt wird, geht es um eine gerechte Verteilung der Lasten durch einen gesellschaftlich fairen Ausgleich – mit einem besonderen Beitrag der Einkommensstarken und Vermögenden.

Voraussetzung dieses Lastenausgleichs wäre die Einrichtung eines Corona-Solidarfonds. Haushaltstechnisch bietet dieser den Vorteil, die Corona-Kreditlasten gegenüber der normalen Haushaltsführung abzuschotten. Alle im öffentlichen Sektor aufgenommenen Kredite für Ausgaben und Einnahmeausfälle durch die Coronakrise würden dafür in einem Sondervermögen beim Bund zusammengefasst, angesiedelt etwa bei der „Kreditanstalt für Wiederaufbau“, in das die Länder mit deren Verantwortung für die Kommunen eingebunden wären. Nach einer tilgungsfreien Zeit von drei Jahren könnten über insgesamt 30 Jahre die Zinslasten und die Tilgungsbeträge pro Jahr finanziert werden. Bei der Schätzung des maximalen Gesamtpotentials an Corona-Krediten von bis zu 1900 Mrd. Euro wären pro Jahr allein an Tilgung knapp 63 Mrd. Euro aufzubringen.

Quelle        :          Blätter          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben    —     BSPC 26 in Hamburg: 4.9.2017 Opening

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Tag der politischen Einheit

Erstellt von Redaktion am 3. Oktober 2020

„Freie Presse können die ja gar nicht“

File:Druckerei Neue Zeit Zimmerstraße Berlin 1986.jpg

Das Interview mit Mandy Tröger führte Steffen Grimberg

Wie war die Haltung der Westverlage zum Osten? Warum entstand nach der Wende keine gesamtdeutsche Presselandschaft? Diese Fragen erforscht Mandy Tröger

taz am wochenende: Frau Tröger, nach der Maueröffnung wollte die DDR-Regierung eine freie Medienlandschaft. Also gleiche Bedingungen für alte und neue Titel aus dem Osten und Blätter aus dem Westen. In Ihrem Buch heißt es aber, die Entwürfe für diese neue DDR-Medienordnung „gründeten auf den Interessen und der Logik westdeutscher Verlage“. Was ist da schief gegangen? War es wirklich ein abgekartetes Spiel?

Mandy Tröger: Das zwar nicht, aber eine Art logische Konsequenz. Denn es gab ja den enormen Reformdruck von unten, von den Menschen, die 1989/90 auf die Straße gingen. Da war eine der zentralen Forderungen: freie Presse, Meinungsfreiheit. Dazu gehört natürlich auch, dass alle Westzeitungen haben wollten, an die man vorher kaum herankam. Parallel zu diesen Reforminitiativen im Osten haben früh die westdeutsche Politik und vor allem die westdeutsche Wirtschaft ihre Interessen ausgespielt. Und die DDR-Regierung musste darauf reagieren …

Als der entschieden schwächere Partner …

Es gab schon früh, im Dezember 1989, ein Abkommen zwischen dem neuen DDR-Regierungschef Hans Modrow und BRD-Bundeskanzler Helmut Kohl, in dem ein deutsch-deutscher Presseaustausch beschlossen wurde. Dabei wurden die komplett unterschiedlichen Bedingungen in der DDR und der BRD aber außer Acht gelassen: Hochprofitable Verlage im Westen und eine komplett unterversorgte Presselandschaft im Osten. Mit der Öffnung der Mauer fand da natürlich ein einseitiger Import in den Osten statt, der den Westverlagen in die Hände spielte.

Weil diese die bestehenden Monopolstrukturen und die kriselnde Planwirtschaft zu ihrem Vorteil nutzen konnten: Die neuen Zeitungen im Osten bekamen ja nicht mal genügend Papier zugeteilt.

Das ganze war noch vielschichtiger. Da gab es mindestens drei Dimensionen: Einmal den simplen Import von westdeutschen Titeln in die DDR. Dann die ersten „Zeitungshochzeiten“ lange vor der offiziellen Privatisierung durch die Treuhand. Und die Vertriebsstrukturen: In der DDR hatte die Post das Monopol auf Zeitungszustellung, aber auch was den Verkauf am Kiosk anging. All das hat finanzstarken Verlagen aus der BRD geholfen.

Zumal von einem „Presseaustausch“ keine Rede sein kann. Es haben ja keine DDR-Titel die westdeutschen Zeitungsregale geflutet …

Das war schon Thema bei einer deutsch-deutschen Medientagung am 8. Februar 1990. Da wurde von ostdeutscher Seite klar gesagt, dass das so nicht funktionieren kann und dass man Unterstützung brauche bei Druck oder Werbung. Das Bundesinnenministerium hat auch Hilfe versprochen. Da ist aber nie etwas passiert. Insofern war das von Anfang an illusorisch.

Welche Rolle spielten hier die Großverlage Bauer, Burda, Springer und Gruner + Jahr?

Eine ganz entscheidende. Sie wollten zunächst ein Joint Venture mit der DDR-Post für den Zeitungsvertrieb aufbauen. Das ist ironischerweise am Widerstand mittelständischer Verleger aus dem Westen gescheitert, die für ihre Blätter Nachteile befürchteten. Daraufhin haben die vier Verlage ihr eigenes Ding gemacht und ihre Blätter ab Anfang März 1990 über Bäckereien und Geschäfte verkauft. Das war in der DDR eine rechtliche Grauzone, gemessen an der Gesetzeslage im Westen war es aber illegal. Denn es handelte sich vor allem um einen Exklusivvertrieb für westliche Titel, während die alten und neuen Titel aus der DDR bis zuletzt hauptsächlich am maroden Postzeitungsvertrieb hingen.

Welche Folgen hatte das?

Das Bundeskartellamt hat nach der Vereinigung geurteilt, dass das marktschädigend war und dieses Verlagskartell zerschlagen. Da war das Kind aber schon im Brunnen. Vor allem die neu gegründeten Blätter steckten in solchen finanziellen Schwierigkeiten, dass sie sich davon nicht mehr erholen konnten. Von den 1990 rund 120 neu gegründeten Titeln waren schon Ende 1992 keine 50 mehr übrig. Überlebt haben bis heute fast keine.

Welche Rolle spielte hier das Bundesinnenministerium? Der Bund ist und war ja gar nicht für Medien- oder Pressepolitik zuständig.

Das BMI hat sich nach außen immer rausgehalten und gesagt: „Was Westverlage in der DDR machen, da haben wir keinen Einfluss drauf.“ Aber natürlich gab es klare Interessen mit Blick auf die ersten freien Volkskammerwahlen im März 1990. Das BMI hat schon im Februar 1990 Gespräche mit den BRD-Verlegerverbänden geführt, um früh Westpresse in den Osten zu kriegen. Das hatte natürlich mit parteipolitischen Interessen aus der BRD zu tun. Mit den Ostverlagen haben die nie gesprochen.

Das heißt: Alles, was der DDR-Medienminister Müller oder der „runde Tisch“ an Veränderungen wollte, war von vornherein illusorisch?

Medienminister Müller hat das damals schon sehr gut verstanden und in seinem Ministertagebuch festgehalten. Er hat zum Beispiel klar gesehen, was passiert, wenn die starken SED-Bezirkszeitungen mit großen Westverlagen zusammengehen. Schnell wurde auch klar, dass der Westen das geplante umfassende Mediengesetz nicht wollte. Da sollte es um Dinge wie „innere Pressefreiheit“ gehen, was für die Verleger ja bis heute ein rotes Tuch ist. Alles, was aus der Diktaturerfahrung der DDR absolut Sinn machte, wie man Medien und Journalismus neu denken muss, fiel durchs Raster. Ziel der BRD war es, die Westverhältnisse und -strukturen nicht durch neue Konzepte zu gefährden. Das Westsystem sollte vielmehr eins zu eins im Osten übernommen werden – so kam es dann ja auch, bis hin zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Was waren denn die absurdesten Auswüchse?

Quelle        :         TAZ        >>>>>       weiterlesen

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Grafikquelle       :       Druckerei der „Neuen Zeit“ (Union-Verlag), gelegen an der Berliner Mauer in der Zimmerstraße in Berlin 1986.

Lizenz Beschreibung Creative Commons (CC BY-NC-SA 2.0)

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Rechte Anschlagserie Berlin

Erstellt von Redaktion am 2. Oktober 2020

Polizei und ZITiS
können Geräte von Verdächtigen nicht entschlüsseln

Berlin-Tempelhof Polizeipraesidium 05-2014.jpg

Quelle:     Netzpolitik ORG.

Von  Matthias Monroyin Überwachung

Die Berliner Polizei scheitert daran, Handy und Laptop eines Neonazis zu knacken. Das geht aus dem Abschlussbericht der Ermittlungsgruppe zu Brandstiftungen und Sprühereien im Bezirk Neukölln hervor. Auch Bundesbehörden und Firmen haben sich an den Geräten die Zähne ausgebissen.

Die Aufklärung einer rechten Anschlagsserie in Berlin wird durch die Verschlüsselung von Geräten, die von der Polizei bei Verdächtigen beschlagnahmt wurden, deutlich erschwert. So steht es im Abschlussbericht der Ermittlungsgruppe „Fokus“. Demnach hat die Polizei mehrere behördliche und private Stellen um Hilfe bei der Entschlüsselung gebeten, jedes Mal erfolglos.

Der eingestufte Bericht hat 72 Seiten, in einer viel kürzeren offenen Version fehlen die Ausführungen zur digitalen Forensik. Dort heißt es lediglich in einer Fußnote, es werde „weiterhin an der Dekryptierung zweier verschlüsselter Datenträger eines Tatverdächtigen gearbeitet“.

Seit mehreren Jahren werden linke Aktivisten und Projekte im Berliner Stadtteil Neukölln mit Brandstiftungen und Sprühereien heimgesucht, verdächtigt werden drei polizeilich bekannte Mitglieder der rechten Szene. Weil die Polizei nur schleppend ermittelte, hatte Innensenator Andreas Geisel (SPD) vor über einem Jahr die Ermittlungsgruppe „Fokus“ eingesetzt. „Unabhängige“ BeamtInnen sollten darin die bisherige Arbeit ihrer KollegInnen überprüfen. Neue Beweise gegen die drei Hauptverdächtigen Sebastian T., Tilo P. und Julian B. gibt es nach Ende der neuen Untersuchung jedoch nicht.

Geräte fast ein Jahr beim BKA

Im Rahmen einer Durchsuchung bei Sebastian T. hatte die Polizei vor zwei Jahren ein Handy und einen Laptop beschlagnahmt. Das Telefon der Marke Haier war mit einer Boot-Pin gesichert, Angaben zur Art der Verschlüsselung des Samsung-Rechners sind im eingestuften Bericht geschwärzt.

Zuerst hatte sich das Berliner Landeskriminalamt an der Entschlüsselung versucht. Zuständig ist das auf Mobilfunkforensik spezialisierte Dezernat 71 „Forensische Informations- und Kommunikationstechnik“, das digitale Spuren sichert, untersucht und bewertet.

Nachdem die Abteilung „trotz Einsatz der größten Leistungsreserven für Passwortberechnungen“ erfolglos blieb, schickten die ErmittlerInnen die Geräte im Mai 2018 mit der Bitte um Unterstützung an das Bundeskriminalamt. Hierzu hatte das LKA mit der Staatsanwaltschaft eine Frist für den „Entschlüsselungsversuch“ abgestimmt, die im März 2019 endete. Dann gab auch das BKA die Geräte unverrichteter Dinge zurück.

Anschließend wurden Telefon und Laptop einer „auf Entschlüsselung spezialisierten Firma“ übergeben, deren Name ebenfalls geschwärzt ist. Es handelt sich dabei vermutlich nicht um einen Dienstleister, sondern einen Hersteller entsprechender Technik. Denn im Text heißt es weiter, dass „Softwarelösungen“ dieser Firma auch bei anderen Stellen zum Einsatz kommen. Nur wenige Wochen später musste diese aber auch dem LKA mitteilen, „diese Art der Kryptierung nicht entschlüsseln zu können“.

Welcher Hersteller sich an den Geräten versuchte ist unklar, der wohl bekannteste Anbieter in diesem Bereich ist die israelische Firma Cellebrite, die Anwendungen zur digitalen Forensik auch an viele deutsche Polizeibehörden verkauft.

Wörterbuchdatei für Brute-Force-Angriff

Abermals wandten sich die ErmittlerInnen an eine Bundesbehörde. In Berlin war „dienstlich bekannt“, dass die beim Bundesinnenministerium angesiedelte Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) „über neueste und leistungsstarke Technik“ zum Brechen von Verschlüsselung verfügt.

Im Juni 2019 haben die Berliner BeamtInnen das Handy deshalb im Original an die ZITiS in München übergeben. Die Daten des Laptops wurden bereits Ende Mai, also während der noch laufenden Untersuchung durch die Entschlüsselungsfirma, als Hashwerte an die ZITiS digital übermittelt.

Der Bericht der Ermittlungsgruppe beschreibt, wie die Geräte mit einem Brute-Force-Angriff entschlüsselt werden sollten, also dem massenhaften Ausprobieren von Passwörtern. Zunächst hatte ZITiS versucht, die Firmware mittels Reverse Engineering zu analysieren.

Für die Angriffe mit einem Hochleistungsrechner hat das LKA eine „Wörterbuchdatei“ mit möglichen Bestandteilen der Passwörter erstellt und an die ZITiS geschickt. Sie basiert auf unverschlüsselten, beschlagnahmten Asservaten des Verdächtigen T., darunter drei Mobiltelefone, SIM-Karten, diverse Speichermedien und Festplatten sowie weitere Geräte. Nach einer späteren Durchsuchung kamen ein weiteres Mobiltelefon und eine CD hinzu.

Sechs Tage für vier Buchstaben

Im Oktober meldete die Hackerbehörde schließlich für das Telefon des Verdächtigen einen „Teilerfolg“: So sei es gelungen, eine versuchsweise installierte Kryptierung „gleicher Art“ mit einem Passwort aus vier Buchstaben zu überwinden. Hierfür soll der Rechner dem Bericht zufolge allerdings sechs Tage gebraucht haben. Die Passwörter für das Handy und den Laptop müssen komplexer gewesen sein, denn ein halbes Jahr später, im April 2020, stellte die ZITiS ihre Anstrengungen ein. Eine Dekryptierung sei „in absehbarer Zeit […] sehr unwahrscheinlich“.

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Woher weiß ein Uniformierter denn wer Mensch ist ?

Beim LKA hatte man* inzwischen von der gerade eingerichteten „Entschlüsselungsplattform“ bei der EU-Polizeiagentur Europol gehört. Die Abteilung ist auf die Entschlüsselung von Geräten spezialisiert und will dafür ebenfalls Supercomputer nutzen. Eine dort erfolgte „Unterstützungsanfrage“ des Dezernats 71 wurde jedoch abschlägig beantwortet, Europol verfügt demnach über weniger technische Ressourcen als die ZITiS.

Die Berliner ErmittlerInnen wollen jedoch nicht aufgeben. In Absprache mit der Staatsanwaltschaft nahm das LKA Kontakt zu einer im Bericht geschwärzten Stelle auf, bei der es sich um eine Behörde handeln dürfte. Denkbar ist, dass diese im Ausland liegt.

Zu den Spezialisten beim Knacken verschlüsselter Mobiltelefone gehört beispielsweise das FBI, das auch schon bei ausländischen Mordermittlungen um Unterstützung gefragt wurde. Nicht ausgeschlossen also, dass die Berliner Polizei irgendwann doch noch weitere Beweise erhält, um die Neonazis in Berlin-Neukölln vor Gericht zu bringen.

Lizenz: Die von uns verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

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Grafikquellen      :

Oben        —        The building of the police headquarters, Berlin, Germany

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Unten    —      Mordkommission Berlin

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Radikale Linke

Erstellt von Redaktion am 29. September 2020

 ich trinke noch ein Bier mit dir!

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Quelle      :    untergrundblättle ch.

Von Jens Störfried

Selbstorganisation und Selbstbestimmung. Eine Reflektion über Theoriefeindlichkeit, mangelnde Selbstreflexion und die Verwirklichung von sozialer Freiheit.

Nach vielen Jahren, in denen ich mich als Anarchist definiere und mit zahlreichen irgendwie-linken und gelegentlich auch linksradikalen Leuten zu tun hatte, weil wir Werte und Vorstellungen teilen, bin ich heute erstaunt, dass ich immer noch überzeugt bin, dass zwischen den verschiedenen Strömungen Verständigung möglich sein muss. Dass ich dies annehme, liegt sicherlich auch daran, dass viele anarchistischen Menschen wie selbstverständlich im radikalen Flügel sozialer Bewegungen teilnehmen und der Anarchismus auch gemeinhin als linksradikale Strömung angesehen wird. Tatsächlich ist dies mit etwas Abstand betrachtet absurd. Unter dem Label „linksradikal“ werden alte und neue Staatskommunist*innen, bis hin zu Stalinist*innen, die Autonomen, Teile der Linkspartei und sogenannte Bewegungslinke verstanden.

 Es wird auch genutzt, um verschiedene Gruppen, NGOs und Initiativen zu stigmatisieren und aus dem demokratischen Käfig auszusperren. Gleichzeitig wähnen sich einige Alternative, Studies, Zecken, Hipster oder einzelne Politiker*innen „linksradikal“ zu sein. Sie zehren vom radical chic, bauen sich an historischen und medial produzierten Mythen auf und sprechen jugendlichen Tatendrang an. Dass sich viele Anarchist*innen in derartigen Kreisen wiederfinden, ist daher kein Zufall.

 Erfreulicherweise sind durch die Desillusionierung durch den Staatssozialismus, die Erfolge von sozialen Bewegungen und ihren Praktiken, die Geschichte der Autonomen und emanzipatorische Bildungsarbeit, autoritäre Positionen in diesen Zusammenhängen weitgehend diskreditiert und gezwungen, sich zu rechtfertigen.

 Treten hingegen ausgewiesene Anarchist*innen auf, die nicht nur das (A) auf dem Patch an der Punkerkluft oder als Button an der Mütze tragen, sondern sich ins Gespräch einbringen, führt dies komischerweise oftmals zu Irritation in der mehr oder weniger radikalen linken Blase. Und einen Bruch mit Gewohnheiten, Abläufen und vermeintlich gesetzten Ansichten mag erst mal niemand. Schnell wird dann der Vorwurf laut, Anarchist*innen hätten keine komplexen Theorien aufzuweisen mit denen sie die gesellschaftlichen Verhältnisse erfassen und danach ihre Strategie ausrichten könnten.

 Ja, Anarchist*innen haben keine Akade-Macker wie insbesondere ausgewiesene Marxist*innen. Dennoch gibt es eigene anarchistische Theorien, eigenständige Weisen, anarchistisch zu denken und Dinge zu begreifen. Es wäre gut, wenn sich Anarchist*innen über ihre eigene Theorie bewusst werden und sie gemeinsam weiter entwickeln würden. Das hat erst mal nichts, mit einer wissenschaftlichen Karriereleiter zu tun, sondern kann fern ab von Unis geschehen.

 Durch ihre Theoriefeindlichkeit, die sie falscherweise mit einem Hass auf jegliche Institutionen begründen, verspielen sich manche Anarchist*innen ernst genommen und selbst zu relevanten und selbstbestimmten Akteur*innen zu werden. Mangelnde Selbstreflexion, Geschichtsvergessenheit und die geringe Bereitschaft zur produktiven Auseinandersetzung, kompensieren sie mit romantischem Kitsch, der problematischen Feier ihrer (meist post-bürgerlichen) Subjektivität, einer Fetischisierung von sich „echt“ anfühlenden „Taten“ und zur Schau gestellten rebellischen Phrasen.

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 Kein Wunder also, dass ihre linksradikalen Freund*innen sich in ihren Vorurteilen gegenüber dem Anarchismus bestätigt fühlen. Das hält jene jedoch nicht davon ab, bereitwillig Elemente anarchistischer Theorie und den rebellischen Habitus zu übernehmen und in ihre – meist kommunistischen – Theorien und Positionen zu integrieren. Dies führt zur merkwürdigen Konstellation, das zahlreiche Denkfiguren, Stile und Praktiken, die aus dem Anarchismus kommen, in den irgendwie-linken und linksradikalen Szenen heute in Form von Rudimenten weit verbreitet sind, sich Anarchismus im selben Zuge aber (im deutschsprachigen Raum) kaum als eigenständiges Projekt etablieren kann.

 Anarchist*innen teilen mit anderen Sozialist*innen in der Regel die gleichen Werte, auch wenn die Vorstellungen, wie diese umgesetzt und gelebt werden sollten oder können, oft auseinander gehen. Wer nur idealistisch denken kann, meint, hierbei handelt es sich um eine Frage unterschiedlicher „Ideen“, die tatsächlich jedoch nur eine Oberflächenerscheinung darstellen. Ich merke immer wieder, dass ich viel mit Linksradikalen gemeinsam habe.

 Umso mehr verstört mich jedoch, dass wir aus unseren geteilten Werten, Wissen und Geschichten, oftmals so verschiedene Schlussfolgerungen ziehen. Dies hat etwas mit dem Selbstverständnis, ja, mit dem eigenen Verhältnis zu Gesellschaft und Politik zu tun. Anarchist*innen verstehen sich eben nicht als außerparlamentarische Opposition. Sie setzen auf eine freiwillige und dezentrale Selbstorganisation von unten und betonen dabei die Autonomie der Akteur*innen. Um zu diesem Standpunkt zu kommen, bedeutet es, die Erfahrung gemacht zu haben, wie es ist, sich außerhalb dieses Systems und seinen Logiken zu befinden – und diese Position als Ausgangspunkt für die eigene Kritik und Praxis innerhalb der Gesellschaft zu nehmen, von welcher wir immer Teil sind.

 Hierbei scheiden sich die Geister. Radikale Linke können oft schwer nachvollziehen, wie es ist, über radikal anmutende Phrasen hinaus, sich von Staat und Herrschaft im Allgemeinen los zu sagen; ihnen eine Absage zu erteilen. Auch als radikale Linke beziehen sie sich immer noch zu stark, auf die vorhandenen politischen Institutionen, Denkweisen und Praktiken, statt sich wirklich selbst zu organisieren und selbst zu bestimmen.

 Eine ‚gerechte‘ Gesellschaftsordnung kann es nicht geben. Aber eine andere, deutlich bessere: Ein föderatives Netzwerk dezentraler autonomer Kommunen, in welchem sich die in ihnen Assoziierten freiwillig und horizontal organisieren. „Jegliche Ordnung abzulehnen“ ist nichts weiter als ein pubertärer Affekt, dem auch viele Linksradikale erliegen, welche nach marxistischen oder nihilistischen – also post-bürgerlichen – Dogmen glauben, Negation sei alles. Sicherlich brauchen wir keine „revolutionäre Masse“. Aber wir können uns hier und jetzt sozial-revolutionär orientieren und formieren, uns darin selbst ernst nehmen, Verantwortung übernehmen und für emanzipatorische Bestrebungen kämpfen.

 Insofern war und ist der Anarchismus Teil der pluralen sozialistischen Bewegung. In dieser gibt es zahlreiche Widersprüche und auch Differenzen. „Links-sein“ ist kein Kriterium für irgendetwas. „Anarchist*in-sein“, aber ebenso wenig. Es kommt darauf an, was die Menschen tun und wie sie es tun.

 Klar, mensch kann behaupten, konsequent Staat und Herrschaft abzulehnen. Ohne eine fundierte Gesellschaftskritik ist dies jedoch nur eine leere linksradikale Hülle, welche nicht mit Inhalt gefüllt ist. Antiautoritäre Kommunist*innen sind teilweise ehrlicher darin, ihre großspurigen Ansprüche herunter zu schrauben, eben damit sie aufs Ganze zielen können. Damit handeln sie sich jedoch den hausgemachten Widerspruch zwischen „revolutionärer“ und „reformerischer“ Orientierung ein.

 Anarchist*innen streben an, diesen aufzulösen, weil aus Perspektive der Selbstorganisation und Selbstbestimmung kein Gegensatz zwischen beiden bestehen muss, wenn präfigurative Politik betrieben wird. Das bedeutet, dass Mittel und Ziele immer wieder aufeinander abgestimmt werden und eine pragmatische alltägliche Praxis mit der großen Sehnsucht nach Anarchie verbunden wird. Diese Besonderheit können sie in die Diversität der pluralen radikalen Linken einbringen.

 Dennoch muss Anarchismus nichts zwangsläufig und um jeden Preis Teil der radikalen Linken sein. Wichtig ist, dass sich Anarchist*innen selbst bestimmen – genauso wie andere Strömungen und von Unterdrückung, Ausbeutung und Entfremdung betroffene soziale Gruppen und Klassen. Wenn mensch sich als feindlich gegenüber dem Staat betrachtet, ist es entscheidend, diesen als Herrschaftsverhältnis zu begreifen. Sich diesem zu verweigern, bedeutet, die Gesellschaft aufzuheben, welche durch Herrschaft geformt ist und durch die sie aufrechterhalten wird.

 Dies kann per se nicht durch rein individuelle Akte erfolgen, auch wenn die subjektive Distanzierung ein Ausgangspunkt für Selbstbestimmung ist und in ihren Effekten nicht unterschätzt werden darf. Dies ist auch eine Voraussetzung, um eine wirklich konfrontative Haltung einzunehmen und autonome Herangehensweise zu entfalten. Das bedeutet, sich nicht zuerst an dem zu orientieren, welche Rahmenbedingungen der Staat vorgibt, wie mensch angeblich Politik zu machen hat, was vermittelbar oder aus der Analyse heraus angeblich strategisch richtig ist.

 Es bedeutet, sich in autonomen Gruppen selbst zu bestimmen, anstatt in eine Partei zu gehen oder an ihrem Rand mit zu schwimmen. Es heißt, den eigenen ethischen Ansprüchen gerecht zu werden, sich egalitär zu organisieren, das eigene Leben mit der autonomen (Anti)Politik zu verbinden und direkte Aktionen hervorzubringen. Entscheidend hierbei ist jedoch, sich auf andere zu beziehen, die ähnliches tun.

 Der Kampf um die Verwirklichung von sozialer Freiheit hat ganz konkrete Auswirkungen auf die Lebensbedingungen von Menschen, welche sich als kämpfende Subjekte ihre Würde zurück erobern. Wenn die unterschiedlichen Kampffelder und Gruppierungen aufeinander bezogen und aus ihren Erfahrungen heraus gemeinsame Visionen entwickelt werden, entsteht so auch die konkrete Utopie einer neuen Gesellschaftsordnung. Sie sich auszumalen, wäre idealistische Wolkenschieberei oder potenziell totalitäre Weltverbesserungsideologie.

 Sie abzulehnen ist ein antiautoritärer Reflex, der vom negativen, also liberalen, Freiheitsverständnis ausgeht und in seinem Glauben an eine „absolute Kompromisslosigkeit“ gegenüber „jeder Ordnung und Moral“ letztendlich bloß die Isoliertheit und den Fatalismus bürgerlicher Individuen widerspiegelt.

 Mit der konkreten Utopie einer horizontalen, dezentralen, freiwilligen Gesellschaftsordnung im Sinn und Herzen, konfrontieren Anarchist*innen radikale Linke mit deren eigenen Ansprüchen. Sie sind tatsächlich davon überzeugt, dass die herrschaftsfreie Gesellschaft wünschenswert und möglich ist und sehen sie sogar überall beginnen – wenn auch meistens ganz klein, widersprüchlich und gebrochen.

 Dies ist es, was viele radikale Linke nicht kapieren, weil sie ihre Gesellschaftsutopie einer heilen, harmonischen Welt auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben und nie reife Bedingungen für ihr Anbrechen sehen können. Die radikale Ablehnung von Herrschaft erschrickt Linksradikale gelegentlich, die meinen: So war es dann doch nicht gemeint! Was ist denn euer Gesamtkonzept? Oder: Aber wer soll denn die Führung übernehmen?

 Wie erwähnt war und ist der Anarchismus, neben Kommunismus und Sozialdemokratie, eine Hauptströmung der sozialistischen Bewegung. Von den ethischen Werten her gibt es einen gemeinsamen Nenner, in der Realität gehen die Ansichten jedoch weit auseinander. Wir sollten das Gemeinsame suchen, doch wir werden es nicht immer finden.

 Es ist wertvoll und sinnvoll, wenn verschiedene Strömungen, Gruppen und Personen, sich selbst verorten und definieren, ohne sich deswegen an Identitäten zu klammern. Anstatt sich in Abgrenzung zu anderen zu definieren – was eine wesentlicher Grund für die unsägliche Form von „Kritik“ in linksradikalen Szenen ist – können sie sich von sich selbst ausgehend bestimmen. Was den Kommunismus angeht, gibt es wesentliche Vorstellungen, die Anarchist*innen mit diesem teilen.

 Sie verstehen ihn jedoch nicht als Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, welche eingeführt werden könnte, sondern als gelebte Praktiken der kollektiven Selbstverwaltung, der bedürfnisorientierten Produktion und Verteilung von Gütern, die wir alle brauchen. Die Selbstbestimmung und -entfaltung aller einzelnen Menschen ist dabei das große Ziel aller Anarchist*innen. Dies soll nicht an einem fernen Tag, sondern bereits heute geschehen. Wie es erreicht und umgesetzt werden kann, dazu gibt es wiederum verschiedene Ansichten. Wie sollte es auch anders sein, wenn unterschiedliche Menschen zusammen kommen?

 Wer sich durch jede Gruppe und selbstgesetzte Regel eingeschränkt fühlt; jede freiwillig, auf Zeit und nach Kompetenz übertragene Autorität krampfhaft ablehnt und dann noch glaubt, selbst „ideologiefrei“ zu sein, hat die Grundbedingungen der Gesellschaft und Herrschaftsordnung in der wir leben, nicht begriffen und will keinen Weg zur Emanzipation von ihr aufzeigen. Ich weiß, das klingt arrogant. Es ist aber auch wichtig auszusprechen, dass Individualismus und Nihilismus allein in eine Sackgasse führen.

 Umherschweifende Einzelgänger*innen sind Teil des Problem und nicht dessen Lösung. Konsequenterweise bekämpfen sie die Gesellschaft, welche sie hervorgebracht hat, und streben somit ihrer Selbstabschaffung entgegen. Diese privilegierte Haltung muss mensch sich aber erst mal leisten können. Für die meisten von Ausbeutung, Unterdrückung und Entfremdung betroffenen Menschen steht hingehen aus Notwendigkeit die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen an, welche konsequent gedacht – also: für alle -, nur durch die Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung erfolgen kann.

 Dies bedeutet nicht, von einer Masse auszugehen, weder, sie zu konstruieren noch sie zu adressieren. Unterschiedliche Menschen in verschiedenen sozialen Gruppen und Klassen können sich jedoch aufeinander beziehen und gemeinsam für radikale, umfassende und anhaltende Veränderungen kämpfen. Anarchistische Gruppen können sich dahingehend (potenziell) sehr wichtige Aufgaben suchen, indem sie direkte Aktionen ausüben, Skills verbreiten, Geschichten aufschreiben, Bildung und Erfahrungen vermitteln, verschiedene Gruppen in Dialoge verstricken, produktive Streits beginnen und gemeinsame Diskussionen um Strategien und Visionen entwickeln.

 Ob sich Anarchist*innen hierbei als Teil „der“ radikalen Linken verstehen, die als vermeintlich einheitliches Subjekt ja ohnehin eine Fiktion und ein Konstrukt ist, spielt dabei weniger eine Rolle. Vermutlich werden sie jedoch mit ihren Ansätzen und Praktiken immer wieder auf verschiedene Linksradikale treffen und auch mit ihnen zusammen arbeiten.

 Dabei sind verständlicherweise auch klare Striche zu ziehen. Mit Stalinist*innen, Maoist*innen oder antisemitischen Linken können sie keine gemeinsame Basis schaffen. Doch auch darüber hinaus gilt es für Anarchist*innen ihr eigenes Projekt neu und von sich ausgehend zu bestimmen. Weg mit dem Einheitsfrontgeschwafel der autoritären Linken, denn es war immer eine Lüge und führt zu nichts! Bitte, bitte, hört endlich auf mit dem Wir-sind-doch-alle-Linke-Irrsinn, wie ihn Bewegungslinke propagieren.

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 Ihr Parteilinken, langweilt uns nicht mit der alten Moralkeule, wir wären für den Aufstieg der Rechten verantwortlich. Vergesst es, ihr linken Strateg*innen könnt uns Anarchist*innen nicht in eure ach so klugen Mosaik-Fantasien einbauen und ihr linken Theoretiker*innen braucht uns verdammt noch mal nicht die Welt zu erklären und was wir darin eigentlich tun und lassen (müssten).

 Deswegen werden Anarchist*innen auch fortwährend nervende Quälgeister gegen alle angemaßte Autorität und Führung bleiben – sei es linksradikalen oder anderen Zusammenhängen. Anarchist*innen haben ihre eigenen Traditionen, Geschichten, Erfahrungen, Denkweisen, Praktiken und Netzwerke. Sie mögen sich mit verschiedenen linksradikalen Menschen und Gruppen überschneiden oder nicht. Ob das als gut oder schlecht angesehen wird, hängt von den jeweiligen Schnittpunkten ab und ob die Leute sich lediglich an ihren Identitäten ergötzen oder selbstbewusst Positionen beziehen.

 Deswegen nehme ich ein ambivalentes Verhältnis zwischen Anarchist*innen und der antiautoritären radikalen Linken wahr. Mögen sie sich selbst bestimmen und immer zusammen tätig sein, wo es sinnvoll und praktikabel ist!

Eine Persiflage auf: „Radikale Linke, ich trenne mich von dir!“

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Grafikquelle     :

Oben       —        Wikipedia-Stammtisch 02-06-05

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Rede von Volker Lösch

Erstellt von Redaktion am 28. September 2020

werhatdergibt – Demo, Berlin, Adenauerplatz, 19.9.20

Berlin - Adenauerplatz (Adenauer Square) - geo.hlipp.de - 32882.jpg

Quelle     :       AKL

Liebe Mitstreiter*innen, vor 10 Jahren habe ich am Schauspielhaus Hamburg das Stück „Marat/Sade“ von Peter Weiss inszeniert. 20 HartzIV-Empfänger*innen erzählten darin aus ihrem Alltag. Am Ende skandierte die Gruppe der Armen chorisch einen Weiss-Text, der durchsetzt war mit Namen und Vermögen der reichsten Hamburger*innen – abgeschrieben aus dem „Manager-Magazin-Spezial“. Das löste einen Theaterskandal aus. Die Senatorin von Hamburg versuchte, meine Inszenierung zu verbieten, und einige Reiche erließen einstweilige Verfügungen gegen ihre Namensnennung. Ohne es zu wissen, hatten wir an ein Tabu gerührt. Über Armut darf man reden, über Reichtum hat man zu schweigen. Aber wir schweigen hier und heute nicht! Wir reden über Reichtum. Und wir haben Forderungen. Reichtum darf nicht länger unangetastet bleiben. Reichtum muss umverteilt werden!

Das Manager-Magazin veröffentlicht immer noch seine Reichen-Liste. Rund 1,35 Millionen Menschen in Deutschland besitzen ein Vermögen von einer Million Euro oder mehr. Damit hat sich die Zahl der Millionäre in den vergangenen zwei Jahrzehnten verdoppelt. Die reichsten zehn Prozent der Deutschen horten zwei Drittel des Vermögens, 45 superreiche Haushalte besitzen genauso viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Die teilt sich lediglich 1,4 Prozent des Gesamtvermögens. Es herrscht eine obszöne und skandalöse Ungleichheit in diesem Land. Weltweit betrachtet gehören dem reichsten ein Prozent der Weltbevölkerung 45 Prozent des globalen Vermögens, der ärmeren Hälfte der Menschheit nicht mal 1 Prozent. 2.000 Superreiche haben also gemeinsam mehr Vermögen als 4,5 Milliarden Menschen!

Liebe Demonstrierende, der Wiederanstieg sozio-ökonomischer Ungleichheiten seit den 1980er Jahren zählt zu den beunruhigendsten und destruktivsten strukturellen Veränderungen, mit denen die Welt heute konfrontiert ist. Der Siegeszug neoliberaler Ideologien attackiert die bestehenden Sozialsysteme, Vermögenssteuern wurden gesenkt oder ganz abgeschafft, die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums hat zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt.

Aber warum nehmen wir, die Nicht-Reichen und Armen, dieses Regime der Ungleichheit widerspruchslos hin? Jede Gesellschaft muss ihre Ungleichheiten rechtfertigen. Mit Erzählungen, die geglaubt werden. Offensichtlich glauben die meisten von uns folgenden Mythos: „Eigentumsrechte und Ungleichheit zu hinterfragen, führt in ein dauerhaftes Chaos, in Anarchie. Das schadet letztlich den Ärmsten, und deshalb muss alles so bleiben wie es ist. Vermögenserhaltung und Schutz von Eigentum dient dem sozialen Frieden. Obdachlose, Arme, Arbeitssuchende oder Migrant*innen, die im Mittelmeer ertrinken, sind selber schuld an ihrem Schicksal. Wir stehen in der moralischen Schuld von Reichen, da sie so unendlich viel für das Wohl aller tun.“

Liebe Leute, kann man ernsthaft glauben, dass die Tech-Milliardäre ihre Geschäfte ohne die Hunderte von Millionen öffentliche Gelder machen können, die in Ausbildung und Forschung gesteckt werden? Kann man ernsthaft glauben, dass die Superreichen ohne unsere Rechts-und Steuersysteme ihre Monopole hätten überhaupt aufbauen können? Kann man ernsthaft glauben, dass übermäßiger Reichtum nicht durch Herkunft, nicht durch Monopolstellung, nicht durch Erbschaft, nicht durch Ausbeutung, nicht durch Spekulation geschaffen wird? Nein, das kann man natürlich nicht ernsthaft glauben! Und deshalb wird es allerhöchste Zeit, Strukturen zu schaffen, damit große Eigentumskonzentration und unbegrenzte Akkumukation von großen Vermögen nicht mehr möglich ist. Unsere Rechts-und Steuersysteme müssen radikal verändert werden, damit die skandalöse Ungleichheit Geschichte wird!

Und nun kommt auch noch Corona dazu. Epidemien greifen nicht nur Schwachstellen im menschlichen Körper an, sie zeigen auch die Schwachstellen der Gesellschaft auf. Das Virus trifft auf eine rassistisch und patriarchal geprägte Klassengesellschaft und wird zur Pandemie der Ungleichheit. Corona betrifft die Menschen nicht nur ungleich, Corona tötet auch ungleich. Der falsche Job im Transportsektor, in einem Schlachthof oder bei Amazon, die zu kleine Wohnung im falschen Viertel, die falsche Herkunft von Erntehilfskräften oder Arbeitsmigrant*innen machen den Unterschied. Diejeningen, die als „Helden des Alltags“ gefeiert werden, zahlen den höchsten Preis. Und wir kapieren abermals: Wirtschaft kommt immer vor Gesundheit. Die Ökonomie ist nicht zum Wohl der Menschen da, sondern das Leben der Menschen wird geopfert, um die Profitmaschinerie in Gang zu halten. Luxusgemüse zählt halt mehr als das Leben eines rumänischen Saisonarbeiters.

Liebe Mitstreiter*innen, Covid 19 verschlimmert bereits bestehende Bedingungen von Ungleichheit. Seit dem ersten Lockdown haben 50 Millionen Amerikaner*innen ihre Jobs verloren. Weltweit stehen 1,6 Milliarden Menschen, die im informellen Sektor arbeiten, vor dem Nichts. Die 643 Reichsten der Superreichen haben in derselben Zeit einen Vermögenszuwachs von 845 Milliarden Dollar gemacht oder: 4,7 Milliarden pro Tag! Und sie wurden gleichzeitig durch Corona-Entlastungspakete mit über 100 Milliarden Dollar steuerlich entlastet. Nach den extrem teuren Rettungspaketen, die hauptsächlich der Wirtschaft und dem Finanzsektor zugute kamen, ist die Staatsverschuldung auf Rekordhöhe angelangt. Für Ende 2020 rechnet man mit einer weltweiten Schuldensumme von 250 Billionen US-Dollar. Und wie in früheren Krisen ist zu erwarten, dass die Masse der Lohnabhängigen, der Armen und Prekären dafür aufkommen soll. Der womöglich nächste Kanzler Friedrich Merz will alle Sozialausgaben infrage stellen, andere wollen den Mindestlohn senken. Die Zeche sollen mal wieder die zahlen, die die wirklich wichtige Arbeit machen und die Gesellschaft durch die Krise tragen: Beschäftigte in Pflege- und Gesundheitsberufen, im Einzelhandel, auf den Feldern und in den Fabriken, nicht selten Frauen und Migrant*innen.

Liebe Leute, es kann aber nicht sein, dass die zur Kasse gebeten werden, die ihre Jobs verloren haben, oder sich die Miete nicht mehr leisten können! Unterbezahlte Krankenpfleger*innen oder Paketbot*innen können keinen Cent mehr abgeben. Wir leben in einer sehr reichen Gesellschaft. Die Reichen und Vermögenden haben sich in den letzten Jahrzehnten den von allen erarbeiteten Reichtum mit staatlicher Hilfe angeeignet, es fand eine historisch beispiellose Umverteilung von unten nach oben statt. Und das muss jetzt umgekehrt werden! Der Reichtum muss wieder den unteren Klassen zugute kommen. Es muss alles dafür getan werden, damit die Krisenkosten von denen getragen werden, die auf Kosten der Allgemeinheit riesige Gewinne gemacht und Reichtum angehäuft haben. Die Krise müssen die Reichen zahlen!

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Und das geht zum Beispiel so: Profitable Unternehmen, die in den letzten Jahren viel Geld verdient und von niedrigen Löhnen profitiert haben, erhalten keine staatliche Unterstützung mehr. Sie sollen nach der Maßgabe ihrer Gewinne in einen Fonds einzahlen, der zur Finanzierung der Löhne jener Unternehmen herbeigezogen wird, die ihre Lohnabhängigen nicht mehr bezahlen können. Das wäre eine faire Umverteilung von den starken zu den schwachen Kapitalgruppen!

Oder so: es muss so schnell wie möglich Sondersteuergesetze auf Vermögen, sehr hohe Einkommen und Gewinne geben. Auch eine EU-weite Reichtumssteuer wäre sinnvoll, um die Reichsten und die transnationalen Konzerne, die Profiteure der Steuerreformen seit Ende der 1990er-Jahre, zur Verantwortung zu ziehen. In Deutschland könnten diese Sondersteuern ein Volumen von 250 Milliarden Euro haben!

Und ganz grundsätzlich gilt: Aktionär*innen dürfen nicht von staatlichen Hilfen profitieren. Zuschüsse und Kredite müssen an ein Verbot von Dividendenzahlungen und Steuerflucht gebunden werden! Unternehmen und Großkonzerne müssen höher und effektiv besteuert werden! Amazon zum Beispiel, der größte Krisenprofiteur von allen, zahlt so gut wie keine Steuern. Die Vermögenssteuer muss wieder eingeführt werden! Seit der Aussetzung der Vermögenssteuer 1996 entgehen dem Staat rund 20 Milliarden Euro jährlich! Erbschaften müssen wieder hoch besteuert werden! Unternehmensdynastien vererben ihre Milliarden fast steuerfrei, und dieses Geld fehlt zur Finanzierung der sozialen Infrastruktur!

Liebe Mitstreiter*innen, das wären kurzfrisitge Maßnahmen, die schon viel Geld nach unten umverteilen würden. Aber das reicht langfristig nicht. Der französische Ökonom Thomas Piketty hat in seinem sehr lesenswerten neuen Buch „Kapital und Ideologie“ historische Prozesse der Umverteilung umfassend analysiert und mögliche Lösungswege entworfen. Und da wird klar, dass es um einen gesamten Umbau unseres Systems, um die Etablierung eines partizipativen, ökologischen und demokratischen Sozialismus geht.

In aller Kürze: es geht um die Überwindung des Privateigentums. Durch eine Mischung von öffentlichem Eigentum, gesellschaftlichem Eigentum und Eigentum auf Zeit. Wir müssen die Bedingungen gerechten Eigentums neu denken und sie durchsetzen! Ein gerechtes Eigentum braucht 3 Grundpfeiler: erstens geteilte Machtbefugnisse und Stimmrechte in den Unternehmen, um Sozialeigentum zu schaffen, zweitens eine stark progressive, also sich steigernde Besteuerung von Eigentum, womit man eine Basis-Kapitalausstattung für jeden jungen Erwachsenen schaffen kann. Und es geht drittens um Eigentum auf Zeit. Niemand darf Eigentum anderen Generationen weitervererben, ohne die Gesellschaft daran partizipieren zu lassen. Lest dieses Buch, Leute, es lohnt sich! Es ist eine optimistische, menschenfreundliche Erzählung. „Kapital und Ideologie“ beschreibt, wie es möglich wäre, den Kapitalismus wirklich und dauerhaft zu überwinden.

So, liebe Demonstrierende, aber wie bekommen wir das alles hin? Indem wir das tun, was wir gerade machen: eine Gegenöffentlichkeit bilden, vor allem auf der Straße. Die Geschichte der Ungleichheit zeigt, dass Veränderungen möglich sind, wenn gesellschaftliche und politische Kämpfe mit grundsätzlichen ideologischen Neuorientierungen zusammentreffen. Und deshalb müssen wir den Druck von unten erhöhen. Es ist ermutigend, wieviele Bewegungen sich heute zusammengetan haben. Denn das ist der Weg: wir bekommen den Wechsel nur hin, wenn die sozialen Bewegungen, die Lohnabhängigen, die prekär Lebenden und alle, für die wir kämpfen, ihre eigenen Strukturen der gesellschaftlichen Kontrolle und Organisation entwickeln. Wenn unsere Bewegungen sich zusammentun, zusammenhalten und eine schlagkräftige Gegenmacht aufbauen. Gemeinsame Aktionen stärken die Solidarität von unten. Wir werden in den kommenden Verteilungskämpfen Mehrheiten dafür schaffen, unsere Gesellschaft grundlegend umzugestalten. Die alte Welt der Profitlogik geht zu Ende, und jetzt sind wir an der Reihe!

Liebe Leute, die berechtigten Gefühle des Abgehängtseins von vielen Menschen wissen die nationalistischen und migrantenfeindlichen Ideologien derzeit geschickt zu nutzen, auch die nach rechts erschreckend durchlässigen sogenannten „Hygiene-Demos“. Denn es ist leichter, gegen Ausländer und Geflüchtete zu demonstrieren, als gegen monopolistische Konstellationen. Es ist leichter, gegen angeblich überflüssige Corona-Maßnahmen und Freiheitseinschränkungen zu demonstrieren, als gegen Rechts- und Steuersysteme, die Reiche begünstigen. Es ist leichter, für abstrakte Werte wie „Freiheit“ und „Peace“ zu meditieren, als gegen die Sakralisierung des Privateigentums aufzubegehren. Denn dafür müsste man kapitalistische Strukturen analysieren und kritisieren. Stattdessen demonstrieren die sogenannten Freiheitsverteidiger, ohne es zu reflektieren, für den Freiheitsbegriff des Neoliberalismus. Der schon immer nur die Freiheit des Marktes und des Kapitals meinte. Dass die Corona-Demonstrierenden „alte Normalität“ einfordern, also dafür streiten, den Zumutungen des Systems wie gehabt ausgeliefert zu sein, beweist nur, wie sehr sie die neoliberalen Dogmen bereits verinnerlicht haben. Wie unkritisch, unsolidarisch und reaktionär dieser Protest ist.

Aber es geht nicht um angebliche Eliten, die eine Weltverschwörung planen. Es ist die Ungleichheit, die zu wachsenden sozialen Spannungen führt. Und das können wir ändern! Denn Ungleichheit ist kein Naturereignis. Ungleichheit ist nicht abstrakt, sie ist ideologisch und politisch gemacht! Es kommt in der Geschichte ganz entscheidend auf Ideen und Ideologien an. Und die sind veränderbar. Wir können bestimmen, was wir unter sozialer Gerechtigkeit, einer gerechten Wirtschaft verstehen. Es liegt in unseren Händen, und der Kampf für eine gerechte Gesellschaft ist noch lange nicht verloren. Nur: wir müssen ihn führen! Nicht nur Meinungen bilden, sondern aktiv dafür streiten und uns einmischen. Liebe Demonstrierende, deshalb ist heute ein guter Anfang gemacht! Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften ist die Geschichte – ja, von Klassenkämpfen, aber vielleicht noch mehr die Geschichte von der Suche nach Gerechtigkeit. – Ab jetzt heißt es: Wer hat, der gibt, let’s eat the rich!

akl - Antikapitalistische Linke

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Grafikquellen      :

Oben          —     Berlin – Adenauerplatz (Adenauer Square)

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Unten      —     Buchvorstellung „Bernd Riexinger: Neue Klassenpolitik“ Mit Volker Lösch, Rhonda Koch und Bernd Riexinger

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Schöne finstere Datenwelt

Erstellt von Redaktion am 25. September 2020

Die ökologischen Folgen der Digitalisierung

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Quelle      :    untergrundblättle ch.

Von Joseph Steinbeiss / Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 447, März 2020, www.graswurzel.net

Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) ist dazu übergegangen, den Covid-19-Erreger in aktuellen Veröffentlichungen nur noch „das digitalisierende Virus“ zu nennen.

Damit möchte die renommierte diskursanalytische Forschungseinrichtung natürlich kein Wasser auf die Mühlen von Rechtsextremen und Verschwörungsgläubigen giessen, die die Pandemie (u.a.) für eine Erfindung der Bill Gates Foundation halten. Sie möchte nur auf eine simple Tatsache hinweisen: Die Covid-19-Pandemie hat der Digitalisierung des gesellschaftlichen Lebens einen enormen Schub verpasst.

 Beispielsweise im Bildungsbereich: Während man dort den Wechsel von der Präsenzlehre zu digitalen Formaten (etwa ZOOM-Konferenzen) zu Hochzeiten der Pandemie, wenn auch oft mit hörbar knirschenden Zähnen, mehrheitlich als ein unvermeidbares Übel ansah, um zu retten, was zu retten war, ist inzwischen eine wohltuend kontroverse Debatte über die Zukunft digitaler Lehrformate im sekundären und tertiären Bildungssektor (also an Schulen und Universitäten) entbrannt.

Diese Debatte kann scharf und sachlich geführt werden, denn die Tage der Märchenversprechungen aus den Dunstkellern der Marketingabteilungen der IT-Industrie sind gezählt: Zehntausende von Lehrerinnen und Lehrern, Dozentinnen und Dozenten und Professorinnen und Professoren haben hierzulande während der Pandemie praktische Erfahrungen mit Möglichkeiten und Grenzen digitaler Technik im Lehrbetrieb gemacht. Für andere Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens gilt ähnliches. Einem sachlichen, transparenten und demokratischen Entscheidungsprozess über den Fortgang der Digitalisierung stünde also nichts im Weg. Eigentlich.

 Als Digitalisierung soll im Folgenden nicht ein sinnvoller Einsatz digitaler Technik in begrenzten Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens verstanden werden, bei dem Nutzen und Schaden vollständig und sachlich gegeneinander abgewogen wurden. Sich gegen einen solchen Einsatz zu stemmen, wäre wohl wirklich Kinderei und den heutigen Zeiten nicht angemessen.

 Digitalisierung im hier verstandenen Sinne meint die aggressive, intransparente und nicht selten autoritativ durchgesetzte Einführung digitaler Technik in allen Bereichen des modernen Lebens, völlig unabhängig vom tatsächlichen Nutzen und Schaden für Verbraucherinnen und Verbraucher, bei der Profitinteressen der Digitalwirtschaft und Überwachungsträume des Staates häufig Hand in Hand gehen. Um eine so verstandene Digitalisierung durchzusetzen, versuchen mächtige Lobbygruppen – wie in Deutschland etwa die Bertelsmann-Stiftung – aber auch Personen aus Politik und Medien, Einfluss darauf zu nehmen, welche Argumente in der öffentlichen Diskussion als „zulässig“ gelten.

 Während über die Gefahr von Datenlecks, Konzernabhängigkeiten oder die Konsequenzen einer (zu) frühen Nutzung digitaler Technik im Kindesalter durchaus gestritten wird, glänzt ein weiteres wichtiges Thema häufig durch Abwesenheit: Die Frage nach den ökologischen Folgen der Digitalisierung. Manche Autorinnen und Autoren sprechen auch vom „blinden Fleck der Digitalisierung“. Statt die bekannten Gefahren für Klima und Umwelt durch massenhafte Nutzung digitaler Technik kritisch zu thematisieren, wird gern mit Suggestionen gearbeitet.

 Wenn etwa EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als Ziel der gewaltigen Investitionen der Europäischen Union nach der ersten Welle der Pandemie angibt, diese sollten „Europa digitaler und klimafreundlicher“ machen, so stellt sie eine Verbindung her, die so bisher allenfalls theoretisch existiert. Aber selbst (mehrheitlich junge) Bewegungen wie Fridays for Future sind bisher auffällig zurückhaltend, wenn es darum geht, die Klima- und Umweltbelastungen durch Digitalisierung zu thematisieren. Oder auch nur: zur Kenntnis zu nehmen.

Energiebedarf und CO2-Ausstoss durch Datenverarbeitung

Leider liegen bisher noch keine belastbaren Zahlen über den Anstieg des Energieverbrauchs und CO2-Ausstosses durch den massiven Einsatz digitaler Technik während des Lockdowns vor. Dieser Artikel wird sich daher notgedrungen mit Zahlen begnügen müssen, die zum Teil bereits zwei oder drei Jahre alt sind. Es braucht allerdings weder überbordende Phantasie noch tiefe mathematische Kenntnisse, um sich die Entwicklung während der vergangenen Monate, ausgehend von den Verläufen aus der Zeit vor der Pandemie, ungefähr zu verdeutlichen. Generell fällt auf, dass ernstzunehmende Studien zu den ökologischen Folgen der Digitalisierung bisher kaum existieren.

Man muss sie mit der Lupe suchen. Sämtliche hier genannten Zahlen und Fakten entstammen nichts desto trotz (in Zeiten von Fakenews und Hygiene-Demos ist eine solche Klarstellung notwendig) seriösen und öffentlich zugänglichen Quellen. Die wichtigsten finden sich am Ende dieses Artikels aufgelistet. Informierten Leserinnen und Lesern mögen die hier dargestellten Fakten wenig Neues bieten. Es stellt sich allerdings immer wieder heraus, dass in einer breiteren Öffentlichkeit genauere Kenntnisse über die ökologischen Folgen der Digitalisierung erschreckend dünn gesät sind.

„Wäre das Internet ein Land“, schreibt Greenpeace, „dann hätte es den sechstgrössten Energieverbrauch weltweit“. Im Jahr 2017 gab es auf der Erde ca. 1700.000.000 stationäre PCs und Laptops, vier bis fünf Milliarden Smartphones und sechs bis sieben Milliarden weitere „smarte“ Geräte. Also mehr internetfähige Geräte als Menschen. Heute dürften diese Zahlen deutlich höher liegen. Mitte 2020 besassen beispielsweise in Deutschland 81% aller Menschen über dem 14ten Lebensjahr ein Smartphone.

 Um all diese Geräte funktionsfähig zu halten, gab es 2017 global 800 Milliarden Netzgeräte, DSL-Boxen usw., sowie 60 Millionen Server in Datenzentren. Nimmt man Herstellung und Nutzung zusammen, verursachte der digitale Sektor insgesamt 4% der weltweiten Treibhausemissionen. Zum Vergleich: Der weltweite Flugverkehr verursachte im gleichen Jahr „nur“ 2% der Emissionen. Die Freude über den wundervoll kondensstreifenfreien Himmel während des Lockdowns mag also, was seine Öko-Bilanz angeht, ein wenig verfrüht gewesen sein.

 Bis zum Beginn der Pandemie wuchsen die durch digitale Technik verursachten CO2-Emissionen jährlich um 8%. Tendenz: steigend. 3% des globalen Energiebedarfs entfallen bereits auf die Verarbeitung von Daten, und seriöse Schätzungen nehmen an, dass dieser Bedarf in absehbarer Zeit auf ein Viertel (!) des weltweiten Energieverbrauchs wachsen wird – ein in der Tat beunruhigendes Szenario.

 Bisher hat sich der Energieverbrauch der Rechenzentren alle vier Jahre verdoppelt. In den nächsten zehn Jahren soll er sich verdreifachen. Eine Studie in Japan kam zu dem Ergebnis, dass allein der Energiebedarf für digitale Dienstleistungen im Jahr 2030 die aktuelle Stromerzeugungskapazität des gesamten Landes übersteigen werde. Die Covid-19-Pandemie hat diese Entwicklung weltweit beschleunigt.

 Man kann sich den tatsächlichen Energieverbrauch durch die Nutzung digitaler Funktionen und Dienste gut verdeutlichen, indem man ihn mit dem einer normalen Glühbirne vergleicht. In diesem Rechenmodell entspricht das Versenden einer kurzen E-Mail mit Anhang der 25-minütigen Brenndauer einer 60 Watt-Glühbirne.

 Das „Streamen“ eines einstündigen Films in HD-Qualität verbraucht bereits so viel Energie, als liesse man dieselbe Glühbirne 250 Stunden brennen, also etwas länger als zehn Tage. Ausgerechnet dieses „Streamen“ verursachte 2017, angeregt nicht zuletzt durch die sogenannten sozialen Medien, den höchsten Energieverbrauch unter allen Online-Diensten. Man kann sich leicht ausmalen, wie lange die arme Glühbirne 2020 hätte brennen müssen, um den Energiebedarf von abertausenden von 90-minütigen ZOOM-Konferenzen an Schulen und Universitäten auszugleichen.

 Ob dann wohl dem ein- oder anderen ein Licht aufgegangen wäre? Einen ebenfalls beunruhigend hohen Energieverbrauch hat das sogenannte Internet of Things, also die Vernetzung unterschiedlicher Geräte miteinander. Dies betrifft offenbar auch die Corona Tracing App, die bereits 16 Millionen User in Deutschland heruntergeladen haben und benutzen. Um diese App tobte Mitte 2020 eine scharfe öffentliche Debatte. Nach ihrer Öko-Bilanz zu fragen fiel dabei freilich niemandem ein.

Genutzte Energiequellen: Fossil oder regenerativ?

Was die Klima- und Öko-Bilanz angeht, ist Energieverbrauch nicht gleich Energieverbrauch. Die Nutzung fossiler Energiequellen hat einen unverhältnismässig viel höheren CO2-Ausstoss als etwa (wenn man die gesamte Produktionskette in den Blick nimmt) die von Windkraft oder Sonnenenergie. Soll Digitalisierung, wie oft öffentlich behauptet wird, tatsächlich einen günstigen Einfluss auf das Klima haben, müsste sie sich im Grunde vollständig aus regenerativen Energiequellen speisen. Leider ist das Gegenteil der Fall.

 Bereits 2011 veröffentlichten Gary Cook und Jodie Van Horn von Greenpeace International eine aufschlussreiche Studie mit dem Titel: „How dirty is your data?“ [Wie dreckig sind deine Daten?]. Sie gingen der Frage nach, mit Hilfe welcher Energiequellen die zehn grössten internationalen Digitalfirmen eigentlich ihre Produkte am Laufen hielten? Die Recherchen gestalteten sich schwierig, da sämtliche Firmen, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, mit der Bereitstellung von Informationen zu diesem Thema mehr als zurückhaltend waren. In der IT-Branche spielt sich der Hauptenergieverbrauch in den sogenannten Datenzentren bzw. Datenfarmen ab. Sie sind die Fabriken des digitalen Zeitalters, und inzwischen auch fast genauso gross.

 Hier laufen die gewaltigen Grossrechner und Server, die das Internet speisen und ständig aufwändig gekühlt werden müssen. Cook und Van Horn fanden heraus, dass sowohl Google als auch Facebook und Apple ihre Datenzentren in einem überschaubaren Radius im US- Bundesstaat North Carolina angesiedelt hatten. North Carolina zählt, was seine Energiegewinnung betrifft, zu den „dreckigsten“ Staaten der USA. Gerade einmal 3,6% seiner Energie gewann der Staat 2008 aus regenerativen Energiequellen. Der Rest stammte aus Kohle- und Atomkraftwerken. Bis 2021 will North Carolina gerade einmal 12,5% seiner Energie auf regenerative Gewinnung umstellen. Das ist in den USA schon viel, denn Staaten wie South Carolina oder Georgia machen überhaupt keine Anstalten, an Ihrer fossilen Energiegewinnung irgendetwas zu ändern.

 North Carolina hatte die drei IT-Giganten einerseits mit Steuervergünstigungen angelockt, andererseits aber auch mit dem Versprechen schier grenzenloser, billiger Energie aus Kohlekraft. So war denn auch 2007 der ökologische Fussabdruck der drei Firmen grösser als der Spaniens im selben Jahr. Die Greenpeace-Studie zeigte damals Wirkung: Einige Jahre später verpflichteten sich die Giganten der IT-Branche (Google, Apple, Facebook, Amazon usw.), ihre Energieversorgung vollständig auf regenerative Energiequellen umzustellen. Als Greenpeace jedoch erneut nachbohrte, fiel die Bilanz ernüchternd aus. Amazon etwa bezog 2017 gerade einmal 20% seiner Energie aus regenerativen Quellen. Apple konnte immerhin 83% vorweisen.

 Aber wie glaubwürdig sind solche Angaben bei einer Industrie, die von Transparenz wenig hält, in mörderischem Konkurrenzkampf steht, gute Aussenwirkung zu schätzen weiss und gigantische Profite einfährt? Und mit welcher Infrastruktur hätte Apple, dessen Datenzentren ja nach wie vor in North Carolina laufen, diese erfreuliche Umstellung bewerkstelligen wollen? Es bleiben Zweifel. An vielen Orten der Welt behindert der enorme Energiebedarf der Digitalisierung sogar die nötige Umstellung auf regenerative Energiequellen, schlicht, weil dieser viel zu lange dauern würde, bis er die zu erwartenden oder bereits benötigten Strommengen erzeugen könnte.

 Als etwa der digitale Boom-Markt Indien sich mit dem Problem konfrontiert sah, gar nicht genug Strom erzeugen zu können, um mit der Digitalisierung Schritt zu halten, liess die Regierung veraltete, stinkende Dieselgeneratoren (wieder) in Dienst stellen, die eine enorme Umweltbelastung darstellten. Und man mag sich im Stillen fragen, wieviel der rätselhaften Anhänglichkeit der Regierung Merkel an den Kohlestrom wohl von Prognosen über den zu erwartenden Stromverbrauch der dahinrasenden Digitalisierung in Deutschland herrührt? Eine 2013 in den USA veröffentlichte Studie trug jedenfalls nicht zufällig den Titel: „The cloud begins with coal“ [Die Cloud beginnt mit Kohle].

 Pittoreskerweise stammte die Studie keineswegs von einer Umweltorganisation, sondern von zwei Lobbygruppen der Montanindustrie, die so verdeutlichen wollten, dass es ohne Kohlekraft mit der Digitalisierung nichts werden könne. Unrecht hatten sie nicht.

Das Effizienzargument

Wenn es um die ökologischen Folgen der Digitalisierung geht, macht die IT-Branche im Allgemeinen zwei Argumente stark: Das Effizienzargument und das Rechenmodell der Klimaneutralität. Wobei die Formulierung „die IT-Branche macht…“ missverständlich sein könnte. Denn nicht nur die Marketingabteilungen von Google oder Apple argumentieren so. Lobbycontrol hat nachgewiesen, dass beispielsweise Google in den USA hunderte von Forschungspapieren in Auftrag gab und finanzierte, um missliebige politische Regierungsvorhaben abzuwehren und sich selbst als Teil der Lösung (auch) drohender ökologischer Probleme zu präsentieren.

 In Europa ist die Lage nicht besser: „Digitalkonzerne unterstützen diverse Verbände, Denkfabriken und Institute, um die eigenen Positionen zu stärken. […] Die Digital-Lobby hat es mit ihrem Einfluss bislang etwa geschafft, die Einführung einer Digitalsteuer in Europa zu verhindern“.

Das Effizienzargument ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Es ist nicht zu bestreiten, dass Digitalkonzerne Energie oft effizienter einsetzen als analoge Industrien. Das ist allerdings nur ein schwacher Trost. Denn die IT-Branche ist ein Boom-Markt mit jährlichen Wachstumsraten bis zu 12%. Effiziente Energienutzung kann also den Anstieg gefährlicher Treibhausgasemissionen bestenfalls verlangsamen.

 Solange die gesamte Branche eher an weiterem schnellen Wachstum und steigenden Profiten interessiert ist als daran, ihre Energieversorgung vollständig auf regenerative Energiequellen umzustellen, wird ihr CO2-Ausstoss in kürzester Zeit jenen der analogen Industrien übertreffen. Hierzu trägt, auf Seiten der Verbraucherinnen und Verbraucher, auch der sogenannte Rebound Effekt bei. Der eine oder andere kennt dieses paradoxe Phänomen vielleicht noch von der Diskussion um energiesparende Kühlschränke: Man kauft sich ein teures A+++-Modell, um Energie zu sparen und das Klima zu schützen. Der alte Kühlschrank tut es aber ja noch.

 Zu schade, ihn einfach wegzuschmeissen. Also stellt man ihn in den Keller oder ins Gartenhäuschen (so vorhanden) und kühlt damit das Bier, falls Freunde kommen. Das Ergebnis: Trotz bester Absichten und Investitionen hat sich der tatsächliche Energieverbrauch fast verdoppelt. In der IT-Branche ist ähnliches zu beobachten: Durch hohe Energieeffizienz sinken die Kosten. Wird diese Einsparung zum Teil an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben, erhöht sich die Attraktivität des Produkts. Und damit letztlich wiederum der Energieverbrauch. Abschliessend bleibt noch zu bemerken, dass sich, entgegen optimistischer Prognosen, längst herausgestellt hat, dass Produkte und Dienste der digitalen Industrien jene der analogen keineswegs ersetzen.

 Der Online-Handel beispielsweise, mit seinen schier endlosen Kurierfahrten und seinem Verpackungsmüll, hat den Gross- und Einzelhandel nicht ersetzt. Die Leute fahren trotzdem noch zum Einkaufen mit dem Auto massenweise in die Stadt. Grosse Digitalkonzerne haben Kohlekraftwerke keineswegs vom Markt geschoben, sondern, wie bereits erläutert, durch ihren hohen Energiebedarf und Profithunger eher wieder lukrativ gemacht. Die Klima- und Umweltbelastungen der Digitalisierung addieren sich also mit jenen der analogen Industrien. Da bleibt vom Effizienzargument wenig übrig. Zur Legitimierung der Digitalisierung ist es hinfällig.

Klimaneutralität: eine Mathematikschulaufgabe

Wenn es von einem neuen Grossserver, der in irgendeinem US-Datencenter in Dienst gestellt wird, heisst, er arbeite „klimaneutral“, so bedeutet das nicht, dass sein Betrieb keine Treibhausgasemissionen verursachen würde. Das tut er (so er nicht rein aus regenerativen Quellen gespeist wird) für gewöhnlich in Hülle und Fülle.

 Es bedeutet, dass die Betreiberfirma, meist an irgendeinem anderen Ort der Welt, Investitionen getätigt hat, die die verursachten Emissionen (angeblich) ausgleichen, etwa, indem sie für den Erhalt eines Nationalparks in Vietnam sorgt oder einer besonders dreckigen Fabrik in Sierra Leone Filter verpasst. Für die Aussenwirkung der entsprechenden Firma ist das förderlich: Man gibt sich umweltbewusst. Das Problem ist nur: Meist ist die gewünschte ausgleichende Wirkung rein hypothetisch, ein Rechenexempel, eine Mathehausaufgabe für die Unterstufe: „Wenn ich soundsoviel CO2 ausstosse, wie viele Bäume muss ich dann pflanzen, wenn ein Baum…“ usw.

 Es geht der Digitalindustrie nicht darum, Emissionen tatsächlich einzusparen, sondern darum, sie ohne schlechte Presse weiter verursachen und sogar steigern zu können. Der einzige Sinn der Kategorie der Klimaneutralität ist es, dem Wachstum der Digitalindustrie nicht hinderlich zu sein.

 Inzwischen hat sich eine ganze Branche entwickelt, die grossen Digitalfirmen, aber natürlich auch der analogen Industrie und sogar Privatpersonen Vorschläge macht (selbstverständlich gegen gute Bezahlung), wo sie investieren sollten, um sich und ihre Dienste öffentlich als „klimaneutral“ hinstellen zu können. Da die versprochene Wirkung, wenn überhaupt, erst nach Jahren nachweisbar sein wird, ist dies ein recht sicheres Geschäft.

 Überprüft werden die hohen Versprechungen aber ohnehin so gut wie nie. Und selbst, wenn man einmal annehmen wollte, dass zumindest ein Teil der verursachten Emissionen auf diese Weise tatsächlich verhindert oder gebunden werden könnte, liesse sich durch ein solches Vorgehen der globale CO2-Ausstoss nicht senken, sondern nur auf einem annähernd gleichen Level halten. Dieses aber würde angesichts der enormen Zuwachsraten in der Digitalindustrie trotzdem Jahr für Jahr steigen. „Klimaneutralität“ ist denn auch längst zu einem beliebten Werbebanner geworden, mit dem sich noch die aberwitzigsten Umweltsünden bemänteln lassen.

 Verbraucherinnen und Verbraucher, die auf ihre geliebten Waren und Dienstleistungen aus ökologischen Gründen nicht verzichten wollen, glauben solche Lügen nur zu gerne. In Deutschland liefert etwa DHL seine Pakete inzwischen „klimaneutral“ aus. Beruhigend, angesichts der Abgasmassen, die der Online-Handel hierzulande verursacht… Auch das Argument der Klimaneutralität ist also zur Legitimation der Digitalisierung denkbar ungeeignet.

Energiebedarf und Umweltbelastung bei der Geräteproduktion

Besonders augenfällig sind die ökologischen Verwüstungen der Digitalisierung bei der Herstellung der digitalen Hardware, also der massenhaften Produktion von Computern, Smartphones und dergleichen. Um an die nötigen seltenen Metalle und Erden heranzukommen, die man zur Herstellung eines 2 kg schweren Computers braucht, benötigt man 240 kg fossiler Brennstoffe, 22 kg zum Teil hochgiftiger Chemikalien und sage und schreibe 1,5 Tonnen Wasser. Für ein gewöhnliches Smartphone ohne exquisite Extras braucht man immerhin 50 dieser seltenen Erden. Die Rechnung liesse sich also fortspinnen.

 Die enorme Nachfrage nach seltenen Erden hat bereits weite Regionen Afrikas verwüstet und politisch destabilisiert. Man kämpft mit Gewalt um den Zugang und die Vermarktungsrechte, so diese nicht ohnehin westlichen Firmen gehören. Hinzu kommt der Rückexport von tausenden von Tonnen Elektroschrott, der trotz anderslautender Versicherungen immer noch stattfindet und wiederum enorme Umwelt- und Gesundheitsprobleme verursacht.

 Zwar gibt es Bemühungen, die Produktion digitaler Geräte nachhaltiger zu gestalten und für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. So kam etwa ein Fairphone auf den Markt, das recycelte Materialien verwendet und dessen Hersteller sich um Transparenz und eine menschenwürdige Produktion bemühen. Aber zum einen hat sich das Produkt am Markt bisher nicht durchsetzen können, und zum anderen müssen die Hersteller selbst einräumen, dass bestimmte Komponenten ihres Fairphones schlicht und ergreifend nirgends auf der Welt zu fairen Bedingungen zu haben sind.

 Hinzu kommt, dass digitale Technik von vorne herein so gestaltet wurde, dass man sie beständig erneuern muss: Neue Programme laufen nicht auf alten Geräten, neue technische Funktionen werden eingebaut, das Smartphone ist längst den gleichen Gesetzen unterworfen wie die beständig wechselnde Mode. Im Schnitt kauft sich jeder Smartphone-Nutzer in Deutschland alle zwei Jahre ein neues Gerät. Im Grunde müsste man also, um ein realistisches Bild der tatsächlichen Klima- und Umweltbelastung durch die Herstellung digitaler Geräte zu erhalten, die oben genannten Zahlen um ein Vielfaches multiplizieren. Dann allerdings würde man wohl ziemlich schlecht schlafen.

Schlussfolgerung

Würden die ökologischen Folgen der Digitalisierung in der öffentlichen Diskussion so prominent gemacht, wie sie es tatsächlich sind, dürfte es zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt keine Digitalisierung geben. Das ist wohl auch der Grund, warum sie so selten Erwähnung finden.

 Die aktuellen ökologischen Gefährdungen und Schädigungen des Klimas durch Digitalisierung sind erwiesen und besorgniserregend. Werden sie bei der sachlichen Bewertung von Nutzen und Schaden digitaler Formate unterschlagen, ist die entsprechende Entscheidung nicht länger ernst zu nehmen. Keine blosse Umstellung auf eine neue, profitträchtige Produktpalette, seien es E-Autos, E-Bikes oder eben die Digitalisierung, die allesamt den Stromverbrauch enorm erhöhen und wertvolle Ressourcen vergeuden, während die überlebensnotwendige Energiewende politisch verschleppt und sabotiert wird, wird das Leben auf unserem Planeten erhalten können.

 Überkonsum und imperiale Lebensweise müssen ein Ende finden. Der Verzicht muss in den reichen Ländern und Schichten zum neuen Lebensprinzip werden. Wenn nicht endlich mit ähnlicher Entschlossenheit wie gegen die Corona-Pandemie gegen die drohende Klimakatastrophe vorgegangen wird, werden sich unsere Kinder und Enkel dereinst der Zeiten von Covid-19 als einer Zeit beseligender Fülle und Sicherheit erinnern. Solange gilt: Keine Investition der Welt kann Europa digitaler und klimafreundlicher machen. Sie kann Europa nur digitaler oder klimafreundlicher machen.

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Grafikquellen       :     The Google Data Center outside Pryor, Oklahoma

Author Xpda

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Corona und Antifaschismus

Erstellt von Redaktion am 25. September 2020

Gedanken zur Inflation des „Faschismus“- Begriffes

Quelle      :      Scharf  —   Links

Von Kai Ehlers

Persönliche Anmerkungen anlässlich der Großdemonstration zur Corona-Problematik am 29.08.2020 in Berlin

Ach, liebe Freunde und Freundinnen, wir leben in verwirrten Zeiten. Kürzlich rief mich mein Sohn von außerhalb Deutschlands an, wo er sich vorübergehend aufhielt. Er müsse mich fragen, warum ich als alter Linker, dazu noch als langjähriger Anleiter der Antifaschismus-Kommission des Kommunistischen Bundes (KB) während der siebziger und achtziger Jahre, jetzt an der vom Querdenker Michael Ballweg  in Berlin organisierten Demonstration an der Seite von „Faschisten, Antisemiten und Spinnern“  teilgenommen hätte und ob es nicht Zeit sei, mich von deren Zielsetzung zu distanzieren.

Schock, versteht sich! Der eigene Sohn! Immerhin konnten wir klären, dass die Demonstration keineswegs hauptsächlich von Reichsbürgern, Antisemiten und Idioten besucht war,  sondern dass hunderttausende Menschen von der Regierung die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte der BRD einforderten, dass Ballweg sich öffentlich von alten und neuen Rechten abgrenze, wenn auch vielleicht nicht deutlich genug, dass sich unter die vielen tausende Demonstranten zwar Rechte gemischt hatten, die versuchten die Demonstration für ihre Ziele zu nutzen –  wozu allerdings selbst der Verfassungsschutz feststellte, dass ihnen das nur sehr begrenzt gelungen sei.

Berechtigte Fragen

Aber die Frage meines Sohnes, die ja nur stellvertretend für diejenigen steht, die ich aus meinem Umfeld höre, sind natürlich trotzdem berechtigt, auch wenn ich an der Berliner Demonstration selbst nur medial teilnahm und es für mich auch klar ist, dass mich mit Alt- oder Neurechten oder gar radikalen, gewaltbereiten Neonazis nicht mehr verbindet, als dass wir alle miteinander menschliche Wesen sind. Diskriminierung anders Denkender und Unterdrückung anders Lebender, sind mir ein Gräuel und werden es bleiben, wo immer sie auftreten. Das gilt besonders, wenn der Druck vom Staate ausgeht, wie aktuell in der pauschalen Diffamierung kritischer Stimmen zum staatlichen Corona-Regime als „Covidioten“ durch unsere Regierung und die tonangebenden Medien.

Mich mit meiner Kritik gegen den unverhältnismäßigen Charakter des staatlichen Corona-Regimes jetzt unvermutet in Gesellschaft mit Rechten wiederzufinden, die vom Widerstand gegen das faschistische „Merkel-Regime“ phantasieren, während die „Antifa“ , die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN), Friedensbewegte und viele Linke bis hin zu Grünen unisono die staatliche Diskriminierung der Proteste übernehmen und ihrerseits zum Widerstand dagegen aufrufen, ist in der Tat irritierend.

Es hat ja nicht erst bei der großen Demonstration in Berlin am 29.08., sondern auch schon bei kleineren Protestversammlungen Szenen gegeben, in denen Gegendemonstranten der „Antifa“ und Teilnehmer/innen von „Querdenker“-Demonstrationen sich mit Parolen wie „Nazis raus“, „Nie wieder Faschismus“, mit Aufrufen zum „Widerstand“ und ähnlichen Sprüchen gegenseitig traktierten, während die Staatsmacht die Corona-Verordnungen repressiv durchsetzte.

Das ist pervers: „Antifa“ als Hilfstruppe der Polizei? Polizei als Hüter der demokratischen Ordnung, indem sie deren Einschränkung durchsetzt? Hier stimmen die Kategorien von links und rechts, von Faschismus, „Widerstand“ und Demokratie offensichtlich nicht mehr.

Und das alles geschieht, ohne dass sich über die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus verständigt wurde, zumindest der Versuch gemacht worden wäre herauszufinden, ob sie verhältnismäßig sind oder nicht.

Wie finde ich mich selbst als „alter Linker“, wie finden wir uns als Zeitgenossen in dieser Verwirrung zurecht? Klärung ist angesagt, um Vorwürfe des Faschismus nicht weiterhin zu inflationieren und bloß als inhaltsleeres Schimpfwort zu missbrauchen. Plakative Faschismus-Vorwürfe ersetzen nur die Auseinandersetzung zur Sache und haben keine anderen Zweck mehr als Andersdenkende zu diffamieren.

Wo also beginnt Faschismus?

Die bisherigen Definitionen von Faschismus reichen ganz offensichtlich nicht mehr. Wir müssen klären, was Faschismus war und was ein möglicher zukünftiger Faschismus sein könnte, um uns zukünftig, wie immer problematisch die Sachfragen auch sein mögen, besser verständigen zu können und herauszufinden, wo Abgrenzungen notwendig sind.

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Beginnen wir ganz einfach: Ich denke, Faschismus beginnt beim Eingriff in die körperliche Unversehrtheit gegen den Willen derer, auf die übergegriffen wird. Aber es geht nicht nur um offene physische Gewalt, nicht einmal nur um psychische Gewalt. Es geht auch nicht nur um Übergriffe auf den Einzelnen. Es geht um den Eingriff in die Autonomie der Persönlichkeit im Zuge der sogenannten Gesundheitspolitik, welche die Menschen zu Körpern degradiert, die nach Statistik behandelt werden. Tendenziell führt das in die Richtung einer neuen Eugenik, in der die Menschen nach gesund und lebenswert oder krank und überflüssig selektiert werden. Sich gegen eine solche Entwicklung zur Wehr zu setzen, die schon einmal in offener Vernichtung „unwerten Lebens“ geendet hat, und auf der körperlichen Unversehrtheit, der körperlichen Autonomie als Menschenrecht zu beharren … das ist was?

Das ist natürlich Widerstand, ja, aber nicht in den Kategorien des historischen Widerstands gegen den Nazi-Faschismus. Sich jetzt als im „Widerstand“ befindlich zu erklären, wie das einige Organisatoren und Teilnehmer/innen der Proteste gegen die „Shut-down“-Politik mit Anklängen an den Widerstand der Weimarer Zeit tun, klingt maßlos, ist maßlos. Das verharmlost sowohl den historischen wie auch einen möglichen zukünftigen Faschismus und überhöht die eigene Bedeutung in unzulässiger Weise. Aber die Gefahr einer möglichen faschisierenden Entwicklung ist nicht zu übersehen, sie zeigt sich im Keim. Diese Gefahr droht heute klassenübergreifend. Sie betrifft nicht nur die abhängig arbeitende Bevölkerung, nicht nur begrenzte gesellschaftliche Bereiche, sie betrifft den gesamten sozialen Organismus, wenn auch in unterschiedlichem Maße.

Gegen solche Tendenzen gibt es vereinbarte Grundrechte. Sie einzuklagen, ist selbstverständlich die erste Stufe eines Widerstandes. Die Rechte sind: die Verfassungsgarantien auf die Unverletzlichkeit der Person, das Recht auf Selbstbestimmung, der Schutz vor physischen Übergriffen des Staates, das Recht auf eigenes Denken und Schutz vor ideologischer Vergewaltigung durch den Staat. Die Maske, wo sie nicht punktuell aus konkretem Anlass zwingend geboten ist, ist das perverse Zeichen der Verletzung dieser Rechte. Sie dokumentiert die Unterwerfung des freien Willens unter eine höhere Macht,  gegenwärtig begründet durch das Virus als Feind der Nation. Das öffnet jeglicher Willkür das Tor, denn diese Begründung  kann jederzeit variiert und erweitert werden, wenn wieder ein neues Virus gefunden wird.

Nicht zu den grundgesetzlich verbrieften Rechten gehören, um das unmissverständlich und exemplarisch anzufügen: die gewaltsame Wiedereinführung einer alten Reichsordnung, die Abschaffung des Föderalismus, die Freihaltung des „deutschen Volkskörpers“ von „artfremdem Blut“, Überfälle und Anschläge auf Asylsuchende und  Ähnliches.

Aberwitzige Unverständnisse

Was aber heute in der Auseinandersetzung um Corona „Faschismus“ oder „Antifaschismus“ genannt wird, ist  geradezu aberwitzig. Die Mitglieder der „Antifa“ verstehen ihre Verteidigung des Staates als antifaschistischen Kampf. Nicht wenige „Querdenker“ wiederum verstehen den Staat, allein wenn er bloß Regeln aufstellt, schon als  faschistoid oder sogar faschistisch.  Das  eigentliche Problem der Verhältnismäßigkeit der staatlichen Maßnahmen gerät dabei vollkommen in den Hintergrund.

Auch hier stimmen die Kriterien nicht mehr, unter denen wir zu APO-Zeiten und danach scheinbare Sicherheiten hatten, als wir ,zurückgreifend auf die Faschismusdefinitionen der Weimarer Zeit, „Kapitalismus führt zum Faschismus“ skandierten und Faschismus als Gewaltherrschaft des Kapitals über die Arbeiterklasse definierten. Schon Wilhelm Reich war differenzierter, insofern er nicht bei ökonomischen und äußeren Kriterien stehen blieb, sondern die psychische Übergriffigkeit mit ins Bewusstsein brachte.

Heute lässt sich Faschismus erst recht nicht mehr einfach aus einer Gewaltfunktion des Kapitals gegenüber der arbeitenden Klasse ableiten, ohne zu klären welche Form „das Kapital“ und welche „die arbeitende Klasse“ heute angenommen hat: „Das Kapital“ erscheint heute in Gestalt der in digitale Automation und Kontrolle übergehenden Bürokratie, die sich nicht mehr nur die lebendige Arbeit, nicht nur den sozialen Organismus in seiner Gesamtheit, sondern jeden Einzelnen in seiner oder ihrer biologischen und geistigen Existenz unterwirft. Dem steht eine diffuse Bevölkerungsstruktur gegenüber,  in der sich abhängig Beschäftigte zunehmend atomisieren und spezialisieren oder in die Überflüssigkeit gedrängt werden.  Es geht um eine Entwicklung, in der die „intelligente“ Automation, man kann es nicht oft genug wiederholen, in die Richtung einer modernen, „sanften“, als Fortschritt erscheinenden, aber umso effektiveren Eugenik weist. In Zuge ihrer Herausbildung wird unangepasstes, potentiell behindertes oder krankes Leben und Denken im Keim erstickt, bevor es sich überhaupt  entwickeln kann und das, was sich noch ohne Selektion entwickeln konnte, wird der Effektivität untergeordnet.

Globale Herrschaftsstruktur

Diese Entwicklung vollzieht sich heute zwar noch in Formen des einheitlichen Nationalstaats, aktualisiert durch die gegenwärtige „Shutdown“-Atomisierung der Staaten, aber es handelt sich dabei im Kern um die Entwicklung einer globalen Herrschaftsstruktur im Interesse einer immer kleiner werdenden Minderheit und der von ihr in Gang gesetzten biotechnischen Kontrollbürokratie, die von einer, immer größere Bereiche der Gesellschaften ergreifenden, intelligenten Technologie gesteuert wird.

Der Mensch ist in dieser Perspektive  nur noch organisches Ersatzteil des globalen Maschinen-Netzes.  In  d i e s e r  Perspektive werden die Umrisse eines möglichen zukünftigen Faschismus sichtbar. Es ist die „Utopie“ zu der in den High-Tech-Zentren heute in grandiosem Maßstabe und sich überbietender Konkurrenz zwischen den Staaten und Wissenschaftsgemeinden und unter Einsatz von Kapital in Billionenhöhe geforscht, experimentiert und bereits in Anlagen installiert wird. Nachzulesen ist dies alles in den transhumanistischen Visionen der biotechnischen Chef-Denker und durchaus auch Denkerinnen  dieser Zentren. Das muss ich hier nicht in aller Breite ausführen, man muss es aber als Realität  zur Kenntnis nehmen.

In diesen Perspektiven bleiben die lebendigen Menschen als überflüssige  „Organwesen“ hinter einer sich zur Herrschaft aufschwingenden biotechnischen Maschinen-Intelligenz zurück. Im besten Fall werden sie mit Methoden des noch aus der Sprache des US-Strategen Zbigniew Brzezinski stammenden berüchtigten „Tittytainment“ bei Laune gehalten, damit sie die polittechnische Maschinerie, die sie in  ihrer organischen Unfreiheit hält, nicht stürmen.

Auch wenn das heute noch Visionen sind, so ist doch erkennbar, dass die  herrschenden Wachstum- und Fortschrittsphantasien und Entwicklungsprogramme eskalierend in diese Richtung verlaufen – wenn es der Gegenbewegung der Menschen, die sich von dieser Entwicklung nicht überrollen lassen wollen, nicht gelingt den sozio-technischen Mechanismus, der dieser Entwicklung zugrunde lieg, zu transformieren.

Entwertung des Menschen

Kern dieses hier skizzierten Prozesses ist die ungebremste Selbstvermehrung und Konzentration des Kapitals zu einer sich tendenziell immer schneller  reproduzierenden „intelligenten“  Technik, die immer mehr Menschen überflüssig  macht. Immer weniger Menschen, Spezialisten und ihre Geldgeber, drücken eine immer diffuser und breiter werdende tendenzielle Mehrheit der Bevölkerung auf das Niveau der genannten „Organwesen“ herab.

Dieser Prozess ergreift die „oben“ nicht weniger als die „unten“, nur anders als früher – wenn es der Gesellschaft nicht gelingt, die Selbstverwertung und Verdichtung des Kapitals, die zugleich eine Entwertung des Menschen ist, in eine kontrollierte Nutzung der „intelligenten“ Maschinen für die Sicherung des tatsächlichen Lebensbedarfes der Menschheit und des Globus zu überführen.

Anders als früher, das heißt: Die Klassenverhältnisse verschieben sich. Die soziale Auseinandersetzung nimmt diffusere, aber zugleich existenziellere Formen an und bezieht immer weitere Kreise der Gesellschaften mit ein:  Die Tatsache, dass immer mehr Menschen in die Überflüssigkeit, in die Not, möglicherweise in die Revolte als letztem Ausweg gedrückt werden, zwingt die „Eliten“ zu immer radikaleren Maßnahmen für die Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft zu greifen. Das müssen sie nicht zuletzt deswegen, weil sie nicht nur die Unzufriedenheit einer diffusen Bevölkerung  zu fürchten haben, sondern sich auch ihrer Spezialisten nicht hundertprozentig sicher sein können.  Unter solchen Umständen reicht  das von Brzezinski seinerzeit vorgeschlagene „Tittytainment“ schon nicht mehr aus. Es werden totalere Mittel gebraucht, mit denen ein Stillehalten der Abhängigen hergestellt werden kann.

Das weltweite Corona-Regime, das die Menschen zur Zeit global in Angststarre versetzt, gibt eine Ahnung davon, wie diese Mittel zukünftig aussehen können: Immer neue todbringende Viren oder andere Krankheiten, vor denen es nur Rettung zu geben scheint, wenn sich die einzelnen Menschen, selbst die einzelnen Staaten den globalen staatlichen Präventionsprogrammen unterordnen.  Der Staat, vertreten durch seinen biotechnisch geleiteten Wissenschaftsapparat  präsentiert sich, möchte man sagen, als Erlöser vom Übel der ewigen mühseligen Conditio Humana. Da nimmt die Ordnungsmacht des Kontrollstaates bereits quasi-religiöse Züge an.

Gegen die Bedrohung durch diese Entwicklung  sind rückwärtsgewandte „Reichsbürger“ und sonstige Nationalisten, ist generell gesprochen jegliche Form des Nationalismus, der sich noch im Rahmen des einheitlichen Nationalstaates bewegt, nur noch rückwärtsgewandtes Theater – solange es beim Fahnenschwenken, bei Parolen wie „Merkel muss weg“ usw. bleibt. Zur Gefahr werden diese Kräfte dann, wenn und wo sie sich zu Hilfsorganen des heranwachsenden Präventionsstaates machen – gleich ob national oder übernational. Da beginnt die Zone der notwendigen Abgrenzung – geistig, indem aufgezeigt wird, wo die Rechten Mimikry betreiben, wenn sie sich in eine Bewegung, die für die Erhaltung des Verfassungsstaates und die allgemeinen Menschenrechte eintritt, einschleichen wollen, um entgegengesetzte Ziele zu verfolgen, physisch, wo sie zu menschenverachtender Gewalt bereit sind, dazu aufrufen oder selbst Gewalt und Terror praktizieren.

Ein paar Worte noch zum Antifaschismus

Worin besteht also ein wirklicher, in seiner Tiefe verstandener „antifaschistischer Kampf“, besser gesagt einer Auseinandersetzung, die dieser sich abzeichnenden Realität gerecht wird, wenn bloße Verweigerung, die sich dem Kontrollstaat individuell zu entziehen versucht, nicht mehr ausreicht? Er besteht darin, der Übergriffigkeit dieser maschinengeleiteten bürokratischen Kontrolle als Mensch zur Erhaltung der menschlichen Freiheit und Emotionalität entgegenzuwirken. Das betrifft nicht nur die abhängig arbeitende Bevölkerung, das betrifft alle, die sich die Freiheit zur Selbstentwicklung erhalten wollen.

Wenn auch Rechte, Reichsbürger oder Neonazis, um es noch einmal von einer anderen Seite her zu sagen, für die Verteidigung der Verfassung auftreten, und sich ihr unterordnen, sind sie letztlich nur arme Teufel, die sich ideologisch verirrt haben.  Gefährlich wird, wer die Totalisierungstendenzen des Staates deckt, nutzt und sich dafür benutzen lässt, statt dagegen anzugehen.

Und da, liebe Freunde, sind wir wieder am Anfang des Textes: Wenn sich bei den gegenwärtigen Demonstrationen, die sich kritisch gegen das Corona-Regime richten, Mitglieder der „Antifa“ und Demonstrationsteilnehmer/innen gegenseitig mit „Nazis raus!“ anschreien, wenn die Demonstrationsteilnehmer von den „Sicherheitskräften“ eingeschränkt, drangsaliert, verhaftet, vielleicht sogar geschlagen werden, die Mitglieder der „Antifa“ dagegen im Polizeischutz agieren können, dann sind es nicht „die Rechten“ oder „die Nazis“, die aus dieser Situation gestärkt hervorgehen, sondern die autoritären Tendenzen des Staates. Dann ist, um es unmissverständlich zu sagen, Aufklärung über die Natur dieses Staates und die Eingrenzung seiner unkontrollierten Allmacht die allererste antifaschistische Aufgabe. Möglicherweise verstehen das auch diejenigen, die heute meinen, den Staat, wie er ist, das heißt, einen Staat, dessen gegenwärtige Funktionsträger und -trägerinnen dabei sind, seine verfassungsmäßigen Grundlagen beiseitezuschieben, verteidigen zu müssen.

Aber gehen wir noch einen Schritt weiter: Was sind die Kräfte, die diese Übergriffigkeit des Staates  im Tiefsten begründen, impulsieren und  vorantreiben? Es ist die Konkurrenz, die immer wieder zum Prinzip erklärt wird, statt dass an ihrer Überwindung durch gegenseitige Hilfe gearbeitet würde. Diese Diskussion muss unbedingt offensiv geführt werden.

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Heute wird wieder kassiert – obwohl nicht viel zu Hören und Sehen ist?

Was ich heute von meinem Sohn gehört habe, ist der Mahnruf eines jungen Menschen, der in dieser verwirrten Zeit  von seinem Vater erwartet, dass er sich ‚outed‘ und Ansagen macht. Ja, er hat ein Recht darauf, wie die ganze nachwachsende Generation ein Recht darauf hat, dass wir mit ihnen zusammen den drohenden Tendenzen einer entmenschten Zukunft entgegenwirken, so gut wir können. Aber das kann der Vater natürlich auch nur, wenn er selbst herausfindet, wie das Problem, das uns heute bedrängt, zu verstehen und zu packen ist. Es ist ja bei allem Informationsüberfluss doch nur eines klar: Es geht heute um die Verteidigung der Menschlichkeit. Es geht um die Entwicklung von Freiheit in Verantwortung, um die Erarbeitung eines ethischen Individualismus. Das ist nicht Freiheit des EGO, sondern Selbstbestimmung des Einzelnen in gegenseitiger Hilfe unter den Menschen in Bezug auf die sonstige lebendige Welt und – könnte ich jetzt mit der Frau an meiner Seite sagen – in Bezug auf die geistigen Kräfte, die uns umgeben.

Es geht um mehr als alte Fahnen

Aber wie? Ein neuer Faschismus kommt, wenn er kommt, von ganz woanders als aus der bloßen Rückwendung. Eine faschistische Entwicklung, die Drohung des Faschismus und möglicherweise wirklich eine faschistische Gesellschaftsformation kommt aus der Zukunft, kommt aus dem bürokratisch-maschinellen Prozess, der uns zu Knechten der Maschine zu machen droht. Der Faschismus, der von daher droht, kommt viel weicher daher als die historischen Faschismen, weicher als der Hitlerismus und weicher auch als der Stalinismus. Er kommt, wenn er kommt, als Versprechen auf ein gesundes, glückliches, langes Leben in ewigem technischem und sozialem Fortschritt. Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ lässt grüßen. Das ist vollkommen klar.

Am Ende stehen immer Männer mit Waffen, aber platte physische Unterdrückung ist nicht das Gesicht dieser möglichen zukünftigen Herrschaftsvariante; psychische Unterdrückung ist noch ihr notwendiger Bestandteil, aber schlimmer ist die geistige Knechtung durch die „intelligente“ Maschine, die auf uns zukommt  und das Leben statistisch gnadenlos normiert. Das ist die neue Dimension des möglichen Faschismus, ganz eindeutig – und zwar, ich wiederhole, in der maskierten Form der angeblichen Optimierung,  Verbesserung, Erleichterung, der Befreiung des Lebens von Krankheit und Mangel. Alle, die sich gegen eine solche Dystopie wenden, auf welcher unverstandenen, spontanen, emotionalen Ebene auch immer, bis hin zu denen, die das mit intellektueller Klarheit machen, sind auf dem richtigen Weg.

Was heißt das letztlich? Das heißt, sich für die geistige Befreiung des Menschen einzusetzen. Sich für eine geistige Dimension einzusetzen. Sich von der Einschränkung des Lebens auf eine bloße konsumistische, materialistische Existenz zu befreien. Das ist natürlich ein volles Programm. Darauf  muss man richtig eingehen. Da darf man sich nicht an Äußerlichkeiten aufhalten, wo Leute noch irgendwelche alten Fahnen schwingen. Mein Gott, wen interessiert das denn noch! Das ist es nicht. Es geht um mehr als ein paar veraltete Fahnen.

Zum Abschluss: gegen Normierung

Ein letztes Wort schließlich noch an meinen Sohn: Du hast Deine letzte Performance unter dem Motto „Der Körper ist politisch“ durchgeführt. Du wendest Dich gegen die Normierung des Menschen als Mann oder Frau, du ziehst mit der Bewegung der Queers gegen Biologismus, Rassismus und erklärtermaßen gegen die Entwicklung möglicher neuer eugenischer Verhältnisse, in denen Menschen nach nützlich oder nicht nützlich, nach normal oder nicht normal integriert oder ausgrenzt werden.

Aber das ist ja gerade das Kennzeichen dieser Proteste, die gegenwärtig gegen das Corona-Regime entstehen, nämlich, dass sie über solche Normierungen hinweggreifen. Die Unterschiede liegen ja nicht zwischen „Verschwörungstheoretikern“ und aufgeklärten Wissenden, nicht zwischen „links“ und „rechts“, zwischen Christen und Nicht-Christen, zwischen „Normalos“ und „Queers“ usw. Die Unterschiede liegen zwischen denen, die für eine Selbstbestimmung in gegenseitiger Hilfe auf der Grundlage einer generellen Menschenliebe und dem Wissen von seiner Eingebundenheit in das ganze kosmische Geschehen eintreten und jenen, für die Menschenliebe und gegenseitige Hilfe nicht die Basis ihres Handelns sind.

Toleranz gegenüber anders Denkenden und anders Lebenden, um es abschließend deutlich zu sagen, hört da auf, wo die Grenze von der Menschenliebe und gegenseitigen Achtung zu Verachtung, Hass und Gewalt überschritten wird. Das ist eisern! Aber Derartiges hat es bei den bisherigen Demonstrationen zu Corona von Seiten der Demonstranten nicht gegeben. Diese Grenze wurde aus der Demonstration heraus  nicht überschritten, sehr wohl aber von Seiten der „Sicherheitskräfte“ und in gewissem Sinne auch von den Vertreterinnen und Vertretern der Medienphalanx, die durch selektive Berichterstattung bewusst ein falsches und letztlich Gewalt erzeugendes Bild der Demonstrationen hergestellt haben, statt die Demonstrationen als das anzunehmen, was sie ihrer Natur nach sind: die Aufforderung zum öffentlichen Dialog um den richtigen Umgang mit diesem Virus.

Soweit, hier schließe ich erst einmal. Diese Klärungsversuche beginnen ja erst.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

Zum Thema:

Die Kraft der Überflüssigen und die Macht der Über-Flüssigen, (erweiterte Neuauflage von „Die Kraft der ‚Überflüssigen‘ – Der Mensch in der globalen Perestroika“) Erschienen bei „Verein zur Förderung der deutsch-russischen  Medienarbeit e.V.“, Hannover, Dezember 2016, ISBN 9783-7412-98066, 10.99 €

      Das Buch zeigt, wer die ‚Überflüssigen‘ sind und welche Kräfte in ihrem ‚Überflüssigsein‘ liegt, welchen Widerständen bis hin zu eugenischen Selektionsphantasien ihr Aufbruch ausgesetzt ist, wie der Weg der Selbstorganisation in einer neuen, sozial orientierten Gesellschaft aussehen könnte.

Urheberrecht
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Grafikquellen     :

Oben    —   Gestoppter Demonstrationszug „Versammlung für die Freiheit!“[53] von Querdenken 711 am 29. August 2020

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2.) von Oben     —      A leaflet meant to be dropped onto a German city. This is an example of psychological warfare on the part of the 8th Air Force. Translation: On February 18, 1943, a few weeks after the catastrophe of StalingradDr. Goebbels posed a mass gathering in Berlin’s Sportpalast the question: „DO YOU WANT TOTAL WAR?“ An enthusiastic „yes“ was the Nazi gathering’s answer. Today Germany knows what „total war“ means, better than Goebbels and his yes-shouters in the Sportpalast foresaw. The total war that the Nazis wanted will be continued with ever severer force and effect until Germany capitulates unconditionally. THE GERMAN PEOPLE MUST CHOOSE FOR THEMSELVES: EITHER continuation of the total Nazi war until German manpower and industry is completely destroyed — OR: see back

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Unten     —      Ausschnitt aus der NSDAP-Zeitung Westdeutscher Beobachter vom 23. August 1933: „300.000 Kölner sollen Rundfunkteilnehmer werden“. Zur aktuellen Nazi-Rundfunkpolitik

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Mehr Macht der Zukunft

Erstellt von Redaktion am 25. September 2020

Demokratie und Klimastreik

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Nachhilfe für politische Troll-Politiker aus den Bundestag ?

Ein Schlagloch von Georg Diez

Beim Klimastreik beteiligen sich junge Menschen am politischen Diskurs – und machen den Job der Älteren.

Kann das so weitergehen? Ich glaube, es ist verrückt – die Art und Weise, wie im Angesicht der Kinder Generationenungerechtigkeit zur Grundlage von Politik gemacht wird, halte ich für extrem gefährlich für das Überleben der Demokratie. Im Extremfall steht die Legitimation dieser Regierungsform infrage, die so augenscheinlich gegen angewandte Vernunft und ein Mindestmaß an Verantwortung handelt.

Was wir brauchen, glaube ich, ist eine tiefgreifende Diskussion und eine chronopolitische Wende – die Einsicht und Umsetzung also, dass heutige Politik, massiver als je zuvor, das Leben der künftigen Generationen existenziell prägt. Diese Bringschuld gegenüber der Zukunft benötigt eine verfassungsrechtliche Gestalt und eine grundlegende Debatte. Da reicht es nicht, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken, wie jetzt wieder diskutiert wird – auch das schon eine anscheinend radikale Forderung in unserer sklerosen Demokratie.

Das greift zu kurz und bleibt an der Oberfläche der Angst und Unsicherheit. Die Diskussion ist alt; was sich verändert hat, ist die radikale Einsicht, dass die derzeit lebenden Generationen für mehr als die Hälfte des CO2-Ausstoßes verantwortlich ist – seit Beginn der industriellen Revolution vor mehr als 350 Jahren. Die existenzielle Krassheit dieser Tatsache sollte allein schon Grund dafür sein, darüber nachzudenken, selbst ungeborenen Generationen eine Stimme zu geben in der demokratischen Entscheidungsfindung, wie es etwa einige Völker von Ureinwohnern Nordamerikas praktizieren.

Der gegenwärtigen Form der liberalen Demokratie jedenfalls fehlt dieser Aspekt von Künftigkeit, diese auch spirituelle Dimension der Verbundenheit, mit Natur, mit den anderen, mit den Kommenden und Vergangenen. Sie bleibt damit in manchem arm, ärmer als notwendig, ärmer als gut.

Das Fundament: Jede*r hat eine Stimme

Eine Grundlage dieser Demokratie, die über Jahrhunderte gewachsen ist und damit auch aus einer konkreten Zeit stammt, mit anderen Vorstellungen von Vergangenheit und Zukunft, ist die Festlegung, dass jede*r Bürger*in genau eine Stimme hat; das ist das Fundament von Gerechtigkeit in der Gegenwart, historisch gewachsen.

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Aber was bedeutet die Verlängerung der Gegenwart in die Zukunft für das Wahlrecht? Ist es so sinnvoll, dass Achtzigjährige genauso viel zu sagen haben wie Achtjährige? Oder, konkreter, dass sie sehr viel mehr zu sagen haben, weil sie zahlreicher sind und länger leben und allzu oft eine Art von Politik unterstützen, die direkt gegen die Interessen der Jugend sind, was die Bewohnbarkeit des Planeten angeht. Wie bestimmt sich das Verhältnis von gelebter und ungelebter Zeit? Wie wird aus dieser Zeitkluft demokratische Praxis und konkrete Politik? Wie kann man Gegenwart verantwortungsvoll aus der Perspektive der Zukunft heraus denken?

In der aktuellen politischen Diskussion führt das erst mal zu Blockade und Abwehr. Peter Altmaier hat sofort deutlich gemacht, wie stark grundsätzliche Gedanken über eine bessere Demokratie überlagert werden von direkten Machtinteressen – die CDU, zu der Altmaier gehört, würde massiv verlieren, wenn junge Wähler*innen zugelassen würden; seine Worte, auch seine Wut nach dem aktuellen Vorstoß der FDP, auch 16-Jährigen das Wahlrecht zu geben, offenbarte, wie angstvoll veränderungsresistent diese politische Praxis ist.

Quelle      :        TAZ         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen  :

Oben        —       Abschlusskundgebung der FridaysForFuture Demonstration am 29. März 2019 in Berlin.

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Todesschuss-drei Versionen

Erstellt von Redaktion am 23. September 2020

Prozess zum Mord an Walter Lübcke

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Schießen wird am Besten in einer staatlichen Uniform gelehrt!

Von Konrad Litschko

Im Mordfall Walter Lübcke gibt es drei verschiedene Geständnisse des Angeklagten. Erfand Ex-Verteidiger Frank Hannig eines davon?

Stephan E. würdigt seinen früheren Anwalt keines Blickes, dreht sich nicht um, als Frank Hannig in den Saal tritt. Auch Hannig, geröteter Kopf, graues Jackett, schaut nur zu den Richtern, als er sich an den Zeugentisch setzt. „Ich heiße Frank Hannig, 50 Jahre, bin Rechtsanwalt, verheiratet, komme aus Dresden“, beginnt er.

All dies ist den Anwesenden im Saal 165 des Oberlandesgericht Frankfurt/Main hinlänglich bekannt. Denn Hannig war hier bis Juli selbst Beteiligter im Prozess zum Mord an Walter Lübcke. Als Pflichtverteidiger des Hauptangeklagten Stephan E. stellte Hannig Anträge, gab den Richtern Paroli, besprach sich mit seinem Mandanten. Dann wurde er entpflichtet. Weil er Anträge gegen den Willen von Stephan E. stellte. Der Anwalt musste seine Robe ablegen und den Saal verlassen.

Am Dienstag nun ist Hannig wieder da – in neuer Rolle. Als Zeuge. Und, wenn es schlecht läuft, demnächst als Beschuldigter wegen Anstiftung zu einer falschen Verdächtigung.

Es ist eine der inzwischen zahlreichen Volten in diesem seit Juni laufenden Großprozess. In der Nacht zum 2. Juni 2019 war Walter Lübcke, der Kasseler Regierungspräsident, mit einem Kopfschuss vor seinem Haus im kleinen Istha bei Kassel getötet worden. Zwei Wochen später wurde Stephan E. festgenommen, ein Kasseler Rechtsextremist mit langer Vorstrafenliste und zwei Kindern. Die Ermittler hatten eine DNA-Spur von ihm am Hemd von Lübcke gefunden. Der 47-Jährige gestand den Mord und führte sie zur vergrabenen Tatwaffe, einem Rossi-Revolver. So viel ist klar.

Welche Version stimmt denn nun?

Was aber genau in der Tatnacht geschah, ist inzwischen längst nicht mehr so klar. Und der Prozess in Frankfurt hat dies bisher auch nicht zu klären vermocht, eher im Gegenteil. Daran hat auch Frank Hannig seinen Anteil.

Denn inzwischen gibt es gleich drei Geständnisse von Stephan E., drei mögliche Versionen wie Walter Lübcke starb. In seinem ersten Geständnis hatte E. – kurz nach der Festnahme und ohne Anwalt – noch alle Schuld auf sich genommen: Er habe sich allein zum Haus von Lübcke begeben und habe den 65-Jährigen dort erschossen. Das Motiv: lang aufgestaute Wut über eine Ansage des CDU-Politikers an pöbelnde Geflüchteten-Gegner auf einer Bürgerversammlung 2015: Sie könnten ja Deutschland auch verlassen, wenn sie die hiesigen Werte nicht teilten, hatte Lübcke damals gesagt.

Dann aber zog Ernst sein Geständnis zurück – und wartete mit Version zwei auf: Er sei nicht allein am Tatort gewesen, sondern mit dem Mitbeschuldigten Markus H., einem Freund und Gesinnungskameraden. Dieser sei es gewesen, der Lübcke erschossen habe, aus Versehen, nachdem man den Politiker eigentlich nur bedrohen wollte. Im Prozess folgte dann Version Nummer drei: Es seien zwar beide am Tatort gewesen, in dieser Version aber will Stephan E. doch wieder selbst geschossen haben.

Seitdem dreht sich der Prozess darum, welche dieser Versionen denn nun stimmt. Und welchen Anteil die Verteidiger an diesen Geständnissen haben. Denn Stephan E. erklärte auch, dass es seine früheren Anwälte waren, die ihm die ersten zwei Geständnisse vorgaben. Beim ersten habe ihn sein früherer Verteidiger Dirk Waldschmidt, ein Szeneanwalt und seit Sommer 2019 entpflichtet, angehalten, Markus H. außen vor zu lassen – im Gegenzug würden „Kameraden“ seiner Familie finanziell helfen. Beim zweiten Geständnis sei es Hannig gewesen, der ihm vorschlug, Markus H. als Schützen zu benennen – um den bisher Schweigenden zu einer Aussage zu provozieren.

+DVB Haltestelle Altenberger Straße mit Werbeplakat - Bundeswehr macht den Meister. - Bild 001.jpg

Es ist dieser Vorwurf, wegen dem Hannig am Dienstag als Zeuge aussagen muss. Die Erwartungen sind hoch. Denn der Dresdener Anwalt ist nicht nur politisch einschlägig bekannt, stand schon bei Pegida auf der Bühne. Er ist auch sendungsbewusst. Schon vor dem Prozessstart lud Hannig zu einer Pressekonferenz, um das zweite Geständnis seines Mandanten zu verkünden. Später kommentierte er auf seinem Youtube-Kanal die Verhandlungstage. Auch am Montag filmte er ein Video von sich, auf einer Bank an einem Bach im Wald, mit Zigarre. Er suche gerade etwas Ruhe vor seinem kommenden Auftritt am Oberlandesgericht, sagte Hannig. Als Zeuge sei er dann ja „in der Hand des Gerichts“, davor habe er „durchaus auch ein bisschen Schiss“.

Am Dienstag im Gerichtssaal aber gibt sich Hannig plötzlich wortkarg. Er erscheint mit einem renommierten Wiesbadener Rechtsanwalt. Und dieser gibt zu Protokoll, dass Hannig von seinem umfassenden Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen werde. Sonst laufe dieser Gefahr, sich selbst zu belasten. Der Anstiftung zur Falschverdächtigung nämlich.

Nach einem Hin und Her mit Richter Thomas Sagebiel gibt Hannig zumindest preis, wie er im Juli 2019 zum Anwalt von Stephan E. wurde: Ein Kasseler Justizbediensteter habe ihn angerufen und gesagt, dass E. dringend einen Anwalt brauche, „und zwar einen wie mich“. Darauf habe er den Festgenommenen angeschrieben und das Mandat bekommen. Mehr aber will Hannig nicht sagen.

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Oben       —      Karriere Bundeswehr    +Postplatz Dresden – Glasdach und Werbefläche – Bundeswehr – Handwerker gesucht – Gas, Wasser, Schiessen – Bild 002

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EU Forschungsförderung

Erstellt von Redaktion am 22. September 2020

Die EU spart ihre Zukunft kaputt

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Da sind die meisten der Deutschen Politiker-Innen aber schon vor langer Zeit im Wasser verschwunden ? Sonst wäre es nicht so trocken ?

Eine Kolumne von Christian Stöcker

Wir erleben gerade drei globale Krisen gleichzeitig, hochkarätige Wissenschaft ist deshalb wichtiger denn je. Die Europäische Union aber will ihre Forschungsausgaben drastisch reduzieren.

Lange Zeit gehörte es zu den Grundprinzipien naturwissenschaftlichen Denkens und Handelns, sich aus der Politik so weit wie möglich herauszuhalten. Das war anfangs noch vergleichsweise einfach, wenn man nicht gerade mit den Dogmen der katholischen Kirche in Konflikt geriet. Spätestens mit dem unmittelbaren, immer schnelleren Hineinwirken von Wissenschaft und Technologie in die Gesellschaften der Welt aber änderte sich das Verhältnis zur Politik.

Spätestens nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki und dem Sputnik-Moment war dann klar: Wer eine globale Führungsrolle anstrebt, muss wissenschaftlich Spitze sein. Auch in China zum Beispiel hat man das offenkundig verstanden.

Atemberaubend schnell

Im 21. Jahrhundert hat sich das Verhältnis von Wissenschaft und Politik erneut gewandelt. Das hat einerseits mit den auf Zweifel an der Wissenschaft an sich gerichteten Propagandaanstrengungen der Unternehmen zu tun, die mit der Förderung von Roh-CO2 so viele Jahrzehnte sensationell viel Geld verdient haben. Andererseits aber auch mit der sogenannten Großen Beschleunigung: Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn verläuft mittlerweile, in menschheitsgeschichtlichen Dimensionen betrachtet, atemberaubend schnell.

Der Abstand zwischen dem, was Spezialistinnen in ihrem jeweiligen Fachgebiet wissen und verstehen, und dem, was als Allgemeinbildung gelten kann, wächst immer weiter. Das sorgt für Verunsicherung und eine mancherorts zu beobachtende Mischung aus Angst und offener Ablehnung gegenüber der Forschung an sich. In den USA hat es diese Geisteshaltung bekanntlich bis ins Weiße Haus geschafft.

Immer geringerer öffentlicher Anteil an der Förderung

Der Umgang mit dem Coronavirus hat es ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt: Alles geht wahnsinnig schnell, aber gleichzeitig manchmal dann doch nicht schnell genug für die Politik.

Ein oft unterschätzter zweiter Effekt dieser Beschleunigung: Spitzenforschung wird, auch weil sie mittlerweile so stark von sich selbst permanent weiterentwickelnder Hochtechnologie als Werkzeug abhängt, immer teurer.

In (West-)Deutschland wurden Zahlen des Forschungsministeriums zufolge zum Beispiel im Jahr 1981 umgerechnet 16 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben, etwas mehr als die Hälfte davon gaben private Unternehmen aus. Im Jahr 2018 waren es insgesamt gesamtdeutsch über 119 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung. Nun aber kamen zwei Drittel davon von der Industrie. Der öffentliche Anteil war geschrumpft.

Leider kommt viel von dem Geld aus der gleichen Ecke

Unglücklicherweise entfällt zudem ein gewaltiger Teil – 2017 waren es über 25 Milliarden Euro – der gesamten Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Deutschland (PDF-Dokument) auf die Automobilindustrie – die mit all dem Geld bekanntlich seit vielen Jahren vor allem sehr bald obsolete Verbrennungsmotoren und zuletzt auch noch Betrugssysteme verfeinert hat.

Es soll weniger in die Schöpfung dessen investiert werden, was wir morgen brauchen werden.

Die Gesamtsumme der Forschungs- und Entwicklungsaufgaben ist also als Richtgröße erst einmal wenig wert – es kommt sehr darauf an, wer da Geld in was investiert. Nobelpreise zum Beispiel gehen bekanntlich eher an universitär oder in Forschungsinstituten arbeitende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Freiheit beim Denken hilft beim Forschen.

Kürzung um 14 Prozent

In Deutschland aber geht der prozentuale Anteil der öffentlichen, also nicht unmittelbar profitorientierten Forschungsförderung seit vielen Jahren immer weiter zurück.

Die Europäische Kommission hatte die Forschungsausgaben auf europäischer Ebene in den vergangenen Haushaltszyklen sinnvollerweise zunächst immer wieder erhöht. Noch 2018 schlug die Kommission ein Gesamtbudget von 94,1 Milliarden Euro für das Horizon genannte europäische Forschungs- und Entwicklungsprogramm vor. Bei dem als historisch gefeierten EU-Deal im Juli kürzten die Staats- und Regierungschefs diesen Vorschlag dann mal eben auf 81 Milliarden für die Phase von 2021 bis 2027 herunter – inklusive der Gelder, die zur wissenschaftlichen Bekämpfung der Pandemie aufgewendet werden sollen. Das ist eine Kürzung um 14 Prozent.

Quelle          :        Spiegel-online         >>>>>         weiterlesen   

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Grafikquellen       :

Oben      —   MCC-Definition von globalen Gemeinschaftsgütern

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Schuldabwehr als Spektakel

Erstellt von Redaktion am 16. September 2020

Gab es im Nationalsozialismus überhaupt deutsche Täter?

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Ein Schlagloch von Charlotte Wiedemann

Wenn sich Demonstranten als verfolgte Juden verkleiden, ist das nur ein Symptom.

Ist es mit Verschwörungsmythen zu erklären, wenn sich im Land der Shoah Impfgegner gelbe Judensterne anheften? Solche Deutungen umschiffen etwas Wesentliches – weil es dem offiziellen Selbstbild des geläuterten Landes zu sehr widerspricht: Die Deutschen haben wenig Bewusstsein für die eigene Täterschaft im Nationalsozialismus.Ein furchtbarer Satz, er schreibt sich nicht leicht. Aber es ist an der Zeit zu untersuchen, warum sich eine Minderheit so sicher fühlt, wenn sie Symbole auf die Straße trägt, die mit Bezugnahme auf deutsche Verbrechen eine Opferidentität halluzinieren und reklamieren.

Es war ein Erinnerungsort in Erfurt, der mich angeregt hat, neu über Täterschaft nachzudenken. Wo die Wilhelm-Busch-Straße den Nonnenrain kreuzt, wurden einst die Verbrennungsöfen für Auschwitz konstruiert. In großen Lettern steht heute an der Fassade des einstigen Verwaltungsgebäudes: „Stets gern für Sie beschäftigt …“ Mit dieser Grußformel unterzeichnete die Firma Topf & Söhne ihre Briefe an die Waffen-SS im Lager.

Ein Familienunternehmen; seine Inhaber waren weder fanatische Nazis noch handelten sie unter Zwang. Es war nicht zuletzt die technische Herausforderung, in Auschwitz immer größere Mengen von Leichen zu beseitigen, die den Ehrgeiz der Firmen-Ingenieure anstachelte. Als Arbeitgeber waren die Gebrüder Topf anständig und liberal, beschäftigten sogar Kommunisten und andere Verfolgte. Aber nichts hinderte sie, zum Dienstleister der Endlösung zu werden.

Eine Täterschaft im Gewand bürgerlicher Normalität (übrigens nie geahndet), unideologisch, ohne besondere individuelle Bösartigkeit. Diese mausgraue Täterschaft, verbreiteter als die grelle, ist im Licht der Jahre verblasst, als hätte es sie nie gegeben. Verschwunden aus der eigenen Familie; kaum ein heutiger Deutscher vermag sich dort einen Täter, eine Täterin vorzustellen. Umfragen zeigen auch, wie verbreitet die Ansicht ist, die Masse der Deutschen sei frei von Schuld gewesen, nur eine kleine Riege von „Verbrechern“ habe den Judenmord auf dem Gewissen.

Fast wortgleich hatte es Konrad Adenauer 1951 in einer Bundestagsrede formuliert: Die „überwältigende Mehrheit der Deutschen“ habe die Verbrechen gegen Juden verabscheut und viele hätten keine Gefahr gescheut, ihren jüdischen Mitbürgern zu helfen. Heute glaubt ein Drittel der Deutschen, in der eigenen Familie hätte es solche Helfer gegeben (Historiker sehen deren Anteil bei 0,3 Prozent), und jeder Zweite findet unter seinen Vorfahren Opfer.

Die Katze lasst das Mausen nicht!.jpg

Wenn sich Demonstranten Judensterne und gestreifte Häftlingskleidung anlegen und Anne Frank für sich vereinnahmen, inszenieren sie Schuldabwehr und Täter-Opfer-Umkehr auf großer Bühne. Das Spektakel spiegelt im Extremen, was als Haltung gegenüber der eigenen Geschichte auf stillere Weise weit verbreitet ist. Die sogenannte rechtsoffene Minderheit nur als Negation der löblichen Gedächtniskultur einer Mehrheit zu sehen ist deshalb zu einfach.

Am Rande einer Kundgebung erklärte mir ein Beteiligter: Sein Großvater sei im KZ umgekommen; gerade deshalb kämpfe er nun gegen die neue Diktatur. Ich war zunächst sprachlos, aber es war der Opferstatus des Großvaters, der diesem Narrativ eine innere Logik verlieh. Das ist furchtbar wirr, aber ist es wirklich so viel wirrer als die Normalität eines weitgehend täterfreien Erinnerns im Land der Shoah?

Quelle      :         TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen         :

Oben      ––        The Liberation of Bergen-belsen Concentration Camp, April 1945 Dr Fritz Klein, the camp doctor, standing in a mass grave at Belsen. Klein, who was born in Austro-Hungary, was an early member of the Nazi Party and joined the SS in 1943. He worked in Auschwitz-Birkenau for a year from December 1943 where he assisted in the selection of prisoners to be sent to the gas chambers. After a brief period at Neungamme, Klein moved to Belsen in January 1945. Klein was subsequently convicted of two counts of war crimes and executed in December 1945.

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Unten        —       Parole der Woche

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Ein Digitalisierungsdrama

Erstellt von Redaktion am 10. September 2020

Hauptsache, es funktioniert für mich

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Eine Kolumne von Sascha Lobo

Deutschland ist ein Digital Failed State, jedenfalls gemessen an seinen Möglichkeiten. Wir leiden unter einem Funktionierfetisch: Solange alles läuft wie gewohnt, gilt jede Veränderung als potenzielle Bedrohung.

Immerhin kann man Deutschland keine mangelnde Gründlichkeit vorwerfen. Im Gegenteil schafft es dieses Land, mit größter Sorgfalt fast jede Dimension der Digitalisierung zu versauen. Immer noch, immer wieder. Auf diese Weise schimpfe ich seit mindestens zehn Jahren, leider zu Recht, aber eigentlich kann ich es selbst nicht mehr hören. Drei Schlagzeilen allein aus den letzten drei Tagen:

„Nirgendwo lief der Umstieg auf Digitalunterricht so schlecht wie in Deutschland“
Eine Studie hat führende Industrieländer verglichen, Deutschland liegt ganz hinten. Nur zehn Prozent der Eltern empfanden den Wechsel vom Präsenzunterricht zur digital vernetzten Variante als reibungslos gelungen. Fünfzig Prozent der Eltern meinten, die Schulen seien „gar nicht“ vorbereitet gewesen.

„Das Ergebnis ist alarmierend“

Das sagt der Präsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft zur Vorstellung des „KI-Monitors“. Es handelt sich um ein Gutachten zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland.

„Deutschland fällt in der digitalen Wettbewerbsfähigkeit zwischen 2017 und 2019 um 52 Ränge zurück.“

Das European Center for Digital Competitiveness untersucht in zehn verschiedenen Kategorien, wie digital wettbewerbsfähig die Länder der Welt so sind. Deutschland verliert dabei (kumuliert) in drei Jahren 52 Rangplätze.

Im Herbst 2020 gilt: Deutschland ist ein Digital Failed State – wenn man das Land an den eigenen Möglichkeiten misst. Das digitale Staatsversagen lässt sich nicht nur an den Einschätzungen der drei sehr verschiedenen Studienurheber ablesen. Sondern auch am Evergreen-Thema digitale Infrastruktur. Durch Corona verzögert liegen inzwischen die jüngsten Zahlen zur Glasfaserverkablung bis in die Haushalte (FTTH) vor, der mit Abstand wichtigsten und zukunftsfähigsten Dateninfrastruktur, Stand 2019.

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Bei der technisch möglichen Abdeckung kommt Norwegen auf 90 Prozent, Spanien auf 85 Prozent, Frankreich auf 57 Prozent, der Durchschnitt der EU-28 beträgt 39 Prozent. Deutschland liegt bei zehn Prozent.

Die Freude am Funktionieren.

Wenn man die ohnehin stets besser versorgten Städte weglässt, dramatisiert sich das Bild. Nur sechs Prozent der ländlichen Haushalte wären technisch überhaupt in der Lage, einen Glasfaseranschluss legen zu lassen. In Spanien sind es 42 Prozent, dabei leben dort im Schnitt nur 93 Menschen je Quadratkilometer. In Deutschland sind es 233.

Das Trauerspiel wiederholt sich bei den Zahlen der tatsächlichen FTTH-Abonnenten: Schweden 56, Spanien 54, Norwegen 39, Frankreich 25 Prozent der Haushalte. Deutschland hat sich auf drei Prozent hochgekämpft.

Quelle      :         Spiegel-online        >>>>>         weiterlesen

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Oben      —       Пробный урок в KIBERone

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Studieren auf Pump:

Erstellt von Redaktion am 9. September 2020

Corona und die akademische Spaltung

Von Pia Stendera

Gut eine Woche vor dem Start des Sommersemesters kam der Lockdown. Wie in allen Bereichen des öffentlichen Lebens galt es damit auch an den Hochschulen einen Ausnahmezustand zu ordnen: Ende März wurde der Semesterstart bundesweit verschoben, um die technische Infrastruktur und die Lehrveranstaltungen den neuen Gegebenheiten anpassen zu können. Veranstaltungen wurden kurzerhand auf digitale Formate umgestellt oder gar gestrichen, Bibliotheken standen nur noch digital und damit stark begrenzt zur Verfügung, die Mensen schlossen.

Aus epidemiologischer Sicht waren die Maßnahmen berechtigt. Der Haken ist nur: Die Handlungen orientierten sich vor allem an organisatorischen, strukturellen und institutionellen Fragen: Wann sollte das Semester starten? Wie kann die Lehre aussehen? Wie sollen Prüfungen absolviert und Abschlussarbeiten eingereicht werden? Weitgehend ausgeblendet blieben indes – ähnlich wie bei Kita- und Schulschließungen – die möglichen Auswirkungen auf die Studierenden, die in prekären Lebenslagen leben. Und diese Ignoranz setzt sich bis heute fort: Während in Windeseile mehrere Konjunkturpakete für die Wirtschaft in Milliardenhöhe vom Bundestag verabschiedet wurden, warten viele Studierende bis heute vergeblich auf finanzielle Unterstützung.

Maßnahmen zugunsten der Studierenden kamen zunächst lediglich von den Universitäten selbst: Die Abgabefristen für Haus- und Abschlussarbeiten wurden verlängert und das laufende Sommersemester wurde vielerorts nicht als Fachsemester gezählt. Auf diese Weise wollte man den Studierenden Freiräume schaffen, um entspannter in das außerordentliche Sommersemester starten zu können. Ohne finanzielle Absicherung allerdings fiel es vielen schwer, diese Zeit tatsächlich im Sinne des Studiums zu nutzen.

Hier offenbart sich ein zentraler Fehler im Umgang mit Studierenden im Allgemeinen, besonders aber in der Krise: Wer studiere, sei bereits privilegiert – wenn nicht jetzt, dann spätestens nach dem Studium – und für die anderen gäbe es ja das BAföG, so die offenbar weithin geteilte Annahme. Diese aber ist so oberflächlich wie verfehlt, denn die Finanzierungskonzepte und Problemlagen von Studierenden sind weitaus komplexer: Längst nicht jede*r bedürftige Studierende hat einen Anspruch auf BAföG und selbst jene, die es bekommen, können nur selten ihren gesamten Lebensunterhalt mit dem Bildungskredit bestreiten. Nicht jede*r Studierende hat gute Jobaussichten, erst recht nicht in einer Wirtschaftskrise. Und schließlich verfügt auch nicht jede*r Studierende über die nötige Resilienz, diese Krise in den eigenen vier Wänden – und damit womöglich allein – ohne Schwierigkeiten zu überstehen. Eine Erhebung der Universität Würzburg zeigt beispielsweise, dass über die Hälfte der befragten Studierenden negative Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit erwarten oder bereits erleben.[1] 

Besonders betroffen sind die ohnehin ökonomisch und sozial schlechter gestellten Studierenden – auch, weil sich das Hochschulsystem für ihre Problemlagen erneut als blind erweist. Zwar mag die Zulassung an Universitäten und Hochschulen formal betrachtet egalitär sein, das Studieren ist es jedoch nicht. Diese Tatsache fand bei den Entscheidungen zur Unterstützung Studierender in der Krise wieder einmal keine Berücksichtigung.

Finanzielle Ungleichheit

Gerade die Einnahmen von Studierenden sind diverser, als es die vermeintliche Wahl zwischen Elternunterstützung und BAföG suggeriert. Selten genügt die eine oder andere Bezugsquelle für den ganzen Lebensunterhalt. Laut der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks erhielten im bislang letzten Erhebungszeitraum 2016 gerade einmal ein Viertel der Studierenden BAföG.[2] Im Schnitt bekamen sie 435 Euro – damit können sie kaum mehr als die durchschnittlichen Kosten für ein WG-Zimmer decken. Selbst die nach jahrelangen Forderungen endlich zum Wintersemester 2019/2020 beschlossene BAföG-Höchstsatzanpassung auf bis zu 861 Euro dürfte nur geringe Auswirkungen haben. Denn am Grundproblem des BAföG-Zugangs hat sich nichts geändert: Nicht wenige Studierende schrecken vor der mit dem Antrag verbundenen Bürokratie zurück, viele scheuen die Verschuldung – die Hälfte des ausgezahlten BAföG-Betrages wird als Zuschuss gewährt, die andere Hälfte muss nach dem Studium zurückgezahlt werden – und viel zu wenige erhalten aufgrund der zu geringen Elternfreibeträge überhaupt eine Bewilligung.

Doch auch von der finanziellen Unterstützung ihrer Eltern können nur die wenigsten Studierenden ihre gesamten Kosten decken: Im Durchschnitt erhalten sie von diesen 541 Euro pro Monat und liegen auch damit weit unterhalb der deutschen Armutsgrenze von derzeit 892 Euro für eine alleinstehende Person. Allerdings unterscheiden sich die Zuwendungen je nach Bildungsherkunft enorm: Während Studierende mit hoher Bildungsherkunft ihre Einnahmen zu 66 Prozent über die Eltern und nur zu 20 Prozent mit dem eigenen Verdienst decken, erhalten Studierende mit niedriger Bildungsherkunft lediglich 33 Prozent ihrer Einnahmen über die Eltern und 30 Prozent über den eigenen Verdienst.[3] Um das Studium und den Lebensunterhalt zu finanzieren, greifen einige Studierende auch in normalen Zeiten zusätzlich auf Studienkredite zurück, andere spenden Blutplasma. Fast zwei Drittel der Studierenden arbeiten neben dem Studium. Laut Studentenwerk insbesondere jene, die eine niedrige bzw. mittlere Bildungsherkunft haben.

File:Closed playground in Eilenriede (Hannover, Germany) during COVID-19 pandemic.jpg

Doch mit der Schließung von Kulturstätten, Geschäften und der Gastronomie brachen zahlreiche geringfügige Beschäftigungen weg. Mehr als 40 Prozent der Studierenden hierzulande verloren dadurch ihre Nebenjobs.[4] Davon sind insbesondere Studierende aus Arbeiter*innenfamilien betroffen, da diese häufiger fachfremd, also beispielsweise nicht als studentische Hilfskräfte an den Universitäten, arbeiten.[5]

Während die SPD schon zu Beginn der Coronakrise eine Öffnung des BAföGs forderte, verwies das Bundesministerium für Bildung und Forschung unter Anja Karliczek (CDU) lediglich auf ein Darlehen von bis zu 650 Euro über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), das im Zuge der Pandemie bis Ende März 2021 zinslos gestellt wurde[6] – eine Antwort, die auf der Annahme beruht, alle Studierenden trauten sich unabhängig von ihren Berufsaussichten in einer Krisensituation zu, sich (zusätzlich) zu verschulden.

Quelle      :      Blätter         >>>>>        weiterlesen

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Oben        —      Axt mit kleinem Schneidenwinkel, wie sie vor allem zum Entasten verwendet wird

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Unten         —      Geschlossener Spielplatz in Eilenriede (Hannover, Deutschland) während der COVID-19-Pandemie.

Author Michał Beim

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– Cancelt euch doch –

Erstellt von Redaktion am 9. September 2020

Die Merkwürdigkeiten der Cancel Culture.

2017 Lisa Eckhart (36823609710).jpg

Ein Schlagloch von Jagoda Marinic

Die Kabarettistin Lisa Eckhart und warum Denkfaulheit den deutschen Diskurs so irrelevant macht

Die sogenannte Debatte über die Cancel Culture ist nur eine von vielen deutschen Diskursfaulheiten: Man nimmt eine laufende US-Debatte und wirft ein paar deutsche Namen und Themen hinein, fertig ist der Diskurs. Es stehen sich in etwa die gleichen Lagen gegenüber wie bei #MeToo, wo es in Deutschland auch keine mit den USA vergleichbare Bewegung gab. So wie es in Deutschland kaum gecancelte Namen gibt, so gab es auch kaum drei Männernamen, die öffentlich gefallen sind; doch die deutsche Empörung über das Zerstörpotenzial von #MeToo war größer als die Bewegung selbst.

Das gleiche deutsche Scheindebattentheater spielt sich nun rund um den Begriff „Cancel Culture“ ab. Wie gesagt, man kommt in Deutschland auf keine drei Namen, aber wehret den Anfängen, sagen die Besorgten! Eher nicht. Dabei sind die Hintergrundgeschichten zu den deutschen Absagen vielschichtiger als: Ein linker Mob hat die Künstler von der Bühne gebrüllt. Nein, manchmal sind Kulturveranstalter derzeit überfordert damit, auf die aktuellen politischen Spannungen zu reagieren. Ein linker Meinungsmob jedenfalls hat die Kabarettistin Lisa Eckhart nicht von der Hamburger Bühne gebrüllt.

Spannend wird die deutsche Cancel Culture erst, wenn man sich ansieht, was und wer alles nicht unter den Schutzmantel der Anti-Cancel-Culture-Lobby fällt. Der afrikanische Historiker Achille Mbembe etwa, der die Eröffnungsrede der Ruhrtriennale halten sollte, kam nicht in den Genuss, von den Cancel-Culture-Empörten beschützt zu werden, obwohl ihm weltweit führende Denker zur Seite sprangen. Da gehe es um etwas so Sensibles wie Antisemitismus, heißt es dann, das Schüren von Vorurteilen sei in heutigen Zeiten besonders gefährlich. Interessanterweise wirft man der Kabarettistin Lisa Eckhart dasselbe vor, doch hinter ihr versammeln sich die engagierten Hüter der freien Kunst, doch dazu später.

Am interessantesten werden die deutschen Cancel-Culture-Besorgten in der Auslassung: Sehen sie Perspektiven, Künstler und Stimmen, die jahrzehntelang gecancelt wurden? Nein. Doch jahrzehntelang wurden Stimmen im deutschen Diskurs aussortiert, weil es für viele Verantwortliche selbstverständlich war, dass sie nicht mitzureden haben. Deren Kunst sei nicht gut genug, hieß es dann. Die Kälte des alten Cancel-Mechanismus lag ja darin, dass vielfältige Perspektiven gar nicht erst auf die Bühne gebeten wurden, deshalb musste man auch niemanden ausladen. Für Autor*innen mit Migrationsgeschichte gab es in Deutschland lange vor allem die Interkulturelle Woche oder irgendein Format mit „Nachbarn“ im Titeln, um den soziokulturellen Charakter der Veranstaltungen zu kennzeichnen. Bloß nicht in die heiligen Hallen der Hochkultur! Kulturprodukte von Eingewanderten und ihren Kindern waren so leicht zu canceln, man konnte sie einfach für „nicht gut genug“ befinden, völlig debattenfrei.

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Doch jetzt sind viele von ihnen da und sie lassen sich auch nicht mehr canceln. Sie haben, wie emanzipiert, eine Meinung und vertreten diese nicht leiser als jene, die vorher den Diskurs bestimmt haben. Die Präsenz von Minderheitenstimmen in der Öffentlichkeit verdankt sich meist nicht den klassischen Gatekeepern, sondern ihrer eigenen Beharrlichkeit und einem Publikum, das sich endlich in den öffentlichen Meinungen wiederfindet. Die Vielfalt des aktuellen Diskurses ist dem Bildungsaufstieg einiger talentierter Einwandererkinder zu verdanken, die entgegen allen statistischen Prognosen ihren Weg gegangen sind und in der Mehr- und Minderheitsgesellschaft ihre Fans gefunden haben. Ihre Präsenz ist auch den sozialen Medien zu verdanken und der Kraft, mit der sie nun ihre Perspektive vorbringen. Zu behaupten, Widerspruch sei ein „Wegbrüllen“ oder „Canceln“ bezeugt eher: Man war gewohnt, alles sagen zu dürfen und dafür wenig Gegenrede zu erhalten.

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Oben      —       Lisa Eckhart, Foto: Franziska Schrödinger

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SPD – Wahlkampf in NRW

Erstellt von Redaktion am 5. September 2020

Flimmern in der Sozi-Herzkammer

Skulptur Wilhelmstraße 140 (Kreuz) SPD Würfel.jpg

In NRW fiel der Würfel wohl nach rechts !

Von Andreas Wyputta

Im NRW-Kommunalwahlkampf lässt Corona die Sozialdemokraten einsam zurück. Das Rathaus Dortmund dürften sie trotzdem erobern.

 Verloren wirkt der Infostand, den die Dortmunder SPD knapp zwei Wochen vor der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen an der zentralen Reinoldikirche aufgebaut hat. In normalen Zeiten verwandeln die Genoss*innen die Fußgängerzone in der vom einstigen Bundestagsfraktionschef Herbert Wehner zur „Herzkammer der Sozialdemokratie“ geadelten, knapp 600.000 Einwohner*innen zählen Metropole im östlichen Ruhrgebiet in eine Wahlkampfmeile. Doch wo sonst Sozialverbände, Gewerkschaften und die Parteijugend in den Jusos mit Flyern, Stickern, Kugelschreibern und Bratwürsten werben, finden am Dienstag nur wenige Bür­ger*innen zur SPD.

Deren Oberbürgermeister­kandidat Thomas Westphal hat wie Jour­nalist*innen auch Probleme, überhaupt mit Bür­ger*in­nen ins Gespräch zu kommen: „Nein danke“, sagen viele Angesprochene. Westphal hat daher Unterstützung mitgebracht.

Begleitet von der Kunstfigur „Storch Heinar“, die das unter Rechtsextremen beliebte Klamottenlabel Thor Steinar lächerlich macht, und von Bundeschef Norbert Walter-Borjans hängt er mit der NRW-Generalsekretärin Nadja Lüders Plakate in der Fußgängerzone auf. „Kreuze machen ohne Haken“ steht darauf. Ein Hinweis auf die SPD dagegen fehlt selbst in Dortmund, wo die Genoss*innen seit 1946 durchgehend das Stadtoberhaupt stellen.

Vor dem Pressetross, den der Bundesparteichef aus Berlin mitgebracht hat, beschwören Walter-Borjans, Westphal und die Dortmunderin Lüders den Mythos der SPD-„Herzkammer“ NRW dagegen immer wieder. Sozialdemokrat zu sein – das sei in Dortmund eine „Grundüberzeugung“, erklärt Westphal. Tatsächlich lebt fast jedes vierte der 425.000 SPD-Mitglieder in NRW. Trotz massiven Mitgliederschwunds zählt die Partei in Dortmund noch immer rund 6.000 Mitglieder – in ganz Mecklenburg-Vorpommern sind es gerade einmal 2.000.

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Dümmer geht’s nümmer, das Kreutz für uns – wir werben für die NPD

Westphal kann sich deshalb Hoffnung machen. Der eloquente Ex-Juso-Bundeschef, der gern mit weißem T-Shirt unter dem Jackett, Jeans und Sneakern auftritt, setzt auf die Themen bezahlbares Wohnen, weniger Autos und bessere Schulen. In einer Umfrage von Mittwoch liegt der 53-Jährige trotz starker Konkurrenz weit vorn: Westphal käme bei der Oberbürgermeister-Direktwahl auf 32 Prozent. CDU-Kandidat Andreas Hollstein, bundesweit durch die Messerattacke eines Flüchtlingsgegners bekannt gewordener Bürgermeister von Altena, liegt bei 21 Prozent. Davor noch liegt die einstige grüne Landeschefin Daniela Schneckenburger mit 26 Prozent.

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Oben     —           Sculpture, SPD Würfel, Wilhelmstraße 140, Berlin-Kreuzberg, Germany

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Hintergrund:Corona-Skeptik

Erstellt von Redaktion am 5. September 2020

Die egoistische Freiheit der Ich-Linge?

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Die Regierung im Land ist außer Rand und Band ?

Quelle     :         Scharf  —  Links

Von Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein

Ein libertär-egoistischer Freiheitsbegriff bricht sich gerade weltweit Bahn

  • Freiheit – Keine Maske tragen zu müssen und andere Menschen anstecken zu dürfen
  • Freiheit – Als Konzern, Millionär & Milliardär fast keine Steuern zahlen zu müssen
  • Freiheit – Waffen zu tragen
  • Freiheit – Unbegrenzt laut überall und schnell Motorrad & Sportwagen fahren zu dürfen & AnwohnerInnen zu quälen
  • Freiheit – Überall seinen Müll hinwerfen zu dürfen, es gibt ja Menschen die hinter einem herputzen
  • Freiheit – Die Klimakatastrophe und das Insektensterben im Konzernauftrag zu leugnen
  • Freiheit – Uns alle mit CUM-EX Deals um 55.000.000.000 Euro zu betrügen
  • Freiheit – Natur, Umwelt, Regenwälder & Klima zerstören zu dürfen

Der Begriff Freiheit zählt sicher zu den wichtigsten Wörtern der Menschheit. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit waren die zentralen Begriffe der französischen Revolution. Auch bei der Badischen Revolution 1848/49 stand der der Traum von der Freiheit im Mittelpunkt. Freiheit bedeutet, ohne Zwang zwischen verschiedenen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können. Der Kampf um Menschenrechte war und ist immer auch ein Kampf für Freiheit. Janis Joplins „Freedom is just another word for nothing left to loose“ prägte eine ganze Generation. Und doch sagte schon Matthias Claudius (1740 – 1815) zu recht: „Die Freiheit besteht darin, dass man alles tun kann, was einem anderen nicht schadet“. Den engen Zusammenhang zwischen Freiheit und Vernunft zeigte Immanuel Kant (1724 – 1804) auf: „Die Freiheit ist eigentlich ein Vermögen, alle willkürlichen Handlungen den Bewegungsgründen der Vernunft zu unterordnen“.

Es ist Vorsicht geboten, wenn Politiker wie Trump und Bolsonaro, Wirtschaftsführer oder Parteien den Begriff Freiheit „zu häufig“ im Munde führen. Über einen langen Zeitraum hat eine gezielte Umdeutung dieses positiv besetzten Begriffs stattgefunden und der Begriff Freiheit ist heute allzu häufig zum neoliberalen Kampfbegriff verkommen. Viele rechtspopulistische Parteien tragen das Wort »Freiheit« sogar im Parteinamen. „Freedom and Democracy“ waren auch immer gute Ausreden um Kriege für Öl, Kohle, Rohstoffe und wirtschaftliche Interessen zu führen.

„Querdenken 711“ & Corona-Skeptiker Aus Amerika ist der Corona-Protest auch nach Deutschland geschwappt. Die Kritik der „Querdenker“ & globalen Corona-Verharmloser richtet sich gegen alle (zumeist sinnvollen) Corona-Beschränkungen, die sie als unverhältnismäßig und Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit empfinden. Gründer der Bewegung ist der IT-Unternehmer Michael Ballweg. Er forderte am 22. August in Darmstadt die „sofortige Beendigung aller Corona-Maßnahmen“ und die „Abdankung der Bundesregierung“. Doch angesichts der deutlich erkennbaren Verletzlichkeit unserer Gesellschaft ist das Austesten der eigenen Immunität und Unverwundbarkeit ignorant und vergisst die Alten, die körperlich Eingeschränkten, die Kranken. Es geht um die Freiheit, keine Maske tragen zu müssen und andere Menschen anstecken zu dürfen. So ist es kein Wunder, dass hinter dieser „Bewegung“ so viele Reichsbürger, Rechtspopulisten und AfD-Anhänger stehen. Zehntausende protestieren aktuell gegen die Anti-Corona-Maßnahmen und berufen sich dabei auf unzulässige Einschränkungen von Freiheit & Selbstbestimmung.

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Plappert nicht auch Merkel manchen Schwachsinn nach ?

Missverstandene Freiheit: Recht des Stärkeren *Hier offenbart sich ein Persönlichkeitstypus, den Theodor W. Adorno bereits 1950 in seinen „Studien zum autoritären Charakter“ beschrieb. Ein vermeintlicher „Rebell“, der im Kostüm der Freiheit seinen despotischen Sehnsüchten nachgeht, weil er, so Adorno, den Drang verspürt, „pseudorevolutionär gegen jene vorzugehen, die in seinen Augen schwach sind“. Freiheit meint hier dann also lediglich die asoziale Freiheit des Stärkeren, der sich vor einer tödlichen Lungenentzündung vermeintlich nicht zu fürchten braucht. Oder, wie Adorno ein Jahr später in seiner „Minima Moralia“ schrieb: „Für jene, die die Freiheit als Privileg von der Unfreiheit beziehen, hat die Sprache einen guten Namen bereit: den des Unverschämten.“ Quelle: Nils Markwardt im Deutschlandfunk. *“Die Ichlinge verdammen den Staat, weil er ihrem Egoismus eine Grenze setzt.“ beschrieb Christoph Schwennicke im Cicero schon vor Jahren die aufkeimende Bewegung.

Selbstverständlich ist in Diktaturen, Halbdiktaturen, aber auch in der Demokratie die Freiheit ein gefährdetes Gut Wir sehen dies nicht nur in Hongkong, China und Belarus. Julian Assange, Chelsea Manning, Edward Snowden und die katalanischen, gewaltfreien, politischen Gefangenen in Spanien zeigen die Einschränkung von Demokratie und Freiheit in westlichen Demokratien. GOOGLE, Facebook, Cambridge Analytica & Co. zeigen, wie abgeschöpfte, persönliche Daten dazu genutzt werden, Informationen über Verhaltensweisen zu sammeln, für Konzerninteressen zu analysieren, oder in Wahlkämpfen für personalisierte Propaganda zu nutzen. Es ist gezielt ablenkend diese Gefahren nur in der Corona-Nische zu thematisieren und es ist pervers (oder zumindest dumm) an der Seite von Feinden der Freiheit unter Reichskriegsflaggen für Freiheit zu demonstrieren. Selbstverständlich müssen am Ende der Pandemie alle Einschränkungen zurück genommen werden. Wir brauchen einen unideologischen, globalen Freiheitsbegriff.

Mit dem „Wunsch nach Freiheit“ begründeten die amerikanischen Rechtslibertären und Präsident Trump ihren Feldzug gegen Natur, Umwelt und Weltklima und gegen einen Krankenversicherungsschutz für alle Amerikaner. Trump erklärt sich zum Vertreter der Mittelschicht und der Armen und senkte die Steuern für Großkonzerne und Millionäre. „Wenn alle Völker nicht mehr wie bislang dem Markt Zügel anlegen, sondern dem Staat, wenn Steuern gesenkt werden und die Konzerne die uneingeschränkte „Freiheit“ bekommen Menschen auszubeuten und die Umwelt zu zerstören, dann wird sich das Los und der Wohlstand aller Menschen der Erde verbessern – sogar das der allerärmsten Sie brauchen sich bloß vollkommen den selbstregulierenden geheimnisvollen Kräften des Marktes anvertrauen“. Nicht nur die aktuellen großen Krisen – Welthunger, Artenausrottung und Klimawandel – zeigen, dass diese Ideologie zutiefst menschenverachtend war und ist.

Freiheit der Sklavenhalter Noch vor drei Jahrhunderten wäre dieser Freiheitsbegriff die Freiheit der Sklavenhalter gewesen, denen kein Mensch und kein Staat in ihr Geschäftsmodell hätte hineinregieren dürfen.

EIKE – das so genannte, immer noch gemeinnützige „Europäisches Institut für Klima und Energie“ hat den Slogan: „Nicht das Klima ist bedroht, sondern unsere Freiheit!“ Hinter EIKE stecken die gut organisierten Klimawandelleugner und die Gegner der alternativen Energien.

Häufig steht das schöne Wort nur noch für die uneingeschränkte Freiheit Menschen auszubeuten und auszunutzen. Industriegesteuerte Klimaskeptiker, Atom-, Gen-, und Kohle- Lobbyisten kämpfen für die uneingeschränkte Freiheit der Industrie, die Umwelt auszubeuten und zu zerstören. Wer sich auf den Internetseiten der deutschen Klimawandelleugner umschaut wird dort viele Argumente der reaktionären, rechtsliberalen, amerikanischen Tea-Party-Bewegung finden.

Wenn Freiheit nicht mehr die Freiheit aller ist, dann gefährden die Anhänger dieser neoliberalen Doktrin Demokratie und Freiheit.

Wir leben in Zeiten, in denen Demokratie, Freiheit und Frieden in der Welt, in Europa aber auch bei uns zunehmend gefährdet sind. Die bisherigen Angriffe auf Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit waren immer auch Formen von Wohlstandsverwahrlosung, denn ökonomisch geht es der Mehrzahl der Menschen in Deutschland gut. Durch Corona und die wirtschaftlichen Folgen von Corona kann sich dies ändern. Schon jetzt schlägt die Stunde rechter und libertärer Populisten. Gerade in solchen Zeiten muss sich auch die Zivilgesellschaft zu Wort melden und sich für Demokratie, Freiheit, Frieden, Nachhaltigkeit, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit, soziale Gerechtigkeit und die Werte der Aufklärung einsetzen. Auch die Mitwelt – Stiftung – Oberrhein ist Teil dieser wertebewahrenden Zivilgesellschaft. „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt“ schrieb Immanuel Kant (1724-1804).

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Ein wichtiger Grund für Demokratiegefährdung, Populismus und Nationalismus ist die global zunehmende soziale Ungleichheit Das reichste Prozent der Weltbevölkerung (70 Millionen Menschen) verfügt über so viel Vermögen wie der ganze Rest (sieben Milliarden Menschen) zusammen. 62 Menschen verfügen über ebenso viel Vermögen wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung- also 3,5 Milliarden Menschen. Die Gier der Oligarchen in Ost und West, Großkonzerne, die im Gegensatz zu unserem Mittelstand bei uns fast keine und in armen Ländern gar keine Steuern zahlen und die dadurch verursachte Armut vieler Menschen sind zentrale Ursachen der Demokratiegefährdung. Und die globalisierte, neoliberale Gier „sickert nach unten“ durch, wie sich in den Corona-Protesten deutlich zeigt.

Jenseits von Corona gibt es tatsächlich eine zunehmende, globale Gefährdung von Demokratie und Freiheit. Was wird geschehen, wenn die absehbaren großen, ökonomischen und ökologischen Krisen kommen, auf die wir wie die Schlafwandler zusteuern?

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Oben       —        Berlin: Reichstagsgebäude

Author Taxiarchos228      /    Source    —    Own work

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2.) von Oben    —       hypnotoad

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Unten     —           Narrenschiff, Ölbild Thomas Bühler. Beschreibung des Bilds durch das Presse- und Informationsamt Osnabrück

Thomas BühlerArchiv des Künstlers

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Schluss mit dem Dogma

Erstellt von Redaktion am 3. September 2020

Das Gegenteil könnte der Fall sein

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Von Susanne Memarnia

Bizarr, dass gerade Berlin noch glaubt, Lehrerinnen mit Kopftuch seien eine Gefahr für den Schulfrieden.

Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt die Frage, ob Frauen, die das islamische Kopftuch tragen, an deutschen Schulen unterrichten dürfen, immer wieder die Gerichte und führt zu heftigen gesellschaftlichen Debatten. Auch um das Berliner Neutralitätsgesetz, das LehrerInnen an allgemeinbildenden Schulen, PolizistInnen und Landesbediensteten im Justizwesen das Tragen religiöser oder weltanschaulich konnotierter Symbole und Kleidungsstücke im Dienst verbietet, wird schon lange gerungen. Vorige Woche nun erklärten die RichterInnen des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt das Gesetz in dieser Allgemeinheit für verfassungswidrig. Nur der Gang nach Karlsruhe kann es vielleicht retten. Die Frage ist: Wollen wir das?

Zunächst ein Geständnis: Wie viele christlich sozialisierte Biodeutsche – Bio im Sinne von Biografie, nicht Biologie – verspürte ich lange Unbehagen bei der Vorstellung, dass mein Kind von einer Lehrerin mit Kopftuch unterrichtet wird. Als alte Linke halte ich es mit Karl Marx und seinem Diktum über Religionen. Und obwohl das viele anders sehen, haben wir uns in den „westlichen“ Demokratien darauf verständigt, dass religiöse Indoktrination an Schulen nichts verloren hat. Der „bekenntnisorientierte“ Religionsunterricht zeigt zwar, dass wir hier nicht im Laizismus leben, aber mehr Religion an Schulen ist nicht.

In vielen islamisch geprägten Ländern ist das anders. Dort ist die Einhegung der Religion in staatlich festgelegte und gesellschaftlich anerkannte Grenzen bislang nicht gelungen. Im Gegenteil: Seit im Iran 1979 die Mullahs die Macht übernahmen, sind konservative bis reaktionäre Auslegungen des Islam weltweit auf dem Vormarsch. Das zeigt auch der Umgang mit „dem Tuch“: Der gesetzliche Kopftuchzwang in Iran ist wohl der extremste Ausdruck religiöser Bevormundung, aber in so gut wie allen islamischen Ländern gibt es heute einen starken Konformitätsdruck auf Frauen, das Tuch zu tragen. Wer dagegen aufbegehrt, wandert auch schon mal, wie im Iran, auf Jahre ins Gefängnis.

Auch hierzulande gibt es Mädchen und Frauen, die unters Tuch gedrängt bis gezwungen werden. Auch hier gibt es radikale Muslime, die Demokratie und Säkularisierung ablehnen. Die Gleichung „Kopftuch gleich Islamismus“ stimmt trotzdem nicht. Natürlich steht das Kopftuch für ein konservatives Frauenbild und Geschlechterverhältnis. Aber wenn jemand freiwillig das Tuch tragen will – bitte sehr. Dass der Mehrheitsgesellschaft diese Einstellung nicht gefällt, ist kein Grund, solchen Frauen bestimmte Berufe zu verwehren.

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Übrigens sagen Migrationsforscher, dass die Re-Islamisierung vieler muslimischer MigrantInnen bzw. ihrer Kinder und Kindeskinder auch Ergebnis ihrer fortgesetzten Ablehnung durch die Mehrheitsgesellschaft ist. Wer jahrzehntelang si­gna­lisiert bekommt, dass er nicht dazugehört, dass er anders ist, ob in Schule, Arbeit, Freizeit oder im Staatsbürgerschaftsrecht, zieht sich auf die „eigene“ Tradition, Gemeinschaft, Religion zurück.

Trotz alldem schaffen immer mehr MigrantInnen den sozialen Aufstieg – und immer mehr junge Frauen mit Kopftuch studieren. Doch als wäre es der Mehrheitsgesellschaft lieber, sie blieben Putz- oder Hausfrauen, haben seit den nuller Jahren viele Bundesländer mehr oder weniger explizite „Kopftuchgesetze“ installiert. Zwar wurde der damalige „Vorreiter“ NRW 2015 vom Bundesverfassungsgericht ausgebremst. In dem wegweisenden Urteil stellten die Richter fest, dass Lehrerinnen mit Kopftuch nicht pauschal eine Bedrohung der staatlichen Neutralität oder des „Schulfriedens“ sind. Doch ausgerechnet „Multikulti-Berlin“ hält hartnäckig an seinem Neutralitätsgesetz fest – mit dem Argument, es würde ja alle religiösen Kleidungsstücke verbieten, also auch das Nonnenhabit und die jüdische Kippa.

Quelle        :     TAZ       >>>>>        weiterlesen

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Oben     —      New Zealand Prime Minister Jacinda Ardern visits members of the Muslim community at the Phillipstown Community Centre on Saturday 16 March 2019, less than 24 hours after a terror attack to two mosques left 50 people dead and dozens seriously injured in Christchurch. New Zealand Climate Minister James Shaw sits in the background with a bruised eye following an assault in Wellington. The photograph was taken through the window of a converted classroom; reflections of trees can be seen on the glass. For more information, see this interview with the photographer.

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Unten      —     zh:西環第三街, Third Street, Sai Ying Pun, Hong Kong

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Die Mendel’schen Regeln 4

Erstellt von Redaktion am 1. September 2020

Düsenjäger-Kitsch taugt nicht zur Hitlerbeseitigung

Von Meron Mendel

Gedenken und Luftwaffe – Stolz auf militärische Stärke – Israelische und deutsche Düsenjäger flogen gemeinsam über die KZ-Gedenkstätte Dachau. Doch das ist eine eher peinliche Geste.

Es gehört wohl zur Kindheitsfantasie fast aller Juden, nachträglich Hitler zu töten. Mir ging es in meiner Kindheit in Israel nicht anders: Die Nazis waren die ultimativen Schulhof-Bullys, die ich in meiner Fantasie ebenso erbittert bekämpfte wie das jüdische Guerilla-Kommando in Tarantinos Kriegsfilm-Groteske „Inglourious Basterds“.

Eine Variante beschreibt David Grossman in seinem autobiografisch geprägten Roman „Stichwort Liebe“: Der achtjährige Momik hört aus den Gesprächen der Erwachsenen die Existenz eines „Nazi-Biests“ heraus, das im Land „Dort“ seine Angehörigen quälte und das Momik zu gern besiegen möchte, um die Wunden seiner Familie zu heilen.

Die Gesten, mit denen das „Nazi-Biest“ symbolisch besiegt werden soll, sind im Kindesalter verständlich, können aber als politisches Instrument zur Peinlichkeit werden. Für mich gehören Düsenjägerflüge über KZ-Gedenkstätten, wie unlängst über Dachau, zu solchen peinlichen Gesten: „F-16 Kampfjets der israelischen Luftwaffe und deutsche Eurofighter, am Rumpf das Eiserne Kreuz der Luftwaffe, passieren gemeinsam das ehemalige Konzentrationslager Dachau“, jubelt die Bild. Das Manöver führte auch über das Flugfeld Fürstenfeldbruck, wo palästinensische Terroristen 1972 elf israelische Olympia-Sportler ermordeten.

Das Eiserne Kreuz

Gar nicht satt sehen kann sich die Bild am Eisernen Kreuz: „An ihren Uniformen tragen die Piloten besondere Abzeichen. Darauf zu sehen: die deutsche und israelische Fahne, die Kampfjets beider Nationen und – ineinander verwoben – der Davidstern und das Eiserne Kreuz.“ Wie man den wiederholten Hinweisen aufs Eiserne Kreuz anmerkt, entlastet dieses Ritual vor allem die Deutschen.

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Das Eiserne Kreuz war eine Jagdtrophäe, wie Dieter Pohl in der Zeit ausführte: „Vor allem die nahe der Front operierenden Sonderkommandos, die sowohl Juden ermordeten als auch an der Partisanenbekämpfung beteiligt waren, wurden von den Armeegenerälen reichlich mit Eisernen Kreuzen bedacht. Um nur die größten Verbrecher unter ihnen zu nennen, sei auf Rudolf Lange verwiesen, der für den Mord an den Juden Lettlands verantwortlich war, und auf Friedrich Jeckeln, der Massaker um Massaker organisierte, in der Westukraine, in Kiew (Babij Jar) und in Riga.“ Welche Erlösung fürs „wiedergutgewordene“ Deutschland (Eike Geisel): Die Nachfahren der Opfer sprechen das Symbol von seiner blutigen Vergangenheit frei.

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Zur gleichen Thematik auf DL :

Die Mendel’schen Regeln 2

Streit ums Jüdische Museum

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Oben          —       Meron Mendel 2018

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Unten      —     An F-16 Fighting Falcon flies over Aviano Air Base, Italy on Oct. 20, 2016. The 555th and 510th Fighter Squadrons deter aggression, defend U.S. and NATO interests, and develop Aviano through superior combat air power, support and training. (U.S. Air Force photo by Staff Sgt. Krystal Ardrey/Released) www.dvidshub.net

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Wesen der Zeitungskolumne

Erstellt von Redaktion am 26. August 2020

Es lebe der Kolumnismus !

Ein Schlagloch von Georg Seeßlen

Liebe, Verantwortung und Anmaßung: Vom Wesen der Zeitungskolumne.

Als ich heute Morgen aus unruhigen Träumen erwachte, fand ich mich in einen deutschen Zeitungskolumnisten verwandelt. Jemand musste mich verleumdet haben, denn ohne dass ich etwas Böses getan hätte, wurde ich haftbar gemacht für das seelische und soziale Wohlergehen von Redakteuren, Kolleginnen, Leser*Innen, Kommentatoren und Kommentatorinnen, Juristen und Polizistinnen. „Wir sind angekommen“, sagte Frau N. gerade in einem meiner verlorensten Momente.

Der Text also ward gefordert, in den wesentlichen Kategorien „deutsch“, „Zeitung“ und „Kolumne“. Und beim Deutsch, da stock’ ich schon. Einerseits bilde ich mir ein, diese Sprache, die Worte wie „obzwar“ oder „Rentenfeststellungsbescheid“ hervorgebracht hat, vielleicht zu einem Viertel so zu beherrschen, wie der Wahnsinnige, der sie erfunden hat. Andererseits aber ist gerade dies ein Hindernis für soziale Akzeptanz. Denn in diesem Lande ist eine Liebe zur Sprache höchst verdächtig. Besonders natürlich von rechts. Einen Menschen, der vor allem stolz darauf ist, Deutscher zu sein und „Kanaken“ deshalb in höflichem SA-Stil bittet: „Sprich erst mal deutsch, wenn du mit mir reden tust“, erkennt man an seinem offenkundigen Hass auf die eigene Sprache.

Pauschalurteil mit leicht narzisstischer Tendenz? Ich darf das, ich bin Kolumnist

Ich will gar nicht darauf hinaus, dass Nazis in der Regel mit Orthografie und Grammatik, wie man so sagt, auf Kriegsfuß stehen, sondern es geht vielmehr um die Art, wie sie dieser Sprache alles auszutreiben versuchen, was nicht Befehl, Drohung, Waffe, Häme, Propaganda und Niedertracht ist. Aber noch weiter verbreitet ist das Misstrauen gegenüber den Möglichkeiten der eigenen Sprache. Sprachliebe gilt hierzulande als elitär, untüchtig, klassistisch oder abgehoben. Pauschalurteil mit leicht narzisstischer Tendenz? Ich darf das, ich bin Kolumnist.

Bevor sie von irgendwas anderem handeln, handeln Kolumnen von der Mühe, die sich Autorinnen und Autoren mit der Sprache machen, und bestenfalls auch von der Freude, die dabei für sie und die Leser*innen abfällt. Dabei gibt es offenbar zwei literarische Hauptstrategien. Die eine lädt die Adressaten zu einem Spiel der Assoziationen, Mehrdeutigkeiten oder Engführungen ein (Letzteres natürlich vor allem in politisch-moralischer Hinsicht), die andere nutzt ein Rollenspiel. Das schreibende Ich als Zeitgenosse, Kumpel, Mensch wie du und ich, Kind, Vater, Mutter, Arzt oder auch mal Stammtischbruder/-schwester, jedenfalls, um mit Markus Söder zu sprechen: audendisch. Wie auch immer, eine Kolumne ist keine Information, keine Analyse und keine Kritik. Aber wenn sie nicht auf diese drei Bausteine der Kommunikation aufbaut, dann bleibt sie eine ziemlich leere Angelegenheit, vielleicht sogar der Missbrauch einer in der Tat privilegierten Position. Weil Kolumnistinnen und Kolumnisten mehr dürfen als wirkliche Journalisten, haben sie auch eine besondere Verantwortung. Auch und gerade der Sprache gegenüber.

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Bundeswehr in Schulen Lupus in Saxonia / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Die zweite Kategorie ist „Zeitung“. Gedruckte, klassisch gegliederte Zeitungen sind ja ein sogenanntes Auslaufmodell. In der traditionellen Form war die Kolumne eine Methode, dem starren semantischen und methodischen Regelwerk – Nachricht, Kommentar, Glosse; Politik, Kultur, Sport etc. – zu entkommen. Eine Kolumnistin, ein Kolumnist darf sich nicht nur was die persönliche Einstellung anbelangt etwas mehr an Freiheit herausnehmen als die Redaktion. Dafür ist er oder sie eben auch nur ein Gast und bleibt für sein Schreiben am Ende selbst verantwortlich. Eine Insel der Subjektivität im Meer der, nun ja, objektiven oder wenigstens argumentierenden Informationen. In der Kolumne darf auch von Gefühlen die Rede sein. In der elektronischen Form der Informations- und Meinungsverbreitung gibt es keine Kolumnen mehr – oder es gibt sozusagen nur noch Kolumnen, was in etwa auf dasselbe hinausläuft.

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Oben       —       alice_d25 – Eigenes Werk

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Feministische Perspektiven.

Erstellt von Redaktion am 20. August 2020

Zwischen Mutterideal und Rebellion

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Quelle      :    untergrundblättle ch.

Von peps perdu kritisch-lesen.de

Julia Haas: „Anständige Mädchen“ und „selbstbewusste Rebellinnen“. Ein detaillierter Einblick in die Selbstbilder identitärer Frauen und ihre Positionen zu „Frauen“themen aus feministischer Perspektive.

Auch 20 Jahre nach der wegweisenden Gründung des Forschungsnetzwerks Frauen und Rechtsextremismus gibt es noch immer eine mangelnde Wahrnehmung für Frauen in der (extremen) Rechten. Medial findet sich eher eine Faszination für einen vermeintlichen „Feminismus von Rechts“, als dass die rechten Aktivistinnen kritisch hinterfragt werden. Julia Haas nimmt dies als Ausgangspunkt, um aufbauend auf Forschungen von Renate Bitzan die Selbstbilder rechter Frauen in den Fokus zu rücken und zu fragen, welche Weiblichkeitsvorstellung und Selbstbilder sich bei identitären Frauen wiederfinden.

 Für ihr Forschungsvorhaben greift sie auf Online-Diskurse in Form von Facebook-Seiten, Instagram-Accounts sowie Kampagnenvideos und Interviews auf YouTube zurück und arbeitet dementsprechend mit Selbstaussagen rechter Aktivistinnen. Diese werden auf ihre Positionen hin untersucht und durch die Autorin immer wieder kritisch umrahmt. Dabei beruft sich Julia Haas auf aktuelle feministische Debatten und gibt eine dezidierte Einordnung der Aussagen rechter Frauen. Die vermeintlich „frauenrechtlichen“ bis hin zu eindeutig antifeministischen Positionen rechter Akteurinnen werden – auch in ihrer Widersprüchlichkeit – in Bezug gesetzt zu feministischen Kernthemen wie Geschlechterverhältnisse bis hin zu sexualisierter Gewalt.
Rechte Positionen zu Feminismus

Julia Haas stellt die Positionen der identitären Frauen zu Geschlechterverhältnissen allgemein, deren Vorstellungen von Liebe und Beziehungen, Weiblichkeit und Mutterschaft, aber auch ihre Position in und zur eigenen Bewegung dar und arbeitet dabei unterschiedliche Meinungen und Selbstbilder heraus.

 Dabei nennt sie auch bekannte Aktivistinnen wie Melanie Schmitz von ehemals Kontrakultur Halle, die Radikal feminin-Bloggerinnen Annika Stahn und Freya Honold oder die Österreicherin Alina Wychera. Bezeichnend ist nun, dass gerade dort, wo diese explizit zum Feminismus Stellung beziehen, sich auch die stärksten Differenzen zwischen den einzelnen Aktivistinnen zeigen. Wie Julia Haas ausführt, bewegen „die unterschiedlichen Selbstbilder zum Thema Feminismus sich entlang der Pole ‚Antifeminismus‘ und ‚frauenrechtliche Positionen‘“ (S. 151).

 Gemeinsam ist ihnen, dass sie die Erkenntnis vom Geschlecht als sozialem Konstrukt zurückweisen, wie sie überhaupt den „Dritte-Welle-Feminismus“ ablehnen, weil dieser sich auf vermeintlich banale Themen fokussiere. Während Melanie Schmitz jedoch eine frauenrechtliche Position einnimmt, für Body Positivity einsteht und sich für „Nein heisst Nein“ auch innerhalb der eigenen Bewegung ausspricht, positioniert sich beispielsweise Annika Stahn von Radikal feminin klar antifeministisch. Sie argumentiert, dass Frauen Mitschuld an sexualisierter Gewalt tragen, wenn sie sich aufreizend kleiden und fordert klare konservative Rollenmodelle jenseits eines vermeintlich feministischen „Opferdiskurses.“

Beide Positionen kommen jedoch zusammen, wenn es um rassistische Zuschreibungen in Bezug auf sexualisierte Gewalt geht. Dies zeigt sich beispielsweise anhand der #120db-Kampagne:

„Um die eigenen Argumente gegen Feminismus zu kontrastieren, werden sie mit einem weiteren ausgemachten Feindbild, dem Islam, verbunden. Beide Störfaktoren werden wahlweise gegeneinander diskutiert oder ihnen eine Komplizenschaft vorgeworfen. Statt sich auf die wesentlichen Dinge – dem Schutz von Frauenrechten vor vermeintlich muslimisch-rückständigen Werten – zu widmen, vergeude der aktuelle Feminismus seine Zeit mit unnötigen Debatten und bilde dadurch keine Standhaftigkeit gegen die muslimische Gewalt.“ (S. 151)

 Ein Bezug auf feministische Inhalte findet hier immer nur dann statt, wenn damit rassistische Forderungen verknüpft werden können und eine Ethnisierung von Sexismus stattfindet.
Zwischen den Widersprüchen – die wehrhafte Weiblichkeit.

Die Ergebnisse ihrer Analyse fasst Julia Haas im Konzept der wehrhaften Femininität zusammen. Unabhängig von unterschiedlichen Selbstbildern zwischen einer konservativen und einer rebellischen Weiblichkeit eint die identitären Aktivistinnen eine starke Betonung „natürlicher“ Weiblichkeit. Der Stolz auf diese wird durch Hashtags oder in der Bildsprache der eigenen Posts reproduziert. Selbstbewusste Gleichberechtigungsbestrebungen, die als Angriffe auf eine beschützende Männlichkeit gesehen werden könnten, werden durch die Betonung der eigenen Schutzbedürftigkeit ausgeglichen.

 Interessant ist hier auch der Exkurs zu den theoretischen Impulsgeberinnen Ellen Kosita und Birgit Kelle. Ellen Kositza ist mit ihren Büchern und Kolumnen für identitäre Frauen (und auch Männer) eine wichtige Theoriequelle, jedoch schmälert sie ihre eigenen intellektuellen Fähigkeiten in der öffentlichen Darstellung und argumentiert, dass Frauen aufgrund ihrer Emotionalität der rationale Zugang zu Diskussionen fehle.

 In der Betrachtung identitärer und neurechter Frauen lässt sich das rechte Credo „gleichwertig, aber nicht gleichartig“ in Bezug auf Geschlechterbilder präsent wiederfinden. Immer wieder verweisen die Aktivistinnen auf eine vermeintliche weibliche Essenz und die Unterschiedlichkeit der Geschlechter. In Hinblick auf vorhandene Forschung fasst Julia Haas zusammen:

„Die herausgearbeiteten Selbstbilder identitärer Frauen zeichnen sich ähnlich divers [wie in der Analyse von Renate Bitzan, Anm. pp], sind aber in der Modernisierung noch weiter fortgeschritten. Die Ergebnisse kennzeichnen sich daher weniger durch grundlegend neue Vorstellungen von Frauenrollen oder ihrer Position innerhalb der jeweiligen rechten Gruppierung, sondern vielmehr durch ihr Auftreten innerhalb einer Organisation.“ (S. 206)

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 Diese Auspluralisierung von Weiblichkeitsangeboten kann durchaus auch als strategische Positionierung gesehen werden, um dem Ziel der Identitären gerecht zu werden, in einen vermeintlichen kulturellen Mainstream einzudringen und für unterschiedliche Zielgruppen mit ihren Ideen anschlussfähig zu sein.

 Julia Haas gibt einen detaillierten und spannenden Einblick in die Selbstbilder identitärer Frauen unter ständigem Rückgriff auf schon bestehende Forschung in diesem Bereich. Differenziert arbeitet sie die zum Teil gegensätzlichen Positionen identitärer Frauen heraus. Sie macht deutlich, dass die Pluralisierung von Frauenbildern in der extremen Rechten nichts Neues ist, die Frauenbilder der Identitären jedoch eine weitere Modernisierung darstellen.

 Während Renate Bitzans Forschungen sich auf unterschiedliche Spektren der extremen Rechten bezogen, zeigt sich die Modernisierung zum einen darin, dass sich in der Identitären Bewegung diverse Frauenbilder in einer Organisation finden lassen – und dies auch strategisch in der Aussendarstellung genutzt wird. Die Modernisierungsstrategien der Neuen Rechten lassen so auch „eine Erneuerung in der Verhandlung von geschlechterpolitischen Themen“ (S. 209) erkennen. Das Buch schliesst mit einer beeindruckenden Literaturliste und einem Überblick über die in die Analyse eingeflossenen Aktivistinnen.

 Ein kleiner Wermutstropfen ist der Preis des Buches, was bei der inhaltlichen Relevanz des Werkes besonders schmerzt.

Julia Haas: „Anständige Mädchen“ und „selbstbewusste Rebellinnen“. Aktuelle Selbstbilder identitärer Frauen. Marta Press, Hamburg 2020. 284 Seiten, ca. SFr 38.00. ISBN 978-3-944442-95-2

Dieser Artikel steht unter einer  Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.

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Grafikquellen       :

Oben     —      Demonstration der rechtsextremen Identitären Bewegung Österreichs gegen die Einwanderungspolitik Österreichs sowie jener der Europäischen Union.

Author Ataraxis1492

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Unten      —     An Ampelmädchen street light at a pedestrian crossing in Dresden, Germany.

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Wilde „Männerphantasien“ ?

Erstellt von Redaktion am 19. August 2020

Angst essen Männer auf

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Jeder , der sich heute eine Uniform aufschwätzen lässt, sollte besser die Schule wiederholen.

Ein Schlagloch von Georg Diez

Die „Männerphantasien“ des Kulturtheoretikers Theweleit sind nach 40 Jahren in einer Neuauflage erschienen und heute wieder so aktuell wie damals.

Wenn man Klaus Theweleits Buch „Männerphantasien“ liest, fast 1.300 Seiten, 1977/1978 zum ersten Mal erschienen und in der aktuellen wuchtigen Neuausgabe in einem schönen pinkfarbenen Umschlag, dann ist es, als ob man 100 Jahre in der deutschen Geschichte zurücksteigt, zur Kriegsverherrlichung, zu den Fronterlebnissen und Umsturzfantasien der Freikorps, was ziemlich direkt zum Nationalsozialismus und zum millionenfachen Mord an den Juden Europas führte – und man landet auf den Kommentarspalten und auf den Plattformen der digitalen Welt.

Denn die Gewalt, von der Theweleit erzählt und dabei den Faschismus erklärt, diese Gewalt ist ja nicht verschwunden; sie hat nur eine andere Form und Gestalt: die Gewalt von Männern gegen Frauen, die sich darin äußert, dass – das sind einige der Beispiele Theweleits – die Namen der eigenen Frauen selbst in intimen männlichen Selbstbeschreibungen, Briefen, Tagebüchern nicht genannt werden, dass die Frauen zu Objekten werden, der Begierde oder des Hasses, diese Angst und Aggression von Männern, die Frauen körperlich vernichten wollen, auslöschen, durch ihre Worte und Taten. Und weil Theweleits Buch so präzise ist in der Beschreibung dieser Wut, die sich aus vielen Quellen speiste und speist und im Fall der Freikorps eher eine Form der gebildeten oder sogar höheren Schichten war – deshalb gelingt, leider, ziemlich mühelos der Sprung von den Prägungen und Pathologien der 1920er Jahre zu denen der 2020er Jahre.

Theweleit wollte, knapp 30 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, eine andere Grundlage für die Analyse des Faschismus finden, eine andere Faschismus-Theorie, die den Körper, die Lust und den Ekel zum Anfang dieser Analyse machen – und nun, mehr als 40 Jahre nach Veröffentlichung, ist die sexualisierte Form von Gewalt von Männern gegen Frauen wieder so offensichtlich, so weitreichend bis in bürgerliche Medien hinein, so selbstverständlich eine Waffe in der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung, dass das Faschistische in unserer Zeit, das Faschistische in diesen Mechanismen nackt und bedrohlich vor uns tritt.

Bundesarchiv Bild 121-0266, Polen, Krakau, Polizeiparade.jpg

Sehen die heutigen Vandalen in ihren Uniformen in denen sie mit Knien arbeiten, statt den Kopf zu benutzen, besser aus?

Theweleit beschreibt diese Mischung aus Verklemmtheit und Enthemmung, die unterdrückte und eskalierende Sexualität, die Vision eines Lebens, das im Kampf und in der Feindschaft geführt wird und letztlich im Heldentod, in der Auslöschung enden muss – Ernst Jünger etwa, gern heute wieder entpolitisiert rezipiert, der auf der Straße eine Frau anspricht, die Ehefrau eines Arbeiters: „Es ist eine Stunde des Vergessens, die ich dem Kriege stehle. Ich bin ihr Mann, dem Feuerkreis entronnen und sitze mit ihr Hand in Hand, still und friedlich vorm Kamin. Morgen, ja morgen vielleicht wird mir das Hirn in Flammen zerspritzen. Sei’s drum“, schreibt er, und schließlich: „Ich gehe über die Brücke zur Stadt zurück, die Hände in den Manteltaschen, den Kopf gesenkt. Bei jedem Schritt klirren die Sporen.“

Männliche Einsamkeit, männliche Verlorenheit, die zu männlicher Aggression führt: Die Verbindung von Verachtung für die Frau, män­nerbündische Verbundenheit, Widerstand gegen Demokratie, Pluralismus, Emanzipation bis hin zu einem offen rassistischem Weltbild, das sind einige der Faktoren, die Theweleit anhand von vielen Texten analysiert, geschrieben von Männern, die immer im Kampf sind, so klingt das, Tage­bücher, Briefe, Romane, Quellen des Hasses, manchmal des versteckten Selbsthasses, ausge­tragen über den Körper, den Körper der Frau, die als Objekt gesehen wird, entsexualisiert und verklärt oder übersexualisiert und verdammt, als Feind.

Quelle      :          TAZ       >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben        —     Poster shows stylized profile of German soldier. Text: Protect your homeland! Enlist in the Freikorps Hülsen.

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Unten      —     For documentary purposes the German Federal Archive often retained the original image captions, which may be erroneous, biased, obsolete or politically extreme. Parade im General Gouvernement in Krakau, General Daluege und … Persönlichkeiten bei der Parade in Krakau Gen. Mj. O.P.[Ordnungspolizei!] Riege; SA Grf. Nölfe; Gen. Daluege; SA St. Hühnlein, Korpsführer der NSKK; Gen.Mj. O.P. Becker , SS-Brigf. (?)

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Schule – Die steile These :

Erstellt von Redaktion am 19. August 2020

Corona zeigt, wozu Schule da ist

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Von Nils Schulz

Die Schulschließungen verdeutlichen, dass digitaler Unterricht nur begrenzt funktioniert. Denn Schule ist vor allem aus sozialen Gründen wichtig.

Im Bildungsbetrieb gibt es sie auf jeden Fall: die „Ewigmorgigen“. So nennt der Schweizer Pädagoge Carl Bossard in Anlehnung an Erich Kästner die, die das Neue unkritisch begrüßen: Morgen wird alles besser! Wir brauchen nur mehr Innovation, mehr Digitalisierung, mehr Individualisierung, mehr Differenzierung, mehr selbstorganisiertes Lernen – und alles in immer schnellerem Tempo.

Die Gegenwart ist für Modernisierungseuphoriker ein bloßes „Noch-Nicht“. Funktioniert eine neue Unterrichtsform, Methode oder Software nicht, dann deswegen, weil sie „noch nicht“ richtig „umgesetzt“ oder „implementiert“ ist. Die technizistische Wortwahl verrät, dass es mehr um Sozialtechnokratie als um Bildung geht. Und so wird seit dem „Pisa-Schock“ eifrig reformiert und enthusiastisch digitalisiert. Viele Lehrer:innen und Schüler:innen fühlen sich seit Jahren „im Hamsterrad“ der Reformen.

Und dann kam die Coronakrise. Und die Schulschließungen. Diese und die sukzessive Wiedereröffnung legten offen, dass viele der neuen Lernformen nicht funktionierten. Sie hielten nicht, was die Modernisierer versprachen. Nicht wenige Schüler:innen waren mit der Selbstständigkeit des „Zu-Hause-Lernens“ überfordert.

Die „ewig Morgigen“ sagen, die Lehrer:innen hätten die spezifischen Kompetenzen nicht richtig trainiert. Hier gebe es Nachholbedarf. Zudem sei es eine unerwartete Situation gewesen. Und überhaupt: Die digitale Infrastruktur sei nicht ausreichend. Was in diesem Fall auch stimmt. Es fragt sich nur: Wofür nicht ausreichend?

Statt weiter auf die „ewig Morgigen“ zu hören, kann man aus den ernüchternden Erfahrungen mit der Schulschließung auch den Change-Prozess im Bildungssystem in Frage stellen. Denn mindestens vier Aspekte, die dagegen sprechen, konnte man in dieser Phase wie durch ein Brennglas wahrnehmen. Nämlich:

Dass Schule als außerfamiliärer Aufenthaltsort für junge Menschen benötigt wird.

Dass Schüler:innen zum Lernen stabile Strukturen und institutionelle Außenhalte brauchen.

Dass Bildung nur in einem leiblichen Beziehungssystem funktioniert.

Und dass kleinere Klassen lern- und diskussionsförderlich sind.

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Als wahre Aufgabe der Schule nannte der Schriftsteller Georg Klein einmal ihre Aufbewahrungsfunktion. Die blanke Not der Alltagsorganisation zwinge die Eltern, die „Energiebündel“ in die Schule zu schicken. „Wir“, so Klein, müssten den Nachwuchs „sechs oder mehr Stunden los sein, um unseren eigenen Kram mit der Welt geregelt zu bekommen.“ Auch für den Nachwuchs ist es gut, mal weg von den Eltern zu sein.

Die Coronakrise macht die Aufbewahrungsfunktion der Schule überdeutlich.

Strukturen sind notwendig

Dass zudem stabile Strukturen fürs Lernen notwendig sind, konnten Lehrkräfte daran ersehen, dass manche Mittelstufen-Schüler:innen während der Schulschließung die digital gestellten Aufgaben nicht sorgfältig oder gar nicht machten, auch wenn die digitale Ausstattung privat vorhanden war. Sicher haben zu viele Aufgaben für Frustration gesorgt; aber vor allem scheinen Selbstverantwortung und Zeiteinteilung viele Schü­le­r:in­nen überfordert zu haben. Der Grenzen setzende Rahmen fehlte.

Ein Vater berichtete kürzlich in der Deutschlandfunk-Sendung „Schulbeginn in Zeiten von Corona“, dass sein 16-jähriger Sohn die Aufgaben ständig aufschob, weil er sich selbst keine Tagesstruktur geben konnte. In Berlin kam hinzu, dass die Schüler:innen sicher sein konnten, sich bei den Zeugnisnoten nicht zu verschlechtern, da das Zu-Hause-Lernen wegen der unterschiedlichen häuslichen Voraussetzungen allenfalls positiv bewertet werden sollte.

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Grafikquellen       :      Unterricht

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Die Wahrheit über Olaf

Erstellt von Redaktion am 16. August 2020

Olaf Scholz gibt es gar nicht

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Der kleine Bürgermeister vom rechten Rand seiner Partei !

Von Harriet Wolff

Der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Endphase – hier steht alles über den vermeintlichen Mann mit den schwarzen Nullen und Einsen.

Hamburg-Rahlstedt, Wahlheimat der Sängerin Nena, hat geflaggt. Am ehemaligen elterlichen Reiheneckhaus des momentanen Kanzlerkandidaten der SPD hängt ein sympathisch anmutendes Banner. Dessen leuchtend roter Stoff mit dem applizierten kämpferischen Slogan „99 Luftballons“ stammt aus Altbeständen der Altvorderen des alerten Kleinen mit der markigen Kreativunterschrift, der hier am Wochenende gern auf ein Rahlstedter Stützbier einkehrt. Vater und Mutter waren einst in der Textilbranche tätig, heißt es über den früher lockigen, heute kahlen Mann „mit Wumms“. So steht es ganz bescheiden auf Twitter geschrieben.

Als Näherin und Näher hatten die Eltern Scholz ihre drei Söhne Olaf, Jens und Ingo nach ersten Versuchen in Osnabrück schließlich in Rahlstedt erfolgreich durchgebracht und zu höheren Weihen auserkoren. Und genau dort, in einem IT-Raum voller Daten und Kabeln des Nesthäkchens Ingo, ist die kürzliche, für die momentanen Vorsitzenden der SPD Nowabo und ­Esken entgegen all ihren Beteuerungen überraschende Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz erzeugt worden.

Die Wummswahl entstand folglich nicht im oder rechts vom Parteivorstand und auch nicht als Spätfolge von etwas in der freien Natur oder im elterlichen Ehebett. Sondern als algebraisch superb durchkalkulierte eindeutige Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems (Angela Merkel) oder einer Klasse von Problemen (Groko). So etwas knorke maschinell Funktionierendes, ja Wummsendes aus endlich vielen, wohldefinierten Einzelschritten hat die SPD seit Helmut Schmidt nicht mehr hingekriegt.

Olaf Scholz ist derzeit ergo kein Mensch, sondern ein Algorithmus, früher auch unter dem Namen Scholzomat bekannt. Er kann zur Ausführung in ein Computerprogramm implementiert, aber auch in menschlicher Sprache („Abschaffung von Hartz IV, Respekt, Zukunft, Europa“) formuliert werden. Wobei, Letzteres eher weniger.

„Unser Jung Olaf redet viel, aber hölzern“, hatten schon die Eltern während ihrer eintönigen Nähertätigkeiten in Rahlstedt-Hohenhorst bedauernd festgestellt. Alles in allem: Bei der Problemlösung (Groko/Merkel) wird eine bestimmte Eingabe (Rahlstedter) in eine bestimmte Ausgabe (Wummskanzler) überführt, so funktioniert er, der Algorithmus Olaf Scholz, kurz AOS. Und was jetzt, was nun? Quo vadis, AOS; quo vadis, SPD?

Die ersten virtuellen Schritte

Rekapitulieren wir der guten Ordnung halber die allerersten virtuellen Schritte des AOS. „Jetzt ist es raus“, fanfarte AOS vergangenen Dienstag um Punkt 13.43 Uhr auf Twitter und aus dem Berliner Willy-Brandt-Haus, wo ihn sein Bruder Ingo eilig hatte hinbeamen lassen: „Auf Vorschlag unserer Vorsitzenden @EskenSaskia und @NowaboFM haben mich Präsidium und Vorstand der @spdde gerade einstimmig als Kanzlerkandidaten nominiert. Ich freue mich auf einen tollen, fairen und erfolgreichen Wahlkampf in einem starken Team. #KK_SPD.“

File:2013 Thilo Sarrazin-9436 (9812611903).jpg

Jeder Mensch hat zwei Beine – Sie sehen das Zweite



Danach drückte der AOS die Reset-Taste, nahm seine Maske ab und bestellte sich für den anstehenden Wahlkampf im Netz-Fanshop der SPD unter „Streuartikel“ zwei Pflastersets à 50 Stück und zu je 29,55 Euro. „Mit SPD-Logo, zur Versorgung von kleinen Hautverletzungen“, wie er mechanisch, doch trotzdem irgendwie dankbar in der Produktbeschreibung nachlas. Und weiter: „Eine Box enthält 6 Pflasterstrips: 2 x Hautfarben, 2 x Weiß elastisch und 2 x mit Dino-Aufdruck.“

Quelle      :     TAZ       >>>>>        weiterlesen

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Oben     —       Wahlparty der Bundes-SPD im Willy-Brandt-Haus zur Bundestagswahl 2013.

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Lernen im Wanderzirkus

Erstellt von Redaktion am 12. August 2020

Schule in Corona-Zeiten

Ein Schlagloch von Mathias Greffrath

Föderalistisches Chaos, steigende Ungleichheit: Die Bildungspolitik versagt gerade. Es wird Zeit, ein paar gute radikale Ideen wiederzuentdecken.

Nach einem halben Jahr Pandemie diagnostiziert das ifo-Institut desaströses Staatsversagen im Bildungssystem. Nur drei Zahlen aus der Studie: Die Bildungszeit der Schüler hat sich halbiert, die Zockzeit hat zugenommen; mehr als die Hälfte aller Kinder hatte weniger als einmal in der Woche Unterricht im Klassenverbund; fast ebenso viele kein einziges Einzelgespräch mit einem Lehrer oder einer Lehrerin. Kinder sind unsere Zukunft? Bildungsrepublik Deutschland? Vergesst es. Denn vorher sah es auch nicht viel besser aus: Schon Ende 2019 fehlten 26.000 Grundschullehrer, betrug die Investitionslücke bei den Schulen 44 Milliarden Euro, lagen die deutschen Bildungsausgaben unter dem OECD-Durchschnitt.

Zum Schulbeginn föderalistisches Chaos: Hier Regelunterricht ohne Masken in der Klasse, aber auf dem Gang; dort maskierter Präsenzunterricht ab Mittelstufe, hier ausschließlich Fernunterricht, andernorts Maskenpflicht im Unterricht aller Klassen. Beim Versuch, das Wirrwarr zu ordnen, fiel mir ein Text aus alten Zeiten ein. Er heißt „Plädoyer für den Hauslehrer. Ein bisschen Bildungspolitik“. Geschrieben hat ihn Hans Magnus Enzensberger im Jahre 1982.

Kurze Inhaltsangabe: Nach ausführlicher Rekapitulation der Verzweiflungsrufe und Seufzer von Lehrern, Schülern, Eltern vor der pädagogischen Klagemauer, steht der wunderschön poetische Satz – ich kann ihn auswendig: „Aus Gesagtem ergibt sich zwanglos die folgende Versuchsanordnung. Gegen halb neun Uhr morgens setzt sich Fräulein Zimmerle leise gähnend in ihren Volvo und fährt in die Siegfriedstraße. Unterwegs holt sie noch den kleinen Falk ab.“ Vier weitere Siebenjährige haben sich dort schon in der Wohnung von Familie Schneidewind versammelt. Fünf Schüler und die Lehrerin frühstücken und fangen mit der Arbeit an: lesen und schreiben können sie schon, denn „es handelt sich um Fähigkeiten, die jeder Mensch über vier in ein paar Wochen erwerben kann, es sei denn, er ginge in die Schule; dort dauert es, den Umständen entsprechende, mehrere Jahre.“

Auf zehn amüsanten Seiten entwickelt Enzensberger eine utopische Alternative zur institutionalisierten Grundschule: nomadischer Unterricht, ein „pädagogischer Wanderzirkus“ als „praktizierte Sozialkunde“ an wechselnden Orten statt in „betonierten Technokratenträumen“; gemeinsames Einkaufen, Kochen und Aufräumen statt Kantinenfraß. Fünfer- oder Siebenergruppen, eine kleine Schar, die anders als die übliche „dreißigköpfige Horde von schlechtgelaunten Trampeln“ in Rechenzentren, Gärtnereien, Museen, Fabriken, Werkstätten willkommen wäre; keine verstopften Autobahnen im Sommer, weil sich nur sieben Eltern und eine Lehrerin über Termine absprechen müssen. Und so weiter, und so weiter – der kleine Aufsatz bedenkt alle denkbaren Einwände und widerlegt sie einfallsreich, bis hin zu einer Lernrepublik, die keine Schulgebäude mehr brauchte – jedenfalls nicht für die ersten sechs Jahre.

Ich kann den Charme dieser verführerischen Vernunft­fantasie hier nicht annähernd wiedergeben, möchte sie aber zur Lektüre herzlich und dringend empfehlen („Politische Brosamen“, Suhrkamp).

Unterricht ist Beziehungssache

In „normalen“ Zeiten wirft man solche, von aufgeklärter Radikalität getragene Überlegungen sofort in die Schublade für vernünftige Vorschläge, die keine Chance haben. Aber: Die Krise ist eine Chance. Auch dieser Satz wurde in den Coronamonaten immer wieder vorgebetet. In der Pandemie hätte man die Notlage nutzen können, um das Konzept einer radikalen, dabei infektionsdämmenden Entinstitutionalisierung des Lernens zu testen. Wie starr und konventionell dagegen das meiste, was zur Schule in Coronazeiten öffentlich gedacht wurde. „Unterricht ist tatsächlich in hohem Maße Beziehungssache“ – so ein erstaunter Satz steht wie ein Fremdkörper inmitten all der Besorgnisse über informationstechnologische Infrastruktur, seuchensichere Toiletten, kontrollierte Sicherheitsabstände.

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Oben       —     Offener Unterricht in einer Schulklasse

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Unten        —         Circus Amok Introduction

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Apple, Google & Co. :

Erstellt von Redaktion am 10. August 2020

Kommerz im Klassenzimmer

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Der Corona-Lockdown hat die Bildungskluft hierzulande deutlich offengelegt – nicht zuletzt wegen der fehlenden digitalen Ausstattung in den Schulen, kritisierte »Blätter«-Redakteurin Annett Mängel in der Juni-Ausgabe. Diese Kluft lasse sich jedoch nicht allein mit Tablets und Apps schließen, mahnen die Bildungsforscher Tim Engartner und Lisa-Marie Schröder.

Wenn nach den Sommerferien die Schule wieder losgeht, hoffen viele auf einen Schulalltag wie vor Corona-Zeiten. Doch noch immer ist Vorsicht geboten: Denn es ist weiterhin unklar, wie sehr Kinder und Jugendliche vor allem durch symptomlose Infizierungen zur Verbreitung des Coronavirus beitragen und wie sich das Infektionsgeschehen im Sommer entwickeln wird. Deshalb ist auch für das kommende Schuljahr nicht ausgeschlossen, dass es nur gelegentlichen Präsenzunterricht geben wird.

Damit aber wird der Druck auf die Schulen und vor allem die Lehrerinnen und Lehrer weiter steigen, verstärkt auch digitale Lernangebote zu machen. Doch das ist schneller gefordert als flächendeckend umgesetzt. Und zwar aus mehreren Gründen: Erstens ist auch trotz des Bundesprogramms „DigitalPakt Schule“ die technische Ausstattung vielerorts unzureichend, ganz zu schweigen davon, dass es den Schulen an technisch versiertem Personal zur Unterhaltung der notwendigen digitalen Infrastruktur fehlt. Zweitens fehlen vielen Schulen noch immer elaborierte medienpädagogische Konzepte und drittens mangelt es derzeit noch an entsprechenden Weiterbildungsangeboten für Lehrkräfte. Selbst Lehramtsstudierende lernen kaum, wie man digitale Medien sinnvoll und pädagogisch wertvoll einsetzen kann. Die Lehrerinnen und Lehrer wurden durch die coronabedingten Schulschließungen vielerorts ins kalte Wasser geworfen – und improvisieren mit Chatanbietern, Padlet-Angeboten oder regem E-Mail-Verkehr. Wie gerufen dürften da vielen die Angebote von Apple, Google & Co. kommen, die sich mit immer größerem Nachdruck darum bemühen, an den Schulen Fuß zu fassen. Mangels einer bildungspolitisch durchdachten Strategie rennen sie dabei offene Türen ein, ohne dass auf mögliche Nebenwirkungen geachtet würde.

„Seit 40 Jahren unterstützt Apple Lehrerinnen und Lehrer dabei, das kreative Potential jedes einzelnen Schülers freizusetzen. Heute tun wir das auf mehr Arten als je zuvor. […] auch mit Werkzeugen, Inspirationen und Programmen, die Lehrkräften dabei helfen, geradezu magische Lernerlebnisse zu schaffen.“[1] Mit diesen Worten wirbt der Digitalkonzern für die Schule der Zukunft. Unter dem Stichwort „Education Pricing“ bietet Apple nicht nur Studierenden, sondern auch Lehrkräften und Schülern Hardware zu „Bildungspreisen“ an. Selbstverständlich nicht uneigennützig: Kinder sollen vielmehr möglichst früh an Apple herangeführt werden, so dass sie später die aus der Schule vertrauten Produkte kaufen. Besondere Popularität genießt die „Classroom App“, die es Lernenden ermöglicht, Aufgaben in Einzel- oder Gruppenarbeit über entsprechende Apple-Endgeräte zu bearbeiten, während die Lehrkraft den Arbeitsfortschritt beobachten kann. Doch welche Informationen ziehen Konzerne wie Apple aus den Daten der Lernenden? Dass Apple mit Nutzerdaten nach hiesigem Datenschutzverständnis eher nachlässig umgeht, zeigt die „Entdeckungsreise mit Apple“.[2] Dabei hatte sich der Konzern das Recht vorbehalten, Fotos und Videomitschnitte der Lernenden für unternehmerische Zwecke zu verwerten. Und selbst wenn Apple nach einer Abmahnung durch den Verbraucherzentrale Bundesverband nun die Zustimmung der Eltern minderjähriger Schüler benötigt, dürfte das Unternehmen auch künftig Wege finden, den hiesigen Datenschutz zu unterlaufen.

»Die Schule wird als werbefreier Erfahrungs-, Schutz- und Sozialisationsraum zunehmend gefährdet.«

Auch Google drängt ins Klassenzimmer. Nahezu jeder zweite Lernende hierzulande schaut Videos auf YouTube, das weltweit mehr als 500 Mio. aktive User zählt. Erstaunliche 86 Prozent von ihnen nutzen es für schulisches Lernen.[3] Doch die Videoplattform schaltet vor immer mehr Clips einen Werbespot, so dass die Schule als werbefreier Erfahrungs-, Schutz- und Sozialisationsraum zunehmend gefährdet wird. In der „Google Zukunftswerkstatt“ wiederum werden neben Schulungen für Lehrkräfte auch Unterrichtsmaterialien angeboten. Letztere können unter anderem in Verbindung mit virtuellen Klassenreisen, sogenannten Google Expeditions, in den unteren Jahrgangsstufen genutzt werden. Die Plattform „Google for Education“ wurde sogar explizit eingerichtet, damit begeisterte Lehrende und Lernende ihre Bildungseinrichtung von einer Kooperation mit dem Konzern überzeugen. Auch mit dem Programm „Google Classroom“ zielt das kalifornische Unternehmen auf die Gestaltung virtueller Lernumgebungen im Sinne des Product Placements. Nicht ohne Grund bietet Google die Onlinekurse, die Trainings vor Ort, die virtuellen Klassenreisen sowie die Workshops für Lehrkräfte inklusive Materialien unentgeltlich an.

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Es kann nicht überraschen, wenn auf die Digitalisierung der Lebenswelten nun demnächst die Digitalisierung der Bildungswelten folgen wird. Doch was bedeutet es für die Lehrkraft, sich auf per App gesteuerte Lehr- und Lerntools zu stützen? Welche Folgen zeitigt es bei Lernenden, wenn sie den Werbeeinflüssen der Unternehmen und deren Unterrichtsmaterialien ausgesetzt sind? Diese Fragen sind bislang nur unzureichend beantwortet. Dies ist auch der Tatsache geschuldet, dass sowohl in den Schul-, Kultus- und Bildungsministerien als auch in den Schulämtern das Bewusstsein dafür fehlt, dass der 5,5 Mrd. Euro schwere „DigitalPakt Schule“ auch das Ergebnis einer langjährigen Kampagne der führenden Hard- und Softwarehersteller ist. Dabei sind sich nicht nur Medienpädagogen einig, dass digitale Bildungsformate nur dann erfolgreich sein können, wenn die technische Aufrüstung der Schulen von pädagogischen Konzepten für digitalisierte Lehr- und Lerninhalte begleitet wird. Bleiben Fort- und Weiterbildungen aus, drohen Lehrkräfte und Schüler von der Digitalisierung überrannt zu werden.

»Apple, Google & Co. versprechen sich vor allem eines: Einfluss auf das Konsumverhalten der Lernenden zu nehmen.«

Denn wenn Apple, Google & Co. Schulen ihre Hard- und Software ermäßigt anbieten und damit werben, Lehrende und Lernende mit diesen vertraut zu machen, versprechen sie sich davon vor allem eines: Einfluss auf das Konsumverhalten der Lernenden zu nehmen. Wie weit die unternehmerische Einflussnahme bereits gediehen ist, zeigt exemplarisch der aktuelle Fortbildungskatalog der Bezirksregierung Köln, der unter anderem externes Unterrichtsmaterial des Softwareherstellers SAP bewirbt: „In einer Fortbildung lernt man den Calliope mini kennen […] und bekommt einen Überblick über verschiedene (kostenlose) Unterrichtsmaterialien.“[4] Für das Schulprojekt „Calliope“ macht sich auch die Professorin Gesche Joost stark, die zwischen 2014 und 2018 als „Internetbotschafterin der Bundesregierung“ fungierte. Sie erhielt vom Bundeswirtschaftsministerium jährlich 50 000 Euro für ihre Dienste. Obwohl sie laut Vertrag keine Aufgaben übernehmen durfte, die ihre Unabhängigkeit gefährden, zog sie 2015 in den Aufsichtsrat von SAP ein, das mit Calliope betraut ist – gegen eine Vergütung von „zuletzt fast 200 000 Euro im Jahr“.[5] Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum mehr, wenn sich Joost auf der Calliope-Webseite dafür ausspricht, „dass digitale Bildung ab der Grundschule als fester Baustein im Curriculum verankert und von den Ländern angemessen budgetiert“ werden soll.[6]

Das Beispiel illustriert, wie stark die unternehmerischen Initiativen von der Politik unterstützt werden. So lässt sich auch die rheinland-pfälzische Schulministerin Stefanie Hubig (SPD) mit Blick auf die Aktivitäten der – von 141 Unternehmen, Stiftungen und Hochschuleinrichtungen getragenen – Initiative „Wissensfabrik. Unternehmen für Deutschland“ in deren jüngstem Jahresbericht wie folgt zitieren: „Bildung in der digitalen Welt ist für uns ein zentrales Handlungsfeld. Wir bilden und erziehen zur digitalen Mündigkeit – und das setzt ein Verständnis der technologischen Hintergründe voraus. Das Wissensfabrik-Projekt ,IT2School‘ ergänzt unsere vielfältigen Maßnahmen an den Schulen dabei hervorragend.“[7]

Quelle       :       Blätter           >>>>>          weiterlesen

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Grafikquelle     :

Oben       —       Aulas Virtuales para la Enseñanza (AVE) ejecutado en el 2001, es un espacio externo con 10 computadores, utilizados para la integración TIC en las áreas curriculares por igual cantidad de alumnos. Desde sus inicios este espacio ha servido para la capacitación básica de los docentes en el uso del computador y otros recursos informáticos.

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Unten      —        Clase de informática de alumnos de 4º de Primaria.

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Antisemitismus-Diskussion :

Erstellt von Redaktion am 9. August 2020

Felix Klein hat verstanden

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Von Ze’ev Avrahami

Statt Antisemitismus zu bekämpfen, wird diskutiert, was genau ihn ausmacht. Doch am Ende aller theoretischen Debatten stehen immer echte Menschen.

Einen Monat nachdem ich zur israelischen Armee eingezogen worden war, brach die erste Intifada aus. Statt Soldat zu sein, machte ich Polizeiarbeit, sagte den Menschen, wann sie zur Arbeit gehen konnten und wann sie ihre Läden schließen mussten, wann sie die Grenze passieren und wann sie schlafen konnten. Einen Monat nachdem ich aus der Armee entlassen worden war, ging ich auf Reisen. (In Israel sagen wir: Wir dienen drei Jahre und versuchen den Rest unseres Lebens, diese drei Jahre zu vergessen.) Auf meiner Reise begann ich Briefe an meine Freundin zu schreiben, die ich in Israel zurückgelassen hatte.

Ich schrieb ihr, wie schrecklich depressiv ich war und dass diese drei Jahre des Anweisungenbellens und Anderen-Menschen-Sagens, was sie zu tun haben, mich für immer verfolgen würden. Dass sie ein Teil dessen geworden waren, was ich bin. Ich erinnere mich, dass ich ihr schrieb, dass wir da rausmüssen – nicht nur für die Palästinenser, sondern wegen der furchtbaren und brutalen Auswirkungen, die all das auf uns, auf die israelische Gesellschaft haben würde. Sie schrieb zurück: „Du hast recht. Ich habe einen neuen Freund.“

Felix Klein wurde als Beauftragter der Bundesregierung berufen, um die Auswirkungen des zunehmenden Antisemitismus in unserer Gesellschaft, in Deutschland, zu bekämpfen. Was nicht in seiner Jobbeschreibung steht, ist, dass er dabei unsere Gesellschaft heilen muss, jene Gesellschaft, die diese Form des Hasses reproduziert und schützt. Klein hat das begriffen.

Er versteht, dass man Krebs nicht mit einem Pflaster verarztet, er weiß, dass er das Bewusstsein der Deutschen schärfen und Diskussionen anstoßen muss. Er hat begriffen, dass das Problem nicht nur an den Rändern der Gesellschaft (bei den Rechten) liegt, sondern auch in ihrer Mitte. Dort, wo gebildete Menschen nicht einmal bemerken, dass das, was sie sagen und tun, antisemitisch ist. So wie sie es auch nicht merken, wenn sie rassistisch handeln. Er hat all das verstanden, und genau deshalb wollen einige, dass er seinen Posten räumt.

Mehr als 60 deutsche und israelische Intellektuelle haben letzte Woche in einem Brief an Kanzlerin Merkel darüber geklagt, dass der aktuelle „Gebrauch des Antisemitismusbegriffs“ darauf abziele, „legitime Kritik an der israelischen Regierungspolitik zu unterdrücken“, und Klein vorgeworfen, rechtspopulistische israelische Stimmen zu fördern.

Faszinierend an diesem offenen Brief ist, dass viele der Unterzeichneten keine Deutschen sind und auch nicht in Deutschland leben. Ich weiß nicht, woher sie – die meisten von ihnen sind Israelis – die Chuzpe haben, sich in eine innerdeutsche Angelegenheit einzumischen und zu fordern, eine Person zu entlassen, die von der Bundesregierung eingesetzt wurde. Die Hälfte der Unterzeichneten lebt nicht hier, von der anderen Hälfte sind viele keine Juden – somit sind die allermeisten von ihnen nicht direkt vom Antisemitismus in Deutschland betroffen. Wie also können sie diesen Brief unterschreiben? Und warum eigentlich haben so wenige Deutsche unterschrieben? Dazu komme ich gleich.

Debatte um Achille Mbembe

Hintergrund des Briefs war, dass Felix Klein gefordert hatte, den Philosophen Achille Mbembe nicht die Eröffnungsrede der Ruhrtriennale halten zu lassen. Als mit öffentlichen Mitteln gefördertes Event solle die Ruhrtriennale Mbembe wegen seiner Haltung zu Israels Existenzrecht, seiner Haltung zu BDS und der Art, wie er in einem seiner Werke den Holocaust relativiert, nicht einladen.

Mbembes Unterstützer sagen, keine dieser Anschuldigungen sei wahr. Fürs Protokoll: In meinen Augen unterstützt Mbembe sehr wohl BDS, er schrieb unter anderem das Vorwort zu „Apartheid Israel“ und fordert die komplette Isolation Israels. Ich glaube auch, wenn Mbembe schreibt, die israelische Besetzung sei der „größte moralische Skandal unserer Zeit“, zeigt das, dass sein moralischer und geografischer Kompass etwas schief ist.

Doch warum treibt die Debatte so viele Menschen um? Nun, zunächst gibt niemand gern auf, was ihm oder ihr selbstverständlich scheint. Über den gesamten politischen, sozialen, kulturellen, medialen und akademischen Sektor hinweg sind Menschen daran gewöhnt, so schlecht über Israel sprechen zu können, wie auch immer sie wollen.

Der Spiegel hat – vielleicht in Anlehnung an seine Relotius-Standards, Israel erst kürzlich eine Corona-Diktatur genannt. Fakten und Belege für diese Behauptung gab es nicht. Doch Millionen Deutsche haben es gelesen, und es wird natürlich haften bleiben. Faktenlage hin oder her. Der Spiegel und andere Medien haben dieses Spiel perfektioniert: Titel so zu drehen, dass sie Israel indirekt anklagen, die Idee zu streuen, der Mossad kon­trol­liere die deutsche Außenpolitik im Nahen Osten, und so fort. Doch sie stehen allesamt sofort auf den Hinterbeinen, wenn jemand es wagt, das Spiel beim Namen zu nennen: moderner Antisemitismus.

Angela Merkel porte de Brandebourg.JPG

Klein will dem entgegenwirken. Er versteht, dass antisemitische Attacken in Deutschland die Früchte solch falsch gezeichneter Bilder und eindimensionaler Narrative über Israel sind. Wenn er und andere versuchen, ein anderes Narrativ aufzuzeigen, wirft man ihnen Zensur vor: Wie können sie es wagen, das Geschäft der Anti-Israel-Propaganda zu stören?

Liebe Deutsche, wenn ihr reden wollt, lasst uns gern reden: über die Besetzung, über Bibi und alles, was schiefläuft. Aber dann lasst uns bitte auch darüber reden, wie deutsche Steuergelder Terrortunnel finanzieren. Erst vergangene Woche räumte die niederländische Regierung ein, dass Gelder an eine Landwirtschaftsorganisation in Ramallah geflossen seien, die damit teilweise die Gehälter zweier des Mordes an der 17-jährigen Israelin Rina Shnerb Verdächtiger gezahlt haben. Auch die Bundesregierung unterstützt diese Organisation, obwohl Kritiker schon lange vor Verbindungen zu Terroristen warnen.

Wir können uns also gerne unterhalten – aber im Dialog, nicht in Monologen. Denn Reden unter Menschen, die sich einig sind, ist nichts anderes als Impotenz.

Israelkritik als Eintrittskarte

Quelle       :     TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben       —    Tafel 23 (Ein Wagen mit eppes Schacherjüden), aus: Die Große öffentliche Maskerade zu Pferde und zu Wagen in Bamberg am Fastnachts-Montage 1837. Bamberg, Lachmüller, (1837).

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Unten      —     Angela Merkel durant son discours à la manifestation contre l’antisémitisme à la porte de Brandebourg le 14 septembre 2014

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Die Mendel’schen Regel 3

Erstellt von Redaktion am 6. August 2020

In Deutschland werden nicht einfach Vorträge, sondern gleich Karrieren gecancelt

Von Meron Mendel

Es gibt ja Streit darüber, ob die vielbeschworene „Cancel Culture“ wirklich existiert. In den USA ist ein Kulturkampf um die Frage entbrannt. Sind Ausladungsforderungen an umstrittene Redner*innen in Social Media Teil einer neuen Verbotskultur – oder nicht doch ganz normale Politik, nur über Twitter und Co.?

Sollte die These stimmen, dass es sich bei „Cancel Culture“ um einen US-Import handelt, hat sie sich binnen Kurzem an deutsche Tradition und Sitte angepasst: preußische Kanzellierungs-Kultur. Wo sie in den USA die Gesellschaft bewegt, wendet sie sich gut preußisch an die Bürokratie: Ziel sind Be­am­t*in­nen und Funktionär*innen. Damit es spannender ist, ist der Einsatz höher: Wo in den USA nur Vorträge verhindert werden, muss in Deutschland die gesamte Laufbahn einer Person beerdigt werden.

Wie sind die Spielregeln?

1. Such dir eine Person im öffentlichen Dienst, die dir missfällt.

2. Such ihren Namen bei Google in Kombination mit einigen Schlagwörtern (Extremismus, Antisemitismus, Islam, Verfassungsschutz …).

3. Mache dir eine Liste von Zitaten, die genug Interpretationsspielraum bieten.

4. Schreib einen Protestbrief an Merkel, Maas, Seehofer oder Papst Franziskus, in dem du den Rücktritt der Person forderst.

5. Mobilisiere deine „Freun­d*in­nen“ und „Fol­lower*innen“ in den sozialen Medien.

6. Nun ist die Gegenseite dran und kann ihrerseits einen Rücktritt fordern – vielleicht sogar deinen. Immerhin hast du gerade versucht, jemanden zu canceln! Klingt paradox, ist aber ein legitimer Spielzug.

Gewonnen hat der*die Spieler*in, der*die als erste*r den Rücktritt erzwungen hat. Freude am Spiel haben anscheinend alle: Linke, Rechte, Konservative, Liberale, Parteilose, Lobbyisten und Briefmarkensammler.

Zwei aktuelle Beispiele: die Rücktrittsforderungen an den Antisemitismusbeauftragten Felix Klein und an die Vizepräsidentin des Zentralrats der Muslime Nurhan Soykan nach ihrer Berufung zur Beraterin im Auswärtigen Amt. Auch wenn die Fälle sehr unterschiedlich sind, kommt in beiden die gleiche Ausschlusslogik zum Zug. Im Fall Felix Klein wandten sich sechzig „besorgte“ Wissenschaftler*innen aus Deutschland und Israel mit einem offenen Brief an Merkel – weil Klein es regelmäßig wagt, israelbezogenen Antisemitismus zu thematisieren. Peinlich, wie anerkannte Professor*innen sich bei der Dienstherrin eines Beamten beschweren – und dabei so tun, als sei ausgerechnet der Antisemitismusbeauftragte die Ursache von Judenhass in Deutschland.

Die gleiche Gruppe hatte sich schon Anfang Mai in einem offenen Brief (was sonst?) an Seehofer auf die Seite des umstrittenen Historikers Achille Mbembe gestellt. Ich persönlich vermisse unter den Unterzeichner*innen einen Sprachphilosophen, der sich wissenschaftlich mit dem Paradox befasst, wie man glaubwürdig im Namen der Meinungsfreiheit ein Sprechverbot für Herrn Klein erlassen soll.

Wieso fiel mir eigentlich Frau Soykan nie auf ?

Quelle          :        TAZ         >>>>>        weiterlesen

Zur gleichen Thematik :

Die Mendel’schen Regeln 2

Streit ums Jüdische Museum

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Grafikquellen       :

Oben          —       Meron Mendel 2018

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Unten      —      Gedenkstele an Anne Franks Geburtshaus

 

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Was bewegt die Schweiz

Erstellt von Redaktion am 4. August 2020

So kooperierte die Schweiz mit Hitler-Deutschland

Benito Mussolini e Adolf Hitler, sem data.tif

Quelle       :     INFOsperber CH.

Von Hans Ulrich Jost / 04. Aug 2020 – 

Rückblick auf den Zweiten Weltkrieg: Der Handelsvertrag Schweiz/Deutschland vom August 1940 wird gerne übersehen. Nur Zufall?

Jahrestage und Erinnerungsfeiern sind beliebte Anlässe, um die Geschichte unter die Leute zu bringen. Zur Zeit sind Rückblicke auf den Zweiten Weltkrieg, der vor 75 Jahren zu Ende ging, beliebt. Allerdings wird dabei die Rolle der Schweiz, trotz umfangreicher Studien, in der breiten Öffentlichkeit immer noch verklärt wahrgenommen.

Der Sinn historischer Rückblicke

Solche populär aufgezogene Rückblicke dienen aber auch dazu, in die politischen oder intellektuellen Orientierungen der Gegenwart einzugreifen. 1989 organsierte beispielsweise das Militärdepartement unter dem Titel «Diamant» eine Reihe von Veranstaltungen, um der 50 Jahre zuvor, bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs durchgeführten Mobilisation der Schweizer Armee zu gedenken. Diese Erinnerungsfeiern sollten, so der damalige Verteidigungsminister Kaspar Villiger, den Jungen eine sachliche und ehrliche Information über diese Zeit vermitteln. Hintergründig ging es jedoch darum, die von der Gruppe «Schweiz ohne Armee» lancierte Initiative zur Abschaffung der Armee zu kontern.

Peinlich an diesen Feiern war – wie vor allem das Ausland es bemerkte –, dass ausgerechnet die kriegsverschonte Schweiz mit offiziellen Anlässen des Ausbruchs dieser schrecklichen Katastrophe gedachte. Der bekannte Historiker und Zeitzeuge Jean Rodolphe von Salis meinte dazu: «Mir scheint, dass wir keine Lorbeerkränze auszuteilen, keine Triumphbögen zu errichten haben. Es waren andere, die im Zweiten Weltkrieg auch für uns geblutet haben.»

9. August 1940

Man hätte bei uns, um an diese schwere Zeit zu erinnern, auch ein anderes Ereignis beleuchten können: den am 9. August 1940 in Berlin unterzeichneten Handelsvertrag mit Nazi-Deutschland. Dies war zwar kein militärischer Kraftakt und auch kein grosser Auftritt eines Bundesrates. Dennoch handelt es sich bei diesem Vertrag um einen grundlegenden, die Existenz der Schweiz bestimmenden Akt. Er öffnete den Weg für eine zwar konfliktreiche, aber von beiden Parteien als notwendig erachtete wirtschaftliche Zusammenarbeit. Solange diese funktionierte, war ein militärisches Vorgehen von Nazi-Deutschland gegen die Schweiz gebannt.

Diesem vor 80 Jahren unterzeichneten Vertrag hat man allerdings bisher keine grossen Gedenkfeiern gewidmet. Und auch in der aktuellen Geschichtsschreibung nimmt er einen eher diskreten Platz ein. Ein Grund für diese Diskretion liegt wohl darin, dass sich dieses Übereinkommen, obwohl fürs Überleben des Landes entscheidend, nicht zum Baustein einer heroischen Nationalgeschichte eignet.

Die «Wirtschafts-Vereinbarungen» mit Deutschland wurden am 9. August 1940 in Berlin unterzeichnet. Aus den Verhandlungen gehe, so der damalige Kommentar des Bundesrates, «mit aller Deutlichkeit die grosse Bedeutung des neuen Vertragswerks mit Gross-Deutschland für unser Land hervor». Diese Vereinbarungen seien «aber auch politisch im Hinblick auf unsere Beziehungen zum grossen nördlichen Nachbar von bedeutender Tragweite». Dass die Verhandlungen, so der Bundesrat, «in einer freundschaftlichen Atmosphäre haben zu Ende geführt werden können», sei «gerade im Hinblick auf unsere weitgehende Abhängigkeit von Gross-Deutschland für unsere Zukunft von besonderer Wichtigkeit» (dodis.ch/47120).

Schweizer Wirtschaft und deutsche Kriegswirtschaft

Es ging in diesem Vertrag im Wesentlichen darum, die Industrie und die Finanzkraft der Schweiz an die deutsche Kriegswirtschaft anzudocken. Zentraler Punkt des Abkommens war ein von der Schweiz gewährter Kredit, den Deutschland insbesondere für den Ankauf von Kriegsmaterial einsetzte. Die Schweiz ihrerseits sah in diesem Handel ein Mittel zur Arbeitsbeschaffung und zur Sicherstellung der lebenswichtigen Importgüter, denn das Land war wirtschaftlich in keiner Weise autark und deshalb auf Importe angewiesen. Ohne dieses Abkommen hätten weder die vielgepriesene «Anbauschlacht» (Plan Wahlen) noch das «Réduit» (das militärische Verteidigungsdispositiv in den Alpen) realisiert werden können.

Um die Geschichte dieses Abkommens besser einzuordnen, sei kurz auf die internationale Lage im Sommer 1940 hingewiesen. Am 10. Mai 1940 begann der mit der Niederlage Frankreichs endende Westfeldzug der Deutschen. Holland und Belgien wurden von der deutschen Armee überrannt. Am 17. Juni kapitulierte Frankreich, am 22. Juni wurde der Waffenstillstand unterzeichnet. Nur England entzog sich der deutschen Herrschaft. Am 13. August, «Adlertag» genannt, begann Hitler den Luftkrieg gegen England. Es gelang allerdings der deutschen Luftwaffe nicht, die Royal Air Force zu bezwingen.

Intensive Verhandlungen mit Nazi-Deutschland

Die Wirtschaftsverhandlungen zwischen Deutschland und der Schweiz waren nicht erst mit dem Westfeldzug aufgenommen worden. Schon wenige Tage nach dem Angriff Deutschlands auf Polen, am 4. September 1939, traf in Bern eine deutsche Handelsdelegation unter Leitung von Hans Richard Hemmen ein. Der schweizerische Verhandlungsleiter Jean Hotz, Chef der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements, hatte schon früher mit Hemmen zu tun gehabt. Auf verschiedensten Ebenen entwickelten sich nun intensive Kontakte zwischen Deutschland und der Schweiz. Sie führten am 24. Oktober 1939 zu einem Ergänzungsabkommen zum schon bestehenden Clearingvertrag. In dieser Zeit lieferte Deutschland, nebenbei gesagt, der Schweizer Armee 89 Messerschmitt Me-109, eines der besten Jagdflugzeuge jener Zeit.

Der Bundesrat hatte die Aufrechterhaltung der Aussenwirtschaftsbeziehungen gleich nach Kriegsbeginn zu einer Hauptaufgabe erklärt. Um auch die Exporte von Kriegsmaterial zu ermöglichen, hatte er am 8. September 1939 in einem geheim gehaltenen Beschluss das Verbot für Kriegsmaterialexporte aufgehoben. Das deutsche Wirtschaftsrüstungsamt seinerseits sah vorerst in der Lieferung von Werkzeugmaschinen den wichtigsten Posten im Handel mit der Schweiz. Doch in den Monaten bis zum Frankreichfeldzug verlangte Deutschland keine ausserordentlichen Lieferungen. Berlin kritisierte hingegen die Kriegsmaterialexporte zugunsten Frankreichs und Englands. Tatsächlich beabsichtigten diese Länder, in der Schweiz grössere Waffenkäufe zu tätigen. Da jedoch Bern dafür keine Kredite gewähren wollte, kam es zu keinen grösseren Lieferungen. Noch wichtiger als Kriegsmateriallieferungen war den Alliierten, zu verhindern, dass Material und Waren aus ihrem Bereich über die Schweiz nach Deutschland exportiert wurden. Dies sollte mit dem am 25. April 1940 geschlossenen Blockadeabkommen geregelt werden.

Gegen ein solches Blockadeabkommen mit den Alliierten sprachen sich sowohl der Bundesrat wie der «Vorort» (Handels- und Industrieverein, heute «Economiesuisse») aus. Dieses würde, schrieb der «Vorort» am 8. Januar 1940 dem Bundesrat, «die Kontinuität unserer wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland aufs höchste in Frage stellen und damit sowohl die Versorgung der Schweiz mit wichtigen Rohstoffen, wie auch die Beschäftigung ganzer Industrien und schliesslich das Gleichgewicht der schweizerischen Devisenbilanz gefährden». Es müsse alles Mögliche getan werden, «dass uns die Ausfuhr nach Deutschland in einem Umfang erhalten bleibt, der sowohl die Aufrechterhaltung unserer wirtschaftlichen Tätigkeit wie auch die geordnete Weiterführung unserer wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland erlaubt» (dodis.ch/46981).

Die «ständige Verhandlungsdelegation»

Für die Wirtschaftsverhandlungen mit Deutschland hatte der Bundesrat eine vom Chef der Handelsabteilung Jean Hotz geleitete «Ständige Verhandlungsdelegation» ernannt. Mitglieder waren Heinrich Homberger, Direktor des «Vororts», Robert Kohli vom Politischen Departement, Ernst Laur, Direktor des Bauernverbandes, und Peter Vieli, Vertreter der Banken. Diese hochkarätige Delegation entwickelte sich zu einem der wichtigsten, den Bundesrat in gewisser Weise in den Schatten stellendes Organ. Hotz, Homberger, Kohli und Laur gehörten auch der Finanz- und Wirtschaftsdelegation an, in der die Bundesräte Stampfli, Pilet-Golaz und Wetter Einsitz hatten. Die beiden genannten Delegationen bildeten das eigentliche Machtzentrum des Bundes. In diesem spielten Bundesrat Stampfli sowie das Triumvirat Hotz, Homberger und Kohli die entscheidende Rolle.

Am 27. Mai 1940, ein Tag vor der Kapitulation Belgiens, wurden in Berlin die Wirtschaftsverhandlungen mit Deutschland weitergeführt. Beflügelt vom Erfolg ihrer Armeen trugen die Deutschen ihre Forderungen grossspurig vor. Neben Werkzeugmaschinen waren nun auch Waffen gefragt. Zwecks Organisation solcher Waffenlieferungen traf am 9. Juni eine von Robert Fierz, dem Chef der Kriegstechnischen Abteilung geleitete Delegation in Berlin ein. Am 13. Juni, bei seiner Rückkehr in die Schweiz, forderte Fierz Emil Bührle, den Besitzer der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon, auf, unverzüglich und so umfangreich wie möglich die Ausfuhr von Waffen nach Deutschland an die Hand zu nehmen.

Hotz und seine Delegation waren am 2. Juni in die Schweiz zurückgekehrt und führten die Verhandlungen mit Hemmen in Bern weiter. Schon am 18. Juni konnte der deutsche Gesandte Köcher nach Berlin melden: «Bundesrat bereit, uns Kriegsmaterial unbeschränkt so viel zu liefern, als die Schweiz dazu in der Lage ist.» Dieser Entscheid kam am 21. Juni in einer gemeinsamen Sitzung von Bundesrat, der Finanz- und Wirtschaftsdelegation und der Ständigen Verhandlungsdelegation zur Sprache (dodis.ch/47071). Hotz betonte, von Seite der Schweiz würden «alle Hebel in Bewegung gesetzt, eine Förderung des Exportes nach Deutschland auf der ganzen Linie herbeizuführen». Der Bundesrat verfügte zudem, alle Waffenlieferungen an die Feinde Deutschlands einzustellen. Um den Export nach Deutschland optimal zu gestalten, sollten auch die Kriegswirtschafts-Ämter die Inlandversorgung zurückstellen. Bundespräsident Pilet-Golaz fügte bei, es gehe zunächst einmal darum, den geforderten Kredit zu gewähren. «Dabei wäre es unangebracht», fuhr Pilet fort, «über eine Million mehr oder weniger zu streiten».

Grosse Zufriedenheit mit dem schweizerisch-deutschen Handelsabkommen

Damit war der entscheidende Schritt getan. Deutschland brauchte dringend Devisen und eine gesicherte und exklusive Zusammenarbeit mit der schweizerischen Industrie, sowie freien Zugang zu den Alpentransversalen. Die Schweiz sollte auch den Handel mit den gegen Deutschland im Krieg stehenden Ländern abbrechen. Berlin verzichtete jedoch auf eine de jure-Verpflichtung, da Bern bereit war, de facto entsprechende Ausfuhren zu verhindern.

Eine grosse Mehrheit der Repräsentanten von Wirtschaft und Politik befürworteten diese an Deutschland orientierten Handelsbeziehungen. Es war gewissermassen das einzige politische Projekt, das in dieser schwierigen Zeit eine breite Zustimmung fand. In einem Zirkular des «Vororts» wurde betont, dass die Verhandlungen «in freundschaftlichem Geiste und mit dem gegenseitigen Willen zur Verständigung geführt» und zu einem «erfreulichen Abschluss» gebracht worden seien. Ernst Laur, der Direktor des Bauernverbandes, sah in diesem Abkommen gar «ein deutliches Zeichen freundschaftlicher Gesinnung unseres grossen Nachbars», das «zu einem Eckstein für unsere politische Zukunft» werden könne.

Bundesarchiv Bild 102-13774, Adolf Hitler.jpg

Tatsächlich hat die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland und den von ihm abhängigen Ländern nicht nur die Existenz der Schweiz, sondern auch die wirtschaftliche Kraft des Landes gesichert. Damit konnte die Schweiz dann erfolgreich in die Nachkriegszeit einsteigen. Den Alliierten waren diese Wirtschaftsbeziehungen verständlicherweise ein Dorn im Auge. Gegen Kriegsende zwangen sie den Bundesrat, den Warenverkehr einzuschränken. Bern bestand jedoch darauf, die wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland aufrecht zu erhalten. Dahinter stand der Gedanke, dass Deutschland, trotz der vernichtenden Niederlage, in der Nachkriegszeit sich erneut zu einem wichtigen Wirtschaftsraum aufschwingen und damit weiterhin ein bedeutender Handelspartner der Schweiz bleiben werde.

In den öffentlichen, das Jahr 1940 betreffenden Debatten – und auch in vielen historischen Arbeiten – kam das Wirtschaftsabkommen mit Deutschland kaum vor. Zwei andere Ereignisse beherrschten die Szene: die Radioansprache von Bundesrat Pilet-Golaz vom 25. Juni 1940 und General Guisans Rütlirapport vom 25. Juli 1940. Im Hinblick auf die existentiell entscheidende Entwicklung hatten diese beiden Manifestationen jedoch keine grosse Bedeutung. In Pilets zwiespältiger, vom Gesamtbundesrat gutgeheissener Rede – in der NZZ (22.06.2015) als «berüchtigste Rede der Schweizer Geschichte» apostrophiert – ist vom «Zeitpunkt der inneren Wiedergeburt» die Rede, wobei der Bundesrat Beschlüsse «auf Grund eigener Machtbefugnisse» fassen werde. Und General Guisans Rede am Rütlirapport, deren Inhalt in der Öffentlichkeit nur gerüchtweise Verbreitung fand, war in Bezug auf die Zukunftsgestaltung ebenso sibyllinisch wie jene des Bundesrats.

Es wäre an der Zeit, bei historischen Rückblicken auf den Zweiten Weltkrieg realpolitischen Fakten wie dem Wirtschaftsabkommen vom 9. August 1940 vermehrt Beachtung zu schenken, selbst wenn dabei die bei der Legendenbildung dominierenden Momente ins Hintertreffen kämen. Dass die Schweiz den Zweiten Weltkrieg erfolgreich überlebte, beruhte weder auf dem politischen Widerstand der Behörden noch dem militärischen Rückzug ins Réduit – entscheidend war vielmehr die mit dem Vertrag vom 9. August 1940 eingeleitete wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Nazi-Deutschland.

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Oben      —      Imagem do Fundo Correio da Manhã.

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Ein etablierter Kampfbegriff

Erstellt von Redaktion am 31. Juli 2020

Identitätspolitik versus Klassenkampf

Die Linke Weltpremiere Der junge Karl Marx Berlinale 2017.jpg

Schein – Damen, Herren und Knechte ?

Von Peter Weissenburger

In der Linken wird – mal wieder – eine Spaltung herbeigeredet. Dabei gehören Verteilungs- und Anerkennungspolitik seit jeher zusammen.

Es gibt diesen zynischen Running Gag, dass die Linke sich hervorragend selbst spalten kann. Dass das linke Projekt nicht vorankommt, weil sich die Bewegung in Splittergruppen und Lager zerteilt. Da mag etwas dran sein. Aber manche Spaltungen gibt es, andere werden herbeigeredet. Zum Beispiel, weil man sich bestimmte Teilbereiche linker Politik gerne wegwünschen will.

So eine Spaltung wollen einige Zeitungstexte in den vergangenen Wochen wieder identifiziert haben. Zwischen denen, die etwas namens Identitätspolitik befürworten, und denen, die es ablehnen. Dass es zum Bruch komme zwischen jüngeren Linken, denen Antirassismus und Feminismus wichtig seien, und der älteren Generation mit ihrer Politik der ökonomischen Machtverhältnisse („Klasse“). Derlei Thesen sind in der taz zu finden und woanders. Das Problem: Je öfter man das behauptet, desto eher trägt man genau zu einer Spaltung bei.

Der Begriff Identitätspolitik taucht ab den 90er Jahren als identity politics im englischsprachigen Diskurs auf; in akademischen Texten als wertfreier oder affirmativer Überbegriff für soziale Bewegungen von Minderheiten und für sozialwissenschaftliche Disziplinen, die aus ihnen hervorgehen. African-American Studies, Women’s Studies und Queer Studies sind zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahrzehnte alt und mittlerweile in einem begrenzten akademischen Rahmen anerkannt. Das macht einen Überbegriff nötig für den Gegenstand, den sie alle beforschen: identity politics.

Parallel etabliert sich derselbe Begriff aber noch mit einer völlig anderen Bedeutung und Intention. Konservative sehen in identity politics Partikularinteressen mit zersetzender Wirkung auf die Gesellschaft. US-Konservative – die sich den größten Teil der 90er Jahre in der Opposition befinden –, aber auch einige Linke veröffentlichen Warnschriften etwa gegen Quoten und Multikulturalismus.

Sorge um die nationale Einheit

Identity politics wird zum Kampfbegriff. Die Konservativen behaupten, die Förderung diskriminierter Gruppen werde in deren Bevorzugung umkippen. Sie warnen, dass Identität – vor allem ­racial, aber auch ­gendered – das universelle „Amerikanersein“ als Grundlage für Politik ablösen und so die nationale Einheit der USA gefährden könnte. Eine Einheit, die man sich als weiß-männlich dominiert vorstellte.

Wer nicht um nationale Einheit besorgt war, fand einen anderen Vorwurf. Linke sahen in Identitätspolitik etwas, das die traditionelle linke Verteilungspolitik verdrängte. Der Fokus auf gender und race und auf Anerkennung ginge zulasten der Kategorie class und von Eigentumsfragen.

Ende der 90er wehrt sich Nancy Fraser, eine hierzulande oft rezipierte linke US-Philosophin, gegen diese „falschen Gegensätze“. Fraser argumentiert, dass sich Verteilungspolitik und Anerkennungspolitik nicht ausschließen, und schlägt Teilhabe als verbindenden analytischen Begriff vor. In dem Moment, da für einen afroamerikanischen Wall-Street-Banker kein Taxi anhalte, müsse man „jenseits der Verteilung von Rechten und Gütern denken und kulturelle Wertesysteme untersuchen“.

Eigentlich war dieser Vermittlungsversuch nie nötig. Selbstverständlich ging es der antirassistischen US-Bürgerrechtsbewegung um Anerkennung und um Verteilungsfragen zu Kapital, Wohnraum, Bildung und Gesundheit; und natürlich ging es Frauenbewegungen jenseits wie diesseits des Atlantiks um Anerkennung und um finanzielle Autonomie.

Und dennoch kehrten die „falschen Gegensätze“ in den folgenden Jahrzehnten immer wieder. Hier „echte linke Politik“ mit Drecksarbeit und Besitzverhältnissen und da Identitätspolitik mit ihren Quoten, und Schreibweisen sowie ihrer Repräsentation in den Medien – auch in Deutschland, wo besonders in den letzten Jahren wiederholt Verteilungspolitik und Anerkennungspolitik als gegensätzlich behauptet worden sind oder die Belange von Frauen, queeren Menschen oder nichtweißen Gruppen als Widerspruch zu den Bedürfnissen des „kleinen Mannes“, also ungefähr des weißen Nichtakademikers auf dem Land.

Ein rechtes Feindbild

Das ist ein Phänomen der AfD-Ära. Der Rechtspopulismus konstruiert ein Feindbild „urbaner Elite“ – und serviert dieses seiner Zielgruppe. Schaut her, sie studieren, sie verachten die kleinen Leute, und sie reden über Gender. Und diese Taktik findet Widerhall.

Plakat „Ausnahmezustand heißt Kontrolle“.jpg

So ist es – den etablierten fehlen die Ideen zum Widerstand !!!

Im November machte Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel in einer Rede ein „Überhandnehmen von Themen wie Schwulenrechte, Gleichstellungsrechte, Migration“ für die Misere seiner Partei verantwortlich: „Die Arbeiterpartei Deutschlands ist derzeit die AfD.“

Es sind nie die eigenen Versäumnisse, es ist die Identitätspolitik, die die Rechten stärkt. Für manchen ist sie schon dasselbe wie rechte Politik. „Die einen sagen, man wisse nicht mehr, in welchem Land man lebt, die anderen bekämpfen alte weiße Männer“, sagte der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer voriges Jahr, nachdem er sich online darüber echauffiert hatte, dass die Deutsche Bahn bei den Fotomodellen für ihre Werbung auf Diversität achtet. „Und gemeinsam haben die Identitätspolitiker es ziemlich weit damit gebracht, uns zu spalten.“

Quelle         :         TAZ          >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben       —      Rechts oder Links ? Von Oben stinkt es.

Vertreter der Partei Die Linke bei der Weltpremiere von Der junge Karl Marx bei der Berlinale 2017: v.l.n.r. Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Katja Kipping, Petra Pau und Kristian Ronneburg

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„Kinder tauchen ab“

Erstellt von Redaktion am 25. Juli 2020

Das prekäre Milieu ist von Corona am härtesten betroffen.

Von Viktoria Morasch

Wie haben Kinder an Brennpunkt­schulen diese Zeit erlebt? Eine Sozial­arbeiterin aus Berlin erzählt.

Es sind Ferien, und ich habe frei. Aber wenn ein Schüler oder eine Schülerin um Hilfe fragt, bin ich auf dem Handy erreichbar. Es gibt Familien, an die ich denken muss, für die ich mir wünsche, dass die Schule bald wieder losgeht. Ich hoffe, dass die Kinder auch jetzt in den Ferien versorgt sind.

Während des Lockdowns ging es für uns Schulsozialarbeiter darum, zu gucken: Wie erreichen wir alle Schülerinnen und Schüler? Wie stellen wir sicher, dass es ihnen gut geht? Viele waren gar nicht zu erreichen, weder per Handy noch per Mail. Wir sind eine Brennpunktschule in Berlin und haben generell mit schuldistanzierten Jugendlichen zu tun. Wenn sie eine Chance sehen, tauchen sie ab. Das waren bei uns etwa 60 Schüler von 600, 10 Prozent also. Wir haben uns wie Detektive auf die Suche gemacht, die besten Freunde angeschrieben: Hast du was von dem gehört? Hast du eine aktuelle Nummer? Da waren wir recht erfolgreich. Und bei den Härtefällen sind wir mit dem Fahrrad vorbeigefahren. Das waren vor allem Kinder aus sehr großen Familien, oft aus dem osteuropäischen Raum. Die Eltern waren arbeiten, und die großen Geschwister mussten auf die kleinen aufpassen. In diesen Familien gab es auch keine digitalen Endgeräte, wie das so schön heißt, da gab es einfach nichts. Für manche war selbst der Zugang zu Seife schwierig. Wir haben versucht, den Kindern Lernzeiten in der Schule einzuräumen – nach Hygienekonzept – und sie individuell zu betreuen. Der Bedarf war aber so groß, dass die Kapazitäten nicht reichten. Wir hatten große Sorgen wegen des Lockdowns. Die Schüler vertrauen uns viel an, und wir wissen, dass es zu Hause nicht immer leicht ist. Plötzlich waren alle zu Hause, auf engstem Raum, mit den vielen Ängsten und Frustrationen der Eltern.

Meistens sind wir zu zweit zu den Jugendlichen gefahren, wir haben draußen mit ihnen oder den Eltern geredet. Klar, ich hatte auch Angst, mich selbst anzustecken. Aber einmal musste ich eine Jugendliche umarmen, weil sie so geweint hat. Es war mir menschlich nicht möglich, auf den Abstand zu ­achten.

In Hochzeiten haben wir drei Hausbesuche pro Tag gemacht, und das über mehrere Wochen. Es war selten so, dass eine Kontaktaufnahme verwehrt wurde. Generell haben Jugendliche ein großes Interesse, wenn man ihnen zuhört. Sie sagen dann: Krass, ich bin euch so wichtig, dass ihr extra vorbeikommt! Viele Eltern waren mit ihrer eigenen Belastung so im Tunnel, dass sie nicht mehr auf dem Schirm hatten, dass die Schulpflicht weiterbesteht. Es steckt auch eine Scheu dahinter, nach Hilfe zu fragen. Diese Barriere muss man den Leuten nehmen.

Es gab Jugendliche, die angerufen haben, weil sie von zu Hause weggerannt sind. Wir haben dann mit ihnen geredet, geschaut: Kann man den Konflikt mit einem Gespräch klären, oder muss das Kind anderweitig untergebracht werden? Wenn ja, müssen wir zum Jugendnotdienst, zum Mädchennotdienst, mit dem Jugendamt kooperieren, den Eltern signalisieren: Dein Kind ist in Sicherheit. Das hat gut funktioniert.

Corona ist in manchen Fällen ein letzter Tropfen im überlaufenden Fass. Eine Jugendliche zum Beispiel hat Eltern, die schon seit Monaten in einem Scheidungsprozess sind. Mit dem Lockdown ist das völlig eskaliert. Sie fragte sich dann: Bin ich daran schuld? Jugendliche sind in solchen Situationen erst mal verloren. Wenn die Eltern nicht können, brauchen die Kinder ein Netzwerk, das sie auffängt.

Instagram haben wir neu entdeckt in der Coronazeit, wir haben dort einen Kummerkasten eingerichtet, Notfallnummern gespeichert und versucht, den Schülern zu zeigen, dass wir an sie denken. Auf Instagram haben wir auch gesehen, welche Themen sie beschäftigen, Black Lives Matter zum Beispiel. Ich bin für einen Jahrgang zuständig, das sind 120 Kinder. Es sind nicht ganz so viele, mit denen ich übers Handy kommuniziere, aber schon so 45. Klar, mit geregelten Arbeitszeiten funktioniert das alles nicht. Notfälle kommen am ehesten am Wochenende.

Mein Job ist anstrengend, aber die Lockdownphase war extrahart. Meine Arbeit lebt davon, dass ich die Jugendlichen am Schultor begrüße und sehe, ob sie gut geschlafen haben, wie es ihnen geht. Dieses Feedback erahnen zu müssen, anhand von Nachrichten oder der Rückmeldung der Lehrer, ist zum Verzweifeln. Für Lehrer mag alles in Ordnung scheinen, aber viele Jugendliche öffnen sich ihnen gegenüber nicht. Bei mir ist das anders, weil sie von mir nicht bewertet werden. Ich nehme sie so, wie sie sind: ob cool oder uncool, traurig oder mit krimineller Akte. Und das merken sie. Ich finde, man kann nicht sagen: Ich will was von dir wissen, aber selber gebe ich nichts preis. Es ist wichtig für Schüler, zu sehen, okay, das ist nicht nur ein Job, sondern auch ein Mensch, und der lässt mich nicht allein. Ist ein schmaler Grat. Wer viel macht, kann auch viel falsch machen. Es kommt schon mal vor, dass ich eine Schülerin oder einen Schüler zu nah an mich ranlasse. Momente, in denen ich denke: Okay, ich nehme dich jetzt einfach mit. Das ist Blödsinn, aber man erwischt sich dabei. Wenn Jugendliche von der Polizei und dem Jugendamt aus ihren Familien rausgeholt werden und ich dabei bin, wenn Eltern weinen und schreien und Jugendliche auch – das nimmt mich mit, das ist natürlich mehr als eine Aktennotiz, die ich abhefte.

Das Milieu, aus dem meine Schüler kommen, war sicher am härtesten von den Coronamaßnahmen betroffen. Da gibt es kaum Lernmaterialien, oft keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen – wie auch, wenn man zu siebt auf 65 Quadratmetern wohnt? Es gibt Familien, die haben kein Internet, die haben ein Handy, das sie sich teilen mit einem Prepaid-Guthaben von monatlich 15 Euro. Die Senatsverwaltung hat darauf reagiert und iPads bereitgestellt, die an diese Familien verliehen werden sollten, allerdings sagen einige Eltern dann: Bei mir springen sechs Kinder herum, ich unterschreibe bestimmt keinen Haftungsausschluss für ein Gerät, das 600 Euro kostet. Und: Den Leuten das Produkt in die Hand zu geben heißt noch lange nicht, dass sie damit umgehen können.

Was während des Lockdowns besonders auffällig war: die verschiedenen Lebenswelten. Wir, das pädagogische Personal, leben relativ privilegiert. Lehrer können sich ihre Einfamilienhäuser in Kleinmachnow leisten. Sie schauen aus ihrer Perspektive auf die Kinder und erwarten gewisse Leistungen. Wenn ich in eine Familie komme, wo ich sehe, da ist keine Struktur, keine Hygiene, und dann von einem Lehrer höre: Der Schüler riecht nicht gut, kannst du dem sagen, er soll sich waschen?, da denke ich mir: Wie soll er das machen? Wir haben teilweise Schüler, die in Obdachlosenunterkünften leben. Das heißt, meine Aufgabe ist auch, Lehrer und Lehrerinnen zu sensibilisieren. Es kann zum Beispiel passieren, dass ein Schüler einen Tadel nach Hause bringt, weil er schon wieder sein Sportzeug vergessen hat – dabei besitzt er schlicht und ergreifend keins und schämt sich dafür. Ich habe Jugendliche erlebt, die heulend vor mir saßen und gesagt haben: Ich musste gestern meine Mutter in die Entzugsklinik bringen, und ich bin jetzt allein zu Hause. Deren Leistung sehe ich natürlich in einem ganz anderen Kontext.

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Grafikquellen          :

Oben        —        Offener Unterricht in einer Schulklasse

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Machtsystem Rassismus

Erstellt von Redaktion am 8. Juli 2020

Ein System zur Rechtfertigung ökonomischer Unterdrückung

Martin Luther King - March on Washington.jpg

Von Susan Arndt

Rassismus war immer auch ein System zur Rechtfertigung ökonomischer Unterdrückung. Seine Ideengeschichte begann bereits in der Antike und fand in der Aufklärung eine globale Legitimation, die bis heute fortwirkt.

Deutschland hat ein Rassismusproblem – und ein Problem mit Rassismus. Er ist einerseits allgegenwärtig, andererseits wird er lautstark beschwiegen.

Manche wagen sich so weit vor, von Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit zu sprechen. Doch weder geht es um Feindlichkeit noch um Ausländer*innen. Weiße Dän*innen haben hierzulande weniger Probleme als Afrodeutsche. Obwohl People of Colour Rassismus ausgesetzt sind, kenne ich mehr Leute, die sich über Rassismusdebatten empören, als Menschen, die sich über Rassismus empören. Rassismus habe es im Nationalsozialismus gegeben und in der Apartheid, vielleicht gäbe es Rassismus in den USA, aber in Deutschland? Heute?

Ich kenne mehr Leute, die angeblich schon längst alles über Kolonialismus gesagt haben, als Menschen, die sich fragen, was das noch heute mit ihnen und allem zu tun habe. Ich kenne mehr Menschen, die behaupten, dass Deutschland nur ganz kurz mal Kolonialmacht war (immerhin länger als der Nationalsozialismus), als Menschen, die wissen, dass Deutschland mehr als einen Genozid beging und sich nicht für alle entschuldigte.

Ich kenne mehr Menschen, die Kant und Hegel als Leuchtfeuer der Zukunft zelebrieren, als solche, die wissen, dass Kant das Konzept „Rasse“ nach Deutschland trug, um, wie Hegel, Sklaverei und die Tötung von Schwarzen zu rechtfertigen. Und ich kenne mehr Menschen, die sich über Political Correctness empören, als Menschen, die sich an rassistischen Begriffen stören.

„Minstrel-Show“ im Deutschen Fernsehen

Am 27. Januar 2013 stellte sich der Literaturkritiker Denis Scheck für seine Sendung „Druckfrisch“ ins Erste Deutsche Fernsehen. Er hatte sein Gesicht mit brauner Farbe bemalt, seine Lippen mit breiter roter Farbe überpinselt und weiße Handschuhe getragen. Und wozu stellte er sich mit diesem Outfit in die Tradition der Minstrel Shows, bei denen Schwarze verhöhnt wurden? Er stritt darum, dass das N-Wort in den Pippi Langstrumpf-Romanen stehen bleiben müsse.

Mal abgesehen davon, dass das Buch in Schwedisch geschrieben wurde und Übersetzungen davon leben, sich neuen Zeiten anzupassen: Warum streitet ein erwachsener Mann dafür, dass in einem Kinderbuch ein rassistisches Wort steht?

Scheck weist zurück, rassistisch zu sein. Er nimmt sogar für sich in Anspruch, gegen Rassismus zu sein. Ich bin nicht rassistisch, weil ich nicht rassistisch sein will, und weil ich nicht rassistisch bin, muss ich mich damit nicht auseinandersetzen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Ende der Auseinandersetzung mit Rassismus. Und so strahlt er aus der Gegenwart in die Zukunft hinein.

So etwa lief es auch in der DDR, die auf dem Gründungsmythos aufbaute, antifaschistisch zu sein. Ich bin gegen Rassismus. Das sang ich als Einschlaflied im Kindergarten.

Als ich dann mit 20 Jahren eine Anzeige aufgeben wollte, weil ein Berliner Kneipenbesitzer ein „N dürfen hier nicht rein“-Schild in sein Fenster stellte, wurde ich mit den Worten abgewiesen, dass es in der DDR keinen Rassismus gebe und ich es deshalb nicht anzeigen könne.

Schon Aristoteles rechtfertigte Sklaverei

Auch das Grundgesetz regelt seit 1949, dass Rassismus verboten ist. Doch obwohl die UNO schon in den 1940er Jahren feststellte, dass es keine „Rassen“ gibt, steht das Wort „Rasse“ dort und in fast allen Antidiskriminierungsgesetzen. In Berlin heißt es neuerdings, dass „kein Mensch … aufgrund … einer rassistischen Zuschreibung“ diskriminiert werden darf. Rassismus wird beim Namen genannt – und das sollte auch mit seiner langen Geschichte geschehen.

Der Begriff Rassismus wurde erstmalig in den 1930er Jahren von Magnus Hirschfeld verwendet. Ihm ging es darum, die nationalsozialistische „Rassen-Ideologie“ zu widerlegen. Darauf baut die Rassismusforschung auf. Sie zeigt, dass Rassismus weder vom Nationalsozialismus erfunden wurde noch mit ihm ein Ende fand. Doch wann beginnt diese Geschichte?

Sie lässt sich bis in die griechische Antike zurückverfolgen. Aristoteles war der erste, der eine Theorie der Sklaverei entwarf und zum Schluss kam, sie sei gerecht. Er begründete dies aus körperlichen Konstitutionen heraus, die sich mental auswirkten.

Nur der griechische Mann sei vernunftbegabt, griechische Frauen* könnten sie verstehen, Sklaven aber, er nennt sie auch „Barbaren“, die könnten nicht mal das und seien daher, auch wegen ihres Körperbaus, in der sozialen Ordnung am besten als Werkzeuge aufgehoben.

Klimatheoretisch sortierte Hautfarben sind bereits in der Antike wichtige Differenzkriterien für Religion, Raum, Geschlecht und entsprechenden Kartierungen von Über- versus Unterlegenheit. Dabei galt Schwarz als Farbe des Animalischen und Bösen und wurde räumlich an Äthiopien als Afrika ohne Ägypten gebunden. Weiß dagegen wurde ambivalenter erzählt: als physischer Marker für Perser*innen und Skyth*innen, aber auch für griechische Frauen* und Philosophen.

Im christlich geprägten Mittelalter blieb Schwarz die Farbe des Animalischen und Diabolischen, wobei sie nichtchristliche Religionen und Räume im heutigen Afrika und Asien markierte. Weiß dagegen avancierte zur Farbe christlicher Überlegenheit und ihrem geografischen Raum, dem heutigen Europa. Dieses Narrativ lag abrufbereit, als 1492 eine neue Weltordnung entstand.

Die Lüge der Entdeckung

Viele kennen 1492 als Jahr, in dem Columbus die „Neue Welt“ „entdeckte“. Doch wie kann eigentlich jemand etwas „entdecken“ oder als „neu“ bezeichnen, das Menschen bereits bekannt war? „Entdecken“ ist letztlich nichts als ein Euphemismus für Eroberung und mehr als ein sprachlicher Lapsus.

Diese Bezeichnung bildet ab, dass die amerikanischen Räume zwar weder neu noch leer waren; jedoch menschenleer gemacht wurden, um sie als „neu“ deklarieren zu können.

Durch Genozide. Spanien und Portugal und bald auch andere europäische Kolonialmächte griffen gewaltvoll auf amerikanische, afrikanische und asiatische Territorien zu – und deren Ressourcen.

Um sie zu gewinnen, benötigte die amerikanische Plantagenwirtschaft Arbeitskräfte. Ab dem frühen 16. Jahrhundert wurden daher Millionen von Afrikaner*innen in die Amerikas deportiert. Insgesamt erreichten rund 18 Millionen das Festland, während nochmals etwa 18 Millionen auf dem Seeweg starben. Widerständige, Kranke und Leichen wurden einfach über Bord geworfen.

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Die Vermessung von Schädeln diente ab dem 18. Jahrhundert als Grundlage für „Rassentheorien“: hier der von Immanuel Kant.

Zum Gesamtbild dieses Verbrechens gehört es, dass afrikanische Gesellschaften über Jahrhunderte hinweg traumatisiert und ihrer jungen Generationen beraubt wurden, wodurch sie nachhaltig sozial und ökonomisch geschwächt wurden.

Diese gestohlenen afrikanischen Arbeitskräfte in den kolonial erbeuteten Ländern schulterten, zusammen mit lokal ausgebeuteten Arbeiter*innen, die Industrielle Revolution im Globalen Norden. Eben das benennt das Wort Maafa, das aus dem Kiswahili als Katastrophe, Desaster, große Tragödie zu übersetzen ist. Die Krise der einen ist das Paradies der anderen.

Je mehr Natur, desto weniger Mensch

Wie aber waren die Genozide an den indigenen Bevölkerungen und die Maafa mit dem Zeitgeist der Renaissance und seinem Humanismus zu vereinbaren? Gar nicht. Und deswegen wurde im frühen 16. Jahrhundert das Konzept „Rasse“ aus dem Tier- und Pflanzenreich auf Menschen übertragen: Um Europas koloniale Gewalttaten zu „legitimieren“ und als Akt der Zivilisierung der Welt zu verkaufen. Dazu musste den First Nations in den Amerikas und den Afrikaner*innen das Menschsein abgesprochen werden, denn: Wer kein Mensch ist, dem konnte auch kein Humanismus zuteil werden.

Dafür wurde zum einen die Formel der humanistischen „chain of being“ aufgerufen: je mehr Natur, desto weniger Mensch, also anderen unterlegen; je mehr Kultur, desto mehr Mensch, also anderen überlegen. Dieser Grundgedanke wurde zum anderen durch die Visualisierung von „Rasse“ durch „Hautfarbe“ manifestiert.

Die etablierte christliche Farbsymbolik hielt dazu ein verlockendes Angebot bereit: Schwarz steht für das Teuflische, Animalische, Böse. Weiß dagegen für das Göttliche, Überlegene, Gute. Von hier war es nur ein kleiner Schritt zu der ebenso simplem wie fatalen Logik: es gibt eine „weiße Rasse“ – und diese ist allen anderen überlegen. Das erforderte einen krassen Abstraktionsprozess; menschliche Komplexionen bewegen sich in Nuancen verschiedener Beige- und Brauntöne und niemand war je weiß oder schwarz.

Quelle      :       TAZ         >>>>>       weiterlesen

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Grafikquellen         :

Oben      ––         Dr. Martin Luther King giving his „I Have a Dream“ speech during the March on Washington in Washington, D.C., on 28 August 1963.

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Unten        —         Esquelete de muller adulta que corresponde a unha sepultura realizada con tegulae (tellas planas) e con cuberta de forma triangular. Presentaba unha orientación leste-oeste, a cabeza ao poñente e carecía de enxoval. A muller, duns 20-25 anos, mediría unhs 160 cm de altura. Era de raza branca, se ben o ángulo do perfil facial corresponde a unha identidade negroide, polo que se podería pensar nunha probábel orixe norteafricana. A sepultura estaba situada na actual Rúa Real nº9 da Coruña.

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Karlspreis-Träger von 1993

Erstellt von Redaktion am 29. Juni 2020

„Señor X“ der spanischen Todesschwadronen

Quelle        :        Scharf    —    Links

Von Walter Schumacher

1993 wurde Felipe González, dem damaligen spanischen Ministerpräsident und Chef der spanischen Sozialdemokratie (PSOE) der Aachener Karlspreis verliehen.

Jetzt hat der US-Geheimdienst CIA Geheimdokumente freigegeben die belegen, dass er damals auch der Gründung einer spanischen Söldnertruppe zur Terrorismusbekämpfung „außerhalb der Gesetze“ zugestimmt hat.

Damals hatte diese Preisverleihung als Versuch des konservativen Aachener Karlspreisdirektoriums gegolten, sich ein wenig zu öffnen und mit González erstmals einen Sozialdemokraten auszuzeichnen.
Laut Wikipedia trug die Auszeichnung des Karlspreis-Trägers 1993 den Titel:

„Streiter für Freiheit und Demokratie in Europa“

Und dann kommt so etwas jetzt heraus!

Durch unsere Veröffentlichung wollen wir es den Aachener Zeitungen etwas leichter zu machen, über diesen – für das Aachener Karlspreisdirektorium sicher peinlichen – Hintergrund der Aachener Leserschaft breiter zu berichten. Werden sie es melden – und so das eigene Nest beschmutzen?

Für die Dateils verweisen wir auf den Artikel bei Heise/TELEPOLIS vom 15.6.2020

CIA: Spanischer Sozialdemokrat González war „Señor X“ der Todesschwadronen

„Der US-Geheimdienst CIA hat nun Geheimdokumente freigegeben, die keinen Zweifel über einen Vorgang lassen, in den die spanische Sozialdemokratie (PSOE) und deren einstiger Chef und ehemaliger spanischer Ministerpräsident Felipe González verwickelt ist. Es geht um die sogenannten „Grupos Antiterroristas de Liberación“ (GAL). Das waren staatliche Todesschwadronen, die in den 1980er Jahren sowohl im französischen als auch im spanischen Baskenland Jagd auf Mitglieder der linken Unabhängigkeitsbewegung machten. Bei den Ermittlungen gegen die Mitglieder der „Antiterroristischen Gruppe zur Befreiung“ wurde lange nach dem Kopf der Truppe gesucht, nach „Señor X“.

Die CIA spricht von einem „schmutzigen Krieg“ und trifft in einem Bericht aus dem Januar 1984 – der hier veröffentlicht wurde, eine klare Aussage: „González hat der Gründung einer Söldnertruppe zur Terrorismusbekämpfung außerhalb der Gesetze zugestimmt.“ …..

weiter https://www.heise.de/tp/features/CIA-Spanischer-Sozialdemokrat-Gonzalez-war-Senor-X-der-Todesschwadronen-4784545.html

https://www.kraz-ac.de/senor-x-der-spanischen-todesschwadronen-6745

Urheberrecht
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Grafikquelle       :       Felipe Gonzalez, ex-presidente de España.

Author     —     Presidencia de la Nación Argentina

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Über Rassismus zu Corona

Erstellt von Redaktion am 26. Juni 2020

Keine Stigmatisierung!

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Von Jimmy Bulanik

Die Zeit unter der Pandemie Problematik ist für alle eine Herausforderung. Die Muster mit denen in der Vergangenheit Menschen mit ausländischer Familienhistorie im negativen Sinne behandelt werden waren und bleiben falsch. Das gleiche gilt jetzt für alle wie beispielsweise Menschen aus Nordrhein – Westfalen, Münster, Ostwestfalen – Lippe.

Wir haben es immer und überall mit Menschen zu tun. Auch Menschen aus Heinsberg, Warendorf, Gütersloh haben ihre unveräußerliche Würde. Sie sind unschuldig respektive des Fehlverhalten Dritter.

Deshalb ist dazu aufzurufen das Menschen aus Heinsberg im Rheinland, Raum Münster Gütersloh in Ostwestfalen – Lippe nicht mit den selben rassistischen Methoden stigmatisiert werden. Ihr Eigentum wie Kraftfahrzeuge werden mittels zerkratzen physisch beschädigt. Die Menschen aus Nordrhein – Westfalen wie Heinsberg, Warendorf, Gütersloh werden von Angesicht zu Angesicht zurückgewiesen.

Das Menschen mit ausländischer Abstammung diese Erfahrungen ungefragt erleben müssen ist bereits schlimm genug. Jetzt nach Rassismus gegenüber farbigen, jüdischen, muslimische Menschen, Personen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung auf Menschen der Mehrheitsgesellschaft anzuwenden ist strikt abzulehnen. Es gibt keinen guten Rassismus.

Der Mensch war, ist und bleibt universell

Es gibt keine legitime Stigmatisierung. Für alle gilt nach dem Artikel 1 des Grundgesetzes, Die Würde des Menschen ist unantastbar. Liebe Menschen aus Heinsberg, Warendorf, Gütersloh, ich stelle mich vor euch, ihr gehört zu uns.

Auch ihr seid egalitär ein Teil von Nordrhein – Westfalen. Ihr habt wie alle ob Einwanderinnen und Einwanderer, geflüchtete Menschen oder von augenscheinlicher Herkunft ohne Ansehen der Person gerecht behandelt zu werden. Widerspricht friedlich mit Verstand und Witz den Mustern des Rassismus.

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Liebe Leute außerhalb von NRW. Seid, bleibt gerecht. Behandelt die Menschen aus NRW dafür wie sie sind und nicht für den Ort ihrer Residenz.

Was gerecht ist, muss gerecht bleiben. Denn Schweigen bedeutet Zustimmung. Ich, Jimmy Bulanik widerspreche aktiv der ungerechten Behandlung von Menschen.

Nordrhein – Westfalen, Heinsberg, Warendorf, Gütersloh Lives Matters !

Nützliche Links im Internet:

Konstantin Wecker und Hannes Wader – Sage Nein !
https://www.youtube.com/watch?v=IwSnUfvf9Zk

Cynthia Nickschas und Dominik Plannger – Es rührt sich was in mir
https://www.youtube.com/watch?v=x2Cf-3YwTHc

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Grafikquellen        —

Oben      —        Mural on Jones Avenue, Toronto, Canada yes it does

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Unten       —       Nazis for Palestine? NO WAY!

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Das Ende weißer Immunität

Erstellt von Redaktion am 25. Juni 2020

Das Erbe des Kolonialismus

Ein Schlagloch von Charlotte Wiedemann

Koloniale Täterschaft verliert den Schutz eines geschichtspolitischen Binnenraums. Zeit für Reparationen und einen neuen Internationalismus.

Als in Bristol die Statue von Edward Colston gestürzt wurde, begann eine neue Ära. Nicht weil es der erste Akt dieser Art gewesen wäre, sondern weil die Figur selbst, der Sklavenhändler als Philanthrop, ein so hochverdichtetes Sinnbild darstellt, dass sich der Verstand daran wieder und wieder abarbeiten kann. Und weil natürlich der Sturz ins Hafenbecken, den ich zunächst roh und abstoßend fand, unvergesslich wird, sobald man verstanden hat, dass er nur die eigentliche Rohheit nachspielte. Colstons Royal African Company warf von ihren Schiffen Körper wie Abfall ins Meer.

Der Brite symbolisiert auf besonders drastische Weise eine Doppelgesichtigkeit, wie sie zahllosen europäischen Figuren auf Denkmalsockeln eigen ist: Wohltäter aus Sicht der jeweiligen Metropole, Übeltäter aus Sicht eines anderen Teils der Welt. Der Hafensturz hat diese Aufteilung rabiat außer Kraft gesetzt: Hier ist dort, es gibt kein Drinnen & Draußen mehr, keinen geschützten Binnenraum für eine separate weiße Geschichtsbetrachtung und für eine ungestörte Verschleierung von Täterschaft.

Wie jäh nun eine fühlbare, erlebbare Globalität aufkommt, das hat einiges mit der Pandemie zu tun. Die Erfahrung sozialen Ausgeschlossenseins in der Krise verlieh den allerersten George-Floyd-Protesten jene Wucht, die sich dann von Schauplatz zu Schauplatz übertrug, bis hinein in jenen besser gestellten Teil der Weltgesellschaft, wo der Schock der Mobilitätsbegrenzung ein neues Nachdenken über den eigenen Ort im Drinnen & Draußen ausgelöst hatte.

Nicht dass jemand das alles eindeutig erklären könnte, dieses bizarre Zusammenwirken von Faktoren. Aber so funktioniert Globalgeschichte. Und während die Idee einer postkolonialen Globalisierung soeben noch etwas eher Künftiges zu bezeichnen schien, ist daraus unter der Hand Gegenwart geworden.

Schuld und Verantwortung

Dass es kein Drinnen & Draußen mehr gibt, war bereits die Lehre aus der Debatte um Achille Mbembe: Deutsche müssen damit umgehen lernen, dass es im globalen Süden eine andere Sicht auf die Schoah (und somit auch auf Israel) gibt. Nun werfen die Denkmalstürze die Frage nach historischer Täterschaft und heutiger Verantwortlichkeit von einer anderen Seite her auf.

Sie markieren ein Ende weißer Immunität – und der Begriff sei verstanden in seinem doppelten Sinn: als Schutz vor Strafverfolgung und als ein organisches Gefeitsein gegen Angriffe. Beides schmilzt für Europäer dahin: Sie leben nicht mehr unter dem Schutzschirm einer Weltordnung, die ihnen so lange alle Forderungen nach Rechenschaft vom Halse hielt. Und ihre psychische Struktur, ihr Selbstbild, ist nicht mehr ausreichend geimpft gegen Verunsicherung. Letzteres gilt gewiss nicht für alle, aber zum Glück doch für eine wachsende Zahl.

Was die Haltung zu Kolonialverbrechen betrifft, so befanden wir uns bis gestern in einer Phase, die den 50er und 60er Jahren in Bezug auf die Schoah ähnelt: keine Täter, keine kollektive Verantwortung; ausweichen, verharmlosen. Wie mit Schuld und Verantwortung aus zwei historischen Epochen umgegangen wird, das darf durchaus verglichen werden. Wäre es nicht wünschenswert, aus den großen Versäumnissen im Umgang mit NS-Tätern zu lernen für den Blick auf koloniale Verbrechen?

Quelle        :          TAZ       >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben          —        The empty pedestal of the statue of Edward Colston in Bristol, showing placards and graffiti

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Unten        —       Die Zerstörung des Saddam-Hussein-Denkmals in Bagdad

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