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RENTENANGST

Cashram statt Ashram

Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 9. Januar 2018

Zu Besuch im Osho-Resort in Indien

Von  Anke Richter

Und dann wird mir schlecht. Der Pop-Guru Osho ist lange tot, aber sein Reich lebt weiter. Spiritualität oder alles Kommerz? Eine Woche im indischen Esotempel.

Die Motorrikscha tuckert mich durch das gehobene Wohnviertel, vor einer hohen schwarzen Mauer steige ich aus. Sie wird nur von einer Sicherheitsschleuse unterbrochen. Ich lege meinen Rucksack aufs Fließband. Eine Mischung aus Faszination und Alarm schlägt in mir an, als ich das Osho International Meditation Resort, kurz OIMR, in Pune betrete. Was kommt jetzt: tiefer Eintauchen in mich selber – oder in eine Sekte?

Mit Anfang zwanzig wohnte ich in Köln, das schon damals das Europa-Zentrum der Rajneesh-Bewegung war. Bhagwan Shree Rajneesh, der sich später Osho nannte und am 19. Januar 1990 starb, war der einflussreichste und kontroverseste Guru der Popkultur.

Ein indischer Intellektueller, dem Westler – vor allem junge Frauen – zu Füßen saßen. Sie gaben für ihn ihren Namen, ihre Denkmuster und Beziehungen auf: Feiern, Sex und Selbsterfahrung als neue Form von Spiritualität. Kritiker irritierten die 93 Rolls-Royces, in denen Osho vor seinen jubelnden Jüngern aufkreuzte: ein Blender, ein Verführer. Aber auch ein radikaler Erwecker.

Bis auf Disco-Nächte im Kölner „Zorba the Buddha“ hielt ich damals Abstand zu den orangegekleideten Sannyasins, wie sich die Bhagwan-Jünger nannten, die freundlich unnahbar wirkten, aber auch happy und erfolgreich. Für jede Art von Heiligenverehrung und Uniformität fehlte mir der Sinn. Doch ich verschlang den Bestseller „Ganz entspannt im Hier und Jetzt“ von Stern-Reporter Jörg Andrees Elten, der 1977 in Pune (das bis zum Vorjahr Poona hieß) recherchierte und für immer blieb. Wünsche ich mir insgeheim, 40 Jahre später vom gleichen Rausch erfasst zu werden?

Die Zeiten haben sich geändert. Ich will das Erbe des provokanten Mystikers vor Ort erfahren. „Leben beginnt, wo die Angst aufhört“, lautet eines seiner abertausend Zitate. Osho hat Alternativgeschichte geschrieben, seine Vorträge sind in Hunderten von Büchern verewigt. In Indien ist er posthum als geistliche Größe anerkannt; Promis von Nena bis Kourtney Kardashian sind Fans.

Etliche der etablierten Selbsterfahrungsangebote im Westen – von ekstatischem Tanz bis zur „bewussten Sexualität“ des Neo-Tantra – haben ihren Ursprung im ehemaligen Ashram in Koregaon Park, gelegen in der quirligen Großstadt Pune, gut drei Autostunden südöstlich von Mumbai. Tausende von Menschen lebten hier früher temporär, ein Drittel davon Deutsche. Ich habe mich für eine Woche „Living in“-Programm angemeldet.

Erster Tag: Strenge

Es wirkt leer und ruhig. Um mich herum nur glattes, kühles Schwarz. An einer der Marmorwände rieselt Wasser herunter, hohe Bäume spenden Schatten. Nirgendwo ist ein Foto vom „Weißbart mit den tiefgründigen Augen“ (Der Spiegel) zu sehen. Dafür umso mehr Weinrot: Alle Leute – auch viele Inder, die nur die Hälfte des Eintritts zahlen – tragen farblich einheitliche Gewänder. Die muss auch ich mir im Laden des Resorts kaufen, darunter eine weiße Robe für den Abend.

Es gibt Coupons fürs Essen und einen Sicherheitspass. Die Formalien sind mühsam. Wenigstens ist der Zwangs-Aidstest abgeschafft worden, weil er in Indien unter Diskriminierung fällt. Erlaubt ist jedoch der Vortrag, den nur die männlichen indischen Besucher beim Einlass bekommen: Frauen im Resort sind kein Freiwild.

Vor der „Multiversity“-Fakultät hängen Bildschirme, an denen ich mich durch das Kursangebot klicke: Wiedergeburt, Selbstliebe, Familienaufstellung, Astrologie – ein esoterischer Supermarkt. „Mystic Rose“ geht über 21 Tage. Die erste Woche nur lachen, die zweite weinen, die dritte schweigen. Stunden später haben wir Neulinge alle Einführungen hinter uns und wissen: In der Meditationshalle darf man nicht husten oder niesen, sonst fliegt man raus. Überall herrscht strenge Hygiene. Fotografieren ist nicht erlaubt.

Mein steriles Einzelzimmer im Gästehaus mutet eher nach Reha-Klinik an. Von wegen „Sex-Kult“: Bisher habe ich in all der geleckten Keimfreiheit keine einzige Umarmung, geschweige denn Händchenhalten gesehen. Es gibt weder Hängematten noch Liegelandschaften. Auch nicht am Pool, für den ich mir weinrote Badesachen kaufen und jedes Mal extra bezahlen muss. „Cashram“ statt Ashram – nur Wäschewaschen ist umsonst.

Evening Meeting

Die Sauna im blitzsauberen Fitness-Center ist für Männer und Frauen getrennt. Falls das freizügige Image von früher die vielen indischen Männer anlockt, werden sie enttäuscht sein. Auch die selten gewordenen Tantra-Kurse stehen ihnen nicht offen.

Um 18.40 Uhr, keine Minute später, muss ich weiß gewandet beim Auditorium zum „Evening Meeting“ eintreffen – oder sonst in der Zeit auf dem Zimmer ausharren. Die Liste der Regeln wird immer länger. Lagerkoller droht.

Wie in einem Science-Fiction-Film schwebt eine weiße Nachthemd-Gestalt nach der anderen im Halbdunkel die Steintreppe zum gigantischen pyramidenförmigen Auditorium empor. Vorher werden wir abgetastet. 2010 gab es gleich um die Ecke bei der „German Bakery“ einen tödlichen Bombenangriff.

Von innen ist der Zen-Tempel kühl und schummrig – ein UFO, das uns Erdlinge verschluckt hat. Es wird noch surrealer. Die Tanzmusik bricht mehrmals abrupt ab. Dann reißen alle die Arme hoch und brüllen „Osho!“ Auf der Leinwand erscheint der Meister und hält 40 Minuten lang einen seiner druckreifen Vorträge, mit starkem Akzent. Etwas bleibt hängen: „Wenn du es erzwingst, wirst du es nicht genießen. Wenn du es genießt, musst du es nicht erzwingen.“ Könnte mein Motto für diese Woche werden.

Osho endet wie immer mit ein paar Witzen. Die ganze Halle gackert. Bis auf einen, der nach draußen verwiesen wird, weil er gehustet hatte. Der schlaksige Rausschmeißer hat eine schlohweiße Mähne und ist unverkennbar Amrito, bürgerlich Dr. John Andrews, ehemaliger Leibarzt Oshos. Der bärtige Brite, er ist über 70, ist so etwas wie die graue Eminenz im Kleinstaat.

Zweiter Tag: Trance

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Morgens um sechs Uhr „Dynamische Meditation“ in der Halle: In 15-Minuten-Intervallen schnaufen, hopsen, kathartisch brüllen, erstarren und zuletzt tanzen. Weinrote Augenbinden dafür gibt’s im Shop. Es folgt Yoga im Freien, im langen Gewand. Als subversiven Akt lege ich eine Runde im Pool ein – ohne extra zu bezahlen.

Der Platz fürs „Zennis“ (Tennis kombiniert mit Meditation) ist verwaist, die große Essenshalle geschlossen. Im kleinen Selbstbedienungsrestaurant kostet ein Miniglas Wein rund sieben Euro, da fällt Abstinenz leicht.

Es fehle der alte Party-Spirit, erklärt mir ein angegrauter Schweizer Sannyasin mit Zahnlücke und Zottelhaaren in der Raucherecke. Es sei einfach nicht mehr das Gleiche, keine Kommune, dafür gut geölter Kommerz. Früher hat er hier mit anderen gekocht und gegärtnert, jetzt ist er im klimatisierten Büro für die Betreuung der Webseite zuständig und hofft darauf, dass er über Weihnachten Freunde aus den alten Tagen wiedertrifft. Arbeit ohne Bezahlung – obwohl das OIMR Teil eines Multi-Millionen-Dollar-Imperiums ist? Er zuckt die Schultern, grinst und rollt sich noch eine. Ausfragen läuft nicht.

Die erste der Therapien, die ich im „Living in“-Programm guthabe, klingt harmlos: „Atmung“. Ich folge dem Therapeuten – schwarzer Zen-Anzug, weiße Schärpe – hinunter in die Katakomben: ein fensterloser Kellerraum, ausgepolstert als Gummizelle. Kurz stürzen Bilder aus den früheren „Encounter“-Gruppen auf mich ein. In diesen hochexplosiven Kursen konfrontierten die Teilnehmer sich gegenseitig und tobten sich aus, bis hin zu Knochenbrüchen und Orgien. Was haben diese Wände schon alles gesehen?

Die nächste Stunde sehen sie, wie ich mich auf dem Boden liegend in Trance atme und dann schreie, weil der Therapeut Akkupressurpunkte auf meinem Körper drückt, um emotionale Blockaden aufzulösen. Das ist brutal, aber funktioniert. Frisch gefoltert lustwandle ich danach durch den Garten, bestaune rote Libellen und einen Pfau. Die Ferienanlage in Absurdistan, die ich heimlich „Animal Farm“ getauft habe, ist plötzlich ein schönerer Ort geworden – und ich bin erlöster. Geht doch!

Mit dem Frieden ist es dann am Abend im Auditorium wieder hin. Weil es kühl ist, habe ich mir ein hellgraues Seidenkleid unter dem weißen Gewand angezogen. Nicht dezent genug. Ein Aufpasser tippt mir auf die Schulter: Ich solle mich vor der Tür meines Unterkleides entledigen. Das Grau würde ablenken. Zumindest schlägt er mich nicht mit einem Stock, wie im echten Zen-Kloster üblich.

Dritter Tag: Übel

Ich stoße auf einen weiteren Rebellen. Ein junger Engländer mit Brilli-Stecker in der Nase, der sich für die freudianische Primal-Therapie anmelden wollte, darf nicht mitmachen, weil sein Vater indischer Abstammung ist. „Osho meinte, dass es drei Generationen braucht, bevor die kulturelle Konditionierung bei Indern und Asiaten weg ist.“ Der Enttäuschte geht zum Abreagieren erst mal eine Runde tanzen. Eigentlich wollte er noch eine Woche bleiben. Jetzt doch lieber Goa.

Vor dem Mittagessen legt jeden Tag im Freien ein DJ auf. Wenn man die Wahl habe, solle man feiern, statt zu meditieren, hat Osho gesagt. Wir zucken zu Modern Talking und Bollywood-Pop im „Buddha Grove“ herum. Langsam macht das Ganze Spaß. Fanatisch erscheint hier niemand, eher suchend und sanft.

Vor mir dreht sich ein kleines Männlein mit Fischerhut verzückt wie ein Derwisch im Kreise. „Sufi Whirling“ heißt die Technik und wird am Nachmittag als Meditation angeboten. Ich bin dabei. Innerhalb von fünf Minuten wirbele ich mich in einen ekstatischen Rausch. Innerhalb von 15 Minuten wird mir schummerig. Dann grottenschlecht. Nach einer halben Stunde kollabiere ich fast. Meine erste heftige Übelkeit in Indien kommt nicht vom Essen, sondern vom Meditieren.

Ich verzichte aufs Abendprogramm.

Vierter Tag: Verrat

Quelle    :     TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Prominente Schüler im deutschen Sprachraum

Auszug aus der Wikipedia

Bekannte Persönlichkeiten im deutschen Sprachraum, die sich Osho irgendwann in ihrem Leben einmal genähert haben bzw. Sannyasins wurden:

  • Rudolf Bahro, Philosoph und Politiker, war 1983 mehrere Wochen in Rajneeshpuram und äußerte sich positiv zu Osho.[152]
  • Joachim-Ernst Berendt, Musikjournalist und Autor, wurde Sannyasin[121] und schrieb später das Vorwort zu dem Osho-Buch „Die verborgene Harmonie“.
  • Elfie Donnelly (Ma Anasha), Jugendbuchautorin, kam in den 1970er Jahren zusammen mit ihrem damaligen Ehemann, Peter Lustig, zu Osho. Donnelly benennt Osho noch heute als eines ihrer Vorbilder.[153]
  • Georg Deuter (Swami Chaitanya Hari), New-Age-Musiker, komponierte in den 1970er Jahren die Musik für verschiedene Osho-Meditationen.[154]
  • Achim Eckert, Alternativmediziner und Autor, der mehrere Jahre in Oshos Ashram verbrachte, wendet bei seiner Arbeit Oshos Meditationstechniken an.[155]
  • Jörg Andrees Elten (Swami Satyananda), Stern-Journalist, fuhr nach Poona, um einen Report zu verfassen, wurde aber kurz darauf zum Schüler Oshos und war bis zu seinem Tode als Journalist und Seminarleiter in der Osho-Bewegung tätig.[156]
  • Peter Lustig, Fernsehmoderator, ging in den 1970er Jahren zusammen mit Elfie Donnelly nach Poona. Peter Lustig sprach positiv von dem „alten Herrn“ und den damals gemachten Erfahrungen.[157]
  • Nena, Popsängerin, bekannte sich 2009 als Osho-Fan und sagte, sie praktiziere seine dynamischen Meditationsmethoden.[158]
  • Eva Renzi, Schauspielerin, nahm in den 1970er Jahren an Therapiegruppen in Poona teil und versorgte danach die Boulevardpresse mit negativen Berichten über ihre dortigen Erfahrungen.[159]
  • Barbara Rütting (Ma Anand Taruna), Schauspielerin und Politikerin, nennt Osho den größten Therapeuten des Jahrhunderts.[160]
  • Ralf Schmerberg, Regisseur, lebte als junger Mann mehrere Jahre als Sannyasin auf der Ranch in Oregon.[161]
  • Peter Sloterdijk (Swami D. Peter), Philosoph und Fernsehmoderator, verbrachte in den 1970er Jahren einige Zeit in Poona und beschreibt die Umstimmungserfahrung, die er als Sannyasin erlebt hat, als „irreversibel“.[122]
  • Mascha Rabben (Ma Hari Chetana), Schauspielerin und Fotomodell, übersetzte mehrere von Oshos Büchern ins Deutsche, zog sich in den 1980er Jahren von der Bewegung zurück.

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Grafikquellen    :

Oben     —      Das Osho International Meditation Resort, heute das wohl größte Therapie- und Meditationszentrum der Welt[145]

 

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