Bürgergeld, Flüchtige, Klima
Erstellt von Redaktion am Montag 5. Dezember 2022
Die Politik des Herabschauens führt in den Abgrund
Ein schönes Bild über die dumme Überheblichkeit unserer Politiker-innen
Eine Kolumne von Christian Stöcker
Menschen finden es belohnend, auf andere herabzublicken, man sieht das sogar im Gehirn. Ressentiment statt Argument ist deshalb politisch erfolgreich – aber ungeeignet. Und leider gerade wieder populär.
»Eine traditionsreiche Literatur in der Sozialpsychologie sagt uns, dass Menschen nie damit aufhören, sich zu vergleichen«, heißt es in einem 2014 in »Neuropsychologica« erschienenen Überblicksartikel. Der erste, der eine »Theorie sozialer Vergleichsprozesse« formulierte, war vor etwa 70 Jahren der Psychologe Leon Festinger, dem die Welt übrigens auch die Idee der kognitiven Dissonanz verdankt.
Sozialer Vergleich ist nicht nur ein theoretisches Konstrukt. Eine Vielzahl neurowissenschaftlicher Studien hat gezeigt: Soziale Vergleiche haben messbare Korrelate im menschlichen Gehirn. Aufwärtsgerichteter sozialer Vergleich wird in seiner im Volksmund oft Neid genannten Ausprägung mit »sozialem Schmerz« gleichgesetzt. Und er aktiviert auch ähnliche Regionen im Kortex wie physische Schmerzen.
Eine der billigsten Methoden für gute Gefühle
Widerfährt einer beneideten Person dagegen ein Unglück, erzeugt das beim neidischen Beobachter oft Wohlbefinden – und Aktivierungen in entsprechenden Teilen des Gehirns. In englischsprachigen Veröffentlichungen wird das deutsche Wort Schadenfreude in diesem Zusammenhang tatsächlich als eine Art Fachbegriff verwendet: »Diese Art des Vergleichs erhöht positive Emotionen wie Erleichterung oder Schadenfreude und reduziert Ängstlichkeit«, heißt es etwa in einem neuropsychologischen Überblicksartikel von 2017.
Positive Emotionen löst aber oft ebenso der Blick nach unten aus. Hirnregionen wie das ventrale Striatum, die auch auf Belohnungen wie Geld oder schmackhafte Nahrung reagieren, werden in Studien verlässlich dann aktiviert, wenn eine Testperson zum Beispiel mehr Geld gewinnt oder weniger verliert als eine echte oder fiktive Vergleichsperson.
Ähnliche Ergebnisse bekommt man, wenn man den Gehirnen von Sportfans zusieht , die sich Siege oder Niederlagen ihrer eigenen oder einer als Rivalen wahrgenommenen Mannschaft ansehen.
Ganz generell kann man sagen: Eine der billigsten Methoden, jemandem ein gutes Gefühl zu geben, ist, ihn über jemand anderen zu erheben. Oder alltagssprachlich: Es kann sich lohnen, an die niedersten Instinkte zu appellieren.
So funktioniert Populismus
Natürlich ist genau das eine bevorzugte Methode populistischer Politik: Man zeigt mit dem Finger abwärts auf jemanden, der definitiv nicht zur eigenen Wählerschaft gehört, und versucht damit, dieser Wählerschaft positive Gefühle zu verschaffen. Sei es Schadenfreude oder Hochmut.
Gute Politik entsteht mithilfe dieser Methode nie, denn sie ersetzt ja politischen Gestaltungswillen durch Ressentiment. Wer sie einsetzt, macht in Wahrheit deutlich, dass er nichts bewegen will außer Wählerstimmen. Indem man die eigene Zielgruppe in die Lage versetzt, nach unten zu blicken, lenkt man davon ab, dass man ihr eigentlich gar nichts anzubieten hat.
Hierzulande kann man diese Methode im Moment ständig im politischen Alltag beobachten – eine für die Qualität des politischen Diskurses sehr bedauerliche Entwicklung. Und damit meine ich nicht die Partei, deren einziger programmatischer Kern das Ressentiment ist, die AfD. Sondern die Unionsparteien.
Bürgergeld, Einwanderung, Klima: überall das Gleiche
Lassen Sie einmal die politischen Debatten der vergangenen Wochen Revue passieren. Worüber wird gesprochen oder genauer: über wen?
Beim sogenannten Bürgergeld ließ es sich die Union nicht nehmen, einmal mehr das Klischee von den angeblich faulen Arbeitslosen zu bemühen. Natürlich wird das immer anders formuliert, es geht immer um »Anreize, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren«. Die stetig wiederholte, aber an den Haaren herbeigezogene Behauptung, das ursprünglich geplante Bürgergeld werde Arbeitslose besserstellen als Geringverdiener, ist so typisch wie perfide: eine Instrumentalisierung des abwärtsgerichteten sozialen Vergleichs.
Friedrich Merz und seine Partei haben versucht, diejenigen, die wenig haben, aufzuhetzen gegen die, die noch weniger haben. Merz behauptete, es gehe um die Frage, ob »derjenige, der in unserem Land arbeitet, mehr verdienen soll als derjenige, der nicht arbeitet und Transferleistungen erhält«. Um diese (falsche) Behauptung aufrechtzuerhalten, wurden Tatsachen verdreht oder weggelassen . Die Union übernahm zu diesem Zweck sogar verzerrte Zahlen von der AfD und der Rechtspostille »Junge Freiheit«.
Aber es ging ja auch nicht um Fakten, es ging um das Ressentiment als Ersatz für Argumente.
Wie lange sind wir noch attraktiv?
Quelle : Spiegel-inline >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Karikatur von Gerhard Mester zum Thema: Windräder (Stichworte: Erneuerbare Energien (Alternative Energie), Ökologie, Wirtschaft, Wachstum)
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Unten — Christian Stöcker (2017)