Börsenabsturz von Facebook
Erstellt von Redaktion am Montag 7. Februar 2022
Das Metaversum kommt – aber noch nicht jetzt
Eine Kolumne von Christian Stöcker
Als Mark Zuckerberg vergangenen Oktober seine Metaversum-Vision vorstellte, schadete das dem Wert seines Unternehmens nicht. Der Kurscrash diese Woche holt nur nach, was damals versäumt wurde.
An den Metaversums-Hype von 2006/2007 können sich viele vermutlich nur schwach erinnern, aber er war gewaltig. Mein Kolumnisten-Avatar »Sponto« besuchte damals unter anderem die virtuellen Cebit-Messestände von IBM und Sony Ericsson, eine virtuelle Podiumsdiskussion mit echten Bundestagsabgeordneten (sowie Tentakelmonstern und feuerspeienden Drachen), eine Mercedes-Filiale und gleich zwei Versionen des 2007er G8-Gipfels in Heiligendamm.
»Sponto« besorgte sich ein neues Gesicht und Cyberpunk-Klamotten und lehnte diverse Einladungen zum Cybersex dankend ab.
»Business Week« hatte Mai 2007 mal eine Titelgeschichte, in der die Frage aufgeworfen wurde, ob die virtuelle Welt »Second Life« demnächst Microsofts Windows den Rang ablaufen würde. Reuters und die belgische Nachrichtenagentur Belga unterhielten dort virtuelle Büros, virtuelle Immobilien wechselten für Zehn- manchmal Hunderttausende Dollar den Besitzer.
»Innerhalb von 60 Sekunden sexuell belästigt«
Dazu gab es jede Menge virtuellen Sex, auch in den abseitigsten Varianten, die man sich so ausdenken kann, und Menschen, die gegen Geld digitale Geschlechtsteile herstellten. Manche verbrachten ein virtuelles Leben als Vampire oder Untote, es gab Trauerfeiern für im echten Leben oder nur virtuell verstorbene, virtuelle Kunstschaffende und gewaltige Rotlichtbezirke, in denen beliebige Arten virtueller sexueller Dienstleistungen angeboten wurden. All das geht übrigens weiter: »Second Life« wird bis heute jeden Tag von Hunderttausenden besucht.
Seit Mark Zuckerberg im Oktober 2021 in einer eineinviertel Stunden währenden Präsentation seine Idee vom Metaverse präsentiert hat, musste ich immer wieder mal an »Sponto« und meine Erlebnisse in der virtuellen Welt denken. Zuckerberg versprach nämlich lauter Dinge, die es in »Second Life« schon vor 15 Jahren gab. »Präsenz«, »Avatare«, einen »Home Space«, »Teleportation«, »virtuelle Güter«. Lauter alte Hüte. Sogar so einen Klon gab es schon mal, er kam von Sony und hieß damals »Playstation Home«.
»Privatsphäre und Sicherheit«
Wenig überraschend scheint auch das Metaversum der Gegenwart wieder stark von libidinösen Motiven durchdrungen zu sein. Eine Nutzerin berichtete kürzlich über Erlebnisse im Meta-Metaversum: »Innerhalb von 60 Sekunden nach meinem Beitritt wurde ich verbal und sexuell belästigt.« Auch das ist für Leute, die sich schon länger im Internet bewegen, nicht übermäßig überraschend.
Zuckerbergs Präsentation war für Leute, die sich mit Computerspielen und Virtual Reality schon länger beschäftigen, eine Aneinanderreihung von absolut nicht originellen und manchmal unfreiwillig komischen Ankündigungen und Aussagen. An einer meiner Lieblingsstellen trug er mit ernster Miene vor, unterstützt mit einer neben ihm eingeblendeten Texttafel gleichen Inhalts, dass »Privatsphäre und Sicherheit vom ersten Tag an ins Metaverse eingebaut« sein würden. Die US-Ausgabe von »Vice« kommentierte das Ereignis mit der Überschrift: »Zuckerberg kündigt Fantasiewelt an, in der Facebook keine schreckliche Firma ist«.
Extreme Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Das zweite für mit der Materie vertraute Leute auffällige Merkmal der Präsentation war die Kluft zwischen Anspruch und, nun ja, »Wirklichkeit«. In gerenderten, also mit Computern wie ein digitaler Spielfilm erzeugten Videos interagierte ein Zuckerberg-Avatar mit roten Riesenrobotern und schwebenden Kartenspielerinnen. Alles sah aus wie eine Mischung aus »Second Life« und einem Pixar-Animationsfilm.
Später wurden dann Bilder von derzeit tatsächlich verfügbaren Metaverse-Lokalitäten gezeigt – und die sahen dann nur noch wie eine sehr rudimentäre Version von »Second Life« aus, ohne Pixar-Anteil. Avatare ohne Beine, mit Gesichtszügen auf dem Niveau eines älteren »Sims«-Spiels.
In der Videospielbranche nennt man so etwas Vaporware: heiße Luft, große Versprechungen, sehr dürftige real vorzeigbare Umsetzung. Das, was eindrucksvoll aussieht, existiert nur als Filmproduktion. Und das, was echt ist, sieht nicht eindrucksvoll aus.
Ein Viertel des Börsenwertes an einem einzigen Tag
Entsprechend groß war die Skepsis, mit der die Fachwelt auf die Meta-Präsentation reagierte. Anders die Börse: Nach der Präsentation, in der Zuckerberg sehr klar machte, dass im Metaversum die zentrale Zukunftsstrategie seines Unternehmens liegt, stieg Facebooks Aktienkurs, beziehungsweise der des neuen Dachunternehmens Meta Platforms sogar ein bisschen. Da hat mich damals schon gewundert.
Diesen Donnerstag hat es dann aber bekanntlich gekracht, und zwar lauter als jemals in der Börsengeschichte. 234 Milliarden Dollar Börsenwert weg, in wenigen Minuten, und danach ging es noch ein bisschen weiter bergab. Auf einen Schlag verlor Meta über ein Viertel seines Wertes.
Das hatte sicher damit zu tun, dass die regelmäßige Nutzung von Facebook offenbar zum ersten Mal leicht zurückging, um 500.000 Nutzerinnen und Nutzer. Zuckerberg selbst verwies auf die immer stärker werdende Konkurrenz durch die Kurzvideoplattform TikTok, denn diesmal scheint das Modell »wir klonen die Konkurrenz schneller als jeder andere« nicht mehr so richtig zu funktionieren. Reels läuft Tiktok bislang keineswegs den Rang ab.
Auch Methode zwei funktionierte nicht
Als das letzte Mal klar war, dass Facebook vor allem jüngere Leute an WhatsApp und Instagram verlor, kaufte Zuckerberg beide Firmen kurzerhand, aber die Methode »Akquisition statt Innovation« hat diesmal nicht funktioniert.
Vor allem aber haben manche Analysten mittlerweile vielleicht doch akzeptiert, dass Zuckerberg es wirklich ernst ist mit der Idee, alles auf das Metaversum zu setzen. Das hat Meta allein im Jahr 2021 über zehn Milliarden Dollar gekostet – ein mächtiger Etat für dürftige Ergebnisse.
Ich persönlich war 2007 schon überzeugt, dass es so etwas wie ein echtes Metaversum eines Tages geben wird, und ich glaube, da bin ich mir mit Zuckerberg einig, auch heute noch daran. Tatsächlich bewegen sich viele vor allem jüngere Leute längst permanent in virtuellen 3D-Welten, von »Fortnite« bis »Minecraft«. Ganz ohne VR-Brillen.
Das Metaversum wird ein Sündenpfuhl sein
Quelle : Spiegel-online >>>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Mark Zuckerberg
Silverisdead – https://www.flickr.com/photos/56624456@N00/3481555455/
- CC BY 2,0
- Datei:Mark Zuckerberg – 3481555455.jpg
- Erstellt: 27. April 2009
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Unten — Christian Stöcker (2017)
re:publica – YouTube: re:publica 2017 – Etwas Empirie: Was wir wirklich über Filterblasen, Fake-News … – Archivierte Versionen ansehen/speichern auf archive.org und archive.today
- CC BY-SA 3.0 de
- File:Christian Stöcker – re-publica 2017.jpg
- Erstellt: 17. Mai 2017
Erstellt am Montag 7. Februar 2022 um 11:52 und abgelegt unter Amerika, Feuilleton, International, Politik und Netz. Kommentare zu diesen Eintrag im RSS 2.0 Feed. Sie können zum Ende springen und ein Kommentar hinterlassen. Pingen ist im Augenblick nicht erlaubt.