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RENTENANGST

Bodo Ramelow

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 17. Februar 2010

 Als ehemaliger Parteibildungsbeauftragter an die Partei

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„Offener Brief“

An die

Mitglieder der Partei DIE LINKE,

Bundesgremien, Landesverbände, Gliederungen und Strukturen, IG’s und AG’s, Strömungen
und alle Abgeordneten in Europa, Bund, Ländern und Kommunalparlamenten

Liebe Genossinnen und Genossen,

ungefragt und ungebeten, ungeschönt und unverblümt will ich mich als ehemaliger Beauftragter zur Parteibildung, im Volksmund Fusionsbeauftragter genannt, zu Wort melden.

Ich beginne mit dem Bekenntnis, dass mir manches an öffentlichem oder parteiinternem Getöse zurzeit ziemlich auf die Nerven geht. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass es unumgänglich ist, zu spüren, dass wir uns mitten in einem inneren Wachstumsprozess der Partei DIE LINKE befinden und dies eben leider auch mit Spannungen, Widersprüchen und Brüchen verbunden ist. Das ist wenig freundlich, aber alternativlos und ich finde, mehr Gelassenheit tut uns allen gut.

DIE LINKE würde nicht existieren, wenn nicht mit Oskar Lafontaine eine Politikerpersönlichkeit den Anstoß von außen gegeben hätte, zwei sehr unterschiedliche Parteien zu motivieren, über einen gemeinsamen Weg nachzudenken. Der Impuls kam von außen, er war notwendig und hat uns mit der angekündigten Bundestagswahl 2005 vor Probleme gestellt, bei denen die Öffentlichkeit und die Medien der festen Überzeugung waren, dass wir scheitern müssen. Das Gegenteil war der Fall. Persönlichkeiten wie Lothar Bisky, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine waren Garanten unseres Erfolgs und die politische Notwendigkeit der Existenz unserer Partei zeigt sich täglich neu.

Gemeint sind Vorgänge wie zurzeit am Erfurter Bundesarbeitsgericht, wo geprüft wird, ob in Zukunft konkurrierende Tarifverträge in die Betriebe Einzug halten – ein Bruch mit der gesamten arbeitsrechtlichen Kultur seit 1945. Dies einhergehend mit der Zerstörung des Postmindestlohns, der Ankündigung, bei der PIN-AG den Hungerlohn noch weiter herabzusetzen sowie in Kenntnis von Armutslöhnen, die in den neuen Bundesländern zur Normalität geworden sind.

Unser politisches Konzept ist notwendig und alternativlos! Die Umverteilung von unten nach oben zu stoppen, wäre ein erster Schritt, um sie endlich in umgekehrter Richtung in Gang zu setzen. Wir müssen viele Menschen mitnehmen, in West und Ost, in Nord und Süd, die gemeinsam solidarisch dafür kämpfen wollen, dass Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen gestärkt werden und die politische Kultur sich wieder mehr auf das Soziale im Staat konzentriert.

Jetzt treten wir in die erste Etappe nach den Übergangsvorschriften der formalen Vereinigung unserer Partei ein. Diese Zeitabläufe waren von Anfang an so geplant und mit den programmatischen Eckpunkten so angelegt, dass sie sofort zu einer intensiven gesamtdeutschen Debatte innerhalb unserer Partei über programmatische Inhalte führen sollten.

Mit dem Auslaufen von formalen Übergangsregeln wollten wir mit der aktiven Debatte um unsere Programmatik dem drohenden Vakuum entgegenwirken. Festmachen will ich es am Begriff des demokratischen Sozialismus. Hier gab es heftige Auseinandersetzungen alleine schon bei der Namensgebung: sollen wir die neue Partei als sozialistische Partei positionieren und sie auch so benennen? Hier gab es viele gegenteilige Auffassungen aus westdeutscher Sicht, aus 40 Jahren Antikommunismus gespeist. Hier treffen aber auch unterschiedliche Ideen über ein Sozialismusbild aufeinander, bei der nicht nur Vertreter von West und Ost heftig in der Debatte sind.

Ich halte diese Debatte für notwendig und ich halte sie auch für zielführend, denn so waren die programmatischen Eckpunkte angelegt: um Diskussionen in dieser Bandbreite zu eröffnen und zu ermöglichen. Wir dürfen keine Partei sein, die darauf wartet, ob irgendetwas vorgelegt wird, wir müssen eine Partei sein, die über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft debattiert und über die Debatte eine Eigenbestimmung vornimmt, was wir sein wollen.

Ich halte eine sozialistische Partei im Europäischen Maßstab für normal und ich werbe für eine ebensolche. Ich halte aber eine LINKE nur für akzeptabel, wenn sie plural angelegt ist und die Debatte um einen besseren Weg und auch um die alltäglichen Alternativen kraftvoll ausstrahlt und lebt.

Durch die Erkrankung unseres Vorsitzenden Oskar Lafontaine und den Wechsel unseres Vorsitzenden Lothar Bisky zur Europäischen Linkspartei haben wir jetzt ein Führungsvakuum, das leider überlagert wird durch ein längeres Zögern in der aktiven Programmdebatte. Wir brauchen deshalb beides!

Eine aktive Programmdebatte über unsere Selbstbestimmung und einen Personalvorschlag für den Rostocker Parteitag, der dort auch von den delegierten mit großer Mehrheit gewählt wird. Dieser Aufbruch, den wir in Rostock brauchen, kann sich an den bisherigen Vorsitzenden nicht messen lassen und darf es auch nicht. Wir müssen deshalb den Mut zu ungewöhnlichen Entscheidungen haben und mit einem Personaltableau in die nächste Etappe gehen, bei dem die Partei sich in Gänze wiederfindet und das uns die notwendige Ruhe gibt, den inneren Wachstumsprozess organisieren zu können.

Ich unterstütze deshalb ausdrücklich den gesamten Personalvorschlag, für den der Parteivorstand in einer Telefonkonferenz mit 28 Ja-Stimmen votiert hat. Man mag sich über den Weg, wie wir zu dem Vorschlag gekommen sind, ja streiten. Dieser Streit nützt aber nichts, wenn er so geführt wird, dass einzelne Personen herausgelöst werden sollen, verbunden mit der Hoffnung, den gesamten Vorschlag wieder aufzumachen. Wir brauchen in Rostock einen Aufbruch, bei dem Partei und Parteiführung ein gegenseitiges Vertrauen aufbauen und entwickeln und ich sehe dies gut verbunden mit der Programmdebatte.
Mögen wir uns über einzelne Formulierungen streiten.
Mögen wir uns über die Geschwindigkeit im Weg streiten.

Dies alles würde ich als konstruktiv ansehen. Aber ein Eingraben in Schützengräben und ein Rückzug in Gremium oder Landesverbände führt nur dazu, dass wir nicht nur Flügelkämpfe bekommen, sondern – freundlich gesagt – zu einer Parteiholding mutieren. Die Summe aller Unterschiedlichkeit darf nicht in einer Holdingverwaltung kulminieren, die Kraft der Führung muss darin liegen, über das Bewusstmachen der Unterschiede unsere Ziele besser und vor allem gemeinsam zu bestimmen.

Wir sind die Partei der deutschen Vereinigung und müssen dies auch leben. Deshalb brauchen wir auch die Transformationserfahrungen der neuen Bundesländer, um in Westdeutschland Alternativen aufzeigen zu können: Längeres gemeinsames Lernen, ein modernes einheitliches Dienstrecht, eine einheitliche moderne Bürgerversicherung – das sind Ziele, die nach vorne weisen und die aus Erfahrung von Ost und West gespeist werden.

Wir müssen über die westdeutschen Tabus offensiv reden, um Alternativen dazu zu entwickeln.
Das Beispiel der Teilung in Arbeiter, Angestellte und Beamte oder die Trennung zwischen ambulant und stationär sowie die Trennung in 16 verschiedene Landesbildungssysteme zeigt, wie notwendig ein Aufbruch in der bundesdeutschen Gesellschaft wäre.

Ich bin überzeugt, dass wir Tausend Argumente auf unserer Seite haben, die alle mehr wiegen als jedes Argument, das nur gegen die andere Strömung gerichtet ist.
In diesem Sinne werbe ich für das gesamte Personaltableau, einschließlich der zwei Geschäftsführer, denen ich zutraue, dass sie die Geschäfte der Partei gemeinsam und gut führen werden.

Ich verbinde diese Werbung für das Personaltableau aber mit einem Vorschlag, den ich dem Rostocker Parteitag zur Entscheidung empfehle: die Frage, ob wir dauerhaft eine geschlechtsspezifische Doppelspitze als Markenzeichen unserer Partei in die Satzung aufnehmen, ist von einer solchen Bedeutung, dass sie nach dem Programmparteitag von unseren Parteimitglieder per Urabstimmung entschieden werden sollte. Das Geschäftsführer-Tandem sollte aus meiner Sicht nur eine Übergangslösung bleiben.

Deshalb wäre es gut, wenn unsere Mitglieder neben der Programmdebatte auch eine Führungsdebatte führen, die gekrönt wird durch eine Urabstimmung, die dauerhaft Klarheit bringt.
In diesem Sinne wünsche ich mir einen Aufbruch und keinen Kleinkrieg.
Ein Kleinkrieg würde bedeuten, dass die neoliberalen Think Tanks in Deutschland glauben, sie kriegen uns klein! Das dürfen wir uns nicht erlauben, denn die Menschen brauchen uns und setzen Hoffnung in uns.

Auf in die nächste Etappe!

Bodo Ramelow

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Urheber DiG / TRIALON / Eigenes Werk

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