Blut, Schweiß und Tränen
Erstellt von Redaktion am Donnerstag 28. Juli 2022
Die Durchhalteparolen der Regierung in der „Gaskrise“ wirken hilflos
Wer wollte nur billig und sparen – es waren Freunde von Putin die das taten.
Von Thomas Gesterkamp
Es offenbaren sich soziale Verwerfungen und die Grenzen politischer Moral. In Kriegszeiten werden Saturiertheit und Bequemlichkeit angeprangert, Weicheier und Warmduscher abgewatscht.
Der Wirtschaftsminister rät, kürzer und weniger zu duschen. Der größte Wohnungskonzern des Landes will die Nachttemperatur absenken, ein anderes Unternehmen stellt den Mietern stundenweise das Heißwasser ab. Kommunen sparen bei den Bädern, und planen für die Zukunft öffentliche „Aufwärmräume“. Eltern sollen ihren Kindern klarmachen, dass demnächst nicht mehr alle Zimmer warm sein können. Der Herbst, so der einhellige Tenor, werde schlimm – und zudem gibt es immer noch eine Pandemie. Kontaktverbote und sogar zugesperrte Schulen sind wieder im Gespräch, werden zumindest „nicht ausgeschlossen“. Die scheinbar alternativlose Kernbotschaft für den Winter lautet überspitzt: Ihr sollt wegen Corona zu Hause bleiben, aber bitte nicht heizen!
Robert Habeck wirbt rhetorisch geschickt für Verständnis, wie ein Neo-Churchill verlangt er „blood, sweat and tears“ in Sachen Energie. Das fügsame Befolgen von Durchhalteappellen wurde in der Pandemie hinreichend verinnerlicht. Die Politik tut das Richtige für euch, wir müssen jetzt alle zusammenstehen! Enorm steigende Wohnkosten oder rationiertes Mehl müsst ihr ertragen – zugunsten der Verteidigung unserer Werte in der Ukraine.
In Zeiten des Krieges werden Saturiertheit und Bequemlichkeit angeprangert, Drückeberger, Weicheier und Warmduscher abgewatscht. Man verfolgt höhere Ziele, preist die Tugend der Genügsamkeit. Wohlstandsverluste sollen klaglos erduldet werden, alle ihr Scherflein beitragen. Christian Lindner fordert mehr Überstunden, Frank-Walter Steinmeier einen Pflichtdienst: dem Staate dienen, am besten beim Militär, sonst wenigstens ein soziales Engagement.
Wie bei Corona wird die Wirtschaft geschont, der Einzelne soll es richten. So privatisiert man die Folgen einer Sanktionspolitik, die auch den Sanktionierenden schadet. Von der Regierung (mit)verursachte Probleme werden den Regierten in die Schuhe geschoben. Die Summe der Zumutungen fördert den Populismus, gefährdet Freiheit und Demokratie. Längst hat die rechte AfD das Wort „Moralpolitik“ für sich entdeckt, entwickelt einen neuen Kampfbegriff – der Kritik von links an deren Inhalten schwieriger macht.
Im Gegensatz zum liberalen Koalitionspartner orientieren sich SPD und Grüne weniger am Individuum als am großen Ganzen. Schon in der Coronakrise misstrauten sie der persönlichen Eigenverantwortung, die etwa die Pandemiepolitik in Schweden leitete. Doch die dringlich eingeforderte Solidarität muss man sich leisten können.
300 Euro Blutgeld schiebt uns die Regierung in die Tasche schieben ?
Rund die Hälfte der deutschen Haushalte heizt mit Gas. Nach den Sommerferien werden die Briefe der Energieversorger keine Verdoppelung, eher eine Verfünffachung oder gar Verzehnfachung des Preises ankündigen, laut düsteren Prognosen. Das von der Regierung zugesagte „Energiegeld“ von einmalig 300 Euro (das auch noch versteuert werden muss) ist der hilflose und völlig unzureichende Versuch einer Kompensation.
Inflation ist das wichtigste (innenpolitische) Thema der nächsten Jahre. Die AfD orientiert sich am französischen Vorbild, Marine Le Pen bestritt ihren Wahlkampf vorwiegend mit der Skandalisierung steigender Preise. Die Massenproteste im globalen Süden, aktuell etwa in Sri Lanka, entzünden sich nicht zufällig am Thema Grundnahrungsmittel. Wie viel für Getreide, Reis oder Brot ausgegeben werden muss, war historisch schon immer der wichtigste Anlass für Aufstände.
Die oft gut verdienende und sorgenfrei lebende grüne Klientel kann sich hohe Energiepreise leisten. Manche ihrer politischen Vertreter:innen sind sich der gesellschaftlichen Verwerfungen durchaus bewusst; anderen fehlt, wie in oder Pandemie, die Sensibilität für die sozialen Folgen ihrer Politik. Beim Ausstieg aus Stein- und Braunkohle waren die Arbeitsplätze der Kumpel nebensächlich, eine wachsende Abhängigkeit vom Gas wurde in Kauf genommen. Nun soll die Landwirtschaft einen Teil ihrer Flächen nicht mehr beackern dürfen, wegen des Insektensterbens – mitten in einer eskalierenden Hungerkrise im globalen Süden, die zugleich beklagt wird.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
*********************************************************
Grafikquellen :
Oben — Zeremonie zur Eröffnung des Benzins Nord Stream. Unter anderem Angela Merkel und Dmitri Medwedew