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BERLINALE: The Sound of Revolution

Erstellt von Gast-Autor am Freitag 30. Januar 2015

Inuit-Rock gegen Dänen-Kolonialismus

Autor: U. Gellermann

Rationalgalerie

Datum: 29. Januar 2015

Wer sie hört, die Lieder der Gruppe Sumé, der mag kaum glauben, dass die Sprache der Grönländer nur drei Vokale kennt: Melodisch klingt es aus den Tonboxen, den Beatles näher als den Stones, doch die Balladen der ersten grönländischen Rockband Sumé sind sehr eigenständig. Auch und gerade weil sie in Kalaallisut gesungen werden, jener Sprache der Grönländer, die in den Jahrhunderten der dänischen Kolonialisierung beinahe verloren gegangen wäre wenn, ja wenn nicht viele junge Grönländer Anfang der 70er Jahre begonnen hätten ihre eigene Kultur wieder zu entdecken. Unter ihnen und ganz vorne dran die Jungs von Sumé, von denen der Film „The Sound of Revolution“ im BERLINALE-Panorama handelt.

Den Fans von Sumé sind im Film von Inuk Silis Høegh noch die Schauer der Erregung anzuhören, wenn sie sich erinnern: „Zum ersten Mal hörten wir von der Bühne Lieder in unserer Sprache, ob das wohl erlaubt war?“ Die nun älter gewordenen Fans wissen noch gut um jene Zeit, in der die eigene Sprache als minderwertig galt, ähnlich minderwertig wie die Grönländer von den Dänen begriffen wurden. Wer als Inuit formale Bildung haben wollte, der musste von seiner 4.000 Kilometer weit entfernten Insel nach Dänemark, musste die dänische Sprache beherrschen, um weiterhin von den Dänen beherrscht zu werden. „Es ist Zeit, um wieder als Inuit und nicht wie im Westen zu leben“, so lautet eine Zeile von Sumé in ihrem Song „Nunaqarfiit“ auf ihrer ersten, 1973 erschienenen Platte, die auf dem Cover einen Inuit-Jäger zeigt, der einen dänischen Händler tötet.

Über den Handel beherrschten die Dänen Grönland. Dänische Polizei ist bis heute auf der Insel stationiert. Und natürlich lag die Ausbeutung der Rohstoffe in dänischer Hand. Zum Beispiel mit dem Kohlebergwerk Qullissat, dem Sumé ein melancholisches Lied gewidmet hat und dem der Filmemacher trübsinnige Bilder eines verlassenen Ortes spendiert: Als der Abbau der Kohle beendet wurde, als es unter der Arbeiterschaft erste Bestrebungen gab, eine Arbeiter-Vertretung und -Partei zu gründen, wurden die Bewohner des Ortes weit entfernt in gesichtlose Plattenbauten umgesiedelt. Es war nicht die erste Umsiedlung auf Grönland: Als in den 50ern die Thule Air Base, ein Stützpunkt der US Air Force, gebaut wurde, haben die dänischen Autoritäten die ursprünglichen Bewohner gezwungen, 100 Kilometer Luftlinie weiter zu ziehen – gegen eine schäbige Entschädigungs-Summe.

Es sind die alten Bilder, von denen der Film wesentlich lebt: Bilder der Band in Diskos, aber auch auf Demonstrationen und Kundgebungen im dokumentarischen Schwarz-Weiß, auf denen die Selbstständigkeit Grönlands gefordert wird. Und bei denen auch immer mal ein Plakat mit der Forderung „Raus aus der NATO“ zu sehen ist, denn Grönland ist über Dänemark Zwangsmitglied in diesem Militärpakt. Der antimilitaristische Aspekt der damaligen Bewegung ist sicher auch jener Wasserstoffbombe zu verdanken, die 1968 aus einem amerikanischen B-52-Bomber ins grönländische Eismeer fiel, und die bis heute nicht geborgen ist.

Rund 20 Prozent der grönländischen Bevölkerung erwarben 1973 die erste Platte der Band Sumé, die – vom Komponisten, Texter und Gitarristen Malik Høegh und dem Sänger und Komponisten Per Berthelsen gegründet – zu einem wesentlichen Bestandteil der kulturellen Identität der Grönländer wurde. Wenn der Film heute grönländische Wohnzimmer besucht, sind die drei Platten von Sumé sofort in den Regalen zu finden, und wenn sich die Scheibe auf den Plattentellern dreht, schaut die Kamera in feuchte Augen. Außerhalb Grönlands und Dänemarks blieb die Gruppe weitgehend unbekannt. Nur einmal trat sie jenseits von Skandinavien auf, „in Ost-Berlin“, wie einer aus der Band sich heute erinnert. Die Hauptstadt der DDR gibt es nicht mehr, die Band gibt es manchmal wieder. Denn, so sagt Malik Høegh, es gibt noch viel zu tun. Der Weg zu einem wirklich souveränen Grönland – noch immer ein Teil des dänischen Königreichs – ist weit.

[youtube 7Ia1Sl1S3Qs]

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Grafikquelle     :    Cover of the album Sumut, depicting a 19th-century woodcut of an Inuit having killed a Norseman

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