BERLINALE: Außereheliches Schneetreiben
Erstellt von Redaktion am Samstag 7. Februar 2015
Juliette Binoche am Pol und um den Pol herum
Autor: U. Gellermann
Datum: 06. Februar 2015
In elf Tagen eine halbe Million Zuschauer: Da kann nur der Fußball mithalten. Fraglos ist die BERLINALE das größte deutsche Kultur-Ereignis und eines der bedeutendsten Festivals der Welt. Das sehen offensichtlich die 3.700 Journalisten aus aller Welt auch so, die sich zu den „Internationalen Filmfestspielen in Berlin“ einfinden. Die über 400 Filme, die präsentiert werden, kann ein einzelner Mensch während des Festivals nicht sehen. Trotzdem versucht die RATIONALGALERIE ihren Lesern einen Eindruck zu vermitteln und die Frage zu beantworten: Ist Quantität auch Qualität? – Jetzt geht´s los.
Man hätte es wissen müssen, als Juliette Binoche zu Beginn des Berlinale-Eröffnungs-Films „Nobody wants the night“ stolz über ihren Film-Mann, den Polarforscher Robert Peary erzählte, der habe in den 20 Jahren Ehe nur 18 Monate zu Hause verbracht: Eine schlechte Ehe wartete auf den Zuschauer. Weil es aber schlechte Ehen all-überall gibt, musste diese mit einer Reise zum Nordpol garniert werden, mit Scheetreiben ohne Ende, mit kalbenden Gletschern und rollenden Lawinen. Denn Frau Peary will ihren Mann überraschend besuchen. Und das klappt in gewisser Hinsicht. Der ist unterwegs zur „Entdeckung“ des Pols. Frau Peary ist das, was man eine Zicke aus der Upper Class nennen muss. Sie nervt kundige Führer so lange, bis die ihr nachgeben und sie durch Eis und Schnee führen um das Basis-Lager ihres Mannes zu ereichen. Doch Peary ist noch unterwegs zum Pol. Die erfahrenen Männer kehren um: Zu wenig Nahrung in der Hütte, die Polarnacht droht und die, so weiß schon der Filmtitel, wünscht sich keiner.
Neben der hartnäckigen Frau Peary bleibt auch die junge Inuit-Frau Allaka, die es als „Hiesige“ eigentlich besser wissen müsste, im Basis-Lager. Und während die Dame aus New York im Holzhaus residiert, hockt die Inuit nebenan im Iglu. Aus diesem Gegensatz bezieht der Film ein wenig Komik auf Kosten von Juliette Binoche, die sich vor rohem Fleisch ekelt, unentwegt italienische Arien auf dem Grammophon spielt und schicke Kleider anprobiert, während Allaka rührend eingeborig ist: Immer lächelnd, stets zu Diensten und soooo verständig. Immerhin, man kommt sich näher, als Frau Peary der jungen Inuit das Essen mit Messer und Gabel beibringt.
Langsam schleicht sich die wahre Überraschung an: Der Polarforscher, schon mit einer Tochter aus dem ehelichen Verhältnis bedacht, hat auch der armen Allaka eine hinterlassen, ein schöner runder Bauch ist der Beweis. Die angetraute Binoche ist erst außer sich, aber als sich die zwei Frauen durch Hungers- und andere Nöte näher kommen, wird alles tief-innerlich, man teilt das letzte Fleisch und auch das Eisbärenfell kommt in den Topf, unter dem das letzte Holz schwach glimmt. Die Frage, ob denn die Dame Peary in Wirklichkeit so blöd gewesen sein könnte und warum denn ein Landeskind wie Allaka sich dieser schrecklichen Lage ausgesetzt haben sollte, wird mit der Behauptung beantwortet, der Film erzähle eine wahre Geschichte.
Eine wahre Geschichte wäre gewesen, wenn man vom echten Peary erzählt hätte, der bei den Inuit Elfenbein, Pelze und einen Meteoriten im ungleichen Handel geklaut hatte. Oder von dem Peary, der sechs Inuit verschleppte, um sie in einem amerikanischen Museum als lebende Objekte auszustellen, bis sie dann an Tuberkulose starben und als ausgestopfte Präparate der musealen Neugierde dienten. Auch die Story mit dem außerehelichen Baby, das im Film einen rührenden Tod stirbt, verblasst vor der Wirklichkeit zweier Kinder, den Söhnen Anaukaq und Kali, die der Forscher mit der Inuitfrau Ahlikasingwah zeugte und die sich eines recht langen Leben erfreuten. – Natürlich ist der Spielfilm keine Wirklichkeits-Reproduktionsmaschine. Aber wenn man aus der scheinbaren Wirklichkeit ein süßliches Produkt destilliert, dessen bombastische Musik einer zweistündigen Langeweile Leben einhauchen soll, dann stellt sich die Frage nach dem Sinn. Und wo an Inhalt und Ästhetik wenig zu entdecken ist, da denkt man an die Kinokasse. – Die Berlinale hat begonnen, sie kann nur besser werden.
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Fotoquelle: Wikipedia –
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Attribution: Georges Biard |