Bericht über Trans Personen
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 14. Juli 2021
Marginal und mächtig?
Eine Kolumne von Margarete Stokowski
Statt darüber zu sprechen, wie trans Menschen den Diskurs prägen, sollten wir uns lieber mit den Demütigungen auseinandersetzen, die sie erfahren.
Es gibt ein eigenartiges Phänomen: Menschen, die trans sind, werden gleichzeitig als vernachlässigbare Minderheit beschrieben, um die man nicht so ein Brimborium veranstalten sollte – und als bedrohlicher Trend, der mächtig um sich greift. Wie geht beides gleichzeitig? Wie der Ausländer, der faul ist und gleichzeitig Deutschen ihre Jobs wegnimmt. Konservative sind sich nicht ganz sicher: Gibt es jetzt so wenige trans Personen, dass man sie eigentlich auch ignorieren könnte, oder so viele, dass es einen richtigen Boom gibt? Beides, offenbar.
So machte sich zum Beispiel vor ein paar Tagen Jan Fleischhauer – gemeinsam mit vielen anderen Menschen – auf Twitter über eine Forderung der sächsischen SPD lustig, die will, dass auf öffentlichen Toiletten Mülleimer stehen, auch bei den Männern. »Niemand hat etwas gegen zusätzliche Mülleimer für Hygieneprodukte. Aber eine Partei, die auf einem Parteitag die Probleme ›menstruierender Männer‹ zu lösen versucht, hat irgendwo in ihrer langen Geschichte den Kompass verloren.« So, so.
Kompass verloren heißt ja: Prioritäten verrutscht, gibt Wichtigeres. Stimmt ja auch. Gibt Wichtigeres als Mülleimer. Aber jede menstruierende Person, die schon mal mit einem vollgebluteten Produkt in der Hand nicht wusste, wohin damit, weiß: Das nervt. Das Ganze betrifft nicht nur Leute mit Uterus, sondern zum Beispiel auch ältere Männer mit Inkontinenz, die regelmäßig Binden entsorgen müssen.
Manche trans Männer menstruieren, manche nicht. Man könnte ihnen Mülleimer gönnen. Selbst wenn man keinen einzigen kennt. Nicht so schwer, eigentlich, klappt in anderen Fällen ja auch. Ich zum Beispiel kenne keine blinde Person persönlich, und ich weiß nicht, wie viele blinde Menschen es überhaupt gibt. Aber ich glaube trotzdem, dass öffentliche Orte so gebaut sein sollten, dass blinde Menschen zurechtkommen und sich wohlfühlen.
In der »NZZ« war vor ein paar Monaten zu lesen: »Die Zahl angeblicher Transkinder explodiert weltweit.« Der Text war von der rechtspopulistischen Autorin Birgit Kelle. Sie zitierte unter anderem den Psychiater Alexander Korte, der in solchen Texten oft zitiert wird, weil er gern von einem »Hype« spricht, wenn es um Transgeschlechtlichkeit geht, und wir alle wissen ja: Wo ein Hype ist, sollte man skeptisch sein. Bei den trans Personen, die ich kenne, gilt er als transfeindlich.
»Transfeindlich« ist ein großes Wort, ist ja klar. Oft wird das, was trans Menschen (und solche, die mit ihnen solidarisch sind), als »feindlich« bezeichnen, als Sorge formuliert: Sorge um Kinder oder Jugendliche, die durch den »Hype« falsche Entscheidungen treffen könnten – oder Sorge um Frauen, die nicht trans sind.
Man kennt diese als Fürsorge getarnte Ablehnung auch aus anderen Diskussionen: Als etwa die »Pille danach« in Deutschland rezeptfrei wurde, wurde gewarnt, Frauen würden sich dann ständig diese Tabletten einwerfen, die doch Nebenwirkungen haben könnten, Stichwort Jens Spahn, Stichwort »keine Smarties«. Aber weiter im Text.
»Vom Verschwinden der Frauen« hieß ein Text in der »Süddeutschen Zeitung«. Es ging um einen Satz aus dem Grundsatzprogramm der Grünen: »Alle Menschen haben ausschließlich selbst das Recht, ihr Geschlecht zu definieren.« Der Kommentar wandte sich gegen diese Idee, obwohl die Autorin Susan Vahabzadeh feststellte, dass das Thema im Wahlprogramm der Grünen nicht drinsteht, folglich vermutlich kein so dringender Plan der Partei ist. Aber gut, warum nicht trotzdem drüber schreiben. (Fun Fact: Im Wahlprogramm der Linken steht genau dieser Plan, aber über Die Linke redet man gerade nicht so viel. Die Linke fordert einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag, die »Vornamens- und Personenstandsänderung muss mit einer einfachen Erklärung beim Standesamt möglich werden – ohne die bisherigen Zwangsberatungen, Gutachten, ärztlichen Atteste und Gerichtsverfahren«.)
Wozu entwirft man solche Szenarien?
Der Satz der Grünen bereitete der Autorin Sorgen, denn: »Es ist falsch, Geschlechtswechsel unnötig zu erschweren, aber die einzige Alternative kann nicht darin bestehen, die Zuordnung zu einem Geschlecht wie das Ankreuzen eines Menü-Wunschs zu gestalten, jährlich veränderbar.« Es wäre dann möglich, dass ein Mann sich als Frau eintragen lässt, um einen Job über die Frauenquote zu kriegen, schreibt sie.
Außerdem sei dann »keine Statistik mehr aussagekräftig«, die Kategorie »Frau« würde verschwinden, und man könnte folglich etwa auch nicht mehr erheben, ob Frauen schlechter bezahlt werden. Wie realistisch ist das? Dass Männer sich plötzlich als Frau definieren, um einen Job zu kriegen? Dass Menschen jährlich (!) ihren Geschlechtseintrag und Namen wechseln – wozu entwirft man solche Szenarien?
Das Ding ist: So funktioniert es nicht. Man kann nicht für Frauenrechte kämpfen, indem man gleichzeitig die Rechte von trans Personen mit Füßen tritt. Das ist so, als wenn man für Tierrechte kämpfen will, aber für Tiger nicht, weil man die bedrohlich findet. Es gibt eh schon Länder, in denen man seinen Geschlechtseintrag und Namen einfacher ändern kann, und dort ist »die Kategorie Frau« bislang auch nicht »verschwunden«. Verschwunden ist aber ein ganzer Batzen entwürdigender Diskriminierung durch den Staat.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
Grafikquelle :
Oben — Participants march in the 2012 NYC Pride Parade on Sunday, June 24, 2012
Bob Johnson – Own work
- CC BY-SA 4.0
- File:2012 NYC Pride Parade 08.jpg
- Created: 24 June 2012
******************************
Unten — Margarete Stokowski (2018)
Harald Krichel – Eigenes Werk
Margarete Stokowski at Frankfurt Bookfair 2018
- CC BY-SA 4.0Die Persönlichkeitsrechte der abgebildeten Person(en) beschränken bestimmte Weiterverwendungen des Bildes ohne dessen/deren vorherige Zustimmung.
- File:Margarete Stokowski-0672.jpg
- Erstellt: 13. Oktober 2018
Erstellt am Mittwoch 14. Juli 2021 um 12:52 und abgelegt unter Feuilleton, International, Mensch, Positionen. Kommentare zu diesen Eintrag im RSS 2.0 Feed. Sie können zum Ende springen und ein Kommentar hinterlassen. Pingen ist im Augenblick nicht erlaubt.