Kolumne – Schlagloch
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 25. April 2018
Bekenntnis eines Süchtigen
Von Ilija Trojanow
Totalitarismus, Kriegsverbrechen, Datenklau – reale Missstände nehme ich kaum noch wahr. Weil ich mich zu viel mit Trump beschäftige.
Ich gestehe: Ich habe eine Trump-Obsession. Jeder Wochentag beginnt mit der neuesten Sendung von Rachel Maddow sowie einem Blick in die amerikanische Presse („Politico“, „New York Times“, „Dissent“, „Jacobin“). Sonntags schaue ich mir zuerst „Meet the Press“, dann „Fox News Sunday“ an. Montagmorgens begeistert mich John Oliver, Samstagmorgens Bill Maher. Dazwischen höre ich Podcasts wie jenen von „The Intercept“.
Seit Jahren empfinde ich zum ersten Mal wieder das dringende Bedürfnis, täglich die Nachrichten zu schauen. Obwohl sie mich so selten beglücken. Dieser Impuls ist ein zutiefst masochistischer, ich leide wie ein Alkoholiker, der stets nur einen heftigen Kater bekommt.
Am Ende des Tages ärgere ich mich über mich selbst, schäme mich manchmal gar. Denn eigentlich weiß ich, wenn ich mal innehalte, um mein Gaffen zu analysieren, dass all die Skandale und Erregungen das Wesentliche verschleiern. Obwohl mir durchaus bewusst ist, dass existenziell wichtige Prozesse der Refeudalisierung, der Aushöhlung zivilgesellschaftlicher Errungenschaften, der kulturellen Rückständigkeit im Hintergrund ablaufen, bin ich wie gebannt von der Frage, ob Trumps Advokat den Kampf gegen das Pornosternchen verlieren wird. Und ob diese Nebenfigur, die einer „Sopranos“-Folge entsprungen zu sein scheint, die Seiten wechseln und mit dem Staatsanwalt zusammenarbeiten wird.
Mit anderen Worten: Ich betrachtete die Politik wie eine jener weltweit so erfolgreichen US-amerikanischen Serien. Gerade, weil ich Trump nicht ausstehen kann, will ich alles über ihn wissen. Die intensive Abscheu, die er in mir weckt, bedeutet, dass ich ihm auf den Leim gegangen bin.
Wenn ich mich über weitere alternative facts von Trump empöre, übersehe ich die inzwischen völlig selbstverständliche und verbreitete Kultur des Lügens. Ein Beispiel: Mark Zuckerberg log sich neulich mit dem Gesichtsausdruck eines schlecht konstruierten Roboters zwei Tage lang durch eine Kongress-Anhörung (Zerknirschung, Einsicht, Entschuldigung, Beteuerung), bevor Facebook umgehend die Daten von mehr als 1,5 Milliarden nichteuropäischen Nutzern aus Irland in die USA verlegte, um sie dem Geltungsbereich der neuen EU-Datenschutzverordnung zu entziehen. Die Hassfigur Trump lenkt mich davon ab, mich näher mit der totalitären Gefahr namens Facebook zu befassen.
Während meine gesamte Aufmerksamkeit gefangen ist von der Frage, wie Trump in die Wüste seiner eigenen Erbärmlichkeit geschickt werden könnte, erweitert die heimische Oligarchie um ihn herum (wieso eigentlich wird das Wort „Oligarchie“ mittlerweile nur noch in Zusammenhang mit Russland, Ukraine und Ähnlichen verwendet?) ihren Einfluss, ihr Vermögen und ihren Zugriff auf die letzten verbleibenden Allmenden. Etwa jene zwei Millionen Hektar Land, die kürzlich aus zwei großen Nationalparks im Süden Utahs herausgeschnitten wurden. Nach einem Bericht der New York Times konzentrierte sich das United States Department of Interior, das amerikanische Heimatministerium, von Anfang an auf die Kohle-, Öl- und Gasressourcen innerhalb der beiden Naturschutzgebiete. Das Kaiparowits-Plateau, eine abgelegene Region im Herzen des wunderschönen Grand Staircase-Escalante National Monument, enthält gewaltige Kohlevorkommen von geschätzten mehr als elf Milliarden Tonnen, die „technologisch förderbar“ wären. Insgesamt haben die Bodenschätze in dem nun zum Raubbau freigegebenen Gebiet einen Wert von zwischen 2 und 18,6 Milliarden Dollar. Kleine Geschenke erhalten die Seilschaft.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Ilija Trojanow bei einer Lesung in Langenau/Württ am 31. Januar 2007