„Bei mir wirkt die Weihe“
Erstellt von Redaktion am Sonntag 20. Januar 2019
Priesterin Judith Gigl spricht über Religion
Von Stella Schalamon
Ein sonniger Tag in Gottmadingen bei Singen. Es war Judith Gigl, 51, bislang noch nie aufgefallen, dass Gott im Stadtnamen steckt. Ihr 2,5 mal 4 Meter breites Gesprächszimmer heißt „der Vatikan“ – im echten Vatikan würde sie mit ihrem Priesterinnenkragen abgewiesen werden. Eine alte, bunt verzierte Uhr, die sie und ihr Mann zur Hochzeit bekamen, tickt. Im Aquarium schwimmen kleine Fische. Auf einem Teller lockt duftendes Gebäck.
taz am wochenende: Frau Gigl, wann haben Sie zum ersten Mal davon gehört, dass es katholische Priesterinnen gibt?
Judith Gigl: Im Jahr 2002, im Fernsehen. Die Tagesschau berichtete damals, dass sieben Frauen auf einem Schiff auf der Donau geweiht wurden.
Eine davon war Christine Mayr-Lumetzberger, die Bischöfin, die Sie später selbst zur Priesterin weihte. Wie kam es 2002 zu dieser Aktion?
Lange Zeit konnte nur Theologie studieren, wer Priester werden wollte. Dann beschloss das zweite Vatikanische Konzil, auch Menschen, die nicht Priester werden, zuzulassen. Dadurch durften von nun an auch Frauen Theologie studieren. Ab 1900 fing man außerdem an, die Bibel kritisch zu hinterfragen, es entwickelte sich ein Zweig der feministischen Theologie: Würde in der Bibel stehen, dass jeder katholische Mensch Priester werden könnte und nicht jeder katholische Mann, wäre das Thema bereits gegessen.
Aber?
Johannes Paul II. erteilte ein Redeverbot. Jeder, der offiziell darüber spricht, dass Frauen zu Priesterinnen geweiht werden können und im kirchlichen Dienst ist, muss seitdem mit Konsequenzen rechnen. 2002 beschlossen dann sieben Frauen, den Weg des zivilen Ungehorsams zu gehen, damit sich etwas bewegt.
Waren diese Frauen die Ersten?
Nein. In der tschechoslowakischen Untergrundkirche wurden schon heimlich Frauen geweiht. Sogar während des zweiten vatikanischen Konzils soll Bischof Dom Hélder Câmara eine Ordensschwester zur Diakonin geweiht haben, weil er sich sicher war, dass Frauenweihen sowieso bald möglich sein würden.
Haben Sie sich in dem Moment vor der Tagesschau sogleich angesprochen gefühlt?
Ja, ich dachte, das wär’s. Das wär’s. Aber es war halt lange unvorstellbar in dem katholischen Milieu, in dem ich mich bewegt habe. Ich war mitten in der Ausbildung. Ich wusste, sobald ich mich auf so etwas einlassen würde, könnte ich mein Theologiestudium vergessen. Nach dem Entzug meiner Studienerlaubnis setzte ich mich dann aber mit den Priesterinnen in Kontakt. Die Bischöfin Christine sagte, das Theologiestudium sei nicht das Wichtige, sondern das Pädagogische, was ich ja als Erzieherin mitbrachte. Per Internet machte ich mit ihr die Ausbildung, lernte, wie man eine Taufe oder Hochzeit hält. Und dann ging es um Weihen oder nicht. Ich sagte: vielleicht.
Wieso die Zweifel?
Ich brauchte Zeit, um zu verstehen, dass es keine „Sünde“ ist, als Frau geweiht zu werden. Diese Falschinformationen, dass Frauen nicht geweiht werden können, dass Frauen anders sind; das saß noch tief in mir fest. Doch es gab immer wieder „Zufälle“, die mir klarmachten, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Auf dem Weg zur Diakoninnen-Weihe stieg zum Beispiel ein Vater mit seinen Kindern in den Zug. Kaum war die Tür zu, rollte er ein Leinentuch auf dem Boden aus und schrieb mit Edding: „Für Priesterinnen in der römisch-katholischen Kirche“. Er fuhr auf eine Demo für Priesterinnen in der katholischen Kirche. Das war schon creepy.
Dann waren Sie sich sicher?
Nö. Ich immer noch nicht. Aber mein Mann war sich sicher. Dann war die Weihe. Die hat spirituell etwas bewirkt, da war schon etwas spürbar.
Was empfindet man in so einem Moment?
Heilige Ehrfurcht. Gänsehaut. Das war schon was Besonderes. Ein Jahr später folgte die Priesterinnenweihe. Das war auch eine sehr schöne Feier. Es waren vor allem viele Frauen da. Wobei ich es schade fand, es nicht öffentlich machen zu können, weil dann ganz viele, die im kirchlichen Dienst sind, nicht hätten kommen dürfen.
Gab es weitere Schwierigkeiten?
Nein – weil wir die Feier nicht offiziell angekündigt haben.
Und Konsequenzen?
Leute laufen an mir vorbei und können mich leider nicht grüßen, weil ich Luft für sie bin.
Die ersten geweihten Priesterinnen wurden offiziell vom Vatikan exkommuniziert. Sie auch?
Nicht persönlich, aber es gelten alle automatisch als exkommuniziert, die von exkommunizierten Bischöfinnen geweiht sind. Da wird nicht jede einzeln exkommuniziert, es wird einfach nicht anerkannt. Wenn ich jetzt in einem katholischen Kindergarten oder kirchlichen Dienst anfangen wollte, würde ich keine Stelle kriegen. Und es bedeutet auch, dass ich nicht kirchlich beerdigt werde. Aber ob das jetzt wirklich noch eine Strafe ist? Rom hat auf jeden Fall ganz klar gesagt, dass Frauen nicht weihbar sind. Die Weihe laufe an Frauen runter wie an einem Öltuch. Gott könne keine Frau weihen, weil sie eine Frau ist. Vorher könnte man einen Goldfisch oder einen Außerirdischen weihen.
Fühlen Sie sich dennoch als Priesterin ernst genommen?
Von sehr vielen Menschen sehr ernst. Auch von Priestern. Ich hatte schon sehr sachliche Gespräche mit Priestern, die Priesterinnen sehr kritisch gegenüberstehen. Am Ende meinten viele, dass sie glauben, dass Gott durch mich wirkt. Sie wollten für mich beten und hofften, dass sich etwas ändert. Aber natürlich wird so was nie öffentlich gesagt. Ich habe aber auch Anfeindungen erlebt, keine Frage.
Sie sind katholisch aufgewachsen?
Mein Vater und meine Mutter sind beide katholisch, nie nicht-religiös, aber zeitweise kirchendistanziert. Es gab aber Schwester Ulrika. Sie hat dafür gesorgt, dass ich vom evangelischen in den katholischen Kindergarten kam, weil sie meinen Eltern klargemacht hat, wir würden sonst alle im Fegefeuer schmoren. Ein katholisches Kind gehöre in den katholischen Kindergarten.
Ging es dann nach dem Kindergarten katholisch weiter?
Bei der Erstkommunion traf es uns Kinder wieder. Abends vor dem Schlafengehen mussten wir auf den Knien ein Gesätz des Rosenkranzes beten, weil Schwester Ulrika das gesagt hatte. Nach der Erstkommunion war das dann wieder gegessen. Meine Brüder wurden dann Ministranten und ich sang im Kinderchor. Meine Eltern gingen nicht mit in die Kirche, sondern haben den kinderfreien Sonntagmorgen genossen. Wir haben unsere Eltern also selten in der Kirche erlebt, höchstens an Heiligabend oder Ostern. Mein Vater hatte immer Tränen in den Augen, wenn wir „Stille Nacht, heilige Nacht“ gesungen haben.
Sie waren Ministrantin – aber Mädchen war doch bis 1991 das Ministrieren verboten?
In der eigenen Pfarrei durfte ich nicht. Aber in der Nachbarpfarrei durften schon Mädchen ministrieren – erst ab 12 Jahren, weil der Pfarrer meinte, Mädchen sind so fleißig und ordentlich. Wenn er die schon im gleichen Alter wie die Jungs ran ließe, verlören die Jungs den Spaß. Ich habe meinen Vater gefragt, ob ich ministrieren dürfe und der fragte: „Erlaubt es der Papst?“ Da sagte ich: „Nein.“ Und er sagte: „Dann mach es.“ So wurde ich Vollblutministrantin.
Haben Sie sich als Mädchen anders behandelt gefühlt als die Jungs?
Nö, dort nicht. Der Pfarrer war zwar damals noch der Meinung, dass nur Jungs Weihrauch machen und den Bischofsstab halten dürfen. Die Oberministrantin war aber eine richtige Feministin und hat gesagt: „Nee, gleichberechtigt! Ein Junge Weihrauch, ein Mädchen Bischofsstab.“ Ich hätte da nie Wert darauf gelegt, aber so war es für mich normal. Schwester Ulrika hat mich dann ministrieren sehen. Für sie war das eine Sünde. Mädchen hätten am Altar nichts zu suchen. Zum Putzen vielleicht oder als Ordensschwester.
Weil Mädchen unrein seien.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Kirche St. Peter und Paul, Hauptstraße in Singen (Hohentwiel)…