Beförderungen der Polizei
Erstellt von DL-Redaktion am Sonntag 26. März 2023
Keine Chance gegen Wunschkandidaten
Die Erfüllung meiner Wünsche lassen mir FDlügel wachsen
Von Johanna Henkel-Waidhofe
Die Beförderung von Beamt:innen ist so wichtig für das Funktionieren des deutschen Staatswesens, dass die Regeln dafür Eingang ins Grundgesetz fanden: Nach „Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung“ muss entschieden werden. In Baden-Württemberg geht’s auch anders, sogar an der Spitze der Polizei.
Eine Hoffnung musste die CDU schon begraben. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss mit dem sperrigen Titel „Handeln des Innenministers und des Innenministeriums im Fall des Verdachts der sexuellen Belästigung gegen den Inspekteur der Polizei und Beurteilungs-, Beförderungs- und Stellenbesetzungsverfahren“ konnte seine Arbeit nicht im Schnelldurchlauf bis spätestens Ende Februar beenden. Im Gegenteil: Nur eine Handvoll der insgesamt fast 50 Zeug:innen ist bisher gehört worden. Nach heutigem Stand wird bis tief ins nächste Jahr getagt werden.
Die zweite, noch größere Hoffnung handelt davon, dass Thomas Strobl, Vize-Regierungschef und Landesvorsitzender der Union, doch mit einem dezent blauen Auge davonkommen möge. Hier stehen die Aussichten so schlecht nicht. Viele Details des Falls sind kompliziert und kleinteilig, gravierende Verfehlungen und Missstände dringen einfach nicht so recht durch bis zum Publikum. Und: Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält seine schützende Hand weiterhin über seinen schwarzen Stellvertreter. „Die Maßstäbe sind einfach verrutscht“, klagt Sascha Binder, Vize in der SPD-Landtagsfraktion und Obmann im Ausschuss. Baden-Württemberg habe einen Innenminister, der sich „praktisch alles leisten kann“. Nach den Kriterien früherer Jahre hätte er „längst zurücktreten oder der Ministerpräsident hätte ihn entlassen müssen“.
Längst geht es nicht mehr nur um den Auslöser der ganzen Affäre: Gegen den Inspekteur der Polizei (IdP), Andreas Renner, war ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden wegen des Verdachts sexueller Übergriffe, und sein oberster Dienstherr Strobl gab einen Brief von Renners Anwalt weiter an den Journalisten Franz Feyder von den „Stuttgarter Nachrichten“. Inzwischen musste der Innenminister deshalb eine saftige Zahlung über 15.000 Euro berappen. Obendrein, eine jener filigranen und zugleich – nach früheren Kriterien – rücktrittsauslösenden Erkenntnisse, hatte der Innenminister der ermittelnden Justiz monatelang verschwiegen: nämlich dass er selber den Brief durchgestochen hatte, also wissentlich ins Leere ermitteln ließ.
Noch schwerer wiegen die Umstände von Renners Beförderung. Zeugenaussagen vor dem Ausschuss ergaben, dass Strobl wenige Monaten vor der Berufung zu Baden-Württembergs ranghöchstem Polizisten nicht nur den smarten Aufsteiger zu seiner „Zielvorstellung“ erklärt hatte, wie einer der Spitzenbeamten vor dem Ausschuss formulierte. Er verlangte sogar zugunsten seines Favoriten eine „rechtskonforme Besetzung“, was logischerweise überhaupt nur dann erwähnenswert ist, wenn daran Zweifel bestehen könnten. Der Gipfel ist, wie allen Mitbewerber:innen, unter anderem von Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz persönlich, per Telefon die Präferenz des Ministers und die Aussichtslosigkeit der eigenen Bewerbung mitgeteilt wurde.
Eine Turbo-Karriere von Strobls Gnaden
„Auf Biegen und Brechen“, kritisiert Binder, habe die „beispiellose Turbo-Beförderung an der Spitze der Landespolizei“ möglich sein müssen. Von der im Grundgesetz verlangten Bestenauslese könne überhaupt keine Rede sein, denn eine „Clique von Entscheidungsträgern“ sei „vorbei an Recht und Gesetz“ vorgegangen, habe die Auswahl getroffen, und versuche, diese im Nachhinein als rechtmäßig hinzustellen. Es gebe sehr strenge Regeln für den Aufstieg, sagt auch die FDP-Obfrau Julia Goll, aber die seien außer Kraft gewesen.
Wunschbeförderungen rechtskonform zu organisieren, ist kompliziert, weil das System die ja eigentlich ausschließen will. Artikel 33, Absatz 2 beschreibt das Prinzip der Bestenauslese: „Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.“ Dieser Anspruch könne mit Hilfe der Verwaltungsgerichte durchgesetzt werden, heißt es in einem der vielen Kommentare. Dabei gehe es nicht um einen „Anspruch auf Beförderung, sondern um einen Abwehranspruch gegen die Beförderung eines weniger geeigneten Mitbewerbers“. Ziel einer Klage sei die Feststellung, „dass der ausgeschriebene Dienstposten nicht mit dem Konkurrenten besetzt und das Auswahlverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts wiederholt wird“.
All dem war die Führung des Ministerium aus dem Weg gegangen, so dass Renner, gemäß dem Wunsch des Chefs, als einziger Kandidat für den Spitzenposten übrig blieb. Zum 1. November 2020 trat er sein Amt an, weil er, so Strobl bei Übergabe der Ernennungsurkunde, „genau das richtige Format“ dafür habe. Ob er es damals schon hätte besser wissen müssen, kann erst in künftigen Zeugenvernehmungen geklärt werden.
Sekt zum Feierabend. Auch für die Chefin
Dass seltsame Sitten herrschten, ist bereits offenbar. Im Innenministerium gab’s unter Beamt:innen schon mal Feierabendbier, wie der frühere Amtschef Julian Würtenberger bestätigt. Von den Runden hat er gehört, dabei war er nie, abgestellt hat er die Gepflogenheit aber nicht. Dabei kamen sogar Gäste von außen, darunter der CDU-Landtagsabgeordnete und Strippenzieher Siegfried Lorek, selber früher Polizist, heute Staatssekretär im Justizministerium. Und Renner ging ohnehin deutlich weiter, denn in seinem Büro wurde Sekt ausgeschenkt, wenn Mitarbeiter:innen-Gespräche fließend ins außerdienstliche Beisammensein übergingen. Auch an jenem 12. November 2021, an dem sich der Vorfall der sexuellen Belästigung einer Untergebenen ereignet haben soll.
Grün ist hier aber nur der Wald im Hintergrund.
Die Polizistin hatte sich schon einmal höher qualifizieren wollen, war aber gescheitert. Ob und wieso überhaupt ausgerechnet der IdP der Richtige sein soll, um eine Vorbereitung für einen Neuanlauf in seine Hände zu nehmen, müssen künftige Zeugenvernehmungen klären. Immerhin war er maßgeblich für Beförderungen zuständig. Bekannt ist aber der konkrete Ablauf dieses Spätnachmittags und Abends. Denn Landespolizeipräsidentin Hinz kam nach Ende des offiziellen Teils des Gesprächs in das Büro, ist wieder gegangen, dann doch wiedergekommen, eine Dreiviertelstunde geblieben, und sie habe ein Glas Sekt getrunken: „Vor dem Hintergrund der wirklich weitreichenden Folgen für die Mitarbeiterin habe ich diesen Abend und das, was da passiert ist, sehr oft hinterfragt.“
Quelle : KONTEXT: Wochenzeitung-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Serie: Regionalkonferenz der CDU Baden-Württemberg am 21. November 2014 in Appenweier zur Vorstellung der Bewerber für die Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl 2016 Bild: Thomas Strobl