Bedingt Erfolg versprechend
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 7. Juli 2022
Eine Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes
Von Thomas Ruttig
Bei der Aufarbeitung des Einsatzes in Afghanistan sind Auftraggeber und Untersuchungsobjekt identisch. Es sind die Ampelparteien und die Union.
Eine Untersuchung der deutschen Beteiligung am Afghanistan-Einsatz könne „das gemeinsame Credo“ bekräftigen, dass „dieser Einsatz nicht vergebens“ gewesen sei. Das sagte Annalena Baerbock am 28. Juni bei einer Konferenz der afghanischen Diaspora in Berlin. Der FDP-Abgeordnete Alexander Müller erklärte bei der ersten Debatte zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses (UA) und einer Enquetekommission zum Thema Afghanistan im Bundestag am 23. Juni:
„Wir haben einer ganzen Generation von Afghaninnen und Afghanen ermöglicht, Bildung, Demokratie und Freiheit zu erleben.“ Was beide verschweigen: Deutsche Politik trug auch dazu bei, dass es am 15. August 2022, als die Taliban wieder die Macht in Afghanistan übernahmen, mit diesen Freiheiten wieder vorbei war.
Problematisch an beiden Äußerungen ist, dass sie bereits ein Ergebnis präjudizieren. Eine unvoreingenommene Aufarbeitung des Einsatzes ist damit von vornherein eingeschränkt. Baerbock und Müller spiegeln die Hoffnung einer sehr breiten Mehrheit im Bundestag: Die Parteien der Ampelkoalition und der nun oppositionellen CDU/CSU haben diesen Einsatz in unterschiedlicher Regierungszusammensetzung über den Zeitraum von 2001 bis 2021 getragen und immer wieder schöngeredet.
Zu Beginn des Einsatzes regierte Rot-Grün, gefolgt von der Großen Koalition, unterbrochen von Schwarz-Gelb, und aktuell die Ampel. Nun leiten sie gemeinsam die parlamentarische Aufarbeitung ein. Dabei wurden die Arbeitsaufträge für beide Gremien geschickt beschnitten. Laut SPDler Ralf Stegner soll der von ihm zu leitende Untersuchungsausschuss herausfinden, „warum diese Mission am Ende so gescheitert“ und insbesondere die Evakuierung der gefährdeten afghanischen Ortskräfte „in die Hose gegangen ist“.
Er behandelt also nur die letzte, zwar dramatische Phase des Einsatzes, als das Kind schon lange im Brunnen lag. Immerhin soll er unter anderem klären, inwieweit die Bundesregierung auf ein Friedensabkommen vor dem Abzug gedrungen hat – dessen Nichtzustandekommen letztlich zur ungehinderten Machtübernahme der Taliban führte. Deutschland steuerte mit dem sogenannten innerafghanischen Dialog in Katar nur das Beiprogramm zu den US-Verhandlungen mit den Taliban bei, ohne eigene Akzente zu setzen.
Enquetekommission politisch bedeutender
Trotzdem und trotz der brisanten und offenen Frage der Evakuierung der afghanischen Ortskräfte ist der Ausschuss unterm Strich politisch weniger bedeutsam als die Enquetekommission. Die nämlich soll den Gesamteinsatz unter die Lupe nehmen, also auch die Weichenstellungen deutscher Regierungen gerade in den Anfangsjahren, die zum endgültigen Scheitern des Einsatzes beitrugen.
War nicht das Scheitern einer solchen saudummen Politik unausweichlich? Welch ein Jammer – wäre es anders gekommen !
Immerhin konnten Bemühungen abgeschmettert werden, wohl aus dem Auswärtigen Amt, den Untersuchungszeitraum auf die Jahre ab 2013 zu begrenzen, als die Nato bereits den Truppenabzug beschlossen und damit die Mission de facto aufgegeben hatte. Allerdings darf die Kommission im Gegensatz zum Untersuchungsausschuss keine Zeugen vorladen und nicht die Herausgabe von Regierungsdokumenten verlangen.
Hier gilt es, genau darauf zu achten, wo sie ihre inhaltlichen Schwerpunkte setzen wird und wie die Bundesministerien kooperieren. Die Liste der offenen Fragen ist zu lang für diesen Kommentar, deshalb hier nur eine Auswahl: Inwieweit trug die finanzielle und personelle Bevorzugung der Bundeswehr zum Scheitern des zivilen Wiederaufbaus und damit zum Zusammenbruch der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Strukturen im August 2021 bei?
Warum setzte man sich nicht deutlich und im EU-Rahmen von der Militär-first-Strategie der USA ab? Warum blieb die Parteien- und Parlamentsförderung so begrenzt? Warum entschied sich die Bundesregierung bei der Nato-Truppenstationierung über Kabul hinaus Ende 2003 für Kundus und nicht den Südosten, traditionell Schwerpunkt westdeutscher Entwicklungsarbeit?
Unendlich viele Fragen
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — KABUL (Tasnim) – Menschen in Afghanistan, insbesondere in der Hauptstadt Kabul, erleben ein Leben unter der Taliban-Regierung