DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Austria – Hart im Nehmen

Erstellt von Redaktion am Dienstag 6. August 2019

Österreich nach der Ibiza-Affaire

Demonstration auf dem Wiener Ballhausplatz am 18. Mai, auf der nach Bekanntwerden der Affäre der Rücktritt der Regierung gefordert wurde[41]

Von Doris Knecht

Ibiza-Affäre, Schreddern von Festplatten aus dem Bundeskanzleramt –  zwei Monate vor der Neuwahl in Österreich zieht die Schriftstellerin Doris Knecht eine ernüchternde Bilanz: Die Politik wird nicht abgestraft.

Dieses Österreich. Berge, Seen, das kitschig-schöne Walzer-Wien und politische Skandale mit so dummen Drehbüchern, dass sie in Hollywood eher wenig Chancen hätten. Zuerst ein Video, in dem ein FPÖ-Vizekanzler gemeinsam mit einem anderen FPÖ-Politiker auf Ibiza ein Land und seine größte Zeitung an eine falsche russische Oli­garchin verscherbeln wollen: als Drehbuchplot reichlich überspitzt. Doch bevor wir uns davon erholt haben, dass es sich dabei um ungefälschte österreichische Politrealität handelt, bekommt die Geschichte einen Spin-off: Ein weiterer politischer Skandal fliegt deshalb auf, weil eine Rechnung über 76,45 Euro nicht beglichen wurde.

Aussteller der Rechnung: eine Akten- und Datenträgervernichtungsfirma namens Reisswolf (ja, wirklich). Die erstattete nach mehreren erfolglosen Mahnungen Anzeige wegen Betrug. Die Wiener Stadtzeitung Falter veröffentlichte am 23. Juli ein Video – und den Krimi um den Social-Media-Beauftragten des ehemaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP), der fünf Festplatten unter falschem Namen fünf Tage nach der Ibiza-Affäre im Mai vernichten ließ. Was sie enthielten, weiß man nicht. Ein Zusammenhang wird, wenngleich von ÖVP und Kurz entschieden dementiert, nicht ausgeschlossen. Die „Soko Ibizia“ nahm Ermittlungen auf.

Am Tag vor dem Tag des Ibiza-Videos war ich in Wien auf der Donnerstagsdemo; wie an fast jedem Donnerstag seit der türkis-blauen Regierung, gemeinsam mit ein paar Freundinnen und Freunden. Es war uns fast eine Art Stammtisch geworden. Wenn wir nicht verhindert waren, trafen wir uns donnerstags bei der Demo, in der Nähe des Schildes mit der Aufschrift ­„Kexit“, das immer von einem großen, langhaarigen Mann getragen wurde. Wir trafen uns bei Kälte, Regen und Schnee. Wir gingen mit, vorne, in der Nähe des Wagens, von dem DJ-Musik schepperte, die Stimmung war immer entspannt und fröhlich, nie aggressiv. Wir wollten vor allem Präsenz zeigen gegen diese Regierung und ihre Politik, um das Gefühl zu haben, irgendetwas zu tun, wenn auch nur gegen unsere eigene Hilflosigkeit. Hauptsache, man zeigte Präsenz, man zählte. Zahlen sind wichtig bei Demos.

Am Tag vor dem Tag, an dem die Regierung zerbröselte, war die Zahl klein, wir waren vielleicht zwei-, dreitausend. Ich traf kaum Bekannte, nur einen Journalistenkollegen, mit dem ich mich darüber unterhielt, wie wenige Medien- und Kulturmenschen mit demons­trier­ten. Wir sagten, das müssten zehnmal so viele Leute sein, wie wir es den ganzen kalten Winter über gesagt hatten. Und: „Wart ab, im Frühling werden wir viel mehr sein.“ Aber nun war es warm, die Regierung rückte das Land Woche für Woche weiter nach rechts, schränkte ungeniert die Rechte und Freiheiten von Frauen, Minderheiten, Asylwerbern, Armen und der Kultur ein – und trotzdem wurden wir immer weniger.

Das Ende der Kurz-Ära

Auf dem Wagen brüllte ein junger Mann in die Musik hi­nein Parolen, mit denen ich wenig anfangen konnte. Ich verließ den Demonstrationszug früher als sonst, hatte kein gutes Gefühl, nicht für den Widerstand, nicht für das Land. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Resignation je so groß war, und ich schreibe schon seit dreißig Jahren über Österreich. Am nächsten Tag kam dieses Video an die Öffentlichkeit. Und als bei der Donnerstagsdemo zwei Wochen später die Vengaboys „Going to Ibiza“ direkt vor dem Kanzleramt live spielten, bejubelten 20.000 Leute das Ende der Regierung. Das Ende einer Koalition der ÖVP mit der Freiheitlichen, deren Innenminister Herbert Kickl noch in seinen letzten Stunden, als die Abwahl schon fix war, eine Verordnung erließ, die den Stundenlohn von Asylwerber*innen für gemeinnützige Tätigkeiten auf menschenverachtende 1,50 Euro senkte.

Matthias Laurenz Gräff - "Liebende Eltern".jpg

In den Tagen zuvor war auch aus der Linken Kritik am Entschluss der SPÖ laut geworden, die Ära Kurz mit einem Misstrauensantrag zu beenden: Das sei verantwortungsloser Revanchismus und destabilisiere das Land. Eine merkwürdige Kritik in einer Situation, in der Sebastian Kurz das Land gegen alle Warnungen und aus Machtkalkül einer gefährlichen rechten Truppe ausgeliefert hatte. Denn die Gründe für den Misstrauensantrag liegen auf der Hand: Man konnte Kurz nicht als Kanzler in den Wahlkampf schicken, als der er nicht zuletzt das EU-Parkett und die Kür der neuen Kommission dazu nutzen würde, den Staatsmann zu tanzen, um so die Kratzer wegzupolieren, die das peinliche Scheitern der ÖVP-FPÖ-Koalition auf seinem Harnisch hinterlassen hatte. Wie angebracht das Misstrauen ist, hat die ÖVP auch angesichts der Schredder-Affäre (Operation Reisswolf!) gerade wieder bewiesen

Das Aufatmen über das Ende dieser Regierung war sogar in Teilen der ÖVP spürbar, die den Kurz-Kurs, ähnlich wie die US-Republikaner, nur gegen innere Widerstände mitgetragen hatten. Viele Entscheidungen, die die Regierung während ihrer Amtszeit traf, wurden unmittelbar nach ihrem Ende von einem Parlament rückgängig gemacht, das nun freie Mehrheiten abseits von Regierungsvereinbarungen bilden konnte.

Quelle        :          TAZ       >>>>>          weiterlesen

———————————————————————-

Grafikquellen      :

Oben           —        Demonstration auf dem Wiener Ballhausplatz am 18. Mai, auf der nach Bekanntwerden der Affäre der Rücktritt der Regierung gefordert wurde[41]

—————————-

Unten        —      Matthias Laurenz Gräff, „Liebende Eltern“, oil on canvas, 100x80cm, 2018. Das Gemälde symbolisiert die Kopftuchdebatte die seitens der österreichischen Bundesregierung geführt wird, und zeigt hierbei Kanzler Sebastian Kurz mit Vizekanzler Heinz-Christian Strache die beide ein vehementes Burkaverbot einfordern. In der Mitte befindet sich ein sitzendes Kleinkind muslimischen Glaubens, dem die beiden Staatsmänner dessen Burka gewaltsam abziehen. Als Liebende Eltern halten sie aber erbauliche und erzieherische Maßnahmen in Form des christlichen Kreuzes und einem Deutsch-Wörterbuch in den Händen. Dieses Gemälde ist weder als pro noch als kontra zu diesem Thema zu sehen, es zeigt vielmehr die aktuelle innerpolitische Debatte auf.

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>