DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Aus Wirtschaft und Umwelt

Erstellt von Redaktion am Sonntag 18. Juli 2021

Der Quatsch mit dem Querschnitt

Noch ein Ministerium für die Armee der ahnungslosen Politiker-Innen ? Mittels  Masse erreicht niemand eine Klasse !

Von Svenja Bergt

Ein Bundesministerium für digitale Transformation muss her. Der Ansatz, dass beim Internet alle mitdenken, ist illusorisch.

Als Alexander Dobrindt, erster Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2013 sein Amt antrat, wurde er gerne vorgestellt als Mann für die Netze. Gemeint war: das Straßen- und das Schienennetz und – haha, das Internet. Letzteres wurde meist intoniert wie ein joviales Sich-gegenseitig-auf-die-Schuler-Klopfen: Seht her, was sind wir fortschrittlich. Wir haben jetzt ein Ministerium, das sich ganz offiziell ums Internet kümmert – und das zum damaligen Zeitpunkt nur rund 20 Jahre nach dem Start des WWW, also des immer noch Standards setzenden Konzepts dessen, was wir heute als Internet verstehen, mit Webseiten und Links.

Dass sich das erste Andocken der Digitalisierung auf Bundesministeriumsebene ausgerechnet des Segments Infrastruktur annahm, ist sicher kein Zufall, sondern Symptom dessen, wie das Internet gerade in den tonangebenden konservativen Po­li­ti­ke­r:in­nen­krei­sen – abgesehen natürlich von einem phänomenalen Überwachungsinstrument – immer noch verstanden wird: Als eine technische Infrastruktur, die man mit ein paar Pilotprojekten hier und ein bisschen Förderung da zumindest so weit in den Griff kriegen kann, dass es am Ende der Legislatur für etwas Eigenlob reicht. Und klar, Netzinfrastruktur ist wichtig. Aber das Internet hört doch nicht da auf, wo es zu Hause aus dem Router oder unterwegs aus der SIM-Karte kommt. Im Gegenteil: Es fängt da gerade erst an.

In der Politik ist in solchen Fällen dann gerne von Querschnittsressorts die Rede. Themen quasi, die alle mitdenken sollen, weshalb es kein eigenes Ministerium dafür brauche. Und auf den ersten Blick mag das schlüssig klingen: Digitalisierung – ist das nicht alles? Ist das nicht genauso Verbraucherschutz wie Agrar, nicht genauso Bildung wie Verkehr, Energie wie Gesundheit? Geht es nicht um Tracking im Internet genauso wie um vernetzte Landmaschinen, um digitalen Unterricht ebenso wie um selbstfahrende Autos, um Smart Meter für die Energieversorgung wie um die elektronische Patientenakte?

Klar. Tatsächlich betrifft die Digitalisierung sämtliche Lebensbereiche und damit auch sämtliche politischen Ressorts. Und dann schließt sich leider ein Denkfehler an. Nämlich dass, was alle mitbetrifft, auch schon mitgedacht würde. Dass mitdenken mitunter das Gegenteil von daran denken ist, weiß, wer sich zum Beispiel schon mal mit Inklusion oder Genderthemen befasst hat. Und auch bei der Digitalisierung ist offensichtlich: Das kann nur schief gehen. Denn allein ein Ressortzuschnitt wie Verkehr birgt mehr Binnenkonflikte, als sich harmonisch lösen lassen. Wer oder was soll denn nun Priorität haben: Lkws oder Schienengüterverkehr? Wege für Autos oder für Radfahrende? Klimaschutz oder individuelle Freiheit? Interessen der Industrie oder Belange des Naturschutzes? Wie sollen es da erst sämtliche Ministerien schaffen, eine digitale Transformation „mit“zudenken? Und das daraus Entstehende dann auch noch einigermaßen elegant untereinander in Balance zu bringen?

Genau, sie schaffen es nicht. Wozu das führt, ist bekannt: Schulen und Universitäten, die technisch derart unterirdisch ausgestattet sind, dass nach über einem Jahr Pandemie guter digitaler Unterricht immer noch eher die Ausnahme als die Regel ist. Regionen, in denen es eine halbe Stunde dauert, eine E-Mail mit Anhang zu verschicken, von der Teilnahme an einer Videokonferenz müssen wir gar nicht erst sprechen. Behörden und Verwaltungen, die lieber auf Microsoft-Produkte setzen als auf schlanke Open-Source-Lösungen im Sinne von digitaler Souveränität. Ein Wirtschaftsminister, der mit Gaia X eine europäische Cloud-Lösung promotet, gar einen europäischen „Moonshot“ verspricht, eine Alternative zu Cloud-Anbietern wie Google und Amazon. Die dann aber später doch mit ins Boot dürfen. Als wäre es undenkbar, dass auch ohne die US-amerikanischen Anbieter etwas Brauchbares herauskommt.

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Selbst die versammelte politische Clownerie an seiner Seite haben weder der Bahn noch den Straßen Fortschritte gebracht.

Das Problem hat einen gemeinsamen Nenner: Es fehlt ganz offensichtlich jemand, der: ­die ausreichend Kompetenzen, Wissen und Durchsetzungsfähigkeit hat, um ein tragfähiges Fundament für einen immer weitergehenden gesellschaftlichen Transformationsprozess zu schaffen. Und deshalb braucht es nach der Bundestagswahl dringend ein eigenes Digitalministerium oder, noch besser: ein Ministerium für digitale Transformation. Man kann den Unterschied in der Wortwahl – Digitalisierung versus digitale Transformation – erbsenzählerisch finden, er weist aber auf einen zentralen Unterschied hin: Digitalisierung ist ein Prozess, etwas, das passiert und dem man sich – mehr oder weniger enthusiastisch und erfolgreich – stellt. Zur bewussten und gewollten Gestaltung einer digitalen Transformation hingegen gehören Ideen, Konzepte, Budgets, Beteiligungsverfahren, Initiativen, Gesetze, globale Vereinbarungen und noch viel mehr, das nicht nur reaktiv gedacht wird, sondern aktiv und nach vorne. Es geht also nicht darum, Digitalisierung bedingungslos gut zu finden, à la FDP „Digital first, Bedenken second“. Es geht auch nicht darum, Digitalisierungsprozesse, die ohnehin stattfinden und stattfinden werden, ein bisschen zu begleiten, vielleicht hier und da abzufedern oder mal etwas rumzulenken. Es geht um aktive Gestaltung. Und ja, auch darum, ungemütlich zu werden, das muss ein:e Fi­nanz­mi­nis­te­r:in schließlich auch.

Um nur ein paar Beispiele zu nennen, die über die notwendige Lösung der bereits genannten Missstände hinausgehen: Wie kann eine digitale Transformation dazu beitragen, uns als Gesellschaft einen großen Schritt weiter in Richtung Nachhaltigkeit zu bringen? Wie kriegen wir die Beschaffung der öffentlichen Hand mit ihren Millionen von Geräten grün? Welche Anreize können wir setzen für eine Programmierkultur, die schlanken, energiesparenden Code schreibt? Wie schaffen wir es, den zahlreichen Rebound-Effekten, die auf allen Ebenen entstehen und noch entstehen werden, entgegen zu wirken? Wie lassen sich alle nötigen und gewollten Prozesse bewusst inklusiv gestalten? Welche Facetten hat die digitale Kluft in der hiesigen und in der globalen Bevölkerung? Und wie erreichen wir gerade hier digitale Suffizienz, um auch bei globaler digitaler Teilhabe diesem Planeten nicht noch mehr zuzumuten? Vielleicht traut sich ja ein:e Mi­nis­te­r:in für digitale Transformation sogar an die Postwachstums-Idee heran – die aktuelle digital-industrielle Revolution wäre in dieser Hinsicht eine Chance, die es so schnell nicht wieder geben wird.

Quelle      :        TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   Die digitale Gesellschaft in Deutschland und ihre Nutzertypen: 63 % Digital wenig Erreichte und 37 % Digital Souveräne

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Unten      ––       1. Spatenstich zur 2.-S-Bahn-Stammstrecke in München, Richard Lutz, CEO der Deutschen Bahn AG, Alexander Dobrindt, Bundesverkehrsminister, Horst Seehofer, Bayerischer Ministerpräsident, Dieter Reiter, Münchner Oberbürgermeister, Ronald Pofalla, Infrastruktur-Vorstand der Deutschen Bahn AG, Joachim Herrmann, Bayerischer Staatsminister für Inneres und Verkehr.

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