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Aus den Berliner Exil

Erstellt von Redaktion am Sonntag 25. Juli 2021

„Im Krankenwagen dachte ich plötzlich: Ich bin in der Türkei“

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Von Erk Acarer

Der türkische Journalist Erk Acarer, der in Berlin im Exil lebt und auch für die taz gearbeitet hat, wurde in seinem Wohnhaus überfallen und bedroht. Er vermutet dahinter den langen Arm Erdoğans – und lässt sich nicht mundtot machen.

Es sind jetzt zwei Wochen vergangen, seit ich im Innenhof meines Berliner Wohnhauses überfallen und tätlich angegriffen wurde. Dabei schrien die Täter mich auf Türkisch an: Ich solle nicht mehr schreiben, denn bald werde ich sowieso nichts mehr schreiben können.

Meine Reaktion auf diesen Angriff: Ich recherchiere und schreibe noch mehr als zuvor.

Seit Jahren ist die türkische Regierung mit Vorwürfen konfrontiert, die von Korruption, Drogenhandel und paramilitärischen Aktivitäten im In- und Ausland bis zur Unterstützung dschihadistischer Gruppen reichen. Nun sorgt der Mafiaboss Sedat Peker dafür, dass diese Vorwürfe nicht mehr als Gerüchte abgetan werden können.

Nachdem Peker mit seinen langjährigen Partnern innerhalb der türkischen Regierung gebrochen hatte, verließ er die Türkei und sendete Youtube-Videos, in denen er auspackt, was er über kriminelle Machenschaften innerhalb der Regierung und rund um die Regierung weiß. Unter anderem geht es um illegale Waffenlieferungen und Drogenschmuggel aus Venezuela, häufig sollen Kinder hochrangiger AKP-Mitglieder darin verwickelt sein.

Peker spricht als ein unmittelbarer Kronzeuge, der über Jahre hinweg ein wichtiger Weggefährte der Erdoğan-Regierung war, und kann seine Aussagen mit Dokumenten bekräftigen. Seine Aussagen haben ein riesiges Echo, und viele Wäh­le­r*in­nen glauben seinen Aussagen. Der Regierung passt es natürlich überhaupt nicht in den Kram, dass Peker die schmutzige Wäsche hervorkramt. In der Bevölkerung wächst die Kritik an der Regierung ohnehin schon gefährlich rapide, und die wohlwollende Zustimmung nimmt sichtbar ab.

Die Konsequenz daraus sind verschärfte Repressionsmaßnahmen gegen Medienschaffende, die den Spuren nachrecherieren, die Peker gelegt hat. Dabei werden einzelne Jour­na­lis­t*in­nen gezielt für vogelfrei erklärt. Ich gehe davon aus, dass auch der Angriff auf meine Person den gleichen Hintergrund hat: die Furcht vor dem Auffliegen schmutziger Geheimnisse und der Wunsch, kritische Jour­na­lis­t*in­nen mundtot zu machen. Ich bin mir sicher, dass ich aus politischen Gründen angegriffen wurde, dass es sich um einen politischen Angriff handelte.

Istanbul2010.jpg

Investigative Jour­na­lis­t*in­nen sind bei Macht­ha­be­r*in­nen weltweit nicht sehr beliebt. Und bekanntlich auch nicht in der Türkei. Die feindliche Stimmungsmache gegen Medienschaffende hat auch den Boden für den Angriff auf mich bereitet. Schon Ende April griff mich der türkische Innenminister Süleyman Soylu auf Twitter persönlich an und bezeichnete mich aufgrund einer Meldung, die ich geteilt hatte, als „Narren“. Und er beschuldigte mich, für den deutschen Geheimdienst zu arbeiten.

Als direkte Antwort auf den Tweet des Innenministers Soylus schlug der Vorsitzende der Ethikkommission der AKP, Kemalettin Aydın, der auch Rektor einer medizinischen Hochschule ist, auf Twitter vor, mich mit Strychnin einzuschläfern.

Mir ist also schon lange klar, dass ich auf einer Feindesliste der AKP stehe.

Es ist deswegen kein unwichtiges Detail, dass einer der Täter mich auf Türkisch anbrüllte und dabei ein Wort sagte, das sowohl bedeuten kann, dass ich nicht mehr schreiben soll, oder auch, dass ich nichts mehr schreiben können werde. Ich glaube, dass an mir ein Exempel statuiert werden sollte. Dass der Überfall auf mich als Abschreckung ini­tiiert wurde. Der Palästebauer Erdoğan will zeigen, dass sein starker Arm bis nach Europa reicht, und wenn er hier solche Taten veranlassen und damit ungestraft davonkommen kann, es im Inland erst recht niemand wagen können sollte, den Mund aufzumachen.

Deshalb habe ich in meinen ersten Reaktionen auf den Angriff schon darauf hingewiesen, dass Erdoğan und seine Schergen die Täter sind.

Und genau deshalb ist es auch so wichtig, zu betonen, dass ich weitermachen werde. Ich werde meinen Beruf weiter ausüben.

Quelle         :      TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben        —       Rettungstransportwagen der Feuerwehr des Flughafen Tegel

Unten        —       Istanbul – aerial overview about historical Sultanahmet and Galata district

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