Attacke auf Pressefreiheit
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 24. Juni 2020
Seehofers Nebelkerze
Ein Leben unter Blendern ?
Quelle : Netzpolitik ORG.
Von Markus Reuter
Die aufgeblasene Debatte um eine Kolumne in der taz wird spätestens mit der angekündigten Strafanzeige des Innenministers zu einem Angriff auf die Pressefreiheit. Ihm scheint jedes Mittel recht, um die Debatte über Rassismus und Polizeigewalt zu beenden.
Vor zwei Wochen demonstrierten Millionen Menschen auf der ganzen Welt und alleine in Deutschland mehr als 150.000 gegen Polizeigewalt und Rassismus. In der Folge begann eine längst überfällige Diskussion über die Missstände der Polizei hierzulande, in der auch die Stimmen schwarzer Expert:innen endlich zu hören waren. Den Polizeigewerkschaften ist nun Hand in Hand mit dem rechten Mob, zusammen mit wie immer unkritischen Polizei-Claqueuren aller Parteien und mit der Hilfe des Innenministers gelungen, diese Debatte über Polizeigewalt und Rassismus umzudrehen.
Denn seit Tagen redet Deutschland nicht mehr über Racial Profiling, institutionellen Rassismus und Polizeigewalt, sondern über die viel bequemere Frage: ob eine polemische Kolumne in der taz nun eine von der Pressefreiheit gedeckte Kritik an der Polizei oder strafbare Volksverhetzung darstellt.
Kalkulierte Drohgebärde
Es ist mittlerweile vollkommen unerheblich, ob man die Polizei-Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah in der taz gut oder schlecht fand. Es ist vollkommen egal, ob Innenminister Seehofer nach seiner vollmundigen Ankündigung einer Strafanzeige jetzt doch einen Rückzieher macht. Was bleibt: Der Innenminister schüchtert mit einer kalkulierten Drohgebärde Journalist:innen ein. Der Innenminister attackiert die Pressefreiheit.
Ein Innenminister hat laut Gesetz die Pressefreiheit zu verteidigen, auch wenn ihm ein Artikel missfällt. Wenn Mitglieder der Bundesregierung mit all ihrer Macht und mit der Drohung ihres Apparates juristisch gegen die Presse vorgehen, dann erinnert das an autoritäre Staaten wie Ungarn oder die Türkei. Es ist ein fatales Signal an die Dutertes, die Putins und die Chameneis dieser Welt: „Seht her, auch in Deutschland machen wir das so.“
Gigantische Nebelkerze
Dass ausgerechnet Seehofer beklagt, dass eine Enthemmung der Worte unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten führt, setzt dieser vollkommen eskalierten Debatte die Krone auf. Ausgerechnet jener Seehofer, der sich „bis zur letzten Patrone“ gegen Zuwanderung wehren will und Migration als „Mutter aller Probleme“ bezeichnet. Dessen Partei letzte Woche im besten Nazi-Style zielscheibenartig zur Hatz auf die taz-Kolumnist:in geblasen hat. Der Seehofer, der dem rechten Mob und ihren Mordbrennern und Schlägern immer schon das diffuse Gefühl gab, ein gehörter Teil der bundesdeutschen Debatte zu sein. Ausgerechnet dieser Seehofer versucht nun der taz-Autor:in die Schuld für die Krawalle in Stuttgart zuzuschieben.
Im Kreis ihres Familien-Clan
Wir lernen durch die angekündigte Strafanzeige: Dem Innenminister ist fast jedes Mittel recht, um von Problemen in den Sicherheitsbehörden abzulenken. Die Drohgebärden und die Einschüchterung richten sich nicht nur gegen Hengameh Yaghoobifarah und die taz, sondern gegen alle Journalist:innen, die kritisch über die Polizei berichten – und damit gegen die Pressefreiheit insgesamt.
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Grafikquelle :
Oben — Angela Merkel mit Horst Seehofer auf dem Parteitag der CSU 2015 in München