Ansprüche in der Pandemie
Erstellt von DL-Redaktion am Freitag 30. Juli 2021
Gilt für alle, nicht für mich
Eine Kolumne von Bettina Gaus
Die Impfdebatte entwickelt sich zu einer Diskussion über Privilegien. Doch wenn Einzelne meinen, die Bekämpfung der Pandemie betreffe sie nicht, wird sie kaum zu besiegen sein.
Mit Helge Schneider habe ich nie viel anfangen können. Ich hatte aber auch nichts gegen ihn – was er tat, interessierte mich einfach nicht. Umso mehr war ich selbst erstaunt, wie wütend ich war, als ich las, dass er vor einigen Tagen ein Konzert abgebrochen hat, weil er in einem Setting mit Sicherheitsabständen und laufendem Gastronomiebetrieb keine Verbindung zu seinem Publikum aufbauen konnte. Wie Schneider erklärte.
Gegen Boris Johnson und seine Politik habe ich einiges einzuwenden. Aber kaum etwas hat mich so erbittert wie seine Ankündigung, er und sein Finanzminister Rishi Sunak würden sich nicht in Quarantäne begeben, nachdem sie Kontakt mit dem an Covid-19 erkrankten Gesundheitsminister gehabt hatten. Sie nähmen nämlich an einem Pilotprojekt teil, das es ihnen erlaubte, sich täglich auf das Virus testen zu lassen. Tatsächlich?
Johnson zog sich dann doch noch auf seinen Landsitz zurück. Die Empörung der Öffentlichkeit war zu groß, als dass er seine Linie hätte durchhalten können. Was hatte der Mann denn erwartet? Tausende und Abertausende Briten mussten sich zehn Tage lang in häusliche Quarantäne begeben, weil ihnen jemand über den Weg gelaufen war, der oder die positiv auf Corona getestet worden war. Die Folge: Versorgungsengpässe, Arbeitskräftemangel, Probleme im Transportwesen – alles so dramatisch, dass die Regeln inzwischen wieder gelockert wurden. Und ausgerechnet auf dem Höhepunkt, als die Leute im Supermarkt vor leeren Regalen standen, verkündet der Premierminister, für ihn genüge ein täglicher Test. Wie weit entfernt von der Lebenswirklichkeit der Menschen, die man regiert, kann man sein?
Helge Schneider und Boris Johnson haben vermutlich nicht besonders viel gemeinsam – abgesehen von einem Selbstbild, das besagt, es könne von ihnen nicht verlangt werden, sich mit denselben Widrigkeiten herumzuschlagen, wie die breite Masse das notgedrungen tun muss. Selbstverständlich ist ein Auftritt unter Coronabedingungen für einen Künstler besonders schwierig, der für seine Art der Darbietung in besonderer Weise auf das Zusammenspiel mit dem Publikum angewiesen ist. Da gibt’s nur eins: Die Vorstellung mit Anstand zu Ende bringen und eine Lehre für die Zukunft daraus ziehen.
Schwer erträgliche Anspruchshaltung
Vielleicht saßen nämlich unter den Gästen einige Lehrer oder Therapeutinnen, deren Berufsalltag durch die Seuche auch nicht leichter geworden ist. Die aber dennoch im Regelfall nicht einfach mit dem Hinweis hinschmeißen können, sie hätten unter diesen Umständen einfach keine Lust mehr auf Unterricht oder Therapiestunden. Auch möglicherweise anwesendes Pflegepersonal, das sich seit Wochen auf den Auftritt gefreut hatte, möge sich – bitte, bitte – kein Beispiel an dem Künstler nehmen.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Bilder vom Zelt Musik Festival 2017 in Freiburg im Breisgau Helge Schneider am 10.07.2017
- CC BY-SA 4.0
- File:Helge Schneider (ZMF 2017) jm38069.jpg
- Created: 10 July 2017
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Unten — Bettina Gaus
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