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Anderer Umgang mit Corona

Erstellt von Redaktion am Sonntag 6. Februar 2022

Anthroposophisches Krankenhaus Havelhöhe – Berlin

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Von Sebastian Erb, Sophie Fichtner und Paul Wrusch

Ein schwurbelnder Chef und Tricksereien bei der Impfpflicht: eine taz-Recherche in der Klinik Havelhöhe in Berlin.

ach zwei Jahren Pandemie stellt Prof. Dr. Harald Matthes seinem Haus ein hervorragendes Zeugnis aus: „Gemessen an den Betten, an der Größe des Krankenhauses haben wir eine überdurchschnittliche Versorgung durchgeführt“, sagt er. Das Drei- bis Vierfache im Vergleich zu anderen Schwerpunktkrankenhäusern. Und im hauseigenen Impfzentrum hätten sie zeitweise mehr Impfungen durchgeführt als die großen Zentren der Stadt.

Matthes ist der Ärztliche Leiter des Krankenhauses im Berliner Südwesten, gerade ist er im Urlaub, eine Woche Ski fahren, und nimmt sich trotzdem Zeit für ein Gespräch. Matthes sitzt vor seinem Laptop in einem modernen Hotelzimmer in Österreich und hält einen Monolog. Der Berliner Senat, die Nachbarschaft, ganz Westberlin habe sich bei der Havelhöhe für die Arbeit während der Pandemie bedankt.

Als im Herbst die Booster-Termine knapp wurden, konnte man in Havelhöhe problemlos geimpft werden. Das sprach sich herum. Havelhöhe wurde in Berlin zum Place to Booster. Ausgerechnet ein Krankenhaus der Anthroposophie, die in der Pandemie besonders in der Kritik stand und für die niedrige Impfquote in Deutschland verantwortlich gemacht wurde.

Das Krankenhaus ist in der Pandemie in den Medien sehr präsent. TV-Teams filmten auf der Intensivstation, Pa­ti­en­t:in­nen wurden für Zeitungsreportagen begleitet, Ärz­t:in­nen auf Krankenhausfluren interviewt. Man sei beim Zutritt nicht so streng gewesen wie andere Häuser, gibt Matthes zu. Und so sind nun oft Bilder aus Havelhöhe zu sehen, wenn es um Corona im Krankenhaus geht.

Keine Kontrollen

Das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe mit seinen 400 Betten hat eine Doppelfunktion: Es ist ein gewöhnliches Akutkrankenhaus für die Menschen der Gegend und zugleich eine von drei großen anthroposophischen Kliniken in Deutschland. Besonders beliebt ist es bei Berliner Eltern, die ihren Nachwuchs in einer angenehmen Atmosphäre zur Welt bringen möchten und dafür weite Wege auf sich nehmen. Und jetzt wurde über Havelhöhe bundesweit berichtet, als ein Ort, an dem die Coronapandemie besonders intensiv bekämpft wird.

Ob das Krankenhaus Havelhöhe tatsächlich mehr geleistet hat als andere, lässt sich nicht nachvollziehen, laut der Senatsverwaltung für Gesundheit gibt es da keine Statistik. Der Umgang mit der Pandemie ist in dem Krankenhaus jedenfalls längst nicht so vorbildlich, wie es bislang den Anschein hatte. Mehrere Krankenhausmitarbeitende haben sich unabhängig voneinander bei der taz gemeldet und gesagt: Hier läuft etwas schief. Sie berichten von leitenden Ärzt:innen, die als Impf­geg­ne­r:in­nen auffallen, und einem schludrigen Umgang mit Coronaschutzmaßnahmen. Und von einem Chef, der bei seinen Wutausbrüchen gegen die Politik fragwürdige Vergleiche macht.

Wir haben in den vergangenen Wochen mit vielen weiteren aktuellen und ehemaligen Mitarbeitenden des Krankenhauses – unter anderem Ärz­t:in­nen und Pflegepersonal – und Pa­ti­en­t:in­nen gesprochen. Wir haben frei verfügbare und interne Dokumente ausgewertet, an Veranstaltungen teilgenommen und das Krankenhaus besucht. Die Recherche zeigt, dass der Umgang mit Corona auch in der Klinik selbst auf Unverständnis stößt. Und es wird ein systematisches Problem deutlich: Um die Einhaltung von zentralen Schutzvorschriften muss sich jedes Krankenhaus selbst kümmern. Doch wenn die Leitung eines Hauses offenbar manche Dinge für unwichtig erachtet, scheint auch die zuständige Gesundheitsbehörde machtlos zu sein.

Das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe liegt in Berlin-Kladow, am Rand der Hauptstadt. Golfclub, Felder, eine Kaserne – gefühlt ist man schon in Brandenburg. Ein weitläufiges Gelände direkt oberhalb des Steilufers der Havel, viele Bäume, Parkplätze. In der NS-Zeit war in den Gebäuden eine Luftwaffenakademie untergebracht.

Das Krankenhausgelände kann man einfach durch den Haupteingang betreten, es gibt keine Kontrolle, niemand fragt nach einem Besuchsgrund oder einem Coronatest. Direkt am Eingang sind die „HavelWolle“, ein Kleidungsgeschäft, und ein Demeter-Hofladen samt Café. Auch eine kleine Buchhandlung gibt es hier. Die Verkäuferin, die gerade mit einer Kundin spricht, hat keine Maske auf, die Kundin auch nicht. Die beiden unterhalten sich über die Tochter der Verkäuferin, ungeimpft, 11. Klasse, die nun in Quarantäne müsse, weil jemand aus der Klasse infiziert war. „Was ein Zirkus.“

In der Buchhandlung stehen neben Pippi Langstrumpf und aktuellen Bestsellern auch Bücher zur Coronapandemie im Regal. Etwa das schmale Werk einer Anthroposophin, die behauptet, die Wundmale Jesu Christi zu tragen und jahrelang keine Nahrung zu sich genommen zu haben. Ein Kapitel ihres Buches heißt: „Die Impfungen gegen Sars-CoV-2 und der Plan der Schwarzen Logen“.

In der Theorie gelten auch in Havelhöhe strenge Regeln: Be­su­che­r:in­nen müssen eine FFP2-Maske tragen und einen tagesaktuellen Test vorweisen, unabhängig vom Impfstatus. Maximal eine Stunde Besuch am Tag ist erlaubt.

Bei unserem nicht angekündigten Besuch im Krankenhaus Mitte Januar können wir aber überall herumlaufen. In Haus 11, 1. Stock, Gynäkologie, sitzt eine Frau ohne Maske am Empfang, dabei steht keine Plexiglasscheibe zwischen ihr und den Besucher:innen. Auch in Haus 12 tragen die Frauen am Empfang keine Maske, sie schauen nicht mal. Wir können durch die Gänge laufen, könnten Pa­ti­en­t:in­nen­zim­mer betreten. Eine Pflegerin eilt den Flur entlang und verschwindet durch die nächste Tür. Wir können – in einem anderen Haus – einfach so in die Station 15 laufen, die Entgiftungsstation. Hier bilden die Pa­ti­en­t:in­nen eine sogenannte Kohorte, müssen untereinander also nicht auf Abstand achten oder Maske tragen und dürfen deshalb im Gebäude gar keinen Besuch empfangen.

Beim Rundgang hält uns niemand auf. Niemand bittet uns, Daten in eine Besuchsliste einzutragen. Niemand will einen Test oder Impfstatus sehen.

Dass man einfach so in ein Krankenhaus reinlaufen kann: „Das geht gar nicht“, sagt Gudrun Widders, die Leiterin des zuständigen Gesundheitsamtes Berlin-Spandau.

Krankenhauschef Harald Matthes versucht, sich rauszureden: Der freie Zugang zu den Häusern sei nötig, weil es dort auch ambulante Praxen gebe. Drinnen werde dann schon kontrolliert, von den Pflegenden oder Ärzt:innen. Das passiert allerdings, wenn überhaupt, nur teilweise und sehr oberflächlich. Eine Pflegekraft berichtet, es gebe von der Krankenhausleitung die Anweisung, die Testergebnisse der Be­su­che­r:in­nen sporadisch zu kontrollieren. Aber faktisch sei dafür gar keine Zeit.

Nicht nur bei den Zugangsregeln, auch bei der Behandlung von Covid-19 haben sie in Havelhöhe eigene Vorstellungen. Zusätzlich zur normalen Behandlung werden anthroposophische Mittel eingesetzt. In einem Behandlungskonzept werden warme Ingwer- oder Senfwickel erwähnt. Und für Ri­si­ko­pa­ti­en­t:in­nen wird als Therapie die Injektion von Meteorischem Eisen in Kombination mit einem Präparat empfohlen, das Eisenphosphat und Rinderlunge enthält – extrem verdünnt.

Einen wissenschaftlichen Beleg, dass diese Mittel helfen, gibt es nicht. Die Anthroposophen berufen sich auf das, was der Esoteriker Rudolf Steiner sich Anfang des 20. Jahrhunderts ausgedacht hat.

Harald Matthes behauptet in Interviews, dass man auch wegen der anthroposophischen Methoden solche Erfolge bei der Coronabekämpfung zu verzeichnen habe. Aber sollte es im Krankenhaus Havelhöhe wirklich besser laufen, dürfte das daran liegen, dass hier weniger schwere Fälle landen als etwa in der Charité.

Matthes, Jahrgang 1961, hat das Krankenhaus 1995 mit gegründet. Inzwischen ist der Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie auch Professor, an der Charité bekleidet er eine Stiftungsprofessur für Anthroposophische und Integrative Medizin. Manche halten ihn für einen Visionär.

Nicht wenige auf der Havelhöhe sind der Meinung: Matthes ist ein Despot. Er sei überheblich, cholerisch und persönlich beleidigend. Auch Mitarbeitende, die ihn sehr schätzen, sagen: Der Chef polarisiert. Besonders mit den As­sis­tenz­­ärz­t:in­nen hat es immer wieder Ärger gegeben.

Dass Matthes gerne einmal mit Verve seine Meinung äußert, zeigt sich in einem­ Mitarbeiterrundbrief aus dem November 2021. Darin lässt er sich über angebliches Medienbashing aus und macht einen Vergleich mit der NS-Zeit auf: „Die Projektion eigenen Versagens und Defizite auf elitäre gesellschaftliche Gruppen hat in Deutschland Tradition und darf uns daher als An­thro­po­so­ph*in­nen nicht verwundern.“ Die Coronamaßnahmen hat er schon mehrfach öffentlich als überzogen bezeichnet. Im Brief kritisiert er nun die Politik, die bei der Pandemiebekämpfung nur auf die Impfung setze und alle Schuld bei den Impfverweigerern sehe. „Mit in der Nachkriegsgeschichte nie gelebter Brutalität“, schreibt Matthes, „wird der Frust der Gesellschaft auf eine Gruppe gelenkt, die nun für alles Leid stehen soll. Diskriminierung in einer Deutlichkeit, die bei Gender- und Ethnienfragen undenkbar wäre.“

Quelle        :        TAZ-online      >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —      Krankenhaus Havelhöhe Kulturdenkmal 09085644 20160608 102029 Offiziersheim

Verfasser Dirk1981          /         Quelle    – Eigene Arbeit    /    Datum   –  8. Juni 2016, 10:20:29 Uhr
Denkmalplakette Deutschland.svg
Dies ist ein Bild des Berliner Kulturdenkmals mit der ID 09085644

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Unten       —       Haus 23, 2016

 

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