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RENTENANGST

Amore über Sechzig

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 16. August 2017

Herzenskapriolen im Alter

Von einem, der auszieht, aber keine mehr auszieht. Und sich auch nicht: Die Geschichte eines Mannes, der auf der Suche nach der Liebe ist.

Von Kai Lippens

Der Autor, langjähriger Mitarbeiter der taz, schreibt unter Pseudonym, um Rückschlüsse auf die Beteiligten auszuschließen. Ohnehin sind alle Namen, Orte, Berufe und mögliche verräterische Details geändert.

Ich bin jetzt 60. Und auf Suche nach einer neuen Frau. 60. Also ein alter Mann, zumindest ziemlich. Ganz früher war man mit 60 schon tot. Später ein Greis. Ich bin schlank, sportaktiv und fit, alle Ärzte heben die Daumen. Meine Macken müssten sozialkompatibel ein. Verglichen mit meiner Vitalität sind die anderen um die 60 doch Opas. Pah! Ich habe viel von meinem jugendlichen Charme behalten und sehe jünger aus, trotz fortschreitender Ergrauung und dieser Falten.

Zumindest glaube ich das. Wie viele andere von sich wohl auch.

Mit der Post kommt die Senioren-Bahncard. Empfinde das als Beleidigung. Biedere Rentnerbildchen auf dem begleitenden Werbeflyer. Gastronomisch bin ich jetzt seniorentellerberechtigt. Der Seniorenrat meiner Heimatstadt Essen sucht gerade neue Mitglieder. Tatsächlich: ab 60 steht da.

Ich sehe mich um, kontakte, flirte. Ja, darf auch ein Abenteuer sein. Aber eigentlich will ich was Festes; wieder Liebe erfühlen, gern die ganz große.

Die Erfahrungen seitdem sind grotesk, desaströs, manchmal tief frustrierend. Was ich gelernt habe über einsame Zweisamkeiten mancher Paare hinter ihren Fassaden hat mich mitunter erschüttert.

Dabei begann es nach der gemeinschaftlich beschlossenen Trennung mit der langjährigen Partnerin vor gut zwei Jahren wie eine Befreiung. Ein paar Wochen danach eine schöne Affäre mit Physiotherapeutin Nora, 52, einige Monate lang, auch sie aus Essen. Überaus wohltuend nach Jahren des Beziehungsstresses, beider Versagen. Nora und ich wollten beide nicht mehr als ab und an etwas Kino, Theater, erzählen, uns bespaßen in den Nächten. Drei Jahre ist sie von ihrem Ex getrennt, die letzten drei Jahre hatten sie sich nicht mehr angefasst. Macht sechs Jahre ohne Hautkontakt, sage ich. „Ja, stimmt, hatte ich gar nicht nachgerechnet. Ist schon lange …“

Später Anwältin Silke, auch sie Anfang 50. Wir kennen uns schon lange und tun uns plötzlich gut, alle paar Wochen kommt sie für ein paar Stunden: zum Essen, zum Rotwein, zum Schmusen, zum Sex. Der ist für beide immer etwas bemüht, aber wir wollen es. So geht das ein paar Monate. Silke lebt fest liiert, seit 30 Jahren, verheiratet, Sohn und Tochter. Ich bin also der klassische Ehebrecher, keine schöne Rolle. Spätestens Mitternacht muss sie immer weg.

Sie sei daheim auf dem Absprung, erzählt sie. Für uns beide eine wichtige Rechtfertigung unserer Abende. Ihr Ehealltag wäre, finde ich, einer Hausgemeinschaft unwürdig: getrenntes alles, kaum mal mehr gemeinsames Essen, getrennte Schlafzimmer sowieso. „Er ist beruflich ständig unterwegs. Der Job ist sein ein und alles. Aber er redet nicht. Manchmal weiß ich nicht, ist er die ganze Woche wieder in Amerika oder nur bis morgen in Stuttgart? Er ist wie ein Fremder. Er geht einfach, ist irgendwann wieder da.“ Was für ein trauriges, ausgelutschtes Leben. Dann lieber stolzer Single.

Habt Glück!

Nach ein paar Treffen will sie es doch noch mal mit ihrem Mann probieren – er habe ihr neulich, erzählt sie, tatsächlich im Gehen ohne Blickkontakt nach Jahren mal wieder flüchtig durchs Haar gestrichen. Habt Glück!

Freund Tobi, 52, sagt, viele Frauen nähmen Männer Ü50 gar nicht mehr wahr. „Die gucken einfach durch uns durch.“ 50? Ich bin 59, also sehr Ü schon und demnach sehr unsichtbar. Wir testen in der Kneipe. Flirtversuche, Blicksuche, nichts. Er hat recht.

Lerne Kathrin aus Bonn, 53, bei einem beruflichen Termin kennen. Wir gehen ein paar Tage später frühstücken. Es dauert sechs Stunden. Wir erzählen uns unsere halben Leben, Privates, Trennungen, Verletzungen, Jobprojekte, Kuriositäten des Daseins. Eine dicke Umarmung zum Abschied. Nette Frau. Fahre beschwingt heim. Sie mailt, war doch schön, mal vertrauensvoll unter Kollegen über Berufliches zu plaudern. Ich antworte, ich fand auch den „Austausch von nettem Mann zu netter Frau“ schön. Ihre Antwort: „Dazu äußere ich mich mal nicht, hoffe, du verstehst.“ Ich antworte, nein, das verstünde ich nicht. Sie antwortete nie mehr. Seltsam.

Marina, Anfang 50. Inhaberin eines kleinen Geschenkladens. Verabredung auf ein Bier findet sie sofort gut. Sie kommt etwas zu spät. „Sollen wir nicht lieber zu mir fahren?“, fragt sie. „Heute ist doch Champions League. Mein Mann hat mir mal Sky geschenkt.“ Es gibt wohl wenig Überraschenderes als eine Frau, die einen Mann, selbst Fußballfreund, zum Spiel einlädt. Wir landen in einer Art Palast, beste Wohnlage gleich über dem Baldeneysee, voll mit Designermöbeln, 350 Quadratmeter, Putzfrau vier Stunden drei Mal wöchentlich.

Das Spiel ist mäßig. Und Marina unglücklich bis ins Mark. Ihr Mann arbeite 14 Stunden am Tag, verdiene sich krank. Ab 4 in der Früh sitze er am Rechner, jeden Tag: „Ist ja alles sehr, sehr wichtig“, spottet sie. Wenn sie aufstehe, sei er längst in seiner Firma. Und wenn abends mal Gäste da seien, schlafe er um halb 9 schnarchend auf dem Sofa ein. „Er ist ein richtiges soziales Monster.“ Selten jemanden gehört, der so verächtlich über die eigene andere Hälfte spricht.

Willst du so weiterleben? Ach, sagt Marina. „Ich hab ihn quasi rausgeworfen. Der hat jetzt eine eigene Wohnung in der Stadt, da kann man auch gut um 4 aufstehen.“ Betrogen habe er sie auch, sie erzählt seine billigen Lügengeschichten, so absurd, dass mir der Mund offen stehen bleibt vor Unglauben. Aber trennen…? Sie ist verbittert. Noch ein Glas Schampus? Wir sind angetrunken. Ich bahne mir den Weg aus den 350 Quadratmetern.

Die Kontaktanbahnungsversuche über ein Netzportal enden alle schräg. Eine handvoll Treffen gab es: Mal sind wir uns gleich einig: passt nicht; mal denke ich: Och nö. Heike findet mich wohl toll. „Sollen wir das kleine Feuerchen nicht weiterschüren?“, schreibt sie danach angetan. Welches Feuerchen? Haben zwei wohl aneinander vorbeigefühlt.

Quelle   :    TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle    :      Roberto Blanco (2017)

 

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