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Alle gegen Blenkle

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 28. September 2017

Sachsen-Anhalt – Haldensleben
Blenkle gegen alle. Alle gegen Blenkle

Datei:Rathaus Haldensleben.jpg

Aus Haldensleben Timo Lehmann

In dem Land glauben sich viele nicht mehr von Politikern vertreten. Das zeigt sich sogaram erbitterten Streit um ein Bürgermeisteramt. In Haldensleben wählen die Bürger eine Außenseiterin. Monate später wird sie vom Rat suspendiert. Überfordert!, sagt der. Sie wollte aufräumen, sagt die Suspendierte

Scheinwerfer tauchen die Bühne am Marktplatz von Haldensleben in helles Licht. Ein Freitag Ende August, 8 Uhr abends, Beginn des 26. Altstadtfests. Eine Frau im grünen Sakko tritt ans Mikrofon, ein paar Hundert Zuschauer vor sich. „Die Bratwürste brutzeln schon“, sagt die Rednerin. Sie heißt Sabine Wendler und ist stellvertretende Bürgermeisterin. Im Hintergrund tönt von einem Karrussel ein Popsong: „She’s so lucky, she’s a star.“ Britney Spears. Nach fünf Minuten hat Wendler alles gesagt, kein Applaus, schnell laufen die Zuschauer auseinander. „Wir wollten mal sehen, wie die Neue so ist“, sagt ein Passant.

Gut 50 Meter weiter flaniert die suspendierte Bürgermeisterin Regine Blenkle an den Bratwurstständen vorbei. Diese Rede hätte sie halten sollen, sagt Blenkle. Schließlich ist sie von den Stadtbewohnern direkt zur Bürgermeisterin gewählt worden. Blenkle schüttelt Hände, umarmt Passanten. Man könne sehen, wer noch zu einem steht, sagt Blenkle einer Gruppe. Einige Haldenslebener aber schauen demonstrativ weg, als sie den Weg der Bürgermeisterin kreuzen.

Haldensleben ist gespalten, und dabei geht es um Regine Blenkle. 25 Jahre saß sie im Stadtrat, war einst Mitglied der PDS und vertrat diese Partei im Landtag. Im Sommer 2015 wurde sie zur Bürgermeisterin von Haldensleben gewählt – nun als Parteilose. Keine zwei Jahre später, im Januar 2017, suspendierten die Stadtratsfraktionen Blenkle vom Bürgermeisteramt. Haldensleben erlebt politisches Chaos, es gibt tote Ratten an Türklinken, Todeswünsche im Internet, Streit um Akten. Die seien entwendet und geschreddert worden, lautet ein Vorwurf. Niemand weiß, ob und welche brisanten Informationen sie enthalten haben könnten.

Hinter den unappetitlichen Details dieses Streits wird ein Phänomen erkennbar, unter dem Sachsen-Anhalt besonders leidet: Ein Teil der Bevölkerung fühlt sich nicht mehr vertreten von Politik. In Sachsen-Anhalt nehmen so wenige Menschen an Wahlen teil wie in keinem anderen Land. Bei der Bundestagswahl war die AfD mit knapp 20 Prozent der Zweitstimmen zweitstärkste Kraft. Wer kämpft aber nun gegen wen in Halbensleben?

Ritterstraße Haldensleben.jpg

„Auf Sumpf gebaut“

Stunden vor der Eröffnung des Altstadtfests trifft sich die Bürgerinitiative „FÜR Haldensleben“. „Freiheitliches Denken, Überparteilichkeit, Rechtsstaat“, dafür steht „FÜR“, so erklären es zwei Anhänger. Jan Hoffman und Iris Wolff fühlen sich vom Rat ihrer Stadt nicht mehr vertreten. Ihre Initiative wird dem Blenkle-Lager zugerechnet. Heute holen sie die Flyer ab, die sie verteilen wollen. „Zuerst weigerten die Druckereien sich, unser Flugblatt zu drucken“, sagt Hoffman. Auf sechs Seiten führt die Initiative auf, wie viel Steuergeld die Suspendierung der Bürgermeisterin schon gekostet habe. Mit Gerichtskosten, dem Gehalt Blenkles und dem Einsatz von Stellvertretern kommen sie auf 300.000 Euro. „Haldensleben ist auf Sumpf gebaut“, sagt Iris Wolf. Blenkle habe aufräumen wollen – und scheiterte.

Haldensleben, 20.000 Einwohner, eine halbe Autostunde von Magdeburg, ist eine schöne Stadt. Die Arbeitslosigkeit ist gering, 1992 kam Helmut Kohl mehrfach persönlich her und bemühte sich um Unternehmensansiedlungen. Der Otto-Versand, Ifa Rotorion oder Euroglas verzeichneten hier Wirtschaftserfolge, wie sie kaum ein anderer Ort in der Region kennt. Die Fachwerkhäuschen der Innenstadt sind rausgeputzt, einst waren sie Ruinen. Eine Gewinnerstadt in Sachsen-Anhalt, könnte man meinen. Warum es im Rathaus nun so einen Krach gibt, darüber lassen sich verschiedene Erzählungen finden.

Die Vorgeschichte geht so: 25 Jahre regierte Norbert Eichler, CDU, die Stadt. Als ein langjähriger CDU-Ratsherr, Reinhard Schreiber, sein Nachfolger werden wollte, setzte sich Eichler kurz vor seinem Ruhestand für einen parteilosen Fachmann ein: Henning Konrad Otto, zuvor Zweiter Bürgermeister, sollte Kandidat der CDU werden. Im CDU-Verband brach Streit aus, schließlich stellte die Partei Otto auf, Schreiber aber ging trotzdem und allein an den Start. Ebenfalls zur Wahl trat Ratsherrin Blenkle an, seit 25 Jahren Widersacherin der CDU. Sie schaffte es in die Stichwahl gegen Otto, Schreiber schied aus.

Quelle    :   TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben   —  Haldensleben in Sachsen-Anhalt. Das Rathaus vom Markt aus. links vor dem Rathaus befindet sich der reitende Roland, rechts ein Gerichtstisch. Im Hintergrund die Marienkirche.

Quelle Eigenes Werk
Urheber Clemensfranz

Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

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Ubnten  —   Haldensleben in Sachsen-Anhalt. Das Haus steht unter Denkmalschutz.

 

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