Der Dobrindt -sprech
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 24. Mai 2018
Das ist die Anti-Abschiebe-Industrie
Die Pflanze sieht nicht nach Hanf aus, lässt sich getrocknet aber sicher rauchen
Protokolle: Kersten Augustin, Viktoria Morasch und Linda Tutmann
Alexander Dobrindt spricht von einer „unsäglichen Allianz von Zwangsideologen und Partikularinteressen“, die angeblich versucht, den Rechtsstaat zu sabotieren und Abschiebungen zu verhindern. Jetzt antworten die Beschuldigten.
Die Anwältin
Morgens um sechs Uhr schaue ich auf mein Telefon und bin schlagartig wach: Einer meiner Mandanten, ein Syrer in Witzenhausen, soll nach Bulgarien abgeschoben werden. Zu dem Zeitpunkt sitzt er schon mit Handschellen gefesselt in einem Polizeiwagen, auf dem Weg zum Flughafen nach Frankfurt. Dass ich informiert wurde, verdanke ich ein paar Aktivisten. Sie haben nachts von der Abschiebung erfahren, haben die Polizei für ein paar Stunden aufgehalten, und einen Kollegen angerufen, der mich informiert hat. Mein Mandant durfte nicht mit mir telefonieren.
Eigentlich hat mein Mandant schon vor einem Jahr ein Eilverfahren gegen seine Abschiebung gewonnen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss einen Fehler gemacht haben.
Ich weiß also, dass die Abschiebung nicht rechtmäßig ist, aber ich habe nur noch zwei oder drei Stunden Zeit, um sie zu stoppen. Ich reiche einen Eilantrag bei Gericht ein und rufe bei der Ausländerbehörde an.
Die Aktivisten in Witzenhausen hatten in der Nacht versucht, die Polizei von der Abschiebung abzuhalten. Sie zeigten ihnen den Beschluss des Gerichts, aber das half nichts. Stattdessen wurden sie von den Polizisten geschlagen und mit Pfefferspray attackiert, mehrere von ihnen klagen jetzt gegen die Polizei. Aber ihr Einsatz verschaffte mir Zeit.
„Glauben Sie wirklich, wir schieben jemanden ab, der nicht abgeschoben werden darf?“, fragt mich ein Sachbearbeiter am Telefon. Als ich ihn bitte, die Akte noch mal zu prüfen, lenkt er ein. Das Polizeiauto auf der Autobahn dreht um. Nach Hause bringen sie meinen Mandanten nicht, sie werfen ihn in der nächsten Stadt raus.
Ich bin Anwältin in Göttingen und habe mich auf Asylrecht spezialisiert. Was Herr Dobrindt über die Anti-Abschiebeindustrie sagt, ist absurd. Es kommt jetzt immer häufiger vor, dass ich mich rechtfertigen muss für das, was ich tue. Aber dafür habe ich doch Jura studiert!
Als Vorsitzende des Flüchtlingsrats in Niedersachsen habe ich früher schon Mails mit Anfeindungen erhalten. Seit über den Vorfall in Witzenhausen in der Zeitung berichtet wurde, bekomme ich Mails voller Beleidigungen über mich als Anwältin. Das hat es vor ein paar Jahren noch nicht gegeben. Früher wurde ich auf Vorträge eingeladen, viele Menschen fanden es toll, dass sich Anwälte für Flüchtlinge einsetzen. Ich habe immer gesagt, dass die Stimmung auch wieder kippen wird. Jetzt ist es so weit. Und Dobrindt trägt mit seinen Äußerungen eine Mitschuld.
Kein Mensch bereichert sich an Asylverfahren. Ich frage mich eher, ob ich meinen Beruf in zehn Jahren noch ausüben kann, ob es nach den vielen Gesetzesverschärfungen dann überhaupt noch Flüchtlinge in Deutschland gibt.
Ich bekomme von meinen Mandanten im Regelfall 50 Euro im Monat, wenn sie überhaupt zahlen können. Ich muss ständig darum bitten und nachfragen. Mehr bekomme ich, wenn ich den Fall gewinne. Das ist ganz normal: Der Verlierer trägt die Kosten des Verfahrens. Wenn sich Dobrindt nun aufregt, dass viele Flüchtlinge gegen ihre Bescheide klagen, muss ich sagen: Dann darf das BAMF nicht so viele Fehler machen! Auch für die Flüchtlinge ist es nicht einfach, dass sie oft ein Jahr auf eine Entscheidung warten müssen, weil die Gerichte überlastet sind.
Heute war ich zum Beispiel vor Gericht in Bayern. Meine Mandantin wurde in ihrem Heimatland vergewaltigt, das BAMF schrieb in ihre Akte, dass sie noch mal von einer speziell geschulten Person vernommen werden soll. Doch dann hat das Amt die Akte plötzlich zur Entscheidung vorgezogen und den Asylantrag abgelehnt. Die Richterin hat meiner Mandantin heute geglaubt. Das BAMF ist noch nicht mal vor Gericht erschienen.
Claire Deery, 35, ist Rechtsanwältin in Göttingen.
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Der Unternehmer
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquelle : Alexander Dobrindt, Generalsekretär der CSU auf einer Parteiveranstaltung in Pliening
Source | Own work |
Author | J. Patrick Fischer |
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