Alarm aus Nahost:
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 31. März 2018
Deutsche Waffen an allen Fronten
von Markus Bickel
Der Beschluss hielt keine vier Wochen. „Die Bundesregierung wird ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese am Jemenkrieg beteiligt sind“, hatte es noch in den Ergebnissen der Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU und SPD geheißen, die im Januar ausgehandelt wurden. Eine Überraschung selbst für linke Rüstungskritiker – und ein Achtungserfolg für Rolf Mützenich, der diesen Satz auch gegen den Widerstand von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Verhandlungen durchgesetzt hatte.
Damit erreichte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion in einer langen Nachtsitzung mehr als Kriegsgegner in den vergangenen drei Jahren: So lange tobt der Krieg im Jemen schon, doch alle Versuche, die Bundesregierung von Waffenexporten an die wichtigsten Konfliktparteien Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten abzuhalten, sind bislang gescheitert. Das Ergebnis: Mehr als 10 000 Menschen verloren seit März 2015 ihr Leben, 20 der 27 Millionen Jemeniten sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, sieben Millionen von Hungersnot bedroht, drei Millionen innerhalb des Landes auf der Flucht. Hinzu kommen Hunderttausende Cholera-Erkrankte, mehr als die Hälfte von ihnen Kinder.
Doch die Freude bei Mützenich und anderen Rüstungskritikern währte nur kurz. Zu groß war der Widerstand seitens der Waffenindustrie, die unmittelbar nach Bekanntwerden des Sondierungsbeschlusses ihre Reihen schloss. Vehement sprach sich der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) Ende Januar gegen „die nun angekündigten deutschen Sonderwege für einzelne Länder“ aus – und verlangte, dass der Koalitionsvertrag „noch deutlich über die Sondierungsergebnisse hinausgreift und ‚abgerundet‘ wird“. Nur so lasse sich verhindern, „dass wir uns nicht in Nato und EU auf dem Gebiet der Sicherheit und Verteidigung isolieren“.
Bestandsschutz für genehmigte Exporte
Die Kritik zeigte Wirkung, nicht zuletzt aufgrund der guten Vernetzung der Rüstungslobby in Kabinett und Bundestag. Zudem übernahm während der Koalitionsverhandlungen der damalige SPD-Vorsitzende Martin Schulz die Federführung auf dem Gebiet der Außenpolitik – mit offenem Ohr für die Parteirechten des Seeheimer Kreises, denen der Erhalt der Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie traditionell wichtiger ist als Friedenspolitik durch restriktive Ausfuhrregelungen. Auch die IG Metall misst im Zweifel Stellen in Rüstungsbetrieben mehr Bedeutung zu als einer Trendwende bei deutschen Rüstungsexporten.
So wurde der klare Sondierungsbeschluss im Koalitionsvertrag deutlich abgeschwächt: „Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemenkrieg beteiligt sind“, heißt es nun auf Seite 151 des Papiers. Das lässt Interpretationsspielräume offen und dürfte dafür sorgen, dass Jordanien, Bahrein, Kuweit und Marokko weiter mit deutschen Rüstungsgütern versorgt werden, obwohl sie ebenfalls der von Saudi-Arabien und den Emiraten geführten Militärkoalition angehören – nur eben nicht an vorderster Front, also „unmittelbar“. Fast wichtiger noch ist für Hans Christoph Atzpodien, den Hauptgeschäftsführer des BDSV, dass es im Koalitionsvertrag nun heißt: „Firmen erhalten Vertrauensschutz, sofern sie nachweisen, dass bereits genehmigte Lieferungen ausschließlich im Empfängerland verbleiben.“
Hintergrund für die Aufnahme des Vertrauensschutzes in den „Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik“ betitelten Abschnitt sind die bereits angelaufenen Lieferungen von Patrouillenbooten aus deutscher Produktion an Saudi-Arabien. Mit der Endverbleibskontrolle soll sichergestellt werden, dass die in Wolgast an der Ostseeküste seit 2015 produzierten Schiffe nicht im Jemenkrieg eingesetzt werden. Dort trägt die Blockade der Häfen durch die vom Königshaus in Riad geführte arabische Allianz entscheidend zur humanitären Katastrophe bei. Sie verhindert, dass Nahrungsmittel und Pharmazeutika an die Not leidende Bevölkerung gelangen.
Die Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, Manuela Schwesig (SPD), hatte unmittelbar nach dem Sondierungsbeschluss angekündigt, für den Erhalt der 300 Arbeitsplätze in der Peene-Werft in Wolgast zu kämpfen. Nach Abschluss der Verhandlungen sagte sie im Februar: „Die Frage des Vertrauensschutzes ist wichtig für die vielen Arbeitskräfte auf der Werft“, deshalb sei es richtig, „dass im Koalitionsvertrag hierzu Klarheit geschaffen wird. Es ist eine gute Nachricht für die vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dass das nun gelungen ist.“
Die zur Bremer Lürssen-Gruppe gehörenden Schiffbauer an der Ostseeküste fertigen insgesamt 33 Patrouillenboote für die saudische Küstenwache. Der rund 1,5 Mrd. Euro schwere Auftrag ist wegen der Menschenrechtslage in dem autoritären Königreich seit langem umstritten – doch mit dem nun vereinbarten Bestandsschutz dürfte die Produktion bis 2022 gesichert bleiben. Schwesig hatte bereits im Herbst 2017 die Linie vorgegeben, mit der auch die Bundesregierung künftig argumentieren dürfte: „Es handelt sich um Patrouillenboote und nicht um Kriegsschiffe.“ Dass diese in Saudi-Arabien nachgerüstet und bewaffnet werden können, wird dabei unterschlagen.
Der Bau der Boote war bereits 2015 vom Bundessicherheitsrat genehmigt worden. Dieses geheim tagende Gremium wird von der Bundeskanzlerin geleitet, ihm gehören außerdem der Chef des Bundeskanzleramts an sowie die Minister für Inneres, Äußeres, Verteidigung, Finanzen, Wirtschaft, Entwicklung und Justiz. Kritiker fordern seit Langem Transparenz über die Entscheidungen des Bundessicherheitsrats, am besten geregelt in einem Rüstungsexportkontrollgesetz. Doch davon ist im Koalitionsvertrag keine Rede – weder die SPD noch die Grünen in den gescheiterten Jamaika-Sondierungsgesprächen kamen mit diesem Vorstoß bei der CDU/CSU durch. Auch die Genehmigung zum Export von Leopard-2-Kampfpanzern nach Katar, die das Gremium bereits 2013 erteilte, bleibt durch den Bestandsschutz unberührt – obwohl das Emirat ebenfalls der Militärkoalition angehört.
Ein System offener Drehtüren
Das Insiderwissen der Entscheider im Bundessicherheitsrat ist bei der Industrie gefragt und erklärt, weshalb ehemalige Regierungsmitglieder immer wieder die Seiten wechseln. So sorgte bereits vor Jahren der fliegende Rollentausch von Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) zum Waffenlobbyisten für Empörung: Seit Anfang 2015 berät dieser den Vorstand des Düsseldorfer Rüstungskonzerns Rheinmetall bei der Entwicklung internationaler Strategien und beim Ausbau globaler Regierungsbeziehungen. 2017 dann wechselte der frühere Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) in den Rheinmetall-Aufsichtsrat, zu einem Zeitpunkt, als er noch Bundestagsabgeordneter war.
Wie Niebel und Jung gehörte bis zu seinem Ruhestand vergangenen Sommer auch der damalige BDSV-Hauptgeschäftsführer Georg Wilhelm Adamowitsch (SPD) zum System offener Drehtüren, das der deutschen Rüstungsindustrie anhaltende Profite garantiert: Als beamteter Staatssekretär war er von 2002 bis 2006 im Bundeswirtschaftsministerium unter anderem mit Kriegswaffenausfuhr befasst. Seine dort erlangten Kontakte nutzte Adamowitsch später beim Ausbau des BDSV zum wohl wichtigsten Lobbyverband der Branche. Restriktivere Regularien beim Export von Waffen sind dessen Mitgliedern ein Dorn im Auge.
Es ist eine mächtige Allianz, die die wehrtechnische Industrie, wie sie ihre Repräsentanten gerne nennen, mit den gewählten Volksvertretern geschmiedet hat. Die Big Five der Branche – Airbus, ThyssenKrupp Marine Systems, Rheinmetall Defence, Krauss-Maffei Wegman und Diehl Defence – sind der Politik allerdings meist einen Schritt voraus. Wegen der anhaltenden Kritik am Verkauf schwerer Waffen an die Golfdiktaturen, die direkt oder indirekt in die Kriege im Jemen, Syrien und Libyen verwickelt sind, haben Rüstungskonzerne wie Rheinmetall schon vor Jahren begonnen, ihre Strategie zu diversifizieren.
Internationalisierung lautet dabei das Stichwort: Mehr als 70 Prozent seiner Umsätze macht der Düsseldorfer Hersteller von Rad- und Kettenfahrzeugen, Abwehrsystemen für Schiffe, Landvehikeln und Flugzeugen inzwischen im Ausland. Auch wegen der anhaltenden Debatte über strengere Regularien, so der Rheinmetall-Vorstandsvorsitzende Armin Papperger im Sommer 2016: „Die Politik muss sich klar darüber sein, dass zu starke Vorschriften uns das Geschäft kaputt machen und Technologie aus Deutschland abwandert.“
Quelle : Blätter >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Iranisches Heer mit dem „Iranischen“-G3 2011
2.) von Oben — SAS Spioenkop (F147) der SAN, gebaut von Blohm + Voss im Hafen von Rota Bild: 2004
Unten — Die nach deutschen Plänen gebaute argentinische Korvette ARA Almirante Brown (D10)
- Gemeinfrei
- File:ARA Almirante Brown D 10 (cropped).jpg
- Erstellt: 26. Oktober 2005