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Ab Sommer in Bayern:

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 28. März 2018

Das härteste Polizeigesetz seit 1945

Die BürgerInnen sollten  den Besuch des Freistaat meiden . Beim Oktoberfest sind sie doch so wie so lieber unter sich. Alles andere kann man in Österreich auch und die Nationalisten können ihre Heimat besser genießen.  IE

Quelle   :   Netzpolitik.ORG

Die Polizei in Bayern darf bald Handgranaten tragen, V-Leute in Chats einschleusen und ohne Verdacht auf konkrete Straftaten ermitteln. Die Trennung zum Nachrichtendienst verwischt. Das Gesetz wird von der CSU in den nächsten Wochen praktisch ohne Gegenwehr und im Eilverfahren durch den Landtag gesteuert. Die Regierung sagt, sie werde damit „die Bürgerrechte stärken“.

Im Eiltempo und fast ohne Publikum arbeitet die CSU im Bayerischen Landtag am Ausbau der Macht der Polizei. Ein kurz vor dem Beschluss stehender Entwurf für das neue Polizeigesetz räumt der Exekutive bisher ungeahnte Befugnisse zur Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern ein: Juristen sprechen vom härtesten Polizeigesetz in Deutschland seit 1945. Das Gesetz tritt aller Wahrscheinlichkeit nach bereits im Sommer in Kraft. Am Mittwoch nahm der Gesetzesentwurf eine vorletzte Hürde. In einer gemeinsamen Sitzung des Verfassungs- und des Innenausschusses wurden sieben Juristen als Sachverständige angehört. Der Beschluss durch die CSU-Mehrheit im Landtag gilt als sicher.

Das Gesetz kommt einem Ausbau der Polizei zum Nachrichtendienst gleich. Die Exekutive darf künftig präventive Ermittlungen ohne konkrete Hinweise auf Straftaten führen – damit kann die Polizei nun wie der Verfassungsschutz agieren. Zudem dürfen die Beamten künftig in Ausnahmefällen Handgranaten einsetzen, Post von Verdächtigen beschlagnahmen, IT-Systeme durchsuchen, V-Leute einsetzen und Bodycams tragen. Die Opposition im Landtag kritisiert das Vorhaben scharf, doch bleibt sie angesichts der Mehrheit der CSU vorerst machtlos. Das CSU-geführte bayrische Innenministerium hält das Gesetz in einer Stellungnahme an netzpolitik.org für sauber: Ziel sei die „Stärkung der Bürgerrechte“.

Vorbild für ganz Deutschland?

Bisher gab es in Bayern kaum Öffentlichkeit für das Gesetz, mit Ausnahme eines alarmierenden Berichts in der Süddeutschen Zeitung. Dennoch könnte das Gesetz zum verfassungsrechtlichen Präzedenzfall auf Bundesebene werden. Auch könnte Bayerns Polizeigesetz unter Bundesinnenminister Horst Seehofer bald in ganz Deutschland zum Vorbild werden.

Die bayrische Regierung setzt auf Umsetzung im Eiltempo: Das Polizeigesetz soll noch vor der Landtagswahl im Oktober beschlossen sein. Nur zweieinhalb Stunden lang hörte der Ausschuss am Mittwoch Experten an, dabei ging es sowohl um das Polizeigesetz als auch um die Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes. Nun folgt bereits der Beschluss.

Anlass für die Eile ist offiziell die Umsetzung einer EU-Richtlinie zum Datenschutz bei der Strafverfolgung. Sonst auf viel Lärm bei neuen Sicherheitsmaßnahmen bedacht, agieren die CSU-Politiker diesmal geräuschlos: Gesetzesautor Florian Herrmann, normalerweise umtriebiger Verfasser von Pressemitteilungen, blieb zu seinem Werk auf seiner Webseite eine Äußerung bisher schuldig. Auch das bayrische Innenministerium erwähnte das neue Gesetz nur in einer einzigen Erklärung. Claudia Stamm, fraktionsloses Mitglied des Bayerischen Landtags, schreibt: „Die Eile, mit der das Gesetz nun durch das Parlament gejagt wird, zeigt auch, dass die Staatsregierung die öffentliche Diskussion scheut.“

Unlesbares Gesetz

Zur Anhörung diese Woche im Landtag luden die Parteien ausschließlich Juristen als Sachverständige. Gefragt wurden sie zur Vereinbarkeit des Gesetzesentwurfs mit Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und dem Unionsrecht. Die Experten wagten kein abschließendes Urteil über die Verfassungskonformität des Vorhabens. Über die Zweckmäßigkeit des Gesetzes oder seine Praxistauglichkeit wurde gar nicht erst gesprochen, dafür waren keine Fachkundigen geladen. Das erweckt den Eindruck, der Bayerische Landtag sei eine Verwaltungsbehörde und kein politisches Organ.

Sachverständige äußerten laute Zweifel an der Verständlichkeit des Gesetzes. Der Rechtswissenschaftler Josef Lindner schreibt in seiner Stellungnahme, dass „das Polizeiaufgabengesetz (PAG) allmählich das Stadium der Unlesbarkeit erreicht hat“. Auch der sachverständige Juraprofessor aus Bayreuth, Markus Möstl, gab zu Protokoll, dass die Fülle und Komplexität der vorliegenden Vorschläge ihn „an Grenzen“ führe.

„Drohende Gefahr“ ausgeweitet

Die CSU will das Gesetz trotz bedenklicher Inhalte juristisch feuerfest machen. Dabei könnte die Unlesbarkeit des Entwurfs helfen. Im BKAG-Urteil vom April 2016 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass polizeiliche Datenerhebung und -verarbeitung mit der Begründung einer „drohenden Gefahr“ verfassungsrechtlich zulässig ist. Das hatte das Bundesverfassungsgericht zur Überwachung von sogenannten „Gefährdern“ ermöglicht. Vorgesehen war explizit der Fall des Terrorismus.

Die CSU schöpft den Begriff der „drohenden Gefahr“ voll aus. Der Gesetzesentwurf wendet ihn „auf beinahe sämtliche polizeilichen Befugnisse“ an, sagte der Sachverständige Markus Löffelmann, Richter am Landgericht München. Das Gesetz macht dabei keinen Unterschied zwischen Kriminalität und Terrorismus. In einer Stellungnahme gegenüber netzpolitik.org schreibt das bayrische Innenministerium, ihr Ziel sei es, „Terroristen, aber auch sonstigen Kriminellen frühzeitig auf die Spur zu kommen, um Anschläge oder kriminelle Taten wirksam zu verhindern“.

Das Gesetz nützt den politischen Spielraum durch das Urteil aus Karlsruhe auf clevere Art, sagte Kyrill-A. Schwarz, Sachverständiger und Juraprofessor in Würzburg. Schwarz schreibt in seiner Stellungnahme: Der Gesetzentwurf stelle bei einer „Vielzahl polizeilicher Maßnahmen auf die Eingriffsschwelle der ‚drohenden Gefahr‘ ab“. Damit greife er die „geradezu vorgezeichnete Linie“ des Bundesverfassungsgerichts auf. Dem Polizeigesetz gelingt es so, den neuen Leitbegriff der „drohenden Gefahr“ weit über den von Karlsruhe vorgesehenen Fall des Terrorismus auszuweiten.

Polizei als Nachrichtendienst

Die Trennung von Nachrichtendiensten, Polizei und Strafverfolgungsbehörden gehört bisher zum Kern des deutschen Sicherheitsapparats. Der Jurist Löffelmann sagt, dass dieser Unterschied mit Inkrafttreten des Gesetzes ein Stück weit aufgehoben wird. Durch Ausdehnung der Befugnisse auf bloß vermutete Straftaten wird die Polizei dem Verfassungsschutz deutlich ähnlicher. Die Polizei darf dann V-Leute einsetzen, die Wohnungen abhören und filmen dürfen. Auch können verdeckte ErmittlerInnen unter falschem Namen per Messenger mit Verdächtigen in Kontakt treten.

Selbst unter CSU-nahen Sachverständigen umstritten ist die erweiterte DNA-Analyse. Das Gesetz räumt die Möglichkeit ein, Genproben auf Augen- und Haarfarbe sowie Hautfarbe und Alter zu untersuchen. Daraus werden Phantombilder erstellt. Die Zuverlässigkeit der Technik und ihre ethische Vertretbarkeit ist aber äußerst umstritten. Juristen und Bürgerrechtler fürchten ethnische Diskriminierung bei der Fahndung auf Basis von nur bedingt aussagekräftigen Analyse-Ergebnissen. Auch fordert der bayrische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri klare Auflagen für den Umgang mit den Daten: „Insbesondere vermisse ich eine Regelung zur Löschung der DNA-Identifizierungsmuster.“

Politische Intervention

Langsam regt sich Widerstand. Schon am 26. April wird das Polizeigesetz voraussichtlich im Landtag verabschiedet. Die Landtagsabgeordnete Claudia Stamm bezeichnet das Polizeiaufgabengesetz als „demokratiefeindlich“. Die grüne Abgeordnete Katharina Schulze sagt: „Die massive Ausdehnung der Polizeibefugnisse ins Gefahrenvorfeld geht uns zu weit.“ Sie kündigte eine Verfassungsbeschwerde an.

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