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RENTENANGST

Tafelfreuden

Erstellt von Redaktion am Sonntag 30. November 2008

»Größter Erfolg der Tafeln wäre ihre Abschaffung«

Essens- und Kleiderausgabe wird zu einem Ersatz für den fehlenden Sozialstaat.

Ein Gespräch mit Stefan Selke
Interview: Jan Eisner

Stefan Selke ist Autor des Buches »Fast ganz unten« (Verlag Westfälisches Dampfboot, 231 Seiten, 19,90 Euro) über die Arbeit der Tafeln

Sie äußern sich in Ihrem Buch zunächst positiv über die Tafeln, zeigen sich am Ende aber skeptisch, was deren Perspektiven angeht. Warum?

Das hängt mit der Entstehung des Projektes zusammen. Ich hatte eigentlich gar kein Buch geplant. Auf das Thema bin ich eher durch Zufall gekommen und hatte erst mal nur mit der Absicht, eine einzelne Tafel teilnehmend zu beobachten, mitgemacht. Deren Arbeit sah im isolierten Kontext wunderbar aus. Später habe ich auch Versammlungen auf regionaler oder Bundesebene besucht und dabei dann auch nicht intendierte Effekte beobachten können, die mich als Soziologen sehr skeptisch machen.

Was kritisieren Sie?

Die Tafeln haben eine Größenordnung erreicht, ab der ihre Existenz zu einer gesamtgesellschaftlichen Frage wird. Es stellt sich die Frage: Wollen wir durch ehrenamtliches Engagement auf diese Art und Weise den Staat entlasten? Die Tafeln sind zu einem Ersatz für den fehlenden Sozialstaat geworden. Darüber gibt es aber keine Debatte, sondern nur ein stillschweigendes Einvernehmen: Das ist eben so. Außerdem geht es nicht mehr nur um Ernährungsarmut bei den Tafeln. Die Tafeln sind so groß geworden, daß sie den Markt der Bedürftigkeit massiv ausweiten.

Indem sie jetzt zum Beispiel auch Kleidung anbieten …

… oder Kinderrestaurants. Jedes einzelne Projekt scheint ja auf den ersten Blick erst einmal plausibel, aber damit werden Armut und Bedürftigkeit auch konstruiert. Über diesen scheinbar paradoxen Zusammenhang gibt es inzwischen genügend ernst zu nehmende Analysen. Dieser Argumentation verschließen sich jedoch viele Tafelvertreter völlig. Meine – zugegeben utopische – Forderung lautet: Wenn die Tafeln sich abschaffen könnten, wäre das der größte Erfolg der Tafeln! Aber aus der systeminternen Logik einer bestehenden und beliebten Organisation heraus ist das natürlich Unsinn.

Nun gibt es vom Tafel-Bundesverband das Bestreben, Mitarbeiter in der Bundesgeschäftsstelle mit staatlichen Geldern bezahlen zu lassen. Wie beurteilen Sie das?

Aus verbandsinterner Sicht ist das strategisch sicher clever gedacht. Die Tafeln möchten in den Kreis der Wohlfahrtsverbände aufgenommen werden. Allerdings gibt es auch innerhalb der Tafel-Bewegung andere Strömungen, die der Meinung sind, wir wollen, daß ein eher basisdemokratisches Moment beibehalten wird. Aber auch diese Frage wird ohne große öffentliche Debatte innerhalb eines schon mächtigen Tafelverbandes entschieden, der zur Politik gute Verbindungen hat, etwa mit Dr. Ursula von der Leyen als Schirmherrin. Eine Win-Win-Situation für beide Seiten: Die Politik kann sich mit den Tafeln schmücken. Und der Tafelverband kann im direkten Kontakt mit der Regierung über seine Finanzierung verhandeln.

Bei der Jahrestagung der Tafeln, soll es eine Auseinandersetzung um Ihre Teilnahme an einem Podium gegeben haben.

Ich hatte eine Einladung, mein Buch dort vorzustellen. Dann hat man mich gebeten, meine Thesen zur Vorbereitung zuvor ins Intranet zu stellen. Das haben einige Leute gelesen und gefordert, mich auszuladen. Daraufhin habe ich auf meine Position als Wissenschaftler bestanden. In dieser Eigenschaft bin ich nicht gewohnt, erst auf einen Kongreß ein- und dann aus irgendwelchen Opportunitätsgründen wieder ausgeladen zu werden. Ich wollte einen fairen rhetorischen Schlagabtausch. Schließlich haben wir uns auf zwei Podiumsdiskussionen mit einem Tafelrepräsentanten und mir geeinigt. Bei der zweiten Debatte saßen dann plötzlich allerdings doch zwei Tafelvertreter neben mir.

Quelle: Junge Welt >>>>> weiterlesen
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Fotoquelle : Ein Fahrzeug der Hamburger Tafel

GeorgHHEigenes Werk (Own photo)

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  • File:Hamburger Tafel 04.jpg
  • Erstellt: 1. April 2007

 

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