Illusionen der Kleinbürger
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 29. März 2023
Krieg in der Ukraine: Luxemburgs Legende
Ein Schlagloch von Georg Seeßlen
Wo die Debatte über den Krieg zum politischen Spektakel eskaliert, gerät der gemeinsame Nenner rasch aus dem Fokus. Andersdenkende werden zu Feinden.
Mal persönlich gesprochen: Was die Positionen von Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer und ihren Anhänger*innen anbelangt, so geht meine Reaktion übers Anderer-Meinung-Sein deutlich hinaus.
Es bildet sich da, meiner bescheidenen Meinung nach, keine Diskursgemeinschaft, die nach Möglichkeiten zum Frieden sucht, sondern eine hybride, bewusstlose und ein klein wenig clowneske Gemeinschaft, die fatal an „Querdenker“ und „Coronaleugner“-Szenen erinnert, das Rechte und das Linke quergestrickt, die Verschwörungsphantasmen und die schwarzbraunen Immerdabeis, die berechtigte Opposition zur hegemonialen Mainstreamerzählung und der sektenhafte Bruch mit dem Common Sense, die Forderung nach Gehör und die Taubheit gegenüber Einwänden, die Mischung aus Aggression und Opferstatus, die Verbindung humanistischer Anliegen mit geradezu zynischem nationalem Interesse – diese Melange entzieht sich meiner Vorstellung von kritischem Denken.
Allerdings weiß ich auch nicht so recht, wovor ich mehr erschrecken soll, vor der offenbar in Kauf genommenen Attraktion, die solche Mixtur für – wie sagt man? – den „rechten Rand“ darstellt, oder über die allfällige moralische Entrüstung, die selbst in der noch nicht vollkommen heruntergekommenen Presse an Hysterie grenzt. Es geht da, scheint’s, weniger um das Bemühen, zu klarerem Denken zurückzufinden, als um die Konstruktion von Feindbildern und um Anlässe zur Empörung.
Wenn die so indizierten – wie sagt man? – „medienaffinen Personen“ freilich genau das am besten gebrauchen können, nämlich von der richtigen falschen Seite als „Feindbild“ behandelt zu werden, dann ist von der politischen Debatte tatsächlich nur der Spektakelwert geblieben. Und den lassen sich auch unsere – wie sagt man? – „Qualitätsmedien“ nicht entgehen.
Schwere Mission
Die Verspektakelung entwickelt sich exponentiell; am Ende gibt es zwischen den beiden rhetorisch aufgeblasenen Moralpredigten, die jeweils die andere Seite der Unmoral bezichtigen, keine Luft mehr zum Atmen, keinen Platz mehr für einen freien Gedanken. Und schnell ist dabei vergessen, dass es um zwei widersprüchliche und gleichwohl miteinander verbundene Dinge geht. Darum, ein Land und seine Gesellschaft gegen eine Aggression zu verteidigen, aber auch darum, das Leiden der Menschen in der Ukraine zu beenden.
(Und, nebenbei bemerkt, es gibt auch ein russisches Leiden.) Dieser Widerspruch ist nicht in einem politischen Spektakel aufzulösen, sondern nur durch kluges und moralisches Denken und Handeln. Wie aber sollte das gelingen, wenn wir uns das freie Denken abtrainieren lassen? Rosa Luxemburg hat uns eine ebenso schöne wie schwere Aufgabe hinterlassen: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.“
Kleinbürgerliche Illusionen
In der Welt versucht Sven Felix Kellerhoff, „Leitender Redakteur Geschichte“, Rosa Luxemburg dieses Wort abspenstig zu machen, denn eine kommunistische Frau darf sich doch nicht an unserer Vorstellung von Freiheit vergreifen, nicht wahr? „Schon am 20. November 1918, der Kaiser war gerade erst seit elf Tagen gestürzt, positionierte sie sich im Leitartikel der Roten Fahne unmissverständlich. Die Nationalversammlung sei ‚ein überlebtes Erbstück bürgerlicher Revolutionen, eine Hülse ohne Inhalt, ein Requisit aus den Zeiten kleinbürgerlicher Illusionen vom ‚einigen Volk‘, von der ‚Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit‘ des bürgerlichen Staates.“ Unerhört! Bloß doof, dass sie mit ihrer Einschätzung der kleinbürgerlichen Illusionen auf so schreckliche Weise recht behalten sollte …
Welt-Leser*innen wissen so genau, was es mit der Freiheit von Andersdenkenden auf sich hat, dass sie in ihren Kommentaren gern noch was draufgeben, wie etwa dies hier: „R.L. und K.L. wollten unter dem Vorwand einer bürgerlichen Revolution den Bolschewismus als Staats-/Regierungsform. Mit Demokratie hatten sie wirklich nichts im Sinn. Das rechtfertigt natürlich nicht ihre Ermordung. Doch dem politischen Treiben, ihrer Agitation u.w. musste ein Ende bereitet werden.“
Mal abgesehen davon, dass Rosa Luxemburg alles andere als „Bolschewistin“ war – aber hier müsste man beginnen, eben genauer, fairer und „freier“ zu lesen und zu debattieren –, kann man durchaus erschrecken über solch rechtskonservatives Grundrauschen: Nicht gleich ermorden, die Andersdenkenden, aber ihrem Treiben muss doch ein Ende bereitet werden.
Rosa Luxemburgs Idee der Freiheit ist schon in „normalen“ Zeiten eine ganz schöne Zumutung. In Zeiten von Krise und Krieg – also mittlerweile fast immer – steht sie zur Disposition; jetzt kann es nur noch um „unsere“ Freiheit gehen, die von den anderen bedroht wird. Und jetzt wird die Grenze zwischen Andersdenkenden und Feinden obsolet.
Ringen um die richtige Erzählung
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquelle :
Oben — Sculpture of Rosa Luxemburg, made by Rolf Biebl, standing in front of the Neues Deutschland building, Franz-Mehring-Platz, Friedrichshain, Berlin.
Mittwoch 29. März 2023 um 18:18
Hallo Herr Seeßlen,
ja Papier ist geduldig, doch es gab und gibt auch Kriegsgegner… und auch wenn da, „Ihrer bescheidenen Meinung nach, keine Diskursgemeinschaft, …, sondern eine hybride, bewusstlose (?) und ein klein wenig clowneske Gemeinschaft, [entstanden ist],die fatal an „Querdenker“ und „Coronaleugner“-Szenen erinnert,.“.. die aber, sich querstellt, gegen den Waffen-, Panzer-, Flugzeugstlieferungswahn, mit der die bundesdeutsche Fernsehkonsumgesellschaft, allabendlich ins rechte Bewußtsein indoktriniert wird….“Ein bewaffneter Friede ist, wie die Ruhe vor dem Sturm“…..und jetzt wird aufgerüstet…… ‚kleinbürgerlicher Schuster‘ bleib besser bei Deinen Bildern und der Kunst….und füll das ‚Schlagloch‘ mit festem Schotter für eine bessere, friedliche Gesellschaft auf…
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Nikolaus Götz, Literaturwissenschaftler/Politikwissenschaftler