Politik und ihre Unfähigkeit
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 28. Januar 2023
Ukrainekrieg und Klimakrise: Die geschürte Polarisierung
Die Politik hat keine anderen Möglichkeiten zu einen mehr an Demokratei aufgezeigt !
Gestern standen wir am Abgrund, heute sind wir schon einen Schritt weiter.“ Dieser Sponti-Spruch der 1980er Jahre könnte der passende Kommentar zum Jahreswechsel 2022 auf 2023 sein, wenn uns nicht die Ironie vor zehn Monaten ausgetrieben worden wäre. Allzu oft war in den letzten Jahren von einem annus horribilis die Rede, doch das Horror-Jahr 2022 stellte – jedenfalls aus europäischer Sicht – das Vorangegangene klar in den Schatten.
Als vor drei Jahren die Coronakrise begann, wurde diese umgehend als die größte Herausforderung des Kontinents nach 1945 begriffen. Heute sehnen sich viele fast schon in diese Zeit zurück. Deutlicher könnte nicht zum Ausdruck kommen, wie radikal der 24. Februar, der Beginn von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Zeit in ein davor und danach teilt. Russland zerstört mit seinem Bombenterror nicht nur ganz systematisch die Existenzgrundlage der Ukraine, sondern versucht damit auch den Zusammenhalt des Westens und speziell der EU zu untergraben, durch die dadurch ausgelöste Migration und Energiekrise.
Faktisch hat das Jahr 2022 unsere gleich vierfache Abhängigkeit schlagend deutlich gemacht: erstens energiepolitisch von Russland, zweitens militärpolitisch von den Vereinigten Staaten, drittens industriepolitisch von China und viertens ökologisch von globalen Natur- und Klimabedingungen, die von einer expansiven Wirtschaftsweise zunehmend zerstört werden. All das führt – außen- wie innenpolitisch – zu einer zunehmenden Radikalisierung und Polarisierung.
Wenigstens einen kleinen Lichtblick zum Ende des Jahres beschert uns das kontrafaktische Denken, zeigt es doch, dass alles noch weitaus schlimmer hätte kommen können. Wäre die Ukraine nicht – aufgrund der US-amerikanischen Ausbildung und Aufrüstung seit 2014 – zu ihrer Verteidigung in der Lage gewesen, stünde Russland heute an der polnischen Grenze und die am 4. Februar zwischen Xi Jinping und Putin verkündete grenzenlose Freundschaft der Autokraten hätte weltweite Ausstrahlung. Keine Rede wäre dann von einer Isolation Russlands dank der Distanzierung wichtiger Staaten, wie auf dem jüngsten G20-Gipfel in Bali geschehen. Stattdessen würden sich die entscheidenden Mächte in der zweiten Reihe – Indien, Indonesien, Brasilien und Südafrika –, klar gen China und Russland orientieren. Denn noch immer sind es die Sieger, die die Geschichte schreiben.
Und wenn nicht Donald Trump bei den jüngsten Zwischenwahlen in den Vereinigten Staaten massiv an Zustimmung verloren und den Republikanern eine gewaltige Führungsdebatte beschert hätte, stünde mit Sicherheit Joe Biden, der mittlerweile 80 Jahre alte US-Präsident, voll in der Kritik und damit die Frage im Raum, ob bei der Präsidentschaftswahl 2024 das autoritäre Comeback überhaupt noch zu verhindern sei. Und schließlich drittens: Hätte nicht Lula da Silva mit hauchdünnem Vorsprung die Wahl in Brasilien gegen Jair Bolsonaro gewonnen, wäre dies ein Verhängnis für die Zukunft des Regenwalds und damit auch für die ökologische Zukunft des Planeten.
Das aber verweist auf die zweite dramatische Entwicklung des Jahres 2022: die Radikalisierung der ökologischen Krise, die immer mehr Richtung Katastrophe tendiert. „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal“, sagte UN-Generalsekretär António Guterres in seiner Eröffnungsrede auf der Weltklimakonferenz COP27. „Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens – und sind dabei zu verlieren“, so seine ultimative Warnung. Und dennoch konnte von überzeugenden Ergebnissen keine Rede sein, weil nationalstaatlicher Egoismus zum wiederholten Male eine überzeugende globale Lösung verhindert hat. Obwohl rhetorisch unvermindert am Pariser 1,5-Grad-Ziel festgehalten wird, rückt dieses doch immer mehr in weite Ferne.[1]
Die dramatische klimapolitische Lage spiegelt sich in einer zunehmenden Polarisierung auch in den westlichen Gesellschaften – und in einer immer verzweifelteren Klimabewegung, die in den letzten Monaten vor allem durch die Aktionen der „Letzten Generation“ in Erscheinung getreten ist. Doch so berechtigt das grundsätzliche Anliegen, so fatal in ihrer Wirkung sind die durchgeführten Blockaden von Straßen und Flughäfen. Eine Bewegung, die für sich in Anspruch nimmt, Mensch und Natur retten und bewahren zu wollen, konterkariert ihr eigenes Anliegen, wenn sie die Gefährdung von Menschenleben in Kauf nimmt. Selbst wenn der Tod einer Radfahrerin in Berlin im Ergebnis nicht durch die Straßenblockade der Letzten Generation herbeigeführt wurde, wird durch derartige Aktionen die vorhandene Zustimmung in der Bevölkerung zu intensiverer Klimapolitik nicht vergrößert, sondern verringert.
Ja, mehr noch: Die Gegenseite nimmt diese Steilvorlage dankbar auf, wenn etwa CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt eine „Klima-RAF“ an die Wand malt. „Hallo Justizminister! Hallo Innenministerin! Sperrt diese Klima-Kriminellen einfach weg! […] Täter müssen Konsequenzen spüren“, twitterte ausgerechnet Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer. So unverfroren eine derartige Forderung aus dem Munde eines Mannes ist, der den Staat – und damit die deutsche Bevölkerung – mit seiner verfehlten Mautpolitik Milliarden gekostet und dafür nie Konsequenzen gespürt hat, artikuliert sich hier doch auch ein forcierter Volkszorn, der regelrecht zur Selbstjustiz auffordert.
Rhetorische Aufrüstung
„Opfer fragen sich: Bin ich eigentlich machtlos? Oder kann ich denen eine kleben?“, lautete denn auch die Frage der „Bild“-Zeitung, die massiv an der Empörungswelle gegen die „Klimakleber“ dreht. Der Jurist und „Bild“-Kolumnist Joachim Steinhöfel musste zwar mit Bedauern feststellen, „Ohrfeigen als erste Maßnahme wären wohl unverhältnismäßig“, aber, so sein triumphierendes Resümee, „Notwehr ist ein scharfes Schwert. Sie gestattet alles, was erforderlich ist, um eine Straftat ,sicher und endgültig‘ zu beenden.“ Wie das aussehen könnte, teilt der einschlägig bekannte Medienanwalt Ralf Höcker mit: „Autofahrer dürfen #Klimakleber selbst von der Straße zerren. Sie müssen nicht auf die Polizei warten. Verletzungen, z.B. an den Handflächen der #Klimaaktivisten, sind hinzunehmen und ändern nichts am Notwehrrecht des Autofahrers.“[2] Hier zeigt sich: Weil sich der radikale Teil der Klimabewegung durch seine nicht vermittelbaren Aktionen selbst delegitimiert, können seine Gegner eine rhetorische Aufrüstung betreiben, die zunehmend selbst zur Tat drängt.
Die Politiker-innen bringen nicht den Schneid auf, sich persönlich den mit Recht Demonstrierenden entgegen zu stellen und schicken die, von der Bevölkerung bezahlten Knüppelbarden als Problemlöser Ihres ganz persönliches Versagens in Ihr Gefecht !
Weniger brachial, aber dafür nicht weniger ambitioniert agiert die soeben im CDU-Umfeld gegründete „Denkfabrik für neue bürgerliche Politik“, R21.[3] Deren Initiator und Vordenker, der CDU-Historiker Andreas Rödder, bringt die Strategie in einem „Spiegel“-Artikel auf den Punkt.[4] Rödder sieht den gesamten Westen in einer historischen Auseinandersetzung mit neuen totalitären Kräften, weshalb er eine neue Eindämmungspolitik nach dem Vorbild des Kalten Krieges fordert: „Die moderne westliche Lebensform […] sieht sich von innen und von außen herausgefordert. Und so wie es George F. Kennan 1946 postulierte, so muss sich der Westen auch in der neuen Systemauseinandersetzung sowohl auf militärisch-politischer als auch auf gesellschaftlich-kultureller Ebene behaupten.“ Die Ironie der Argumentation besteht darin, dass es Rödder neben der erfolgreichen Außenpolitik des Westens vor allem um dessen Verteidigung nach innen, gegen die neuen Systemgegner von links, geht. Denn, so Rödder: „Das historisch einmalige und zugleich so tief internalisierte Wohlstands- und Freiheitsversprechen des westlichen Gesellschaftsmodells steht unter dem Verdacht [!], die Lebensgrundlagen der Menschheit zu zerstören. Weite Teile der Klimabewegung sehen im Kapitalismus den Verantwortlichen für das drohende Ende der Welt, das an die Stelle des hoffnungsfrohen Narrativs vom ‚Ende der Geschichte‘ nach 1989 getreten ist.“
Rödder negiert hier bewusst die Tatsache, dass für den Klimawandel heute primär der im Kapitalismus angelegte Wachstumszwang verantwortlich ist. Stattdessen stigmatisiert er Kapitalismuskritiker, die die Idee des Postwachstums verfechten, umgehend als antibürgerliche, ja sogar antimoderne Ideologen: „Vorstellungen von ‚Verlust als Gewinn‘, ‚Degrowth‘ oder ‚anderem Wachstum‘ suchen die Lösung für die Probleme der marktwirtschaftlichen Moderne nicht mit ihren eigenen Mitteln, das heißt durch Entwicklung und Einsatz neuer Technologien. Sie setzen auf eine Revision der wachstumsorientierten Marktwirtschaft, die mit weitreichenden staatlichen Regulierungen einer ‚Großen Transformation‘ einhergehen soll.“ Anstatt also die globale Klimakrise in ihrer ganzen Radikalität zur Kenntnis zu nehmen, was auch bedeuten würde, grundsätzliche Denkansätze nicht nur zuzulassen, sondern sogar zu fördern, schließt Rödder von vornherein jede Lösung aus, die über die „Entwicklung und den Einsatz neuer Technologien“ hinausgeht. Dadurch schrumpft die westliche Moderne zu einer kapitalistisch-marktwirtschaftlichen – alles was darüber hinausdenkt, liegt für Rödder nicht mehr im Rahmen des demokratisch Zulässigen.
Verengung des Diskursraums
Quelle : Blätter-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Letzte Generation Blockadeaktion Klimademo Luitpoldbrücke München 2022-11-21
Sonntag 29. Januar 2023 um 9:02
Die Politik in der Bundesrepublik Deutschland zeichnet sich durch drei Eigenschaften aus.
Die Inkompetenz
Die Ignoranz
Die Korruption
Selbst die gespielte, öffentliche Darstellung von Politik können diese nicht bewerkstelligen. Weil jede gute Person in der Politik muss gut im Populismus sein, um die Herzen und Köpfe in der Gesellschaft erfolgreich zu vereinen. Einem Willy Brandt ist es gelungen.
Deshalb bedarf es mehr jüngere Menschen aus den sozialen und ökologischen Strukturen in die Verfassungsorgane dieser Republik. Um deren Aufgaben diese nicht zu beneiden sind.
Jimmy Bulanik