Die These – Korruption ?
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 5. November 2022
Machttrunkene Hybris hat Österreich verdorben
VON RALF LEONHARD
Thomas Schmid ist so etwas wie die Black Box der türkisen ÖVP von Sebastian Kurz. Wenn man sie knackt, findet man jedes Detail der verunglückten Reise dokumentiert. In dem Fall: die Vorbereitungen für den kometenhaften Aufstieg des jungen Hoffnungsträgers bei den österreichischen Konservativen, die generalstabsmäßig durchgezogene Übernahme der Partei und dann der Republik.
Über 300.000 Chat-Nachrichten, die auf Schmids Handy sichergestellt wurden, zeichnen das Sittenbild einer Clique von jugendlichen Emporkömmlingen, die glaubten, das Land gehöre ihnen und niemand könne sie dafür zur Verantwortung ziehen. Die Hybris dieses kleinen Machtzirkels hat in Österreich den Glauben an die Demokratie erschüttert.
Entsprechend groß war das Medieninteresse, als Schmid nach mehreren vergeblichen Vorladungen am Donnerstag vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss „betreffend Klärung von Korruptionsvorwürfen gegen ÖVP-Regierungsmitglieder“, vulgo ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss, erschien. Die Freude der Abgeordneten und der Medienvertreter währte nicht lange: Schmid entschuldigte sich höflich für sein Nichterscheinen bei bisherigen Terminen, verkündete dann aber, er werde von seinem Recht, die Aussage zu verweigern, Gebrauch machen. Denn seine Befragung durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sei noch nicht abgeschlossen, jede Aussage könne ihn belasten.
Es half auch nichts, dass ihm im Ausschuss Beugestrafen angedroht wurden. Schmid wollte nicht einmal die Frage, ob er ÖVP-Mitglied sei oder ob er von der WKStA protokollierte Aussagen gemacht habe, beantworten. Das in 15 ganztägigen Befragungen erstellte Protokoll im Umfang von 454 Seiten ist eine wahre Fundgrube an Fakten, deren Stichhaltigkeit von den Strafverfolgungsbehörden noch überprüft wird. Einzelne Chats von Schmid, die an die Medien geleakt wurden, sind inzwischen zu geflügelten Worten geworden. So etwa „Ich bin so glücklich:-)))! Ich liebe meinen Kanzler“, als Kurz dessen berufliche Aufstiegswünsche mit einem „Kriegst eh alles, was du willst“ abgesegnet hatte. In Zusammenhang mit einer Steuerangelegenheit eines Milliardärs erinnerte Schmid einen Mitarbeiter von Kurz: „Vergiss nicht – du hackelst (arbeitest; Anm. d. Red.) im ÖVP Kabinett!! Du bist die Hure für die Reichen!“
Das Selbstverständnis der „Wirtschaftspartei“ ÖVP als Hure der Reichen ist durch Chats und Aussagen von Schmid eindrucksvoll dokumentiert. Der Immobilienmagnat René Benko, in Deutschland bekannt, seit er Kaufhof und Karstadt übernommen hat, bot Thomas Schmid einen Job in seiner Signa Holding mit 300.000 Euro Gage jährlich plus Boni in gleicher Höhe an. Laut Schmid habe sich Benko im Gegenzug eine „steuersenkende Lösung“ für seine Probleme mit dem Fiskus gewünscht. Schmid habe dann Druck auf den zuständigen Beamten gemacht. Aus der Stelle als „Generalbevollmächtigter“ bei Signa wurde dann nichts, weil Sebastian Kurz seinen besten Mann im Finanzministerium nicht gehen lassen wollte.
Zu den Lieblingsmilliardären der ÖVP zählt auch Siegfried Wolf, der mit dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska im Geschäft ist und jüngst das MAN-Werk in Steyr übernommen hat. Bei Wolf ging es um Steuerschulden, die dieser nicht oder nur teilweise zahlen wollte. Schmid in seinem Einvernahmeprotokoll: „Er hat mich aus meiner Sicht gedrängt und gepusht zu seinen Gunsten tätig zu werden.“ Tatsächlich zeigte sich der damalige Finanzminister Hans-Jörg Schelling flexibel und verzichtete auf einige Millionen Euro von Wolf. Andere Steuerzahler können von solcher Kulanz nur träumen.
Sebastian Kurz war damals noch Außenminister in einer SPÖ-geführten Koalition. Die Umfrageergebnisse der ÖVP grundelten um die 20 Prozent, Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) war noch in Amt und Würden, er erfreute sich zunehmender Popularität. Populär war auch der damals 30-jährige Sebastian Kurz, der in der alten grauen Tante ÖVP einen von vielen als erfrischend gesehenen Farbtupfer abgab. Mit einer Gruppe von Getreuen aus der Jungen ÖVP entwarf er daraufhin das „Projekt Ballhausplatz“. Ballhausplatz 2 ist die Adresse jenes Trakts der ehemaligen kaiserlichen Hofburg, der die Büros des Bundeskanzlers beherbergt. Die Verschwörer sammelten kompromittierendes Material über politische Gegner in- und außerhalb der eigenen Partei, warben um Sponsoren und Prominente und sägten am Stuhl des eigenen Parteichefs und Vizekanzlers Reinhold Mitterlehner.
Dabei bedienten sie sich einer Methode, die nicht nur moralisch fragwürdig ist, sondern nun auch Kurz hinter Gitter bringen könnte. Die Sache ist so heikel, dass Kurz ein Telefongespräch mit Schmid aufnahm, in dem er seinen ehemals ergebenen Erfüllungsgehilfen offenbar nötigen wollte, alle Schuld auf sich zu nehmen und Kurz reinzuwaschen. Das Ergebnis erwies sich als wenig hilfreich. Es geht um die Frage: Hat Kurz selbst den Auftrag gegeben, manipulierte Umfragen in einem Boulevardblatt zu platzieren und diese Intrige mit Steuergeldern aus dem Finanzministerium zu bezahlen?
Beinschab und Abrissbirne
Schmid spricht vom „Österreich-Beinschab-Tool“ und nannte Kurz als Auftraggeber. Österreich heißt die Gratiszeitung der geschäftstüchtigen Gebrüder Fellner, die sich wohlwollende Berichterstattung über Politiker mit fetten Anzeigen bezahlen lassen. Sabine Beinschab heißt eine Meinungsforscherin, deren Ein-Frau-Betrieb zu großen Teilen von öffentlichen Aufträgen lebte. Sie hatte den Auftrag, Sebastian Kurz nur im besten Licht erscheinen zu lassen. Beinschab, die inzwischen Kronzeugenstatus erhalten hat, ist vollumfänglich geständig. Die Honorarforderungen für ihre Umfragen und Studien, die einzig dem Image von Kurz nützten, reichte sie auftragsgemäß im Finanzministerium ein.
Jetzt mussten sich Kurz und Co nur noch aus der ungeliebten Koalition mit den Roten befreien, um den Marsch auf den Ballhausplatz erfolgreich antreten zu können. Dabei betätigte sich der damalige ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka als „Abrissbirne“, wie Christian Kern später in einem Interview erzählte: Kurz habe immer wieder den Stillstand und die Streitereien in der Regierung beklagt, die dieser jeden Tag gemeinsam mit Sobotka herbeigeführt habe. Sobotka wurde später mit dem Posten des Nationalratspräsidenten belohnt. Mitterlehner warf schließlich entnervt das Handtuch und gab den Parteivorsitz ab. Kurz triumphierte und steuerte auf Neuwahlen zu, nach denen er mit der rechten FPÖ den idealen Partner fand. Die neue Regierung aus ideologisch Rechten und opportunistischen Neokonservativen strahlte so viel Harmonie aus, so mancher glaubte, sie könne mehr als zwei Legislaturperioden halten. Nur Herbert Kickl, der sich als Innenminister anschickte, eine der wichtigsten Bastionen der ÖVP zu schleifen, störte den Koalitionsfrieden. Dann ploppte der Ibiza-Skandal auf. Im Mai 2019 wurde ein im Sommer 2017 heimlich aufgenommenes Video publik. Die Selbstentblößung des späteren Vizekanzlers Strache musste zu dessen Rücktritt führen. Kurz nutzte die Gelegenheit, um den Störenfried Kickl zu entfernen – und wurde mit einem von der FPÖ mitgetragenen Misstrauensvotum bestraft. Bundespräsident Alexander Van der Bellen ernannte eine Beamtenregierung, die sich großer Beliebtheit erfreute, weil sie auf die tägliche Inszenierung verzichtete.
Quelle : TAZ-online >>>>>> weiterlesen
*********************************************************
Grafikquellen :
Oben — Wahlplakat der Christlichsozialen Partei in Wien, 1920