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Herunter von der Insel

Erstellt von DL-Redaktion am Sonntag 3. April 2022

Putins Feldzug, Macrons Mission

Datei:Wladimir Putin und Emmanuel Macron (2017-07-08) 01.jpg

Der verheerende Angriffskrieg auf die Ukraine markiert eine tiefe historische Zäsur für Europa. Das zeigt sich auch und insbesondere in Frankreich. Als europäische Führungsmacht trägt es derzeit nicht nur eine besondere Verantwortung beim Versuch, eine weitere Eskalation abzuwenden, sondern sein Präsident ist auch zum Stichwortgeber für die europäische Antwort auf Wladimir Putins Aggression geworden. Schließlich war es Emmanuel Macron, der schon vor fünf Jahren jene „europäische Souveränität“ eingefordert hat, die jetzt entwickelt werden soll, um in dieser neuen Zeit bestehen zu können. Die Wege, die dahin beschritten werden sollen – wie eine gemeinsame Verteidigungs- oder eine verstärkte europäische Energiepolitik –, klingen ebenfalls stark nach den zuvor oft abgewehrten Konzepten des französischen Präsidenten. Wenn Europas Chefstratege sich derzeit also bestätigt fühlen kann, so zeigt er es angesichts des ebenso verbrecherischen wie brutalen Krieges des Putin-Regimes wohlweislich nicht. Stattdessen präsentiert er sich ganz als der verantwortungsvolle Diplomat, der sowohl mit Putin als auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj regelmäßig telefoniert und bei seinem Vorgehen insbesondere den Schulterschluss mit Deutschland sucht.

Das wiederum sorgt vor den Präsidentschaftswahlen am 10. und 24. April für eine Fallhöhe, die größer nicht sein könnte. Statt um echte oder oft bloß imaginäre Probleme Frankreichs, an denen sich die meisten aussichtsreichen Kandidatinnen und Kandidaten bisher abgearbeitet haben, geht es nun um nichts geringeres als den Frieden in Europa und die neue Rolle der EU in einer dramatisch veränderten Welt. Während Macron darüber mit anderen Staatschefs verhandelt, tingeln seine Herausforderer eifrig durch Fernsehstudios und Festsäle und können doch nicht verhindern, dass die meiste Aufmerksamkeit vom Kriegsgeschehen absorbiert wird.

Putins Bewunderer unter Druck

Als weitaus größere Bürde erweist sich für die meisten von ihnen aber ihre langjährige Haltung zu Putins Russland. In Frankreich zeigt sich so deutlich wie kaum irgendwo in Europa, dass der Kampf zwischen Despotie und Demokratie, der derzeit auf ukrainischem Boden ausgefochten wird, einem Konflikt innerhalb der westlichen Gesellschaften zwischen autoritären und freiheitlichen Kräften entspricht. Gleich drei der vier stärksten Widersacher Macrons haben Putin stets verteidigt, zuweilen regelrecht bewundert. Jetzt geraten sie unter enormen Rechtfertigungsdruck.

Der Rechtsradikale Éric Zemmour etwa hatte schon lange vor seiner politischen Karriere bekannt, er „träume von einem französischen Putin“.[1] Die Warnungen vor einer russischen Invasion der Ukraine tat er als Hysterie ab, die von US-Geheimdiensten geschürt werde. Seine ebenfalls rechtsradikale Konkurrentin Marine Le Pen spielte vor dem Krieg eine sogar noch unrühmlichere Rolle: Ihre Partei, der Rassemblement National, pflegt eine enge Kooperation mit dem Kreml, ließ sich von Moskau mit einem Kredit über neun Millionen Euro finanzieren und verbreitete eifrig Propaganda über das international nicht anerkannte Unabhängigkeitsreferendum auf der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim. Für den Wahlkampf hatte Le Pen über eine Million Broschüren drucken lassen, die ein Foto ihres innigen Händedrucks mit Putin zeigen – nach Kriegsbeginn wurden sie flugs eingestampft.[2]

Während die Putin-Nähe der beiden Rechtsradikalen auf politischen Sympathien für den Moskauer Machthaber beruht und einer ähnlichen Strategie zur Unterminierung der offenen Gesellschaft und der EU entspringt, liegt der Fall beim Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon anders: Er bezeichnet sich zwar als „blockfrei“,[3] erachtete aber wie so mancher Linker – nicht nur in Frankreich – erklärtermaßen Nato und USA als die größten Probleme für den Frieden. In den Warnungen vor dem russischen Militarismus sah er nur einen willkommenen Vorwand für eine verstärkte europäische Verteidigungspolitik. Zwei Wochen vor der Invasion, als Putins Armee schon aufmarschiert war, antwortete er auf die Frage, wer im Ukraine-Konflikt der Aggressor sei kurz und bündig: „Die Nato, ohne jeden Zweifel.“[4] Dabei hätte ihm spätestens seit dem Syrien-Krieg bewusst sein müssen, dass Putin selbst Kriegsverbrechen gegen Zivilisten nicht scheut. Damit schwindet wohl Mélenchons Hoffnung, grüne oder sozialistische Wähler könnten ihm als dem stärksten linken Kandidaten wenn schon nicht aus Überzeugung, so doch wenigstens aus taktischen Gründen ihre Stimme geben.

Selbst die französischen Konservativen gerieten durch den Angriffskrieg in einen Abwärtssog. Der ehemalige Premierminister François Fillon, 2017 noch Präsidentschaftskandidat der Partei, gab den französischen Gerhard Schröder und konnte sich bei Kriegsbeginn am 24. Februar kaum zu einer Verurteilung der russischen Invasion durchringen, da er zu diesem Zeitpunkt im Vorstand des staatlichen russischen Ölkonzerns Sarubeschneft und des petrochemischen Unternehmens Sibur saß. Zwar verfügte er, anders als Schröder, noch über so viel Anstand oder wenigstens taktisches Gespür, um am folgenden Tag seine Posten zu räumen, aber da war der Schaden längst angerichtet.[5] Angesichts einer Spitzenkandidatin Valérie Pécresse, die schon zuvor ideologisch irrlichterte und – wohl entgegen ihrer Überzeugung – Schlagwörter der radikalen Rechten wie „Passfranzose“ und „großer Austausch“ übernahm,[6] scheiden die Konservativen für viele bürgerliche Wähler als ernsthafte Alternative zu Macron aus.

Bruch mit der Inselmentalität

Das verweist auf ein höchst beunruhigendes Phänomen: Unter den aussichtsreichen Bewerberinnen und Bewerbern in Frankreich ist Macron der einzige, der konsequent international und europäisch denkt und nicht den Rückzug in die nationale Wagenburg oder gar einen aggressiven Provinzialismus predigt. In den Wochen vor Kriegsbeginn überboten sich Rechtsradikale und Konservative mit immer neuen Volten gegen Immigration und gesellschaftliche Vielfalt und machten sich dabei ein tatsächlich vorhandenes Unsicherheitsgefühl in Frankreich zunutze.[7] Schon lange vor dem Krieg hatten über 60 Prozent der Franzosen erklärt, es gebe keine Sicherheit mehr im Land und verantwortlich dafür sei die Einwanderung. Diese Aussage, die die Erschütterung durch den islamistischen Terror in Frankreich widerspiegelt, teilen sogar die Hälfte der Macron-Wähler und mehr als ein Drittel der Mélenchon-Anhänger.[8] Angesichts dessen ist es eine bemerkenswerte Wende des Präsidenten, wenn er nun – anders als 2015 oder noch im vergangenen Jahr nach dem Fall von Kabul – Schutzsuchende aus der Ukraine in großer Zahl willkommen heißt.[9]

Datei:2022-01-19 21-06-26 meeting-Mélenchon-Strasbourg.jpg

Dieser Stimmungsumschwung in der Gesellschaft unterstreicht etwas, was angesichts eines extrem krawalligen Wahlkampfs leicht in Vergessenheit geraten könnte: Frankreich ist kein rechtes Land.[10] Aber nach Jahren mit Wirtschaftskrisen, Terroranschlägen und der Corona-Pandemie sind viele Französinnen und Franzosen verunsichert und pessimistisch. Dieser Verunsicherung wollten die Rechtsradikalen mit Abschottungsphantasien begegnen und die Konservativen ließen sich davon treiben. Selbst eine teilweise Abwendung von Europa schien für führende Bürgerliche zwischenzeitlich denkbar.

Diese Inselmentalität aber hat sich in den vergangenen Wochen als komplett realitätsfremd, ja sogar als gefährlich erwiesen. Macron, der auch ohne den Krieg einen europafreundlichen Wahlkampf geführt hätte, wird nun von der historischen Entwicklung bestätigt, wenn auch auf äußerst schmerzliche Weise. Frankreich allein kann in dem Sturm, den Wladimir Putin entfesselt hat, nicht bestehen. Es braucht Verbündete, es braucht Europa, es braucht eine regelbasierte internationale Ordnung.

Nun ist Macron auch in Frankreich keineswegs der einzige, der das erkannt hat. Aber er ist der einzige, der davon an der Wahlurne profitieren wird. Zwar hat der grüne Spitzenkandidat Yannick Jadot sich schon vor Kriegsbeginn solidarisch an die Seite der Ukraine gestellt und Russlands Einmarsch rhetorisch scharf verurteilt, aber seine Kampagne ist durch eigene Fehler und parteiinterne Turbulenzen ins Stocken geraten. Auch die sozialistische Bewerberin Anne Hildago ist nicht als Putin-Versteherin bekannt, doch liegt sie in den Umfragen seit Wochen am Boden, noch hinter dem Kandidaten der lange abgemeldeten Kommunisten und nur knapp vor den beiden Trotzkisten. Das lässt sie nicht gerade als präsidiale Alternative in düsteren Zeiten erscheinen.

Europäisches Momentum

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Grafikquellen          :

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Namensnennung: Kremlin.ru

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Unten     —      Dans le cadre de l’élection présidentielle des 10 & 24 avril 2022 : Réunion publique de Jean-Luc Mélenchon, au Palais de la Musique et des Congrès de Strasbourg, le 19 janvier 2022.

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