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RENTENANGST

Pleiten, Pech und Pannen

Erstellt von Redaktion am Dienstag 16. Juni 2020

Auf den Trümmern einer mißglückten Verteidigungskampagne

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Quelle         :       Scharf  —  Links

Von Achim Schill (mit Unterstützung von Detlef Georgia Schulze), 14.06.2020 in Sachen linksunten

Zum schriftlichen Urteil des Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)

Inzwischen gibt es das am 29. Januar 2020 verkündete Urteil des BVerwG zum linksunten-Verbot [1] – von der Öffentlichkeit wohl weitgehend unbemerkt – auch in schriftlicher Form. Dieses wurde den KlägerInnen auch zugestellt (und außerdem im internet veröffentlicht: https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0), und diese haben dagegen Verfassungsbeschwerde erhoben (siehe: Presserklärung).

Pleiten, Pech und Pannen

Warum diese Verfassungsbeschwerde den bisherigen Pleiten, Pech und Pannen der linksunten-Verteidigungskampagne einen weiteren Baustein hinzufügen droht, erklärte am Freitag (12.06.2020) Detlef Georgia Schulze (dgs) in einem Interview mit Radio Dreyeckland. Sie warnte: wenn die bisherigen politisch-juristischen Schiefstellungen nicht korrigiert werden, dann werde auch die Beschwerde in Karlsruhe scheitern.

Zum Beispiel wurde die (repressive) Brisanz des Vereinsgesetzes unterschätzt (s. dazu auch schon meinen Artikel vom 03.08.2020 bei scharf-links, in dem ich die Argumente von dgs gegen die Anwendung des Vereinsbegriffs in Bezug auf den HerausgerInnen-Kreis von linksunten skeptisch beurteilte). Die Weite der Vereinsdefinition (§ 2 Vereinsgesetz) erlaubt im Prinzip (fast) jede kooperative Struktur als ‚Verein‘ zu deklarieren und zu verbieten, wenn sie in irgendeiner Form das Missfallen des Staatsobrigkeit erregt: „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“

Die wenigen – wenn auch sehr begrenzten – Möglichkeiten, die einzelnen Definitionsmerkmale des § 2 Vereinsgesetz eng – statt auch noch ausweitend – zu interpretieren, hatten die AnwältInnen der KlägerInnen bei der mündlichen Verhandlung am 29. Januar 2020 nicht genutzt (s. Protokoll bei de.indymedia sowie Artikel in FAZ vom 29.01.2020 [vgl. dort] und Welt vom 30.01.2020) und nutzten sie auch jetzt in ihrer Presseerklärung zur Verfassungsbeschwerde nicht. Stattdessen hatten sie in Leipzig

•     die – politisch sehr fragwürdige, nämlich den linksunten-HerausgeberInnen-Kreis kleinredende – Hypothese, am Ende habe der HerausgeberInnen-Kreis – anders als in der Zeit bis 2014 – nicht mehr aus einer „Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen“ bestanden, vage in den Raum gestellt;

•     sowie – aber ohne nähere Argumentation – behauptet, es könne sich einfach um keinen Verein gehandelt haben [2] – was blauäugig auch von vielen Linken und Liberalen nachgequatscht wird – so auch von Markus Reuter bei netzpolitik.org am 09.06.2019: „das Ministerium [behalf sich] eines Vereinsverbotes, obwohl es sich bei der Plattform um keinen eingetragenen Verein handelte.“

Da es aber juristisch gar nicht darauf ankommt, ob der Verein eingetragen war (s. § 2 Vereinsgesetz: „ohne Rücksicht auf die Rechtsform“!) ist der Hinweis, daß linksunten (= die „Plattform“ = das Medium) sowieso nicht und auch deren BetreiberInnen-Kreis kein „eingetragener Verein“ war, ein Schuß ins Leere, der die Position der Gegenseite gar nicht trifft.

Die Kritik daran, daß es in § 2 Vereinsgesetz auf die Rechtsform nicht ankommt, ist kein juristisches Argument – also kein Argument, das im juristischen Kampf gegen das linksunten-Verbot hilft –, sondern bestenfalls ein rechtspolitisches Argument, das – falls es die Gesetzgebungsorgane überzeugen sollte – künftige Repressionsmöglichkeiten unter Berufung auf das Vereinsgesetz eingrenzen könnte.

Des Weiteren haben sich AnwältInnen der KlägerInnen und auch politischen AktivistInnen auf dem Nebenschauplatz Telemediengesetz in eine trügerische Sicherheit geredet. Denn – anders als behauptet wurde [3] – kommt es in § 10 TMG nicht darauf an, ob die jeweiligen Webseiten-BetreiberInnen von dritter Seite einen Hinweis auf etwaig problematische Inhalt erhalten haben. Vielmehr genügt eigene Kenntnis der problematischen Inhalte. Das heißt, die Redaktionen und herausgeberischen Strukturen sind selbst haftbar, wenn sie Inhalte ihres Mediums, die sie kennen und die gegen (verfassungsmässige) Gesetze verstoßen, nicht nach Kenntniserlangung entfernen. – Geschützt ist nur der Zeitraum zwischen Veröffentlichung durch die AutorInnen (NutzerInnen) selbst – was bei linksunten genauso möglich war, wie es z.B. bei Facebook, Twitter und YouTube möglich ist – und Kenntniserlangung der BetreiberInnen (sei es durch eigenständige ‚Moderation‘ [wie bei linksunten] oder durch Beschwerden Dritter).

Worauf es in Karlruhe ankommt

Nach dem Urteil des BVerwG kann der Gang nach Karlsruhe ausschließlich unter dreierlei Gesichtspunkten etwas bringen:

(1) Hinsichtlich des Vereins-Begriffs muß auf der Ebene der gesetzlichen Tatbestandmerkmale argumentiert werden (vgl. dazu auch den LeserInbrief von DGS an perspektive-online.net ) statt einfach bloß zu behaupten, Medien / Medien-herausgebende Personenkreise könnten einfach keine
„Vereine“ sein.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht behauptet: „Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zur Anfechtung des Verbots einer Vereinigung regelmäßig nur die verbotene Vereinigung befugt, nicht hingegen ein Mitglied. Die Verbotsverfügung betrifft nicht die individuelle Rechtsstellung natürlicher Personen, sondern die Rechtsstellung der verbotenen Vereinigung als einer Gesamtheit von Personen. Sofern das Vereinsverbot Rechte verletzt, können dies nur Rechte der verbotenen organisierten Personengesamtheit sein.

Dieses verwandelt die Vereinigungsfreiheit, die nach dem Wortlaut von Artikel 9 Absatz 1 Grundgesetz ein Recht von Individuen ist („Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.“) in ein Kollektivrecht der Vereine an ihrer Existenz (vgl. daran die Kritik: Leipziger Landdogma). Jene Behauptung des Bundesverwaltungsgerichts hatten die AnwältInnen der KlägerInnen am 29. Januar 2020 in Leipzig aber nicht angegriffen – und sie greifen sie auch jetzt in ihrer Pressemitteilung zur Verfassungsbeschwerde nicht an.

Das müßten sie aber tun, da ihre MandantInnen nicht als VertreterInnen des Vereins auftreten (also nicht
für den bzw. als ‚Verein‘ klagen), sondern ihnen die Zugehörigkeit zum HerausgeberInnen-Kreis von linksunten (ohne eigenes Bekenntnis) von Innenministerium und Bundesverwaltungsgericht bloß zugeschrieben wird.

In Karlsruhe komme es aber nun – so jedenfalls die Meinung von dgs – entscheidend darauf an, für eine Rückumwandlung des bundesverwaltungsgerichtlichen ‚kollektiven Vereinsrechts auf Existenz‘ in die individuelle grundgesetzliche Freiheit, Vereine „zu bilden“, zu streiten – wobei „bilden“ nicht nur einen einmaligen Gründungsakt umfasst. Vielmehr bilden die Mitglieder den Verein, in dem sie Mitglied sind, durch ihre aktive Vereinstätigkeit, ihr individuelles Engagement. Folglich greift ein Vereinsverbot in das Recht der Mitglieder, diesen Verein zu bilden, ein – und folglich müssen – jedenfalls – nicht (nur) die Vereine, sondern vor allem die Mitglieder, in deren Recht eingegriffen wird, zur Klage gegen Vereinsverbote befugt sein.

Problematisch wird die Klagebefugnis aber, wenn als praktische Nebenfolge eines Vereinsverbotes ein Medium ‚eingestellt‘ wird (weil der jeweilige Herausgeber ‚nicht mehr da ist‘ oder jedenfalls nicht mehr legal handlungsfähig ist). Klar sein sollte, daß von einem ausdrücklichen Mediumsverbot – wie es das BMI 2017 postuliert hatte [4] – auch die LeserInnen und AutorInnen in ihrer Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit betroffen sind – und also auch klagebefugt sind.

Nun behauptet aber das Bundesinnenministerium (BMI) inzwischen und auch das Bundesverwaltungsgericht, die internet-Plattform „linksunten.indymedia“ sei 2017 gar nicht verboten worden. So heißt es in der Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts: „Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, […].“ (Textziffer 33; Hervorhebung hinzugefügt)

Damit besteht nun die Möglichkeit, dass linksunten ab sofort von anderen HerausgeberInnen als dem 2017 verbotenen „Verein“ wieder herausgeben wird. (Das wäre zwar mit der Gefahr erneuter Repression verbunden, ist aber nach dem zitierten Satz aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr von vornherein illegal.)

Tatsächlich wird auch die alte URL von linksuntenhttps://linksunten.indymedia.org/ – seit einiger Zeit wieder genutzt – bisher allerdings nur als Archiv des Inhalts, der bis August 2017 erschienen war. – Die URL könnte aber durchaus auch mit neuem Inhalt gefüllt werden. Dafür müsste sich freilich erst einmal eine neue herausgeberische Struktur bilden.

Dies wäre dann doch noch ein offensiver Abschluß einer insgesamt verkorksten [5] Antirepressions-Kampagne.

[1] Siehe meinen Artikel im untergrund-blättle vom 30. Januar 2020: https://www.untergrund-blättle.ch/gesellschaft/medien/linksunten-verbotsverfuegung-bundesverwaltungsgericht-leipzig-3269.html

[2] Vgl. zu dieser vagen Argumentionsweise: „In einer aktuellen Pressemittleilung der AnwältInnen der vermeintlichen BetreiberInnen berufen diese sich darauf, das die Plattform durch die Pressefreiheit geschützt sein müsste, da es sich um eine ‚Nachrichten- und Kommunikationsplattform‘ und nicht um einen Verein handle.“ (perspektive-online.net vom 10.06.2020)

[3] In einem (anonymen) Papier, das 2018 beim Kongreß der deutschen journalistInnen union (dju) in ver.di verteilt wurde, hieß es: „Für ein Online-Medium gilt das Telemediengesetz, das besagt, dass das Medium auf rechtswidrige Inhalte hingewiesen werden muss, bevor sie ihm zur Last gelegt werden können.“ (S. 3)

[4] „Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat heute die linksextremistische Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘ […] verboten und aufgelöst.“ / „Ziel ist es, die Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘ dauerhaft abzuschalten“ (https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html; alle Hervorhebungen von mir)

[5] Die Verteidigungs-Kampagne für linksunten war von Anfang an durch sowohl politische als auch juristische Fehler belastet. Die (vermeintlichen) HerausgeberInnen hätten viel offensiver selbst in die Öffentlichkeit gehen müssen. Es muss allerdings dazu gesagt werden, dass das BMI mit seinem ‚Bluff‘ des ‚Plattform-Verbotes‘ die gesamte Öffentlichkeit  täuschen konnte. Dass allerdings ‚linke Strukturen‘, die sich doch sonst eigentlich durch kritisches Bewusstsein auszeichnen sollten, sich ebenfalls ins Bockshorn jagen ließen, ist schon ein bedenkliches Symptom, das Rückschlüsse über das generelle politische Kräfteverhältnis erlaubt.
Die Kehrseite der weitgehenden Abwesenheit der Betroffenen als politische AkteurInnen war, dass die Öffentlichkeitsarbeit den AnwältInnenen überlassen wurde, was zwangsläufig (wegen ‚Rollenzwängen‘) zu einer Passivierung und Ent-Politisierung der linksunten-Kampagne beitrug.

Dass bei der Verwaltungsgerichtsklage dann auch noch eklatante juristische Fehler begangen wurden, schlägt dem Ganzen nur noch das letzte Loch in den Fassboden. Wenn es im Verfahren zur eingereichten Verfassungsbeschwerde nicht besser gemacht wird als in Leipzig, dann wird auch der Gang nach Karlsruhe vermutlich zu einem Blindflug nach Waterloo geraten.

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