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Die Bluffs der Lobbyisten

Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 30. Oktober 2018

„Politiker glauben die Bluffs der Lobbyisten“

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Das habe ich immer geschrieben und man sollte sich fragen: „Wo sollten sie denn so etwas gelernt haben ? Der große Durchschnitt zumindest eher nicht. – DL  – Red. – IE –

Das Interview führte Jörg Wimalasena

Norbert Walter-Borjans fordert von der SPD, das Thema Steuergerechtigkeit stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Der ehemalige NRW-Finanzminister wirbt für den Einsatz von Whistleblowern im Kampf gegen Betrüger.

taz: Wie viel muss man hierzulande eigentlich verdienen, damit man den Spitzensteuersatz aufs gesamte Einkommen zahlt?

Norbert Walter-Borjans: In Wahrheit ist der Spitzensteuersatz ja nicht 42, sondern 45 Prozent und gilt erst für den Teil eines Single-Einkommens oberhalb von 260.000 Euro. 45 Prozent auf alles werden nie erreicht, weil für die erste Viertelmillion weniger als 39 Prozent fällig werden. Auch die gern als Spitzensteuersatz bezeichneten 42 Prozent ab rund 55.000 Jahreseinkommen eines Single gelten erst vom 55.001sten Euro an. Effektiv ist der Steuersatz bezogen aufs gesamte Einkommen bis dahin gerade einmal knapp 28 Prozent inklusive Solidaritätszuschlag. Auf 42 Prozent vom Gesamteinkommen kommt ein Single deshalb erst ab circa 600.000 Euro im Jahr – Verheiratete ab 1,2 Millionen!

Dennoch ist das Gerücht weit verbreitet, dass auch Normaleinkommen vom Spitzensteuersatz betroffen wären. Wie kommt das?

Es hilft ja jemandem – den Reichen in diesem Land. Wenn ich den Eindruck erzeuge, der Spitzensteuersatz träfe Menschen wie Sie und mich in voller Höhe, dann bekommt man auch schneller eine Mehrheit zusammen, diesen Spitzensteuersatz zu senken – auch wenn das den allermeisten gar nichts bringt. Die wirklich vom Spitzensteuersatz in größerem Umfang Betroffenen sind nur eine sehr kleine Minderheit. Mehrheiten kann man aber nur organisieren, wenn man der Gesamtgesellschaft suggeriert: „Eigentlich trifft es fast jeden.“

Wer suggeriert das?

Auf Lobbyebene versuchen der Bund der Steuerzahler oder die Initiative soziale Marktwirtschaft massiv, den Eindruck zu erwecken, der Durchschnittsverdiener werde fast so behandelt wie ein Millionär. Daraus leitet man dann Forderungen ab, wie den Spitzensteuersatz zu senken und den Soli auch für die Reichen abzuschaffen. Das hilft aber nur der Oberschicht. Das Institut der Deutschen Wirtschaft schrieb einmal, jeder elfte Arbeitnehmer sei vom Spitzensteuersatz betroffen, weil er mehr als 54.949 Euro im Jahr verdient. Wer 54.950 Euro verdient, zahlt den Satz aber nur auf einen Euro. Das wird aber nicht erwähnt. In fast allen Medien heißt es dann, jeder Elfte zahle 42 Prozent. Dadurch entsteht ein öffentlicher Druck, der viel entscheidender ist als direkter Lobbyismus.

Allerdings wird die Legende des Spitzensteuersatz zahlenden Facharbeiters auch in der Politik wiederholt – zum Beispiel in Ihrer Partei, der SPD.

Staatskanzelei in Düsseldorf : Da wäre viel Platz für ein Sammellager. Mit Seehofer auf der Rolltreppe als Aufpasser.

Die allermeisten Nicht-Finanzpolitiker glauben im Zweifel selbst an diese Bluffs, weil sie dem Thema Steuern lieber aus dem Weg gehen. Wenn man sich nicht sattelfest fühlt, spricht man natürlich auch lieber nicht die Missstände im Steuersystem an.

Gerade erst haben Kollegen mit einer großangelegten Recherche neue Details zum Cum-Ex-Skandal um erschlichene Steuererstattungen aufgedeckt. Ein großer öffentlicher Aufschrei folgte nicht. Ist das Thema Steuerhinterziehung nicht interessant genug?

Ich teile diesen Eindruck nicht. Die Berichterstattung war breit, das Fernsehen hat berichtet. Für mich war es dennoch lange schwierig, das Problem mit der Steuerkriminalität in die Medien zu bringen. Ein TV-Redakteur hat einmal gesagt, es fehlten Bilder von den Opfern der Steuerhinterziehung. Das Problem ist: Wir alle sind Opfer. Aber es gibt halt keine spektakulären Bilder, wie bei einem Banküberfall oder einer Naturkatastrophe. Man muss das Thema greifbar machen. Die Steuer-CDs, die während meiner Amtszeit trotz Kritik angekauft wurden, haben dabei sehr geholfen.

Die Datenträger haben großflächige Steuerhinterziehung in der Schweiz sichtbar gemacht. Aber Sie schreiben in ihrem Buch selbst, die CDs seien nicht der wichtigste Teil ihrer Steuerfahndungsstrategie gewesen. War das Ganze dann nur eine symbolische Aktion?

Quelle      :      TAZ           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben       —            Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen

 

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