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Archiv für Juni 24th, 2023

Eine bittere Kiwi Ernte

Erstellt von DL-Redaktion am 24. Juni 2023

Die pontinische Ebene gehört zu den fruchtbarsten Gegenden Italiens. 

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Von  :    CHARLOTTE AAGAARD   —   KUSUM ARORA  —  FRANCESCA CICCULLI   —   STEFANIA PRANDI

Hier werden Kiwis angebaut, die in ganz Europa gegessen werden. Auf den Feldern arbeiten viele Inder. Oft unter unwürdigen Bedingungen, gefan­gen in einem System aus Schulden und Angst.

Sie kamen am Morgen kurz vor Sonnenaufgang. Der abgelegene Bauernhof außerhalb von Borgo Sabotino, einer 2.000-Einwohnergemeinde südlich von Rom, lag noch in der Dunkelheit. Es war der 17. März 2017. Ein Datum, das Balbir Singh nie vergessen wird.

In der Dunkelheit tauchten zwölf bewaffnete Männer auf. „Ich hatte wirklich Angst“, erzählt Balbir Singh. „Der Hofbesitzer rief mir zu, ich solle weglaufen. Aber das tat ich nicht.“ Und darüber ist er heute froh.

Die Männer in Zivil zeigten ihm ihre Ausweise. Es waren italienische Polizisten. Sie baten Balbir Singh mitzukommen. „Meine Kleidung war schmutzig. Ich hatte tiefe Wunden an Händen und Füßen, meine Nägel bluteten. Aber es war ein großer Tag“, sagt Balbir Singh. „Kurz vor unserer Abfahrt sah ich, dass die Polizisten den Bauern und seine Frau verhaftet hatten.“

Sechs Jahre Ausbeutung mit Gewalt, Drohungen, ausbleibender Bezahlung, Hunger und Entbehrungen hatten für Balbir Singh, einen ehemaligen Englischlehrer und langjährigen Landarbeiter aus der indischen Region Punjab, damit ein Ende. „Sechs Jahre in der Hölle“, nennt er die Zeit heute.

Sie endete, als er über einen indischen Landsmann Kontakt zu dem italienischen Soziologen und Menschenrechtsaktivisten Marco Omizzolo bekam. Omizzolo lehrt Sozialanthropologie an der Universität La Sapienza in Rom. Er setzt sich seit Jahren für die Rechte indischer Landarbeiter in Italien ein, dokumentiert Missstände und bringt sie zur Anzeige. 2016 organisierte er den ersten größeren Streik indischer Arbeiter in Italien mit. Wegen seines Engagements erhält er oft anonyme Drohungen, sein Auto wurde mehrmals beschädigt. Seit Jahren steht Omizzolo unter Polizeischutz, aus Sicherheitsgründen wohnt er selbst heute nicht mehr in der Region.

Omizzolo sorgte dafür, dass Balbir Singh über seinen indischen Bekannten ein Handy bekam, mit dem er ihm die Zustände auf dem Bauernhof über mehrere Wochen immer wieder schildern konnte. Mit den Informationen ging Omizzolo schließlich zur Polizei.

„Ich habe jeden Tag 12 bis 13 Stunden gearbeitet, sieben Tage die Woche“, erzählt Balbir Singh im Gespräch. „Obwohl ich nie einen freien Tag hatte, wurde mein Lohn immer weiter gekürzt. Am Ende gab es mehrere Monate, in denen ich überhaupt kein Geld mehr bekam.“ Er habe sich aus Geldmangel lange Zeit von altem Brot ernähren müssen und Essen aus Resten gekocht, die die Familie weggeworfen hatte. Er wohnte in einem alten Wohnwagen ohne Strom oder Heizung. Wenn er duschen wollte, erzählt er, habe er das im Stall tun müssen, nachdem alle anderen auf dem Hof bereits zu Bett gegangen waren oder bevor sie morgens aufstanden.

Es mag ein extremer Fall sein, was Balbir Singh erlebte, aber seine Geschichte zeigt, wie verletzlich indische Landarbeiter sind, wenn sie auf der Suche nach Arbeit nach Italien kommen – ohne Geld, ohne Sprachkenntnisse, oft mit hohen Schulden bei zwielichtigen Vermittlern und mit der ständigen Angst, ihre Aufenthaltserlaubnis wieder zu verlieren. Balbir Singh ist einer der wenigen, der sich wehrte und seinen ehemaligen Chef vor Gericht brachte.

Er ist der erste Migrant, dem in Italien eine Aufenthaltserlaubnis „aus Gründen der Gerechtigkeit“ erteilt wurde. Diese soll sicherstellen, dass er auf jeden Fall bis zum Ende des Gerichtsprozesses im Land bleiben kann. Ein rechtskräftiges Urteil steht in seinem Fall noch aus. Bei Prozessen mit Berufung kann es mehrere Jahre dauern, bis eine Entscheidung durch alle Instanzen gegangen ist.

In den vergangenen dreißig Jahren sind viele Inder auf der Suche nach Arbeit in die Agro Pontino, die pontinische Ebene, einem Gebiet südöstlich von Rom, gekommen. Offiziell gibt es in der Region Latina, in der die pontinische Ebene liegt, heute 9.500 indische Arbeiter. Nimmt man diejenigen dazu, die keine Aufenthaltsgenehmigung haben, die in benachbarten Regionen leben oder die noch nicht in der Statistik auftauchen, weil sie erst sehr kurz im Land sind, könnte die Zahl bei 30.000 liegen, schätzt Marco Omizzolo.

Auf den Straßen der Region sieht man oft indische Arbeiter mit bunten Turbanen, die mit ihren Fahrrädern von einem Feld zum nächsten fahren. Die meisten von ihnen sind als Arbeiter im Obst- und Gemüsesektor beschäftigt. Die Gegend ist eine der fruchtbarsten Italiens. Zu den beliebtesten Exportprodukten der pontinischen Ebene gehören Kiwis, die in Supermärkten in ganz Europa zu finden sind, auch in Deutschland.

Bei unseren Fahrten durch die Dörfer hören wir viele Geschichten über Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch. Aber nur wenige Betroffene trauen sich, offen zu sprechen, vor allem gegenüber Fremden und Journalisten sind sie zurückhaltend.

Durch zahlreiche anonymisierte Gespräche mit Arbeitern sowie Interviews mit Gewerkschaftern und Wissenschaftlern entsteht aber ein Bild: Die grünen Felder der pontinischen Ebene sind eine Landschaft, die geprägt ist von irregulären Verträgen und unzureichenden Löhnen.

Ein Opfer dieser Ausbeutung war Joban Singh. Sein Fall sorgte für Schlagzeilen. Er nahm sich im Juni 2020 das Leben. Wie viele indische Arbeiter war Joban Singh Opfer von Menschenhandel geworden. Er geriet in die Fänge eines kriminellen Netzes von Reise- und Arbeitsvermittlern, Mittelsmännern, Gemeindevorstehern und korrupten Beamten. Er soll 10.000 Euro Schulden aufgenommen haben, um nach Italien zu gelangen. Weil er – nach Aussage mehrerer Bekannter – nur schwarz beschäftigt wurde, sollen ihm immer wieder Teile seines Lohns vorenthalten worden sein.

Sein Schicksal ist kein Einzelfall. Es gibt immer wieder Suizide. Erst im Oktober 2022 haben sich zwei indische Arbeiter, die noch nicht einmal 25 Jahre alt waren, auf den Bauernhöfen der Region das Leben genommen, wie Lokalzeitungen berichteten.

Um nach Italien zu gelangen, zahlen indische Arbeiter umgerechnet bis zu 15.000 Euro an indische Vermittler. Dafür müssen sie sich bei Bekannten und Verwandten Geld leihen oder – falls sie das besitzen – Land, Kühe und Familienschmuck verkaufen. Die meisten stammen aus dem indischen Bundesstaat Punjab. Der Monatslohn für Menschen, die körperlich arbeiten, liegt dort zwischen 80 und 120 Euro. Deshalb ist Italien, wo ein indischer Arbeiter im Durchschnitt 863 Euro pro Monat verdient, für viele attraktiv – trotz der Ausbeutung, trotz der hohen Schulden.

In den Sikh-Tempeln in den Städten Velletri, Cisterna und Pontinia trifft sich die indische Gemeinde sonntags. Das Wort „Schulden“ wird bei unseren Gesprächen, obwohl es sehr viele hier betrifft, nur verschämt geflüstert. Viele Tempel wurden in alten Lagerhallen eingerichtet, die später renoviert und zu Gotteshäusern umfunktioniert wurden. Der Tempel in Velletri zum Beispiel besteht aus einem einzigen großen Raum mit rosafarbenen Wänden, einem mit Teppichen bedeckten Boden und buntem Papier, das an der Decke hängt. Der Altar im hinteren Teil des Raumes ähnelt einem Himmelbett. Von dort aus liest der Gottesdiener – der Granthi – aus dem heiligen Buch.

Im Tempel werden tagsüber Mahlzeiten für die Gläubigen und Bedürftige zubereitet. Die Menschen essen gemeinsam auf dem Boden eines großen Raums. Junge Leute verteilen Essen und Trinken. Ein Arbeiter erzählt, er habe zwei Jahre lang im Tempel gelebt, weil er weder Miete, Essen noch Strom bezahlen konnte. Mittlerweile habe er eine eigene Unterkunft. In den zwanzig Jahren, die er in Italien verbracht hat, habe er aber Hunderte Menschen kennengelernt, die in der gleichen Situation waren wie er.

Sikh-Arbeiter werden auf den Feldern und Bauernhöfen der pontinischen Ebene oft durch die Strategie der „grauen Arbeit“ ausgebeutet. Dabei werde der Lohn in zwei Teile gesplittet – ein Teil gehe in die Lohntüte, der andere Teil werde schwarz in bar ausgezahlt, erklärt Marco Omizzolo. Die Landwirte würden so weniger Sozialbeiträge und Steuern zahlen.

Eine andere Methode der Ausbeutung ist das sogenannte Jo-Jo-Gehalt. „Manche Chefs überweisen den Lohn auf das Bankkonto der Arbeiter, zwingen sie aber dann, zu einem Geldautomaten zu gehen, 200 bis 300 Euro abzuheben und sie an den Arbeitgeber zurückzuzahlen“, sagt Omizzolo.

Außerdem gibt es Arbeiter, die gezwungen werden, sieben Tage in der Woche 10 bis 11 Stunden am Tag auf den Feldern zu arbeiten. Teils ohne Zugang zu richtigen Toiletten und ohne regelmäßige Pausen. Vorgeschriebene Schutzausrüstung wie Handschuhe und Masken für den Schutz vor Pestiziden fehlten oft, sagt Omizzolo.

Immer wieder gibt es Berichte über Fälle von physischer und psychischer Gewalt. Wer protestiert oder rebelliert, riskiert eine sofortige Entlassung und Vergeltungsmaßnahmen. Einige Sikh-Arbeiter wurden auf dem Weg zu den Feldern von Autos angefahren, andere ausgeraubt oder verprügelt.

Zu der Angst vor Gewalt tritt oft noch der Albtraum der Illegalität hinzu: Ohne einen regulären Arbeitsvertrag ist es nicht möglich, eine Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern, um legal in Italien zu leben. Deshalb würden so viele Arbeiter die Ausbeutung über so viele Jahre akzeptieren, sagt der Generalsekretär des nationalen Gewerkschaftsbunds CGIL, Giovanni Gioia.

Nur langsam hätten sich in den vergangenen Jahren auch ein paar Dinge verbessert, sagen Omizzolo und Gewerkschaftsvertreter. Es gab zaghafte Ansätze eines Teils der indischen Arbeiter, mehr Rechte einzufordern. Beim ersten Streik der Sikh-Arbeiter 2016 gingen Tausende in der Provinz Latina auf die Straße, der Streik führte zu einer Erhöhung der Stundenlöhne von ursprünglich 2,50 auf jetzt 6 Euro pro Stunde.

Zudem wurden Organisationen wie „Tempi Moderni“ gegründet, die den Arbeitern kostenlosen rechtlichen und medizinischen Beistand anbieten. Auch ist in der Region Latina die Zahl der Prozesse gegen Unternehmer gestiegen, die der „caporalato“-Kriminalität, der Vermittlung und Beschäftigung von Schwarzarbeitern, angeklagt sind – auch wenn es noch wenige Urteile in dem Bereich gibt.

Die Agrarunternehmer fänden auch neue Wege, um das Ausbeutungssystem am Laufen zu halten, sagt Marco Omizzolo. Sie schalteten etwa Anwälte ein, die ihnen helfen würden, Gesetze und Arbeitsschutz zu umgehen. Und die Arbeiter haben weiterhin Angst, die Ausbeutung anzuprangern.

Auch Balbir Singh war zunächst zurückhaltend, mit uns zu sprechen. Das erste Mal trafen wir ihn im Sommer 2022 in einer Unterkunft, in der er damals mit drei indischen Landsleuten lebte. Er arbeitete nun auf Kiwifeldern. Wir trafen ihn in der Mittagspause, als ein kleiner Ventilator versuchte, die Luft zu kühlen, aber die schwüle Julihitze durch das offene Fenster hereinströmte. Er zeigte uns einen Korb mit kleinen unreifen Kiwis, die er am selben Morgen gepflückt hatte.

Zwischen Juli und Dezember sind die indischen Arbeiter in der pontinischen Ebene hauptsächlich mit Kiwis beschäftigt, die wegen ihrer rentablen Produktion auch als „grünes Gold“ bezeichnet werden. Italien produziert 320.000 Tonnen Kiwis pro Jahr und exportiert sie in fünfzig Länder. Das Land ist der größte europäische Kiwiproduzent und der drittgrößte weltweit, nach China und Neuseeland. Ein Markt, der insgesamt über 400 Millionen Euro wert ist.

Balbir Singh nahm drei Kiwis in die Hand und erklärte uns, wie man die Pflanze reinigt und worin der Unterschied zwischen den Kiwisorten besteht – grün, gelb und rot. Aber als wir ihn fragten, wie er und seine Kollegen jetzt auf den Plantagen, auf denen sie arbeiteten, behandelt werden, schaute er weg und gab nur vage Antworten.

Queller           :        TAZ-online         >>>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     Der Süden der Pontischen Ebene bei Terracina (Parco Nazionale del Circeo)

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Down with the Crown

Erstellt von DL-Redaktion am 24. Juni 2023

Graham Smith: Abolish the Monarchy

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Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von       :        Jonathan Eibisch

Ein besserer Verkaufs-Coup hätte Graham Smith für sein erst im Juni erscheinendes Buch Abolish the Monarchy nicht gelingen können.

Der Autor und Initiator einer Kampagne gegen das englische Könighaus wurde beim Protest gegen die Krönung von König Charles verhaftet.

Gewürdigt werde sollte so viel Raffinesse schon, zumal damit einer nach wie vor recht kleinen Protestbewegung gegen die Relikte vormoderner Herrschaft, Beachtung gezollt wird.

Schade allerdings, dass hier vor allem liberale Republikaner die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Viel schöner wäre es doch, wären in der ersten Reihe des Protestes gegen das Könighaus auch ausgewiesene Anarchist*innen. Andererseits haben diese weit weniger Ressourcen zur Selbstinszenierung und widmen sich wohl auch weit basaleren Auswüchsen der Herrschaftsordnung, als der lächerlichen Inszenierung einer vermeintlich guten, traditionell abgesicherten und weisen Führungsriege.

Schade, denn sonst hätte man statt Protest mit Schildern und den Rufen „Not my king“, lieber ein Parallelspektakel aufführen können: Im wahrsten Sinne, Karneval. Allernort wählen die Bewohner*innen jährlich den einfältigste Trottel ihrer Gemeinschaft, dem zugleich die Bauernschläune innewohnt, zum Dorfkönig. Der Ort der souveränen Macht wird entleert und entehrt, wenn das simpelste und närrischste Menschlein auf den Thron gehoben wird und bei Bedarf wieder ausgewechselt werden kann. – Das wäre doch mal eine nette Protestform gewesen, mit der über das Symbolische hinaus vielleicht sogar etwas Chaos hätte gestiftet werden können…

Die Argumentation des Geldes wegen verstehe ich nicht wirklich: Ob die Krönungszeremonie am 06. Mai 100 oder 25 Millionen Pfund gekostet haben soll, welche die steuerzahlenden Bürger*innen aufbringen, während der Hochadel ja ohnehin genug Geld zur Verfügung hat – wen interessiert es? Beziehungsweise, wen wundert es? Wenn es sich um einen echten König handelt, stellt sich doch gar nicht die Frage, ob die Kosten für die Produktion seines imaginären Status als Personifikation eines abstrakten Herrschaftsgefüges vom Volk getragen werden. Der König schöpft Souveränität aus sich selbst heraus, sowie der Adel seinen sozialen Status ja nicht begründen muss, sondern sich auf diesen als unhinterfragbaren Selbstzweck berufen kann. Der König schöpft seine Souveränität aus sich selbst heraus, so wie das Volk seine Souveränität daraus schöpft, den König zu enthaupten.

Und wenn ich hier „König“ sagen, meine ich heruntergebrochen eine, neben neuen dazugekommenen Dynastien, einflussreiche Kaste von privilegierten Reichen. Es wäre längst an der Zeit gewesen, diesen Humbug ihrer alberne Selbstinszenierung in den letzten Jahrzehnten abzuschaffen. Wenn nicht genug verlorene Seelen ihrem romantisch-verkitschtem Affekt folgen und ihrem herangezüchteten Idiotenbewusstsein nachgeben würden. Lieber wollen diese erleben, Teil einer verklärtem Geschichte zu sein, als die Anstrengung aufwenden, ihre Geschichten selbst zu schreiben. Das Volk ist ein jämmerlicher Haufen, dessen Phantasie in Schlaraffenländer abschweift, aber sich kaum vorstellen kann, dass es sich seine Regeln einfach selbst geben könnte. Häufig wollen die Leute ihren König wie ihr Bier, ihren Fussball, ihre Unterhaltung und ihre Kümmerer – ob Pfarrer, Sozialarbeiter, Yogalehrer, Friseur oder Psycho- oder Physiotherapeuten.

Graham Smith: Abolish the Monarchy. Transworld Digital 2023. 261 Seiten. ca. SFr. 12.00.

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

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Grafikquellen          :

Oben        —        Charles und Camilla während der Krönungszeremonie am 6. Mai 2023.

Author Katie Chan        /       Source    : Own work        /         Date       :      6 May 2023,

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Klimaproduktion Bewegung

Erstellt von DL-Redaktion am 24. Juni 2023

Die Überschneidungen von nomadischem Land und nomadischer Arbeit im Zeitalter des Sesshaftwerdens

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Quelle        :     Berliner Gazette

Von          :       · 20.06.2023

Das Schicksal nomadischer Kulturen offenbart den Geist des (Staats-)Kapitalismus besonders deutlich: Die erzwungene Eingliederung der Nomaden in soziale Strukturen, die die Sesshaftigkeit privilegieren, ist eng mit der Enteignung von Land und Arbeit verbunden. Der zerstörerische Charakter dieses Systems zeigt sich in der Verarmung der ehemaligen Nomaden sowie dem Erosion ihrer Werte und Praktiken, die andere, nachhaltige Formen der Arbeit und der Klimaproduktion ermöglichen würden, wie die Künstlerin und Forscherin Shuree Sarantuya in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe „Allied Grounds“ argumentiert und dabei auf die Kämpfe nomadischer Völker in China, Russland und der Mongolei eingeht.

Die Fabel „Drei kleine Schweinchen“ erzählt die Geschichte von drei Schweinen und einem großen bösen Wolf, der ihre Häuser angreift. Der Wolf zerstört die Häuser der ersten beiden Schweine, die aus Stroh und Stöcken gebaut sind, aber er kann das Haus des dritten Schweins, das aus Ziegeln besteht, nicht zerstören. Die Ideologie, die der Fabel zugrunde liegt, ist glasklar: Sie unterstützt die Standardisierung von Konzepten wie Obdachlosigkeit und entwertet die nomadische Logik, der zufolge Nomaden niemals obdachlos sein können, weil ihr Zuhause immer mit ihnen reist. Darüber hinaus bemäntelt die Ideologie der Fabel das rassische Kapitalozän, das durch die Ausbeutung von Arbeit und Natur als Werkzeuge der Assimilierung die Umwandlung von Weideland in unhaltbare Lebensräume und Industrien ermöglicht hat. So arbeiten Ex-Nomad*innen in großem Umfang in arbeitsintensiven Sektoren wie der mineralgewinnenden Industrie, dem Anbau/Pflanzung und militärischen Diensten, weil sie sich dadurch finanzielle Unabhängigkeit und Integration in eine sesshafte Gesellschaft versprechen.

Dies ist der toxische Rahmen, in dem sich die Kämpfe von noch Nicht-Sesshaften, ethnischen Minderheiten und indigenen Gemeinschaften abspielen. Die letzten nomadischen Völker Süd-, Zentral- und Nordasiens leben heute in Jurten, Tipis oder Holzhütten und nutzen moderne Technologien, um Komfort und Modernität zu erreichen. Diese Techno-Nomaden können mobil und autonom sein, mit ununterbrochenen Verbindungen zur menschlichen und nichtmenschlichen Welt. Die nomadische Landmobilität basiert auf einer geschickten Wahrnehmung der Ökosphäre und ihrer Ressourcen. So gründen nomadische Völker ihre Ehrfurcht (vor bewohnbarem Land) auf ihr Wissen um die Kommunikation zwischen den Arten und eine indigene Wahrnehmung der tiefen Zeit.

Das Nebeneinander von nomadischen und sesshaften Gesellschaften konnte durch die herrschende Klasse instrumentalisiert werden: Erfolgreich konnten immer wieder Ängste vor der „Unmoderne“ geschürt und Assimilationspolitik, Monokulturwirtschaft, Umweltrassismus und neokoloniale Probleme gefördert werden. Wenn wir uns mit den Konflikten der letzten nomadischen oder ehemals nomadischen Völker Chinas, der Mongolei und Russlands befassen, müssen wir ihre komplexe Geschichte der Sesshaftwerdung und Kolonisierung durch kommunistische und sozialistische Bewegungen im letzten Jahrhundert verstehen.

Landverlust und kulturelle Assimilierung in der Inneren Mongolei

Die Innere Mongolei, eine 1947 vom kommunistischen Regime Chinas eingerichtete autonome Region, blickt auf eine lange Geschichte von Konflikten zwischen nomadischen Hirten und sesshaften Bäuer*innen zurück. In diesem Konflikt ist die Enteignung und Einfriedung von Land eng mit kultureller Assimilation verbunden, wie nach der Besatzung durch Japan im Zweiten Weltkrieg deutlich wurde, als die Region zu einem Testgebiet für die Integration von Han-Chinesen und Mongolen wurde.

Die Innere Mongolei ist nicht nur für ihre Viehzucht bekannt, sondern auch für ihre riesigen Kohlevorkommen. Im Jahr 2011 führte die Ausweitung einer Kohlemine auf Weideland zu Protesten und Demonstrationen der Hirten in Bayannuur. Die Frustration und die Angst, ihr Land zu verlieren, motivierten auch 2020 Proteste, als die chinesische Regierung plante, das Weideland in Bairin Left Banner in ein Naturschutzprojekt umzuwandeln.

Später im selben Jahr wurde im Rahmen der „Zweisprachigen Erziehung der zweiten Generation“ der Mongolischunterricht an den Schulen der Inneren Mongolei verboten. Nach Angaben des südmongolischen Menschenrechtsinformationszentrums wird das Verbot im September dieses Jahres in Kraft treten; es verbietet den Lehrer*innen auch die Teilnahme an und die Organisation von Unterricht. Die systematische Assimilierung nomadischer, indigener und ethnischer Minderheiten durch die Auslöschung von Ökosystem und Kultur, vor allem von Sprache und Religion, findet nicht nur in der Inneren Mongolei statt, sondern auch in Gemeinschaften wie den Uiguren (und anderen muslimischen Gemeinschaften) und den Tibetern.

Die Bodendegradation in der Inneren Mongolei ist in erster Linie auf den übermäßigen Ressourcenverbrauch zurückzuführen, der durch immer exzessivere Produktionszyklen verursacht wurde, begleitet von Bevölkerungszuwachs und der Abkehr von der nomadischen Viehwirtschaft. Andererseits hat die Innere Mongolei laut der Bewertung der Landdegradation zwischen 2000 und 2020 eine Netto-Landdegradation von Null erreicht. Untersuchungen über die Auswirkungen des vom Wind verwehten Staubs zeigen, dass die Innere Mongolei über ein Ökosystem verfügt, das die Ausbreitung von Staub verhindert und als ökologische Barriere gegen die Bodendegradation wirkt.

Derweil haben Überkultivierung, Bergbau und Industrialisierung die nomadischen Völker in eine Wettbewerbswirtschaft gedrängt, in der der niedrigste Preis das Rennen macht. Die traditionell abgelegenen Minderheitengruppen sind heute in städtischen Gebieten konzentriert, wo sie aufgrund von Umweltrassismus und erzwungener Integration eine Monowirtschaft betreiben.

Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit in der postkolonialen Mongolei

Nach dem Ende der Kolonisierung durch die Qing-Dynastie im Jahr 1911 kam die Äußere Mongolei bis zur demokratischen Revolution von 1990 unter sowjetische Kontrolle. Diese friedliche Revolution führte dazu, dass die Mongolei ein Mehrparteiensystem einführte, das die Beteiligung mehrerer politischer Parteien an der Regierung des Landes ermöglichte.

Das unerbittliche Streben nach Akkumulation durch die Oberschicht und die Mächtigen hat jedoch zu einer korrupten Wirtschaft und zur Ausbeutung derjenigen aus der Arbeiter*innenklasse geführt, die von Lohn zu Lohn oder von Schulden zu Schulden leben. Die Produktion von Raum bringt diese Ungleichheiten zum Ausdruck und verschärft sie noch: Während die ländlichen Gebiete außerhalb der Hauptstadt immer noch unterentwickelt sind, abgesehen von einigen wenigen Shangri-La-artigen Gemeinden, die sich um die Rohstoffsektoren herum ansiedeln, ist die Hauptstadt selbst eine neoliberale Mischung aus Jurtensiedlungen und hyperurbanen Gebieten, die einem „umgedrehten Topf“ ähnelt (ein mongolisches Sprichwort, das bedeutet, dass man in der Hölle unter einem riesigen Topf festsitzt).

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Im Dezember 2023 kam es in Ulaanbaatar (Mongolei) zu Protesten gegen die so genannte „Kohlemafia“, die 380.000 Tonnen Kohle für den Export nach China gestohlen hatte. Die Menschen brachten ihre Frustration mit gewalttätigen Ausbrüchen, friedlichen Demonstrationen und Sitzstreiks bei minus 25-30 Grad zum Ausdruck. Sie kritisierten die Staatsbeamt*innen und gaben ihnen die Schuld an der gestohlenen Zukunft der Mongolei.

Während die Menschen in der Mongolei geduldig auf die Verfolgung der Kohlediebe warten, stellt sich eine dringende Frage: Wen machen wir für die Nutzung unethischer fossiler Brennstoffe zur Energieversorgung der größten Umweltverschmutzer*innen der Welt verantwortlich? Im Rahmen des Engagements der Mongolei für die Ziele der nachhaltigen Entwicklung der Vereinten Nationen will das Land bis 2030 eine Milliarde Bäume in von Wüstenbildung betroffenen Regionen pflanzen. Dank der Spende der Unternehmen des Bergbaukonglomerats im Süden der Mongolei sind die Menschen gespannt auf die neuen Beschäftigungsmöglichkeiten, die das Milliarden-Baum-Projekt mit sich bringen wird.

Einige Gemeinschaften, die sich an den Rhythmus ihrer Umgebung angepasst haben, sehen sich jedoch mit den unbotmäßigen Anforderungen des rassischen Kapitalismus und dem Fehlen einer nachhaltigen Infrastruktur konfrontiert. Auf der Suche nach Stabilität und einem sicheren Einkommen sehen sich viele Ex-Nomad*innen mit der harten Realität der Armut oder sogar einer Rückkehr in die Zeiten der Kolonialherrschaft konfrontiert. Nomadisches Wissen und Traditionen werden als unvereinbar mit einem System angesehen, das Arbeit und Ressourcen in unhaltbarem Maße ausbeutet. Der Zusammenprall zwischen nomadischer Existenz und den Erfordernissen des rassischen Kapitalismus wirft Fragen nach der Vereinbarkeit verschiedener Lebensweisen und der Dringlichkeit des Widerstands gegen ein einzigartiges Arbeits- und Produktivitätsmodell auf.

Koloniales Erbe und Umweltkämpfe in Nordasien

Russlands Kolonisierung Nordasiens nahm im 19. und 20. Jahrhundert ihre endgültige Form an. Nomadische Stämme, die von Jagd, Viehzucht und Fischfang lebten, konnten nun mit Hilfe der Transsibirischen Eisenbahn ihren Übergang zu einer sesshaften Lebensweise durch Bergbau, Metallurgie, Maschinenbau, Holzfällerei und Landwirtschaft finanzieren. Es wurden Institutionen geschaffen, um die lokale Kultur, den Glauben und die Heilpraktiken auszurotten. Gleichzeitig schuf die russische Regierung Schutzgebiete für die indigenen Völker. Die nicht nachhaltigen Methoden der Klimaproduktion führen jedoch zu Umweltkatastrophen, die alle Ökosysteme rund um Nordasien und die arktischen Regionen betreffen.

Die teilweise militärische Mobilisierung der russischen Bevölkerung im Jahr 2022 erforderte hohe Einberufungsquoten in den Reihen ethnischer Minderheiten wie den türkischen, mongolischen, paläo-sibirischen und muslimischen Gemeinschaften. Die autonomen Regionen Russlands setzen sich aus verschiedenen ethnischen Gruppen zusammen, darunter nomadische (halbnomadische) und indigene Völker. In diesen Regionen und Krais gibt es sesshafte Siedlungen, die ein Überbleibsel der sowjetischen Moderne sind. In Gebieten wie Dagestan, Jakutien und Burjatien hat die Kombination aus Kriminalisierung von Kriegsgegnern und wirtschaftlicher Instabilität dazu geführt, dass die meisten Männer vor der Wahl stehen, entweder zu fliehen oder sich dem Militär anzuschließen, um an den laufenden Kriegsanstrengungen teilzunehmen. Diese einheimischen Männer Russlands und ihre Arbeitskraft werden im Zusammenhang mit dem Kriegsdienst geschätzt oder sogar als möglicher Sündenbock benutzt, wenn ein Kriegsverbrechen zu verantworten ist. Die heutigen rassistischen Regierungen und Institutionen, die rassifizierte und oft marginalisierte Gruppen in Kriegen einsetzen, erinnern uns nicht zuletzt daran, dass während des Ersten (und später des Zweiten) Weltkriegs Afroamerikaner im Militär dienten, um als Musterbürger in die Gesellschaft integriert zu werden.

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Es liegt auf der Hand, dass diese Art des Bevölkerungsmanagements auch eng mit der Enteignung und Einhegung von Land verbunden ist – und Russlands aktueller Angriffskrieg erinnert nur allzu deutlich an den Wert, den Land (hier als „Territorium“ valorisiert) seit der Wirtschafts-, Finanz- und Nahrungsmittelkrise von 2007 erlangt hat. Die Quintessenz ist, dass das heutige Wirtschaftswachstum eine homogene Zivilisation begünstigt, die einen immensen Wert auf Arbeitskräfte legt, die bereit sind, sich und/oder ihr Land zu opfern.

Wert aller Wesen, Dinge und Entitäten

Staatliche Rohstoffkonzerne üben einen großen Einfluss auf die so genannten ländlichen Gebiete Nordasiens aus. Eine Verwaltung, die den Wert von unbebautem Land missachtet, hat die Anhäufung von Macht auf Kosten ethnischer Minderheiten, nomadischer Gruppen und indigener Arbeiter*innen durchgesetzt und damit deren Rechte untergraben und ihre Lebensweise bedroht. Untersuchungen am Bolshoe-Toko-See haben ergeben, dass die Spuren der industriellen Tätigkeit selbst in den entlegensten Gebieten Russlands zu finden sind. Die durch kapitalistische Aktivitäten verursachte Umweltzerstörung beeinträchtigt die lokalen Gemeinschaften, die biologische Vielfalt und die langfristige Nachhaltigkeit des Landes. Ohne einheimische Praktiken der Rekultivierung und des ethischen Konsums werden die biotischen und abiotischen Wechselwirkungen irreparabel gestört, sowohl in der menschlichen Zeit als auch in der Zeit der Globalisierung.

Das Streben nach Wirtschaftswachstum, das oft auf Kosten von Randgruppen und der Umwelt geht, ist ein zentrales Politkum, das die zerstörerischen Folgen der Globalisierung und die Erosion kultureller Identitäten aufzeigt, die immer mit alternativen Arbeitsmodellen und dem Umgang mit der Umwelt verbunden sind. Dieser Prozess der Zerstörung und Erosion wird als unvermeidlich dargestellt, auch aufgrund imaginärer äußerer Bedrohungen. Die Geschichte „Die drei kleinen Schweinchen“ ist ein Beispiel für diese Tendenz. Der aggressive Wolf ist das Tier, das eine Gefahr von außen darstellt, nicht von innen. Und wir sollen das instinktive Bedürfnis verspüren, uns vor diesem räuberischen Außenseiter zu schützen, was den Wunsch widerspiegelt, Sicherheit und Schutz in unserem Zuhause zu finden. Aber leben heutzutage nicht sogar Vögel in ihren Vogelhäusern, weil sie ihr Territorium verloren haben und die Städte immer weiter wachsen?

In ehemaligen Nomadenländern und -gemeinschaften betonen kritische politische Stimmen, wie wichtig es ist, alternative Modelle zu begrüßen, die indigenes Wissen, ökologische Nachhaltigkeit, ethisches Ressourcenmanagement und gesellige Arbeitsweisen in den Vordergrund stellen. Indem wir indigene Praktiken der gegenseitigen Fürsorge, der Symbiose und der Regeneration zusammenführen, können wir eine „gaianische“ Ethik der nachhaltigen Arbeit fördern: eine, die die Verbundenheit verschiedener Welten anerkennt und wertschätzt. Um dies zu erreichen, müssen wir transnationale Allianzen bilden, die das vorherrschende Paradigma der Moderne in Frage stellen und die Folgen einer fremdenfeindlichen Politik angehen, die viele Gemeinschaften in eine Grenzsituation gebracht hat. Im unerbittlichen Streben nach Hypermodernität ist es wichtig, innezuhalten und die Integration indigener Perspektiven zu berücksichtigen. Aus einer solchen Haltung heraus können wir uns bemühen, eine neue Beziehung zu unserem Planeten zu entwickeln, indem wir den Wert aller Wesen, Dinge und Entitäten anerkennen und lernen wertzuschätzen. Dies ist eine Aufgabe, die wir alle bewältigen müssen. Denn, wenn wir im Zuge dessen unsere Rolle als Arbeiter*innen neu bewerten, ebnet dies den Weg für eine nachhaltige Klimaproduktion.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist ein Beitrag zur Textreihe „Allied Grounds“ der Berliner Gazette; die deutsche Version finden Sie hier. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen „Allied Grounds“-Website. Schauen Sie mal rein: https://allied-grounds.berlinergazette.de

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Kolumne-Fernsicht-Uganda

Erstellt von DL-Redaktion am 24. Juni 2023

Zwei Gegner für Uganda: USA und Dschihadisten

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Von Joachim Buwembo

Seit Uganda 2007 eine afrikanische Militärintervention in Somalia anführte, die somalische Staatlichkeit wiederherstellte und die islamistischen al-Shabaab aus Mogadischu und anderen Landesteilen vertrieb, ist es zur Zielscheibe von Dschihadisten weltweit geworden.

Diese sehen in Uganda einen Statthalter der USA am Horn von Afrika. 2010 töteten Shabaab-Selbstmord­attentäter fast 100 Menschen, die in Ugandas Hauptstadt Kampala das Fußball-WM-Finale verfolgten. Das Bestreben, Uganda und seinen Präsidenten Yoweri Museveni zu bestrafen, hat nie nachgelassen.

Sechzehn Jahre sind eine lange Zeit. Heute sind die Beziehungen zwischen Uganda und den USA angespannt wegen des neuen ugandischen Gesetzes, das gleichgeschlechtliche Beziehungen kriminalisiert. Die USA haben gedroht, ihre Uganda-Hilfen in Höhe von einer Milliarde US-Dollar im Jahr – die Hälfte davon fließt in die Behandlung der 1,2 Millionen HIV-Kranken in Uganda – auszusetzen. Präsident Joe Biden hat sich persönlich zu Wort gemeldet, das US-Außenministerium hat eine Reisewarnung ausgesprochen, und US-Aktivistengruppen warnen vor Tourismus in Uganda und sagen, das Land sei nicht sicher.

Zugleich haben die Dschihadisten tödliche Schläge gegen Uganda ausgeführt. Sie überranten 120 Kilometer südlich von Mogadischu eine ugandische Armeebasis und behaupteten, 137 Soldaten getötet und viele andere gefangen genommen zu haben; Uganda spricht von 54 Toten. Noch schockierender war vor einer Woche der Angriff auf ein Internat im Westen Ugandas nahe der kongolesischen Grenze, wo die dschihadistische Gruppe ADF (Allied Democratic Forces) seit drei Jahrzehnten Ugandas Regierung bekämpft. 42 Teenager wurden bei lebendigem Leibe verbrannt und etwa 20 weitere verschleppt, vermutlich zum Zwangsdienst bei der ADF in Kongos Wäldern.

Der Angriff erfolgte genau 25 Jahre nach einem ADF-Angriff auf eine technische Hochschule im Westen Ugandas, bei dem rund 80 Teenager verbrannten. Die ADF hat bereits im vorletzten Jahr in Kampala Bomben hochgehen lassen.

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Waren nicht die Religionen schon immer der Anlass für die meisten Kriege Welt – weit?

Islamistische Dschihadisten bekämpfen Museveni seit dem ersten Tag seiner Machtergreifung 1986. Damals hatte er sich die Solidarität mit den schwarzen Nationalisten in Südsudan, die für die Befreiung Südsudans von der islamisch-fundamentalistischen Regierung in Sudans Hauptstadt Khartum kämpften, auf die Fahnen geschrieben. Ugandas militärische Unterstützung war entscheidend für den Erfolg der Unabhängigkeitskämpfer Südsudans. Khartum unterstützte im Gegenzug mehr als zwei Jahrzehnte lang die christlich-fundamentalistische LRA (Lord’s Resistance Army) von Joseph Kony in Norduganda und die islamisch-fundamentalistische ADF im Ostkongo.

Quelle       :        TAZ-online          >>>>>       weiterlesen

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DL – Tagesticker 24.06.2023

Erstellt von DL-Redaktion am 24. Juni 2023

Direkt eingeflogen mit unseren Hubschrappschrap

Heute in der Leseauswahl des „Bengels“:  – . –  1.) Die Ampelregierung streitet über schärfere Baustandards  – . –  2.) A400M an die Emirate?  – . –  3.) Die Forderungen der Bahngewerkschaft sind keine Gier  – . –  4.) Tod im Titanic-U-Boot  – . –   5.) Endlich Türen öffnen  – . –    DL wünscht allen Leser-Innen einen schönen Tag und gute Unterhaltung.

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Und wenn sie einmal nicht streiten in ihren Stall, dann lassen sie die Hammel springen. So wie am gestrigen Tage als die Abgeordneten ihren Saal verlassen mussten, um diesen durch verschiedene Türen als Hammel wieder betreten durften. Nein aber nicht als die den Menschen am nächsten stehende Affen oder intelligente Schweine, nein,  sondern ganz schlicht als Hammel. Überwacht von einen Schäfer und seinen Wachhunden. So die Selbsteinschätzung der eigenen Herden Klicke. Alles also aus der untersten aller Gossen.

SPD und FDP wollen die Grünen-Forderung aus dem Koalitionsvertrag nicht länger mittragen. Droht der nächste große Streit?

1.) Die Ampelregierung streitet über schärfere Baustandards

Nach dem Thema Heizungen bahnt sich in der Ampel-Koalition der nächste Klimastreit um das Gebäude-Energie-Gesetz an. SPD und FDP lehnen angesichts der Krise am Bau die im Koalitionsvertrag vereinbarte massive Verschärfung der Neubaustandards auf die strenge Norm „Effizienzhaus 40“ ab, während die Grünen aus Klimaschutzgründen auf die vereinbarte Einführung im Jahr 2025 pochen. „Die Verschärfung wäre ein Todesstoß für die deutsche Bauwirtschaft“, warnt der baupolitische Sprecher der FDP-Fraktion Daniel Föst gegenüber unserer Redaktion.  Auch der wohnungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Bernhard Daldrup, warnt davor, dass der Wohnungsneubau bei weiteren Verteuerungen ganz zum Erliegen kommen könnte. Der sogenannte EH-40-Standard bedeutet, dass ein Gebäude maximal 40 Prozent der Energie eines modernen Vergleichsgebäudes aus dem Jahr 2009 verbrauchen darf. Fachleute rechnen mit durchschnittlich ein Fünftel höheren Kosten im Vergleich zum derzeit üblichen EH-55-Standard, da in die Niedrigenergiehäuser neben Spezial-Dämmungen unter anderem meist auch Lüftungsanlagen eingebaut werden müssten.Grüne: Klimastandards sorgen nicht für Teuerung.

Augsbirger-Allgemeine-online

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Haben die Grünen nicht schon des öfteren innnerhalb der Ampel protestiert? Letztendlich fanden sie immer weider  Löcher,  in denen auch sie mit hineinpassten.Die Löcher waren wohl die persönlichen Bankkonten? Jeder Kompromiss ist ein Beschiss für die Wähler-innen.

Grüne kritisieren möglichen Rüstungsdeal der Ampel.  Offenbar gibt es Gespräche über die Lieferung von schweren militärischen Transportflugzeugen zwischen der Bundesregierung und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Bei den Grünen sorgt das für heftige Reaktionen.

2.) A400M an die Emirate?

In der Bundesregierung gibt es Streit über die Rüstungsexportpolitik. Die Grünen im Bundestag kritisieren einen potenziellen Rüstungsdeal zwischen der Ampel-Regierung und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Nach Informationen aus Koalitionskreisen gibt es fortgeschrittene Gespräche über die Lieferung von sechs militärischen Airbus-Transportflugzeugen des Typs A400M. Das bestätigten der WirtschaftsWoche auch Industrievertreter.  In einer Art politischem Manöver soll offenbar zunächst eine Exportgenehmigung für zwei A400-Maschinen ins vergleichsweise unbedenkliche Indonesien erfolgen, um dann noch einmal sechs weitere Maschinen an die Emirate zuzulassen.  „Mit diesem Deal würde die Bundesregierung ein Regime aufrüsten, das in Libyen Rebellengruppen beim Kampf gegen die Regierung unterstützt, das am Krieg im Jemen beteiligt ist und das die Gewalt im Sudan befeuert hat“, kritisiert die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Sara Nanni, gegenüber der WirtschaftsWoche.

wiwo-online

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Dieses Land steckt Milliarden in ihre Verteidigung, obwohl es nicht angegriffen fühlt. Politische Schmierfinken müssen wohl ein sehr schlechtes Gewissen haben, ob ihrer Vor- und Nach – Kriegskomturen, als das sie einmal Gerechtigkeit walten lassen könnten für diejenigen die ihnen seit vielen Jahren die Taschen füllen müssen.

Sie sind wegen der Inflation dringlichst nötig. Tatsächlich hat es die EVG alles andere als leicht, ihre Forderungen zu kommunizieren. Das liegt allein schon am Arbeitgeber.

3.) Die Forderungen der Bahngewerkschaft sind keine Gier

Na danke. Kaum beginnen in Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland, die Sommerferien, kaum packen Zehntausende die Koffer, um in diesem Jahr aber wirklich mal klimagerecht in den Urlaub zu fahren, also mit dem Zug und nicht dem die Autobahn zustauenden Pkw, da schaltet die größte Bahngewerkschaft EVG auf Streik. Unbefristet soll der sein. Also nicht wie die noch irgendwie verkraftbaren Ausstände der Warnstreiks in diesen schon vier Monate dauernden Tarifverhandlungen. Sondern – im Wortsinne – anhaltend. Da ist es nur ein kleiner Trost, dass es die EVG offenbar gar nicht eilig hat mit der Arbeitsniederlegung. Vier bis fünf Wochen will sie sich Zeit lassen für die notwendige Urabstimmung. So richtig knallen wird es also erst mit mehrwöchiger Verspätung. Nun ja, wir sind hier schließlich bei der Bahn. Das Echo auf die Blockade der EVG könnte fataler kaum sein. Dass der Bahn-Vorstand den Gewerkschaftern ein „unglaubliches“ Verhalten vorwirft, weil eine Einigung in greifbarer Nähe gelegen habe, mag nicht überraschen. Aber auch das Medienecho ist eindeutig: Von der Süddeutschen, die der EVG Verantwortungslosigkeit und Sturheit vorwirft, bis zur Bild, die der Gewerkschaft unterstellt, es gehe ihr nur um eine Machtdemonstration, hauen alle auf die EVG ein.

TAZ-online

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Sind es nicht immer die Gleichen, welche sich aus dem Nichts in die oberen Etagen der Gesellschaft stellen möchten? Bei den Einen ist es die Tiefe der Vergangenheit und bei den anderen die Suche nach einen anderen Leben auf neuen Planeten. Da bleiben dann auch welche dort, wo an und für sich die Politiker hingehörten ?

Ein U-Boot wollte zur Titanic. Jetzt liegen seine Trümmer mit ihr am Meeresgrund. Beide Male wurden Menschen Opfer ihrer gnadenlosen Selbstüberschätzung – aber es gibt noch mehr daraus zu lernen.

4.) Tod im Titanic-U-Boot

Es war höchste Zeit für ein Fachkräfte-Einwanderungsgesetz, wie es der Bundestag am Freitag beschlossen hat. „Zukünftig sollen junge, gut ausgebildete Menschen als Einwanderer nach Deutschland gewonnen werden. Es können sich auch Zuwanderer bewerben, die bereits auf befristeter Basis legal in Deutschland leben“ – so hieß es bereits im Bericht der Zuwanderungskommission unter Leitung der CDU-Politikerin Rita Süssmuth. Er stammt aus dem Jahr 2001. Das damals empfohlene Punktesystem nach kanadischem Vorbild wird endlich im Gesetz verankert. Das ist dringend notwendig, denn in Deutschland lassen sich viele Stellen nicht mehr besetzen. Das war absehbar. Es lässt sich nur hoffen, dass die Bürokratie der Hoffnung auf offene Türen für Fachkräfte keinen Strich durch die Rechnung macht.

FR-online 

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