Trans im Verteidigungsfall
Erstellt von DL-Redaktion am 12. Juni 2023
Eine Lösung könnte sein, den Kriegsdienst mit der Waffe geschlechtsunabhängig zu gestalten
Ein Debattenbeitrag von Jayrome C. Tobinet
Russlands Krieg gegen die Ukraine wirkt bis in den Referentenentwurf für das neue Selbstbestimmungsgesetz hinein. Leider auch hier natürlich negativ.
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat unerwartete Kollateralschäden. So wurde in den Referentenentwurf für das Selbstbestimmungsgesetz eine wenig diskutierte Regelung aufgenommen: die Diskriminierung von trans Frauen und nichtbinären Menschen im Kriegsfall. Der von der Bundesregierung am 9. Mai 2023 vorgelegte Gesetzentwurf soll es trans, inter und nichtbinären Menschen ermöglichen, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ohne psychiatrische Gutachten und langwierige Gerichtsverfahren zu ändern.
Paragraf 9 des Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) sieht vor, dass für die Dauer eines Spannungs- oder Verteidigungsfalles die amtliche Zuordnung zum männlichen Geschlecht bestehen bleibt. Konkret bedeutet das: Eine trans Frau oder eine nichtbinäre Person wird zum „Dienst mit der Waffe“ verpflichtet, wenn sie ihren Geschlechtseintrag weniger als zwei Monate vor dem Eintritt des Spannungs- oder Verteidigungsfalles geändert hat.
Laut dem Bundesverband Trans* e. V. (BVT*) scheint diese Regelung aus der Befürchtung heraus entstanden zu sein, dass im Spannungs- oder Verteidigungsfall cis Männer eine Änderung ihres Geschlechtseintrags missbrauchen könnten, um sich der Wehrpflicht zu entziehen. Dabei werde jedoch übersehen, dass es in Deutschland das Recht gibt, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen zu verweigern (Art. 4 Abs. 3 GG). Im Jahr 1954, zwischen dem Indochina- und dem Algerienkrieg, schrieb der französische Schriftsteller Boris Vian das Lied „Le Déserteur“, das Wolf Biermann später auf Deutsch sang. In der Zeit der französischen Kolonialkriege hatten Vian und sein Deserteur etwas Heldenhaftes. In einem Angriffskrieg sieht das Bild des Pazifisten zum Teil anders aus. Dennoch ist es, so der BVT*, gesellschaftlich weniger stigmatisierend, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen zu verweigern, als den Geschlechtseintrag zu ändern. Schon aus diesem Grund erscheint es unwahrscheinlich, dass ein Kriegsdienstverweigerer den Weg der Transgeschlechtlichkeit wählt. Sollte es doch einmal eine Ausnahme geben, so wäre dies ein Hinweis darauf, wie schrecklich es für Männer sein kann, sich gezwungen zu sehen, militärisch zu dienen.
Als in der Ukraine bekannt wurde, dass Frauen zum Militärdienst eingezogen werden sollten, war die Empörung groß. Zwar sollten sie nicht an die Front, aber als Ärztinnen und Krankenschwestern sollten sie sich um Verwundete kümmern oder in Berufen einspringen, in denen die Männer wegen des Kriegseinsatzes fehlten – etwa in Bäckereien oder der Buchhaltung. In einer Online-Petition war von „Missbrauch von Frauen“ die Rede. Aber ist es nicht ein queerfeministisches Anliegen, dass alle Geschlechter gleichbehandelt werden?
Zudem ist zu betonen, dass Paragraf 9 SBGG eine Ungleichbehandlung von trans Frauen und nichtbinären Menschen einerseits und trans Männern andererseits darstellt. Im Vergleich zu trans Männern, die ihren Geschlechtseintrag auch im Spannungs- oder Verteidigungsfall problemlos ändern könnten, würden trans Frauen und nichtbinäre Personen durch die Regelung des Paragrafen 9 benachteiligt. Dies ist eine klare Ungleichbehandlung, die dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Geschlechter widerspricht.
Eine mögliche Lösung könnte darin bestehen, den Kriegsdienst mit der Waffe geschlechtsunabhängig zu gestalten. Damit würde sich Paragraf 9 erübrigen. Statt nur Personen mit männlichem Geschlechtseintrag zur Landesverteidigung heranzuziehen, könnte die Wehrpflicht auf alle Geschlechter ausgedehnt werden. Dies würde Diskriminierung verhindern und den Gleichbehandlungsgrundsatz stärken. Generell muss sich Deutschland in vielen Bereichen Gedanken darüber machen, wie es mit Menschen umgehen will, deren Geschlechtseintrag divers oder leer ist. Von der Anerkennung der Elternschaft über Regelungen im Sport und im Strafvollzug bis hin zu Quotenregelungen.
Ein Beispiel für eine fortschrittliche Gesetzgebung in diesem Bereich ist Argentinien. Seit 2012 gibt es ein Selbstbestimmungsgesetz, das die Änderung des Geschlechtseintrags ohne ärztliches Gutachten, Hormonbehandlung oder Gerichtsverfahren ermöglicht. Darüber hinaus hat die argentinische Regierung eine Quotenregelung für trans Personen im öffentlichen Dienst ab 2021 eingeführt. Das Gesetz legt eine Mindestquote von einem Prozent der staatlichen Arbeitsplätze für Transvestiten, Transsexuelle und Transgender fest. Um dies zu gewährleisten, müssen alle staatlichen Institutionen, Ministerien und nichtstaatlichen öffentlichen Einrichtungen bei allen regulären Einstellungsverfahren eine bestimmte Anzahl von Arbeitsplätzen schaffen, die ausschließlich mit Transvestiten, Transsexuellen und Transgendern besetzt werden. Wenn Bewerber:innen keinen Sekundarschulabschluss haben, können sie unter der Bedingung eingestellt werden, dass sie diesen nachholen.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — On Saturday 21 January 2023, hundreds of protesters marched from Downing Street to Hyde Park to demand real equality for trans people, an end to transphobic violence and an immediate reversal of the UK government’s decision to block Scotland’s progressive Gender Recognition Reform Bill which simplifies the procedure for a trans person to obtain a gender recognition certificate, which until now has been highly „intrusive, medicalised and bureaucratic.“ www.stonewall.org.uk/about-us/news/statement-uk-governmen… The LGBTQ oranisation Stonewall commented – „This is a piece of legislation that simply seeks to make the process for legally recognising a trans man or trans women’s gender more respectful and straightforward. Scotland’s Bill aligns it with leading international practice endorsed by the United Nations and adopted by 30 countries, including Canada, Australia, New Zealand, Irealand and most of the United States of America.“ www.stonewall.org.uk/about-us/news/statement-uk-governmen… The bill had received cross-party support in the Scottish parliament and was supported by 88 members – the overwhelming majority of Scottish MSPs – only 33 voted against and just 4 abstained. The legislation was also clearly within the scope of what the Scottish parliament can legislate according to its devolved powers. However, for the first time ever, the British government used section 35 of the Scotland Act to unilaterally veto the reforms. This photo was used in the following article online – gal-dem.com/finland-gender-recognition-law-trans-scotland…
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