Maji-Maji als Metapher
Erstellt von DL-Redaktion am 10. Mai 2023
Deutsche Erinnerung an den Kolonialismus
Ein Schlagloch von Charlotte Wiedemann
Deutschland tut sich schwer mit der Anerkennung kolonialer Vergangenheit. Für Postkolonialismus bleibt wenig Raum und Respekt.
Demnächst wird in Berlin eine Straße nach Maji-Maji benannt, dem großen Freiheitskampf im frühen 20. Jahrhundert gegen die kolonialdeutsche Besetzung Ostafrikas. Die Umbenennung im sogenannten Afrikanischen Viertel, auf dessen Straßenschildern lange ein Amalgam aus Nazi- und Kolonialideologie fortlebte, ist das Ergebnis jahrelanger Bemühungen.
Während dieser Zeit hat sich allerdings bei den meisten Deutschen kaum das Wissen vermehrt, welches Verbrechen hinter dem Stichwort Maji-Maji steht: Der Aufstand auf dem Gebiet des heutigen Tansanias wurde vom Kaiserreich mit genozidalen Methoden niedergeschlagen – Felder wurden abgebrannt, Ernten und Saatgut vernichtet. Etwa 200.000 zivile Opfer; viele starben eines erbärmlichen Hungertods.
Der Bundestag spricht lieber über den Holodomor; die Gewalt der anderen. Kürzlich kamen Nachfahren der tansanischen Opfer zu Besuch. John Mbano sucht nach dem Schädel eines von Deutschen gehenkten und posthum zerstückelten Familienangehörigen, einer Führungsgestalt des Aufstands. Seine Frau Cesilia Mollel, Geschichtslehrerin, berichtete, wie quälend es für sie sei, an ihrer Schule die Gräueltaten im Unterricht zu behandeln. Ob wir das auch täten, in unseren Schulen?
Ihre Erschütterung, das transgenerationelle Trauma der Opfer, hat kein adäquates Gegenüber. Einzelstimmen gewiss, Minderheiten – doch im Ganzen zeichnet sich der deutsche Echoraum beim Thema Kolonialismus durch die Abwesenheit von Erschütterbarkeit aus. Das Unrecht wurde feuilletonisiert: Als hätten sich die Jahrhunderte des europäischen Kolonialismus in Kunstraub erschöpft, wird lieber von entwendeten Gegenständen gesprochen als von Genozid, von Rückgabe statt von Reparationen.
Keine leeren Vitrinen
Museen haben eine weichgespülte Dekolonisierung als Geschäftsmodell entdeckt, eine softe zeitgeistige Progressivität, die übrigens perfekt in die Ära grünen Regierungshandelns passt: Machthierarchien nicht antasten, aber sie mit feinen Gesten verzieren. Die jüngere europäische Debatte über Restitution begann bekanntlich 2017 mit einer Rede von Emmanuel Macron an der Universität von Ouagadougou; er strebte danach, die junge Generation für sich einzunehmen und dem Einflussverlust Frankreichs entgegenzuwirken.
Als ich kürzlich im Musée du quai Branly in Paris war, suchte ich vergeblich nach Lücken: keine leeren Vitrinen, überhaupt keine Anzeichen einer rupture, eines Bruchs. Die Fülle außereuropäischer Kunstobjekte war erschlagend, schön – und beunruhigend. Gewiss, die Beschäftigung mit der Herkunft musealer Bestände hat Gutes und Sinnvolles bewirkt; und doch ist – außer in Nischen besonderer Sensibilität – etwas nicht gelungen, was man als epistemologischen Sprung bezeichnen könnte.
Also der Blick in den Spiegel: Wie steht es um die Provenienz und die Qualität europäischen Weltwissens? Wie kolonial geprägt ist der Kanon unseres Wissens, wie defizitär unsere Erkenntnis? Nein, keine Erschütterung, erst recht nicht in diesen Zeiten. Am Leibniz-Zentrum Moderner Orient (dessen Beirat ich angehöre) erschien jüngst der Sammelband „Thinking the Re-Thinking of the World“. Er präsentiert Ansätze aus Afrika, Asien und dem Nahen Osten zur Dekolonisierung der Geistes- und Sozialwissenschaften.
Die globalen Strukturen akademischer Forschung seien weiterhin von westlichen Interessen und eurozentrischen Konzeptionen geprägt, so der Befund des Instituts. Hierarchien markierten die Wahrnehmung dessen, was überhaupt als soziologische oder philosophische Produktion anerkannt wird. Diese ernüchternde Bilanz steht in erstaunlichem Kontrast zur wachsenden Popularität eines Feindbilds namens „die Postkolonialen“.
Über Jahrzehnte ignoriert
Angeblich dominieren sie Universitäten und Kulturbetrieb, haben sich in Medien, Stiftungen, Verlagen breitgemacht, schieben einander Gelder und Jobs zu. Die Klage über den geschickt verborgenen und zugleich gewaltigen Einfluss der Postkolonialen hat verschwörungstheoretische Züge – wie überhaupt bei diesem Thema schlichtweg alles behauptet werden kann, ähnlich wie in den USA über die Critical-Race-Theorien. Ein Kampfbegriff.
Wie vieles, was Dekolonisierung betrifft, wurden die tatsächlichen Autoren und Autorinnen Postkolonialer Theorien in Deutschland, wenn überhaupt, nur mit arger Verspätung wahrgenommen. Edward Saids „Orientalismus“ von 1978 erschien auf Deutsch erst nach mehr als drei Jahrzehnten; Dipesh Chakrabartys „Provincializing Europe“ nach einem Jahrzehnt. Aber im Diskurs der Feindseligkeit geht es gar nicht um diese bestimmte akademische Strömung, die sich längst verästelt hat.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Wilhelm Kuhnert: „Battle at Mahenge“, German East Africa, 1905
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