DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Archiv für März 19th, 2023

ChatGPT löst Krise aus

Erstellt von DL-Redaktion am 19. März 2023

Hausaufgaben aus der Maschine

Tote Augen – leerer Sinn, welche Rergierung steuert von innen ?

Von Philipp Brandstädter

Schüler überlassen das Schreiben ganzer Aufsätze einer künstlichen Intelligenz. Kritiker fürchten, dass der Persönlichkeitsentwicklung dadurch etwas Zentrales verlorengeht. Stimmt das?

Die ersten Videos liefen zum Jahreswechsel auf Sihams Smartphone ein. Von da an folgte ein Tiktok-Kurzclip auf den nächsten, neben Kosmetik-, Tanz- und Tiervideos immer wieder ChatGPT, die geniale Erfindung. „Ständig erzählte irgendjemand, wie einfach man damit Hausaufgaben machen kann und wie es das ganze Schulleben auf den Kopf stellen würde“, sagt die Schülerin aus der Fritz-Karsen-Schule in Berlin-Neukölln. „Also habe ich es selbst ausprobiert.“

Seit ChatGPT Ende November 2022 gestartet ist, drehen sich die Diskussionen in sozialen Netzwerken oft um das auf einer künstlichen Intelligenz (KI) basierende Sprachsystem. Und SpiegelZeitFAZ machen KI zum Titelthema. Was KI bereits alles kann, wo KI schon überall eingesetzt wird, wann KI unsere Arbeit übernimmt. Wöchentlich gibt es neue Experteninterviews, oder die KI schreibt die Kolumnen gleich selbst – wie einmal im Monat in der wochentaz, wo die künstliche Intelligenz Anic T. Waed Autorin der Kolumne „Intelligenzbestie“ ist.

ChatGPT, so heißt es, könne komplexe Fragen beantworten, gebe Erklärungen und Tipps, helfe genauso schnell bei der Reiseplanung, wie sie einen Computercode oder ein neues Theaterstück schreibt.

„Zuerst habe ich die Englischaufgaben damit gemacht“, sagt Siham. „Frage eingeben und die Antwort kopieren. Das geht total einfach, wenn man mal faul ist oder keine Zeit hat.“ Auch bei grundsätzlichem Lernstoff, für den im Unterricht der Oberstufe mal wieder nicht genug Zeit blieb, hilft ChatGPT nach. Dadurch wurde die KI zum Standard-Tool der 17-Jährigen. „Wenn mir die Antwort nicht ausreicht, schreibe ich:,Erkläre das genauer‘, oder ich stelle meine Frage anders. Schon bekomme ich einen neuen, detaillierteren Text, der mir beim Lernen hilft.“

War das jetzt schon gemogelt?

In diesen Tagen macht sich mal Begeisterung breit, mal Besorgnis. Dabei hätten wir auch schon vor Jahren von KI überwältigt sein können: Erst bezwingt ein Computer den Weltmeister im Schach, dann helfen Navis beim Autofahren, später empfehlen uns Algorithmen personalisierte Inhalte wie Bücher, Musik, Filme und Schnäppchen. Aber so richtig von den Socken sind wir erst, als eine KI beginnt, auf Zuruf verrückte Bilder zu zeichnen oder in einem Chatfenster mit uns zu plaudern. Faszinierend und gruselig zugleich.

Gruselig vor allem für Schulen und Universitäten. Denn dort, wo Schreiben eine Persönlichkeit ausbilden, kritisches Denken fördern und junge Menschen zu mündigen BürgerInnen erziehen soll, beginnen die jungen Menschen, das Schreiben einer Maschine zu überlassen.

Wenn dieser Schritt aber von einem Computer übernommen wird, geht in der Persönlichkeitsentwicklung nicht etwas Zentrales verloren? Muss das Bildungswesen einschreiten? Kann man das überhaupt verhindern?

Gerade wurde Siham von ihrem Lehrer erwischt. Was heißt schon „erwischt“: „Warum soll ich nicht ChatGPT benutzen? Ist doch auch nicht groß anders als Googeln.“ Siham sucht in ihrem Chatverlauf mit ChatGPT, um welches Thema es ging, kann den Dialog mit der Sprach-KI aber auf die Schnelle nicht finden. Es war im Politikkurs, die Hausaufgabe hatte irgendwas mit Verfassungsorganen und dem Bundesrat zu tun. „ChatGPT hat da auch ganz gute Antworten geliefert, aber dann ist mein Lehrer stutzig geworden.“

„Das war Zufall“, sagt Lehrer Friedemann Gürtler. „Ich hatte mit ChatGPT gespielt und viele dieser typischen, abwägenden Antworten erhalten.“ Si­hams Sätze in der Hausaufgabe hatten einen ganz ähnlichen Ton. „Die abwägende Antwort hat nicht so recht zu der eindeutigen Fragestellung gepasst.“

Hat Siham etwas Verbotenes getan? Hat sie getäuscht? Plagiiert? Friedemann Gürtler war sich da auch nicht so ganz sicher. Also hat er Siham gebeten, ein Referat über ChatGPT zu halten. Da hatten schon die meisten SchülerInnen in Sihams Oberstufe von dem Programm mitbekommen. „Inzwischen nutzt jeder ChatGPT für die Schule“, sagt Siham. „Das ist total nützlich und auch richtig so. Nur wird es ab jetzt für die Lehrkräfte schwierig werden, die schriftlichen Leistungen zu bewerten.“

ChatGPT soll in Minnesota eine Juraprüfung bestanden haben

Dass Computer Fließtexte generieren, die sich nicht von jenen unterscheiden lassen, die Menschen verfassen, ist für die Lehre ein Riesenproblem. ChatGPT soll an der Uni von Minnesota sogar schon eine Juraprüfung bestanden haben. Auch im Theo­rieteil, den MedizinerInnen ablegen müssen, um in den USA praktizieren zu dürfen, hat ChatGPT locker die vorgeschriebene Mindestpunktzahl erreicht.

Warum also nicht einfach ChatGPT verbieten?

In den USA ist das teilweise schon geschehen, der Schulbezirk in New York hat sich dazu entschieden. In der EU feilen Kommission und Parlament seit zwei Jahren am Artificial Intelligence Act, dem ersten Regelwerk für KI. Sogenannte Hochrisikoanwendungen sollen dabei eingeschränkt werden wie die Gesichtserkennung oder die Prüfung der Kreditwürdigkeit. ChatGPT ist per Definition auch ein Hochrisiko, solange die generierten Texte nicht einer Person zugeschrieben werden. Irgendjemand muss ja dafür gerade­stehen, sollte die Maschine sexistischen, rassistischen, manipulativen, zusammengelogenen Mist verzapfen. Kann man Schulen so eine Maschine zumuten?

Berliner Firma bringt eigene Version heraus

Gerade einmal fünf Tage brauchte ChatGPT, um weltweit eine Million NutzerInnen zu erreichen. Kein anderer Onlinedienst hat diese Marke so schnell geknackt. Instagram brauchte knapp drei Monate, Twitter zwei Jahre. Der irrwitzige Hype überrascht auch Fachkreise, denn Sprachmodelle wie GPT, die bei Google LaMDA und bei Face­book OPT-175B und jetzt LLaMA heißen, gibt es schon etwas länger, auch wenn sie noch nicht frei nutzbar sind.

GPT steht für Generative Pretrained Transformer und ist ein neuronales Netz, dessen Verbindungen sich zwischen den Rechenknoten bei Erfolg verstärken. Dadurch lernt das Netzwerk, ähnlich wie unser Gehirn es tut. Die künstliche Intelligenz wurde mit massenhaft Textdaten trainiert: Artikel, Aufsätze, Blogeinträge, wissenschaftliche Papers, Belletristik, Kochrezepte – Millionen Texte, größtenteils aus dem Internet und ein beträchtlicher Stapel Fachbücher.

Es ist in etwa so, als hätte man ein Kind in eine Bibliothek gesperrt, wo es sich mit der Zeit einen Sinn aus den Texten zusammengereimt hat. Welcher Buchstabe folgt mit welcher Wahrscheinlichkeit auf den anderen? Welches Wort folgt auf welches Wort? Welche Wortfolgen passen grammatikalisch und inhaltlich zusammen? Auf der Grundlage von erlernten statistischen Wahrscheinlichkeiten imitiert ChatGPT menschliche Sprache und erzeugt mit jeder Anfrage einen neuen Text. In seiner inzwischen dritten Version macht das Programm das so gut, dass unsereins in der Regel die Luft wegbleibt.

Für ChatGPT wurde das bestehende Sprachmodell lediglich mit einer Chatfunktion garniert. Das macht es leicht, das Programm zu benutzen, und bringt auch noch Spaß mit ins Spiel. So können alle „prompten“, also eine Anfrage an das Programm richten. Und die Erfinder von ChatGPT konnten ihr Monster auf die ganze Welt loslassen, das seitdem durch die Prompts von derzeit weit über 100 Millionen Menschen weiter trainiert und verbessert wird.

Dass diese kostbaren Daten gerade Sekunde für Sekunde den Internet­riesen durch die Lappen gehen, macht ChatGPT zu dem großen Ding, das es gerade ist. Zum ersten Mal spurtet Google nicht vorweg, sondern muss nachziehen. Hastig hat es sein eigenes künstliches Sprachmodell namens Bard veröffentlicht, das bei dessen Vorstellung gleich mal eine falsche Info verbreitete und die Aktie von Googles Mutterkonzern Alphabet absacken ließ. Chinas Suchmaschine Baidu antwortet derweil mit ihrem Chatbot Ernie.

Ernie und Bard, kein Witz. Und ausnahmsweise gibt es mit dem Heidelberger Unternehmen Aleph Alpha auch einen deutschen Player, der in Sachen KI auf Augenhöhe mitmischt.

Andere Firmen nutzen GPT3 für ihre Produkte, alle können die Sprach-KI kostenfrei in ihre Software einbauen. Zu diesen Firmen gehört auch Mindverse aus Berlin-Spandau. Geschäftsführer Noel Lorenz, 25 Jahre alt, spaziert durch die neuen Räume, in die er vor Kurzem mit seinem Team eingezogen ist. Sein Personal verdoppelt sich gerade, der hintere Trakt der Etage ist noch eine Baustelle.

„Von GPT3 war ich schon fasziniert, als es noch in der Beta­phase steckte“, erzählt Lorenz. Da war das Modell endlich in der Lage, selbstständig Muster in seinen Daten zu erkennen und menschenähnliche Texte zu erstellen. Das gelang, weil die KI mit einer Datenmenge trainiert wurde, die bald 1.500-mal so groß war wie die der Vorgängerversion.

Vor zwei Jahren gegründet, surft Mindverse nun auf der Erfolgswelle von ChatGPT mit. „Im Vergleich zu GPT kann Mindverse besser Deutsch und ist dank seiner Livedaten aus dem Internet moderner“, sagt Lorenz. ChatGPT greift nur auf Datensätze bis zum Jahr 2021 zurück. Seit zehn Jahren programmiert Lorenz, vor sieben Jahren hat er seine erste Firma gegründet, dann verkauft. Er hat ein bisschen Medizin studiert, ist aber lieber zu BWL gewechselt. Der schwarze Steve-Jobs-Rolli unter dem Sakko lässt erahnen, welche Richtung seine Karriere einschlagen soll.

Neben der Chatfunktion bietet Mindverse zusätzliche Feintuning-Modelle, die sich gezielter auf die Datensätze beziehen als bei ChatGPT. „Das neuronale Netzwerk antwortet nur so gut, wie es gefragt wird. Daher konkretisieren wir die Anfragen mit unserer Software.“ Eine Funktion ist dafür gemacht, Stichpunkte in Fließtext zu verwandeln, eine andere soll Aufsätze mit Thesen und Argumenten schreiben, die nächste werbewirksame Überschriften erfinden oder Songtexte dichten.

„Die KI wird ständig von unseren Power­usern trainiert und bewertet“, sagt Lorenz. Das bedeutet, dass das Sprachmodell weiter lernt und umso menschlicher wird, während es den Gesprächspartner spielt. Außerdem bezieht die Maschine Formeln ein, die die Lesbarkeit von Texten berechnen: das Flesch-Kincaid-Grade-Level, den Gunning-Fog-Index, den Coleman-Liau-Index. Diese Formeln zählen Buchstaben, Silben und Wörter und berechnen, wie verständlich ein Satz sein muss. Unabhängig von dessen Inhalt ist das wichtig für die Suchmaschinenoptimierung. Je besser die berechnete Lesbarkeit, desto höher das Ranking bei Google und Co.

Im Gegensatz zur ersten Version von ChatGPT gibt Mindverse auch die Websites an, die die KI als Quelle genutzt hat. Das könnte bei Hausarbeiten ein entscheidender Vorteil sein. „Wir haben bestimmte offizielle Websites als seriös eingestuft und bewerten Quellen höher, je häufiger sie verlinkt werden“, sagt Noel Lorenz. Außerdem hat der Mindverse-Kopf auch an den Datenschutz gedacht. Die Prompts und Entwürfe können über anonyme Konten verfasst werden.

Das hat Thomas Süße auf das Programm aufmerksam gemacht. Er steht vor einem Smartboard in den Räumen des Campus Gütersloh, einem schlichten weißen Gebäude hinter dem Bahnhof, auch „Gleis 13“ genannt. Die Studierenden machen hier hauptsächlich etwas mit Maschinen: Mechatronik, Engineering, Logistik, digitale Technologien. Sozialwissenschaftler Süße bringt die menschliche Komponente in die Maschinenwelt, indem er zur Transformation der Arbeit forscht. „Die Technisierung verändert, beschleunigt, erleichtert unsere Arbeit“, erklärt der Professor. „Sie setzt uns aber auch unter Druck.“

Technostress nennt Thomas Süße das, die Schattenseite der Digitalisierung. Er kritzelt blaue Pfeile und Kürzel an die Wand und denkt laut: „Bislang haben sowohl Hochschulen als auch Schulen nur sehr wenig wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie Schüler und Studierende die Sprach-KI sinnvoll nutzen.“ Es gibt noch keine gesicherten Antworten. Wie auch, ChatGPT ist zu neu – und das Bildungswesen zu langsam. „Darum brauchen wir jetzt Grundlagenforschung, und zwar schnell.“

Doch Lernerfolg lässt sich nicht so einfach nachweisen. Gelernte Kompetenz, das umfasst neben Fachwissen auch kreatives Schaffen, kritisches Denken, Zusammenarbeit, die Fähigkeit, sich mitzuteilen. „Das sind alles persönlich empfundene und eingeschätzte Werte“, sagt Süße. „Mein Job ist es, diese schwer erfassbaren Variablen besser messbar zu machen.“ Dazu will er eine große Gruppe SchülerInnen befragen, die regelmäßig eine Sprach-KI nutzt.

Der Plan: Eine Klassenstufe soll ihre Facharbeit schreiben und dabei Mindverse verwenden dürfen. „Wir wollen wissen, welche Rolle die Sprach-KI spielt: ob sie Ideen einbringt, als Sparringpartnerin im Schreibprozess hilft, oder Co-Autorin wird.“ An der ersten Untersuchung werden 120 junge Leute teilnehmen. Wie praktisch, dass die benötigte Kohorte quasi vor der Haustür des Professors lernt.

Den richtigen Umgang mit ChatGPT lernen

Das Evangelisch Stiftische Gymnasium (ESG) in Gütersloh ist ein bisschen besonders. Protestanten gründeten es, als die ersten Maschinen begannen, die Arbeitswelt auf den Kopf zu stellen, und die Aufgaben des Handwerks übernahmen. Es heißt, hier würden RichterInnen, ChirurgInnen und ManagerInnen von morgen die Schulbank drücken.

Der in Gütersloh ansässige Medienkonzern Bertelsmann hat den Backsteinbau der Schule um eine verspiegelte Mediothek mit Tonstudio und Videoschnittraum ergänzt. Seit einem Vierteljahrhundert sind Laptops hier Teil des Unterrichts. Dank Lernplattform und Endgeräten wechselte das ESG im Lockdown spielend in den Distanzunterricht. Und auch bei der Verwendung von Sprach-KIs gibt es an dieser Schule nur wenig Berührungsängste.

Deutschlehrer Hendrik Haverkamp hat seine 8. Klasse erst neulich gegen ChatGPT antreten lassen. Die Aufgabe war eine Gedichtanalyse. Nachdem die Schülerinnen und Schüler ihre Arbeiten abgegeben hatten, kam die KI an die Reihe. Sie brauchte nur ein paar Sekunden, um ihren Text abzuliefern: eine fein strukturierte Analyse mit aufeinander aufbauenden Argumenten und ohne einen Rechtschreibfehler. „Das sah auf den ersten Blick nach einer hervorragenden Arbeit aus“, erzählt Haverkamp. „Nur war der Text inhaltlich komplett falsch.“

Sprachmaschine statt Wissensmaschine

Die KI schrieb das Gedicht „Berliner Abend“ von Paul Boldt lieber Erich Kästner zu und erzählte etwas über hübsche Naturbeobachtungen, die in Boldts Schilderungen nicht wirklich vorkommen. Die Argumente der Maschine waren teils erzkonservativ, teils weltfremd. Das erste Urteil der Klasse über ChatGPT: „Boomer-Tool“. „ChatGPT ist wie ein Insidergag: Ich verstehe ihn nur dann, wenn ich genug darüber weiß“, sagt Haverkamp.

Es ist Mittwoch, ein eisiger Morgen, erste Stunde, Deutsch. In der 8. Klasse sind die Laptops aufgeklappt, kein Heft, kein Stift liegt auf den Tischen. Lehrer Haverkamp steht vor dem Bildschirm an der Wand, wo früher mal eine Kreidetafel hing, und schickt ein paar Meldungen über Elon Musk auf den Monitor. „Welche Nachricht ist Fake und von ChatGPT, welche ist echt?“ Es gibt erste Vermutungen, der Schreibstil der KI ist der Klasse längst vertraut.

„ChatGPT macht keine Umschreibungen wie ‚Der 51-Jährige‘.“ „Das Wort ‚Milliarden‘ würde nicht mit,Mrd.‘ abgekürzt.“ Haverkamp zeigt der Klasse ein Tool, das künstlich generierte und von Menschen verfasste Texte unterscheiden können soll. Kann es aber nicht. Die Sprach-KI ist zu weit entwickelt, das Prüfungsprogramm aufgeschmissen. Dann kopiert ein Schüler fix einen Textbaustein der menschengemachten Meldung aus der Zeitung, sucht im Netz und findet die Quelle.

„Mir wäre es lieber, wenn ChatGPT auch mal zugeben würde, dass es keine Ahnung hat“, sagt Lilli aus der 10. Klasse. „Eine eigene Meinung würde ihr auch gut stehen.“ Im Projektunterricht beschäftigt sich die 16-Jährige gerade mit den sogenannten Neuen Medien. „Die KI relativiert alle Argumente und geht nicht so richtig in die Tiefe. Man braucht eigenes Wissen und muss skeptisch bleiben, damit man keine Fehler übernimmt.“ Bei Themen, für die es kein Richtig oder Falsch gibt, sagt Lilli, wenn es ethisch, emotional oder persönlich wird, dann sei ChatGPT blank.

ChatGPT ist eine Sprachmaschine, keine Wissensmaschine. Das Programm schwafelt, immer selbstbewusst, immer wieder inhaltsarm. Es verwendet Worthülsen, bedient sich aus Quellen wie Blogs oder der Boulevardpresse, ignoriert direkte Zitate, liest nicht zwischen den Zeilen, erzählt lieber irgendetwas, als gar nichts zu texten. Viele Floskeln, inflationär verwurstete Fremdwörter, sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit, eine Illusion des Plausiblen.

Dennoch arbeitet auch Lillis Mitschüler Max viel mit dem Sprachtool. „Wenn ich einen Aufsatz schreibe oder etwas programmieren will. Die KI verkürzt die Zeit für die Fleißarbeit, damit ich mehr Zeit für die Denkarbeit habe.“ Wegen der Sache mit ChatGPT waren auch schon mehrere Medienleute am Gymnasium und haben mit ihm gesprochen. Gerade erst kam ein Fernsehteam vorbei, erzählt Max. Die hätten für ihren Beitrag aber mal schön seine Antworten verdreht. „Es kam so rüber, als würde ich die KI aus purer Faulheit alle Hausaufgaben erledigen lassen.“ Ganz so einfach sei das nun auch wieder nicht.

Im Mai werden Max und Lilli ihre Facharbeiten schreiben, KI-unterstützt, für die Studie von Thomas Süße. „Ich kann mir vorstellen, dass das Programm eine Inspirationsquelle sein wird“, sagt Lilli. „Es hat mir vorher schon gute Überschriften oder auch Argumente vorgeschlagen, auf die ich selbst nicht gekommen wäre. Warum sollte ich solche Ideen nicht benutzen.“

Für die meisten SchülerInnen und Studierenden ist das noch nicht so selbstverständlich wie für Lilli und Max. Künstliche Intelligenz für eine Abschlussarbeit zu verwenden ist zwar kein Plagiat. Dafür müsste das geistige Eigentum einer Person gestohlen werden, und noch machen wir zwischen Mensch und Maschine einen klaren Unterschied. Jedoch kann man die Texte einer KI auch schlecht als eigenes geistiges Eigentum ausgeben. Das wäre eher als Täuschungsversuch zu werten.

Was ist erlaubt, was verboten?

Diese Art der vermeintlichen Täuschung bringt zwei Probleme mit sich.

Erstens: Das ohnehin schon überlastete Lehrpersonal müsste nach maschinellem Ghostwriting fahnden. Aber wann? Und wie? Schon jetzt bekommt es kein Tool hin, zielsicher KI-Content zu erkennen. Das wird auch in Zukunft kaum gelingen, da die Sprach-KI ja ständig besser, menschenähnlicher wird.

Zweitens: Wo fängt die Täuschung an? Ganz sicher, wenn man ganze KI-generierte Absätze verwendet. Aber auch schon bei ein paar Worten? Oder bei einer Idee, die mir von allein nicht eingefallen ist? Oder wenn ich meinen Text durch ein Rechtschreibprogramm laufen lasse? Wenn ich einen Taschenrechner benutze?

Im Gegensatz zu den USA scheinen es die Bundesländer nicht auf ein Verbot von ChatGPT abzusehen. Auf der Bildungsmesse Didacta in Stuttgart hieß es gerade: Sprach-KI hat zu viel Potenzial, um sie zu verbieten.

Seitens des Hessischen Kultusministerium hieß es: KI-Anwendungen könnten „Schülerinnen und Schüler individuell in ihrem Lernprozess unterstützen“. Viel konkreter wird es bis dato nicht. Immerhin veröffentlichte das nordrhein-westfälische Schulministerium einen Leitfaden zum Umgang mit KI. Darin wird die Arbeit mit Textrobotern nicht verboten, stattdessen auf die Pflicht der Schulen hingewiesen, ­Medienkompetenz zu lehren.

Eine Richtlinie, wie die Lehrerinnen und Lehrer künftig Leistungen prüfen sollen, hat noch niemand geschrieben. Und so scheint es, als würden wir der künstlichen Intelligenz genauso begegnen wie den anderen Krisen der jüngeren Zeit auch. Klima, Corona, KI-Weltherrschaft: Wir sehen es kommen, wir wissen, dass wir handeln müssen – und sitzen es lieber aus.

„Die Angst ist vor allem so groß, weil es an Erfahrung fehlt“, sagt Anja Strobel. Die Psychologin forscht im Bereich „Hybrid Societies“ an der TU Chemnitz daran, wie der Mensch mit der Maschine interagiert und ein vertrauensvolles Miteinander in der Arbeitswelt möglich ist. Strobel hat Interviews ausgewertet, die der Gütersloher Sozialwissenschaftler Thomas Süße mit ArbeiterInnen in einer Fabrik geführt hat. Sie sprachen darin über ihre Erfahrung, eine künstliche Intelligenz wie einen Azubi anzulernen.

Quelle        :        TAZ-online         >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Output of Craiyon (formerly „DALL-E Mini“). See the model card for information on the model used. Specifically (from the title card): „Images are encoded through a VQGAN encoder, which turns images into a sequence of tokens. Descriptions are encoded through a BART encoder. The output of the BART encoder and encoded images are fed through the BART decoder, which is an auto-regressive model whose goal is to predict the next token. Loss is the softmax cross-entropy between the model prediction logits and the actual image encodings from the VQGAN.“ Upscaled using Real-ESRGAN.

****************************

Unten        —     The Chromatics CT4100 graphics terminal displayed text and character-cell graphics in color.

Abgelegt unter Bildung, International, Positionen, Wirtschaftpolitik | Keine Kommentare »

Wann fällt Macron ?

Erstellt von DL-Redaktion am 19. März 2023

Frankreich: Rentenreform um jeden Preis?

Von Steffen Vogel

Es ist eine Kraftprobe mit ungewissem Ausgang: Mit seiner geplanten Rentenreform hat Emmanuel Macron große Teile des Landes gegen sich aufgebracht. Die Gewerkschaften rufen vereint wie lange nicht zu Streiks auf, Millionen Menschen strömen zu den Großdemonstrationen. Bereits zu Beginn waren die Proteste massiver, als es selbst die klassenkämpferische Gewerkschaft CGT erwartet hatte. In Umfragen lehnen drei Viertel der Französinnen und Franzosen das Vorhaben ab. Derzeit ist es sogar alles andere als ausgemacht, dass Macrons Reform bis zum geplanten Abschluss der parlamentarischen Beratungen am 27. März eine Mehrheit in der Nationalversammlung finden wird.

Das stellt den französischen Präsidenten vor ein gewaltiges, aber zu einem guten Teil selbstverschuldetes Dilemma: Macron hat seine politische Glaubwürdigkeit an das Gelingen dieser seiner wichtigsten innenpolitischen Reform geknüpft. Daher steht und fällt mit ihr auch seine Bilanz als Staatschef. Kapituliert Macron vor dem Volkszorn, wird er unweigerlich als gescheiterter Modernisierer gelten. Schaltet er hingegen auf stur und setzt die Reform gegen den Mehrheitswillen und am Ende nötigenfalls sogar per Dekret durch, riskiert er eine weitere Spaltung des Landes, zulasten der französischen Demokratie.

Die massive Ablehnung, die der Rentenreform allenthalben entgegenschlägt, selbst aus Teilen der Regierungsfraktion, erklärt sich nur zum Teil aus den konkreten Plänen von Macron und Premierministerin Élisabeth Borne. Diese sind weniger weitreichend als noch im ersten, durch die Pandemie gestoppten Anlauf von 2019.[1] So soll der Rentenbeginn nun von 62 auf 64 Jahre angehoben werden, statt wie ursprünglich geplant auf 65 Jahre. Da das Vorhaben aber Gruppen stärker belastet, die in der Arbeitswelt ohnehin benachteiligt sind, fügt es sich in den Augen vieler in das größere Panorama einer zunehmend von Ungleichheit und Ungerechtigkeit geprägten Gesellschaft – und in das Bild einer abgehobenen Elite, die blind ist für die soziale Lage einer Mehrheit der Französinnen und Franzosen. Damit sind alle Zutaten vorhanden, die es für eine harte Auseinandersetzung braucht – vor allem in einer politischen Kultur, in der Konflikt wichtiger ist als Konsens.

Von außen betrachtet mag die Empörung irritieren. Denn das französische Rentensystem ist überdurchschnittlich teuer und extrem komplex: Die jährlichen Kosten entsprechen knapp 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, in Deutschland sind es zehn, im OECD-Schnitt acht Prozent.[2] Zudem existieren gleich 42 Rentensysteme, die oft nur bestimmten Berufsgruppen offenstehen und teils hoch defizitär sind. Allein schon die von der Regierung geplante Abschaffung zumindest eines Teils der vielen Spezialkassen würde eine Reform rechtfertigen. Dass Millionen Menschen vermeintlich dafür demonstrieren, weiterhin mit 62 Jahren in den Ruhestand eintreten zu dürfen, erscheint gerade in Deutschland, wo schon die Rente mit 70 debattiert wird, wie aus der Zeit gefallen.

Tatsächlich aber gehen bereits jetzt viele Französinnen und Franzosen deutlich später in Rente, zumindest sofern ihr Körper es mitmacht. Denn um eine abschlagsfreie Rente erhalten zu können, müssen sie 42 Beitragsjahre vorweisen, künftig sollen es 43 Jahre sein. Genau diese zeitgleiche Erhöhung des Renteneintritts und der Beitragsjahre führt aber zu Ungerechtigkeiten, insbesondere mit Blick auf drei Gruppen. Das gilt erstens für Menschen, die nicht studiert haben: Wer mit 20 Jahren erwerbstätig wird, kann bisher mit 62 Jahren in den Ruhestand gehen. Nach der neuen Regelung hätte er hingegen erst mit 63 lange genug Beiträge eingezahlt und würde ein weiteres Jahr später das Renteneintrittsalter erreichen – müsste also zwei Jahre länger arbeiten. Für Akademiker hingegen ist die Altersgrenze schon jetzt ohne Belang, da sie aufgrund ihres Studiums ohnehin länger arbeiten müssen, um abschlagsfrei zu sein. Wer künftig beispielsweise mit 23 Jahren die Uni abschließt, hat nach dem neuen System die fälligen Beitragsjahre an seinem 66. Geburtstag beisammen, also nur ein Jahr später als zuvor. Und für alle, die noch länger studieren, greift wie bisher die Höchstgrenze von 67 Jahren, ab der jeder spätestens ohne Abzüge in Rente gehen darf. Akademiker leiden damit weniger unter der Reform als ihre geringer qualifizierten Altersgenossen – die überdies schon jetzt weniger von ihrer Rente haben. Denn nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen stirbt statistisch gesehen beispielsweise eine Arbeiterin drei Jahre früher als eine Managerin, und ein Arbeiter lebt sogar über sechs Jahre kürzer als ein Manager.[3] Diese im wahrsten Sinne des Wortes existenzielle Ungleichheit würde durch die Reform noch verstärkt.

Ähnlich ergeht es, zweitens, den Müttern, für die sich die Anrechnung von Kindererziehungszeiten ungünstig auswirkt. Dadurch werden sie im Durchschnitt etwas länger zusätzlich arbeiten müssen als Männer. Auch in diesem Fall verschärfen die Regierungspläne bestehende Ungerechtigkeiten: Da Frauen im Schnitt deutlich weniger verdienen als Männer, fallen ihre Renten entsprechend um 40 Prozent niedriger aus – in deren Genuss sie nun obendrein später kommen würden.[4] Selbst der Minister für Parlamentsbeziehungen, Franck Riester, musste einräumen, Frauen würden durch die Reform „ein wenig bestraft“.[5]

So aber fühlen sich, drittens, insgesamt viele ältere Arbeitnehmer. Derzeit ist in Frankreich nur ein knappes Drittel der über 60jährigen noch im Beruf, in der EU liegt der Durchschnitt immerhin bei 45 Prozent.[6] Selbst wer körperlich fit genug und arbeitswillig ist, findet ab einem gewissen Alter in Frankreich schwerer einen Job als anderswo. Ein höheres Renteneintrittsalter bedeutet für viele daher nicht, dass sie länger im Beruf bleiben müssen, sondern dass sie länger arbeitslos sein werden. Auch das trifft geringer Qualifizierte häufiger als Akademiker. Es sind diese sozialen Unwuchten, die derzeit landesweit Menschen auf die Straße treiben.

Ungerecht, aber notwendig?

Die Befürworter von Macrons Plänen bemühen dagegen den Sachzwang. So erklärte der ehemalige Fraktionschef der Regierungspartei, Gilles Le Gendre ganz offen: „Ich sage nicht, dass diese Reform gerecht ist, sondern dass sie notwendig ist.“ Die Regierung argumentiert, angesichts der alternden Bevölkerung drohe den Rentenkassen ein Milliardendefizit, das früher oder später das Rentensystem gefährden werde. Ihre Reform sei daher unabdingbar, um den Solidarvertrag zu retten.[7]

Wie hoch dieses Defizit tatsächlich ausfallen wird, ist allerdings stark umstritten, auch weil es von schwer kalkulierbaren Faktoren wie der erwarteten Arbeitslosenquote abhängt. Macrons Kritiker werfen ihm vor, bewusst ein düsteres Bild zu zeichnen, tatsächlich gehe es ihm bei seiner Reform vor allem um die erwarteten Mehreinnahmen von 20 Mrd. Euro jährlich, die er unter anderem zur von der EU angemahnten Haushaltskonsolidierung einplanen könnte.[8]

Den Sozialstaat verteidigen

Quelle          :        Blätter-online            >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben        —     Manifestation contre la réforme des retraites au Mans, le 15 mars 2023

Abgelegt unter Europa, Gewerkschaften, Positionen, Sozialpolitik | Keine Kommentare »

Arbeitskraft als Mangelware:

Erstellt von DL-Redaktion am 19. März 2023

Fachkräftemangel – mangelt es an Zwang zur Arbeit?

undefined

Fachlräftemangel wird besonders in der Poltik sicht und hör-bar. Hirn zu klein-Maul zu groß!

Quelle       :        Scharf  —  Links

Von    :    Suitbert Cechura

Arbeitskraft als Mangelware: Das freie Unternehmertum vermisst nachhaltige Planung auf dem Arbeitsmarkt.

Alle möglichen Branchen klagen über Fachkräfte- oder Personalmangel. Von der Gastronomie mit ihren Billigarbeitskräften über Pflege, Nahverkehr oder Handwerk bis hin zu Ingenieuren oder Lehrerinnen – überall sollen sie fehlen. Und das bei gut 2,6 Millionen arbeitslos gemeldeten Menschen im Februar 2023. Wie das zusammengeht und welche Begründungen dafür geliefert werden, ist bemerkenswert. Dazu hier ein paar Hinweise.

Demographischer Wandel

Als Begründung für den allseitigen Personalmangel wird regelmäßig der demographische Wandel bemüht. Telepolis hat sogar schon mit ChatGPT einen genuinen Vertreter der Künstlichen Intelligenz zu Wort kommen lassen, der mit seinen maschinell hergestellten Textbausteinen die ideologischen Standardargumente abspulen kann. Auch der KI liegt die marktwirtschaftlich interessierte Einbildung zugrunde, „dass zwischen Geburtenrate oder Altersstruktur und dem Bedarf an menschlichen Ressourcen des Wachstums eine Passung bestehen sollte“ (G. Schuster).

Diese Passung soll zur Zeit wieder schwer gestört sein. Es würden immer mehr Menschen altersbedingt aus dem Arbeitsleben ausscheiden, heißt es, während immer weniger junge Menschen in es einsteigen. Betont wird dabei, dass jetzt besonders die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Als geburtenstark gelten die Jahrgänge nach dem Zweiten Weltkrieg, Höhepunkt war dabei laut Statistischem Bundesamt Destatis das Jahr 1964.

Das heißt aber: Sie scheiden schon seit einem Jahrzehnt aus dem Arbeitsleben aus, das ist kein neues Phänomen; und gleichzeitig gibt es so viele abhängig Beschäftigte wie noch nie, obgleich weniger junge Menschen nach ihrer Ausbildung ins Arbeitsleben eingemündet sind. So hat die Zahl der Beschäftigten, wie Destatis meldet, in den letzten zehn Jahren um mehr als zwei Millionen zugenommen. Fazit: Es hängt nicht von der Zahl der Geburten ab, ob ausreichend Menschen beschäftigt werden oder ob sie arbeitslos sind, das kann man schon der Arbeitsmarktstatistik entnehmen.

Attraktion und Repulsion

Bei der Aufrechnung der Arbeitslosenzahlen verweist die Bundesanstalt für Arbeit darauf, dass die Arbeitslosigkeit keinen monolithischen Block darstellt: „Arbeitslosigkeit ist kein fester Block, vielmehr gibt es unabhängig von der wirtschaftlichen Lage viel Bewegung. Dabei werden Zu- und Abgänge von Arbeitslosen im Zeitraum zwischen den Stichtagen jeweils zur Monatsmitte erfasst. So meldeten sich im Berichtsmonat Februar 2023 insgesamt 579 000 Menschen bei einer Arbeitsagentur oder Jobcenter arbeitslos, das waren 80 000 oder 16 Prozent mehr als vor einem Jahr… Gleichzeitig beendeten 575 000 Personen ihre Arbeitslosigkeit, 42 000 oder 8 Prozent mehr.“ (https://www.statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/202302/arbeitsmarktberichte/monatsbericht-monatsbericht/monatsbericht-d-0-202302-pdf.pdf?_blob=publicationFile&v=1 )

Diese Meldung soll wohl wie eine Beruhigung klingen, dabei ist sie alles andere als beruhigend. Schließlich drücken diese Zahlen aus, dass laufend Entlassungen stattfinden und dass im letzten Monat mehr als eine halbe Millionen Menschen, die gezwungen sind, von dem Verkauf ihrer Arbeitskraft zu leben, in die Arbeitslosigkeit geschickt wurden, also in eine Lage, die von vornherein mit Einkommensverlusten verbunden ist.

Die Lage dieser Menschen soll man aber nicht so tragisch nehmen, da andere ihrer Schicksalsgenossen – fast in gleichen Umfang – wieder eine Stelle gefunden haben. Das gehört zur Normalität im Kapitalismus, mit der man sich abfinden soll: Ständig werden Menschen entlassen und müssen sich dann auf die Suche begeben, möglicher Weise auch einen Ortswechsel in Kauf nehmen, um wieder eingestellt zu werden – alles in allem eine sehr unsicher Kiste, je nach dem Gang der Geschäfte derer, die durch die Beschäftigung von Menschen ihr Kapital vergrößern.

Zum Thema in der Öffentlichkeit werden solche Schicksale erst dann, wenn beeindruckende neue Zahlen zu vermelden sind, wenn es zu einem eklatanten Missverhältnis kommt und zu viele Menschen arbeitslos werden, d.h. im marktwirtschaftlichen Jargon: den Sozialkassen auf der Tasche liegen. Arbeitslosigkeit ist – politisch betrachtet – auch immer deshalb ein Missstand, weil zu viele Menschen ungenutzt bleiben, was der Nation schadet.

Gleichzeitig gilt aber auch das Gegenteil in gewisser Weise als normal, ja systemkonform: Dass es immer ein Potential an Menschen gibt, die (dauer-)arbeitslos sind, passt zu dieser Wirtschaftsweise. Schließlich können die Unternehmen sich so ihre Arbeitskräfte aussuchen und sind nicht erpressbar; eine Mehrzahl an Bewerbern für eine Stelle drückt die Preise für die Arbeitskräfte und erhöht den Leistungswillen derer, die einen Arbeitsplatz „besitzen“. Das ist dann doch wieder ganz im Sinne von Staat und Wirtschaft, schließlich dreht sich ja alles in dieser Gesellschaft darum, dem Wirtschaftswachstum, dem Wachstum des als Kapital angelegten Geldes, freie Bahn zu schaffen.

Die Bundesanstalt für Arbeit unterscheidet bei den Arbeitslosen genau nach Gesetzeslage: „Von den 2 620 000 Arbeitslosen im Februar wurden 910 000 oder 35 Prozent im Rechtskreis SGB III von der Arbeitsagentur für Arbeit und 171 0000 oder 65 Prozent im Rechtskreis SGB II von einem Jobcenter betreut.“ (Arbeitsagentur) Der Gesetzgeber sortiert eben das Potenzial. Es wird erstens ein Unterschied gemacht bei denjenigen, die ein Jahr (oder in besonderen Fällen bis zu zwei Jahren) arbeitslos sind und daher aus der Arbeitslosenversicherung ihr Geld erhalten, für das sie vorher zur Kasse gebeten wurden. Sie erhalten nicht ihren vorherigen Lohn, sondern 60 bzw. 67 Prozent ihres Nettolohns, je nachdem ob sie kinderlos sind oder Nachwuchs haben. Damit stehen die „Leistungsbezieher“ vor einem doppelten Problem: Sie müssen irgendwie mit dem gekürzten Einkommen zurecht kommen und sind unter diesen Bedingungen gezwungen, möglichst bald wieder einen Job zu finden.

Zweitens: Wer länger als ein Jahr – bei den Über-50-Jährigen: zwei Jahre – arbeitslos ist, gilt als Problemfall, bei dem der Druck, wieder in Arbeit zu kommen, neuerdings in Form des „Bürgergelds“ (siehe dazu „Hartz IV geht, das Bürgergeld kommt – die Notlagen bleiben“), erhöht wird, indem der Lebensunterhalt weiteren Kürzungen unterliegt. Den Betreffenden wird auf den Cent genau vorgerechnet, was sie wofür zum Leben ausgeben dürfen. Dabei bezieht sich die Rechengrundlage nicht auf die wirklich anfallenden Kosten, sondern auf ein Konstrukt aus der Vergangenheit, wodurch diese Menschen, auch nach offiziellen Ansagen, zusätzlich auf private Hilfen wie die Tafeln oder Kleiderkammern angewiesen sind. Die Betroffenen gelten allein deshalb als Problemfälle, weil sie schon lange kein Arbeitgeber mehr beschäftigen wollte. Das stellt ihre Brauchbarkeit grundsätzlich in Frage – das Urteil, das Arbeitgeber über sie gefällt haben, wird so zu ihrer Eigenschaft.

Wer über keine Ausbildung verfügt oder keinen Schulabschluss hat – aktuell sind es 50 000 Jugendliche pro Jahr –, dessen Tauglichkeit ist ebenfalls zweifelhaft. Denn er hat nicht nur den Erwerb bestimmter Fähigkeiten verpasst, sondern den Beweis nicht erbringen können, dass er über die entsprechende Arbeitsmoral verfügt. Alleinerziehende stehen ihrem Arbeitgeber nicht unbeschränkt und zu jeder Zeit zur Verfügung, weil sie sich eben auch noch um ihre Kinder kümmern müssen. Damit ist ihre Brauchbarkeit ebenso eingeschränkt wie die derjenigen Menschen, die körperliche oder psychische Handicaps aufweisen. Migranten oder Flüchtlinge, sofern sie denn überhaupt geduldet werden, verfügen oft nicht über die entsprechenden Sprachkenntnisse und kennen sich mit den rechtlichen und kulturellen Gegebenheiten nicht aus, stellen auch unter den Jugendlichen ohne Schulabschluss einen hohen Anteil. Also sind auch sie nur bedingt tauglich.

Der Sache nach bestätigt die Statistik, die das Phänomen Arbeitslosigkeit fast wie eine Schicksalsgegebenheit behandelt, die Analysen des alten Theoretikers Karl Marx. Der hat schon vor langer Zeit nachgewiesen, dass der Kapitalismus sich durch die ständige Attraktion und Repulsion von Arbeitskräften und einen dazugehörigen „Bodensatz“ von Menschen auszeichnet, die als überflüssig gelten, weil sie unbrauchbar sind. Maßgeblich sind hier die Konjunkturen des Geschäfts und nicht die Entscheidungen von Vati und Mutti, sich was Kleines zuzulegen, oder von Oma oder Opa, den Lebensabend möglichst in die Länge zu ziehen.

Hoffentlich erscheint bald ein Pascha – welcher das Gesäß des Hinterwäldlers mit einer Gesäßstreifen – Fahne der Republikaner reinigt.

Deutschland braucht Zuwanderer, aber die richtigen

Damit das Kapital immer ausreichend Arbeitskräfte mit der entsprechenden Qualifikation zur Verfügung hat und sie sich auch auswählen kann – sonst werden diese Leute noch zu anspruchsvoll –, braucht es Zuwanderung, von 400 000 pro Jahr, so das Urteil von Fachleuten. Nun mangelt es nicht an Leuten, die nach Deutschland wollen und dabei einige Gefahren auf sich nehmen, um in die bestens abgeschirmten europäischen Länder zu gelangen. Da unternimmt ja Deutschland in Gemeinschaft mit seinem Europa schon Einiges, um diese Menschen von den Grenzen fernzuhalten (https://www.overton-magazin.de/top-story/eu-migrationsgipfel-ein-gipfel-der-heuchler-und-der-heuchelei ).

Denn schließlich will ein Staat es nicht denjenigen überlassen, die Arbeit suchen, ob sie ins Land kommen oder nicht. Das bestimmt er schon selber; wer mit welcher Qualifikation die Grenzen überschreiten und für länger oder kürzer bleiben darf, ist eine Sache hoheitlicher Gewalt. Diese Klarstellung kostet regelmäßig Menschen das Leben – nicht nur im Mittelmeer, sondern z.B. auch an der Grenze von Polen zu Belarus oder der zwischen Griechenland und der Türkei. Da die Staaten sehr genau die Bedingungen der Einreise festlegen, gibt es auch immer wieder die Klage über zu viel Bürokratie, Unternehmen könnten sich da unternehmerfreundlichere Lösungen vorstellen.

Andererseits machen Arbeitgeber gerade von dem fehlenden Qualifikationsnachweis oder dessen fehlender Anerkennung Gebrauch, indem sie hochqualifizierte Kräfte als Billiglöhner einsetzen. Doch es bleibt das Problem, dass sowohl die anspruchsvollen Kriterien für eine Einreise in die EU bzw. nach Deutschland als auch die Praktiken im Umgang mit den hier beschäftigten Migranten Deutschland nicht gerade zum Zielland für qualifizierte Arbeitskräfte aus fremden Ländern machen, der „Brain Drain“ also weiterer Betreuung bedarf.

Der Zwang zur Arbeit – muss besser greifen

Politiker entdecken daher immer wieder ein noch nicht genutztes oder zu wenig genutztes Arbeitskräftepotential. So fordert der Wirtschaftsfunktionär Steffen Kampeter: „Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit“ (SZ, 1.3.23). Er meint damit, dass die Menschen nicht so sehr auf ihre Freizeit achten, sondern mehr den Betrieben zur Verfügung stehen sollten. Und das nicht einfach, weil sie bei Mehrarbeit auch ein Plus bei Lohn oder Gehalt verbuchen könnten. Es soll vielmehr aus purer Lust erfolgen. Und das passt genau in die Landschaft, Mehrarbeit bedeutet heutzutage ja nicht unbedingt, dass die Überstunden vergütet werden:

„Jedes Jahr machen Beschäftigte in Deutschland zahlreiche Überstunden – und mehr als ein Fünftel von ihnen wird dafür noch nicht einmal bezahlt. Zugenommen hat zuletzt die Bedeutung von Überstunden, die durch Freizeit ausgeglichen werden können. Das geht aus den aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts (Destatis) und des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) hervor… Knapp jeder Dritte macht mehr als 15 Überstunden pro Woche.“ (https://www.haufe.de/personal/hr-management/arbeitszeit-ueberstunden-in-deutschland_80_412324.html )

So nutzen Arbeitgeber die Abhängigkeit ihrer Beschäftigten aus, um sie kostenlos für sich arbeiten zu lassen. Und wenn es heißt, dass Überstunden verstärkt durch Freizeit ausgeglichen werden können, dann bedeutet dies in der Praxis unter Umständen nur, dass die betreffenden Mitarbeiter ewig ein hohes Freizeitkonto vor sich herschieben. Denn betriebliche Belange haben immer Vorrang und stehen möglicher Weise einem Ausgleich entgegen. Es sei denn, die Geschäfte gehen schlecht, dann darf der Mitarbeiter gegebenenfalls die Freizeit in Anspruch nehmen, so lange, bis ein neues Kommando erfolgt.

Dass junge Arbeitnehmer bei ihrem Bewerbungsgespräch nach Überstundenregelungen fragen, hält übrigens die Chefin der Agentur für Arbeit und ehemalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) für eine Zumutung. „Arbeit ist kein Ponyhof“ gab sie zu Protokoll und machte damit deutlich, dass Arbeitszeitbegrenzungen zwar im Arbeitsvertrag geregelt sein mögen, aber darauf zu pochen komme für Arbeitnehmer eigentlich nicht in Frage. Sie haben eben dann und so lange zur Verfügung zu stehen, wenn und wie das Kapital sie braucht. Bild am Sonntag (5.3.23) ergreift auch gleich Partei für die ehemalige Ministerin, indem das Blatt Menschen vorführt, die aus lauter Lust an der Arbeit arbeiten und für die Geld nicht das Wichtigste ist. Sie können z.B., wie im Bild belegt, auch von Südafrika aus arbeiten oder haben das schon immer so gemacht. Wovon die zitierte Dame, der das Geld nicht so wichtig ist, die Reise nach Südafrika bezahlt hat, bleibt dabei allerdings offen.

Eine Verschleuderung von ungenutztem Arbeitskräftepotenzial entdeckt so mancher Politiker oder Journalist im Rentenalter und vor allem in der Möglichkeit der Frühverrentung mit 63 Jahren, wenn die Betreffenden die vollen Beitragsjahre geschafft haben. Natürlich haben vor allem die rot-grünen Politiker mit ihren Rentenkürzungen schon einiges erreicht, was den Zwang zu längerem Arbeiten auch nach dem Renteneintrittsalter anbetrifft. Und auch die folgenden Regierungen waren nicht müßig und haben das Rentenalter erhöht. Wer früher in Rente geht oder gehen muss, der hat erhebliche Abschläge von der sowieso schon reduzierten Rente in Kauf zu nehmen.

In der Diskussion ist jetzt, die Flexibilisierung des Rentenalters mit erhöhten Zuverdienstmöglichkeiten zu verbinden. Ein festes Datum für den Renteneintritt ist damit passé. Stattdessen ist noch einmal unterstrichen, dass von der Rente kaum noch einer leben kann, weswegen Arbeit im Alter ganz selbstverständlich die neue Perspektive ist. Und so haben denn auch investigative Journalisten der Süddeutschen einen 85 jährigen aufgespürt, der es zu Hause zu langweilig findet und begeistert zur Arbeit geht. (SZ 4.3.23) Eine echte Perspektive für alte Alleinstehende!

undefined

Zuwenig genutzt ist auch noch die Arbeitskraft der Frauen. Wie der Missstand zu beheben wäre, weiß ein Kommentator der Süddeutschen: „Mehr Kinderbetreuung und weniger Fehlanreize wie das Ehegattensplitting ermutigen Mütter, mehr zu arbeiten als Mini-Teilzeit.“ (Alexander Hagelücken, SZ 1.3.23) Eltern sollen hier und heute eben Kinder in die Welt setzen, um sie möglichst schnell wegzugeben, denn Familienleben ist schließlich vergeudete Zeit, die nicht zum Wirtschaftswachstum beiträgt. An dieser Front haben Politik und Wirtschaft viel geleistet, um Frauen weg vom Herd hinein ins Büro, in die Fabrik oder hinter die Kasse zu bringen. Die Löhne der Männer wurden durch schleichende Inflation und zu geringen Ausgleich schrittweise entwertet und so die Frauen zu notwendigen Mietverdienerinnen gemacht. Der Versorgungsausgleich im Falle einer Scheidung wurde gesenkt, die Rente gekürzt und damit sind Frauen der Wahl weitgehend enthoben – frei zu entscheiden, ob sie sich lieber um Haus und Kinder kümmern wollen oder arbeiten gehen.

Das Doppelverdienerdasein ist zur Normalität geworden und damit das Familienleben auf den Feierabend und das Wochenende verkürzt. Und so gibt es jetzt die Diskussion um Work-Life-Balance, wobei die Alternative immer heißt, dass weniger Arbeit weniger Lebensstandard bedeutet, und in der Regel geben die Arbeitgeber vor, wie die Balance ausfällt. Dass viele Frauen nur Teilzeit arbeiten, lässt Politiker und Politikerinnen vor allem der Grünen keine Ruhe; sie bringen daher das Ehegattensplitting als Beschäftigungshindernis in die Diskussion. Die Beseitigung der bisher gültigen gemeinsamen Steuerveranlagung, die für das Paar zu niedrigeren Steuern führt, soll den Effekt haben, dass die Frauen stärker gezwungen werden, eine Arbeit anzunehmen.

Angepriesen wird dieser Druck als Befreiung der Frau. Bisher ist sie oft als Geringverdienerin in der ungünstigeren Steuerklasse eingestuft, um so die Steuerzahlung während des Jahres bereits niedrig zu halten. Mit dem Lohnsteuerjahresausgleich werden die unterschiedlichen Steuerleistungen verrechnet und beide Partner dann steuerlich gleich gestellt. Die Abschaffung des Ehegattensplitting, die als Vorteil verkauft wird, würde eine Schädigung darstellen, wenn Frauen wie Männer in der gleichen Steuerklasse gleichermaßen steuerlich gerupft werden. Ein gelungener Fall feministischer Steuerpolitik!

Der jungen Generation muss auch auf die Sprünge geholfen werden, damit sie sich so schnell wie möglich und so passend wie nötig für den Bedarf der Wirtschaft herrichtet, wobei eine neue Dienstpflicht – so die aktuelle Debatte über den deutschen Wehrwillen – vielleicht helfen könnte. Ein staatlicher Zwangsdienst käme natürlich zunächst dem Bedarf der Wirtschaft in die Quere, aber clevere Ideen sind, wie Telepolis berichtete, schon unterwegs. CDU-Verteidigungsexperte Kiesewetter ist klar, dass eine wieder eingeführte Wehrpflicht „im Spannungsfeld der Wirtschaft mit eklatantem Fachkräftemangel“ stehen würde . Daher favorisiert er das „norwegische Modell“, eine Kombination von allgemeiner Dienstverpflichtung mit einem nachfolgenden Auswahlverfahren, das die Spreu vom Weizen trennt und die zukünftigen Helden der Arbeit und des Schlachtfelds sauber sortiert.

So oder so, eins stellt die deutsche Politik hier klar: Sich wegen Alter oder Familienpflichten, wegen Aus- oder Fortbildungsbedarf, geschweige denn wegen dem Wunsch nach einer Auszeit, dem Arbeitsmarkt (und möglicher Weise demnächst einem neuen Dienst an der Waffe) zeitweise zu entziehen, geht gar nicht. Dafür sind die Insassen des hiesigen Standorts nicht vorgesehen. Ihr Dasein ist vielmehr für Wirtschaftswachstum und Mehrung der Staatsmacht verplant – auch wenn von Planung in dieser tollen Wirtschaftsordnung weit und breit nichts zu sehen ist.

Zuerst erschienen bei Telepolis

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-cc

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben       —   Christian Lindner am Wahlabend der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai 2017 in Düsseldorf

Abgelegt unter Bildung, Deutschland, Positionen, Regierungs - Werte | Keine Kommentare »

KOLUMNE * ERNSTHAFT ?

Erstellt von DL-Redaktion am 19. März 2023

Sollen Friedens­forscherInnen Waffenlieferungen fordern?

Wirkt vielleicht ein jeder Schanbel zu klein für Waffen ?

Eine Kolumne von Ulrike Winkelmann

Sie müssen verzeihen, dass ich an dieser Stelle manchmal Dinge wiederverwerte, die ich anderswo eingesammelt habe. Unsereins kommt ja selten raus, da beschäftigt es einen länger, wenn ExpertInnen Einblicke in ihre Arbeit geben – so geschehen in einem taz-Videotalk, den ich jüngst mit der Friedensforscherin Ursula Schröder hatte.

Schröder ist Direktorin des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg, und sie sagt, dass die Ukraine mehr Waffen vom Westen braucht. Sie ist damit in ihrer Berufsgruppe nicht allein: Die vier großen deutschen Friedensforschungsinstitute traten bei der Präsentation ihres Friedensgutachtens im vergangenen Juni geschlossen dafür ein, die Ukraine militärisch zu unterstützen.

Ich fragte, ob dadurch nicht Menschen enttäuscht würden, die denken, dass die Friedensforschungsinstitute zur Erforschung des Friedens und nicht für Waffenforderungen da sind. Schröder antwortete: „Es ist mein Job, Dinge zu verkomplizieren, wenn sie nicht einfach sind.“ Angriffskriege könnten es nötig machen, Frieden mit Waffengewalt herzustellen. „Wir haben nicht die gleiche Situation wie in den 80ern, als sich zwei hochgerüstete Blöcke gegenüberstanden, bei denen dann gefordert wurde, beide abzurüsten“ – was ja bis heute unterschreibbar sei, ergänzte sie.

Doch regt sich innerhalb der Friedensforschung Widerspruch dagegen, dass die Institute den Zeitenwende-Kurs der Bundesregierung so deutlich mittragen. In der Zeitschrift „Wissenschaft und Frieden“ versammelten sich jüngst irritierte Stimmen. Den HerausgeberInnen fiel dazu leider kein anderer Titel als „Quo vadis, Friedensforschung?“ ein, doch die Texte zeigen gut, wie es dem Antimilitarismus gerade geht.

Ulrike-winkelmann-2013.jpg

„Eine kritische Friedensforschung stellt die Kriegslogik und ihre vernunftwidrigen Konsequenzen in Frage“, schreibt Jürgen Scheffran. Das Dossier bietet viel Theorie über Krieg und Frieden anderswo und in der Vergangenheit – hat aber auch für den akuten Fall der Ukraine eine Idee: das Konzept der sozialen Verteidigung, gemeint sind zivile Widerstandsformen, Streik, Verweigerung, Untergrundorganisationen. Olaf L. Müller formuliert rückwirkend: „Wenn sich die Ukraine bereits unmittelbar nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 entschieden auf eine zivile Verteidigung gegen einen weitergehenden Überfall vorbereitet hätte“, wenn sie nicht in die Nato gewollt hätte, „wenn sie ihren Widerwillen gegen Fremdherrschaft aus Moskau durch millionenfache Demonstrationen mit Slogans wie ‚Ihr seid nicht willkommen‘ gezeigt hätte“ und der Westen all das auch finanziell unterstützt hätte, „dann hätte Putin seinen Truppen vielleicht keinen Einmarsch befohlen“.

Hm, vielleicht. Sehr vielleicht.

Quelle         :        TAZ-online        >>>>>         weiterlesen

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —    Peace dove, Conversion of Dove peace.png

Unten       —     Ulrike Winkelmann bei einer öffentlichen Diskussion im April 2013

Abgelegt unter Asien, Europa, Feuilleton, Friedenspolitik, Positionen | Keine Kommentare »

DL – Tagesticker 19.03.2023

Erstellt von DL-Redaktion am 19. März 2023

Direkt eingeflogen mit unseren Hubschrappschrap

Heute in der Leseauswahl des „Bengels“:  – . –  1.) Nächster SPD-Kreisverband stimmt gegen CDU-Bündnis  – . –  2.) Kreml: Putin besuchte ukrainische Hafenstadt Mariupol  – . –  3.) Vor 20 Jahren begann die US-Invasion im Irak.  – . –   4.) Marokkogate: Wie der afrikanische Staat die EU besticht  – . –  5.) Systemkonforme Wahlrechtsreform  – . –   DL wünscht allen Leser-Innen einen schönen Tag und gute Unterhaltung.

******************************************************************

Häufen sich die Fehler nicht immer dort – wo die Dummheit am Größten ist? Niemand befolgt bestimmte Grundwahrheiten da Politiker-innen von Natur aus glauben alles besser zu wissen: „Setze ich auf einen Dreckhaufen den Nächsten, wird er noch stärker stinken! Ohne eine Grundreinigung geht gar nichts, sondern man streut sich nur selber Sand in die Augen. Aus Nachttöpfen lassen sich keine Bräter machen, der Grundgestank bleibt!

 In der Hauptstadt befinden sich SPD und CDU mitten in Koalitionsverhandlungen, nach deren Ende noch eine Mitgliederbefragung bei den Sozialdemokraten ansteht. Währenddessen spricht sich bereits der dritte Kreisverband gegen eine Große Koalition aus.

1.) Nächster SPD-Kreisverband stimmt gegen CDU-Bündnis

In Berlin hat sich ein weiterer SPD-Kreisverband gegen eine Koalition mit der CDU ausgesprochen. Bei einer SPD-Kreisdelegiertenversammlung in Tempelhof-Schöneberg votierte eine Mehrheit für einen entsprechenden Antrag der Jusos. 71 Delegierte stimmten dafür, bei 30 Gegenstimmen und 5 Enthaltungen, wie der Kreisverband mitteilte. Zuvor hatten sich bereits die SPD-Gliederungen in den Bezirken Neukölln und Steglitz-Zehlendorf gegen ein Bündnis mit der CDU gewandt. Insgesamt hat die SPD in Berlin zwölf Kreisverbände. Die Berliner Jusos hatten sich zuletzt gegen die geplante Koalition mit der CDU gestellt. Ein Antrag des Landesvorstandes mit dem Titel „NoGroKo – Berlin geht nur mit links“ erhielt die sehr große Mehrheit der etwa 80 Delegierten einer Jusos-Konferenz in der SPD-Bundeszentrale in Berlin. Sie forderten vehement und unter großem Applaus die Fortsetzung der Koalition mit Grünen und Linken und lehnten die Zusammenarbeit mit der CDU grundsätzlich ab. SPD-Mitgliedervotum steht im April an Die SPD-Spitze um die Vorsitzende und Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hatte sich nach der Wiederholungswahl am 12. Februar und den Sondierungsgesprächen mit anderen Parteien entschieden, mit dem Wahlsieger CDU in Koalitionsverhandlungen zu treten. Die Entscheidung fiel, obwohl auch die bisherige Koalition aus SPD, Grünen und Linken im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit hätte. Die laufenden Koalitionsverhandlungen sollen Ende des Monats abgeschlossen sein. Danach ist im April ein SPD-Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag geplant. Die Sozialdemokraten in der Hauptstadt haben rund 18.500 Mitglieder.

ntv-online

*****************************************************************

Mut zeigt Putin mit einer solchen Geste und Verstand hat ein-e Politiker-in noch nie benötigt, ansonsten würden sie erst ihre Hirne einschalten bevor sie mit Reden beginnen. Aber – man stelle sich vor: Der größte Feind käme still in eine Wohnung geschlichen und niemand reagiert? Könnte ein Krieg schöner beendet werden? Es gibt im Leben immer wieder einmalige Chargen welche sich nie wiederholen. Wo für bezahlen Staaten ihre Geheimdienste? Zum Kartenspielen ?

Der Kreml berichtet von einem «Arbeitsbesuch» Putins in der besetzten Stadt Mariupol. Der russische Präsident soll sich dort über die Wiederaufbauarbeiten informiert und mit Bewohnern gesprochen haben.

2.) Kreml: Putin besuchte ukrainische Hafenstadt Mariupol

Erstmals seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat Kremlchef Wladimir Putin die besetzten Gebiete des Nachbarlandes besucht. Wie der Kreml in der Nacht mitteilte, hatte Putin der in schweren Kämpfen zerstörten Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer einen „Arbeitsbesuch“ abgestattet. Das russische Staatsfernsehen zeigte den 70-Jährigen am Steuer eines Autos beim Fahren durch die nächtliche Stadt. Zu sehen waren am Rande auch Zerstörungen an Gebäuden. Nach seiner Ankunft in einem Hubschrauber habe er sich bei einer Rundfahrt über die Lage informiert und sich auch mit Bewohnern der Stadt unterhalten, teilte der Kreml weiter mit. Russlands stellvertretender Regierungschef Marat Chusnullin habe Putin über den Stand der Wiederaufbauarbeiten informiert. „Die Menschen beginnen, in die Stadt zurückzukehren“, sagte Chusnullin auf dem Beifahrersitz. In Mariupol gebe es wieder Straßenbeleuchtung und Busverkehr.

Stuttgarter-Zeitung-online

*****************************************************************

Aber sind diese „Führer“ in der USA nicht überwiegend die Nachkommen der ehemaligen Republikaner aus Europa? Auch hier in Deutschland hat sich doch nach Ende des Krieges sehr wenig verändert. Da war doch selbst das große Feuer kein Helfer ! Wurde dieses stinkende Gebäude selbst als Reichstag wieder neu erstellt. Dort sitzen auch Heute wieder die Nachkommen und haben sich lange schon auf die Suche nach den schwarzen Paschas gemacht. Die blinde EU singt in der gleichen Tonlage mit!

Auftrag nicht ausgeführt. – Mit Militär kann man die Verhältnisse anderswo nicht ändern. Sie beschädigte die Idee der Demokratie in der arabischen Welt für lange Zeit. 

3.) Vor 20 Jahren begann die US-Invasion im Irak.

Es gibt historische Reden, die von der Geschichte widerlegt werden. „Wir werden als Ergebnis nur den Sieg akzeptieren“, sagte US-Präsident George W. Bush in der Nacht zum 20. März 2003, als er in einer vierminütigen Fernsehansprache den Beginn der US-Invasion im Irak mit dem Namen „Operation Iraqi Freedom“ verkündete. Die Irakerinnen und Iraker sollten „befreit“ und „Zeugen des ehrenwerten Geistes des US-Militärs werden“, ließ er pathetisch verlauten. Bush sprach auch von einer „anhaltenden Verpflichtung, den Irak zu einem geeinten, stabilen und freien Land zu machen“. Zwei Jahrzehnte später klingen diese Worte für Irakerinnen und Iraker, aber auch für die Menschen in der weiteren arabischen Welt wie Hohn. Der Irak wurde zwar mithilfe des US-Militärs von dem brutalen Autokraten Saddam Hussein befreit. Doch heute ist er ein uneiniges, instabiles und unfreies Land. Alle vermeintlichen Kriegsgründe erwiesen sich später als episches Lügenkonstrukt – sei es die akute Bedrohung durch Saddams Massenvernichtungswaffen, die niemals gefunden wurden, oder eine angebliche Verbindung des irakischen Regimes zum Terrornetzwerk Al-Kaida. Doch niemand der Verantwortlichen in Bushs Entourage aus Neocons wurde jemals zur Rechenschaft gezogen, weder Bush selbst noch Vizepräsident Dick Cheney, die damalige US-Sicherheitsberaterin und spätere Außenministerin Condoleezza Rice, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld oder dessen Vertreter Paul Wolfowitz. Und das, obwohl der Krieg mindestens 275.000 Todesopfer als unmittelbare Folge der Militäraktion forderte. Auf diese Zahl kam das Projekt The Costs of War der US-Universität Brown, das sich die Mühe machte, nachzuzählen.

TAZ-online

*****************************************************************

Scheint es denn wirklich auf dieser Erde keine politischen Trüffelschweine mehr geben, welche sich noch nie haben bestechen lassen ? Aber dort wo alles normal läuft würde auch niemand daran denken, eine Frontex zur Sicherung seiner Grenzen aufzubauen. Die Freiheit macht eine jede Grenze überflüssig. Ängste schüren und Brände legen ist aber einfacher.

Marokko hat die Westsahara annektiert. Damit das die Wirtschaftsbeziehungen zur EU nicht trübt, ist Lobbyarbeit in Brüssel nötig: Rabat erkauft sich dort den Zuspruch für seine völkerrechtswidrige Annexion

4.) Marokkogate: Wie der afrikanische Staat die EU besticht

Die Korruptionsaffäre im EU-Parlament, die zur Absetzung seiner Vizepräsidentin Eva Kaili führte, wird vorrangig mit massiver Bestechung von Seiten Katars in Verbindung gebracht. Das Emirat habe versucht, heißt es, gegen ein schlechtes Image anzugehen, das durch mangelnde Arbeitnehmerrechte beim Bau von Wettkampfstätten der Fußball-WM 2022 entstanden war. Während das medial immer wieder angeprangert wurde, blieb und bleibt seltsam unterbelichtet, dass neben „Katargate“ auch ein nicht minder skandalöses „Marokkogate“ aufgedeckt wurde, bei dem es um die von Rabat völkerrechtswidrig annektierte Westsahara ging. Aufmerksamkeit erregt „Marokkogate“ allerdings in Italien, wohin einige Spuren führen, und in Algerien, die Schutzmacht von Flüchtlingen aus der Westsahara, ihrer Exilregierung und deren bewaffnetem Arm, der Polisario. Nicht allein die UNO, auch die EU haben die Besatzung in der 1975 von Spanien unabhängig gewordenen Westsahara nicht anerkannt und unterstützen formal die Abhaltung eines Referendums, das über den Status des Gebietes entscheidet. Nur kam das bis heute nicht zustande, da es von westlichen Voten in der UNO blockiert und damit der marokkanische Anspruch unterstützt wird, dass all jene Marokkaner an einem solchen Votum teilnehmen dürfen, die zwischenzeitlich in der Westsahara angesiedelt wurden. Dort sind nicht nur zahlreiche Firmen aus Europa aktiv, dort halten die USA zusammen mit afrikanischen Staaten mittlerweile gar Militärmanöver ab. Umstände, die dazu führen, dass völkerrechtliche Prinzipien für dieses Territorium – es hat etwa die Größe Deutschlands und ist reich an Ressourcen – von der wirtschaftsaffinen EU-Politik missachtet werden. Bereits 2007 kam es zu Absprachen über ein Fischereiabkommen, wonach Marokko der EU die Befischung sahrauischer Atlantikgewässer zugestand. Das 2019 geschlossene Agreement wurde 2021 vom Internationalen Gerichtshof gekippt. Andere Projekte der EU und Marokkos, bei denen die Westsahara stillschweigend einbezogen ist, blieben davon unberührt: bei der Solarenergie wie den seit 2018 laufenden Agrarimporten.

Freitag-online

*****************************************************************

Irgendwann bekommt ein-e Jede-r seine Rechnung für nicht gezeigte Leistungen präsentiert. Warum nutzte die Opposition die ihnen auf einen Silbertablett angebotenen Möglichkeiten einer versagenden Merkel Regierung viele Jahre nicht aus ? Keine hörbare Antworten auf Volksverleumdungen und Beschimpfungen zu Corona-Zeiten mit all ihren unsinnigen Verbotsspielchen der Regierung. 

Man reibt sich schon die Augen angesichts der Geschwindigkeit, mit der die Ampel-Koalition eine so weitreichende Reform wie die des Bundeswahlgesetzes durchs Parlament gepeitscht und nun mit nicht viel mehr als der einfachen Mehrheit aller Abgeordneten beschlossen hat. 

5.) Systemkonforme Wahlrechtsreform

Doch bei allem Verständnis für die Empörung der Linken: Die Gesetzesänderung ist mitnichten der »größte Anschlag auf die Demokratie seit Jahrzehnten«, wie es ihr Parlamentsgeschäftsführer Jan Korte in einer Wutrede ausdrückte.  – Ja: –  Die Streichung der Grundmandatsklausel – die Regelung sollte kleine Parteien stützen, sofern sie mindestens drei Direktmandate gewinnen – trägt zur Stärkung der rechtsradikalen AfD insbesondere in Ostdeutschland bei und schwächt die Repräsentanz fortschrittlicher Kräfte gravierend. Für ein demokratisch stärker legitimiertes Parlament wäre eine Senkung der Sperrklausel auf unter fünf Prozent wohl sinnvoller. Formal dürfte an der Ampel-Reform in jedem Fall weniger zu beanstanden sein, als Linkspartei wie Union hoffen. Was »der« Demokratie zuvörderst schadet, ist, dass in ihr wenige von Anlegerfonds beherrschte Konzerne sehr direkt ihre Interessen durchsetzen können. Dass große Steuerbetrüger unzureichend verfolgt und Staatsdiener für Straftaten fast nie belangt werden. Dass Arme nicht wählen gehen, weil sie sicher sind, keine der zur Wahl stehenden Parteien werde für sie kämpfen.

ND-online

******************************************************************

Den Morgengruß an gleicher Stelle – schreibt jeden Tag
„Der freche Bengel“

*********************************************************

Anregungen nehmen wir gerne entgegen

Wir erhalten in letzter Zeit viele Mails mit Texten zwecks Veröffentlichung – Um diese zu verbreiten  sollten Sie sich aber erst einmal vorstellen und zeigen mit wem wir es zu tun haben.  Danke !

Treu unserem Motto: Es gibt keine schlechte Presse, sondern nur unkritische Leser

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   DL / privat – Wikimedia

Abgelegt unter Allgemein | Keine Kommentare »