DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Archiv für Dezember 18th, 2022

Handelspolitik mit China

Erstellt von Redaktion am 18. Dezember 2022

Der Schrecken des Taiwanszenarios

Von Jens Südekum

Die Abhängigkeit von China steht in keinem Verhältnis zu der von Russland. Ohne die Großmacht müsste Deutschland Abschied von der Energiewende nehmen.

Der Einstieg der Reederei Cosco bei einem Terminal im Hamburger Hafen, die geplante Übernahme des Dortmunder Chip-Herstellers Elmos, die Beteiligung Huaweis im deutschen 5G-Mobilfunknetz – immer mehr chinesische Investitionen geraten derzeit zum öffentlichen Zankapfel. Die Befürchtung ist klar: Nach dem Desaster mit Russland wollen wir uns nicht gegenüber der nächsten Autokratie in immer stärkere ökonomische Abhängigkeit begeben, zumal von einer, die zu Hause die Menschenrechte mit Füßen tritt und möglicherweise eigene Kriegsabsichten in Taiwan hegt.

Eine kohärente Strategie der Bundesregierung im Umgang mit China ist bislang nicht erkennbar. Sie hangelt sich von Einzelfall zu Einzelfall

Doch eine kohärente Strategie der Bundesregierung im Umgang mit China ist bislang nicht erkennbar. Sie hangelt sich von Einzelfall zu Einzelfall und setzt zu sehr auf defensive Abwehrmaßnahmen. Dabei wäre jetzt die Stunde für eine offensive Investitionsagenda, um den Industriestandort Europa attraktiver, souveräner und krisenfester zu machen.

In den Konzernzentralen und Ministerien wird derzeit ein heftiges Krisenszenario durchgespielt. Sollte China tatsächlich bald in Taiwan einmarschieren, würde der Westen umfassende Wirtschaftssanktionen verhängen. Den Takt würden die USA angeben. Sie könnten dabei im Extremfall wie beim Iran vorgehen und Sekundärsanktionen gegen alle verhängen, die nicht mitziehen wollen.

Für deutsche Unternehmen könnte dies auf eine fatale Entscheidung hinauslaufen: Geschäfte entweder mit den USA oder mit China – beides ginge nicht mehr. Dabei war der äquidistante Drahtseilakt mit guten Beziehungen zu allen Seiten doch über lange Jahre das politisch zweifelhafte, aber ökonomisch höchst effektive Erfolgsrezept der deutschen Exportindustrie.

Handelsvolumen von 250 Milliarden Euro

Ein solches Taiwanszenario mag unwahrscheinlich sein – so betonen es interessierte Kreise jedenfalls immer wieder. Doch wenn es eintritt, wäre es für die Weltwirtschaft und insbesondere für Deutschland ein ökonomischer Schock, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Das deutsche Handelsvolumen mit China beträgt rund 250 Milliarden Euro pro Jahr, mehr als viermal so viel wie mit Russland. Und die Abhängigkeiten sind weitaus vielfältiger.

Bei Russland ging es „nur“ um Energieimporte, die ersetzt werden mussten. Als Absatzmarkt ist Russland hingegen praktisch irrelevant. Ganz anders China. Namhafte deutsche DAX-Unternehmen, allen voran die Autobauer, erwirtschaften dort mehr als ein Drittel ihres gesamten Konzernumsatzes. Fiele das plötzlich weg, müssten sie ums Überleben kämpfen, denn kein anderer Markt könnte solche Volumina auf die Schnelle absorbieren.

Zugleich sind wir abhängig von allerlei Importen. Bei einem plötzlichen Ausfall der chinesischen Zulieferer stünden im fernen Europa alle Räder still, denn oftmals ist kurzfristig gar keine Alternative verfügbar. Der Sachverständigenrat attestierte Deutschland jüngst eine kritische Importabhängigkeit in 248 Fällen. Darunter fallen Rohstoffe und Vorprodukte, die in der Wertschöpfung unverzichtbar sind und für die es zugleich nur sehr wenige Bezugsquellen weltweit gibt.

Rotorblätter und Solarpanels

Betrachtet man das gesamte Handelsvolumen dieser Güter, kommt rund die Hälfte aus China. Konkret geht es etwa um verschiedene EDV-Geräte, um Antibiotika, um Rotorblätter für Windräder oder um Solarpanels. Es ist bitter, aber ohne China ist die deutsche Energiewende gestorben – eine Spätfolge des industriepolitischen Desasters von 2013, wo man die Solarbranche und mehr als hunderttausend Arbeitsplätze einfach zu den üppigen Subventionen nach Peking ziehen ließ.

Kurzum: ein abruptes Ende der Handelsbeziehungen mit China wäre ein ökonomisches Desaster. Forcieren will es darum niemand. Trotzdem könnte es Umstände geben, wo es dennoch eintritt, wie etwa im Taiwanszenario. Um sich irgendwie auf diesen Fall der Fälle vorzubereiten, werden gerade allerlei politische Initiativen entfaltet, darunter die nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung, die im kommenden Jahr vorgestellt werden soll.

In vielen Unternehmen passiert dasselbe. Hier lautet das Schlagwort „Diversifikation“. Nolens volens bauen viele ihre Lieferketten in Richtung „China plus 1“ um. Fortan soll es auf allen Stufen mindestens eine Alternative in einem anderen Land geben. Deshalb reisen gerade so viele Wirtschaftsdelegationen nach Vietnam, Indien oder Singapur. Auch chinesische Firmenbosse reisen dorthin und bauen gezielt Produktionsstätten auf. So könnte nämlich im Ernstfall das Geschäft mit den westlichen Partnern möglicherweise weiterlaufen.

Eine andere Strategie zur Rettung des Chinageschäfts besteht in der Lokalisierung. Die Bundesbank verzeichnete jüngst einen deutlichen Anstieg der deutschen Direktinvestitionen in China. Dahinter stecken oft DAX-Unternehmen und große Mittelständler, die vor Ort eine geschlossene Fertigungslinie aufbauen wollen, bisweilen in der Hoffnung, dass diese auch im Konfliktfall Bestand haben dürfte, weil sie ohne Güterströme mit dem Westen auskommt.

Im Zweifel hilft der Staat

Produziert in China und für China – bloß unter dem Dach einer deutschen Holding. Ob diese Rechnung wirklich aufgeht, bleibt abzuwarten. Die Politik kann diesem Treiben oft nur zuschauen, denn Investitionsentscheidungen werden von den Unternehmen getroffen. Einige mögen gar darauf spekulieren, dass sich ein weiterer Ausbau des Chinageschäfts für sie allein deshalb lohnt, weil der Staat ihnen bei einem möglichen Untergang schon irgendwie beispringen wird.

Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren – nicht erst seit der Finanzkrise ist das ein b

eliebtes Motiv der Unternehmenslenkung. Zwar könnte die Politik versuchen, diese Vollkaskomentalität im Keim zu ersticken und stärker lenkend einzugreifen. Doch wie glaubwürdig ist das im Ernstfall? Zudem bräuchte die Bundesregierung dann ein strategisches Ziel, was sie mit ihrer Politik konkret erreichen will. Aber daran mangelt es.

Badaling China Chinesische Mauer-01.jpg

Stattdessen werden recht willkürlich einzelne chinesische Investitionen zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte gemacht. Nach welchen Kriterien das geschieht, bleibt dabei unklar. Wo vitale Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik betroffen sind, ist eine intensive Überprüfung selbstverständlich. Wenn auch nur das kleinste Risiko besteht, dass ein chinesischer Staatskonzern ein deutsches Datennetz kontrollieren und auf Geheiß der Staatsführung in den Blackout schicken könnte, müssen sofort alle Ampeln auf Rot springen.

Bei dem Verlust kritischen geistigen Eigentums verhält es sich ähnlich. Doch das eher allgemeine Argument, eine Investition wie die von Cosco dürfe nicht zugelassen werden, weil China dadurch möglicherweise seine globale Marktposition ausbauen könnte, reicht für ein Verbot eigentlich nicht aus. Denn ein solches Streben nach einer starken Marktposition wohnt vielen Investitionen inne, ganz gleich welchen Ursprungs. Überhaupt ist der Kontrollansatz gefährlich.

Recht schnell kommt als Kernbotschaft rüber, dass chinesische Investitionen generell nicht mehr willkommen sind. Wer das meint, sollte sich indes der Konsequenzen bewusst sein. Denn über kurz oder lang würde Peking natürlich eine Antwort finden und seinerseits deutsche Investitionen beschränken. Das Problem einer solchen Interventionsspirale ist, dass für uns weitaus mehr Geld und Arbeitsplätze im Feuer stehen. Denn weiterhin investiert Deutschland viel mehr in China als andersherum.

In die heimische Produktion investieren

Quelle        :          TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —     Auf der Seidenstraße, 1992

Abgelegt unter Asien, Europa, Positionen, Regierung | 1 Kommentar »

Auch wir haben gesehen…

Erstellt von Redaktion am 18. Dezember 2022

…und für einiges noch keine Worte gefunden

Datei:2012-04 Ściborzyce Wielkie 05.jpg

Quelle     :     Untergrundblättle – CH

Von       :    Gruppe Autonomie und Solidarität

Inspiriert von dem Text „Wir haben gesehen“ von Julien Coupat et al. haben wir versucht aufzuschreiben, was wir gesehen, gehört, gelesen und worüber wir uns Gedanken gemacht haben in den letzten knapp 3 Jahren autoritärer Entgrenzung im Corona-Ausnahmezustand.

Dieser Text fokussiert sich auf Schritte in der Entwicklung des Autoritären, der gesellschaftlichen Akzeptanz und auf unsere Perspektiven darauf. Einiges in diesem Text wird ausführlicher, anderes kürzer erklärt oder nur angedeutet werden. Es wird versucht, eine chronologische Abfolge von Ereignissen zu zeigen, aber auch das ist nicht immer möglich, zumal sich Eindrücke und Zusammenhänge mit der Zeit erst entwickelten. Der Text hat auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Er ist primär auf unsere Beobachtungen im deutschsprachigen Raum ausgerichtet. Es gibt noch viel mehr Aspekte der globalen Krise, die tiefer besprochen oder überhaupt erst angesprochen gehören. Letzten Endes soll der Text vor allem einfach ein Versuch sein, das in Worte zu fassen, was uns als Antiautoritäre in den letzten Jahren hier immer wieder besonders um Worte ringen liess.Was wir gesehen haben:Auch wir haben gesehen, wie elementarste Rechte der Verfassung mit einem Fingerschnippen für nicht mehr gültig erklärt wurden.

Wir haben gehört, wie Politiker*innen in Ansprachen den „Krieg gegen das Virus“ ausriefen. Von der deutschen Kanzlerin Merkel hörten wir, dass es „seit dem zweiten Weltkrieg […] keine Herausforderung an unser Land mehr gab, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt“ und wir fragten uns, welch solidarisches Handeln in Deutschland zur Zeit des NS-Regimes die Kanzlerin wohl meint.

Wir haben uns von Anfang an gefragt, was in den Krankenhäusern passieren wird, die in den Jahren der Neoliberalisierung von Pflege und Versorgung kaputt gespart wurden, deren Personal schon in den Grippe-Wintern die Grenzen der Belastung erreichte und die durch Schließungen und Kürzungen oft mit einem Mangel an Betten und Versorgungsmöglichkeiten für die Patient*innen zu kämpfen hatten. Wir haben fortan gesehen, dass Grundrechte sehr schnell und dauerhaft eingeschränkt werden können und es bei den autoritären Gelüsten in Politik und Gesellschaft kaum Grenzen gab, während eine nennenswerte Verbesserung der Krankenversorgung und Arbeitsbedingungen in der Pflege eine Unvorstellbarkeit zu bleiben scheint.

Wir haben gesehen, wie die Isolationsregeln in Altenheimen, das ersatzlose Schließen von Tafeln, Essensausgaben, Schlafplätzen, das erzwungene Beenden von Therapie- und Hilfsangeboten, das Verbot schwer kranke oder sterbende Angehörige zu begleiten, Menschen um uns herum in körperliche und psychische Abgründe zog aus denen einige nie wieder auftauchten. Und wir haben gesehen, auf wie viel Kaltherzigkeit das bis heute bei den „Solidarischen“ stößt.

Wir haben gehört, wie PR-Kampagnen die Worte „Wir bleiben Zuhause“ als eine dieser Parolen ausspuckten, die sich fortan wie ein Virus durch die „sozialen“ Netzwerke verbreiteten und mit denen sich User*innen eitel zu schmücken begannen. Wir haben uns gefragt, wie das wohl auf Menschen wirkt, die gar kein Zuhause haben, die auf der Straße leben oder an Grenzzäunen festsitzen. Was würde es für die Menschen bedeuten, für die die vier Wände um sie herum die Hölle sind, die immer näher kommt? Was macht es mit Menschen, die „ihm“, „ihr“ oder „ihnen“ noch schutzloser ausgeliefert sein würden und nicht mehr von Zuhause abhauen können?

Wir haben gesehen, wie Anwesenheitslisten ausgelegt wurden und die Privatsphäre und Anonymität nun gemeinsam mit der Geselligkeit unter Generalverdacht gerieten.

Wir haben gesehen, wie schnell die Polizei Begehrlichkeiten entwickelte, Anwesenheitslisten zu Fahndungszwecken zu nutzen.

Wir haben gesehen, wie nach Jahrzehnten des neoliberalen „There is no society“ plötzlich die Rede von einer „Solidargemeinschaft“ war, in der der höchste solidarische Akt für die Gemeinschaft das „social distancing“ zu sein hat.

Wir haben gehört, wie wir in Supermärkten und Geschäften dazu aufgerufen wurden, nicht mehr mit Bargeld sondern nur noch elektronisch und am besten kontaktlos per Smartphone – also auch nicht mehr anonym – zu bezahlen, obwohl wir doch auch früh und immer wieder gelesen haben, wie Wissenschaftler*innen schon früh das Risiko von Schmierinfektionen über Bargeld als äußerst gering beschrieben haben. Wir haben darüber nachgedacht, dass nach Greenwashing nun auch Corona-Washing der neueste heiße Scheiß im Supermarkt werden könnte.

Wir haben gehört, wie auch in Deutschland und Österreich sehr früh von einer „Neuen Normalität“ geredet wurde. Und dass wegen der Pandemie danach „nichts mehr so sein wird, wie es einmal war.“

Wir haben uns über diese Form der Krisenkommunikation und ihre Gleichzeitigkeit gewundert .Heißt es nicht sonst eher „Ruhe bewahren. Alles wird wieder gut“? Jetzt aber hieß es ominös: „Die Welt wird eine andere sein“?

Wir haben bald gehört, was konkreter mit „Neue Normalität“ gemeint ist. Von angeblich einmaligen Chancen durch die Pandemie, Weltkriegsvergleichen und dem Umformen von Gesellschaften und Verhaltensweisen konnten wir fortan so einiges lesen. Wir fragten uns, wer diese Neugestaltung denn inmitten von Lockdowns und mit Abstandsregeln gestalten sollte und wollte. Es waren schließlich große Vertreter*innen des Kapitalismus, Think Tanks, Unternehmensgruppen, die ein „Neues Normal“ als eine „Neugestaltung des Kapitalismus“ angeboten haben und damit primär eine beschleunigte „digitale Transformation“ aller Lebensbereiche, mitsamt schöner neuer Kontrollmöglichkeiten, herbeisehnten.

Von der Beraterin des damaligen österreichischen Bundeskanzlers Kurz und Vertreterin der Boston Consulting Group, Antonella Mei Pochtler, haben wir es schließlich ganz klar gehört: Die Neue Normalität bedeute, dass jeder Mensch eine App haben werde und wir uns in Europa an „Werkzeuge am Rande des demokratischen Modells“ zu gewöhnen hätten. Wir wunderten uns schließlich nicht mehr so sehr über die Zunahme von Verschwörungstheorien und dass einige Menschen mehr Ängste vor den Regierenden entwickelten als vor dem Virus.

Wir haben uns an Naomi Klein erinnert und wir machten uns Gedanken zu einer drohenden Schockstrategie des Überwachungskapitalismus. Auch Klein fühlte sich wohl an die Schockdoktrin erinnert. Im Mai 2020 konnten wir ihren Artikel zum „Screen New Deal“ über die Pläne zur Errichtung einer Hightech-Dystopie im Zuge der Pandemie gelesen, an der sich Big Tech, Eric Schmidt von Google, Andrew Cuomo und Donald Trump beteiligten. Wir haben begonnen uns zu fragen, welche derartigen Entwicklungen auch in Europa und anderen Teilen der Welt im Laufe des Corona-Ausnahmezustandes zu Tage treten würden. Schließlich drohten uns „Smart City Chartas“ und „Transformationspläne“ auf EU-Ebene längst solche Entwicklungen an, für die sich rechte wie liberale, sozialdemokratische wie grüne Politiker*innen begeisterten.

Wir haben gehört, wie der Präsident des RKIs in einer Pressekonferenz Ende April 2020 von einer sich entspannenden Lage sprach, aber die Verlängerung der Lockdown-Maßnahmen unbedingt über den 1. Mai befürwortete. Er beendete die Konferenz mit den Worten: „Ich wünsche Ihnen einen schönen Feiertag und vor allen Dingen grüße ich hier die Polizistinnen und Polizisten, die Hundertschaften, die endlich mal den 1. Mai Zuhause verbringen können.“. Wir haben angefangen uns zu fragen, ob es wirklich nur noch um die Eindämmung des Virus gehen würde, oder ob sich fortan mit virologischer Rechtfertigung auch aus anderen Anlässen Bevölkerungskontrollmethoden verfestigen könnten.

Wir haben gesehen, wie vom deutschen Bundesinnenministerium ein Strategiepapier verfasst wurde, in dem beschrieben wurde, wie durch gezielte Schockwirkungen die Durchsetzung von Maßnahmen erreicht werden könne und wie per Tracking und Massentests die Pandemie in Griff zu bekommen sei. Interessanter fanden wir noch die Passagen, in denen klar wurde, dass nicht nur die Angst vor dem Virus herrschte, sondern die Auswirkungen der Wirtschaftskrise und eine drohende Infragestellung des Systems, das zu einem „völlig anderen Grundzustand bis hin zur Anarchie“ führen könnte, Horst Seehofers Ministerium in Angst und Schrecken versetzte. Der „Maßnahmen Hammer“ sollte präventiv zuschlagen.

Wir haben sie gehört und uns über sie gewundert – die Einschätzungen von Vertreter*innen aus dem linken Mainstream, die immer wieder von den großen Chancen des pandemischen Ausnahmezustandes und einer bevorstehenden Überwindung des Kapitalismus durch Corona sprachen. Wir konnten das hier zu keinem Zeitpunkt sehen, wo doch die Handlungsmacht und Bereitschaft der Linken jetzt so tief am Boden war und wo wir nicht daran glauben können, dass ein „Starker Staat“ zur Überwindung von Kapitalismus und Ungleichheit beitragen würde.

Wir haben schon im März 2020 gesehen, wie schnell die Idee von digitaler Überwachung in der Pandemie von vielen Regierungen und Unternehmen vorangebracht wurde. Wir haben gesehen, wie die deutsche Regierung zunächst eine Tracking-App entwickeln liess, die einen sozialen Graphen der gesamten Bevölkerung hätte erstellen können. Wir haben von den Protesten und Warnungen von Wissenschaftler*innen und Netzaktivist*innen gehört. Sogar von einem mutmaßlich „linksextremen“ Brandanschlag auf ein Stromkabel, um die Entwicklung der App zu sabotieren, haben wir gelesen. Und doch waren es keine linken Aktionen, warnenden Wissenschaftler*innen und Netzaktivist*innen, sondern es waren die Groß Konzerne Google und Apple, die die Bundesregierung dazu brachten, von der zentralen Tracking-App auf eine etwas datenschutzfreundlichere dezentrale Tracing-App umzusteigen. Das ist Handlungsmacht. Agency.

Wir haben gehört, wie nicht wenige Überwachungsstaatskritiker*innen die dezentrale Corona Warn-App des Staats fleissig bewarben und nutzten, weil sie ja so unbedenklich sei und sahen uns letzten Endes trotzdem darin bestätigt, dass auch diese App zur Überwachung und Kontrolle taugt.

Wir haben gehört, wie Datenschützer*innen und Netzaktivist*innen ihre Sorgen deutlich zum Ausdruck brachten, als andere Apps und Praktiken zur vermeintlichen Pandemiebekämpfung den Datenschutz verletzten und rechtliche wie technische Standards nicht eingehalten wurden. Wir haben aber auch beobachtet, wie nicht wenige Menschen aus diesen Communities offensichtlich kaum Probleme mit digitaler Kontrolle und Unterordnung haben, wenn die zugrundeliegende Technik nur weitgehend datenschutzrechtskonform ausgestaltet ist. Wir fragten uns, ob es etwas noch deutscheres geben könnte, als eine datenschutzrechtskonforme digitale Kontrolldystopie.

Wir haben gehört, wie die dissozialen Plattitüden von „Ich habe nichts zu verbergen“ und „Facebook hat doch auch deine ganzen Daten, also stell dich nicht so an“ selbst unter manchen Linken zur Rechtfertigung von Überwachung grassierten.

Wir haben gesehen, wie immer wieder über eine allgemeine Nutzungspflicht der Tracing-App diskutiert wurde und dafür sogar Armbänder entwickelt wurden, damit Menschen auch ohne Smartphone zum Tracing verpflichtet werden könnten. Wir haben uns gedacht, dass Halsbänder noch besser passen würden.

Wir haben gelesen, wie in Experimenten der Universität des Saarlandes digitale Abstandsmessgeräte, die einen Warnton erschallen lassen, wenn sich Menschen zu nahe kommen, an Kindern und Jugendlichen getestet wurden. Und wir haben gelesen, wie Schüler*innen in Mecklenburg-Vorpommern in der Erprobung von Testkonzepten unterschiedliche Farbpunkte aufgeklebt bekamen, um so zwischen Getesteten und Testverweigernden zu unterscheiden und ihnen unterschiedliche Privilegien beizumessen. Wir fragten uns seither, wie derartige Konditionierungsversuche wohl das Verhältnis zu Mitmenschen und Autorität der jungen „Proband*innen“ prägen können.

File:Masken vom Maskenbrunnen (Flensburg 2014-10-28), Bild 02.jpg

Wir fragen uns nicht ob, sondern eigentlich nur wann wir die in dieser Zeit erprobten und verfeinerten Herrschaftstechniken und neuen digitalen Konditionierungswerkzeuge wieder sehen werden. Welche neuen Ausnahmezustände, welcher Anschlag oder Anlass wird dazu führen, dass zum Beispiel Innenminister*innen oder EU-Kommissionen Tracking-Apps verpflichtend einführen? Oder wird das einfach indirekt in viele Geräte integriert, sobald die „Gnade“ der Tech-Konzerne ein Ende findet? Welche „smarten“ Kontrolltechniken werden wohl zur Durchsetzung von Abstandsregelungen, zur Bewegungsüberwachung und Isolation in der nächsten Pandemie eingesetzt werden? Denn wenn wir eines zweifellos in den Jahren vor Corona gesehen haben, dann war es, wie fortlaufend neue Kontroll- und Überwachungspraktiken eingeführt wurden und wie bestehende Möglichkeiten entfristet und auf alle Bereiche erweitert werden, auch wenn ihre ursprünglichen Rechtfertigungsanlässe längst Geschichte sind.

Wir haben gesehen, wie der deutsche Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Mai 2020 einen „digitalen Immunitätsausweis“ einführen lassen wollte, noch bevor es überhaupt gesicherte Daten zu Übertragung, Immunität, Zuverlässigkeit von Testmöglichkeiten und zur Verfügbarkeit von Medikamenten und Impfstoffen gegen das Virus gegeben hatte. Wir haben uns gefragt, woher dieser Push für digitale Werkzeuge und ihrer Wirksamkeitsversprechen eigentlich kommen.

Wir haben gesehen, wie Spahns Idee auf Widerstand in der Politik stiess, eine Einführung gar für eine Weile als krude Verschwörungstheorie bezeichnet und sie trotzdem weiterverfolgt wurde. Mit der Einführung der digitalen Impf- und Testnachweiskontrollen 2021 und der Debatte um die Impfpflicht Anfang 2022 wurden solche „kruden Verschwörungstheorien“ später teilweise wahr. Wir haben daran erkennen können, wie gut der pauschale Vorwurf des „Verschwörungsmärchens“ als autoritäres Instrument zum Abwürgen von kritischen Diskursen taugt, wie leichtfertig und häufig der Vorwurf des „Schwurbelns“ auch von Linken gegen linke Autoritätskritiker*innen verwendet wurde und wie manches, das kurz zuvor noch von einigen Menschen als abstruses Märchen bezeichnet wurde, plötzlich als alternativlose Notwendigkeit von den gleichen Menschen gehandelt und unterstützt wird. Die Impfpflicht zum Beispiel.

Wir haben gesehen, wie der Deutsche Ethikrat sich nur teilweise gegen einen Immunitätsausweis aussprach; ihn sogar befürwortete, wenn mit seiner Einführung bestimmte Privilegien und Pflichten in der Gesellschaft verbunden würden. Wir konnten sehen, wie die bürgerliche Gesellschaft in der Krise ihre Grundrechte nicht mehr als unveräusserliche Rechte sondern als Privilegien, die mit entsprechendem Verhalten zu erkaufen seien, handelten.

Wir haben gesehen, wie Tech-Startups und Lobbyismus Gruppen wie das WEF eigene „digitale Immunitätsausweise“ mit Bluttests und Kontrollschranken zu entwickeln und zu bewerben begannen. Wir haben darüber nachgedacht, dass die Privatisierung des Pass- und Ausweiswesens eigentlich nur schlüssig in einem offen autoritären Private-Public-Partnership-Kapitalismus ist. Wir sehen heute, wie Tech-Grosz Konzerne in den USA digitale Impfausweise eingeführt haben. Und wir sehen gerade, wie die EU-Kommission mit ihrer E-ID Wallet die Teilprivatisierung von digitalen Identitäten zur Überwachung massiv vorantreibt.

Wir haben gesehen, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einer dieser RTL- Show-ähnlichen Konferenzen zur Geldbeschaffung für Impfstoffentwicklung und Therapieforschung, sich bei Bill und Melinda Gates für ihre Führungsrollen bedankte. Dass Staats- und EU-Vertreter*innen nun Tech-Milliardär*innen offen Führungsrollen zusprechen, nahmen wir als ein überraschend ehrliches Schlüsselstatement im Selbsttransformationsprozess von sogenannten liberalen Demokratien in offene Postdemokratien zur Kenntnis.

Wir haben gesehen, wie selbsternannte Fakten Checker*innen die Tätigkeiten der Gates-Stiftung unkritisch in Schutz nahmen und Kritik an ihr häufig nur auf die grassierenden irrsinnigen Narrative der Rechten reduziert darstellten. Wir haben gecheckt, dass die Fakten Checker*innen selbst oft gar nicht die Fakten zu den Steuervermeidungstaktiken der „philanthropischen“ Milliardär*innen und ihre medienmächtigen Image- und PR-Kampagnen checkten, auf denen der gute Ruf z.B. der Gates Stiftung aber erst begründet ist. Dass diese Stiftung und von ihr geförderte Impf-Initiativen wie GAVI und CEPI mit Konzernen wie Mastercard und Tech-Unternehmen in afrikanischen Ländern Kontroll- und Überwachungspraktiken, bargeldlose Bezahlen-Services und kommerzielle Agrarprojekte aus sicherlich nicht selbstlosen Motiven voranbringen, scheinen manche Faktenchecker*innen gar nicht erst checken zu wollen. Dabei geben dies GAVI und Co. offen zu. Nur bezeichnen sie es nicht als den Neokolonialismus oder Überwachungskapitalismus, der unter dem Deckmantel der Philanthropie nun mal steckt.

Wir haben immer wieder von Aktivist*innen gehört, dass Falschbehauptungen und Verschwörungstheorien härter bestraft werden müssten. Wir haben uns gefragt, welche über alle Zweifel erhabene, völlig objektive und neutrale Institution den Wahrheitsgehalt von Theorien und Behauptungen zu politischen Geschehnissen endgültig prüfen und beurteilen könnte. Dass es völlig unsinnige und gegen Minderheiten hetzende, gefährliche Theorien und Falschbehauptungen gibt, gegen die wir uns positionieren müssen, ist uns klar und darin wurden wir in der Pandemie auch durch das Beobachten der Aktivitäten der Faschos und ihrer neuen Gefolgschaft bestärkt. Aber spätestens seitdem wir das Propagandamodell von Chomsky und Herman gelesen haben, ist uns genauso klar, dass weder Faktenchecks durch Journalist*innen, noch staatliches Durchgreifen auch nur annähernd Objektivität garantieren können, geschweige denn zur Bekämpfung von rechter Propaganda taugen. Oftmals sogar ganz im Gegenteil.

Wir haben gehört, wie Ministerpräsident*innen, Journalist*innen, Ethikrat Mitglieder immer wieder Falschbehauptungen aufstellten, dass der Datenschutz daran Schuld sei, dass die Pandemie noch nicht in den Griff bekommen wäre. Wir haben von den meisten sogenannten Faktenchecker*innen aber gar keine kritischen Bemerkungen und Einordnungen, keine aktivistischen Forderungen nach Strafen für diese schwurbeligen Fake News gesehen.

Wir haben stattdessen von der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats im Oktober 2020 die unwahre Behauptung gehört, der Datenschutz sei, ganz offensichtlich zu ihrem Bedauern, doch noch „so gar nicht“ eingeschränkt worden. Vom Grünen Ministerpräsidenten Kretschmann und seiner Landesregierung haben wir immer wieder die Märchen von fantastischen Tracking-Apps in Taiwan und Südkorea gehört, mit denen dort die Pandemie längst unter Kontrolle sei, während hierzulande der leidige Datenschutz solch digitales Wunderwirken verhindere. Als wir dann erfahren haben, dass die Menschen in Taiwan und Südkorea selbst auch noch nichts von diesen Apps gehört haben, weil diese dort schlichtweg nicht existierten und auch ein Südkorea, mit seiner durchaus vorhandenen dichten Überwachungsinfrastruktur und zunehmend kontaktlosen Dystopie das Aufflammen von neuen Infektionswellen nicht verhindern konnte, hielt sich unser Staunen über die unwahren Aussagen deutscher Politiker*innen und das Desinteresse der „Faktenchecks“ dennoch in Grenzen.

Wir haben gesehen, wie es in der ganzen Zeit politisch gefordert wurde, das Privatleben maximal einzuschränken, aber sich am Arbeitsplatz und auf dem Weg dorthin den Risiken einer Infektion auszusetzen. Wir haben gesehen, wie sich die meisten Menschen fügten, selbst als nächtliche und ganztägige Ausgangssperren sowie Bewegungsradius-Zonen ohne epidemiologischen Sinn eingerichtet wurden.

Wir haben gesehen, wie nach den ersten Lockerungen über 700 Bewohner*innen eines Hochhauses in Göttingen und Arbeiter*innen der Tönnies-Schlachtfabriken in Wohnblöcken in Gütersloh auf Verdacht wie Vieh eingepfercht wurden. Wir haben gesehen, wie auch noch im Jahr darauf viele Saisonarbeiter*innen am Rande von deutschen Spargelhöfen ihre „Arbeitsquarantäne“ nur zum Arbeiten verlassen durften und ihnen die Schuld an hohen Inzidenzen gegeben wurden. Wir haben weder gesehen, wie sich die kleinbürgerlichen Protest-Kreischer*innen von „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ für die Freiheit dieser Menschen einsetzten, noch wie die „Solidarischen“ auf der Gegenseite sich solidarisch mit den eingepferchten Menschen zeigten.

Wir haben gesehen, wie Jugendliche in Stuttgart, in Hamburg, in Berlin, in Den Haag und an einigen anderen Orten immer wieder aus der Geiselhaft der Autoritären auszubrechen versuchten und es keineswegs nur „unsolidarische Querdenker*innen“ und Rechte sind, die massenhaft gegen Maßnahmen aufbegehrten.

Wir haben gesehen, wie Polizist*innen einen Jugendlichen mit dem Polizeiwagen durch einen Park hetzten, weil er seine Freund umarmt hatte und wie Polizeihubschrauber Menschen auf zugefrorenen See verfolgten, weil sie Abstands- und Sicherheitsregeln nicht einhielten.

Wir haben gesehen, wie die Bundeswehr im Inneren eingesetzt wurde, wie ihr Einsatz in Altenheimen, Gesundheitsämtern und bei der Impfkampagne medial inszeniert und die Gegenwart von uniformtragenden Soldat*innen gesellschaftlich weiter normalisiert wurde.

Wir haben gesehen, wie im Zuge der Proteste und Aufstände nach der Ermordung von George Floyd durch einen Polizisten, die BLM-Aktivist*innen und viele Linke in den USA die Abschaffung der Polizei forderten. Polizeistationen gingen in Flammen auf, Überwachungstechnik wurde zertrümmert. Viele Menschen wollten sich die rassistisch motivierten, tödlichen Übergriffe und die Kontrollen und Willkür durch Polizeikräfte nicht mehr länger bieten lassen und konnten sich ein freieres Leben vorstellen.

Währenddessen haben wir hierzulande beobachtet, wie sich einige als Linke und Antifa-Aktivist*innen bezeichnende Menschen nicht nur Demonstrationsverbote, sondern ein härteres Durchgreifen der Polizei wünschten, den Einsatz von Wasserwerfern und Schlagstöcken herbeisehnten, um gegen Menschen vorzugehen, die sich bei ihren Protesten nicht an Maßnahmen hielten. Wir entwickelten nie und empfinden nach wie vor keine Sympathien für Rechte und Querfrontler*innen und ihre Aufmärsche. Aber es war und ist schwer zu ertragen, wie Stimmen, die als dem linken Spektrum zugehörig wahrgenommen werden, plötzlich Polizeigewalt und Repressionsbehörden gutheißen und sie sich allenfalls darüber beklagen, dass die Gewalt der Staatsmacht zu selten die Richtigen treffe.

Wir haben leider ganz genau gesehen, wie viel Begeisterung für Repression und Autoritarismus, für „Zucht und Ordnung“ bei Linksliberalen, aber auch bei Linken und angeblichen Anarchist*innen in Deutschland vorhanden ist. Wir haben gesehen, dass Virolog*innen wie Popstars zelebriert wurden und es dabei nicht nur um die virologische Expertise ging, sondern um ihr äußeres Erscheinen, ihre politischen Wirkungen und ihren Lifestyle, die ihnen zusätzliche Autorität verliehen.

Wir haben gesehen, wie „die Wissenschaft“ als Singular zur unfehlbaren Autorität im Kapitalismus erhoben wurde, ohne dass ihre Politisierung, ohne dass das auf sie wirkende politische, ideologische System, von dem sie nicht losgelöst existiert, ohne dass die Begrenzungen durch Erkenntnistheorien und ihre Herrschaftsansprüche auf die Gesellschaft hinterfragt wurden. Besonders von Linken haben wir das kaum gesehen. Als hätte es Foucault, die Frankfurter Schule und emanzipatorisch linke Kritiken an Wissenschaften, Proteste gegen „Wehrtechnikforschung“ an Unis und gegen die Pharmaindustrie niemals gegeben.

Wir haben gehört, wie eine öffentlich vielbeachtete Virologin, die die Autorität ihrer Zunft klarstellen wollte, sagte, sie erzähle „doch auch dem Automechaniker nicht, wo der Motor am Auto ist.“. Die Ironie, dass sie selbst kurz darauf politische und Gesamtgesellschaft relevante Forderungen als Testimonial der „No Covid“-Initiative vorstellte, ist ihr dabei wahrscheinlich entgangen. Uns nicht.

Wir haben gesehen, wie die „No Covid“-Initiative ab Ende 2020 die Landkarte Europas in „grüne und rote“ Zonen einteilen wollte. Strikte Kontrollen, Massentests, Quarantäne, Überwachung sollten die Kranken und Verdächtigen in den roten Zonen einpferchen, um die Gesunden und Geprüften in den grünen Zonen zu schützen. Das ganze Ausmaß an Autoritarismus in dieser Idee verschlägt uns immer noch die Sprache. Er spricht wohl für sich selbst.

Wir haben gesehen, wie die „Zero Covid“-Initiative sich ab Anfang 2021 als „linkes“ Pendant zu „No Covid“ formierte. Linksliberale und linke Prominenz in Deutschland unterschrieb den Aufruf fleissig zu einem Zeitpunkt, an dem sich das Virus längst in Menschen und Tieren auf der ganzen Welt unkontrolliert ausgebreitet hatte. Zu den positiven Inhalten von „Zero Covid“ konnten wir die Forderung nach Stärkung der Pflege, den Blick auf die Arbeitswelt statt nur auf die Freizeit und eine angebliche Sorge vor autoritären Entwicklungen bei einer weiter andauernden Pandemie zählen. Wir haben uns davon aber nicht darüber hinwegtäuschen lassen, wie sehr die Forderungen nach „kurzen, harten Lockdowns“ bestenfalls naiv klangen; Wie sie, ähnlich wie „No Covid“ aber sehr wahrscheinlich zu einer weiteren autoritären Entgrenzung und Verstetigung von Kontrollen führen würden und wie sie das Freiheitsverständnis manipulativ nur auf dessen neoliberale, bürgerliche Interpretation zu reduzieren versuchte.

Wir haben gesehen, dass „Zero Covid“ zum Sinnbild für die autoritäre Linke in Deutschland wurde, wie sie vom „Schutz der Volksgesundheit“ sprachen und sich auch 2022 noch für die „hervorragende“ Unterdrückung in der chinesischen Pandemiepolitik begeistern.

Wir haben gesehen, wie wenig Begeisterung das chinesische Vorbild der deutschen „Zero-Covid “Linken bei den Menschen in China auslöst. Wir haben die Schreie aus den zugeschweissten Appartmentblöcken gehört, die digitale Bewegungskontrolle per App gesehen, die Aufstände und Kämpfe von Fabrikarbeiter*innen und vielen anderen Menschen gegen das „Zero-Covid“-Regime in ganz China beobachtet.

Wir haben gesehen, wie linke Intellektuelle, die kluge Sachen zu den autoritären Tendenzen des konservativen Bürgertums und zu rechten Ideologien in Behörden geschrieben und gesagt haben, nun selbst vom autoritären Staat und dessen Behörden maximale Sicherheit und hartes Durchgreifen begehrten.

Wir haben gesehen, wie ab 2021 viele Landesregierungen nach einer Werbetour des Rappers Smudo die „LUCA“-App einführten und ihre Nutzung an vielen Orten verpflichteten. Obwohl der Datenschutz als katastrophal. die Wirkung bei der Pandemiebekämpfung als kontraproduktiv und das Zugriffsinteresse der Polizei als hoch beschrieben wurden, haben wir und der Staat gesehen, wie viele Menschen die App trotzdem nutzten und fleissig QR-Codes scannten. Technikgläubigkeit, „freiwilliger Zwang“ aus Angst vor Ausschluss, Bequemlichkeit und das Verdrängen von Alternativen sind wohl die „Fantastischen Vier“ unter den gesellschaftlichen Nährböden für den Überwachungskapitalismus.

2020-08-29 Corona-Demonstration Querdenken 10.jpg

Wir haben gesehen, wie das Bundesgesundheitsministerium 2021 bei IBM einen Impfpass mit Blockchain-Technologie in Entwicklung gab. Die historische Brisanz, dass der Auftrag ausgerechnet an IBM ging, fiel uns auf. Vielmehr haben wir allerdings die aktuelle Brisanz gesehen, mit den vielen Vorhaben, die unter Namen wie „Self Sovereign Digital Identity“ oder „ID 2020″ – auch in Zusammenhang mit Impfkampagnen – noch immer eine dystopische nahe Zukunft ankündigen. Eine durch digitalisierte Zukunft, in der unser gesamtes Leben per Biometrie überwacht und als Blockchain-Identitäten gespeichert werden soll, über deren Datenherausgabe wir als Individuen höchstens noch pseudo-freiwillig verfügen könnten („Daten her oder Du kommst hier nicht rein!“). Eine Zukunft, in der es Staaten, Behörden und Kapital vollumfänglich möglich wäre, uns (noch mehr) mit „Scorings“ zu bewerten, unseren „Marktwert“ zu errechnen und unser Verhalten kybernetisch zu maßregeln. Eine Dystopie, in der sich bis auf wenige Privilegierte, die meisten Menschen gar nicht mehr in Privatsphären zurück ziehen können, sich nicht mehr vertrauen und aufeinander verlassen würden, in der es keine Grauzonen, Verschwiegenheit, Schlupflöcher, Unschuldsvermutungen, Auskunftsverweigerungen und verzeihendes Wegschauen mehr geben kann. Ein Panoptikum, in dem die Vielen gefangen wären und die Wenigen alles sehen und wissen würden.

Wir haben gesehen, wie die EU-Kommission den „Grünen Pass“ eingeführt hat, der zwar kein Blockchain-Ausweis ist, aber dennoch eine erweiterbare Kontrollinfrastruktur etablierte. Wir haben gehört, wie die EU-Gesundheitskommissarin davon sprach, dass das digitale Impfzertifikat in der Zukunft noch andere Informationen als nur den Impfstatus anzeigen soll und dass die Pässe auch nach Ende der Pandemie erhalten bleiben sollen.

Wir haben gesehen, wie diese Zertifikate zur Grundlage für die Politik von 3G, 2G, 2G+ wurden; Wir haben gesehen, wie damit das digitale Ausweisen, Zertifizieren, Kategorisieren von Menschen im Alltag und das Veröffentlichen von Gesundheitsdaten über Monate hinweg normalisiert wurden.

Wir haben gesehen, wie auch in autonomen Zentren, linken und anarchistischen Einrichtungen in Deutschland 2G vehement kontrolliert wurde und Menschen ohne digitale Zertifikate und Ausweise nicht erwünscht waren – teilweise noch weit über das Ende der gesetzlichen Bestimmungen hinaus.

Wir haben gesehen, wie sehr sich Linke und selbsternannte Anarchist*innen sich nicht nur für 2G sondern auch für eine Impfpflicht einsetzen und wie es bei der Debatte um die Impfpflicht längst nicht mehr nur um den Gesundheitsschutz ging, sondern um symbolische Wirkungen für die Durchsetzung von staatlicher, biopolitischer Autorität gegenüber allen, die sich ihrer Entziehen wollten.

Wir haben gesehen, wie im Windschatten der Corona-Pandemie, der grossen Aufmerksamkeit für die „Querdenker“, des „War on Schwurbel“ und der behaupteten „Pandemie der Ungeimpften“ die deutsche Politik ein Überwachungsgesetz nach dem anderen verabschiedete. Wir haben gesehen, wie im Corona-Konjunkturpaket die Register Modernisierung und damit die Einführung einer digitalen Personenkennziffer beschlossen wurde. Wir haben gesehen, wie Horst Seehofer seine Überwachungsagendas durchdrückte, das NetzDG verschärft wurde, der Staatstrojaner für alle Geheimdienste eingeführt wurde, wie die EU ihre Biometrie Datenbanken und die Kommerzialisierung von Patient*innendaten ausweitet, die Militarisierung und Befugniserweiterungen von Polizei und Frontex vorangetrieben werden und verschiedene „Innovationsprojekte“ des Sicherheitsstaats nahezu unbemerkt und mit reichlich Desinteresse einer abgelenkten Linken passieren können. Wir haben noch mehr gesehen… und für einiges noch keine Worte gefunden Wir hätten gerne gesehen, wie die Kritik von jeder Autorität, von Herrschaft, Obrigkeit, vom kapitalistischen Wissenschaftsverständnis und dem Fortschritt Verständnis, wie die Fähigkeit zur Differenzierung und Dialektik die Debatten von Links in der Pandemie ausgemacht hätten.

Wir hätten vielleicht einiges anders kommen sehen können, wenn Linke ein kritischeres Verständnis vom Staat gehabt hätten. Denn im Gegensatz zu dem, wie sie es mehrheitlich einzuschätzen scheinen, ist der Staat nicht etwa ein Gegenspieler des Neoliberalismus oder Kapitalismus sondern dessen Garant, Verwalter und Exekutive, wie wir es in der „Bewältigung“ der Wirtschaftskrise ab 2008, bei der staatlichen Repression von autonomen Projekten immer wieder und bei der „digitalen, grün gewaschenen Transformation“ des Kapitalismus heute sehen.

Wir hätten es lieber gesehen, wenn sich Menschen durch solidarische Praxis, gegenseitige Hilfe, abwägender Vernunft und Rücksicht in der Pandemie verhalten hätten, statt rücksichtslos und empathie befreit, anbiedernd an den Staat einerseits oder an rechte Bauernfänger*innen andererseits.

Wir sehen es schon, dass manche vielleicht sagen: „Das ist alles längst vergangen und einiges ist ja auch gar nicht so eingetreten und vieles wurde wieder zurückgenommen.“ Doch wir denken, dass es dokumentiert, besprochen und sich dazu positioniert werden sollte. Viele Entwicklungen der staatlichen und kapitalistischen Autoritarisierung liefen schon vor der Pandemie und werden es danach noch beschleunigt tun, viele Probleme des linken und autonomen Spektrums in Deutschland sind so erst recht sichtbar geworden und wir sehen nicht, dass sich die Dinge bessern, wenn sie niemand mehr sehen will.

Gruppe Autonomie und Solidarität

Quellen und Links geordnet nach Themen:

Thema Erste Ankündigungen

TV-Ansprache von Angela Merkel vom 18. März 2020: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975232/1732182/d4af29ba76f62f61f1320c32d39a7383/fernsehansprache-von-bundeskanzlerinangela-merkel-data.pdf

Thema Bargeld

Artikel auf digitalcourage.de von Demuth, Kerstin: Aus hygienischen Gründen bargeldlos zahlen? Ist Quatsch., letztes Update vom 09.06.2020: https://digitalcourage.de/blog/2020/bargeld-corona-infektionsschutz-quatsch

Artikel auf Aerzteblatt.de: SARS-CoV-2: Bargeld birgt kein besonderes Infektionsrisiko, vom 12. August 2021: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/126311/SARS-CoV-2-Bargeld-birgt-kein-besonderes-Infektionsrisiko

Thema „Neue Normalität“

Gisela Zifonun: Zwischenruf zu „Neue Normalität“, erschienen in „Sprachreport 2/2020 des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache, Mannheim:

https://www.ids-mannheim.de/fileadmin/aktuell/Coronakrise/zifonun_web_2_neu.pdf

Meldung vom 11. April 2020 auf Tagesschau.de über die Rede zur Corona-Krise von Bundespräsident Steinmeier:

https://www.tagesschau.de/inland/steinmeier-ansprache-corona-101.html

Boston Consulting Group: Sensing and shaping the Post-COVID Era, 3. April 2020: https://www.bcg.com/publications/2020/8-ways-companies-canshape-reality-post-covid-19

KPMG Deutschland: Die neue Normalität: https://home.kpmg/de/de/home/themen/uebersicht/die-neue-normalitaet.html

OECD Forum: The Great Reset? Let’s aim for a „kinder capitalism“ and one measure for well-being, von: James Wallman, 07. Mai 2020:

https://www.oecd-forum.org/posts/the-great-reset-let-s-aim-for-a-kinder-capitalism-and-one-measure-for-well-being-2fcaccb1-54e4-4274-b7ba6546ae87c54a

Netzwerk Nachhaltigkeit NRW: Corona als Chance für die Nachhaltigkeitsdebatte, 12. Mai 2020:

https://www.lag21.de/aktuelles/details/corona-als-chance-fuer-die-nachhaltigkeitsdebatte/

Traxeler, Günter: Mutig in die neue Normalität, Kolumne, erschienen am 8. Mai 2020 bei derstandard.at: https://www.derstandard.at/consent/tcf/story/2000117350911/mutig-in-die-neue-normalitaet

Thema Schockstrategien

Klein, Naomi: Screen New Deal, am 8. Mai 2020 bei The Intercept erschienen: https://theintercept.com/2020/05/08/andrew-cuomo-eric-schmidtcoronavirus-tech-shock-doctrine/

Smart City Charta 2017 des Bundesumweltministeriums: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/bauen/wohnen/smart-city-charta-kurzfassung-de-unden.pdf?__blob=publicationFile&v=4

Studie im Auftrag des IMCU Komitees des EU-Parlaments zur „Digitalen Transformation“, erschienen im Mai 2020: https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2020/648784/IPOL_STU(2020)648784_EN.pdf

Robert-Koch-Institut Update vom 30.04.2020, Videoaufzeichnung der Aussage abrufbar bei ZDFheute Nachrichten ab 1h05m00s: https://www.youtube.com/watch?v=miEvuY-vqXc .

Das interne Strategiepapier des Innenministeriums zur Corona-Pandemie, am 07. April 2020 veröffentlicht bei abgeordnetenwatch.de: https://www.abgeordnetenwatch.de/recherchen/informationsfreiheit/das-interne-strategiepapier-des-innenministeriums-zur-corona-pandemie

Kreutzfeldt, Malte: Strategiepapier des Innenministeriums. Schockwirkung erwünscht, 28.3.2020 bei taz.de https://taz.de/Strategiepapier-desInnenministeriums/!5675014/

Thema Corona als Chance für die Linke?

Žižek, Slavoj: Pandemic! Covid-19 Shakes the World, E-Book, 2020. http://zizekpodcast.com/2021/02/09/ziz263-could-covid-destroy-capitalism-1901-2020/

Thema Corona-Warn-App

Schurter, Daniel: 300 Wissenschaftler warnen vor ‚beispielloser Überwachung der Gesellschaft‘, 21. April 2020: https://www.watson.ch/digital/schweiz/541347894-300-wissenschaftler-schlagen-alarm-wegen-fragwuerdiger-corona-warn-apps

Karabasz, Ina: Streit um Corona-Tracing-App: ‚Die Diskussion wird religiös geführt‘, 20.04.2020 bei Handelsblatt.com: https://www.handelsblatt.com/technik/medizin/chris-boos-streit-um-corona-tracing-app-die-diskussion-wird-religioes-gefuehrt/25753782.html

Jansen, Frank: Wollten Linksextreme die Corona-App sabotieren, 15. April 2020 bei Tagesspiegel.de: https://www.tagesspiegel.de/berlin/staatsschutzermittelt-nach-anschlag-auf-stromkabel-in-berlin-3245695.html

Becker, Kristin und Feld, Christian: Streit um die Corona-Tracing-App. Kräftemessen mit Apple und Google, 25. April 2020 bei Tagesschau.de: https://www.tagesschau.de/inland/corona-app-spahn-103.html

Capulcu: Unser erneu(er)tes NEIN zur Corona-Warn-App, 5. Dezember 2020: https://enough-is-enough14.org/2020/12/05/capulcu-unser-erneuertesnein-zur-corona-warn-app/

Reuter, Markus und Köver, Chris: Update der Corona-Warn-App. Neue Impfstatus-Prüfung auf Kosten der Anonymität, 10. Januar 2022, bei netzpolitik.org: https://netzpolitik.org/2022/update-der-corona-warn-app-neue-impfstatus-pruefung-auf-kosten-der-anonymitaet/

Bosen, Ralf: Kampf gegen die Pandemie Denkfabrik fordert gesetzliche Pflicht für Corona-Warn-Apps, 19. Januar 2021 bei dw.com: https://www.dw.com/de/denkfabrik-fordert-gesetzliche-pflicht-f%C3%BCr-corona-warn-apps/a-56269362

Artikel des Bundesgesundheitsministeriums zur Entwicklung des Corona-Warn-Bands, Projektlaufzeit: 07.10.2020 bis 31.12.2021:

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/ressortforschung-1/handlungsfelder/forschungsschwerpunkte/eindaemmung-der-covid19-pandemie/kida-1.html

Thema Konditionierungswerkzeuge

Artikel zu den Experimenten mit Abstandswarnchips im Saarland: https://www.sol.de/saarland/studie-im-saarland-funk-chips-sollen-schuelerinnenzum-abstandhalten-animieren,67180.html

https://www.uni-saarland.de/en/news/saar-uni-startet-corona-studie-an-schulen-22647.html

Nyarsik, Hedviga: Vorbild für andere Schulen? Wie ein Gymnasium das Corona-Problem löst, 30. Juni 2020 bei n-tv.de: https://www.ntv.de/panorama/Wie-ein-Gymnasium-das-Corona-Problem-loest-article21821407.html

Rath, Christian: Chronik der Sicherheitsgesetze. Der Weg zum Antiterrorstaat, 20. April 2020 bei taz.de : https://taz.de/Chronik-derSicherheitsgesetze/!5144153/

Thema Immunitätsausweis und Verschwörungstheorien

Barthel, Julia: Spahn schlägt Immunitätsausweis vor, 1. Mai 2020 bei netzpolitik.org: https://netzpolitik.org/2020/spahn-schlaegtimmunitaetsausweis-vor/

Grüne Thüringen zu „Verschwörungsmärchen“: https://gruene-thueringen.de/verschwoerungsmaerchen-in-zeiten-von-corona-immunitaetsausweiseund-angebliche-impfpflicht-07mai20/

Klaus, Julia: Faktencheck: Was dran ist am Impfzwang-Geraune, 06. Mai 2020 bei ZDF.de: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/coronavirus-keinimpfzwang-spahn-faktencheck-100.html

Ethikrat gespalten über Immunitätsbescheinigungen, 22. September 2020 bei Sueddeutsche.de https://www.sueddeutsche.de/wissen/immunitaetcorona-ausweise-ethikrat-stellungnahme-1.5040478

Heller, Piotr: Corona-Immunitätspässe. Bahn frei für Überlebende?, 18. Juni 2020 bei deutschlandfunkkultur.de https://www.deutschlandfunkkultur.de/corona-immunitaetspaesse-bahn-frei-fuer-ueberlebende-100.html

Beispiele für den Push der Tech-Konzerne für Immunitäts- und Impfausweise:

https://www.hpw.health/ https://www.weforum.org/agenda/2020/07/covid-19-passport-app-health-travel-covidpass-quarantine-event/ – https://www.weforum.org/videos/common-pass-travelling-the-world-in-the-covid-era – https://smarthealth.cards/en/

Privacy International: The looming disaster of immunity passports and digital identity, 21. Juli 2020 bei privacyinternational.org: https://privacyinternational.org/long-read/4074/looming-disaster-immunity-passports-and-digital-identity

epicenter.works: Orwell’s Wallet: Das elektronische Identifizierungssystem der EU führt uns direkt in den Überwachungs Kapitalismus, am 4. Februar 2022 bei epicenter.work.

Thema Gates-Stiftung, Faktenchecks, Fake News

Zu den „Geberkonferenzen“ der EU-Kommission: https://global-response.europa.eu/index_en https://twitter.com/vonderleyen/status/1257672436239282178?lang=en

Beispiel für eine selbsternannte Faktenchecker*in und Autorin zu Fake News und Verschwörungstheorien und einem unkritischen, unterkomplexen Umgang mit der Gates-Stiftung: https://twitter.com/kattascha/status/1268162154038988801

Wilhelm, Katharina: Nur ein menschenfreundlicher Milliardär?, 04. Mai 2020 bei deutschlandfunkkultur.de; https://www.deutschlandfunkkultur.de/gates-stiftung-nur-ein-menschenfreundlicher-milliardaer-100.html

Citations Needed Podcast, Episode 45 – Über die Medienmacht von Bill Gates und Gates-Stiftung: https://citationsneeded.medium.com/episode-45the-not-so-benevolent-billionaire-bill-gates-and-western-media-b1f8e0fe092f

Selbstdarstellungen von GAVI und Mastercard:

https://www.gavi.org/investing-gavi/funding/donor-profiles/mastercard https://www.mastercard.com/news/56071?culture=en

Privacy International über die Public-Private-Partnership-Überwachungsprojekte von GAVI und Mastercard, 10. Juli 2020: https://privacyinternational.org/examples/4083/public-private-partnership-launches-biometrics-identity-and-vaccination-record-system

Prominentes Beispiel für einen Aktivisten, der immer wieder die Bestrafung von Fake News fordert und sich für mehr Überwachung im Netz ausspricht: Anwalt Chan- jo Jun. https://www.junit.de/2020/2020/05/22/fight-fake-news/

Wiki-Artikel zum Propagandamodell von Herman und Chomsky: https://en.wikipedia.org/wiki/Propaganda_model (Stand Oktober 2022).

ZDF „heute live“ Interview mit Ethikratsvorsitzenden Alena Buyx am 29. Oktober 2020.

Kretschmann zur Corona-Warn-App: ‚Datenschutz ist kontraproduktiv‘, 15. November 2020 bei heise.de: https://www.heise.de/news/Kretschmannzur-Corona-Warn-App-Datenschutz-ist-kontraproduktiv-4960646.html

Podcast Logbuch Netzpolitik, Episode 374 vom 23. Dezember 2020: https://logbuch-netzpolitik.de/lnp374-ein-alter-weisser-mann-ist-passiert

Thema Proteste, Übergriffe und linke Polizeifans

Göttingen. 700 Bewohner in Massen-Quarantäne, 19.Juni 2020 bei ndr.de: https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/Goettingen-700-Bewohner-in-Massen-Quarantaene,corona3508.html

Ludwig, Kristiana und Verschwele, Lina: Die Vergessenen von Gütersloh, 7. Juli 2020 bei sueddeutsche.de: https://www.sueddeutsche.de/politik/coronavirus-toennies-guetersloh-arbeiter-1.4959561

Zingher, Erica: ‚Arbeitsquarantäne‘ auf Spargelhof. Wie Vieh gehalten, 7. Mai 2021 bei taz.de: https://taz.de/Arbeitsquarantaene-aufSpargelhof/!5765810/

Leitlein, Hannes u.a.: Warum diese Eskalation? Krawalle in Stuttgart, 22. Juni 2020 bei zeit.de:

https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2Fgesellschaft%2Fzeitgeschehen%2F2020-06%2Fkrawalle-stuttgartausschreitungen-pluenderungen-polizei-randale-innenstadt

dpa-Bericht: Randale am Gleisdreieck und im Mauerpark. Jugendliche rebellieren gegen Corona-Ausgangsbeschränkungen. So verlief die Nacht in Berlin und Hamburg, 3. April 2021 bei berliner-kurier-de: https://www.berliner-kurier.de/berlin/jugendliche-rebellieren-gegen-coronaausgangsbeschraenkungen-so-verlief-die-nacht-in-berlin-und-hamburg-li.150315

dpa-Meldung: Jugendliche in Niederlanden randalieren erneut gegen Corona-Massnahmen, 21.November 2021 bei spiegel.de: https://www.spiegel.de/ausland/niederlande-jugendliche-randalieren-erneut-gegen-corona-massnahmen-a-415be2f1-f145-432c-a6f3-be59661da478

Weil er Freunde umarmte. Polizei jagt Jugendlichen mit Streifenwagen durch Park, 26.Februar 2021 bei nordbayern.de: https://www.nordbayern.de/region/weil-er-freunde-umarmte-polizei-jagt-jugendlichen-mit-streifenwagen-durch-park-1.10875172

Mit dem Hubschrauber gegen die Menschenmassen auf dem Eis, 15. Februar2021 bei spiegel.de: https://www.spiegel.de/panorama/polizei-in-berlinhamburg-hannover-mit-hubschrauber-gegen-menschenmassen-auf-dem-eis-a-ccfc99c7-434e-42d5-8d5c-91206220f15e

Heh, Eyako und Wainwright, Joel: No privacy, no peace: Urban surveillance and the movement for Black Lives, 18. Mai 2022:

https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/26884674.2022.2061392

Beispiele für reichweitenstarke Stimmen, die sich dem linken Spektrum zuordnen und in der Pandemie nach mehr Polizeigewalt riefen:

https://twitter.com/stephanpalagan/status/1299656895318425600 https://twitter.com/DennisKBerlin/status/1381628676329078786

Kritik der Undogmatischen Radikalen Antifa Dresden an linker Polizeibegeisterung: https://www.ura-dresden.org/ruckblick-auf-die-gemeinsamezuganreise-am-01-mai-2022/

Thema Virologie-Pop, NoCovid und ZeroCovid

Scharnigg, Max und Werner, Julia: Ein Herz für Virologen, 23. März 2020 bei sueddeutsche.de: https://www.sueddeutsche.de/stil/coronavirusvirologen-mode-1.4848312

Drosten-Fansongs von Bodo Wartke und von so einer Art JuSo-Musikkapelle namens „ZSK“: https://www.youtube.com/watch?v=_ET84X6m8P0 https://www.youtube.com/watch?v=5OZdKwFSWZw

‚Ich bin es leid‘. Virologin Brinkmann mit leidenschaftlichem Appell, 04. November 2020 bei watson.de: https://www.watson.de/deutschland/coronavirus/199805626-ich-bin-es-leid-virologin-brinkmann-redet-sich-in-rage

Strategiepapier der „No Covid“-Initiative: https://nocovid-europe.eu/assets/doc/nocovid_oeffnungsstrategie.pdf

Aufruf und die Positionen zu „Volksgesundheit“ und Autoritarismus der deutschsprachigen „Zero Covid“-Initiative im Jahr 2022:

https://zero-covid.org/unterschreibe-den-aufruf/ https://twitter.com/zeroCovid_DACH/status/1494996685763792900 https://twitter.com/zeroCovid_DACH/status/1488199074834755584?cxt=HHwWgMC5qY_LkqcpAAAA

Einschätzung zu den Protesten zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Textes: Schneider, Jordan, China’s Protests. Harbinger or Passing Storm?, 28. November 2022: https://www.chinatalk.media/p/chinas-protests-harbinger-orpassing https://twitter.com/chuangcn/status/1597269906239926272

Thema Luca, digitaler Impfpass, ID2020, 2G

Ermittler griffen mehr als hundert Mal auf Kontaktdaten zu, 20. Januar 2022 bei spiegel.de: https://www.spiegel.de/netzwelt/apps/luca-und-coermittler-griffen-mehr-als-100-mal-auf-daten-zur-kontaktverfolgung-zu-a-a4e4c90a-7d6a-4b0e-8003-2a5ec7bc694f

Interview von Eva Wolfangel mit Ulrich Kelber, 30. April 2021 bei zeit.de: https://www.zeit.de/digital/datenschutz/2021-04/ulrich-kelber-coronawarn-app-luca-datenschutz-check-in´

IBM soll den digitalen Impfpass bauen, 09. März 2021 bei dw.com: https://www.dw.com/de/ibm-soll-den-digitalen-impfpass-bauen/a-56816301

Kruchem, Thomas: Digitale Identität. Die Blockchain weiss alles – kommt die totale Überwachung?, 17. Oktober 2020 bei srf.ch: https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/digitale-identitaet-die-blockchain-weiss-alles-kommt-die-totale-ueberwachung

Kruchem, Thomas: Digitale Identität aller Menschen – Fortschritt oder globale Überwachung?, 28. August 2022 bei swr.de: https://www.swr.de/swr2/wissen/digitale-identitaet-aller-menschen-fortschritt-oder-globale-ueberwachung-102.html

Selbstdarstellung einer „Self Sovereign Digital Identity“-Initiative vom 19. Oktober 2019: https://ssi-ambassador.medium.com/lissi-lets-initiate-selfsovereign-identity-102e4ec38fe4

EU: Nächster Schritt zum Corona-Impfpass, 28. Januar 2021 bei zdf.de: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-eu-impfpass-100.html

Fanta, Alexander: Österreich will Corona-Status von Millionen Menschen in zentraler Datenbank speichern, 07. Mai 2021 bei netzpolitik.org: https://netzpolitik.org/2021/greencheck-app-oesterreich-will-corona-status-von-millionen-menschen-in-zentraler-datenbank-speichern/

‚Communiqué‘ des Autonomen Zentrums KTS in Freiburg zum Ausschluss für Menschen ohne Impfzertifikat: https://www.ktsfreiburg.org/article3036/

Thema Noch mehr Überwachung im Windschatten von Corona

Reuter, Markus: Eine Nummer, sie alle zu finden, 09. Juli 2020 bei netzpolitik.org: https://netzpolitik.org/2020/registermodernisierung-eine-nummersie-alle-zu-finden/

Biselli, Anna: Ab Februar gilt die Meldepflicht. Eigentlich, 31. Januar 2022 bei netzpolitik.org: https://netzpolitik.org/2022/netzwerkdurchsetzungsgesetz-ab-februar-gilt-die-meldepflicht-eigentlich/

Rähm, Jan: Staatstrojaner – bald auch präventiv im Einsatz, 12. Juni 2021 bei deutschlandfunk.de: https://www.deutschlandfunk.de/datenschutzstaatstrojaner-bald-auch-praeventiv-im-einsatz-100.html

Monroy, Matthias: EU plant biometrische Superdatenbank, 13. Oktober 2022 bei golem.de: https://www.golem.de/news/treffen-in-washington-euplant-biometrische-superdatenbank-2210-168893.html

Mühlenmeier, Lennart: BMI entscheidet sich für ‚Survivor R‘ von Rheinmetall, 11. Dezember 2021 bei cilip.de: https://www.cilip.de/2021/12/11/bundesinnenministerium-kauft-polizeipanzer-survivor-r-von-rheinmetall/

Stellungnahme zum Verordnungsentwurf der EU-Kommission für den „Gesundheitsdatenraum“: https://patientenrechte-datenschutz.de/ehdsdokumentation/

Grüner, Sebastian: Bund und Bahn testen neue digitale Sicherheitskonzepte, 21. Juli 2022 bei golem.de: https://www.golem.de/news/apps-und-ledleuchten-bund-und-bahn-testen-neue-digitale-sicherheitskonzepte-2207-167060.html

Soweit nicht anders angegeben und keine Quellenangabe (Name einer Organisation oder Internet-Adresse) vorhanden ist, gilt für die Texte auf dieser Webseite eine Copyleft (Public Domain) Lizenz.

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben         —        Ściborzyce Wielkie (Steuberwitz) is ein Dorf in Polen in der Wojewodschaft Opole, Powiat Ggłubczycki, Gmina Kietrz.

Quelle       :  Eigene Arbeit       /  Datum     :  März 2012

Diese Datei ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 3.0 Unported Lizenz.
Namensnennung: Ralf Lotys (Sicherlich)
********************************

2.) von    Oben        —     Masken vom Maskenbrunnen (Flensburg 2014-10-28), Bild 02

Author Soenke Rahn     /      Soirce      —     Own work

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.

************************

Unten      —       Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin am 29. August 2020.

Abgelegt unter Europa, Gesundheitspolitik, Kriminelles, Regierung | Keine Kommentare »

EU – Fallobst – England ?

Erstellt von Redaktion am 18. Dezember 2022

Großbritannien: The first to fall?

Quelle:    Scharf  —  Links

Von Tomasz Konicz

Das Vereinigte Königreich scheint das schwächste Glied der Kette der westlichen Industrieländer zu bilden. (Zweiter Teil einer Serie zum derzeitigen Krisenschub)

Ohne Brexit wäre das nicht passiert. Die Häme, mit der Deutschlands Presse den wirtschaftlichen Niedergang Großbritanniens begleitet, wird kaum noch übertüncht. Kaum ein Bericht über die zunehmenden finanziellen und konjunkturellen Turbulenzen auf den Britischen Inseln, der nicht Ökonomen1 oder Zentralbanker2 zitieren würde, die dies auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU zurückführten. Nördlich des Ärmelkanals drohe eine lang anhaltende Rezession,3 in deren Folge die britische Wirtschaft von ihren europäischen Konkurrenten abgehängt werde,4 während Großbritannien zunehmend ins Abseits gerate,5 so der pessimistische Tenor der deutschsprachigen Wirtschaftspresse.

Und da ist vieles schlicht wahr dran. Vielen Lohnabhängigen auf den Britischen Inseln droht tatsächlich der soziale Absturz. Mitte November veröffentlichte das Office of Budget Responsibility (OBR – Büro für Haushaltsverantwortung beim britischen Finanzministerium) eine langfristige Wirtschaftsprognose für die kommenden Jahre,6 die es in sich hatte: Demnach stehe der Bevölkerung Großbritanniens bis Ende 2024 ein Rückgang des Lebensstandards um sieben Prozent bevor, was den größten Einbruch seit dem Beginn der Erfassung des entsprechenden statistischen Materials in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts bilden würde.7 Die frei verfügbaren Haushaltseinkommen sollen schon im Fiskaljahr 2022/23 laut dem OBR um 4,3 Prozent zurückgehen – dies ist ebenfalls ein historischer Negativrekord.8 Die Wohlstandsgewinne der letzten acht Jahre sollen hierbei revidiert werden.

Mehrere Faktoren tragen zu dieser sich anbahnenden sozialen Krisis bei: Die von steigenden Energie- und Nahrungspreisen angetriebene Inflation im Vereinigten Königreich ist mit 11,4 Prozent (Oktober 2022) besonders hoch,9 während das Land sich auf eine besonders lange Rezession einstellen muss, in deren Verlauf laut Prognosen des OBR rund 500 000 Lohnabhängige arbeitslos werden dürften und die Arbeitslosenquote von 3,5 auf 4,9 Prozent ansteigen soll. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Großbritanniens soll bis 2024 um zwei Prozent schrumpfen, wobei das Vorkrisenniveau des BIP, das am Vorabend der Pandemie Anfang 2020 erfasst wurde, selbst Ende 2024 nicht erreicht werden soll.

Die Bank of England spricht inzwischen von der „längsten Rezession seit den 30er“ Jahren des 20. Jahrhunderts.10 Die konjunkturelle Vollbremsung setzte auf den Britischen Inseln eigentlich schon im vergangenen August ein, als das BIP leicht um 0,3 Prozent zurückging.11 Im gesamten dritten Quartal 2022 erfuhr Großbritannien eine Kontraktion der Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent.12 Zudem soll die Inflation trotz der Zinswende der Notenbank mittelfristig hoch bleiben: auf 7,4 Prozent wird die Teuerungsrate für das kommende Jahr geschätzt.

Zu dem inflations- und rezessionsbedingten Rückgang der realen Einkommen kommen die Folgen der Krise im Finanzsektor und auf dem Immobilienmarkt, sowie der Fallout der geldpolitischen Wende der Notenbank. Viele Hauskäufer und Hypothekennehmer sehen sich mit zusätzlichen finanziellen Belastungen aufgrund der rasch steigenden Zinsen konfrontiert, während der reale Wert ihrer Häuser aufgrund fallender Preise und hoher Inflation rasch zurückgeht. Der prognostizierte durchschnittliche Preisverfall von zehn Prozent bei Immobilien dürfte aufgrund der Inflationsdynamik von mehr als elf Prozent zu einem reellen Wertverlust von rund 25 Prozent binnen der kommenden zwei Krisenjahre führen.13

Als zusätzlicher Inflationstreiber fungiert die schwache britische Währung, die in den vergangenen Monaten gegenüber dem US-Dollar als der Weltleitwährung, in der ein Großteil des Rohstoff- und Energiehandels abgewickelt wird, abwertete, da die US-Notenbank ihre Zinswende rasch vorantreibt.14 Anfang 2022 stand das Pfund noch bei 1,36 Dollar, während es Ende September nur noch 1,08 Dollar waren. Erst nach der Verkündung eines haushaltspolitischen Sparkurses durch London im Oktober stabilisierte sich die britische Währung bei derzeit 1,22 Dollar. Der aufwertende US-Dollar führt somit zum Inflationsimport in Großbritannien, das kaum über eine nennenswerte Exportindustrie verfügt, die von einer schwachen Währung profitieren könnte, was Londons Währungshüter ebenfalls zur „Straffung“ der Geldpolitik nötigt.

Die Erhöhung des Leitzinses auf drei Prozent durch die Bank of England Anfang November,15 der noch weitere restriktive Zinsschritte zur Eindämmung der zweistelligen Inflation folgen sollen,16 lässt wiederum die Zinsen für Kredite und Hypotheken in die Höhe schießen, während viele Kredit- und Hypothekennehmer mit schwindenden Einnahmen konfrontiert sind. Rund zwei Millionen Hauskäufer werden in den kommenden zwei Krisenjahren sich mit höheren Hypothekenkosten konfrontiert sehen, was zu Notverkäufen von Eigentumshäusern und weiterem Preisdruck auf dem Immobilienmarkt führen wird. Zudem laufen viele kreditfinanzierte Unterstützungsmaßnahmen und Konjunkturprogramme der Regierung aus, während die neue Administration von Premier Rishi Sunak Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen implementiert, um das britische Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen.

Auf 55 Milliarden Pfund summieren sich die Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen der britischen Regierung, die sogar eine Ausweitung des Spitzensteuersatzes durch die konservative Administration vorsehen: Die Schwelle des Spitzensteuersatzes wird von 150.000 auf 125.140 Pfund Jahreseinkommen sinken.17 Die Summe des Sparpakets entspricht übrigens dem bisherigen jährlichen Haushaltsdefizit Londons, wobei 30 Milliarden Pfund durch Ausgabenkürzungen eingespart und 25 Milliarden durch höhere Steuern eingenommen werden sollen.18 Mit dem Austeritätskurs soll überdies eine Haushaltskrise verhindert werden, die laut Prognosen des OBR in den kommenden Jahren drohen würde, sollte der bisherige Kurs der schuldenfinanzierten, aktiven Konjunkturpolitik fortgesetzt werden. Ab 2026 wäre demnach das britische Haushaltsdefizit auf mehr als 100 Milliarden Pfund angeschwollen.

Die meisten Austeritätsmaßnahmen sollen ohnehin erst nach den „allgemeinen Wahlen 2024“ wirksam werden, was von Politikern der oppositionellen Sozialdemokraten (Labour) als eine „Falle“ interpretiert worden sei, bemerkte die Financial Times (FT).19 Zudem gibt es eine Ausnahme vom Austeritätskurs: die Subventionierung der Energiepreise, die Verbrauchern einen Preisdeckel garantieren soll, wurde beibehalten, was die öffentliche Verschuldung im November auf 13,5 Milliarden Pfund, 4,4 Milliarden Pfund mehr als Vorjahresmonat, erhöhte.20

Dennoch stellt dieses Sparpaket mitsamt seinen Steuererhöhungen einen fundamentalen Politikwechsel dar, da die vorherige, kurzlebige Regierung unter der glücklosen Premierministerin Liz Truss noch ein umfassendes Steuersenkungsprogramm umsetzen wollte.21 Die Steuersenkungen, insbesondere für Reiche und Konzerne, sollten zu Mindereinnahmen von 45 Milliarden Pfund führen. Truss wollte noch im vergangenen September gar den Spitzensteuersatz gänzlich abschaffen. Nun, rund drei Monate später, werden Steuererhöhungen von 55 Milliarden Pfund von London beschlossen. Der größte Steuersenkungsplan sei 50 Jahren, so die FT über die haushaltspolitischen Pläne von Liz Tuss, werde nun abgelöst von der „größten Steuererhöhung seit 30 Jahren“ unter Premier Sunak.

Das Heimatland des Neoliberalismus verabschiedet sich somit von der Politik der Steuersenkungen und der berüchtigten Doktrin der Trickle-Down-Economics, wonach Mehreinnahmen für Konzerne und Reiche letztendlich auch zur Mittel- und Unterschicht „durchsickern“ würden. Stattdessen steigt die Steuerrate laut OBR auf 37,1 Prozent des britischen BIP, was einen Nachkriegsrekord darstellen werde. Und es waren eben auch letztendlich die „Märkte“, die das Ende dieser in den Zentren des Weltsystems üblichen Krisenpolitik signalisierten, bei der bislang Regierungen einen jeden Krisenschub mit schuldenfinanzierten Krisenmaßnahmen und expansiver Geldpolitik abfangen konnten.

Innerhalb von „sieben Tagen, die Großbritannien erschütterten“, wie es die FT formulierte,22 ist London Ende September zu der drastischen haushaltspolitischen Kehrtwende förmlich genötigt worden. Der britische Markt für Staatsanleihen geriet in Reaktion auf die Steuersenkungen der Regierung Truss in schwere Turbulenzen, die erste Anzeichen einer „finanziellen Kernschmelze“ (FT), also eines Zusammenbruchs des Finanzsystems, aufwiesen. Die Zinsen für britische Staatsanleihen explodierten förmlich binnen weniger Tage, von 3,5 auf fünf Prozent bei 30-jährigen Bonds, was Ausdruck der fallenden Anleihekurse ist. Und die Kurse brachen nur deswegen ein, weil kaum noch Nachfrage nach britischen Bonds bestand, da es vielen Marktteilnehmern nicht klar war, wie London die Steuersenkungen angesichts der rasch anschwellenden öffentlichen Schuldenlast finanzieren könnte.

In seiner 21-jährigen Karriere habe er keine solch dramatische Situation erlebt, klagte ein Fondsmanager gegenüber der FT, da es zeitweise schlicht unmöglich gewesen sei, Käufer für britische Staatsanleihen, für die sogenannten Gilts, zu finden. Selbst während der Finanzkrise von 2008 habe es „immer einen Markt für Gilts“ gegeben. Um die aufkommende „Marktpanik“ (FT) zu ersticken, musste die Bank of England einschreiten und – mitten in einer Phase zweistelliger Inflation – für 65 Milliarden Pfund britische Staatsanleihen aufkaufen, also letztendlich Geld drucken. Dieses „Liquiditätsprogramm“ der britischen Notenbank wurde erst Mitte Oktober, nach der haushaltspolitischen Wende Londons, beendet.23 Der neue Sparhaushalt dient somit auch dem Zweck, den Markt für Gilts zu stabilisieren, da hier eine „G7-Ökonomie“ von einer Marktpanik erfasst worden sei, so die FT. So etwas war bisher eher aus dem globalen Süden oder aus der südlichen Peripherie der EU bekannt, etwa aus Hellas, Spanien oder Portugal am Beginn der Eurokrise. Nun kriecht die Krise in die Zentren des Weltsystems.

Die Märkte für Staatsanleihen sind für gewöhnlich sterbenslangweilig,24 da sie als „sichere Bank“ angesehen werden, wo institutionelle Anleger wie Versicherungen oder Pensionsfonds langfristig Geld sicher anlegen wollen. Und es waren gerade viele britische Pensionsfonds, die aufgrund des Finanzbebens auf dem Anleihemarkt zunehmend unter Druck gerieten.25 Bei einem Crash des Anleihemarktes sind es nicht einfach ein paar Spekulanten, die ihr Geld verlieren – es stehen dann Millionen von Altersbezügen einer ganzen Generation Lohnabhängiger im Feuer. Die Schockwellen einer ausgewachsenen Krise auf dem Anleihemarkt würden somit nicht nur die Finanzsphäre, sondern – vermittels Nachfrageeinbruch und Kreditklemme – die gesamte Ökonomie erschüttern.

Und deswegen ist die abrupte haushaltspolitische Kehrtwende Londons, bei der Mitte Oktober fast alle Steuersenkungen revidiert worden sind, wohl tatsächlich als ein Versuch zu interpretieren, die aufgewühlten „Märkte zu beruhigen“, die kaum noch britische Schuldtitel erwerben wollten, wie es US-Medien in aller Offenheit formulierten.26 Dabei scheinen diese „Beruhigungspillen“ auch bitter nötig zu sein, angesichts des rasant wachsenden britischen Schuldenbergs.27 Die Schuldenlast des britischen Staates entspricht derzeit knapp 101,9 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung Großbritanniens, während es vor Ausbruch der Pandemie nur 84,4 Prozent waren. Das Vereinigte Königreich weist eine höhere Staatsschuldenlast auf als der EU-Durchschnitt, der bei 86 Prozent des BIP liegt. Selbst Frankreich und Spanien haben mit 113 und 116 Prozent nur eine geringfügig höhere Schuldenlast zu schultern.

Die kostspieligen Krisenmaßnahmen Londons nach Ausbruch der Pandemie und des Kriegs in der Ukraine gehen nun mit einer Rezession einher, die den Schuldenberg in Relation zur schrumpfenden Wirtschaftskraft anwachsen lässt. Deswegen ist es fraglich, ob die „Sparpakete“ Londons tatsächlich dazu beitragen können, die öffentliche Verschuldung abzubauen. Volkswirtschaften sind nämlich keine „schwäbischen Hausfrauen“. Sparprogramme führen zu Nachfrageeinbrüchen, die in Rezessionen münden können, was die Schuldenlast gegenüber dem sinkenden BIP schwerer wiegen lässt. Zudem führt Austerität zu sinkenden Steuereinnahmen und steigenden Sozialausgaben – etwa Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld. Aus der Eurokrise ist das Phänomen des regelrechten „in den Bankrott Sparens“ hinlänglich bekannt, das der damalige deutsche Finanzminister Schäuble in seinem Sparsadismus an Griechenland vorexerzierte.

Was sich nun im Vereinigten Königreich voll manifestiert, ist schlicht die grundlegende Krisenfalle28 bürgerlicher Politik, der kein systemimmanenter Ausweg der Krisenverzögerung mehr offen zu stehen scheint. Großbritannien kann zwischen zwei Wegen in die weitere Krisenentfaltung lavieren: London kann Schäuble nacheifern und den deflationären Weg von Sparprogrammen beschreiben, die letztendlich mit zum skizzierten „in die Pleite Sparen“ führen können, oder die britische Regierung nötigt die Notenbank, weiter frisches Geld zu drucken durch den Aufkauf britische Staatsanleihen, was die derzeitige Inflation in eine Hyperinflation umschlagen ließe.

Die neoliberale Ära des schuldenfinanzierten Zombie-Kapitalismus29 geht nun auch an der Themse zu Ende. Der große Unterschied zu der Tragödie in Südeuropa – das während der Eurokrise von Berlin nahezu in den sozialen Kollaps getrieben30 wurde – besteht darin, dass mit Großbritannien nun ein Zentrumsland, ein G7-Staat, sich mit dem vollen Durchbruch der Krisendynamik konfrontiert sieht. Die Weltkrise des Kapitals,31 die in den vergangenen Dekaden schon weite Teile der Peripherie des Weltsystems verwüstete,32 scheint somit endgültig in den Zentren angekommen zu sein. Und sie wird sich zuvorderst ganz konkret in dem eingangs erwähnten „Sinken des Lebensstandards“ der Lohnabhängigen manifestieren, dem gegenüber auch die aktuelle Streikbewegung auf den Britischen Inseln33 machtlos sein wird, solange sie keine antikapitalistische, transformatorische Perspektive34 entwickelt.

Großbritannien ist tatsächlich durch den Brexit zum gewissermaßen schwächsten Glied der Zentrumsstaaten im erodierenden spätkapitalistischen Weltsystem geworden. Italien, das für gewöhnlich als der große Krisenkandidat Europas gehandelt wird, weist zwar einen größeren Schuldenberg in Höhe von 150 Prozent des BIP als das Vereinigte Königreich auf. Doch kann Rom bei seinen Stabilisierungsbemühungen auf die Ressourcen der EZB und der Eurozone bauen, solange Berlin ein fundamentales Interesse an der Beibehaltung der europäischen Gemeinschaftswährung hat. Allein die Größe des europäischen Währungsraums sorgt dafür, dass dieser längere Zeit stabil bleiben und Krisenerschütterungen eher absorbieren kann als isolierte Volkswirtschaften.

London hat nach dem Brexit nur noch die Bank of England und ein BIP, das nur rund 19 Prozent desjenigen der EU umfasst – und das reicht nicht, um mittelfristig nicht zu einer zweiten Türkei zu verkommen, wo die Inflation schon bald dreistellig werden könnte.35 Und dennoch dürfte auch die eingangs erwähnte, deutsche Schadenfreude bald verhallen. Großbritannien geht nur voran, es mag als erstes westliches Zentrumsland fallen, doch die Krise wird sich unweigerlich auch in den restlichen Zentren voll manifestieren.

https://www.patreon.com/user?u=57464083

1 https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/britischer-ex-zentralbanker-ohne-brexit-muessten-wir-keinen-sparhaushalt-diskutieren-a-7794b387-306e-4da9-8fde-96847cc63deb

2 https://www.welt.de/wirtschaft/article242184557/Grossbritannien-Zentralbank-macht-Brexit-fuer-schlechte-Wirtschaftslage-verantwortlich.html

3 https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/grossbritannien-industrieverband-rezession-101.html

4 https://www.spiegel.de/wirtschaft/sehr-reale-sorge-dass-grossbritannien-von-wettbewerbern-abgehaengt-wird-a-32d38199-a9c0-44db-81e7-cdff11e3d67a

5 https://www.derstandard.de/story/2000141668233/brexit-rezession-streiks-britische-wirtschaft-geraet-ins-abseits

6 https://obr.uk/overview-of-the-november-2022-economic-and-fiscal-outlook/

7 https://www.theguardian.com/business/2022/nov/17/obr-confirms-uk-enters-year-long-recession-with-half-a-million-job-losses-likely

8 https://www.ft.com/content/5f081f77-ed30-4a06-864e-7e4cc3204017

9 https://www.ft.com/content/1fcc250c-c1c5-4820-a5f4-4e48662a73aa

10 https://www.theguardian.com/business/2022/nov/03/bank-of-england-raises-interest-rates-to-3-percent

11 https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/grossbritannien-rezession-bip-bank-of-england-101.html

12 https://edition.cnn.com/2022/11/11/economy/uk-economy-recession-europe/index.html

13 https://www.ft.com/content/528500c8-7cfa-4aaf-9fca-7692aafeb9ce

14 https://www.konicz.info/2022/12/09/geldpolitik-vor-dem-bankrott/

15 https://www.theguardian.com/business/2022/nov/03/bank-of-england-raises-interest-rates-to-3-percent

16 https://www.theguardian.com/business/2022/dec/11/bank-of-england-set-to-spoil-the-festive-mood-with-another-interest-rate-rise

17 https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wie-rishi-sunak-den-britischen-schuldenberg-abbauen-will-18467860.html

18 https://www.ft.com/content/df59e66a-1659-428e-b96a-b0419ed584b1

19 https://www.ft.com/content/5daeca83-dc55-4371-bfe3-b20140cf1fe1

20 https://www.ft.com/content/da60d21b-7fe0-4b1f-85c7-bbf3f4a0b2f6

21 https://www.nytimes.com/2022/09/23/world/europe/uk-tax-cuts-economy.html

22 https://www.ft.com/content/1ace8d42-f3ee-4fdd-a103-5cd4234e8c42

23 https://www.nytimes.com/2022/10/12/business/dealbook/britain-markets-turmoil-gilts-pound-andrew-bailey.html

24 https://www.konicz.info/2022/07/22/schuldenberge-in-bewegung/

25 https://edition.cnn.com/2022/10/08/investing/uk-pension-funds-market-chaos/index.html

26 https://www.cnbc.com/2022/10/17/uks-new-finance-minister-sets-out-.html

27 https://www.ons.gov.uk/economy/governmentpublicsectorandtaxes/publicspending/bulletins/ukgovernmentdebtanddeficitforeurostatmaast/june2022

28 https://www.konicz.info/2022/12/09/geldpolitik-vor-dem-bankrott/

29 https://www.streifzuege.org/2017/wir-sind-zombie/

30 https://www.konicz.info/2015/07/27/willkommen-in-der-postdemokratie/

31 https://www.konicz.info/2011/11/29/kurze-geschichte-der-weltwirtschaftskrise/

32 https://www.konicz.info/2013/05/27/mad-max-im-zweistromland/

33 https://www.nytimes.com/2022/12/14/world/europe/uk-strikes-winter-discontent.html

34 https://www.konicz.info/2022/10/12/emanzipation-in-der-krise/

35 https://www.statista.com/statistics/895080/turkey-inflation-rate/

Urheberrecht
Die unter www.scharf-links.de angebotenen Inhalte und Informationen stehen unter einer deutschen Creative Commons Lizenz. Diese Lizenz gestattet es jedem, zu ausschließlich nicht-kommerziellen Zwecken die Inhalte und Informationen von www.scharf-links.de zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Hierbei müssen die Autoren und die Quelle genannt werden. Urhebervermerke dürfen nicht verändert werden.  Einzelheiten zur Lizenz in allgemeinverständlicher Form finden sich auf der Seite von Creative Commons http://de.creativecommons.org/was-ist-

********************************************************

Grafikquellen      :

Oben      —       Graffiti, New Oxford Street

Abgelegt unter Europa, Finanzpolitik, Schicksale, Wirtschaftpolitik | 1 Kommentar »

Der Kapitalismus hat Fieber

Erstellt von Redaktion am 18. Dezember 2022

Die Diagnose heißt Kapitalismusversagen

Von Gereon Asmuth

Fiebermedikamente für Kinder fehlen genauso wie bezahlbare Mieten. Wer auf die allein selig machende Kraft der Märkte spekuliert, wird enttäuscht. Die Märkte sind nicht vollkommen. Sie sind verzerrt durch Wissensvorsprünge, Absprachen oder die Macht großer Player.

Neulich nachts vor der Notfallapotheke. Draußen der Vater, der quer durch die fremde Stadt geradelt ist, weil das Kind heiß ist und vor Schmerzen wimmert. Mittelohrzündung oder so was, was die Kleinen eben haben, gerade wenn man mal auswärts übernachtet. Drinnen die Apothekerin mit sorgenvoll gefalteter Stirn. Fiebersaft?, fragt sie, als sei das der Wunsch nach einem extrem schwer zu beschaffenden Wunderelexier und nicht nach einem handelsüblichen Schmerzmittel für Kleinkinder.

Das war im Oktober. Und da gab es anders als jetzt im Dezember noch gar keine Megaerkältungswelle, die so viele Kinder trifft, dass die Kliniken kaum noch freie Betten haben und Apothekerverbände von einer noch nie dagewesenen Situation sprechen.

Das Problem wird durch die akuten Erkrankungen verschärft, bestanden hat es schon seit Monaten. Die Diagnose lautet: Das Gesundheitssystem leidet an Kapitalismus. Genauer gesagt: Auch die Medikamentenversorgung hat jetzt mit den Nebenwirkungen dieser Marktideologie zu kämpfen. So wie seit langem schon die Wohnraumversorgung in Großstädten. Oder wie seit Jahrzehnten die Umwelt. Alle leiden an akutem Kapitalismusversagen.

Das ist ein Problem. Vor allem, weil die Wirtschaftsliberalen, die in ihrer ideologischen Verblendung an die Vollkommenheit des Marktes glauben, mit missionarischem Eifer den Kapitalismus als allein selig machenden Weg zum Glück in der ganzen Welt verbreiten – Stichwort: Globalisierung. Was dann zu so seltsamen Mutationen wie der hybriden Mischung aus Traditionskommunismus und Hyperkapitalismus in China führt.

Aber auch ohne solche Pervertierungen hat der Kapitalismus Probleme genug. Dabei ist er eigentlich eine schöne Idee. Weil die Besitzenden ihr Kapital möglichst gewinnbringend einsetzen wollen und dürfen, investieren sie nur in die Produktion von Dingen, die wirklich gebraucht oder gekauft werden. Am Markt regeln dann Angebot und Nachfrage den Preis und alle sind glücklich.

Schade nur, dass die dafür vorausgesetzten vollkommenen Märkte, bei denen alle Teil­neh­me­r:in­nen stets über sämtliche Informationen verfügen und unendlich schnell reagieren können, eine schöne Theorie für Ökonomiestudierende im ersten Semester sind. Mehr aber eben auch nicht. In der Realität kommen sie genauso selten vor wie die Unfehlbarkeit des Papstes, an die die Katholiken glauben, oder die immerwährende internationale Solidarität der arbeitenden Klasse, die eine Grundvoraussetzung für einen real funktionierenden Kommunismus wäre.

Tatsächlich sind die Märkte alles andere als vollkommen. Sie sind verzerrt durch Wissensvorsprünge, durch legale wie rechtswidrige Absprachen oder durch die Marktmacht großer Player. Vor allem aber das Ausklammern aller möglichen Kostenfaktoren verzerrt die Preise – und führt damit zu falschen Ergebnissen am Markt. Das ist systembedingt. Investoren müssen so billig wie möglich produzieren. Um erfolgreich gegenüber der Konkurrenz zu bleiben, wälzen sie alle Kostenfaktoren auf andere ab.

Die Kosten aber bleiben natürlich. Auch wenn sie sich nicht so leicht in Euro und Cent bemessen lassen. Aber weil die – wie Fachleute das nennen – Internalisierung externer Kosten nicht gelingt, leidet weltweit die Umwelt unter der industriellen Produktion – und schreien nachts die Babys ohne fiebersenkende Medikamente.

Denn gerade Teilmärkte – zum Beispiel der für den Fiebersaft – sind anfällig für die Bildung von Oligarchen oder gar Monopolen. Mit fatalen Folgen. Hier hat der Motor des Kapitalismus, der Preisdruck, dazu geführt, dass es seit dem Sommer nur noch einen einzigen Anbieter gibt, der in Billiglohnländern Asiens herstellen lässt. Für alle anderen war der Wettbewerb schlicht nicht mehr rentabel.

Nun sind jedoch die für einen funktionierenden globalen Handel notwendigen Lieferketten aufgrund diverser Krisen gestört. Weil sich hierzulande aber eben nicht von heute auf morgen eine konkurrenzfähige Produktion wieder hochfahren lässt, fehlt der Nachschub. Weil Ex­per­t:in­nen das seit Monaten kommen sahen, haben viele die Vorratshaltung ausgebaut, so sehr, dass viele andere nun ganz ohne dastehen. Eine Kettenreaktion wie beim Klopapier zu Beginn der Coronapandemie. Wenn wie aktuell noch eine Erkrankungswelle anläuft, kommt der Kapitalismus damit nicht mehr klar. Er hat Fieber.

Quelle        :        TAZ-online          >>>>>         weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   Eine Clown-Pflegegruppe im Krankenhaus Bambin Gesù in Italien, Dezember 2005.

******************************

Unten      —          GREENVILLE, S.C. (7. Oktober 2009) Operations Specialist 2nd Class Yusef Robertson verteilt Spielzeug im Shriners Hospital for Children in Greenville während einer Caps For Kids-Veranstaltung im Rahmen der Greenville Navy Week. Navy Weeks sollen den Amerikanern zeigen, welche Investitionen sie in ihre Marine getätigt haben, und das Bewusstsein in Städten schärfen, die keine signifikante Präsenz der Marine haben. (U.S. Navy Foto von Chief Mass Communication Specialist Steve Johnson / Veröffentlicht)

U.S. Navy Foto von Chief Mass Communication Specialist Steve Johnson – Dieses Bild wurde von der United States Navy mit der ID 091007-N-6220J-012 (weiter) veröffentlicht. Dieses Tag gibt nicht den Urheberrechtsstatus des angehängten Werks an. Ein normaler Copyright-Tag ist weiterhin erforderlich.

Abgelegt unter Deutschland_DE, Gesundheitspolitik, Kultur, Positionen | 1 Kommentar »

DL – Tagesticker 18.12.2022

Erstellt von Redaktion am 18. Dezember 2022

Direkt eingeflogen mit unseren Hubschrappschrap

Heute in der Leseauswahl des „Bengels“:  – . –  1.) Bundeswehr hat neue schwere Probleme mit Schützenpanzer  – . –  2.) Frau Ministerin Faeser, warum wurde aus Reichsbürger-Razzia eine Medien-Show?  – . –  3.) EU-Korruptionsskandal – Den eigenen Saustall ausmisten – . –  4.) Expertenkommission erweckt Grundgesetz zu Vergesellschaftung mit Leben  – . –  5.) Die Brüllspirale –  Ukraine-Berichterstattung  – . –   DL wünscht allen Leser-Innen eine gute Unterhaltung.

*************************************************************************

Wie hieß es noch nach der Zwangsrekrutierung zu Nachnazizeiten im Jahr 1963: „Die Bundeswehr hat den Feind so lange als Kanonenfutter aufzuhalten, bis die Soldaten aus den USA erscheinen ! Sehr viel scheint sich wohl nicht verändert zu haben, da Dummheit scheinbar erblich ist. Der Unterschied: „Die Hoch-Dekorierten Hohlköpfe kommen heute nicht als Mörder aus einen verlorenen Krieg zurück, sondern saßen als Influencer hinter den noch dümmeren Politiker-innen. 

Puma –  Der von zahlreichen Problemen geplagte Schützenpanzer Puma war erst im vergangenen Jahr für gefechtstauglich erklärt worden. Nun ist die Einsatzfähigkeit wohl gleich Null. 

1.) Bundeswehr hat neue schwere Probleme mit Schützenpanzer

Die Bundeswehr ist bei Übungen mit Schützenpanzern Puma für die „Speerspitze“ der Nato auf schwere technische Probleme gestoßen. Bei einem Training mit 18 Gefechtsfahrzeuge sei die Einsatzbereitschaft binnen einiger Tage auf Null gesunken, berichtete der Spiegel am Samstag. Das Magazin berief sich auf ein Schreiben des Kommandeurs der 10. Panzerdivision Generalmajor Ruprecht von Butler an die Führung des Heeres und das Verteidigungsministerium.  Das Manöver fand nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur am Schießübungszentrum der Panzertruppe statt und der Brief sorgte im Verteidigungsministerium seit Freitag für Wirbel. Denn die neuen Pannen betreffen Fahrzeuge in einer speziellen Konfiguration, mit der sich die Buttlar unterstellte Panzergrenadierbrigade 37 ab dem neuen Jahr an der VJTV-Truppe (Very High Readiness Joint Task Force) des Bündnisses beteiligen soll. Von einem Totalausfall berichtet der Spiegel nach Lektüre des Briefes. Die letzten beiden noch einsatzbereiten „Pumas“ seien „am gestrigen Schießtag nach anderthalb Stunden mit Turmdefekten“ auch noch ausgefallen, schrieb der General demnach. Schützenpanzer wurde im vergangenen Jahr für gefechtstauglich erklärt.

Berliner-Zeitung-online

*************************************************************************

Aus welcher Feder stammt der Satz?: „Dummheit beginnt immer dort, wo die Politik am lautesten das Maul aufreißt! “ Folgerichtig dort, wo die Polizei der Politik am nächsten auf der Pelle sitzt ?

Aus Helmut Markworts Tagebuch – Von der Reichsbürger-Razzia wussten viele Medien Tage vorher Bescheid. Wer steckt hinter dem Medienflüstern? Bundesinnenministerin Nancy Faeser könnte das Aufsehen jedenfalls gefallen haben.

2.) Frau Ministerin Faeser, warum wurde aus Reichsbürger-Razzia eine Medien-Show?

Montag.  – Die Razzia war so geheim, dass jede Menge Medien Bescheid wussten. Um den befürchteten „Staatsstreich“ der Reichsbürger-Clique zu verhindern, hatte der deutsche Staat mehr als 3000 Sicherheitsbeamte mobilisiert. Sie sollten in aller Herrgottsfrühe etwa fünfzig Verdächtige überraschen und festnehmen. Gleichzeitig brach auch ein Heer von Fotografen, Kameraleuten und mit Handys bewaffneten Reportern auf, um die streng geheime Staatsaktion für die Mitwelt zu dokumentieren. Jeder glaubte sich im Besitz einer weltexklusiven Information, aber als er zum Tatort kam, traf er zu seiner Verblüffung die lieben Kollegen von der Konkurrenz. Typisch war eine Szene in der Nähe des Frankfurter Palmengartens im vornehmen Westend. Banker, die am Mittwochmorgen mit ihrem Fahrrad auf dem Weg ins Büro waren, vermuteten eine Pressekonferenz auf offener Straße. Kameras waren aufgestellt, Fotografen der wichtigen Agenturen dpa, Reuters und laif standen auf der Lauer, und große Printmedien hatten Reporter entsandt, um jede Einzelheit beschreiben zu können. Medien hatten „heißen Tipp“.  Keiner von ihnen hatte eine offizielle Einladung, aber jeder hatte einen heißen Tipp. Dieser Schluss ist zulässig, weil kein Wettbewerber einen anderen über einen so heißen Termin informiert. Diskrete Flüsterer aus Behörden hatten für den „größten Anti-Terror-Einsatz in unserer Geschichte“ – so die SPD-Fraktion auf Twitter – die größtmögliche Aufmerksamkeit organisiert.

Focus-online

*************************************************************************

Waren denn die Meisten, der in der EU-Sitzenden nicht zuvor in der Heimat durch die Eignungs-Prüfung gefallen und wurden auf den Soziussitzen abgeschoben ? In der Heimat scheint doch viel mehr zu holen sein, was nach Bildung der Ampel gut zu beobachten war, da viele sich um Heimatliche Ruheplätze balgten ?

Der Skandal um Ex-Parlamentsvizepräsidentin Kaili ist Wasser auf den Mühlen Putins. In Ländern, die auf einen Beitritt hoffen, wirkt er demoralisierend.

3.) EU-Korruptionsskandal – Den eigenen Saustall ausmisten

Der Korruptionsskandal um die ehemalige EU-Parlamentsvizeprä­siden­tin Eva Kaili, der immer weitere Kreise zieht und zu einem ersten Geständnis führte, ist derzeit der Aufreger schlechthin. Zwar gibt es immer wieder Politiker*innen, die den Hals nicht voll bekommen und sich ihre PR-Handlangerdienste vergolden lassen. Dass sie vor allem mit korrupten Autokratien, wie Katar oder auch Aserbaidschan, ins Geschäft kommen, liegt in der Natur der Sache. Imagepflege gegen Cash – eine Win-win-Situation für beide Seiten. Doch die Außenwirkung solch krassen Fehlverhaltens ist schlichtweg desaströs. Und sie ist Wasser auf die Mühlen von Leuten wie Russlands Präsident Wladimir Putin, die der „moralisch verrotteten dekadenten“ EU nichts sehnlicher wünschen, als einen baldigen Niedergang. Einen nicht minder großen Flurschaden richten derartige kriminelle Machenschaften jedoch auch in Ländern an, die sich Hoffnungen auf einen EU-Beitritt machen. Der ist nicht umsonst zu haben, und die Liste der Hausaufgaben lang. In der Regel gehören dazu umfassende Justizreformen nebst messbaren Fortschritten beim Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption. Auch der Südkaukasusrepublik Georgien attestiert Brüssel hier noch Nachholbedarf. Tbilisi ging im vergangenen Juni bei der Beförderung zum Kandidaten für einen EU-Betritt, anders als die Ukraine und die Re­pu­blik Moldau, leer aus. Bei der Zeugnisvergabe verstieg sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen übrigens zu der Aussage, es gebe kein besseres Signal der Hoffnung für die Bevölkerung der drei Staaten. Wozu sich noch anstrengen.

TAZ-online

*************************************************************************

War den Politiker-innen nicht schon immer der eigene Kragen näher gewesen als das Hemd? So müssen dann einmal mehr die „Expert-innen“ ihre politische Laienspielschar auf die Hufe stellen ? Giffey und Geisel arbeiten gleich stumpfe SPD-Clan Meißel ?

Ein Zwischenbericht von Verfassungsrechtsexperten zur Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ macht Schlagzeilen, Befürworter der Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen frohlocken. Doch so einfach ist das alles nicht.

4.) Expertenkommission erweckt Grundgesetz zu Vergesellschaftung mit Leben

Berlin ist wieder im Wahlkampf und ausgerechnet die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ hat die ersten Plakate geklebt. „Immobilienlobby abwählen“, konnte man schon am Morgen nach dem denkwürdigen Urteil des Verfassungsgerichtshofs in der Hauptstadt lesen – gemeint sind die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und ihr Senator für Stadtentwicklung Andreas Geisel (beide SPD), die CDU, die in Umfragen derzeit knapp vorne liegt, sowieso. Dabei ist der Volksentscheid selbst von der Wahlwiederholung nicht betroffen, einfach, weil niemand gegen diese Abstimmung Einspruch eingelegt hat. Egal, was im Februar passiert, in dieser Frage bleibt es beim Fahrplan, mit dem es aus Sicht der Initiative allerdings viel zu langsam vorangeht. Denn von einem Gesetz, mit dem die Pläne, die Wohnungen großer Immobilienunternehmen zu vergesellschaften, in die Tat umgesetzt werden könnten, ist man noch ziemlich weit entfernt. Stattdessen setzte der rot-grün-rote Senat erst mal eine „Expertenkommission Vergesellschaftung“ ein. Dass deren Zwischenbericht nun eine Woche vor seiner offiziellen Vorstellung geleakt wurde, konnte einerseits den Linken Rückenwind für ihren Parteitag verschaffen, andererseits die Enteignungsgegner in die Arme von SPD, CDU und FDP treiben – oder auch einfach nur ein gewisses Extra an medialem Interesse sicherstellen. Die Kommission räumt auf.

Freitag-online

*************************************************************************

Ja richtige aber warum wirft die Opposition in dieser Klamauk-Bude der Pseudodemokraten nicht wenigstens mit schon im Mund verfaulten Früchten verbal nach diesen Hohlköpfen und überlässt die Arbeit einzig den vereinigten Republikanern ?

Hoppla, könnte man schon da denken: Werden da nicht Äpfel mit Birnen verglichen? »In der vorliegenden Studie untersuchen wir (…) die Qualität der journalistischen Berichterstattung über den Ukraine-Krieg.

5.) Die Brüllspirale –  Ukraine-Berichterstattung

Dazu haben wir eine quantitative Inhaltsanalyse der Berichterstattung von acht deutschen Leitmedien durchgeführt.« So steht es im Vorwort einer an der Universität Mainz entstandenen Studie im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung über die Widerspiegelung des Ukraine-Kriegs in den deutschen Leitmedien. Die Studie läuft darauf hinaus, dass die Berichterstattung in den Medien zum Ukraine-Krieg bemerkenswert parallel verlief: erstens im Vergleich der einzelnen Redaktionen, und zweitens in der Bewertung des eigentlichen Geschehens. Erst gefiel zum Beispiel Olaf Scholz allen ganz gut, als er das Stichwort von der »Zeitenwende« in die Debatte warf. Nur: da muss das »Narrativ«, dass eine solche fällig sei, schon in den Köpfen der Schreibenden und Sendenden auf Abruf gewartet haben. Die informelle transatlantische Vernetzung leitender Redakteure, von Klaus-Dieter Frankenberger (FAZ) über Stefan Cornelius (SZ) bis Sabine Adler (DLF) ist u. a. von Uwe Krüger oder den Nachdenkseiten mehrfach dargelegt worden. So eine »Zeitenwende«-Rhetorik gefällt nur denen, denen es in der Vergangenheit ohnehin viel zu lasch zugegangen ist. In dem Maße, in dem von seiten der Ukraine der öffentliche Druck auf deutsche Waffenlieferungen gesteigert wurde – wer hat eigentlich ständig Andrij Melnyk zu Interviews eingeladen? –, sei die Bewertung der Haltung des Bundeskanzlers ins Negative gedreht, lesen wir. Die »Meinungsführerschaft« übernahmen Gestalten wie Wolodimir Selenskij, Annalena Baerbock und Robert Habeck.

junge. Welt-online

*************************************************************************

Den Morgengruß an gleicher Stelle – schreibt jeden Tag
„Der freche Bengel“

*********************************************************

Anregungen nehmen wir gerne entgegen

Wir erhalten in letzter Zeit viele Mails mit Texten zwecks Veröffentlichung – Um diese zu verbreiten  sollten Sie sich aber erst einmal vorstellen und zeigen mit wem wir es zu tun haben.  Danke !

Treu unserem Motto: Es gibt keine schlechte Presse, sondern nur unkritische Leser

*********************************************************

Grafikquellen          :

Oben     —   DL / privat – Wikimedia

Abgelegt unter Allgemein | Keine Kommentare »