Ein Politischer Staatsverkauf
Erstellt von Redaktion am 16. November 2022
Ein Extremistisches Weiter-so
Finden wir nicht die meisten Extremisten unter den politischen Exoten?
Ein Schlagloch von Ilija Trojanow
Nicht die Kartoffelbreiwerfer und Straßenblockierer sind extremistisch, sondern die rigorosen Verteidiger des Status quo. Zum Beispiel Christian Lindner. Die Befreiung des Denkens in die Vielfalt des tatsächlich Möglichen zu verdammen, ist extremistisch.
Als junger Verleger brachte ich 1991 ein Büchlein mit dem Titel „Extremismus, Radikalismus, Terrorismus in Deutschland. Zur Geschichte der Begriffe“ von Susanna Böhme-Kuby heraus – eine wissenschaftliche Analyse der Instrumentalisierung und selektiven Nutzung aufgeladener Begriffe im politischen Diskurs. Wenig später fragte mich ein Wissenschaftler, mit dem ich über einen Sammelband verhandelte, wieso ich verfassungsfeindliche Literatur verlegen würde. Er zeigte mir eine Liste indizierter Bücher, auf der sich dieser Titel befand. Offensichtlich war das Nachdenken über die Verwendung des Begriffs Extremismus schon extremistisch.
In den letzten Wochen erlebt der Begriff eine Konjunktur. Zunächst wurden wir von Politik und Medien vor extremistischen Reaktionen der Bevölkerung gewarnt. Schon die Vorstellung von massenhaften Demonstrationen weckte den inneren Philister in manch einem menschlichen Warndreieck. Dann erlebten wir extremistische Gewalttaten von unvorstellbarer Verwerflichkeit, die angeblich „große moralische Fragen“ aufwerfen: die Proteste von Klimaaktivistinnen. Sofort war die heilige Trinität der rechtschaffenen Empörung zur Hand: Extremismus, Radikalismus und Terrorismus.
Ein Beispiel unter unzähligen: Der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler twitterte unter dem Eindruck diverser beworfener Gemälde aufgeregt: „Dieser Terrorismus ist das eine. Die Verschwendung von Lebensmitteln ist das andere.“ Ein Höhepunkt unfreiwilliger Tragikomik. Die einmalige Nutzung von Kartoffelbrei zu außerkulinarischen Zwecken ist zweifellos das schlimmste Beispiel von Verschwendung in einem System, das bis zu 40 Prozent der Nahrungsmittel vergammeln lässt oder wegwirft. Für Herrn Schäffler ist das faule Ei, mit dem manche ihn gern bewerfen möchten, bestimmt schlimmer als die Millionen Tonnen Essen, die hierzulande auf dem Müll landen. Denn wir verbrauchen Boden, Luft, Wasser und Energie ohne Sinn und Verstand. Um dies zu bekämpfen, geben wir dem Problem einen schicken Namen: Food Waste, und unternehmen nichts Wirkungsvolles. Aber für Herrn Schäffler ist der Ist-Zustand – vermute ich – weder Terrorismus noch Verschwendung, sondern das gute Funktionieren des freien Marktes.
Nun stellt sich die Frage, was extremistischer ist: Das Bewerfen eines verglasten Bildes mit Suppe oder die giftige Suppe aus Verschwendung, Zerstörung und Klimakatastrophe, die uns der Wachstumswahn eingebrockt hat? Was ist extremistischer: dagegen aufzubegehren, für eine lebenswerte, würdevolle Zukunft, oder die verkrampfte Verteidigung des Status quo und die rigorose Ablehnung selbst der kleinsten Verbesserung (etwa beim Fleischkonsum: Tierhaltung macht mindestens 16,5 Prozent der globalen CO2-Emissionen aus). Wer genauer hinschaut, entdeckt in der viel beschworenen Mitte unserer Gesellschaft einen extremistischen Wahn des Weiter-so. Und wir haben nur die tragische Wahl zwischen einer extremistischen Mitte und dem Extremismus der Rechten.
Sind das nicht die wahren Helden dieser Tage welche es sogar schaffen dass ein im Stau stehender Lastwagen eine Radfahrerin überrollt haben soll !
Ähnlich moralisch blindwütig wurde auf den Tod einer Radfahrerin in Berlin reagiert. Die große moralische Frage ist offenbar nur, inwieweit der Protest daran Schuld hatte, weitaus weniger aber, wieso unzählige Radfahrerinnen im Straßenverkehr unter die Räder kommen, und auch nicht, dass jedes Jahr in der EU laut der Europäischen Umweltagentur Hunderttausende Menschen wegen Feinstaubbelastung und anderer Schadstoffe vorzeitig sterben. Mehr als die Hälfte dieser Menschen könnten noch leben, wenn wir die Richtwerte der WHO einhalten würden. Feinstaub ist vernünftig und notwendig, Protest hingegen frivol und unnötig, weswegen laut einer Umfrage des Spiegel 86 Prozent der Befragten finden, dass die Klimaaktivistinnen zu weit gehen.
Die extremistische Mitte behauptet gern, sie vertrete den gesunden Menschenverstand. Gegen Spinnerei und Utopismus und Weltfremdheit. Der Zusatz „gesund“ impliziert, dass konträres Denken „krank“ ist, daher abzulehnen und sogar zu verteufeln. Das englische common sense wäre geeigneter, zu übersetzen mit Hausverstand, also das, was jeder unter dem Dach seines eigenen Schädels finden könnte, wäre er nicht Opfer einer extremistischen Ideologie.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
*********************************************************
Grafikquellen :
Oben — Christian Lindner, Politiker (FDP), Wahlkampfveranstaltung in München (September 2021). Titel des Werks: „Christian Lindner im Wahlkampf 2021“
******************************
Unten — Öl Aktion vom Aufstand der Letzten Generation vor dem Bundeskanzleramt, Berlin, 09.07.2022
Abgelegt unter APO, Berlin, Deutschland_DE, Innere Sicherheit, Positionen | Keine Kommentare »