Wie im Wettbüro
Erstellt von Redaktion am 12. November 2022
Die Gas- und Strommärkte sind außer Rand und Band.
So zockten Lobbyisten einst um ihre Pfründe
VON : Anja Krüger
Es wird höchste Zeit, eine neue Ära der Energiepolitik einzuläuten und sich von der Profitlogik der Branche zu verabschieden. Die Energieversorgung ist zu wichtig, um sie Zockerbuden zu überlassen.
Der Stromanbieter hatte extra nochmal Druck gemacht. Das Unternehmen müsse den Vertrag unbedingt an diesem Tag unterschreiben, sonst würde es viel teurer als nötig, drängte er. Das zuständige Vorstandsmitglied setzte alles in Bewegung, damit es gelang – und wünschte sich im Nachhinein, es hätte nicht geklappt. Denn mit der Unterschrift wurde der Anbieter beauftragt, am nächsten Tag den benötigten Strom an der Energiebörse zu kaufen – zu dem dann geltenden Preis. Und das war der Jahreshöchstpreis. Das Unternehmen soll nun statt 100.000 rund 700.000 Euro im Jahr für Strom zahlen. Zwei oder drei Tage später wäre es erheblich billiger gewesen.
Auf dem Energiemarkt geht es mitunter zu wie im Wettbüro. Ob Strom oder Gas – die drastisch gestiegenen Preise verunsichern die Verantwortlichen in Unternehmen genauso wie private Verbraucher:innen, deren Abschlagszahlungen für Strom und Heizwärme drastisch erhöht wurden. Sie fühlen sich einem Markt ausgeliefert, dessen Untiefen sie kaum erkennen können. Gas und Strom sind keine Produkte wie Büromaterial, Milch oder Klopapier, sie sind nicht auf Vorrat lagerbar. Gleichzeitig ist Strom unverzichtbar, für jede:n Einzelne:n und für die Gesellschaft als Ganzes. Wer mit Gas kocht oder heizt, ist darauf ebenso angewiesen wie Unternehmen, die es als Rohstoff oder Energieträger brauchen. Der Staat ist dafür verantwortlich, dass die Versorgung gesichert ist. Aber angesichts der Kapriolen auf den Energiemärkten stellt sich die Frage, ob der Staat dem noch gerecht wird. Wenn der Energieeinkauf zum Glücksspiel wird, läuft etwas gewaltig schief.
Die Energiekosten sind schon vor dem Überfall auf die Ukraine stark gestiegen, weil die Wirtschaft auf der ganzen Welt nach der Coronakrise viel schneller und stärker wieder angesprungen ist als erwartet. Nach Beginn des Krieges sind die Preise dann explodiert. Bislang haben sich die wenigsten Privatleute mit den Preisen im Detail beschäftigt. Der Energiemarkt ist auch außerhalb von Krisen extrem schwer zu durchschauen. Nachdem die Bundesregierung auf die Krise reagiert hat und sogenannte Preisbremsen einführen will, gibt es immerhin eine Hausnummer, was künftig ein guter Preis ist: Beim Strom soll die Preisbremse bei 40 Cent pro Kilowattstunde liegen, beim Gas bei 12 Cent pro Kilowattstunde. Der Staat übernimmt bis April 2024 für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs von Privathaushalten und kleineren Firmen die Kosten der Differenz zwischen Preisbremse und Marktpreis. Wer mehr verbraucht, muss dafür den höheren Marktpreis zahlen. So sollen die Bürger:innen zum Energiesparen animiert werden.
Mit Einführung der Preisbremsen wird es drei Gruppen von Verbraucher:innen geben: Erstens die, die damit irgendwie klar kommen. Zweitens jene, die trotz dieser Hilfe aufgrund der hohen Energiepreise vor einem finanziellen Fiasko stehen. Und Drittens gibt es diejenigen, die einen Energieanbieter mit so günstigen Preisen haben, dass bei ihnen nicht gebremst werden muss. Für diesen Kreis ist das Glücksspiel gut ausgegangen. Von Ausnahmen abgesehen werden die meisten dieser Kund:innen nicht deshalb einen günstigen Anbieter haben, weil sie ihn unter dem Gesichtspunkt einer kommenden Energiekrise ausgesucht haben. In den häufigsten Fällen wird es schlicht Zufall sein. Viele Menschen haben ihren Energieversorgungsvertrag seit vielen Jahren nicht angefasst, auch weil ihnen der Markt mit den unzähligen Anbietern viel zu kompliziert ist.
Diese Intransparenz ist die Geschäftsgrundlage für Vergleichsportale im Internet. Noch vor Kurzem sind Drückerkolonnen etwa in Technikmärkten auf Kund:innen losgegangen, um sie mit Prämien zu einem Wechsel zu einem Billiganbieter zu bewegen. Für Laien ist kaum zu durchschauen, welche Konsequenzen das haben kann. Überrascht mussten Kund:innen etwa zur Kenntnis nehmen, dass ihr bisheriger Billiganbieter den Vertrag gekündigt hat und sie nur zu sehr hohen Tarifen einen neuen finden konnten. Billiganbieter zocken etwa an den Energiebörsen. Ihr Geschäftsmodell ist, auf günstige Preise zu warten und der Konkurrenz mit langfristigen Verträgen und höheren Kosten die Kund:innen abzujagen. Verspekulieren sie sich, müssen Verbraucher:innen das ausbaden.
Noch vor einem Vierteljahrhundert konnte das nicht passieren. Bis dahin gab es sogenannte Gebietsmonopole für die Energieversorgung. Strom konnten Verbraucher:innen nur über das örtliche Elektrizitätswerk beziehen. Diese Unternehmen, in der Regel die kommunalen Stadtwerke, hatten ein festgelegtes Versorgungsgebiet. Sie stellten Strom entweder selbst her oder bezogen ihn von Großkraftwerken, mit denen sie langfristige Lieferverträge hatten. Die schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl brachte 1997 die sogenannte Strommarktliberalisierung auf den Weg, mit der die Monopole durch Märkte ersetzt wurden. Deregulierung und Privatisierung waren seinerzeit – dem neoliberalen Zeitgeist geschuldet – in vielen Branchen auf der Tagesordnung. Das war nicht nur ideologisch motiviert, die Industrie machte Druck. Der Chemiekonzern BASF etwa beschwerte sich bei der EU-Kommission, weil das Unternehmen gezwungen war, den vergleichsweise teuren Strom ihres Versorgers zu zahlen und es nicht den für den Abnehmer billigeren Atomstrom aus Frankreich kaufen konnte. Die Liberalisierung des Gasmarkts erfolgte einige Jahre nach der des Strommarktes. Unzählige Firmen entstanden, die an verschiedensten Stellen der Versorgungskette Geld verdienen. Das Versprechen sinkender Strompreise erfüllte sich auch aufgrund diverser neuer Abgaben für Privathaushalte nicht.
Weil Strom und Gas nicht wie Kartoffeln oder Milch gehandelt werden können, war die Liberalisierung von Anfang an stark reglementiert. Energie kommt über Leitungen ins Haus, und die sind nicht beliebig verlegbar. Deshalb werden die vielen hundert Netzbetreiber gesetzlich dazu gezwungen, die Energie der Konkurrenz durchzulassen – gegen eine Gebühr. Ein komplexes Geflecht von Regeln soll den Wettbewerb und gleichzeitig die Versorgungssicherheit gewährleisten. Das Problem: Auf dem Energiemarkt können sich Angebot und Nachfrage nicht selbst ausbalancieren, denn dann wäre die Versorgungssicherheit in Gefahr. Energieerzeugung muss geplant werden. Wird ein Kraftwerk erst hochgefahren, wenn der Bedarf steigt, ist es zu spät. Stromerzeuger melden deshalb ihre voraussichtliche Produktion bei den Verantwortlichen für das jeweilige Stromnetz an. Ist zum Beispiel wegen starken Windes viel Windenergie zu erwarten, werden Kohle- oder Gaskraftwerke heruntergefahren. Oder es werden Windräder gestoppt, weil es viel Atomstrom gibt.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
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