Italien vor den Wahlen
Erstellt von DL-Redaktion am 23. September 2022
Die Pseudo-Frauenversteherin
Ein Debattenbeitrag von Francesca Polistina
Die Rechtsextremistin Giorgia Meloni könnte die erste Ministerpräsidentin Italiens werden. Doch die Situation der Frauen würde sich verschlechtern.
Die Feministinnen haben sie lange erwartet, die erste Ministerpräsidentin Italiens, die erste Frau an der Spitze eines Landes, wo das Patriarchat noch stark verwurzelt ist. Und nun ist sie aller Wahrscheinlichkeit nach da: Giorgia Meloni, 45 Jahre alt, in der Politik seit ihrer Jugend, Vorsitzende einer rechtsradikalen Partei namens Brüder Italiens (Fratelli d’Italia), die immer noch die Flamme der Neofaschisten im Logo trägt.
Sollten sich die aktuellen Umfragen bestätigen, könnte die erste Regierungschefin nicht aus den Reihen der Sozialdemokraten oder der moderaten Konservativen kommen, sondern ausgerechnet aus einer postfaschistischen Partei. Woraufhin in Italien eine Debatte entbrannte: Sind vielleicht die Rechten feministischer als die Linken?
Zugegeben, die italienischen Sozialdemokraten haben in den vergangenen Jahren viel verschlafen. Sie haben Meloni unterschätzt, auch als Frau, und Diversität nicht als Priorität gesetzt. Laura Boldrini, ehemalige Präsidentin der Abgeordnetenkammer, sagte einmal über ihre Partei, die Partito Democratico: „Die Strömungen zermalmen die Protagonistinnen und verhindern den Wandel.“
Und dennoch ist die Frage, ob die Parteien der Rechtskoalition feministischer seien als die anderen, falsch gestellt. Wer sich ausschließlich auf die Anzahl der Frauen konzentriert, der reduziert den Feminismus auf eine einfache Rechnung. Die Präsenz von Frauen an der Spitze hat eine wichtige Funktion, um Änderungen anzustoßen und hartnäckige Vorurteile abzubauen, dennoch geht es dem Feminismus primär nicht darum, die Macht zu ergreifen, sondern die Gesellschaft im Sinne der Frauen und der Benachteiligten zu verändern. Die Frage sollte also lauten: Wird sich Wahlfavoritin Giorgia Meloni für die Rechte der Frauen stark machen? Nein, wird sie nicht.
Giorgia Meloni thematisiert häufig ihr Frausein und noch häufiger ihr Muttersein. Sie erzählt von ihrer sechsjährigen Tochter, deren Name mittlerweile jeder kennt, und von den Sorgen, die viele Frauen mit Kindern erleben. Sie spricht offen von den Schwierigkeiten, Beruf und Familie zu kombinieren, und von den Schuldgefühlen, wenn sie im Wahlkampf ihrer Tochter zu wenig Zeit widmet. Sie postet in den sozialen Medien die Cupcakes, die sie für den Kindergeburtstag backt, und erklärt einem Frauenmagazin, dass sie auf keinen Fall auf ihre Mutterrolle verzichten wird, sollte sie Ministerpräsidentin werden, denn „Frauen organisieren sich immer“.
Man möchte Meloni nun erwidern, dass es natürlich nicht stimmt, dass Mütter es immer schaffen, sich zu organisieren, und das ist eben das Problem – gerade in einem Staat wie dem italienischen, der Mütter und Kinder nicht ausreichend unterstützt und der von Vätern keine Care-Arbeit erwartet. Meloni sollte das wissen, aber noch besser weiß sie, dass die von ihr propagierte „Solidarität unter Mamas“ ein Mitgefühl schafft, das man in diesem Wahlkampf sonst vergebens sucht.
Ihr Fall erinnert stark an Marine Le Pen: Auch sie wirbt mit Frauenthemen um Wählerinnen, aber auch sie lehnt in Wirklichkeit Gesetzentwürfe ab, die Frauen mehr Rechte geben würden. Und auch sie nutzt den feministischen Diskurs, um Rassismus und Homo- und Transphobie zu verbreiten – indem sie beispielsweise jeder Gewalttat gegen Frauen, die von Migranten verübt wird, eine enorme Aufmerksamkeit schenkt.
Giorgia Meloni ist gegen die Frauenquoten, die vor zehn Jahren in den Aufsichtsräten eingeführt wurden, und möchte sie abschaffen. Im Europäischen Parlament hat ihre Partei gegen den Vorschlag zur Verringerung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles, also des Gender-Pay-Gaps, gestimmt. Und dann ist da noch das Thema Schwangerschaftsabbruch, gegen den viele rechtsgeführte Regierungen agitieren: Meloni sagt, sie will nicht die Abtreibungen verbieten, wohl aber Maßnahmen fördern, die Frauen von dieser Entscheidung abbringen können.
Welche diese Maßnahmen sind, hat sie der katholischen Zeitung Avvenire erzählt – etwa die Einrichtung eines Fonds für ungewollt Schwangere und die Unterstützung von Abtreibungsgegnern und deren Beratungsstellen.
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Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — CPAC 2022 con Hermann Tertsch y Victor Gonzalez.
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