Wann war es denn je anders
Erstellt von Redaktion am 2. Januar 2022
Realpolitik zählt, nicht Werte
Wenn auf den größten Verbrecher, nach Ende des Krieg nur Lumpen folgen
Von Rüdiger Lüdeking
Der Westen empört sich moralisch über Russland. Das ist falsch. Stattdessen sollte man die Sicherheitsinteressen von Präsident Putin ernst nehmen.
Der Videogipfel zwischen dem russischen Präsidenten Putin und seinem US-Kollegen Biden hat die Fronten geklärt. Wie bei diesem Gespräch am 7. Dezember deutlich wurde, geht es Russland im Kern darum, ein weiteres Vordringen der Nato in den postsowjetischen Raum zu blockieren. Vor allem soll verhindert werden, dass die Ukraine der Nato beitritt. Und Biden hat – kaum überraschend – nicht näher definierte wirtschaftliche Konsequenzen angedroht, falls es zu einer russischen Militäraktion gegen die Ukraine kommen sollte.
Die Nato hat in einer Erklärung am 16. Dezember verdeutlicht, dass sie es als Russlands Aufgabe ansieht, den Konflikt zu deeskalieren. Sie vertritt den Standpunkt, dass die Frage eines Nato-Beitritts lediglich eine Angelegenheit zwischen der Ukraine und den 30 Nato-Mitgliedstaaten sei. Damit stellt sie die Existenz legitimer russischer Sicherheitsinteressen in Abrede und negiert letztlich eine „gemeinsame Sicherheit“ der Staaten Europas. Viele westliche Experten sprechen jetzt von unüberbrückbaren Differenzen, wollen an der gerade von den USA aggressiv forcierten Nato-Erweiterung festhalten und geben sich der Illusion hin, Russland durch verschärfte Sanktionen zum Einlenken bewegen zu können. Dabei sollte doch nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre klar sein, dass Russland sich durch – zumal öffentliche – Positionierungen des westlichen Bündnisses nicht demütigen lassen wird.
Die Ukraine-Krise bleibt brisant, und die Kriegsgefahren sind nicht gebannt. Dieser ernüchternde Befund steht in krassem Gegensatz zu den beiderseitigen Bemühungen zu Beginn der 1990er Jahre, den Kalten Krieg zu überwinden und einen Raum gemeinsamer und gleicher Sicherheit in Europa zu schaffen. Zu diesem Zweck waren die Nato-Staaten bereit, Konzessionen zu machen. So enthält schon der 2+4-Vertrag über Deutschland aus dem Jahr 1990 eine Obergrenze für die Bundeswehr; außerdem verbietet er die Stationierung von ausländischen Streitkräften sowie von Kernwaffenträgern auf dem Territorium der ehemaligen DDR. Und schließlich ist die Nato-Russland-Grundakte 1997 nicht nur von dem Bekenntnis zu unteilbarer Sicherheit und Zusammenarbeit getragen; in ihr hat die Nato auch dezidiert zugesagt, keine „substanziellen Kampftruppen“ und Kernwaffen in den Nato-Beitrittsstaaten zu stationieren.
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Dies waren Schritte zu einem Interessenausgleich. Heute dagegen sind konfrontative Töne und ein unversöhnlicher Antagonismus vorherrschend. Auch unter dem Eindruck der zunehmend autoritären und repressiven Innenpolitik in Russland weigert sich die westliche Seite, von Putin verlangte Sicherheitsgarantien und die geforderte Wahrung eines Einflussbereiches als legitim anzuerkennen.
Die Außenpolitik der neuen Bundesregierung scheint im Wesentlichen durch moralische Entrüstung über das Regime Putin geprägt zu sein. Statt sich nachhaltig für eine Deeskalierung und Verhandlungen mit Russland einzusetzen, beschäftigt sie sich intern offenbar vornehmlich mit der Frage, ob unter den obwaltenden Umständen die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 überhaupt erfolgen darf. Am Rande sei erwähnt, dass mögliche russische Gegenmaßnahmen wie der Stopp von Energielieferungen völlig unbeachtet bleiben. Auch die realpolitische Erwägung, dass eine wirtschaftliche Schwächung Russlands sicherheitspolitische Instabilitäten zur Folge haben kann, scheint keine Rolle zu spielen.
Überhaupt: Außenpolitisch scheint man vor allem auf „Wertebasierung“ statt Realpolitik zu setzen. Dabei muss es doch darum gehen, eine kriegerische Auseinandersetzung in Europa zu verhindern. Deshalb ist es notwendig, Chancen für Dialog und Verhandlungen zu nutzen. Am 17. Dezember hat Russland Vorschläge vorgestellt, und sie bieten zumindest einen Ansatz für Gespräche, selbst wenn sie in zentralen Punkten völlig inakzeptabel sind. So kann die Nato beispielsweise den geforderten vertraglichen Verzicht auf eine Erweiterung keinesfalls akzeptieren. Die russischen Vorschläge für eine vertrauensbildende Rüstungskontrolle könnten hingegen eine Grundlage für ernst zu nehmende Verhandlungen bieten. Gleiches gilt für die russische Absicht, den Einsatz bestimmter Waffen zu beschränken. So ist es beispielsweise auch für den Westen von Interesse, über eine Nichtstationierung von Raketen mittlerer und kürzerer Reichweite zu verhandeln, nachdem der entsprechende INF-Vertrag 2019 weggefallen ist.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Relief „Ludwigs Erbe“ von Peter Lenk, nähe Zollhaus und Tourist Information, Hafenstraße 5, Ludwigshafen am Bodensee, Bodman-Ludwigshafen in Deutschland: Rechter Teil des Triptychons, von links nach rechts: Hans Eichel, Gerhard Schröder, Angela Merkel, Edmund Stoiber und Guido Westerwelle
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Unten — Bushaltestelle Kremenholl/Paulstraße in Remscheid
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